Eine Dreijährige will schreiben (Kurzfassung)

von Martina Böckling

 

Jasmin ist 3;10 Jahre alt und ist bereits an Buchstaben und Zeichen interessiert. Bemerkenswert ist zudem, dass sie bei Eintritt in die Kita kaum ein Wort Deutsch konnte.

Jasmin ist offenbar aufgefallen, dass die Erzieherinnen ständig etwas aufschreiben oder ausfüllen – etwa Anwesenheitslisten oder Liedtexte. Da Jasmin gerne “schreibt“, versucht sie, solche Tätigkeiten der Erwachsenen nachzuahmen. Die Zeichen, die sie “schreibt“ (so nennt sie es), sind immer dieselben und sind immer gleich angeordnet.

Bevor ich mich für das Projekt entschied, bearbeitete ich mit Jasmin den Kinder-Fragebogen Kommunikation sowie den Interessenfragebogen.

Beim Kinder-Fragebogen Kommunikation wurde deutlich:

    • Jasmin fühlt sich in der Gruppe sehr wohl.
    • Sie bewundert die „Großen”, weil sie bald in die Schule kommen.
    • Sie genießt es, wenn sie anderen Kindern helfen kann, zum Beispiel beim Malen.
    • Sie findet es toll, wenn die Vorschulkinder „Arbeitsblätter“ erarbeiten.

Beim gemeinsamen Bearbeiten des Interessenfragebogens wurde deutlich:

    • Jasmin spielt gerne mit Raman und Berin in der Puppenecke oder malt-schreibt mit ihnen.
    • Jasmin kann gut malen.
    • Sie hätte es gerne, wenn die anderen mehr auf sie hören
    • würden.

Auf die Frage: “Was möchtest du gerne lernen?“ kam die Antwort: “Kindergarten ist schön, ich muss hier arbeiten.“

Beim Gespräch mit der Mutter stellte sich heraus, dass Jasmin zu Hause ganz klare Vorstellungen von dem hat, was sie gerne möchte. Sie kann sich bei ihrer Mutter sehr gut durchsetzen und erreicht in den meisten Fällen ihr Ziel. Damit Jasmin “arbeiten“ kann, musste die Mutter zum Beispiel Schreibutensilien für sie kaufen.

Da Jasmin gerne arbeitet und die Vorschulkinder so bewundert, habe ich mich entschlossen, das Projekt: „Wir lernen Schreiben“ zu nennen.
In der Gesamtgruppe hat sie, auch aufgrund ihrer fehlenden Deutsch-Sprachkenntnisse, Schwierigkeiten sich den Kindern gegenüber zu behaupten. Ich kann mir vorstellen, dass Jasmin sich in der Kleingruppe eher zu sprechen traut und sich durchsetzt.

Teilnehmende Kinder

Mit in die Projektgruppe nehme ich zwei Kinder ähnlichen Alters auf: Berin 3;8 Jahre, und Raman, 4;7 Jahre. Beide spielen mit Jasmin, beide Kinder sind gerne zu Aktivitäten bereit und malen gerne. Auch Berin findet die Arbeitsblätter der Vorschulkinder immer interessant, und Raman erwähnt öfter, dass er doch auch groß sei.
Als ich die Beiden frage, wollen sie sofort mitmachen. Als Amanda (3;11) zufällig von dem Projekt erfährt, will sie ebenfalls mitmachen. Da die anderen damit einverstanden sind, erweitern wir die Gruppe auf vier Kinder. Ohne dieses Projekt, wäre mir nicht aufgefallen, mit welcher Motivation, Ausdauer und Spaß Amanda solche Aufgaben erfüllen kann.

Mit den Arbeitsblättern beginnen alle Kinder gemeinsam, zum Ende hin entscheiden die Kinder, die fertig sind, ob sie noch bleiben oder den Raum verlassen. Jasmin und ich bleiben noch länger, weil Jasmin nicht fertig werden will. Oft hat sie den Wunsch, noch mit mir zusammen zu sitzen, dabei weiter zu malen und zu erzählen.

Arbeitsmaterialien

Zunächst informiere ich mich in Buchhandlungen über Arbeitsblätter und Hefte zum Schreiben lernen. Die meisten Angebote erscheinen mir zusammengewürfelt und nicht durchdacht zu sein. Schließlich finde ich das Arbeitsheft: “Vorübungen zum Schreiben“ mit Conni aus dem Carlsen Verlag. Damit kann man Grundformen der Buchstaben wie Kreise, Linien, Wellen üben.
Dieses Buch gefällt mir für mein Projekt gut – und in Verbindung mit Arbeitsblättern, die ich schon besitze, habe ich einen guten Grundstock.

Wichtig ist mir, dass ich das Buch nicht der Reihe nach “bearbeiten“ will, sondern die Wahl der Arbeitsblätter vom Können, dem Spaß und der Motivation der Kinder abhängig mache.
Mir erscheint es sinnvoll, mit Arbeitsblättern über gerade und halbrunde Linien zu beginnen, über Kreise, Wellen und Schwünge zu den Buchstaben zu gelangen.

Projektverlauf

Je länger das Projekt dauert, desto selbstverständlicher wird es für die Kinder. Ich erlebe nie, dass ein Kind keine Lust hat oder motiviert werden muss. Jeden Tag wurde ich gefragt, ob wir denn heute „arbeiten“ und die Kinder freuten sich bei einer positiven Antwort.

“Schreiben nach Wunsch“ am ersten Projekttag

Es liegt ein Paket mit Filzstiften auf dem Tisch, die Kinder bekommen ein Blatt und die Aufgabe: „Zeigt mal, was ihr schon schreiben könnt“. Raman und Berin fangen sofort an zu schreiben, Jasmin schaut erst einmal zu. Sie redet zu sich selbst: “Na, so, schreiben, ach nee“. Während die beiden anderen zügig ihr Blatt bearbeiten, fängt Jasmin an, hört wieder auf, sieht den anderen zu, fängt an die Filzstifte zu zählen, schreibt weiter, usw.
Mit dieser Übung wollte ich erfahren, was die Kinder unter “Schreiben“ verstehen. Raman schrieb einige Buchstaben auf (E, H und A), Berin schrieb A und E und Jasmin schrieb die Zeichen, die sie immer benutzt.

Nun wollte ich die Kinder an die Grundformen der Buchstaben heranführen.

Zum Thema „Gerade Linien zeichnen“ bot ich drei verschiedene Arbeitsblätter an: 1. eine Leiter, an der die fehlenden Sprossen eingezeichnet werden, 2. Schienen, die vollendet werden, und 3. eine Sonne, bei der Strahlen angefügt werden sollten.

Jasmin war anfangs zurückhaltend, während die anderen Beiden gleich erzählten, was sie auf den Blättern sahen und was sie wohl machen sollten. Nachdem Jasmin die Aufgabe verstanden hatte, fing sie an, sehr genau und exakt zu malen. Sie schaute dabei immer wieder zu den anderen und brauchte dadurch länger, aber dafür waren ihre Linien sehr genau gemalt. Ich musste mir immer wieder anschauen, was sie machte und sie loben. Offenbar war dies für Jasmin noch nicht “Schreiben“ genug; auf der Rückseite ihres Blattes schrieb sie wieder ihre Zeichen.

Auch zum Thema „Halbrunde Linien zeichnen“ bot ich drei Arbeitsblätter an:
1. Blumenstiele, die vorgepunktet waren, 2. Regenschirme, an denen der Griff einzuzeichnen ist, 3. Henkel, die an Bechern fehlten.

Das Blatt mit den Blumenstielen musste ich aufgrund der personellen Situation im Gruppenraum anbieten. Dort war es entsprechend unruhig und Jasmin wurde sehr abgelenkt. Sie hatte Schwierigkeiten zu beginnen und versuchte von ihrem Platz aus, alle möglichen Situationen zu kommentieren.
Die Einzeichnung der Regenschirmgriffe fand wieder im Musikzimmer statt. Jasmin malte sehr langsam und kritisierte laufend die anderen Kinder. Sie konnte sich nur kurzfristig konzentrieren und stritt sich mit den Anderen. Die Aufgabe schaffte sie aber wieder sehr gut.

Als dann die anderen nicht mehr anwesend waren, beschloss ich, die Aufgabe mit dem halbrunden Henkel am Becher nur für Jasmin anzubieten. Ich wollte herausfinden, ob Jasmin, wenn sie alleine ist, ruhiger und konzentrierter arbeiten kann.
Sie freute sich sehr und genoss die Zeit mit mir. Sie erzählte und stellte Fragen. Als sie fertig war, fragte ich sie, ob sie lieber mit mir alleine oder mit der Gruppe arbeiten möchte. Jasmin beschloss, doch lieber mit den anderen Kindern zusammen zu arbeiten.

Zum Thema „Wellen nachzeichnen und selber zeichnen“ bot ich vier Arbeitsblätter an:
1. große Wellen, auf denen ein Schiff schaukelt, 2. kleinere Wellen im Schwimmbad, 3. Sprünge eines Kängurus, 4. sowie eigene Wellen zeichnen.

Jasmin wirkt unsicher, sie schaut sich an, was Raman macht, dann setzt die den Stift an und hört wieder auf. Es beginnt eine kleine Diskussion zwischen den Beiden, wie viele Jungen- und Mädchenfische es gibt.
Jasmin wirkt genervt als Raman mir etwas erzählt. Sie behauptet, er ärgere sie. Bei den nächsten Blättern fängt Jasmin zunächst mit Malen an. Dann kritisiert sie die anderen Kinder und lenkt sich selber ab, zum Beispiel indem sie singt, oder lässt sich durch draußen spielende Kinder ablenken. Sobald sie nicht genau auf dem Strich malt, schimpft sie mit sich selber; sobald ich sie lobe, malt sie zügig weiter. Als einzige zeichnet Jasmin unterschiedliche Wellen.

Bei verschiedenen Schwungübungen zum Nach- und Weiterzeichnen verändert sich Jasmins Arbeitsweise: Während sie zuvor erst schaute, was die anderen Kinder machen, beginnt sie nun sofort mit der Arbeit, sobald sie ein Arbeitsblatt bekommt. Immer noch macht Jasmin Pausen, sie braucht für alle Arbeitsblätter am längsten. Weiterhin malt sie sehr exakt die Linien nach, zwischendurch hinterfragt sie, ob sie schreiben lernt und ich bestätige ihr dieses.

Kommentar der Kursleitung:
Dies könnte ein Hinweis sein, dass Jasmin vielleicht unterfordert ist. Sie will Schreiben lernen und sieht vielleicht nicht den Zusammenhang bzw. die Notwendigkeit dieser Vorübungen. Noch mal: Möglicherweise sind solche Vorübungen für sie nicht nötig.

Auf einem weiteren Arbeitsblatt waren alle bisherigen Übungen zusammengefasst. Als Jasmin das Blatt sah, stöhnte sie: “Will nicht, schwer“.

Kommentar der Kursleitung:
Paradoxerweise sagen Kinder manchmal „langweilig“, wenn es für sie zu schwierig ist – es geht über ihren Kopf hinweg, es sagt ihnen nichts und ist deshalb für sie tatsächlich langweilig – und sie sagen „schwer“, wenn es für sie schwer ist, noch weiter zu machen, weil es zu langweilig ist.

Die anderen begannen und auch Jasmin nahm einen Stift, dabei jammerte sie weiter. Sie machte allerdings keinen unglücklichen, sondern einen genervten Eindruck. Auch am nächsten Tag schimpfte Jasmin wieder vor sich hin, aber füllte von allen Kindern das Blatt am genauesten aus.

BILD 7
Kommentar der Kursleitung:
Dieses Ergebnis ist nicht nur für ihr junges Alter, sondern überhaupt sehr gut!! Vergiss die Arbeitsblätter und lass sie endlich richtige Buchstaben und Wörter schreiben!

Buchstaben schreiben

Diese Aufgabe umfasst ein Arbeitsblatt, auf dem Buchstaben zu sehen sind. Die Kinder waren sehr aufgeregt, als sie das Blatt sahen, und Raman erklärte, dass es Buchstaben seien.
Es begann ein Gespräch darüber, welche Buchstaben zu sehen sind, und ich nannte den Kindern die jeweiligen Buchstaben, die sie wissen wollten. Die Kinder wollten wissen, welche Buchstaben zu welchen Namen gehören und wir überlegten gemeinsam. Bei dem Buchstaben “J” sagte ich zum Beispiel: “Ja….“ Und Jasmin rief: “Mein Name“.

Berin erklärte, dass das N zu ihr gehört und Raman stellte klar, dass es auch sein Buchstabe sei. Ich sagte sehr langsam: “Amanda“ und schon rief Berin, dass auch Amanda ein N habe. Alle schauten Jasmin an und Jasmin sagte: “Mein auch“. Zum Schluss erklärte ich, dass auch ich ein N in meinem Namen habe. Wir stellten fest, dass das N ein Buchstabe von uns allen ist.

Bei dieser Aufgabe hatten die Kinder sehr viel Freude und mir fiel auf, dass Jasmin zum ersten Mal vor allen Kindern mit ihrem Blatt fertig wurde. Als ich sie darauf ansprach, freute sie sich sehr und rief: „Hurra, ich habe gewonnen!“ Als Berin sie daraufhin zu ihrem Geburtstag einlud, freute sie sich

…und beide beschlossen, dass sie nun Freunde seien.

Kommentar der Kursleitung:
Aha, die Stimmung steigt, sobald es ans “Eingemachte“, also das tatsächliche Schreiben, geht.

Abschluss des Projektes: “Wir schreiben selber Buchstaben“

Heute lautet die Aufgabe, dass jeder schreiben kann, was er will.
Bei allen Kindern fiel auf, dass sie vielfältigere Möglichkeiten gefunden hatten, zu schreiben. Sie benutzten einige der voraus gegangenen Möglichkeiten der Darstellung, wie zum Beispiel die Schnecke, die Wellen oder auch die Kreise.

Am auffallendsten ist das Blatt von Jasmin. Ihre Ausdrucksmöglichkeiten sind sehr vielfältig im Vergleich zum Anfang. Während sie zu Beginn des Projektes noch stereotyp die gleichen Zeichen machte, malt sie nun sehr unterschiedliche Zeichen.
Gemeinsam überlegten wir, was wir mit den Arbeitsblättern machen. Mein Vorschlag, sie in einem Schnellhefter für jeden abzuheften, fand großen Anklang.

Jasmins Erkenntnisse und Erfolge

Jasmin war das ganze Projekt über mit sehr viel Begeisterung und Freude dabei. Jeden Tag fragte sie, wann wir wieder “arbeiten“. Sie bereitete häufig den Tisch vor, und sehr oft saßen die Kinder schon dort, während ich mich noch auf den Weg machte.
Jasmin hat während des Projektes erfahren:

    • Es macht ihr Spaß, in einer kleinen Gruppe zu arbeiten.
    • Sie kann viel erzählen, erklären, benennen und diskutieren, ohne Sorge haben zu müssen, ob die anderen Kinder sie verstehen.
    • Sie kann in einer ruhigen Umgebung, mit möglichst wenig Ablenkung, sehr gut konzentriert arbeiten.
    • Durch die positiven Lernerfahrungen und durch den Umgang mit den anderen Kindern ist ihr Selbstbewusstsein gestiegen.
    • Sie hat gelernt, dass sie nicht für die Arbeit und Leistung der anderen Kinder verantwortlich ist. Jasmin schafft es immer besser, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und nicht immer die Anderen zu kritisieren.
    • Jasmin wird nun von Berin akzeptiert und die beiden haben Freundschaft geschlossen.

Kommentar der Kursleitung:
Dieses sind sehr gute Ergebnisse. Unseres Erachtens hättest Du während des Projektes, als Jasmin beständig sehr gute Ergebnisse lieferte und auch die anderen drei Kinder sich stark zeigten, das Lernziel noch viel höher stecken können.

Über Jasmin ist mir folgendes klar geworden:

    • Jasmin hat weiterhin ein großes Interesse an Buchstaben und schreibt nicht mehr stereotype, sondern unterschiedliche Zeichen.
    • Jasmin hat hohe Ansprüche an das Ergebnis ihrer Tätigkeiten, sie arbeitet sorgfältig und es ist ihr wichtig, genau zu malen. Sie schimpft auch mit sich selber, wenn sie meint, ihren eigenen Ansprüchen nicht zu genügen.
    • Jasmin hat eine hohe Aufmerksamkeitsdauer und Eigenmotivation, wenn sie etwas interessiert.
    • Jasmin besitzt Führungskompetenz. Wenn sie geklärt hat, dass und wann wir arbeiten, bereitet sie den Tisch vor und versammelt die Kinder um sich.
    • Jasmin kann sich gut in andere einfühlen. Sie hat mitbekommen, dass Amanda nicht so mithalten kann wie die anderen und kritisiert sie deswegen auch nicht.

Erkenntnisse, die ich über die anderen Kinder gewinnen konnte

Ohne dieses Projekt wäre mir nicht deutlich geworden, dass Amanda in ihrer Feinmotorik schon so weit entwickelt ist. Sie zeigt einerseits ein extremes Kleinkindverhalten, aber sie hat auch vielfältige Talente.
Raman konnte schon am Anfang zwei Buchstaben schreiben. Er löste die Aufgaben sehr schnell. Dafür waren die Arbeiten öfter ungenau. Er lernte mit der Zeit, genauer zu arbeiten und sich Zeit zu lassen.

Planung für die Zukunft

Je mehr ich mich mit Jasmin beschäftige, umso deutlicher wird mir, dass Jasmin in einigen Bereich höher begabt ist als andere Kinder.
Es hat sich für mich ganz klar herausgestellt, dass ihr Interesse an Buchstaben längerfristig anhält. Als unser Projekt zu Ende war, kam sie ein paar Tage später mit einem Block voller Arbeitsblätter an und bearbeitete einige selbstständig mit Berin und Amanda.

Sie besteht darauf, dass wir weiter “arbeiten“, und manchmal zieht sie sich mit Berin oder Amanda in den Musikraum zurück, um zu schreiben. Da ihr Interesse am Schreiben weiter anhält, kann ich mir eine Fortsetzung des Projektes vorstellen.
Berin wird zu Hause sehr gefördert und setzt bei den Kindern ihre Wünsche selbstbewusst durch. Sie hatte Jasmin und Amanda immer als „Kleine“ gesehen und sie auch so behandelt. Durch die Kleingruppenarbeit ist ihr klar geworden, was die beiden schon können. Nun akzeptiert sie Amanda. Jasmin ist nun ihre Freundin.

Jasmins Selbstbewusstsein ist in der Zeit der Kleingruppenarbeit stark angestiegen. Dadurch hat sich ihr Status in der Gruppe geändert, sie hat in Berin und auch in Amanda Freundinnen gefunden. Sie weint nicht mehr, wenn ihr etwas nicht passt, sondern setzt sich energisch mit Worten durch.

Jasmin hat trotz Fortschritten immer noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Das behindert Jasmin in der Entfaltung ihrer Begabungen.
Ihr hat die Kleingruppenarbeit viel Spaß bereitet. Ich möchte bald ein neues Projekt zu starten, in dem ich ihr auch bei der Sprachentwicklung helfen kann – möglicherweise in Verbindung mit weiteren „Schreibübungen“.

Kommentar der Kursleitung:
Bei der weiteren Arbeit wäre es wichtig, wie Du selbst schon angedeutet hast, weiter auszuloten, wo ihre Grenzen sind und wo sie zu ihrer persönlichen Höchstform aufläuft.
Was das Lesen- und Schreibenlernen betrifft, würden wir folgendes
Ziel für realistisch halten: Jasmin lernt in den nächsten drei Monaten Lesen und in großen Druckbuchstaben schreiben. Falls ihr Interesse dann daran erlahmen sollte oder sie an ihre Leistungsgrenze kommen sollte, kannst du immer noch von diesem Ziel ablassen.

Das Folge-Projekt

Nun sollen die teilnehmenden Kinder lernen, Großbuchstaben schreiben und lesen zu können.

Folgende drei Ziele wollte ich anstreben:

    • Die Kinder können ihren eigenen Namen schreiben.
    • Die Kinder können die Namen der anderen Projektteilnehmer schreiben.
    • Die Kinder können kleine Wörter schreiben.

Schon während des vorigen Projekts war mir aufgefallen, dass Jasmin gern in einer arbeitsähnlichen Atmosphäre lernen möchte. Sie selber und mittlerweile auch die anderen Teilnehmer sprechen davon, dass sie “arbeiten“ und fragen auch: “Arbeiten wir heute wieder?“ Auf meine Frage: “Was ist denn für dich arbeiten?“ sagt Jasmin ganz klar: “Na, schreiben lernen, für die Schule.“

„Warum möchtest du schreiben lernen?“ fragte ich sie und sie sagte lächelnd: “Das ist schön und ich bin dann groß.“ “Und was ist schön am Großsein?“ Sie schaute mich an, lachte und sagte: “Martina, du bist groß und schön, ich möchte auch groß sein.“
In diesem Projekt werde ich den Anspruch, vor allem an Jasmin, immer wieder erhöhen, um sie an ein Niveau heranzuführen, welches ihr Spaß macht und das sie spannend findet.

Diese Kinder haben von Beginn des Projektes an mitgearbeitet:

Jasmin (inzwischen 4;4 Jahre alt)
Bei ihr bin ich gespannt, inwieweit sie sich herausfordern lässt und zu welchen Leistungen sie in der Lage ist.
Raman (5;2)
Er war auch beim letzten Projekt dabei, wollte weitermachen und schreiben lernen.
Amanda (4;6)
Sie hatte am Ende des letzten Projektes Schwierigkeiten, die Anforderungen zu erfüllen. Ich habe festgestellt, dass es Amanda wenig ausmacht, wenn sie Aufgaben nicht schafft. Für sie ist es wichtig, dabei zu sein und mitzumachen.
Yusuf (5;1)
Er ist im gleichen Alter wie Raman, er wollte schon während des ersten Projektes mitmachen. Da Berin die Einrichtung wechseln sollte, hat Yusuf den Wunsch geäußert, an ihrer Stelle mitzumachen. Auf seine Weiterentwicklung bin ich gespannt, da er sich im Gruppengeschehen sehr langsam gibt.
Berin (4;3)
Sie sollte eigentlich in einen bilingualen Kindergarten wechseln und war aus diesem Grund bei den ersten beiden Angeboten nicht dabei. Als sie nach ein paar Tagen wieder zu uns zurück kam, war ihr Wunsch, wieder mitzumachen, verständlich.

Alle Kinder wollten unbedingt Schreiben und Lesen lernen, waren von Anfang an motiviert und zeigten Ausdauer und Konzentration. Personalmangel und ein unerwarteter längerer Urlaub von Jasmin führten leider zur vorzeitigen Beendigung des Projektes.

Eigene Auseinandersetzung mit dem Thema

Im vorangegangenen Projekt haben die Kinder genaues Hinsehen und Unterscheiden von Formen gelernt. Dies war wichtig, damit sie lernen konnten, die abstrakte Gestalt eines Buchstabens genau und richtig zu erfassen.
Jasmin arbeitet sehr genau, ich gehe davon aus, dass ihr das beim Schreiben lernen hilft.

Da Kinder so schreiben lernen wie sie reden, war mir klar, dass wir die Buchstaben entsprechend benennen. Ein M wird nicht EM genannt, sondern M.
Den Kindern soll deutlich werden, dass Buchstaben zusammengefügt Wörter ergeben können. Das sollen sie zuerst an ihren Namen lernen können, später an anderen einfachen Wörtern.

Als Arbeitsmaterialien habe ich mir “Mein erstes großes Abc- Buch“ und “Mein dicker Übungsblock Schreiben und Lesen“ aus dem Cornelsen Verlag besorgt, sowie die Spiele : “Buchstaben-Box“ (ars edition) und “Wort-Ritter“ (Haba).

Da der eigene Name meistens das erste Wort ist, das die Kinder schreiben, beginnen wir auch damit. Den eigenen Namen schreiben zu können, war ein großer Wunsch von Jasmin.

Immer wieder sollte einfließen, welche Buchstaben sich in Wörtern befinden, zum Beispiel I wie Igel. Um eine ganzheitliche Förderung der Kinder zu gewährleisten, war es mir wichtig, verschiedene Entwicklungsbereiche und Sinne der Kinder anzusprechen.
Im Vordergrund stand immer das Lernen von Buchstaben, dazu wurden jedoch verschiedene Methoden eingesetzt: Lernen und üben mit Arbeitsblättern, Buchstaben basteln, Singen, Gespräche, Bewegungsspiele.

Für jedes Kind hatte ich eine Box erstellt, in der sich ein Zettel mit dem gesamten Namen und die einzelnen Buchstaben befinden.

Projektverlauf

Das Projekt umfasste unterschiedliche Angebote, die sich zum Teil erst während des Projektes entwickelten. Mir war es wichtig, auf die Situation und die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Zum einen wollte ich Jasmin herausfordern, um zu erkennen, wozu sie in der Lage ist, zum anderen musste ich davon ausgehen, dass die Kinder sich unterschiedlich weiterentwickeln.

Die Kinder hatten ganz unterschiedliche Erfahrungen und Kenntnisse im Bereich der Buchstaben und des Namenschreibens:
Jasmin und Amanda konnten noch keine Buchstaben schreiben.
Berin konnte die Buchstaben A und E schreiben, ohne ihre Bedeutung zu verstehen. Sie versuchte ihren Namen zu schreiben, aber es gelang ihr nicht.
Raman konnte die Buchstaben E, H, A schreiben, aber nicht lesen.
Seinen Namen versuchte er zu schreiben, aber er reihte Buchstaben wahllos aneinander.
Yusuf versuchte seinen Namen zu schreiben, manchmal gelang es ihm, manchmal nicht.

Die Kinder erlernen die Buchstaben der eigenen Namen

Im Nebenraum setzten wir uns auf den Boden. Ich sagte zu den Kindern, dass sie schon öfter erwähnt hätten, sie wollten schreiben lernen und ich schlug ihnen vor, dass sie ihren Namen schreiben und lesen lernen sollten. Ich finde es wichtig, den Kindern eine klare Zielvorgabe zu geben. Vor allem bei Jasmin habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie sehr genau wissen möchte, was gemacht werden soll.
Die Kinder fanden diese Idee gut und Jasmin rief: “Ja, schreiben lernen!“ Sie sprang auf, umarmte mich und rief: “Danke, Martina.“

Auf meine Frage benannten sie die Buchstaben, die sie schon mal gehört haben. Während die anderen einzelne Buchstaben benennen konnten, sagte Yusuf das komplette ABC auf.
Auf meine Frage, wozu wir Buchstaben brauchen, antwortete Jasmin: “Schreiben“.
Wir klärten, dass Buchstaben hintereinander geschrieben, ein Wort ergeben und die Kinder nannten Wörter und hatten Spaß daran, sich von mir die darin vorkommenden Buchstaben sagen zu lassen. Wichtig war mir, dass den Kindern der Unterschied zwischen Buchstaben und Wörtern klar wurde.

Raman konnte von vielen Wörtern, die er sich überlegte, den Anfangsbuchstaben sagen. Jasmin erkannte, dass in ihrer Lieblingsfarbe Rosa, ein O und ein A vorkommen. Auch Yusuf konnte Buchstaben erkennen, nur Amanda wollte nichts sagen.

Ich verteilte Zettel mit Namen der Kinder und mit meinem Namen. Die Aufgabe lautete: “Findet euren Namen“. Raman fand seinen sofort, Yusuf überlegte, konnte dann seinen Namen erkennen und Jasmin und Amanda waren unsicher und wussten nicht, welchen Zettel sie nehmen sollten. Ich nahm mir meinen Zettel, und zeigte den beiden ihre Namen.

In die Mitte legte ich viele von mir selbst gemalte Buchstaben, nahm mir ein M und erklärte, dass dies mein Buchstabe sei (weil er zu meinem Namen gehört).
Jasmin schaute auf ihren Namen und sagte: “M, auch meins“.
Ich bestätigte dies, und alle suchten ihre Buchstaben und legten sie über die Namen.
Dabei erläuterte ich, dass die Buchstaben zusammen den Namen ergeben. Die Kinder stellten fest, dass einige Buchstaben in vielen Namen vorkommen. Jasmin bemerkte, dass das A bei ihr, bei mir und bei Amanda vorkommt. Ich bot an, das A als ersten Buchstaben zu lernen und die Idee wurde begeistert von allen angenommen.

Gemeinsam wird der Buchstabe A gelernt

Bei diesem Angebot waren Amanda und Berin nicht dabei.
Als ich das Arbeitsblatt verteilte, sagte Raman: “Ein A, wie Affe“. Die anderen bestätigten dies und Yusuf meinte: “A, wie Apfel“. Wir überlegten, welche Wörter noch mit “A“ beginnen. Jasmin hatte keine Idee, sie wiederholte, was die anderen beiden sagten.

Auf dem Arbeitsblatt fuhren die Kinder das A erst mit den Fingern, dann mit dem geschlossenen Stift nach und schrieben es dann. Jasmin schrieb ihre Buchstaben sehr genau in die Reihe, manche A jedoch verkehrt herum.
Jedes Mal wenn sie einen Buchstaben nicht korrekt hin bekam, murmelte sie: “Manno“. Ich merkte, dass sie nicht zufrieden war, und lobte sie für ihre toll geschriebenen A. Sie beschwerte sich, dass Raman zu schnell und über dem Strich schreibt. Dann lobte sie sich selber: “Hab ich super gemacht, bin groß.“

Als wir später in den Gruppenraum kamen, zeigte mir Jasmin anhand eines Buches, wo sich A befinden. Ich lobte ihre Idee, diesen Buchstaben zu suchen, und bot ihr an, doch mal anhand der Gruppenliste die Namen der Kinder mit diesem Buchstaben heraus zu suchen. Sie nahm sich die Gruppenliste und suchte Namen mit A, ich las ihr die Namen vor und Jasmin wiederholte diese.

Zwei Tage später bot ich den Kindern ein von mir selbst gestaltetes Arbeitsblatt an, dort sollten sie den Buchstaben A aus verschiedenen Wörtern herausfinden und einkreisen.
Amanda war diesmal wieder dabei. Jasmin erklärte ihr, wie ein A geschrieben wird und dass der Buchstabe in Jasmin, Amanda, Raman und Martina zu finden ist.
Die Aufgabe selber wurde von Jasmin direkt verstanden und zügig und konzentriert erledigt. Diesmal war sie sehr zufrieden mit sich und ihrer Arbeit.

Die Kinder wollten mehr arbeiten und ich bot ihnen ein Arbeitsblatt an, bei dem sie die Wörter anmalen sollten, die mit A beginnen.
Beim Besprechen der Bilder fiel auf, dass Jasmin manche Wörter nicht kannte, sie hörte aber, welche Wörter mit A beginnen.

Mir wurde klar, dass ich alleine durch die Gruppenarbeit Jasmin nicht genug herausfordern konnte. Sie wollte länger an den Buchstaben arbeiten, um diese exakt schreiben zu können. Die anderen Kinder hatten diesen Anspruch an sich selbst nicht.

Ich besorgte für jedes Kind ein Schreibheft und einen Bleistift, damit sie, besonders Jasmin, bei Bedarf in ihrem Heft die erlernten Buchstaben üben konnten. Die Kinder waren begeistert und Jasmin nutzte das Angebot. Während Raman drei Reihen A schrieb, Yussuf eine, schrieb Jasmin eine ganze Seite voll und war zufrieden. Durch das Üben wurde der Buchstabe immer besser und sie immer zufriedener.

Gemeinsam wird der Buchstabe I gelernt

Wir sahen uns die Kiste mit den Buchstaben der Kinder-Namen an, und Jasmin schlug vor, das I zu üben. Alle Kinder waren einverstanden.
Das Arbeitsblatt mit den I war für alle Kinder sehr einfach und zügig zu bearbeiten. Wieder war das Arbeitsblatt von Jasmin am genauesten. Auch das Herausfinden der Wörter mit I bereitete Jasmin keine Schwierigkeiten.

Insgesamt war die Aufgabe für Jasmin zu einfach. Beim Ausmalen der Wörter stand sie plötzlich auf und sagte: “Ich muss denken.“ Dann ging sie durch den Raum, dabei murmelte sie vor sich hin. Ich fragte: “Was denkst du, Jasmin?“ Bevor sie antworten konnte, standen die anderen Kinder auch auf und gingen umher. Dies gefiel Jasmin gar nicht, sie schimpfte: “Nur ich denke, ich hab Idee.“

Kommentar der Kursleitung:
Obwohl das I ihr eigener Vorschlag war, wurde es doch schnell langweilig für sie: Sie gibt ein deutliches Zeichen: Ich will etwas machen, bei dem ich denken muss.

Wir spielen gemeinsam das Buchstaben-Memory

Um ein wenig Abwechslung zu bekommen, weitere Buchstaben kennenzulernen und Spaß zu haben, schlug ich vor, ein Memory zu spielen. Aus dem Spiel: “Buchstabenbox“ entfernte ich die Buchstaben Ä, Ö und Ü.
Alle Buchstaben waren zweimal vorhanden und wurden verdeckt hingelegt. Die Aufgabe war, jeweils beide Buchstaben zu finden.

Die Kinder sprachen über die Buchstaben in ihren Namen. Jasmin: “Ich hab ein A und ein I in meinem Namen“. Berin: “Ich hab ein B am Anfang.“ Raman: “Ich hab ein R, wie Robben“. Alle überlegten nun, mit welchem Buchstaben ihr Name beginnt. Nur Berin und Raman fanden das heraus.

Ich zeigte den Kindern ihre Namensschilder; es fiel ihnen aber schwer, zu erkennen, welcher Buchstabe am Anfang steht. Ich bot den Kindern an, die Buchstaben ihrer Namen heraus zu suchen und über die Namen zu legen. Das fiel ihnen nicht schwer. Jasmin legte die Buchstaben fast in umgekehrter Reihenfolge: M I N S A J. Ich las ihr vor, was sie gelegt hatte. Sie lachte und beschloss: “Nein, so nicht.“ Sie schaute sich alles nochmal genau an und legte den Namen richtig.

Kommentar der Kursleitung:
Eigentlich scheint bis auf die Verwechslung von M und N ihr Name nur rückwärts, also von rechts nach links dazustehen. Im Arabischen wird von rechts nach links geschrieben. Außerdem ist die Verwechslung von rechts und links wie von oben und unten beim Schreiben lernen recht häufig.

Auch die anderen hatten nun Spaß daran, die Buchstaben zu vertauschen, und es musste vorgelesen werden. Zum Schluss waren alle Namen richtig gelegt und die Kinder hatten verstanden, dass die Buchstaben in einer bestimmten Reihenfolge geschrieben werden müssen, damit es den Namen ergibt.

Ich gab den Impuls, dass jedes Kind seinen Namen ganz langsam vorliest und so die Laute mit den Buchstaben verbindet. Das kam immer wieder in den Angeboten vor: Ich sprach die Namen sehr langsam und mit Betonung aus, um immer wieder die Verbindung von Lauten und Buchstaben zu betonen.

Als wir dann Karten-Memory spielten, sollten die Kinder ihnen bekannte Buchstaben benennen und Paare finden. Normalerweise gewinnt Jasmin bei Memory. Als sie nun aber wiederholt Karten aufdeckte, die sie nicht kannte, und Berin ihr diese vorsagte, fing Jasmin an zu weinen. Sie ärgerte sich, dass Berin schon Buchstaben benennen konnte, die sie noch nicht kannte. Als das Kartenspiel beendet war, arbeitete Jasmin noch allein in ihrem Heft und schrieb noch eine halbe Seite mit I.

Kommentar der Kursleitung:
Wäre es auch eine Möglichkeit gewesen, sie gezielt noch einige neue Buchstaben kennenlernen zu lassen – vielleicht von denen, die Berin schon kennt und Jasmin noch nicht? Hätte Berin dabei vielleicht geholfen?

Jasmin und Berin konkurrieren. Sie sind mittlerweile befreundet, aber Berin betont immer wieder, dass sie schon mehr kann als Jasmin.

Kommentar der Kursleitung:
Es könnte interessant sein herauszufinden, ob Jasmin bereit wäre, von Berin zu lernen, und ob Berin Lust hat, ihr Wissen mit Jasmin zu teilen.

Jasmin erlernt die Buchstaben M und N

Drei Tage später war nur Jasmin anwesend, alle anderen Kinder waren erkrankt. Jasmin bestand darauf zu arbeiten, weil sie lernen müsse. Ich bot ihr an, sich mit mir alleine zurückzuziehen. Sie freute sich und rief: “Ja, ich kann lernen!“ Wir zogen uns zurück und ich zeigte ihr die Kiste mit den Buchstaben ihres Namens. Sie überlegte, welchen Buchstaben sie noch nicht kannte und welchen sie lernen möchte.

Jasmin entschied sich für das M: “M wie Maus.“ Ich erwiderte: “Oder wie Martina“. Sie lachte, überlegte und sagte dann: “M wie Metin“. Es fiel ihr zunächst schwer, das Arbeitsblatt auszufüllen und sie wollte schon aufgeben. Ich überredete sie zum Weitermachen. Je mehr sie schrieb, desto motivierter wurde sie und schrieb sogar noch zusätzlich eine ganze Seite M in ihr Arbeitsheft. Etwa 45 Minuten arbeitete sie sehr konzentriert.

Als wir die Buchstaben ihres Namens wieder einräumten, zeigte sie auf das N und sagte: “Kann ich“. Sie malte ihn mir auf und sagte: “Ist ähnlich wie M“. Ich benannte den Buchstaben und wir überlegten uns gemeinsam ein paar Wörter, die mit N beginnen.
Sie schrieb noch ein paar N auf und zeigte auf das J und das S. “Kann ich nicht, muss noch lernen“, sagte sie. Sichtlich zufrieden ging Jasmin in die Gruppe.

Gemeinsam wird der Buchstabe S gelernt

Yusuf zeigte mir heute ein Schreibheft, das seine Mutter ihm kaufen musste. Dort hat er, während er krank zu Hause war, das Y und das U geübt. Auch Raman zeigte, dass er RAMAN schreiben kann. Berin hat so lange zu Hause geübt, bis sie ihren Namen schreiben konnte.

Sowohl Jasmin als auch Yusuf wünschten sich, dass wir nun das S lernen. Alle Kinder waren einverstanden. Als erstes malten sie ohne Probleme Drachenschwänze, die das S zeigten.
Das 2. Arbeitsblatt dagegen bereitete allen Kindern Schwierigkeiten. Das S war eine Herausforderung, und sie fingen an sich gegenseitig zu kritisieren. Jasmin beschwerte sich, dass es zu schwer sei, sie war sichtlich enttäuscht. Yusuf meinte, er brauche den Buchstaben, und Jasmin murmelte: “Ich auch.“

Ich fragte: “Was können wir tun, damit ihr den Buchstaben, den ihr braucht, schreiben könnt?“ Jasmin schlug vor, sie könnten doch später zu Hause üben, und Raman rief: “Oh ja, wie Hausaufgaben!“ Dies kam bei den Kindern gut an und wir vereinbarten, dass die Kinder, die Lust haben, Hausaufgaben machen könnten, um das S zu üben.
Jasmin packte der Ehrgeiz, sie versuchte den Buchstaben in ihr Heft zu malen, gab aber nach vier Versuchen auf. Offenbar hatte Jasmin das Prinzip des Buchstabens erkannt, von der Feinmotorik her fiel es ihr dennoch schwer, das S zu schreiben.

Kommentar der Kursleitung:
Hier zeigt sich, wie so oft, dass der Anspruch, die Buchstaben „malen“ zu können, die Erarbeitung der Buchstaben behindert. Die Feinmotorik der Kinder, selbst der Kinder mit guter Feinmotorik wie Jasmin, reicht dann doch noch nicht ganz aus.
Deshalb noch einmal unser Vorschlag: Die Fähigkeit, Schrift zu lesen und sich mittels Schrift mitzuteilen, ist das Erste und Wichtigste, um die Lernbedürfnisse sehr begabter Kinder zu befriedigen.
Jasmin hat das Prinzip des Buchstabens erkannt, könnte ihn also sowohl lesen als auch mit Hilfe von Stempeln, ausgestanzten Buchstaben oder auch Schreibmaschine oder Computer durchaus aktiv einsetzen, um die Schriftsprache zu nutzen. Sie ist aber jetzt ausgebremst, weil sie den Buchstaben S noch nicht gut mit der Hand schreiben kann.
Das Schreiben mit der Hand kann u.E. Jahre später – mit dann weniger Frust und Schwierigkeiten – auch noch in der Schule oder auch im Alleingang erlernt werden.

Dies ist das erste Mal, dass Jasmin nicht geweint hat, als sie ihren Ansprüchen nicht genügte. Ich denke, das liegt mit daran, dass auch die anderen Kinder Schwierigkeiten hatten.

Zwei Tage später setzten wir uns wieder zusammen. Jedes Kind hatte seine “Hausaufgaben“ entweder zu Hause oder im Kindergarten gemacht. Es fiel ihnen aber immer noch schwer, das S zu schreiben.
Leicht fanden sie dagegen Wörter, die mit S beginnen. Sie hatten Spaß daran. Jasmin und Yusuf konnten zu Beginn des Projektes nicht unterscheiden, ob ein Buchstabe am Anfang oder inmitten eines Wortes steht.
Mittlerweile können sie es gut, sie sprechen den 1. Buchstaben lang aus und hängen dann den Rest des Wortes dran.

Am nächsten Tag kam Jasmin freudestrahlend zu mir und rief : “Martina, ich hab geübt.“ Sie holte sich ein Blatt und malte mir einige S auf.

Erlernen der Buchstaben, die noch zum eigenen Namen fehlen

Jedes Kind bekam seine Box mit den Buchstaben seines Namens. Die Aufgabe lautete: “Legt aus den Buchstaben euren Namen.“ Raman, Berin, Yusuf schafften es, ihren Namen zu legen, Jasmin brauchte ihr Namensschild und Amanda schaffte es mit meiner Unterstützung.

Nun sollte sich jeder den/die Buchstaben überlegen, die er noch nicht schreiben kann und nun lernen möchte. Jasmin hob jeden Buchstaben hoch, legte ihn wieder ab und sagte: “Das kann ich, das kann ich.“ Das J hielt sie hoch und sagte: “Das ist zu schwer.“ Doch sie merkte, dass dieser Buchstabe ihr fehlte. “Martina, ich muss das hier lernen.“

Jasmin fiel es schwer, das J zu schreiben, ein paar Mal gelang es ihr, dann wieder nicht. Bei den ersten beiden Reihen wollte sie, dass ich ihre Hand führe. Sie wurde traurig, ich schlug ihr vor, sich den Buchstaben genau anzusehen und sagte: “Schau mal, Jasmin, erst ein gerader Strich und dann ein kleiner Haken.“
Jasmin sah mich an, fing an zu grinsen und sagte: „Ich hab Idee.“ Sie malte sich einen Punkt, jeweils oben und unten, verband die beiden mit einem Strich und setzt dann den Halbkreis dran.

Kommentar der Kursleitung:
Kreative Überwindung von Schwierigkeiten!

Ich sagte: “Jasmin, das ist eine tolle Idee!“ Über meine Begeisterung freute sie sich sehr. Jasmin malte auf ihre Art einige J und jubelte: “Ich kann es“. Raman beschwerte sich, dass die J nicht so geschrieben werden. Doch Jasmin stand zu ihrer Technik und schrieb das ganze Blatt voll.

Kommentar der Kursleitung:
Stark. Sie weiß schon: Das Ergebnis zählt, und es gibt verschiedene Wege, um etwas zu erreichen.

Zum Abschluss bringe ich den Kindern die erste Strophe des Liedes “Alle Kinder lernen lesen“ bei.
(Text:
Refrain: Alle Kinder lernen lesen – Indianer und Chinesen – selbst am Nordpol lesen alle Eskimos – hallo Kinder, jetzt geht`s los!
Strophe 1:
A- sagt der Affe, wenn er in den Apfel beißt.
E- sagt der Elefant, der Erdbeeren verspeist.
I – sagt der Igel, wenn er in den Spiegel sieht, und wir singen unser Lied: Refrain wiederholen)
Die Kinder hatten viel Spaß und wir beschlossen, es im Morgenkreis mit den anderen Kindern zu singen.

Basteln der Buchstaben A / E / I und Vorstellen des Liedes

Ich schlug den Kindern vor, die Buchstaben, die im Lied vorkommen, zu basteln. Wir könnten sie dann während des Liedes hochhalten, damit auch die anderen Kinder die Buchstaben kennenlernen. Jasmin und Raman nannten sofort die Buchstaben, die in dem Lied vorkommen, und die Idee wurde angenommen. Unter Mithilfe einer Praktikantin bastelten die Kinder die Buchstaben: Jasmin das A und Berin das I. Raman und Yusuf machten gemeinsam das E.

Im Morgenkreis erzählten die Kinder des Projekts von ihrer Arbeit. Raman: “Wir lernen Buchstaben und unsere Namen“. Berin setzte hinzu: “Ich kann schon BERIN schreiben“. Jasmin: “Ja, wir lernen schreiben, den Namen“. Amanda sagte nichts und Yusuf überlegt sehr lange, bevor er sagte: “Ich kann meinen Namen auch schreiben.“
Dann sangen wir das Lied vor. Jedes Kind sang mit, Jasmin und Berin hielten ihre Buchstaben an der richtigen Textstelle hoch und Raman übernahm das E. Wir sangen die erste Strophe und den Refrain dreimal und die Kinder der Vorschulgruppe beschlossen, sie wollten auch Buchstaben mit der Praktikantin basteln.

Wir schreiben unseren Namen

Heute wollte ich überprüfen, ob das erste Ziel erreicht wurde: dass die Kinder ihren eigenen Namen schreiben können. Auf zwei Tischen verteilte ich Zettel mit den Namen der Kinder, darunter lag jeweils ein leeres Blatt.

Jasmin kam als erste in den Nebenraum und fragte: “Was ist das?“
Ich stellte eine Gegenfrage: “Was glaubst du?“ Sie ging um den Tisch herum und sagte: “Viele Namen, meiner ist hier“ und zeigte auf ihren Namen. Dann zeigte sie auf Amandas Schild und sagte: “Viele A“. Ich fragte: “Welcher Name hat viele A?“ Jasmin antwortete: “Amanda.“

Die anderen kamen hinzu, jeder sollte sich zu seinem Namen setzen.
Jasmin zeigte Amanda, wo sie sich hinsetzen sollte.
Sie fanden ihre Plätze und ich teilte ihnen die heutige Aufgabe mit:
“Heute sollt ihr euren Namen schreiben.“ Jasmin rief: “Ja, Namen schreiben, kann ich“.

Das Etappenziel ist zum größten Teil erreicht worden. Davon ausgehend, dass jedes Kind andere Voraussetzungen hatte, haben bis auf Amanda die Kinder mit Freude und Ehrgeiz das Ziel erreicht.
Amanda hatte schon beim letzten Projekt Schwierigkeiten mitzuhalten, wollte aber unbedingt weiter dabei sein. Die anderen haben sogar zu Hause geübt, als es schwierig wurde.

Kommentar der Kursleitung:
Hier haben die Hausaufgaben auch ihren wirklichen Sinn erfüllt: etwas zu üben, was man können will, aber noch nicht ganz zur eigenen Zufriedenheit beherrscht. In der Schule ist es leider oft ganz anders.

Jasmin hat große Fortschritte gemacht. Zu Beginn des Projektes konnte sie keinen einzigen Buchstaben schreiben oder lesen. Zweimal kam sie an ihre Grenze. Sie hat jedoch nicht aufgegeben und ehrgeizig hat sie so lange geübt hat, bis sie das S schreiben konnte. Interessant war auch ihre Idee, das J auf ihre eigene Weise zu konstruieren.

Wir erkennen die Namen der anderen Teilnehmer

Ich verteilte die Namensschilder der Kinder im Nebenraum. Jedes Kind sollte sich die Namen gut ansehen und diese lesen. Um herauszufinden, wer welchen Namen (ohne Vorsagen) lesen kann, beschloss ich, diese Übung mit den Kindern einzeln durchzuführen.
Raman konnte seinen Namen sowie die von Berin und Jasmin direkt lesen, Yusuf und Amanda nach kurzem Überlegen.
Berin konnte ihren Namen direkt lesen. Bei Amanda erkannte sie das A und das M und sagte: “AM – Amanda“. Das gleiche bei “Jasmin“ und „Raman“. Zum Schluss blieb der Name Yusuf übrig. Da war mir nicht klar, ob sie den Namen lesen konnte oder erraten hat.
Yusuf hat seinen Namen direkt erkannt, ebenso den von Raman. Bei den anderen hat er mit den ersten Buchstaben angefangen und dann den Namen gelesen.
Jasmin erkannte ihren Namen und „Berin“ sofort. Bei “Amanda“ sagte sie: “Fängt mit A an, hat viele A, das ist Amanda“. Bei “Raman“ erkannte sie die A, das M und N. Den ersten Buchstaben sagte ich ihr vor, sie hängte die anderen dran und konnte so “Raman“ lesen. “Yusuf“ blieb übrig.
Amanda konnte ihren Namen anhand der A erkennen, die anderen hat sie verwechselt.
Namensspiele in der Turnhalle

Die Kinder zogen ihre Sportsachen an und fanden es toll, in die Turnhalle zu gehen. Raman fragte: “Martina, turnen wir?“ Ich stellte die Gegenfrage: „Könnt ihr euch vorstellen, was wir hier jetzt machen wollen?“ Jasmin lachte mich an und sagte: “Turnen mit Buchstaben oder Namen“. Berin stimmte zu: “Oh ja, mit Namen“. Ich bestätigte die Aussagen und nach ein paar Aufwärmübungen legten wir los.

Spiel 1.
Jeden der sechs Namen hatte ich auf jeweils sechs Blätter geschrieben und die Zettel wahllos und durcheinander in der Halle verteilt, während die Kinder auf der Bank saßen. Raman: “Ah, unsere Namen“. Ich erklärte, sie sollten nacheinander ihre Namen finden, die Zettel aufheben und uns zeigen. Danach wurden diese wieder zurückgelegt.

Fast alle lösten die Aufgabe, Raman und Jasmin ohne einen anderen Namen aufzuheben, Yusuf und Berin irrten sich je einmal und Amanda fiel es schwer, ihren Namen zu finden. Jasmin: “Du musst die vielen A suchen, das ist dein Name“ und so fand auch Amanda ihre Zettel.

Spiel 2.
Wieder wurden die Zettel durcheinander in der Halle verteilt. Ich schaltete den CD-Player ein und die Kinder tanzten nach der Musik. Sobald die Musik ausgeschaltet wurde, sollte jeder seinen Namen hoch nehmen und abgeben. Auch dies klappte gut, Jasmin half Amanda ihre Zettel zu finden.

Spiel 3.
Ich legte die Namen auf den Boden und bat die Kinder, einen oder mehrere andere Namen vorzulesen. Die Kinder wurden aufgeregt und Jasmin sagte: “Ja, Martina, ich will.“
Sie las und zeigte erst auf Berins Namen, dann auf “Amanda“, sie überlegte kurz und zeigte dann auf „Raman“ und “Yusuf“ und las sie alle vor. Raman erkannte Jasmins, Berins, Yusufs Namen direkt und sagte: “Die vielen A ist Amanda.“ Yusuf und Berin überlegten bei jedem Namen sehr genau, hatten aber keine Probleme, alle zu finden.
Amanda erkannte ihren Namen und Ramans Namen.

Spiel 4.
Fünf mal wurde jeder Name in der Turnhalle verteilt. Ich erklärte den Kindern, dass ich ihnen eine Geschichte erzählen würde und sie jedes Mal, wenn sie einen der Namen hören, sie zu diesem Zettel gehen sollten. Bei einem Probelauf gingen die Kinder zu ihren eigenen Namen.
Also erklärte ich es noch einmal und fragte dann nach. Von Raman kam: “Wenn du `Berin’ sagst, müssen wir dahin gehen“, und Jasmin folgerte: “Ja, nicht nur unseren Namen“.

Die Geschichte:
„Es beginnt ein neuer Morgen, viele Kinder liegen noch im Bett und schlafen. Draußen ist es noch dunkel und verschneit. Eine Mutter geht ins Kinderzimmer und macht das Licht an. Dabei sagt sie:“YUSUF, aufstehen“. Er möchte nicht aufstehen und sie beschließen, dass er noch eine halbe Stunde weiter schlafen darf.
Ein paar Straßen weiter wird eine kleine Schwester wach und schreit, sie bekommt die Flasche. Der Frühstückstisch wird gedeckt, die Mutter kocht Kaffee. RAMAN zieht sich alleine an und kommt zum Frühstücken.
Das rote Auto steht bereit, nur die Kinder fehlen. Das Mädchen sucht seine Handschuhe, findet sie aber nicht. Die kleine Schwester geht zum Auto vor und AMANDA läuft hinterher.
Im Kindergarten sitzt ein Mädchen an der Garderobe und zieht die Jacke aus. Die Stiefel werden weggeräumt und die Brotdose ins Regal gestellt. Die Kinder am Frühstückstisch rufen: “JASMIN“.
Ein weiteres Kind kommt an, er hat seinen Bruder dabei und diskutiert mit der Mutter. Diese kommt in die Gruppe und begrüßt alle. YUSUF geht in die Bauecke.
Am Frühstückstisch sitzt noch ein Mädchen und isst Obst. Sie hat ihren Teddybär dabei. Als sie aufgegessen hat, geht BERIN in die Puppenecke. Alle Kinder spielen. In der Bauecke wird es laut. YUSUF schimpft, weil jemand seinen Turm zerstört hat.
In der Puppenecke wird gekocht, AMANDA deckt den Tisch. Am Maltisch schneidet JASMIN einen Clown aus. BERIN geht ins Musikzimmer und hört eine CD. RAMAN hüpft hinterher.“

Diese Aufgabe war für die Kinder sehr schwierig. Die meisten konnten zwar die Namen der anderen lesen, aber für diese Aufgabe mussten die Kinder sich konzentrieren, den vorgelesenen Namen erfassen und ihn dann in der Turnhalle suchen.
Jasmin half immer wieder Amanda, den richtigen Namen zu finden. Sie bemühte sich sehr. Berin schien manchmal darüber genervt zu sein, aber Jasmin ließ sich nicht beirren.

Abschlussspiel:
Alle Zettel lagen verteilt auf dem Boden, alle Kinder liefen herum. Wenn ich das Tamburin ein Mal fest schlug, sollte der gerufene Namenszettel aufgehoben werden.
Bei einem Probelauf holten Jasmin, Berin und Amanda ihre eigenen Namen. Als sie bemerkten, dass Raman und Yusuf die meisten Zettel holten, änderten sie ihr Verhalten.
Beim richtigen Spiel ging es darum, einen Gewinner auszumachen. Die Mädchen holten auf und Jasmin schaffte es, mit Raman zu gewinnen. Jasmin war sehr stolz auf sich: “Hurra, ich hab geschafft.“

Wir schreiben die Namen der anderen Teilnehmer

Raman kam zu mir und berichtete, dass er nun das S kann, Jasmin sagte: “Martina, hab das D gelernt.”
Als wir uns diesmal in den Nebenraum zurückzogen, stellte ich die Frage: “Habt ihr Lust, heute mal die Namen der anderen Kinder zu schreiben?“ Raman, Yusuf und Berin waren einverstanden und wollten direkt anfangen. Jasmin und Amanda waren skeptisch. Ich fragte nach und Jasmin sagte: “Kann nicht alle schreiben.“ Amanda nickte.

“Dann schreibt die Namen, die ihr schreiben könnt.“
Jasmin sah zu, wie die anderen Kinder begannen und fing an: “Jasmin“, “Berin“ und “Raman“ zu schreiben. Raman schrieb seinen Namen und die von Jasmin, Berin und Amanda. Yusuf schrieb alle Namen, Berin schrieb “Raman“ und “Yusuf“. Amanda malte.

Dann schlug Jasmin vor, die Namen auch in ihre Hefte zu schreiben, und die anderen waren einverstanden. Die eigenen Namen konnten alle außer Amanda schreiben. Für die anderen Namen brauchten sie die Hilfe der Namenszettel.

Das Ziel, den eigenen Namen schreiben und lesen zu können, war nun erreicht und die Kinder wollten “mehr“, vor allem Jasmin und Raman.
Ich denke, dass die Kinder im Laufe der Zeit auch die anderen Namen schreiben und lesen lernen.

Wir schreiben kurze Wörter

Der letzte Tag vor Jasmins Urlaub begann mit ihrer freudigen Aussage, dass sie nun das D gelernt habe. Als Einzige aus der Gruppe hatte sie zu Hause weiter geübt.
Ich hatte kleine Zettel mit kurzen Wörtern vorbereitet, wie Tor, Haus, Mann, Ball, Mama, usw. “Au ja, Wörter schreiben“, rief Raman.

Jedes Kind suchte sich ein Wort aus, ließ es sich vorlesen und schrieb es dann auf. Sie arbeiteten konzentriert etwa 30 Minuten. Jasmin und Raman sagten sich selber langsam die Wörter vor, während sie sie schrieben.
Berin fragte bei jedem Wort, das sie schrieb, welches der letzte Buchstabe sei und wie er heiße. Sie schrieb die Wörter: Haus, Hand, Hase, Auto, Nase. Raman schrieb: Haus, Auto, Baum, Bus. Jasmin schrieb: Baum, Mann, Haus, Hand, Tor, Ball. Yusuf schrieb langsam: Tor, Haus.

Als sie fertig waren, präsentierten den anderen Kindern ihre Arbeiten. Berkant aus der Vorschulgruppe fragte mich daraufhin mit vorwurfsvoller Stimme, wann sie denn nun schreiben lernen würden, sie seien schließlich älter. Ich verwies darauf, dass sie zur Zeit die Zahlen lernten, und wenn dies beendet sei, könnten wir auch mit dem Schreiben beginnen.

Als die Kinder in den Nebenraum zurück kamen, besprachen wir, dass Jasmin für längere Zeit in Urlaub fährt. “Was ist mit Arbeit?“ fragte Jasmin. Ich schlug vor, mit dem Projekt weiter zu machen, wenn Jasmin zurückkommt, die Kinder waren einverstanden.

Meine Idee ist, dass wir nach ihrem Urlaub noch ein paar Buchstaben lernen könnten, danach das ABC herstellen und vielleicht eine Geschichte schreiben könnten (ein Gemisch aus selbst geschriebenen und gedruckten Wörtern, je nach Können der Kinder).
Das fanden die Kinder gut, und Yusuf sagte das gesamte ABC auf.
Jasmin stellte fest, dass wir noch viel lernen müssten, und Raman bestätigte dies.

Interpretation des Projektes

Auch diesmal waren die Kinder immer mit Freude und Ausdauer bei den Angeboten dabei. Durch Yusuf kam ein neues Kind hinzu, das sofort in der Gruppe akzeptiert wurde. Diese kleine Gruppe ist so zusammengewachsen, dass die Kinder auch in anderen Situationen zusammen spielen und arbeiten. Alle Kinder haben von diesem Projekt profitiert, wenn auch in unterschiedlichem Maße.

Überprüfung der Ziele

Bis auf Amanda können alle Kinder nun ihren eigenen Namen schreiben. Sie haben gemeinsam gelernt, einige Buchstaben zu lesen und zu schreiben, und es wurde auch zu Hause gearbeitet.
Das zweite Ziel: “Wir schreiben die Namen der anderen Teilnehmer“ wurde teilweise erreicht.
Das dritte Ziel: “Wir können kleine Wörter schreiben“ ist von allen Kindern, außer Amanda, erreicht worden. Allerdings können die Kinder die Wörter nur abschreiben. Lesen können sie nur die Wörter, deren Buchstaben sie sehr gut kennen.

Erkenntnisse, die ich über Jasmin gewinnen konnte

Jasmin hat sich während des Projektes ständig weiterentwickelt und war immer mit Begeisterung dabei. Sie hat gezeigt, dass sie weiterhin ein großes Interesse am Schreiben und Lesen hat. Ihre Mutter musste ihr sogar Übungshefte und Lernhefte zum Buchstabenlernen kaufen.
Sie hat gezeigt, dass sie eine schnelle Auffassungsgabe besitzt. Jasmin war es immer klar, was sie lernen sollte, und sie hat sehr schnell gemerkt, wie schwer oder leicht es ihr fällt.

Sie hat als gute Beobachterin mit Einfühlungsvermögen Amanda oft geholfen, wenn diese nicht weiter wusste. Sie hat sie nie kritisiert, dabei hatte Amanda sie vor Beginn der Projekte genervt.
Sie hat gezeigt, dass sie eine lange Aufmerksamkeitsdauer in der Kleingruppe hat. Sie konnte und wollte immer länger als die anderen Kinder arbeiten. Während sie sich früher im Gruppenraum leicht ablenken ließ, schafft sie es nun auch im Gruppengeschehen, sich langfristig zu beschäftigen.

Sie hat gezeigt, dass sie hohe Ansprüche an sich selbst hat. Buchstaben, die sie nicht konnte, hat sie so lange zu Hause geübt, bis sie ihren Ansprüchen genügten.
Sie hat ihre Sprache so verbessert, dass sie den anderen Kindern nun auch ihren Humor zeigen kann. Im Morgen- und Schlusskreis ist sie nun ein aktives Mitglied und scheut sich nicht mehr, zu reden.

Sie hat die Buchstaben und Wörter rasch gelernt und steht nun mit den anderen auf einer Wissensstufe. Jasmin ist selbstbewusster geworden. Mein Verhältnis zu Jasmin ist intensiver geworden. Mit vielen ihrer Ideen, Wünsche und Probleme wartet sie, bis wir darüber sprechen können.
Auch die Kolleginnen aus der Gruppe haben ein neues Verständnis für Jasmin entwickelt und können ihre Fähigkeiten besser einschätzen.

Erfahrungen mit den anderen Kindern

Alle Kinder haben sich während des Projektes weiterentwickelt und viel gelernt; auch ihr Selbstbewusstsein ist gestiegen. Für Berin war es wichtig zu erkennen, dass auch die anderen Kinder etwas können. Yusuf konnte in dieser Kleingruppe seine Fähigkeiten zeigen, die in der Gesamtgruppe oft untergehen, da er langsam redet und reagiert. Raman hat während dieses Projekts sein Sprachverhalten sehr verbessert. Für Amanda war es wichtig, weiterhin in dieser Gruppe mitzumachen, die ihr sehr viel bedeutet. Sie muss nicht alles können, es geht Amanda um andere Dinge als darum, Schreiben zu lernen.

Die Kinder der Kleingruppe haben ihre Kenntnisse immer wieder ins Gruppengeschehen eingebracht, zum Beispiel schlug Raman während des Kaffeeklatsches vor, doch erst mal allen Kinder mit “A“ im Namen den Nachtisch zu geben. Oder als wir die Kinder zum Anziehen in den Flur schickten, hatte Jasmin die Idee, erst mal alle Kinder, die ein “I“ im Namen haben, zu schicken.

Die anderen Kinder der Gruppe wurden ein Stück mit einbezogen: durch das neue Lied oder auch dadurch, dass beim Vorlesen der Namen der Anwesenheitsliste nicht der Name, sondern erst der Anfangsbuchstabe, dann der zweite usw. vorgelesen wurde. Die Gesamtgruppe hat von diesem Projekt profitiert.

Da ein Interesse der Gesamtgruppe an dem Projekt besteht, werden wir das selbst erstellte ABC im Gruppenraum aufhängen und dies bei unser nächsten Themenplanung berücksichtigen.

 

Datum der Veröffentlichung: Februar 2015
Copyright © Martina Böckling, siehe Impressum

Jasmin (4;7) schreibt eine Geschichte

von Martina Böckling

 

Jasmin ist mittlerweile 4;7 Jahre alt, sie besucht gerne die Einrichtung und hat sehr große Fortschritte in ihrer Entwicklung gemacht.

Sie bekommt sehr viel vom Gruppengeschehen mit und bemerkt auch Vorgänge, die selbst wir Erzieherinnen nicht registrieren.

Jasmin verblüfft mich immer wieder mit ihrem guten Gedächtnis, sie merkt sich Dinge, die wir Erwachsenen schnell wieder vergessen. Sie erkennt und merkt sich schnell Strukturen und Rituale, die sich wiederholen; dabei hilft sie den Kindern, die diese vergessen haben.

Jasmin kann die Bedürfnisse und Befindlichkeiten Anderer sehr gut wahrnehmen und darauf eingehen. Sie nimmt Rücksicht, bietet Hilfe an und erklärt den anderen Kindern, was nun los ist.

 

…kurz gefasst…

Jasmin will weiterhin gerne schreiben lernen, womit sie im voran gegangenen Projekt begonnen hatte.
Die Autorin verknüpft dieses Interesse mit der Idee, mit Jasmin eine Geschichte zu schreiben, in der Jasmin eigene Wünsche ausdrücken kann; denn sie kümmert sich viel um Andere, äußert aber nur selten, was sie selbst möchte.

Da Jasmin Prinzessinnen liebt und wohl am liebsten selber eine wäre, beginnt das Projekt mit verschiedenen Bilderbüchern über Prinzessinnen.
Schließlich entwickelt und schreibt Jasmin eine eigene Geschichte.
Die Autorin entscheidet sich hier für eine Einzelförderung, um genau auf Jasmin eingehen zu können.

Mehr über Jasmin:

Jasmin, 3;4 Jahre

Eine Dreijährige will schreiben

Drei kleine Mädchen sind die „Denkgruppe“

Begründung des Themas

So gut sich Jasmin in Andere hinein versetzen kann, so wenig scheint sie ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu äußern. Ich habe selten erlebt, dass Jasmin sich dahingehend äußert, welche Wünsche sie hat. Zum Beispiel nimmt sie sich Spiele, aber sie sagt selten, was sie möchte.

Jasmin macht bei allem gerne mit, ist aber immer damit beschäftigt, sich um das Wohl der anderen Kinder zu kümmern.

Sie besteht einzig darauf, dass sie regelmäßig mit mir alleine oder in der Kleingruppe „arbeitet“. Dies ist ihr wichtig und dies äußert sie auch sehr energisch.

Wenn es Jasmin nicht gut geht, ihr etwas nicht passt oder sie sonstige Schwierigkeiten hat, zeigt sie körperliche Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen. Es kann auch passieren, dass sie müde wird. Obwohl diese Symptome in der letzten Zeit abgenommen haben, sind sie noch nicht ganz verschwunden.

Es fällt auf, dass dies nicht vorkommt, wenn sie gefordert wird oder wenn sie sehr zufrieden wirkt.

Durch ihre gute Beobachtungsfähigkeit reagiert Jasmin viel sensibler auf Menschen oder auf Situationen als die anderen Kinder aus der Gruppe.

In Gesprächen mit der Mutter ist mir klar geworden, dass Jasmin zu Hause nicht die Ruhe und die Ausgeglichenheit findet, die sie braucht. Durch sehr viel Verwandtenbesuch, der sich oft tagelang in der kleinen Wohnung aufhält, und durch Probleme, die die Mutter hat, herrscht ein unruhiges Klima.
Der Mutter ist ein gutes Benehmen Jasmins gegenüber den Verwandten sehr wichtig; Jasmins Bedürfnisse und Wünsche finden dabei offenbar wenig Anklang. Trotz der oft schwierigen Umstände ist es der Mutter wichtig, dass es Jasmin gut geht, und sie versucht ihr viele materielle Wünsche zu erfüllen.
Allerdings erwähnte die Mutter, dass Jasmin zu Hause oft sehr frech sei, ein Verhalten, das wir aus dem Kindergarten gar nicht kennen.

Für Jasmin finde ich es wichtig, dass sie ihre Wünsche in der Kita äußern kann und sie auch stärker durchsetzt.

Jasmin selber äußert immer wieder, dass sie mit mir „arbeiten“ möchte. Darunter versteht sie, dass sie schreibt. Der normale Gruppenalltag mit all seinen Angeboten reicht ihr nicht aus.

Ich habe verschiedene Angebote gemacht, sie war mit Begeisterung dabei, aber immer wieder kam der sehr energische Wunsch, weiter zu schreiben.

Diesen Wunsch wollte ich ihr erfüllen. Zugleich war mir wichtig, dass Jasmin lernt, ihre Wünsche zu äußern und durchzusetzen, so dass sie die körperlichen Beschwerden nicht mehr braucht.

Um Jasmin zu fordern, habe ich mir überlegt, mit ihr eine Geschichte auszudenken, in der auch ihre Wünsche vorkommen, und sie aufzuschreiben.
Da Jasmin bis zum Beginn des Projektes nur ihren Namen selbstständig schreiben konnte, sie aber schon die Vorerfahrungen der Laute und Buchstaben gemacht hatte (siehe: Eine Dreijährige will schreiben, Kurzfassung), wollte ich herausfinden, was Jasmin leisten kann.

Ziele, die erreicht werden sollten

    • Jasmin ist in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern.
    • Jasmin ist in der Lage, diese durchzusetzen.
    • Jasmin entwickelt ihre Fähigkeiten im Schreiben weiter.
    • Jasmin gewinnt weiter an Selbstvertrauen.

Während in den letzten Projekten immer die Kleingruppenarbeit im Mittelpunkt stand, habe ich mich entschieden, in diesem Projekt mit Jasmin eine Einzelförderung durchzuführen.

Zum einen möchte ich Jasmin die Ruhe geben, die sie weder zu Hause, noch in der Gruppe und auch nicht in der Kleingruppe hat.

In der Kleingruppe sind es Raman und Berin, die sehr viel reden und schneller als Jasmin in der Lage sind, das Wort zu ergreifen.

Da es mir diesmal darum geht, dass Jasmin ihre Bedürfnisse erkennt, ist eine Einzelförderung wichtig.
Jasmin traut sich sehr viel mehr zu, wenn sie keine Rücksicht nehmen muss, und hinzu kommt, dass Berin ihr schnell über den Mund fährt. In solchen Momenten zieht Jasmin sich zurück und weint dann manchmal.

Zudem ist mir aufgefallen, dass Jasmin sich der Kleingruppe sehr anpasst. Meiner Einschätzung nach zeigt sie nicht wirklich, wozu sie fähig ist.
Auf Amanda nimmt sie sehr viel Rücksicht, und neben den anderen traut sie sich zu wenig zu.
Jasmin hat in den letzten Projekten gezeigt, dass sie viel ausdauernder sein kann als die anderen Kinder aus der Kleingruppe.
Dies führte immer mal wieder dazu, dass sie Streit mit Berin bekam.

Mir ist es wichtig, dass sich Jasmin bei dieser Projektarbeit nicht noch mit den anderen Kindern auseinandersetzen muss.

Kommentar der Kursleitung:
Ein sinnvoller Ansatz.

Ich selber kann mich besser auf Jasmin einstellen und sie fordern, wenn ich mit ihr alleine bin. Da ich ein sehr gutes und intensives Verhältnis zu ihr aufgebaut habe, hoffe ich, dass sie nun zeigen kann, was noch alles in ihr steckt.

Siehe auch: Einzelförderung, Mentoring

Vorüberlegungen

Für Jasmin wurde vor über einem Jahr der „Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter“ ausgefüllt. Nun will ich anhand dieses Bogens überprüfen, wie weit Jasmin sich in den Bereichen: Sprache, Kognitive Entwicklung, Soziale Kompetenz, Feinmotorik und Grobmotorik seitdem entwickelt hat.

In der Auswertung wird deutlich, dass Jasmin im Bereich der (deutschen) Sprache inzwischen altersgemäß entwickelt ist. Im Alltag zeigt sich jedoch, dass Jasmin noch viele Begriffe fehlen und dass auch die Sätze oft noch nicht richtig gebildet werden.

Im Bereich der kognitiven Entwicklung fällt auf, dass für sie mit ihren 4;7 Jahren mehr als die Hälfte der Anforderungen zutreffen, die für Kinder von 5 1/2 Jahren bis zur Einschulung gelten.

Auffallend bei der sozialen Kompetenz ist, dass fast alle Anforderungen der 5 1/2-Jährigen bis zur Einschulung von ihr erfüllt werden.

Auch bei der Feinmotorik können schon einige Anforderungen bis zur Einschulung von ihr erfüllt werden.
Bei der Grobmotorik ist sie altersgerecht entwickelt.

Interessenfragebogen

Um eine gute Ausgangsbasis für das neue Projekt zu haben, wollte ich mit Jasmin erneut den Interessenfragebogen durchgehen.

Da Jasmin dazu neigt, in Gesprächen sehr schnell abzulenken, habe ich beschlossen, sie bei ihrer Stärke zu packen, damit sie sich auf unser Gespräch konzentriert.

Die Aufgabe meinerseits lautete: „Jasmin, höre gut zu und denke über die Fragen nach.“
Da Jasmin gerne denkt, war sie mit Eifer dabei. Nach jeder beantworteten Frage strich sie die Nummer der Frage mit einem Stift durch.

Im Gegensatz zur ersten Bearbeitung des Fragebogens – vor etwa einem Jahr – wurde deutlich, dass sie nun sehr gern Regelspiele spielt und gern schreibt.
Die Anzahl ihrer Spielkameraden hat sich verdoppelt und Schreiben ist weiterhin ihre Lieblingsbeschäftigung.
Während sie früher „Malen“ als Können genannt hat, kann sie heute „Schreiben und Lernen“.
Ihr Wunsch ist es, noch besser „denken“ zu können.

Kommentar der Kursleitung:
Das ist allerdings ein typisches Begehren für ein hoch begabtes Kind. In diesem Alter ist das Denken selbst doch nur bei sehr wenigen Kindern Gegenstand des eigenen Denkens.

Sie findet es schön, alleine im Kindergarten zu spielen, und ihr gefällt es nicht, wenn große Mädchen sie ärgern, wenn sie in der Bewegungshalle oder im großen Flur spielt.
Früher fand sie puzzlen schwierig, nun findet sie es schwierig, wenn sie Buchstaben falsch geschrieben hat.

Bei der Frage, was sie nervt, war es vor einem Jahr die Amanda. Heute nervt sie, dass Raman nur mit Yusuf spielen möchte. Auf meine Frage, was sie daran stört, wurde klar, dass sie selbst gerne mit Raman spielen möchte.

Ihr Lieblingsspielzeug besteht aus allem, was mit Prinzessinnen zu tun hat (sie nannte mir in diesem Zusammenhang viele Dinge, die sie gerne haben möchte).
Auch im Fernsehen sieht sie gerne Prinzessinnen und Prinzen, am liebsten, wenn sie tanzen.

Auf die Frage, was sie noch gerne lernen möchte oder auf was sie stolz ist, bekam ich keine Antwort. Jasmin lächelte – wahrscheinlich, weil sie die Antwort schon längst gegeben hat, sie möchte schreiben und denken und mehr nicht!

Später möchte sie Tänzerin werden – und wenn sie eine alte Frau trifft, würde sie diese nach Buchstaben fragen.

Wenn ich mir diese Antworten betrachte, hat Jasmin sehr klar ihre Wünsche geäußert.
Sie möchte: mehr schreiben, möchte mit Raman spielen und sie möchte mehr denken.

Nach diesem Gespräch verließ Jasmin sehr zufrieden den Raum, nicht ohne noch alle Felder auf dem Bogen „Welche Dinge machst du gerne?“ mit dem Symbol für Ja einzukreisen. Sie überlegte sich jede Frage sehr genau und kreiste dann ein.

Distanzierte Beobachtung

Jasmin, Berin und Juline (alle ähnlichen Alters) sitzen im Nebenraum am Tisch und warten auf das Mittagessen.

Juline und Berin erzählen und werden dabei immer lauter. Juline hat eine sehr hohe Stimme, die sich in der Tonhöhe steigert und auch Berin schreit schließlich, um etwas zu sagen. Jasmin wird immer stiller und sagt gar nichts mehr. Nach einiger Zeit fängt sie an zu weinen, es dauert, bis die anderen es merken.

Hier wird deutlich, dass Jasmin zu viel Lautstärke nicht gut vertragen kann, aber nicht in der Lage ist, zu sagen, dass die Schreierei sie stört. Stattdessen weint sie.

Siehe auch: Arten der Beobachtung

Teilnehmende Beobachtung

Berin, Jasmin und ich sitzen im Gruppenraum am Tisch und spielen das „Biber-Spiel“. In dem Spiel geht es darum, Klötze von einem Stapel zu ziehen, ohne dass der darauf liegende Biber herunterfällt.
Jasmin zieht einen Klotz, der Stapel fällt zusammen und der Biber fällt herunter.
Berin fängt an: „Also, Jasmin, da hättest du aber besser überlegen müssen, du hast den falschen Klotz herausgezogen. Also, siehst du, das passiert, jetzt ist alles kaputt gegangen. Nur wegen dir. Du musst besser nachdenken.“
Jasmin hört sich das Gerede verdutzt an, wird traurig und sagt: „Ja, stimmt.“ Sie wirkt sehr unglücklich.

Hier wird deutlich, dass Jasmin ausgeschimpft wird, und zwar auf eine unangemessene Art und Weise, sie aber nicht in der Lage ist, sich zu wehren. Stattdessen wird sie traurig und stimmt auch noch zu.

Provozierende Beobachtung

Jasmin sitzt am Maltisch und schreibt ihren Namen, dazu malt sie Kringel. Nach einigen Minuten hört sie auf und schaut auf ihr Blatt.
Ich sitze ihr gegenüber, schaue ihr zu und als sie merkt, dass ich sie beobachte, lächelt sie mich an.
„Jasmin, was machst du?“ frage ich.
„Martina, ich möchte denken.“
„Worüber möchtest du denn denken?“
„Eine Prinzessin möchte ich denken“, antwortet Jasmin .
Ich frage: „Was möchtest du über eine Prinzessin denken?“
Jasmin: „Prinzessin ist schön und kann alles und darf alles wünschen.“

„Möchtest du mal etwas über Prinzessinnen hören und darüber reden?“ frage ich.
Sie freut sich und ruft: „Ja, Prinzessin.“
Ich verspreche es ihr.

Bei dieser Beobachtung wird deutlich, dass für Jasmin eine Prinzessin alles das hat und sich traut, was sie auch gerne hätte oder wäre.

Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, dass der Inhalt des Projektes von Prinzessinnen handeln soll.

Projektverlauf

Um Jasmin die Verlässlichkeit zu geben, mit ihr zu arbeiten und auch ihr Einverständnis zur Einzelförderung zu bekommen, sagte ich zu ihr:
„Jasmin, ich weiß, dass du viel arbeiten und lernen möchtest. Leider schaffen wir es in der Gruppe nicht, dass du so viel arbeiten kannst, wie du es möchtest. Was hältst du davon, wenn wir beide uns öfter aus dem Gruppenraum herausziehen und zusammen denken und arbeiten würden?“
Jasmin strahlt und ruft: „Ja, wir beide, wir arbeiten, toll, Martina, toll!“
Sie hüpft durch den Gruppenraum und ruft und singt: „Ich geh mit Martina arbeiten, elelele.“

Bilderbuchbetrachtung:
„Ich will Freunde!“ aus der Kleinen Prinzessinnen Reihe von Tony Ross

Die Geschichte handelt von der kleinen Prinzessin, die zur Schule kommt mit der Erwartung, viele Freunde zu finden. Alle Kinder, auf die sie zugeht, lehnen sie ab und sie macht die Erfahrung, dass keiner mit ihr spielen möchte. Anderen Kindern geht es ähnlich und so setzen, essen und spielen alle „Kinder ohne Freunde“ zusammen.
Die kleine Prinzessin lädt alle „Kinder ohne Freunde“ zu sich nach Hause ein. Nun wollen auch die anderen Kinder mitkommen, die Prinzessin setzt ihre berüchtigte, finstere Miene auf und erlaubt es großzügig.

Dieses Buch habe ich ausgewählt, weil es um Freundschaften, aber auch um Ablehnung geht. Ich weiß, dass Jasmin gerne mit Raman befreundet sein möchte, und wollte mir ihr darüber ins Gespräch kommen.

Im Laufe der Bilderbuchbetrachtung erzählte Jasmin, dass Raman und Yusuf sie auch öfter nicht mitspielen lassen, und dass sie es blöd findet.
Sie ist sehr interessiert an der Geschichte und als die „Kinder ohne Freunde“ gemeinsam essen und spielen, sieht sie mich an und sagt: „Aber Martina, das sind doch jetzt Freunde.“
Sie schüttelt den Kopf darüber, dass die „Kinder ohne Freunde“ nicht verstehen, dass sie doch alle zusammen Freunde sind.

Jasmin beschreibt sehr genau, was in dem Buch passiert, möchte aber auch, dass ich ihr jede Seite vorlese.
Als alle Kinder im Schloss auftauchen und die kleine Prinzessin ihrer verdutzten Mutter ihre Freunde vorstellt, lacht Jasmin und sagt: „Nach Hause ist schön, Freunde zu haben.“
Auf meine Frage, ob sie auch Freunde mit nach Hause nimmt, lacht sie: „Martina, geht doch gar nicht, hab keinen Platz.“

Am nächsten Morgen fragt Jasmin mich, ob sie im Außengelände spielen darf. Auf meine Frage: „Mit wem denn?“ lächelt sie mich an und flüstert: „Mit Raman“.
Mir war klar, dass er noch nichts davon wusste, denn er spielte mit Yusuf in der Bauecke.
Das Interessante für mich war, dass Jasmin nie ins Außengelände zum Spielen geht, es sei denn, die ganze Gruppe geht nach draußen. Sie wusste aber, dass Raman gerne draußen spielt.
Ich war gespannt, was sie nun machen würde.

Jasmin ging zur Bauecke und meinte: „Ich gehe raus. Raman, möchtest du mitgehen?“
Yusuf sagte zu ihr: „Raman spielt mit mir.“
Jasmin erwiderte: „Wir können alle raus gehen.“
Yusuf: „Ich kann mit Raman rausgehen.“
Jasmin klärte auf: „Aber ich hab schon gefragt, ich darf und ihr könnt mitgehen.“

Raman schaut auf sein Gebautes, zu Jasmin sagt er: „O.K., gehen wir alle raus, aber wir müssen noch aufräumen.“
Sie fingen an aufzuräumen, Jasmin freute sich sichtlich. Leider entwickelten sich während des Aufräumens immer neue Spielsituationen, so dass die Kinder es letztendlich nicht schafften, raus zu gehen.

Zumindest hat Jasmin den Versuch gestartet. Sie hat sich überlegt, wie sie es hin bekommt, dass Raman mit ihr nach draußen geht.
Jasmin hat abgeklärt, dass sie nach draußen kann, sie hat Raman und auch Yusuf dazu eingeladen (ihr war klar, dass sie Raman alleine dazu nicht überreden kann).
Jasmin hat die Initiative ergriffen, diese war sehr durchdacht und es hat ihr gut getan, dass Raman mit ihr rausgehen wollte.

Geschichten aus: „Viele kleine Prinzessinnen Geschichten“
von Sabine Cuno und Stefanie Dahle

Dreimal habe ich mich mit Jasmin zurückgezogen, um ihr kurze Geschichten über unterschiedliche Prinzessinnen vorzulesen.
Sie hörte sehr genau zu, dachte mit und es entwickelten sich daraus interessante Gespräche mit ihr.
Wir überlegten, wie es wäre, wenn Jasmin eine Prinzessin wäre, und sie erzählte:

– Dann würde sie Arielle heißen.
– Dann sollten alle zu ihr nach Hause kommen, um ihren Geburtstag zu feiern.
– Dann hätte sie ein großes Prinzessin-Zimmer, einen Ring, viel Spielzeug, viele Barbies.
– Sie würde in einem Schloss wohnen, das direkt neben dem Kindergarten liegen würde.
– Sie könnte Piano spielen.
– Sie würde ganz alleine schlafen.

Im weiteren Verlauf erzählte sie mir, dass sie mehr Freunde haben möchte.

Sie fragte mich: „Martina, Uschi ist deine Freundin, oder?“
Ich bejahte ein wenig verdutzt und erklärte ihr, dass Uschi meine Arbeitskollegin und meine Freundin sei.
Verdutzt war ich, weil selbst Kolleginnen dies noch nicht mitbekommen hatten.
Dies zeigte mir noch einmal, wie genau Jasmin wahrnimmt und ihre Beobachtungen genau einordnen kann.
Sie wollte wissen, wieso wir Freundinnen sind, und ich erzählte ihr, dass Uschi und ich viel zusammen unternehmen und dass wir oft die gleichen Dinge mögen.

Jasmin fragte genau nach, was wir zusammen machen und auch wie wir Kontakt nach dem Kindergarten aufnehmen. Ihre Fragen waren sehr konkret und ich versuchte, ihr konkrete Antworten darauf zu geben.
Jasmin wollte ganz genau verstehen, wie die Freundschaft mit Uschi funktioniert, sie wollte alles sehr genau erklärt haben.

Solch ein Gespräch hatte ich noch nie mit einem Kind in diesem Alter. Ihr genaues Nachfragen über eine Freundschaftsbeziehung hat mir gezeigt, wie weit und viel Jasmin schon denkt.

Kommentar der Kursleitung:
… und nachdenkt, hinterfragt, analysiert und sich gezielt bei einem erfahreneren Mitmenschen (Dir) Informationen besorgt. Reflexionen, die sich bei den meisten frühestens mit der Pubertät einstellen.

Insgesamt kann ich sagen, dass wir viel Spaß hatten und viel lachten.

Nach diesen Gesprächen war sie immer sehr gut gelaunt und hüpfte in den Gruppenraum. Die Fragen der anderen Kinder, was wir denn machten, beantwortete sie mit: „Martina und ich, wir denken.“
Von den anderen Kinder kam ein „Aha“, aber keins fragte genauer nach.

Während des letzten Gesprächs beschloss Jasmin, dass sie auch Freundinnen haben möchte, und sie stellte klar:

– Wir machen nicht immer das, was Berin, Amanda und Juline möchten.
– Alle dürfen entscheiden.
– Ich kann auch mal was alleine machen.

Sie hatte nun sehr konkrete Vorstellungen von dem, was sie wollte, und ich war gespannt, wie sie es umsetzen würde.

Erstellung einer eigenen „Prinzessinnen-Geschichte“

Ich schlug Jasmin vor, eine eigene Geschichte zu schreiben.
Meine Überlegung war, dass sie dort ihre Wünsche einbauen und auch mit dem Schreibenlernen voran kommen könnte.

Sie freute sich sehr über die Idee. Sie überlegte laut, was in die Geschichte hinein kommen sollte, während ich Stichpunkte notierte.
Wir trafen uns insgesamt zweimal, um die Geschichte zu schreiben.

Es lief so ab, dass wir uns kurze Sätze überlegten und ich ihr die Wörter vorschrieb. Jasmin schrieb diese dann ab, immer unter Einbeziehung der Laute.

Beispiel: Das Wort „ARIELLE“.
Ein A wie Affe, dann ein R wie Raman, ein I wie Igel, ein E wie Esel, ein L wie Lampe, nochmal ein L und noch ein E wie Esel.

Gerade dieses Schreiben mit Benennung der Buchstaben machte Jasmin viel Freude. Sie äußerte den Wunsch, „Prinzessinnen-Sticker“ in die Geschichte mit einzubeziehen.

Beim ersten Blatt der Geschichte forderte sie, dass ich drei Wörter schreibe, sie meinte, dass sie es nicht könnte.
Die folgenden Wörter hat sie dann alle selbst geschrieben.

Ich las ihr vor, was sie sich überlegt hatte. Einiges wollte sie nicht mehr in der Geschichte haben, anderes mussten wir hinzufügen, zum Beispiel „Arielle mag Schuhe“.

An beiden Tagen hat sie in jeweils einer halben Stunde zwei Blätter vollgeschrieben und wollte danach aufhören. Sie lief mit den Blättern in den Gruppenraum und zeigte sie stolz umher.

Ich schlug ihr vor, die Blätter zu laminieren und als Buch zu binden, so dass sie die Geschichte im Schlusskreis vorlesen könnte. Die Idee nahm Jasmin freudig an.

Überprüfung der Ziele

Die Ziele, die ich für Jasmin gesetzt habe, hat sie erreicht. Jasmin hatte von Anfang an klare Wünsche und Bedürfnisse, die ihr auch bewusst waren; nur konnte sie sie nicht äußern und durchsetzen.

Zu Ziel 1:
Jasmin ist in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern

Jasmin konnte gut die Befindlichkeiten der Anderen wahrnehmen und auch darauf eingehen. Sie zeigte Rücksichtnahme, Hilfsangebote und viel Verständnis.
Ihre interpersonale Intelligenz ist anscheinend sehr stark ausgeprägt.

Ihre eigenen Befindlichkeiten äußerten sich in Weinen oder in Kopf- und Bauchschmerzen, manchmal stöhnte sie auch über Müdigkeit.

In den Gesprächen mit ihr, die sehr intensiv und lang waren, zeigte sie große Ausdauer, obwohl es ihr aufgrund ihrer Sprachschwierigkeiten immer wieder schwer fiel, in die Diskussion zu gehen.

Zu Beginn des Projektes wollte und konnte sie über ihre Wünsche nicht reden. Das „Medium“ Prinzessin war gut geeignet, um mit ihr ins Gespräch zu kommen.
Sie war sehr am Thema interessiert. Mit der Zeit wurde sie immer offener und traute sich, Fragen zu stellen.

In der gesamten Kindergartengruppe fiel auf, dass Jasmin sich nun traute, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern.
Beispiele:
1.
Als das Mittagessen verteilt wurde, sagte Jasmin zu unserer Berufspraktikantin: „Ich mag keine Pommes, möchte mehr Wurst haben, auch Salat.“ Vorher hat sie sich immer alles geben lassen.

2.
Jasmin spielt mit Nele ein Memory. Berin kommt in die Einrichtung und unterbricht die Beiden ständig. Immer wieder spricht sie Jasmin an.
Nach kurzer Zeit sagt Jasmin, dass sie nun mit Nele spielen möchte und beachtet Berin nicht mehr.

Zu Ziel 2:
Jasmin ist in der Lage, ihre Bedürfnisse und Wünsche durchzusetzen

Da Jasmin ihre Wünsche nicht äußern konnte, war es auch schwierig für sie, diese durchzusetzen.
Die anderen Kinder oder auch Erwachsene konnten so ihre Wünsche nicht erfüllen, was vermutlich bei Jasmin immer wieder zu Frust-Situationen führte.

Es ist auch heute noch so, dass Jasmin viele ihrer Wünsche und Bedürfnisse nicht äußert, aber sie hat damit begonnen.

Beispiele:
1.
Jasmin sagte ihrer Mutter, dass sie Bücher brauche. Die Mutter erklärte, Jasmin hätte doch genug Bücher (sie hat Bücher über Schiffe, Autos und Fische). Jasmin machte ihrer Mutter sehr bestimmt klar, dass sie andere Bücher brauche und schlug der Mutter vor, die Bücher gemeinsam zu kaufen.

Kommentar der Kursleitung:
Wir wissen nicht, wie die finanziellen Verhältnisse der Familie sind. Ein solches direktes Fordern ist für Jasmin sicher ein großer Fortschritt und wünschenswert.
Wenn das aber ihre Mutter in Verlegenheit bringt, dann wäre es wichtig, vermittelnd einzuwirken. Ihr solltet erklären, dass es – unabhängig von der Lösung, die gefunden wird – ein wichtiger Entwicklungsschritt für Jasmin ist, so fordernd sein zu können.

Es wäre wichtig, die Mutter nicht allein damit stehen zu lassen. Sie könnte sonst am Ende noch denken, Du würdest ihre Tochter „aufsässig“ machen.

Können die Kinder bei Euch Bilderbücher (z.B. übers Wochenende) ausleihen?
So eine Ausleihbücherei angeleitet zu betreuen, könnte vielleicht auch eine Aufgabe für Jasmin sein. Und sie käme an viel „Lesestoff“.

2.
Jasmin wollte mit Amanda im Nebenraum eine CD hören und dazu tanzen.
Kevin, einer der großen und sehr, sehr energischen Jungen beschloss, dass er mit seinen Freunden nun in den Nebenraum gehen wollte.
Ich hörte eine lautstarke Diskussion und stellte mich an die Tür.
Jasmin hatte sich vor Kevin aufgebaut und sagte: „Kevin, ich will mit Amanda tanzen, ich bin erst hier.“
Amanda bestätigte dies. Kevin schimpfte laut: „Ich will hier spielen!“

Jasmin sah mich und fragte: „Martina, ich bin hier zuerst?“
Ich stellte klar, dass sie zuerst im Nebenraum war und geleitete Kevin und seine Freunde hinaus.
Dies war das erste Mal, dass Jasmin sich gegenüber Kevin durchgesetzt hat.

3.
Jasmin, Berin und Juline spielten oben im großen Flur. Nachdem sie einige Zeit wieder unten waren, beschwerten sich zwei Mädchen aus einer anderen Gruppe, dass die Drei nicht aufgeräumt hätten.
Meine Kollegin, die gerade an der Tür stand, blickte unsere Mädchen fragend an.
Jasmin erwiderte: „Nein, wir haben unsere Sachen aufgeräumt, den Rest müsst ihr aufräumen.“
Die Mädchen zogen wieder ab.

Insgesamt kann man sagen, dass Jasmin auf dem besten Wege ist, ihre Wünsche und Bedürfnisse durchzusetzen.

Zu Ziel 3: Jasmin entwickelt ihre Fähigkeiten im Schreiben weiter

Jasmin konnte vor diesem Projekt ihren Namen und einige wenige Wörter ab-schreiben.
Obwohl es ihr nicht ganz leicht gefallen ist, hat sie die Geschichte an zwei Tagen geschrieben.
Immer wieder hat sie die Buchstaben wiederholt und nach einiger Zeit konnte sie ein I, ein E , ein L und ein A schreiben, ohne dass sie sich die Buchstaben ansehen musste.
Am ersten Tag wollte sie nach einer Seite aufhören. Ich sagte zu ihr, dass sie doch noch ein wenig könnte.

Nach zwei Seiten war ihre Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Geschichte zu lenken, sie stand auf, wechselte das Thema, ging durch den Raum und machte mir klar, dass sie nun aufhören möchte.
Dasselbe passierte am zweiten Tag.

Als die Geschichte fertig war, wollte sie am nächsten Tag nochmal ein paar Wörter schreiben.
Sie schrieb die Wörter: Kette, Mama, Uhr, Papa, Prinzessin, Melodie, Arielle und Schloss.
Diese Wörter schrieb ich ihr vor, nachdem sie sie mir genannt hatte.


Zu Ziel 4:
Jasmin gewinnt durch das Projekt mehr Selbstvertrauen

Jasmin hat sehr viel an Selbstvertrauen gewonnen. Sie kann teilweise ihre Wünsche durchsetzen, sie tritt Berin und auch Juline gegenüber selbstsicher auf und traut sich zu, den großen Jungen zu widersprechen.
Ich konnte sehen, dass sie eine Streitsituation zwischen Amanda und Berin nur betrachtet hat, ohne einzugreifen. Sie selber malte am Maltisch, während die beiden sich um Farbstifte stritten. Normalerweise hätte sie eingegriffen und versucht die Situation zu klären, doch diesmal hat sie nur kurz zugehört und zugeschaut, um sich weiterhin ihrer Arbeit zu widmen.

Ein anderes Mal stritten sich zwei Kinder um einen Stuhl. Jasmin saß an diesem Tisch und früher hätte sie versucht, den Streit zu schlichten.
Diesmal lächelte sie und fing an, die Kinder auszuzählen: „Ene, mene ,miste…“
Die beiden Kinder waren so verdutzt, dass sie das Streiten um den Stuhl aufgaben.

Zur Zeit scheint sie auch immer wieder alleine etwas zu tun – ohne diese Rastlosigkeit, die sie sonst immer zeigte. Jasmin fing früher Vieles an, ohne etwas zu beenden, nun erscheint sie deutlich ruhiger.
Sie spielt alleine, genauso oft spielt sie aber auch mit anderen Kindern. Beides ist anscheinend für sie in Ordnung.
Dies war einer der Wünsche, die sie an sich selber hatte und den sie nun für sich geklärt hat.

Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass Jasmin durch die Einzelbeschäftigung sehr große Fortschritte gemacht hat, sie konnte sich öffnen und weiterentwickeln. Kein anderes Kind behinderte sie und sie konnte ihre Fähigkeiten ausbauen.

Kommentar der Kursleitung:
Wir finden es sehr gut, dass Du Dich an diesem Punkt von Jasmins Entwicklung für eine Einzelförderung entschieden hast. Es war offensichtlich das, was sie jetzt brauchte, um voran zu kommen.

Planung für die Zukunft

Das Thema „Schreiben“ ist definitiv noch weiter wichtig für Jasmin.

Ich werde eine Box mit Wörtern erstellen, die sich Jasmin und auch die anderen Kinder aus der Schreibgruppe immer wieder nehmen und damit arbeiten können.
Auf der Bildungsmesse Didacta habe ich Buchstabenstreifen gekauft. Hier stehen die Buchstaben der Reihe nach auf einem Streifen. Zu jedem Buchstaben ist ein Bild gezeichnet, zum Beispiel A – Apfel oder B – Birne.

Diese Streifen und auch ihre Schreibhefte werde ich den Kindern zur Verfügung stellen. So sind die Kinder jetzt, nachdem sie viel Anleitung erhalten haben, nicht mehr darauf angewiesen, dass ich mir Zeit für sie nehme.

Kommentar der Kursleitung:
Der beste Lehrer macht sich mit der Zeit selbst überflüssig.

    • Jasmin hat so die Möglichkeit, ihre Kenntnisse im Buchstabenschreiben auszubauen, und muss nicht darauf warten, dass wir uns zurückziehen.
    • Buchstabenspiele werden zum Einsatz kommen, so dass das Erlernte sich festigt und weiterentwickelt.
    • Ihre Geschichte wird Jasmin im Schlusskreis allen Kindern vorstellen, darauf freut sie sich schon.
    • Jasmin wird bei den Ausflügen mit den Vorschulkindern dabei sein (sowie auch Raman und Yusuf).

Insgesamt kann ich feststellen, dass Jasmin sich rasant weiterentwickelt und ihre Talente nun auch zeigt.

Zur Zeit ist sie nicht mehr so unruhig und zeigt auch keine körperlichen Schwächen, die Müdigkeit ist verschwunden.

Kommentar der Kursleitung:
Das Somatisieren ist offenbar überflüssig geworden.

Für Jasmin ist es sehr wichtig, sie weiterhin zu fordern und zu fördern, dies kann in einer Einzelförderung und auch in Kleingruppenarbeit geschehen.

Da Jasmin gerade die Denk-Gespräche gefallen und sie weiter gebracht haben, werde ich mir immer mal wieder Zeit nehmen, um mich mit ihr zurückzuziehen.

Siehe auch: Drei kleine Mädchen sind die Denkgruppe.

 

Datum der Veröffentlichung: März 2015
Copyright © Martina Böckling, siehe Impressum

Eine Dreijährige will schreiben

von Martina Böckling

 

Mein Beobachtungskind Jasmin (im IHVO-Zertifikatskurs) ist inzwischen 3;10 Jahre alt und kommt mittlerweile regelmäßig und gerne in die Kita.

Meine ersten Beobachtungen, Jasmin betreffend, können Sie in dem Beitrag Jasmin, 3;4 Jahre nachlesen.

Diese Beobachtungen ergaben unter anderem, dass Jasmin ein frühes Interesse an Buchstaben und Zeichen zeigte.

Hier noch mal ein Beispiel:
Es verging kein Tag, ohne dass ein von ihr „geschriebener“ Zettel auftauchte, etwa in der Küche: „Für Christine, Kochen“.

Manchmal „schrieb“ sie auch ein Blatt voll und nannte die Namen aller anwesenden Kinder. Es wurden auch Zettel „mit Texten“ in den Schlusskreis mitgenommen, wenn wir sangen.

Unsere Vermutung bestand darin, dass Jasmin aufgefallen ist, dass wir Erzieher ständig etwas aufschreiben oder ausfüllen zum Beispiel Listen für unsere Küchenfrau, Anwesenheitslisten, Liedtexte, usw.

…kurz gefasst…

Dieses genaue Protokoll eines Lernprozesses kann als Beweis dafür gelten, dass es Dreijährige gibt, deren Wunsch und Wille es ist, mit einem Stift in der Hand und „Arbeitsblättern“ vor sich – mit Freude und Genugtuung – das Schreiben von Buchstaben und einfachen Wörtern zu erlernen.
Die Autorin dokumentiert ausführlich den Lernprozess der beteiligten vier Kinder, insbesondere den der kleinen, besonders begabten Jasmin – und auch ihr eigener Lernprozess wird deutlich. Er besteht unter anderem darin, das Potenzial und die Motivation des Kindes immer genauer einzuschätzen.

Mit Einverständnis der Autorin sind in diesem Beitrag auch einige Kommentare der Kursleitung stehen geblieben, da sie den Erkenntnisprozess begleiten und vielleicht für die Leser noch deutlicher herausheben.

Bemerkenswert ist zudem, dass es sich bei Jasmin um ein kleines Mädchen handelt, das bei Eintritt in die Kita kaum ein Wort Deutsch konnte.

Der Beitrag ist sehr umfangreich; er ist hier kaum gekürzt worden, um den dokumentarischen Charakter zu erhalten. Für die eilige Leserin gibt es zusätzlich eine gekürzte Fassung.

Hanna Vock

Da Jasmin gerne „schreibt“, versucht sie einige Aufgaben von uns Erwachsenen nachzuahmen.
Die Zeichen, die sie „schreibt“ (so nennt sie es), sind immer dieselben und sind immer gleich angeordnet.

Bevor ich mich für das Projekt entschied, bearbeitete ich mit Jasmin den Kinder-Fragebogen Kommunikation, sowie den Interessenfragebogen.

Beim Kinder-Fragebogen Kommunikation wurde deutlich:

    • Jasmin fühlt sich in der Gruppe sehr wohl.
    • Sie bewundert die „Großen“, weil sie bald in die Schule kommen.
    • Sie genießt es, wenn sie anderen Kindern helfen kann, zum Beispiel beim Malen.
    • Sie findet es toll, wenn die Vorschulkinder „Arbeitsblätter“ erarbeiten.

Für den Interessenfragebogen brauchten wir ein paar Anläufe. Viele Fragen waren für Jasmin noch nicht zu verstehen, oft antwortete sie in Zweiwort-Sätzen und wir schafften jedes Mal nur ein paar Fragen. Es machte ihr viel Spaß, sich mit mir hinzusetzen, und sie wollte selber mit auf die Blätter schreiben; einen Teil durfte ich schreiben, dann nahm sie den Stift und schrieb noch etwas darunter.

Es wurde deutlich:

    • Jasmin spielt gerne mit Raman und Berin in der Puppenecke oder malt-schreibt mit ihnen.
    • Sie sammelt „Barbies“.
    • Jasmin kann gut malen.
    • Sie hätte es gerne, wenn die anderen mehr auf sie hören würden.
    • Puzzeln fällt ihr schwer.

Auf die Frage: „Was möchtest du gerne lernen?“ kam die Antwort: “Kindergarten ist schön, ich muss hier arbeiten.“

Beim Gespräch mit der Mutter stellte sich heraus, dass Jasmin zu Hause ganz klare Vorstellungen von dem hat, was sie gerne möchte. Sie kann sich bei ihrer Mutter sehr gut durchsetzen und erreicht in den meisten Fällen ihr Ziel.

Kommentar der Kursleitung:
Dann ist es natürlich besonders gut verständlich, dass es sie frustrieren muss, wenn sie sich wegen der Sprachbarriere in der Kita nicht so gut durchsetzen kann – und dass sie sich vielleicht recht dringend wünscht, dass die anderen Kinder mehr auf sie hören. Wie soll man Anführer sein, wenn man sich sprachlich nur eingeschränkt verständigen kann?

Zum Beispiel:
Jasmin wohnt mit ihrer Mutter in einer Zwei-Zimmer-Wohnung und hat es geschafft, dass eines der Zimmer „ihr Zimmer“ wird.
Damit Jasmin „arbeiten“ kann, musste die Mutter Schreibutensilien für Jasmin kaufen und nach dem Kindergarten, etwa ab 17 Uhr, zieht sich Jasmin in ihr Zimmer zurück. Die Mutter weiß nicht, was Jasmin dort macht, häufig scheint sie zu grübeln.

Alle diese Informationen über Jasmin machen mir deutlich, dass Jasmin gerne arbeitet und schreibt-malt.
Da ich in dem geplanten Projekt an ihren Stärken ansetzen will, habe ich mich entschieden, diese Fähigkeiten und Interessen von Jasmin zu nutzen.
Sie malt immer noch dieselben Zeichen und ich erhoffe mir von dem Projekt, dass sie sich weiterentwickelt und neue Ideen zum Schreiben bekommt. Manchmal kommt es mir auch so vor, als sei sie ein wenig gelangweilt beim Malen.

Kommentar der Kursleitung:
Beim Buchstabenschreiben kann sie hier (mit ihren drei Jahren) allein, ohne Hilfestellung, nicht weiter kommen.

Ich weiß, dass sie die Vorschulgruppe toll findet, und so erwarte ich, dass unsere Projektgruppe eine Herausforderung für sie sein wird. Ebenso kann ich mir vorstellen, dass ihr die Kleingruppenarbeit sehr viel Spaß machen wird.

Da Jasmin gerne arbeitet und die Vorschulkinder so bewundert, habe ich mich entschlossen, das Projekt: „Wir lernen Schreiben“ zu nennen.

Des Weiteren erhoffe ich mir, dass Jasmin durch das Projekt ihr altes Selbstbewusstsein zurückgewinnt, denn sie setzt sich zur Zeit in der Gruppe nicht mit den Kindern auseinander. Sie weint, wenn ihr etwas zu viel wird oder die Kinder sich nicht so verhalten, wie sie es erwartet.
In der Gesamtgruppe hat sie, auch aufgrund ihrer fehlenden Deutsch-Sprachkenntnisse, Schwierigkeiten sich den Kindern gegenüber zu behaupten. Ich kann mir vorstellen, dass Jasmin sich in der Kleingruppe, in der sich immer dieselben Kinder befinden, eher zu sprechen traut und sich durchsetzt.

Teilnehmende Kinder

Mit in die Projektgruppe nehme ich zwei Kinder ähnlichen Alters auf: Berin 3;8 Jahre, und Raman, 4;7 Jahre. Beide spielen mit Jasmin, beide Kinder sind gerne zu Aktivitäten bereit und malen gerne. Auch Berin findet die Arbeitsblätter der Vorschulkinder immer interessant, und Raman erwähnt öfter, dass er doch auch groß ist.

Kommentar der Kursleitung:
Hier ist es also wichtig, die Altersnormen zu vergessen und den jungen interessierten Kindern auch den Zugang zu diesen Blättern zu gewähren. Wichtig, welche Erfahrungen Du jetzt damit machen wirst.

Als ich die Beiden frage, wollen sie sofort mitmachen. Aufgrund von Personalmangel erarbeiten wir das 4. Arbeitsblatt im Gruppenraum. Dies bekommt Amanda (3;11) mit und will ebenfalls mitmachen. Sie kommt toll mit der Aufgabe zurecht und wünscht sich, auch in die Gruppe zu kommen.
Da die anderen damit einverstanden sind, erweitern wir die Gruppe auf vier Kinder. Ohne dieses Projekt wäre mir nicht aufgefallen, mit welcher Motivation, Ausdauer und Spaß Amanda solche Aufgaben erfüllen kann.

Am häufigsten trifft sich die Kleingruppe im Nebenraum, unserem Musikzimmer. Dort können wir uns zurückziehen und haben unsere Ruhe. Zweimal haben wir die Aktivitäten allerdings, aufgrund von Personalmangel, in den Gruppenraum verlegen müssen. Nicht immer sind alle Kinder anwesend, ich achte jedoch darauf, immer am Projekt zu arbeiten, wenn Jasmin in der Einrichtung ist.

Mit den Arbeitsblättern beginnen alle Kinder gemeinsam, zum Ende hin entscheiden die Kinder, die fertig sind, ob sie noch im Musikraum bleiben oder den Raum verlassen. Es hat sich eingespielt, dass die Kinder, die mit der Arbeit fertig sind, zurück in den Gruppenraum gehen.
Jasmin und ich bleiben noch länger, weil Jasmin nicht fertig werden will. Oft hat sie den Wunsch, noch mit mir zusammen zu sitzen, dabei weiter zu malen und zu erzählen.

Arbeitsmaterialien

Da ich Jasmin und den anderen Kindern Ideen und Anregungen zum Schreiben geben will, informiere ich mich in Buchhandlungen, welche Arbeitsblätter oder Hefte es gibt.
Die meisten Hefte oder Bücher erscheinen mir zusammengewürfelt und nicht durchdacht zu sein, also kommen sie nicht in Frage.

Schließlich finde ich das Arbeitsheft: „Vorübungen zum Schreiben“ mit Conni aus dem Carlsen Verlag. Das Mädchen Conni ist im Kindergartenalter und taucht auf allen Blättern auf, mit ihr gibt es einige weitere Spiel-Lernbücher.
Mit diesem Buch kann man Grundformen der Buchstaben wie Kreise, Linien, Wellen üben.
Dieses Buch gefällt mir für mein Projekt gut – und in Verbindung mit Arbeitsblättern, die ich schon besitze, habe ich einen guten Grundstock.
Wichtig ist mir, dass ich das Buch nicht der Reihe nach „bearbeiten“ will, sondern die Wahl der Arbeitsblätter von dem Können, dem Spaß und der Motivation der Kinder abhängig mache.

Es stellt sich heraus, dass es sinnvoll ist, mit Arbeitsblättern über gerade und halbrunde Linien zu beginnen, über Kreise, Wellen und Schwünge zu den Buchstaben zu gelangen. Bei einigen Arbeitsblättern sind die Linien vorgepunktet, bei anderen sollen die Kinder selber weiterzeichnen.

Insgesamt ergeben sich 22 Arbeits- oder selbstgestaltete Blätter, die die Kinder immer wieder mit viel Spaß, Freude und sehr großem Eifer erarbeiteten.

Projektverlauf

Die Idee meiner Projektgruppe wurde von den drei, später vier Kindern sehr gut aufgenommen, sie freuten sich darauf, schreiben zu lernen und es gefiel ihnen, mit mir in den Nebenraum zu gehen.

Je länger das Projekt dauerte, desto selbstverständlicher wurde es, ich habe es nie erlebt, dass ein Kind keine Lust hatte oder motiviert werden musste. Jeden Tag wurde ich gefragt, ob wir denn heute „arbeiten“ und die Kinder freuten sich bei einer positiven Antwort so, dass auch die älteren Kinder aus der Gruppe (alles Jungen) wissen wollten, wann denn endlich ihre Vorschulgruppe beginnen würde.

Kommentar der Kursleitung:
Dies ist ganz sicher ein Zeichen dafür, dass die Kinder von der Situation Kleingruppe sehr angetan waren und für ihre Entwicklung gut profitieren konnten.

„Schreiben nach Wunsch“ am ersten Projekttag

Es liegt ein Paket mit Filzstiften auf dem Tisch, die Kinder bekommen ein Blatt und die Aufgabe: „Zeigt mal, was ihr schon schreiben könnt“.
Raman und Berin fangen sofort an zu schreiben, Jasmin schaut erst einmal zu.

Sie redet zu sich selbst: “Na, so, schreiben, ach nee“. Während die beiden Anderen sehr zügig ihr Blatt bearbeiten, fängt Jasmin an, hört wieder auf, sieht den Anderen zu, fängt an die Filzstifte zu zählen, schreibt weiter, usw.

Nach etwa zehn Minuten sind Raman und Berin fertig, Jasmin malt alleine weiter.
Nach weiteren fünf Minuten bekomme ich die Information, dass Jasmin abgeholt wird, um zum Arzt zu gehen.
Die Mutter hat es sehr eilig. Jasmin sagt zu ihr: „Kann nicht, Schreiben“ und malt in aller Ruhe weiter. Als die Mutter Druck macht, räumt Jasmin erst einmal die Stifte ein, sie lässt sich viel Zeit damit.

Mit dieser Übung wollte ich erfahren, was die Kinder unter „Schreiben“ verstehen. Raman schrieb einige Buchstaben auf (E, H und A), Berin schrieb A und E und Jasmin schrieb die Zeichen, die sie immer benutzt.

Kommentar der Kursleitung:
Raman und Berin waren also schon so weit, richtige Buchstaben zu schreiben, jetzt „fallen sie zurück“ auf Vorübungen…

Nun wollte ich die Kinder
an die Grundformen der Buchstaben
heranführen
.

Gerade Linien zeichnen 

Zu diesem Thema bot ich an drei Tagen drei verschiedene Arbeitsblätter an: 1. eine Leiter, an der die fehlenden Sprossen eingezeichnet werden, 2. Schienen, die vollendet werden, und 3. eine Sonne, bei der Strahlen angefügt werden sollten.
Diese drei Blätter wurden von Berin, Raman und Jasmin erarbeitet (Amanda war noch nicht dabei). Die Kinder freuten sich auf die Aufgabe.

Bei diesen Aktionen fiel auf, dass Jasmin am Anfang etwas zurückhaltend war, während die anderen Beiden erzählten, was sie auf den Blättern sahen und was sie wohl machen sollten.
Nachdem Jasmin die Aufgabe verstanden hatte, fing sie an, sehr genau und exakt zu malen. Sie schaute dabei immer wieder zu den anderen und brauchte dadurch länger, aber dafür waren ihre „Linien“ sehr genau gemalt.

Auffallend war, dass Jasmin sich immer wieder ablenken ließ, egal ob sie zu dritt waren oder Jasmin allein mit mir im Raum war. Draußen spielende Kinder, vorhandene Musikinstrumente – sie malte kurz weiter und ließ sich wieder ablenken.
Offensichtlich war, dass sie viel Freude hatte und auch die Zeit mit mir alleine sehr genoss. Sie erzählte entweder von den Arbeitsblättern oder von anderen Dingen. Ich musste mir immer wieder anschauen, was sie machte und sie loben.

Beim Sonnenbild fiel mir auf, dass sie als einzige die Aufgabe verstanden hatte. Die beiden anderen malten die Sonnenstrahlen sehr kurz und nicht dorthin, wo sie eigentlich hin sollten. Jasmin erfüllte die Aufgabe sehr gut. Offensichtlich war dies für Jasmin noch nicht „Schreiben“ genug, denn auf der Rückseite ihres Blattes schrieb sie wieder ihre Zeichen.

Halbrunde Linien zeichnen

Auch zu diesem Thema bot ich drei unterschiedliche Arbeitsblätter an: 1. Blumenstiele, die vorgepunktet waren, 2. Regenschirme, an denen der Griff einzuzeichnen ist, 3. Henkel, die an Bechern fehlten.

Das Blatt mit den Blumenstielen musste ich aufgrund der personellen Situation im Gruppenraum anbieten.
Dort war es entsprechend unruhig und Jasmin wurde sehr stark abgelenkt. Sie hatte Schwierigkeiten zu beginnen und versuchte, von ihrem Platz aus alle möglichen Situationen zu kommentieren.

Amanda wollte auch ein Blatt haben und bearbeitete es. Jasmin beschwerte sich und meinte, dass Amanda noch zu klein sei. Es begann eine kleine Diskussion zwischen den Beiden, und als Jasmin sah, wie Amanda ihr Blatt ausfüllte, begann sie ihrerseits zügig und sehr exakt ihr Blatt auszufüllen.

Als sie fertig waren, bot ich an, dass Amanda mit in unsere Gruppe kommt, und nun waren alle Kinder damit einverstanden.

Die Einzeichnung der Regenschirmgriffe fand wieder im Musikzimmer statt. Jasmin malte sehr langsam und kritisierte laufend die anderen Kinder. Sie konnte sich nur kurzfristig konzentrieren und stritt sich die gesamte Zeit mit den Anderen. Die Aufgabe erledigte sie trotzdem wieder sehr gut.

Die letzten Beschäftigungen waren für Jasmin offenbar sehr anstrengend. Sie stritt und kritisierte ständig. Als dann die Anderen nicht mehr anwesend waren, beschloss ich, die Aufgabe mit dem halbrunden Henkel am Becher nur für Jasmin anzubieten. Ich wollte herausfinden, ob Jasmin, wenn sie alleine ist, ruhiger und konzentrierter arbeiten kann.

Kommentar der Kursleitung:
Es ist die Frage, ob die Aufgaben für Jasmin wirklich sehr anstrengend waren. Ein unkonzentriertes Verhalten kann auch aus zu leichten Aufgaben resultieren.

Sie freute sich sehr und genoss die Zeit mit mir. Sie erzählte und stellte Fragen. Jasmin bestand darauf, das Blatt auf ihre Weise zu bearbeiten, das heißt, mal malte sie die Henkel, dann die Tassen an, es folgte ein Strich auf dem Blatt, usw. Allerdings ließ sie sich auch hier wieder von den draußen spielenden Kindern ablenken. Die Zeit, die sie heute mit mir verbringt, beträgt etwa 40 Minuten.

Als sie fertig war, fragte ich sie, ob sie lieber mit mir alleine oder mit der Gruppe arbeiten möchte. Jasmin beschloss, lieber mit den anderen Kindern zusammen zu arbeiten.

Kommentar der Kursleitung:
Was war das Neue, das Jasmin bei diesen Beschäftigungen lernen konnte? Hat sie überhaupt etwas Neues (in Bezug auf Schreiben) gelernt? Oder hat sie eher die arbeitsähnliche Situation genossen?
Jasmin hat doch offenbar eine gute Feinmotorik – wäre sie überfordert, richtige Buchstaben zu malen?

Große und kleine Kreise zeichnen

Ich bot drei Arbeitsblätter zu diesem Thema an: 1. verschieden große Hüpfbälle nachzeichnen, 2. kleine Murmeln nachzeichnen und 3. eine Tüte Bonbons mit Kreisen füllen.

Jasmin zeichnet die Hüpfbälle sehr exakt nach, von allen Kindern am exaktesten. Dabei stöhnt sie bei den kleiner werdenden Kreisen: „Manno, Martina.“ Sie gibt sich sehr viel Mühe, den anderen Kindern scheint es egal zu sein, ob sie die Linie treffen oder nicht. Jasmin ist es wichtig, dass sie genau die Linie trifft, dasselbe auch beim Arbeitsblatt mit den Murmeln.

Kommentar der Kursleitung:
Das ist noch mal ein Zeichen dafür, dass sie – wie Du schon in Deiner 1. Praxisaufgabe geschrieben hast – hohe Ansprüche an das Ergebnis ihrer Arbeit stellt. Wir sehen darin keinen Grund zur Besorgnis, sondern zur Freude.

Als sie die „Bonbons“ in die Tüte selber einzeichnet, betont Jasmin, dass sie „schreiben“ lernt. Sie „schreibt“ auch neben der Bonbontüte.

Wellen nachzeichnen und selber zeichnen

Zu diesem Thema bot ich vier Arbeitsblätter an: 1. große Wellen, auf denen ein Schiff schaukelt, 2. kleinere Wellen im Schwimmbad, 3. Sprünge eines Kängurus, 4. eigene Wellen zeichnen.

Dieses sind die ersten Aktionen nach den Sommerferien.
Die großen Wellen zeichnen nur Jasmin und Raman, die Anderen sind noch nicht aus dem Urlaub zurück.
Jasmin wirkt nach den Ferien unsicher, sie schaut sich an, was Raman macht, dann setzt die den Stift an und hört wieder auf. Es beginnt eine kleine Diskussion zwischen den Beiden, wie viele Jungen- und Mädchenfische es gibt.

Als Raman mir etwas erzählt, wirkt Jasmin genervt und behauptet, er würde sie ärgern. Immer wieder lässt sie sich von Raman ablenken. Plötzlich besteht sie darauf, dass Amanda auch mitmacht. Ich erkläre ihr, dass Amanda nicht da ist, doch sie besteht darauf. „Habe Amanda hört“ sagt sie, wir schauen nach und Amanda ist gerade in die Gruppe gekommen. Weder Raman noch ich hatten irgendetwas gehört. Nachdem dies geklärt ist, setzt sie den Stift an und malt die letzte Welle zügig.

Bei den nächsten beiden Blättern fällt mir auf, dass Jasmin immer erst anfängt zu malen, dann die anderen Kinder kritisiert, sich selber ablenkt, zum Beispiel indem sie singt, oder sich durch draußen spielende Kinder ablenken lässt. Sobald sie nicht genau auf dem Strich malt, schimpft sie mit sich selber; sobald ich sie lobe, malt sie zügig weiter.

Beim Selber-Zeichnen der Wellen beobachte ich, dass Amanda zwei Wellen malt, Raman und Berin malen reihenweise ziemlich gleichmäßige Wellen und Jasmin schafft es, unterschiedliche Wellen zu zeichnen. Als sie fertig sind, fragen alle Kinder nach einem Arbeitsblatt.

Verschiedene Schwungübungen zum Nach- und Weiterzeichnen

Hier bot ich an: 1. Schleifen malen (Pferde, die um die Wette laufen), 2. Schnecken mit ihren Schneckenhäusern sowie 3. Bienen, die ein „l“ fliegen.

Von nun an veränderte sich Jasmins Arbeitsweise; während sie zuvor erst danach geschaut hatte, was die anderen Kinder auf den Blättern machen und dann erst selber anfing, begann sie nun sofort mit der Arbeit, sobald sie ein Arbeitsblatt bekam.

Sie kritisierte Berin und Raman, als diese beim Ausmalen über den Strich malten. Einzig Amanda darf malen, wie sie will, sie wird von Jasmin nicht kritisiert.

Immer noch macht Jasmin Pausen, sie braucht für alle Arbeitsblätter am längsten. Mittlerweile darf auch ich den Raum verlassen, wenn die Kinder fertig sind, und Jasmin arbeitet allein weiter.
Weiterhin malt sie sehr exakt die Linien nach, zwischendurch hinterfragt sie, ob sie schreiben lernt und ich bestätige ihr dieses.

Kommentar der Kursleitung:
Dies könnte ein Hinweis sein, dass Jasmin vielleicht unterfordert ist. Sie will Schreiben lernen und sieht vielleicht nicht den Zusammenhang bzw. die Notwendigkeit dieser Vorübungen. Noch mal: Möglicherweise sind solche Vorübungen für sie nicht nötig.

Formen nachmalen

Das erste Arbeitsblatt bestand aus dem Nachmalen von großen Formen, hier hatten alle Kinder Spaß und waren sehr schnell fertig. Jasmin beschwerte sich, dass es „wenig“ wäre. Ich denke, sie meinte, dass es zu einfach sei.

Kommentar der Kursleitung:
Siehe oben. An dem Blatt sieht man deutlich, wie sie zum Schluss die Lust verliert und ihre Schwünge sich verlieren.

Das zweite Blatt umfasste die gesamten Übungen, die wir im Laufe der Zeit gemacht hatten. Als Jasmin das Blatt sah, stöhnte sie: “Will nicht, schwer“.

Kommentar der Kursleitung:
Paradoxerweise sagen Kinder manchmal „langweilig“, wenn es für sie zu schwierig ist – es geht über ihren Kopf hinweg, es sagt ihnen nichts und ist deshalb für sie tatsächlich langweilig – und sie sagen „schwer“, wenn es für sie schwer ist, noch weiter zu machen, weil es zu langweilig ist.

Die anderen begannen und auch Jasmin nahm einen Stift, dabei jammerte sie weiter. Sie machte allerdings keinen unglücklichen, sondern einen genervten Eindruck. Sie fing an und kritisierte, dass die Kinder zu laut seien. Wegen eines kleinen Unfalls im Gruppenraum musste ich den Raum verlassen, die Kinder arbeiteten noch ein wenig weiter.
Jasmin malte, sobald ich den Raum verlassen hatte, ihre Zeichen aufs Blatt und beschwerte sich, wo ich denn bliebe. Da ich mich nicht mehr um die Kleingruppe kümmern konnte, beschlossen wir, am nächsten Tag weiterzuarbeiten.
Am nächsten Tag bearbeiteten wir das Blatt weiter. Jasmin schimpfte wieder vor sich hin, aber füllte von allen Kindern das Blatt am genauesten aus.
Als ich sie fragte, warum sie denn schimpfe, sie habe das Blatt doch gut ausgefüllt, lächelte sie mich an.

Auch das nächste Blatt beinhaltete viele Muster, die wir schon bearbeitet hatten, nur in kleinerer Form.
Alle Kinder arbeiteten zügig, konzentriert und mit viel Spaß an der Aufgabe. Jasmin malte von allen das sorgfältigste und genaueste Bild. Sie war schneller als sonst fertig.

Kommentar der Kursleitung:
Hier zeigen sich weitere Hinweise auf mögliche Unterforderung bzw. eine Unzufriedenheit mit dem Ansatz der vielleicht als nicht notwendig und zu langwierig empfundenen Vorübungen. Die Beschwerde, dass es zu laut sei, lässt darauf schließen, dass Jasmin sehr fokussiert und konzentriert arbeiten möchte, was wohl aufgrund des Drumherums nicht immer möglich ist.

Kommentar der Kursleitung:
Dieses Ergebnis ist nicht nur für ihr junges Alter, sondern überhaupt sehr gut!!
Vergiss die Arbeitsblätter und lass sie endlich richtige Buchstaben und Wörter schreiben!

Buchstaben schreiben

Diese Aufgabe umfasst ein Arbeitsblatt, auf dem Buchstaben zu sehen sind.
Die Kinder waren sehr aufgeregt, als sie das Blatt sahen, und Raman erklärte, dass es Buchstaben seien.

Es begann ein Gespräch darüber, welche Buchstaben zu sehen sind, und ich nannte den Kindern die jeweiligen Buchstaben, die sie wissen wollten. Die Kinder wollten wissen, welche Buchstaben zu welchen Namen gehören und wir überlegten gemeinsam. Bei dem Buchstaben „J“ sagte ich zum Beispiel: „Ja….“ Und Jasmin rief: “Mein Name“.

Berin erklärte, dass das N zu ihr gehört und Raman stellte klar, dass es auch sein Buchstabe sei. Ich sagte sehr langsam: “Amannda“ und schon rief Berin, dass auch Amanda ein N habe. Alle schauten Jasmin an und Jasmin sagte: “Mein auch“. Zum Schluss erklärte ich, dass auch ich ein N in meinem Namen habe.
Wir stellten fest, dass das N ein Buchstabe von uns allen ist.

Bei dieser Aufgabe hatten die Kinder sehr viel Freude und mir fiel auf, dass Jasmin zum ersten Mal vor allen Kindern mit ihrem Blatt fertig wurde. Als ich sie darauf ansprach, freute sie sich sehr und rief: „Hurra, ich habe gewonnen!“ Als Berin sie daraufhin zu ihrem Geburtstag einlud, freute sie sich…

…und beide beschlossen,
dass sie nun Freunde wären.

Kommentar der Kursleitung:
Aha, die Stimmung steigt, sobald es ans „Eingemachte“, also das tatsächliche Schreiben, geht.

Abschluss des Projektes: „Wir schreiben selber Buchstaben“

Heute lautet die Aufgabe, dass jeder schreiben kann, was er will.
Bei dieser Aufgabe will ich erfahren, ob die Kinder, insbesondere Jasmin, sich weiterentwickelt haben oder ob noch die gleichen Zeichen wie am Anfang der AG geschrieben werden.

Bei allen Kindern fiel auf, dass sie vielfältigere Möglichkeiten gefunden hatten, zu schreiben. Sie benutzten einige der voraus gegangenen Möglichkeiten der Darstellung, wie zum Beispiel die Schnecke, die Wellen oder auch die Kreise.

Raman:
Er malte am Anfang des Projektes lauter E, T und H auf sein Blatt, nun malte er zusätzlich Wellen, Treppen, Kreise, ein E und ein H.
Berin:
Sie malte zu Beginn ein A, ein N, ein E und einen Halbmond, sowie ein paar für mich nicht zu erkennende Zeichen. Nun malte sie eine Schnecke, Kreise, Wellen, ein M, ein H, ein paar Bögen und ein paar Schwünge.
Amanda:
War bei der ersten Aufgabe nicht dabei, auch sie benutzte Treppen, Kreise, ein Kreuz und ein L.

Am auffallendsten ist das Blatt von Jasmin. Ihre Ausdrucksmöglichkeiten sind sehr vielfältig im Vergleich zum Anfang. Während sie zu Beginn des Projektes noch stereotyp die gleichen Zeichen gemacht hatte, malt sie nun sehr unterschiedliche Zeichen.

Gemeinsam überlegten wir, was wir mit den Arbeitsblättern machen. Mein Vorschlag, diese in einem Schnellhefter für jeden abzuheften, fand großen Anklang.

Interpretation des Projektes

Erkenntnisse und Erfolge, die Jasmin gewonnen hat

Jasmin war das ganze Projekt über mit sehr viel Begeisterung und Freude dabei.

Kommentar der Kursleitung:
– aber auch manchmal genervt (?)

Jeden Tag wurde ich gefragt, wann wir wieder „arbeiten“. Sie bereitete häufig den Tisch vor, und sehr oft saßen die Kinder schon dort, während ich mich noch auf den Weg machte.

Jasmin hat während des Projektes erfahren:

    • Es macht ihr Spaß, in einer kleinen Gruppe zu arbeiten.
    • Sie konnte viel erzählen, erklären, benennen und diskutieren, ohne Sorge haben zu müssen, ob die anderen Kinder sie verstehen.
    • Sie kann in einer ruhigen Umgebung, mit möglichst wenig Ablenkung, sehr gut konzentriert arbeiten.
    • Durch die positiven Lernerfahrungen und durch den Umgang mit den anderen Kindern ist ihr Selbstbewusstsein gestiegen. (Dies ist sogar den Kolleginnen in der Gruppe aufgefallen.)
    • Sie hat gelernt, dass sie nicht für die Arbeit und Leistung der anderen Kinder verantwortlich ist. Darüber wurde häufiger in der Kleingruppe diskutiert. Jasmin schaffte es immer besser, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren und nicht immer die Anderen zu kritisieren. (Auch dies ist schon in der Gesamtgruppe aufgefallen.)
    • Jasmin wird nun von Berin akzeptiert und die beiden haben Freundschaft geschlossen.

Kommentar der Kursleitung:
Dieses sind sehr gute Ergebnisse.
Unseres Erachtens hättest Du während des Projektes, als Jasmin beständig sehr gute Ergebnisse lieferte und auch die anderen drei Kinder sich stark zeigten, das Lernziel noch viel höher stecken können.

Erkenntnisse, die ich über Jasmin gewinnen konnte:

Während der gesamten Projektdauer hat sich das Verhältnis zwischen Jasmin, mir und den anderen Kindern intensiviert. Den Kindern hat die Kleingruppenarbeit gut gefallen, sie haben sich alle darauf gefreut und alle haben sich weiterentwickelt. Die Stifte werden nicht mehr so starr gehalten, die Kinder drücken nicht mehr so fest auf.

Über Jasmin ist mir folgendes klar geworden:

    • Es zeigt sich, dass Jasmin weiterhin ein großes Interesse an Buchstaben hat, sie schreibt weiterhin auf ihre Bilder und Zettel, jedoch nicht mehr stereotype, sondern unterschiedliche Zeichen.
    • Jasmin hat hohe Ansprüche an das Ergebnis ihrer Tätigkeiten, sie arbeitet sorgfältig und es ist ihr wichtig, genau zu malen, zum Beispiel auf dem Strich, beim Ausmalen nicht oberhalb des Striches. Sie schimpft auch mit sich selber, wenn sie meint, ihren eigenen Ansprüchen nicht zu genügen.
    • Sie konnte Informationen, die während des Arbeitens gegeben wurden, abspeichern und zu gegebener Zeit wieder hervorholen. Zum Beispiel erklärte sie mir nach dem Malen des Abschlussbildes, dass wir am Anfang des Projektes eine kaputte Leiter repariert hätten und sie malte eine Leiter auf ein Blatt.
    • Jasmin hat gezeigt, dass sie eine hohe Aufmerksamkeitsdauer haben kann, wenn sie etwas interessiert. Dies war neu für mich. In der Gruppe fiel eher auf, dass sie schnell und hektisch und auch ungenau arbeitet. In der Atmosphäre der Kleingruppe mit einer Aufgabe, die sie interessierte, konnte sie sehr lange daran arbeiten und entwickelte eine hohe Eigenmotivation.
    • Es bestätigte sich, dass sie eine hohe Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeit besitzt. Jasmin bekam zum Beispiel als einzige im Nebenraum mit, dass Amanda aus den Ferien zurück ist.
    • Mir wurde klar, dass Jasmin sehr sensibel ist. In einer Situation, zum Beispiel, malte Berin sehr unordentlich und Raman wies sie darauf hin. Als ich Jasmin für ihre Arbeit lobte und dann kurz den Raum verließ, hörte ich Jasmin weinen. Es stellte sich heraus, dass Berin ihr gesagt hat, dass sie nicht ihre Freundin sein will (ich vermute, Berin hat sich sehr über Jasmins Arbeit und Lob geärgert). In einem gemeinsamen Gespräch konnten wir die Situation klären.
    • Jasmin besitzt Führungskompetenz. Wenn sie geklärt hat, dass und wann wir arbeiten, bereitet sie den Tisch vor und versammelt die Kinder um sich. Sie achtet darauf, dass jedes auf seinem Platz sitzt (wo es immer gesessen hat) und zieht immer wieder das Gespräch an sich.
    • Jasmin besitzt ein gutes Einfühlungsvermögen. Sie hat mitbekommen, dass Amanda bei den letzten Aufgaben nicht so mithalten konnte wie die anderen. Ich vermute, deshalb ist sie die Einzige, die nicht wegen ihrer Arbeit von Jasmin kritisiert wird.

Kommentar der Kursleitung:
Du hast Dein Bild von Jasmin durch dieses Projekt gut ausdifferenziert.

Erkenntnisse, die ich über die anderen Kinder gewinnen konnte

Amanda:
Ohne dieses Projekt wäre mir nicht deutlich geworden, dass Amanda in ihrer Feinmotorik schon so weit entwickelt ist. Aufgrund ihres Verhaltens und dem Wissen um ihre Familiensituation passiert es häufig, dass wir sie unterschätzen.
Amanda zeigt ein extremes Kleinkindverhalten (in Bewegung und Sprache und mit dem Nuckel). Aber sie hat mir gezeigt, dass sie vielfältige Talente hat. Sie wurde von den Anderen in der Kleingruppe akzeptiert und das spiegelt sich im Verhalten der Anderen auch in der Gesamtgruppe wieder.

Raman:
Raman konnte schon am Anfang zwei Buchstaben schreiben. Er löste die Aufgaben sehr schnell, ihm war es wichtig, dass er als Erster fertig war. Dafür waren die Arbeiten öfter ungenau. Er lernte mit der Zeit, genauer zu arbeiten und sich Zeit zu lassen.

Berin:
Berin wird von zu Hause sehr gefördert und fällt bei den Kindern auf, dass sie sehr selbstbewusst ihre Wünsche durchsetzt. Sie feiert die größten Geburtstagsfeiern, bringt allen Freunden Geburtstagsgeschenke mit und bestimmt gerne. Berin hatte Jasmin und Amanda immer als „Kleine“ gesehen und sie auch so behandelt. Durch die Kleingruppenarbeit ist ihr klar geworden, was die beiden schon können. Nun akzeptiert sie Amanda. Jasmin ist nun ihre Freundin, sie spielen sehr viel zusammen. Berin schafft es nun, sich über einen längeren Zeitpunkt auf eine Sache zu konzentrieren, dies fiel ihr vorher schwer.

Planung für die Zukunft

Je mehr ich mich mit Jasmin beschäftige, umso deutlicher wird mir, dass Jasmin in einigen Bereich höher begabt ist als andere Kinder.

Es hat sich für mich ganz klar herausgestellt, dass ihr Interesse an Buchstaben längerfristig anhält. Als unser Projekt zu Ende war, kam sie ein paar Tage später mit einem Block voller Arbeitsblätter an und bearbeitete einige mit Berin und Amanda selbstständig im Gruppenraum.
Es waren teilweise dieselben Blätter, die wir bearbeitet hatten. Sie stapelte sie ordentlich in ein Regal, aufgeteilt in bearbeitet und nicht bearbeitet. Weiterhin schreibt sie Zettel, die nun nicht mehr stereotype Zeichen enthalten, sondern vielfältiger geworden sind.

Sie besteht darauf, dass wir weiter „arbeiten“, und manchmal zieht sie sich mit Berin oder Amanda in den Musikraum zurück, um zu schreiben. Da ihr Interesse am Schreiben weiter anhält, könnte ich mir eine Fortsetzung des Projektes vorstellen.

Kommentar der Kursleitung:
Das können wir uns auch vorstellen. Du solltest dabei den Anspruch deutlich erhöhen, um ihre Grenzen auszutesten und sie an ein Niveau heranzuführen, dass sie spannend findet.

Jasmins Selbstbewusstsein ist in dieser Zeit der Kleingruppenarbeit stark angestiegen. In den Schlusskreis brachte sie Postkarten aus Tunesien mit, die sie der gesamten Gruppe zeigte. Dabei erzählte sie auch Einiges, leider war nicht alles zu verstehen – aber diesen Mut hat sie vorher nicht besessen.

Da Jasmin noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hat, ist es manchmal schwierig, mit ihr zu kommunizieren. Es hat schon große Fortschritte gegeben, jedoch spricht sie nicht altersgemäß.
Mir ist aufgefallen, dass gerade die fehlenden Sprachkenntnisse Jasmin in ihren Begabungen behindern. Da sie ein großes Vertrauen in mich setzt, werde ich mir überlegen, wie ich ihr helfen kann, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern.
Es sind nicht nur die fehlenden Deutschkenntnisse, auch die Konzentration auf das Wesentliche beim Sprechen (sie redet oft sehr viel und es ist kaum etwas zu verstehen), sowie die Aussprache einiger Buchstaben sollten verbessert werden.

Ihr hat die Kleingruppenarbeit viel Spaß bereitet, so dass ich mir vorstellen könnte, in naher Zukunft ein neues Projekt zu starten, in dem ich versuchen werde, ihr bei der Sprachentwicklung zu helfen, möglicherweise in Verbindung mit weiteren „Schreibübungen“.

Jasmin beschränkt sich beim Spielen von Regelspielen darauf, sehr einfache Spiele zu spielen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie in der Lage ist, auch anspruchsvollere Spiele zu benutzen. In den nächsten Tagen werde ich beginnen, etwas schwierigere Spiele anzubieten.

Jasmin ist es sehr wichtig, dass gewisse Strukturen, wie zum Beispiel der Platz beim Mittagessen, die Einteilung der Kinder zum Turnen oder auch die Anordnung der Spiele (wo kommt was hin) klar geregelt ist. Ich werde dies in Zukunft noch mehr beachten.

Um Jasmin noch besser zu verstehen, werde ich das Gespräch mit der Mutter suchen. Mir ist aufgefallen, dass die Mutter sich zeitweise von Jasmin überfordert fühlt. Beim letzten Gespräch, als wir die Bildungsdokumentation von Jasmin besprochen haben, stellte die Mutter klar, dass sie ihre Tochter und deren Verhalten häufig nicht versteht.

Ich würde gerne mit ihr zusammen den Elternfragebogen für 4- bis 6-jährige Kinder durcharbeiten, um zu erfahren, wie sie zu dem Verhalten von Jasmin steht, inwieweit sich die Situation zu Hause geändert hat.
Jasmins Mutter hat Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache und manchmal ist es schwierig, einander zu verstehen, aber ich denke, dass ich den Elternfragebogen als Grundlage benutze und erhoffe, einiges an Informationen zu erhalten. Wichtig finde ich, dass Jasmins Mutter ein positives Gefühl und Verständnis für ihre Tochter entwickelt.

Zusammenfassend stelle ich fest, dass dieses Projekt für Jasmin die Möglichkeit war, sich weiterzuentwickeln. Sie hatte viele Erfolgserlebnisse und auch ihr Verhalten hat sich verändert.
Durch ihr gestiegenes Selbstbewusstsein hat sich ihr Status in der Gruppe geändert, sie hat in Berin und auch in Amanda Freundinnen gefunden. Sie weint nicht mehr, wenn ihr etwas nicht passt, sondern setzt sich energisch mit Worten durch. Die fehlenden Deutschkenntnisse hindern sie zur Zeit nicht mehr daran, sich zu behaupten.
Ich freue mich darauf, Jasmin auf ihrem Weg ein Stück zu begleiten.

Kommentar der Kursleitung:
Hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsentwicklung hat Jasmin anscheinend sehr von dem Projekt profitiert. Das ist ein gutes Ergebnis.
Bei der
weiteren Arbeit wäre es wichtig, wie Du selbst schon angedeutet hast, weiter auszuloten, wo ihre Grenzen sind und wo sie zu ihrer persönlichen Höchstform aufläuft.
Was das Lesen- und Schreibenlernen betrifft, würden wir folgendes
Ziel für realistisch halten: Jasmin lernt in den nächsten drei Monaten Lesen und in großen Druckbuchstaben schreiben.
Falls ihr Interesse dann daran erlahmen sollte oder sie an ihre Leistungsgrenze kommen sollte, kannst du immer noch von diesem Ziel ablassen.

Und so ging es dann weiter:

Projektgruppe:
„Die teilnehmenden Kinder können Großbuchstaben schreiben und lesen“

Folgende drei Ziele wollte ich anstreben:

    • Die Kinder können ihren eigenen Namen schreiben.
    • Die Kinder können die Namen der anderen Projektteilnehmer schreiben.
    • Die Kinder können kleine Wörter schreiben.

Schon während des vorangegangenen Projektes war mir aufgefallen, dass Jasmin mein Beobachtungskind, es bevorzugt, in einer arbeitsähnlichen Atmosphäre zu lernen. Sie selber und mittlerweile auch die anderen Teilnehmer sprechen davon, dass sie „arbeiten“ und fragen auch: “Arbeiten wir heute wieder?“

Auf meine Frage: „Was ist denn für dich arbeiten?“ kam von Jasmin ganz klar die Aussage: „Na, schreiben lernen, für die Schule.“

Jasmin kam nach ihrem Herbsturlaub aus Tunesien wieder, holte sich die Mappe mit den Arbeitsblättern aus dem letzten Projekt (die Arbeitsblätter standen in einer Mappe den Kindern zur freien Verfügung) und bearbeitete das zuletzt erarbeitete Blatt zügig und sehr ordentlich. „Guck mal, Martina, ich hab in Tunesien gelernt.“

Auf meine Frage: “Was möchtest du denn nun lernen?“ kam klar die Aussage: „Möchte schreiben lernen!“
„Warum möchtest du schreiben lernen?“ fragte ich sie und sie sagte lächelnd: “Das ist schön und ich bin dann groß.“
„Und was ist schön am Großsein?“ Sie schaute mich an, lachte und sagte: “Martina, du bist groß und schön, ich möchte auch groß sein.“ Zu mehr Aussagen ließ sie sich nicht bewegen.

In diesem Projekt werde ich den Anspruch, vor allem an Jasmin, immer wieder erhöhen, um sie an ein Niveau heranzuführen, welches ihr Spaß macht und das sie spannend findet.

Teilnehmende Kinder und Dauer des Projektes

Folgende Kinder haben von Beginn des Projektes an mitgearbeitet:

Jasmin (inzwischen 4;4 Jahre alt)

Bei ihr bin ich gespannt, inwieweit sie sich herausfordern lässt und zu welchen Leistungen sie in der Lage ist.

Raman (5;2)
Er war auch beim letzten Projekt dabei, wollte weitermachen und schreiben lernen.

Amanda (4;6)
Sie hatte am Ende des letzten Projektes Schwierigkeiten, die Anforderungen zu erfüllen. Ich habe festgestellt, dass es Amanda wenig ausmacht, wenn sie Aufgaben nicht schafft. Für sie ist es wichtig, dabei zu sein und mitzumachen. Aufgrund ihrer schwierigen häuslichen Situation ist es wichtig, dass ihr Selbstbewusstsein gefördert wird. Amanda neigt zum Kleinkindverhalten, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass ihr die Gruppe sehr wichtig ist und gut tut.

Yusuf (5;1)
Er ist im gleichen Alter wie Raman, er wollte schon während des ersten Projektes mitmachen. Da Berin die Einrichtung wechseln sollte, hat Yusuf den Wunsch geäußert, an ihrer Stelle mitzumachen. Auf seine Weiterentwicklung bin ich gespannt, da er sich im Gruppengeschehen sehr langsam gibt. Die anderen Kinder antworten für ihn, wenn es ihnen zu lange dauert.

Berin (4;3)
Sie sollte eigentlich in einen bilingualen Kindergarten wechseln und war aus diesem Grund bei den ersten beiden Angeboten nicht dabei. Als sie nach ein paar Tagen wieder zu uns zurück kam, war ihr Wunsch, wieder mitzumachen, verständlich.

Alle Kinder wollten unbedingt Schreiben und Lesen lernen, waren von Anfang an motiviert und zeigten Ausdauer und Konzentration.

Weil sowohl Jasmin als auch ich krank wurden, begann das Projekt erst später als geplant. Es fanden 15 Projekttage statt, geplant waren noch einige mehr.
Personalmangel und ein unerwarteter längerer Urlaub von Jasmin führten zur vorzeitigen Beendigung des Projektes.

Eigene Auseinandersetzung mit dem Thema

Im vorangegangenen Projekt haben die Kinder genaues Hinsehen und Unterscheiden von Formen gelernt. Dies war wichtig, damit sie lernen konnten, die abstrakte Gestalt eines Buchstabens genau und richtig zu erfassen.

Beim Erkennen und auch Wiedergeben eines Buchstabens ist es wichtig, dass Kleinigkeiten beachtet werden, zum Beispiel, ob ein Strich nach rechts oder links von einem Kringel gehört (b oder d), ob der Strich nach oben oder unten weist, zum Beispiel p oder b.

Jasmin arbeitet sehr genau, ich gehe davon aus, dass diese Fähigkeit ihr beim Schreibenlernen hilft.

Da Kinder so schreiben lernen wie sie reden, war mir klar, dass wir die Buchstaben entsprechend benennen. Ein M wird nicht EM genannt, sondern M. Ein H wird nicht HA genannt, sondern H.

Den Kindern soll deutlich werden, dass Buchstaben zusammengefügt Wörter ergeben können. Das sollen sie zuerst an ihren Namen lernen können, später an anderen einfachen Wörtern. Beispiel: J A S M I N.

Als Arbeitsmaterialien habe ich mir „Mein erstes großes Abc-Buch“ und „Mein dicker Übungsblock Schreiben und Lesen“ aus dem Cornelsen Verlag besorgt, sowie die Spiele: „Buchstaben-Box“ (ars edition) und „Wort-Ritter“ (Haba).

Um Jasmin herauszufordern, war mir klar, dass ich flexibel auf die Situation und die Arbeitsergebnisse der Gruppe eingehen musste.

Da der eigene Name meistens das erste Wort ist, das die Kinder schreiben, beginnen wir auch damit. Den eigenen Namen schreiben zu können, war ein großer Wunsch von Jasmin.

Immer wieder sollte einfließen, welche Buchstaben sich in Wörtern befinden, zum Beispiel I wie Igel, und es war von mir geplant, dass ich in der Kleingruppe darauf achte, dass Jasmin zu Wort kommt.
Aus Erfahrung weiß ich, dass Berin und Raman durch ihre guten Sprachkenntnisse dazu neigen, die Wortführer zu sein und Jasmin, Amanda und Yusuf kaum zu Wort kommen.

Um eine ganzheitliche Förderung der Kinder zu gewährleisten, war es mir wichtig, verschiedene Entwicklungsbereiche und Sinne der Kinder anzusprechen.

Im Vordergrund stand immer das Lernen von Buchstaben, dazu wurden jedoch verschiedene Methoden eingesetzt:
– Lernen und üben mit Arbeitsblättern,
– Buchstaben basteln,
– Singen,
– Gespräche,
– Bewegungsspiele.

Für jedes Kind hatte ich eine Box erstellt, in der sich ein Zettel mit dem gesamten Namen und die einzelnen Buchstaben befinden.

Projektverlauf

Das Projekt umfasste unterschiedliche Angebote, die sich zum Teil erst während des Projektes entwickelten. Mir war es wichtig, auf die Situation und die Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Zum einen wollte ich Jasmin herausfordern, um zu erkennen, wozu sie in der Lage ist, zum anderen musste ich davon ausgehen, dass die Kinder sich unterschiedlich weiterentwickeln.
Dem allen wollte ich gerecht werden und war sehr gespannt, welche Erfolge sich zeigen.

Ausgangssituation zu Beginn des Projektes

Die Kinder hatten ganz unterschiedliche Erfahrungen und Kenntnisse im Bereich der Buchstaben und des Namenschreibens.

Jasmin und Amanda konnten noch keine Buchstaben schreiben.

Berin konnte die Buchstaben A und E schreiben, ohne ihre Bedeutung zu verstehen. Sie versuchte ihren Namen zu schreiben, aber es gelang ihr nicht.

Raman konnte die Buchstaben E, H, A schreiben, aber nicht lesen.
Seinen Namen versuchte er zu schreiben, aber er reihte Buchstaben wahllos aneinander.

Yusuf versuchte seinen Namen zu schreiben, manchmal gelang es ihm, manchmal nicht.

Inwieweit die Kinder ihre Namen erkennen konnten, war mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht klar.

Die Kinder erlernen die Buchstaben der eigenen Namen

Beim ersten Treffen in diesem Projekt waren Amanda, Jasmin, Yusuf und Raman anwesend. (Berin war zu diesem Zeitpunkt abgemeldet.)

Die Kinder hatten seit dem letzten Projekt immer wieder nachgefragt, wann es denn weitergeht und wir wieder arbeiten. Der Wunsch nach Arbeitsblättern war so groß, dass ich mich immer mal wieder mit der Kleingruppe zurückgezogen hatte, um in einer arbeitsähnlichen Atmosphäre ihren Wünschen nachzukommen.

Im Nebenraum setzten wir uns auf den Boden. Ich sagte zu den Kindern, dass sie schon öfter erwähnt hätten, sie wollten schreiben lernen und ich schlug ihnen vor, dass sie ihren Namen schreiben und lesen lernen sollten. Dabei fand ich es wichtig, den Kindern eine klare Zielvorgabe zu geben. Vor allem bei Jasmin habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie sehr genau wissen möchte, was denn gemacht wird.

Die Kinder fanden diese Idee gut und Jasmin rief: „Ja, schreiben lernen!“ Sie sprang auf, umarmte mich und rief: „Danke, Martina.“
Ihre Freude war offensichtlich und auch die anderen freuten sich mit. Auf meine Frage, welche Buchstaben sie schon mal gehört haben, antworteten sie:

Jasmin: N C S N R
Raman: A B Q
Yusuf: A B C D……bis Z (er konnte das gesamte Alphabet aufsagen)
Amanda: A

Auf meine Frage, wozu wir Buchstaben brauchen, antwortete Jasmin: „Schreiben“.
Wir klärten, dass Buchstaben hintereinander geschrieben, ein Wort ergeben und die Kinder nannten Wörter und hatten Spaß daran, sich von mir die darin vorkommenden Buchstaben sagen zu lassen.
Wichtig war mir, dass den Kindern der Unterschied zwischen Buchstaben und Wörtern klar wurde.
Dieses Ziel ist erreicht worden, denn die Kinder benannten nun selber Wörter und einige Buchstaben, die darin vorkamen.

Raman konnte von vielen Wörtern, die er sich überlegte, den Anfangsbuchstaben sagen, zum Beispiel „Tasse“. Hier erkannte er das T.
Jasmin erkannte, dass in ihrer Lieblingsfarbe Rosa, ein O und ein A vorkommen.
Auch Yusuf konnte Buchstaben erkennen, nur Amanda wollte nichts sagen.

Ich verteilte Zettel mit Namen der Kinder und mit meinem Namen. Die Aufgabe lautete: „Findet euren Namen“.
Raman fand sofort seinen Namen, Yusuf überlegte, konnte dann seinen Namen erkennen und Jasmin und Amanda waren unsicher und wussten nicht, welchen Zettel sie nehmen sollten. Ich nahm mir meinen Zettel und zeigte den Beiden die Zettel mit ihren Namen.

In die Mitte legte ich viele von mir selbst gemalte Buchstaben, nahm mir ein M und erklärte, dass dies mein Buchstabe sei (weil er zu meinem Namen gehört).
Jasmin schaut auf ihren Namen und sagt: „M, auch meins“. Ich bestätigte dies, und alle suchten ihre Buchstaben und legten sie über die Namen.

Dabei erläuterte ich, dass die Buchstaben zusammen den Namen ergeben.
Die Kinder stellten fest, dass einige Buchstaben in vielen Namen vorkommen.
Jasmin bemerkte, dass das A bei ihr, bei mir und bei Amanda vorkommt.

Ich bot an, das A als ersten Buchstaben zu lernen und die Idee wurde begeistert von allen angenommen.

Gemeinsam wird der Buchstabe A gelernt

Bei diesem Angebot waren Amanda und Berin nicht dabei.

Als ich das Arbeitsblatt verteilte, sagte Raman: „Ein A, wie Affe“. Die Anderen bestätigten dies und Yusuf meinte: „A, wie Apfel“. Wir überlegten, welche Wörter noch mit „A“ beginnen. Jasmin hatte keine Idee, sie wiederholte, was die anderen Beiden sagten.

Auf dem Arbeitsblatt fuhren die Kinder das A erst mit den Fingern, dann mit dem geschlossenen Stift nach und schrieben es dann.
Jasmin schrieb ihre Buchstaben sehr genau in die Reihe, manche A jedoch verkehrt herum.
Jedes Mal wenn sie einen Buchstaben nicht korrekt hin bekam, murmelte sie: „Manno“. Ich merkte, dass sie nicht zufrieden war, und lobte sie für ihre toll geschriebenen A. Sie beschwerte sich, dass Raman zu schnell und über dem Strich schreibt. Dann lobte sie sich selber: „Hab ich super gemacht, bin groß.“

Die beiden anderen schrieben das A stets richtig herum, allerdings in unterschiedlichen Größen.

Als wir später in den Gruppenraum kamen, zeigte mir Jasmin anhand eines Buches, wo sich A befinden. Ich lobte ihre Idee, diesen Buchstaben zu suchen, und bot ihr an, doch mal anhand der Gruppenliste die Namen der Kinder mit diesem Buchstaben heraus zu suchen. Sie nahm sich die Gruppenliste und suchte Namen mit A, ich las ihr die Namen vor und Jasmin wiederholte diese.

Zwei Tage später bot ich den Kindern ein von mir selbst gestaltetes Arbeitsblatt an, dort sollten sie den Buchstaben A aus verschiedenen Wörtern herausfinden und einkreisen.
Amanda war diesmal wieder dabei. Jasmin erklärte ihr, wie ein A geschrieben wird und dass der Buchstabe in Jasmin, Amanda, Raman und Martina zu finden ist.

Die Aufgabe selber wurde von Jasmin direkt verstanden und zügig und konzentriert erledigt. Diesmal war sie sehr zufrieden mit sich und ihrer Arbeit.

Die Kinder wollten mehr arbeiten und ich bot ihnen ein Arbeitsblatt an, bei dem sie die Wörter anmalen sollten, die mit A beginnen.
Beim Besprechen der Bilder fiel auf, dass Jasmin manche Wörter nicht kannte, sie hörte aber, welche Wörter mit A beginnen.

Als die Kinder lauter wurden, beschwerte sie sich, sie habe Kopfschmerzen. Da die anderen eher fertig wurden, arbeitete Jasmin noch etwa 15 Minuten alleine weiter. Sie übergab mir ihr Blatt mit den Worten: „Jetzt hab ich richtig gemacht“ und freute sich.

Ich fragte sie, ob es ihr wichtig sei, alles richtig zu machen. Sie sah mich an und bestätigte dies: „Martina, das ist gut, alles richtig zu machen.“ Dabei lachte sie mich an.

Mir wurde klar, dass ich alleine durch die Gruppenarbeit Jasmin nicht genug herausfordern konnte. Sie wollte länger an den Buchstaben arbeiten, um diese exakt schreiben zu können. Die anderen Kinder hatten diesen Anspruch an sich selbst nicht.

Da Jasmin nicht auf normalen weißen Blättern arbeiten wollte (ihrer Meinung nach sind diese zum Malen da) beschloss ich, für jedes Kind ein Schreibheft und einen Bleistift zu besorgen. Meine Idee war es, dass Jasmin nach Beendigung des Angebotes, oder auch in den Tagen dazwischen, bei Bedarf in ihrem Heft die erlernten Buchstaben üben konnte.

Die Kinder waren begeistert und Jasmin nutzte das Angebot. Während Raman drei Reihen A schrieb, Yussuf eine, schrieb Jasmin eine ganze Seite voll und war zufrieden. Meine Befürchtung, dass ihr dieses zu langweilig sei, bestätigte sich nicht.

Kommentar der Kursleitung:
Sie folgt ja ihrem eigenen Ziel: richtig und schön schreiben können.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass Jasmin das Ziel, den Buchstaben A zu erlernen, geschafft hat. Am Anfang war sie zeitweise unzufrieden mit sich selbst, ihr gefielen ihre Buchstaben nicht. Durch das Üben wurde der Buchstabe immer besser und sie immer zufriedener.
Ihrem hohen Anspruch an sich selber konnte sie mit dem Üben im Heft genügen und je genauer ihre A wurden, desto zufriedener wurde Jasmin mit sich selbst.

Gemeinsam wird der Buchstabe I gelernt

Ich holte die Kiste hervor, in der ich die Buchstaben der Namen der Kinder aufbewahrte. Wir schauten sie uns an, und Jasmin schlug vor, das I zu üben. Alle Kinder waren damit einverstanden.
Berin war nun auch wieder bei den Gruppenarbeiten dabei.

Das Arbeitsblatt mit den I war für alle Kinder sehr einfach und zügig zu bearbeiten. Wieder war das Arbeitsblatt von Jasmin am genauesten. Auch das Herausfinden der Wörter mit I bereitete Jasmin keine Schwierigkeiten.


Insgesamt war die Aufgabe für Jasmin zu einfach, dies zeigte sich auch daran, dass sie beim Ausmalen der Wörter plötzlich aufstand und sagte: „Ich muss denken.“ Dann ging sie denkend durch den Raum, dabei murmelte sie vor sich hin. Ich fragte: „Was denkst du, Jasmin?“ Bevor sie antworten konnte, standen die anderen Kinder auch auf und gingen umher. Dies gefiel Jasmin gar nicht, sie schimpfte: „Nur ich denke, ich hab Idee.“
Dann ging sie zum Tisch zurück und malte weiter. Auf meine wiederholte Frage: „Was denkst du denn?“ bekam ich die Antwort: „Ich muss immer viel denken.“ Dann hatte sie keine Lust mehr weiter zu schreiben.

Kommentar der Kursleitung:
Ja, obwohl das I ihr eigener Vorschlag war, wurde es doch schnell langweilig für sie: Sie gibt ein deutliches Zeichen: Ich will etwas machen, bei dem ich denken muss.

Wir spielen gemeinsam das Buchstaben-Memory

Um ein wenig Abwechslung zu bekommen, noch andere Buchstaben kennenzulernen und Spaß zu haben, schlug ich den Kindern vor, ein Memory zu spielen. Aus dem Spiel: „Buchstabenbox“ entfernte ich die Buchstaben Ä, Ö und Ü.

Alle Buchstaben waren zweimal vorhanden.
Wie beim Memory wurden die Karten verdeckt hingelegt. Die Aufgabe lautete, von jedem Buchstaben zwei zu finden.

Als erstes entwickelte sich ein Gespräch über Buchstaben im Namen.
Die Kinder erkannten, dass es um Buchstaben ging, und Jasmin sagte: „Ich hab ein A und ein I in meinem Namen“. Berin stellte fest: „Ich hab ein B am Anfang.“ Raman: „Ich hab ein R, wie Robben“.

Die Kinder überlegten nun alle, welchen Anfangsbuchstaben sie haben, aber nur Berin und Raman erkannten ihren Buchstaben.
Ich zeigte den Kindern ihre Namensschilder; die Schwierigkeit für sie war, zu erkennen, welcher Buchstabe der Anfangsbuchstabe und welcher Buchstabe im Namen vorhanden ist. Jasmin wusste, dass sie ein A und ein I hat, aber sie legte die beiden zum Anfang des Namens.

Ich bot den Kindern an, die Buchstaben ihrer Namen heraus zu suchen und über die Namen zu legen. Da sie diese Aufgabe schon kannten, fiel es ihnen nicht schwer.
Jasmin legte die Buchstaben fast in umgekehrter Reihenfolge: M I N S A J. Ich las ihr vor, was sie gelegt hatte. Sie lachte und beschloss: „Nein, so nicht.“ Sie schaute sich alles nochmal genau an und legte den Namen richtig.

Kommentar der Kursleitung:
Eigentlich scheint bis auf die Verwechslung von M und N ihr Name nur rückwärts, also von rechts nach links dazustehen. Im Arabischen wird von rechts nach links geschrieben. Außerdem ist die Verwechslung von rechts und links wie von oben und unten beim Schreibenlernen recht häufig.

Auch die anderen hatten nun Spaß daran, die Buchstaben zu vertauschen, und es musste vorgelesen werden.
Zum Schluss waren alle Namen richtig gelegt und die Kinder hatten verstanden, dass die Buchstaben in einer bestimmten Reihenfolge geschrieben werden müssen, damit es den Namen ergibt.

Kommentar der Kursleitung:
Gute Idee, diese Lernschritte (Anfangsbuchstabe bzw. Buchstabe im Wort und Reihenfolge der Buchstaben ist wichtig) so leicht und spielerisch anzubieten.

Ich gab den Impuls, dass jedes Kind seinen Namen ganz langsam vorliest und so die Laute mit den Buchstaben verbindet.

Dieses kam immer wieder in den Angeboten vor: Ich sprach die Namen sehr langsam und mit Betonung aus, um immer wieder die Verbindung von Lauten und Buchstaben zu betonen.

Als wir dann Karten-Memory spielten, sollten die Kinder ihnen bekannte Buchstaben benennen und Paare finden.
Da Jasmin sich sehr gut konzentrieren kann, ist normalerweise Memory spielen etwas, bei dem sie immer gewinnt. Als sie aber zum wiederholten Male Karten aufdeckte, die sie nicht kannte, und Berin ihr diese ziemlich energisch vorsagte, fing Jasmin an zu weinen. Sie beruhigte sich ziemlich schnell wieder, aber es wurde klar: Sie ärgerte sich darüber, dass Berin schon Buchstaben benennen konnte, die sie noch nicht kannte.

Als das Kartenspiel beendet war, wollte Jasmin noch in ihrem Heft arbeiten, und sie schrieb noch eine halbe Seite mit I. Die anderen Kinder gingen in den Gruppenraum zurück und Jasmin arbeitete alleine weiter.

Kommentar der Kursleitung:
Wäre es auch eine Möglichkeit gewesen, sie gezielt noch einige neue Buchstaben kennenlernen zu lassen – vielleicht von denen, die Berin schon kennt und Jasmin noch nicht? Hätte Berin dabei vielleicht geholfen?

Später beschwerte sie sich bei mir, dass es zu laut gewesen sei und sie Kopfschmerzen gehabt habe.

Offenbar bekommt Jasmin Kopfschmerzen, wenn sie ihren eigenen Ansprüchen nicht genügt oder sie das Gefühl hat, sie müsste mehr leisten, als sie in dem Moment kann.

Kommentar der Kursleitung:
Achtung: Hier stand wieder das Zeigen, was man schon kann, im Vordergrund, weniger das Dazulernen. Es ist auch möglich, dass genau das Jasmin Unruhe und Unzufriedenheit bereitet, was dann zu Kopfschmerzen führt.

Mit Berin steht sie in unmittelbarer Konkurrenz, die Beiden sind zwar mittlerweile befreundet, aber Berin macht Jasmin immer wieder klar, das sie schon mehr kann als Jasmin.

Kommentar der Kursleitung:
Es könnte interessant sein herauszufinden, ob Jasmin bereit wäre, von Berin zu lernen, und ob Berin Lust hat, ihr Wissen mit Jasmin zu teilen.

Jasmin erlernt die Buchstaben M und N

Drei Tage später war nur Jasmin anwesend, alle anderen Kinder waren erkrankt. Jasmin bestand darauf zu arbeiten, weil sie lernen müsse. Ich bot ihr an, sich mit mir alleine zurückzuziehen. Sie freute sich und rief: „Ja, ich kann lernen!“

Kommentar der Kursleitung:
Sie ist da wirklich erstaunlich klar und offen und entschieden. Vielleicht hat das ein bisschen mit der tunesischen Herkunft der Mutter zu tun; in Tunesien ist viel lernen dürfen ein anzustrebendes Privileg.

Wir zogen uns in den Werkraum zurück und ich zeigte ihr die Kiste mit den Buchstaben ihres Namens. Sie überlegte, welchen Buchstaben sie noch nicht kannte und welchen sie lernen möchte.

Jasmin entschied sich für das M, wir beide gingen ins Büro, um das Arbeitsblatt zu kopieren, und Jasmin sagte: „M wie Maus.“ Ich erwiderte: „Oder wie Martina“. Sie lachte, überlegte und sagte dann: „M wie Metin“.

Dann fing sie an das Arbeitsblatt auszufüllen, es fiel ihr am Anfang schwer. Nach zwei Reihen wollte sie aufgeben. Ich überredete sie zum Weitermachen. Je mehr sie schrieb, desto motivierter wurde sie, zum Schluss schrieb sie sogar noch zusätzlich eine ganze Seite M in ihr Arbeitsheft.

Alles in allem arbeitete sie etwa 45 Minuten sehr konzentriert.

Als wir die Buchstaben ihres Namens wieder einräumten, zeigte sie auf das N und sagte: „Kann ich“. Sie malte ihn mir auf und sagte: „Ist ähnlich wie M“. Ich benannte den Buchstaben und wir überlegten uns gemeinsam ein paar Wörter, die mit N beginnen.

Sie schrieb noch ein paar N auf und zeigte auf das J und das S. „Kann ich nicht, muss noch lernen“, sagte sie. Sichtlich zufrieden ging Jasmin in die Gruppe.

Zwei Buchstaben ihres Namens hat Jasmin neu gelernt. Sie hat einen großen Ehrgeiz entwickelt, ihren Namen zu lernen, und ist sehr motiviert. Allerdings ist sie sehr schnell enttäuscht, wenn es nicht so klappt, wie sie es gerne hätte. Noch schlimmer ist es für Jasmin, wenn Berin ihr zeigt, dass sie etwas nicht so gut kann.

Heute war es positiv für Jasmin, dass wir alleine arbeiten konnten, sie ist nun wieder einen Schritt weiter und kann mit einem positiven Gefühl in die nächste Gruppenarbeit gehen.

Gemeinsam wird der Buchstabe S gelernt

Yusuf zeigte mir heute ein Schreibheft, das seine Mutter ihm kaufen musste. Darin hat er, während er krank zu Hause war, das Y und das U geübt. Laut Mutter war er auch zu Hause sehr motiviert und wollte die Buchstaben lernen.

Auch Raman zeigte, dass er RAMAN schreiben kann.

Berin hat so lange zu Hause geübt, bis sie ihren Namen schreiben konnte.

Sowohl Jasmin als auch Yusuf wünschten sich, dass wir nun das S lernen. Alle Kinder waren damit einverstanden.

Als erstes malten sie Drachenschwänze, die das S zeigten. Als Yusuf damit begann, den Drachen anzumalen, kritisierte Jasmin ihn: „Nein, Yusuf, wir wollen ein S machen, nicht malen.“
Dieses Blatt bereitete keinem der Kinder Schwierigkeiten.

Das 2. Arbeitsblatt dagegen bereitete allen Kindern Schwierigkeiten. Dies hatte nichts damit zu tun, dass es das 2. Blatt war, denn dies waren die Kinder gewöhnt.
Das S ist eine Herausforderung für die Kinder, sie fingen an sich gegenseitig zu kritisieren. Jasmin beschwerte sich, dass es zu schwer sei und wurde unruhig.
Yusuf fing an, aufs Blatt zu malen, Raman malte sich einen Käfer auf die Hand, Berin gab auf.
Jasmin murmelte: „Ist schwer, kann nicht.“ Die Grenze war für heute erreicht. Sie malte sich einen Teppich auf die Hand.

Alle Kinder erarbeiten zwar das Arbeitsblatt, aber merkten, dass sie diesen Buchstaben noch nicht schreiben können. Besonders Jasmin war die Enttäuschung anzusehen.
Yusuf meinte, dass er den Buchstaben brauche, und Jasmin murmelte: „Ich auch.“

Ich fragte: „Was können wir tun, damit ihr den Buchstaben, den ihr braucht, schreiben könnt?“
Die Kinder überlegten, dann schlug Jasmin vor, dass sie doch später zu Hause üben könnten, und Raman rief: „Oh ja, wie Hausaufgaben!“
Dies kam bei den Kindern gut an und wir vereinbarten, dass die Kinder, die Lust haben, Hausaufgaben machen könnten, um das S zu üben.

Jasmin packte der Ehrgeiz, sie versuchte den Buchstaben in ihr Arbeitsheft zu malen, gab aber nach vier Versuchen auf.
Als ich mir das Heft später anschaute, stellte ich fest, dass Jasmin das Prinzip des Buchstabens erkannt hatte, sie aber von der Feinmotorik her Schwierigkeiten hatte, das S zu schreiben.

Kommentar der Kursleitung:
Hier zeigt sich, wie so oft, dass der Anspruch, die Buchstaben „malen“ zu können, die Erarbeitung der Buchstaben behindert. Die Feinmotorik der Kinder, selbst der Kinder mit guter Feinmotorik wie Jasmin, reicht dann doch noch nicht ganz aus.

Deshalb noch einmal unser Vorschlag:
Die Fähigkeit, Schrift zu lesen und sich mittels Schrift mitzuteilen, ist das Erste und Wichtigste, um die Lernbedürfnisse sehr begabter Kinder zu befriedigen.
Jasmin hat das Prinzip des Buchstabens erkannt, könnte ihn also sowohl lesen als auch mit Hilfe von Stempeln, ausgestanzten Buchstaben oder auch Schreibmaschine oder Computer durchaus aktiv einsetzen, um die Schriftsprache zu nutzen. Sie ist aber jetzt ausgebremst, weil sie den Buchstaben S noch nicht gut mit der Hand schreiben kann.

Das Schreiben mit der Hand kann u.E. Jahre später – mit dann weniger Frust und Schwierigkeiten – auch noch in der Schule oder auch im Alleingang erlernt werden.

Während alle anderen aus der Gruppe sich ans Spielen begaben, holte sich Jasmin ein Mandala. Ich denke, dass sie nun ein Erfolgserlebnis brauchte, denn es hat sie getroffen, dass sie diesen Buchstaben nicht schreiben konnte.

Jasmin muss jedoch lernen, mit Misserfolgen umzugehen.

Kommentar der Kursleitung:
…und notfalls Umwege zu entdecken (siehe oben: z.B. ausgestanzte Buchstaben).

Dies ist das erste Mal, dass sie nicht geweint hat, als sie ihren Ansprüchen nicht genügte. Ich denke, das liegt mit daran, dass auch die anderen Kinder Schwierigkeiten hatten.

Zwei Tage später setzten wir uns wieder zusammen, jedes Kind hatte seine „Hausaufgaben“ entweder zu Hause oder im Kindergarten gemacht. Es wurde deutlich, dass der Buchstabe immer noch Schwierigkeiten bereitet.

Dagegen bereitete es den Kindern keine Schwierigkeiten, Wörter zu finden, die mit S beginnen. Sie hatten Spaß daran, sich Wörter zu überlegen. Von Raman und Berin war ich es gewöhnt, dass sie in der Lage sind, Wörter zu entsprechenden Anfangsbuchstaben zu finden.

Jasmin und Yusuf hatten zu Beginn des Projektes, Schwierigkeiten Wörter zu finden, da sie nicht unterscheiden konnten, ob ein Buchstabe am Anfang oder inmitten eines Wortes steht. Mittlerweile können sie es gut, sie sprechen den 1. Buchstaben lang aus und hängen dann den Rest des Wortes dran.

Amanda hörte lieber zu, sie schaffte es nicht Wörter zu finden.

Am nächsten Tag kam Jasmin freudestrahlend zu mir gelaufen und rief : „Martina, ich hab geübt.“ Sie holte sich ein Blatt und malte mir einige S auf.

Kommentar der Kursleitung:
Hartnäckiges Überwinden der Schwierigkeit. Schön…

Erlernen der Buchstaben, die noch zum eigenen Namen fehlen

Jedes Kind bekam seine Box mit den Buchstaben seines Namens. Die Aufgabe lautete: „Legt aus den Buchstaben euren Namen.“
Raman, Berin, Yusuf schafften es, ihren Namen zu legen, Jasmin brauchte ihr Namensschild und Amanda schaffte es mit meiner Unterstützung.

Nun sollte sich jeder den/die Buchstaben überlegen, die er noch nicht schreiben kann und nun lernen möchte.
Jasmin hob jeden einzelnen Buchstaben hoch, legte ihn wieder ab und sagte: „Das kann ich, dass kann ich.“ Das J hielt sie hoch und sagte: „Das ist zu schwer.“ Doch sie merkte, dass dieser Buchstabe ihr fehlte. „Martina, ich muss das hier lernen.“

Yusuf merkte, dass er noch das F lernen muss, Raman übte seinen Namen zu schreiben, Berin sollte die Buchstaben kleiner schreiben und Amanda möchte das M üben.

Jasmin fiel es schwer, das J zu schreiben, ein paar Mal gelang es ihr, dann wieder nicht.
Bei den ersten beiden Reihen wollte sie, dass ich ihre Hand führe.
Sie wurde traurig, ich schlug ihr vor, sich den Buchstaben genau anzusehen und sagte: „Schau mal, Jasmin, erst ein gerader Strich und dann ein kleiner Haken:“
Jasmin sah mich an, fing an zu grinsen und sagte: „Ich hab Idee.“


Sie malte sich einen Punkt, jeweils oben und unten, verband die beiden mit einem Strich und setzt dann den Halbkreis dran.

Kommentar der Kursleitung:
…Und kreative Überwindung von Schwierigkeiten.

Ich sah ihr beim Ausprobieren zu und platzte heraus: „Jasmin, das ist eine tolle Idee!“ Sie merkte mir meine Begeisterung an ihrer Idee an und freute sich sehr. Jasmin malte einige davon, sie freute sich: „Ich kann es“. Raman beschwerte sich, dass die J nicht so geschrieben werden. Doch Jasmin ließ sich nicht beeinflussen, sie stand zu ihrer Technik und schrieb das ganze Blatt voll.

Kommentar der Kursleitung:
Stark. Sie weiß schon: Das Ergebnis zählt, und es gibt verschiedene Wege, um etwas zu erreichen.

Zum Abschluss bringe ich den Kindern die ersten Strophe des Liedes: „Alle Kinder lernen lesen“ bei.
(Text: Refrain: Alle Kinder lernen lesen – Indianer und Chinesen – selbst am Nordpol lesen alle Eskimos – hallo Kinder, jetzt geht`s los!
Strophe 1:
A- sagt der Affe, wenn er in den Apfel beißt.
E- sagt der Elefant, der Erdbeeren verspeist.
I – sagt der Igel, wenn er in den Spiegel sieht, und wir singen unser Lied: Refrain wiederholen.)

Die Kinder hatten viel Spaß an dem Lied und Raman schlug vor, es im Morgenkreis mit den anderen Kindern zu singen.
Wir beschlossen, dies am nächsten Morgen zu tun.

Basteln der Buchstaben A / E / I und Vorstellen des Liedes
“Alle Kinder lernen lesen“ im Morgenkreis

Ich schlug den Kindern vor, die Buchstaben, die im Lied vorkommen, zu basteln. Wir könnten sie dann während des Liedes hochhalten, damit auch die anderen Kinder die Buchstaben kennenlernen.
Jasmin und Raman nannten sofort die Buchstaben, die in dem Lied vorkommen, und die Idee wurde angenommen.
Jasmin beschloss spontan, das A herzustellen, Berin wollte das I und Raman und Yusuf wollten gemeinsam das E basteln. Amanda hatte keine Lust dazu.

Jeder sollte sich selber überlegen, wie er den Buchstaben darstellt.
Eine Praktikantin erstellte mit den Kindern die Buchstaben, die Verzierung überlegten sich die Kinder selber. Sie waren mit viel Freude dabei und besonders Jasmin erarbeitete ihren Buchstaben sehr ordentlich und mit viel Ausdauer.

Im Morgenkreis regte ich an, dass die Kinder aus der Schreiblerngruppe den anderen erzählen, was wir immer im Nebenraum machen.

Raman erzählte, „dass wir Buchstaben und unsere Namen lernen“. Berin setzte hinzu: „Ich kann schon „Berin“ schreiben“, und Jasmin äußerte sich so: „Ja, wir lernen schreiben, den Namen“. Amanda sagte nichts und Yusuf überlegt sehr lange, bevor er sagte: „Ich kann meinen Namen auch schreiben.“

Ich schlug vor, dass wir das Lied mal vorsingen und die Kinder die jeweiligen Buchstaben hochhalten. Jedes Kind sang mit, so gut es konnte. Jasmin und Berin hielten ihre Buchstaben an der richtigen Textstelle hoch und Raman übernahm das E.
Wir sangen die erste Strophe und den Refrain dreimal durch und die Kinder der Vorschulgruppe beschlossen, dass sie auch ein paar Buchstaben mit der Praktikantin basteln wollten.

Wir schreiben unseren Namen

Heute wollte ich überprüfen, ob das erste Ziel erreicht wurde: dass die Kinder ihren eigenen Namen schreiben können.

Auf zwei Tischen verteilte ich Zettel mit den Namen der Kinder, darunter lag jeweils ein leeres Blatt.
Jasmin kam als erste in den Nebenraum und fragte: „Was ist das?“
Ich stellte eine Gegenfrage: „Was glaubst du?“ Sie ging um den Tisch herum und sagte: „Viele Namen, meiner ist hier“ und zeigte auf ihren Namen. Dann zeigte sie auf Amandas Schild und sagte: „Viele A“. Ich fragte: „Welcher Name hat viele A?“ Jasmin antwortete: „Amanda.“
Die anderen kamen hinzu, jeder sollte sich zu seinem Namen setzen.
Jasmin zeigte Amanda, wo sie sich hinsetzen sollte.
Sie fanden ihre Plätze und ich teilte ihnen die heutige Aufgabe mit:
„Heute sollt ihr euren Namen schreiben.“
Jasmin rief: „Ja, Namen schreiben, kann ich“.
Die Kinder schrieben ihre Namen, außer Amanda, sie sagte: „Kann nicht, male eine Kakerlake.“

Zusammenfassend kann ich sagen, das Etappenziel ist zum größten Teil erreicht worden. Davon ausgehend, dass jedes Kind andere Voraussetzungen hatte, haben alle Kinder mit viel Freude und auch Ehrgeiz versucht und auch geschafft, das Ziel zu erreichen.
Amanda hatte schon am Ende des letzten Projektes Schwierigkeiten mitzuhalten, aber es war ihr ausdrücklicher Wunsch, weiter dabei zu sein. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass es ihr etwas ausmachte, ihren Namen nicht schreiben zu können.
Die anderen haben sogar zu Hause geübt, als es schwierig wurde.

Kommentar der Kursleitung:
Hier haben die Hausaufgaben auch ihren wirklichen Sinn erfüllt: etwas zu üben, was man können will, aber noch nicht ganz zur eigenen Zufriedenheit beherrscht. In der Schule ist es leider oft ganz anders.

Jasmin hat sehr große Fortschritte gemacht. Zu Beginn des Projektes konnte sie keinen einzigen Buchstaben schreiben oder lesen.
Zweimal ist sie an ihre Grenze gekommen. Sie hat jedoch nicht aufgegeben und ihr Ehrgeiz hat dazu geführt, dass sie so lange geübt hat, bis sie den Buchstaben schreiben konnte.
Interessant war auch ihre Idee, das J auf ihre eigene Weise zu konstruieren.

Wir erkennen die Namen der anderen Teilnehmer

Ich verteilte die Namensschilder der Kinder im Nebenraum. Jedes Kind sollte sich die Namen gut ansehen und diese lesen. Um herauszufinden, wer welchen Namen (ohne Vorsagen) lesen kann, beschloss ich, diese Übung mit den Kindern einzeln durchzuführen.

Raman:
Er konnte seinen Namen, Berin und Jasmin direkt lesen. Yusuf und Amanda nach kurzem Überlegen.

Berin:
Sie konnte ihren Namen direkt lesen. Bei Amanda erkannte sie das A und das M und sagte: „AM – Amanda“. Das gleiche bei „Jasmin“ und „Raman“. Zum Schluss blieb der Name Yusuf übrig, da war mir nicht ganz klar, ob sie den Namen lesen konnte oder erraten hat.

Yusuf:
Seinen Namen hat er direkt erkannt, ebenso den von Raman. Bei den anderen hat er mit den ersten Buchstaben angefangen und dann den Namen gelesen.

Jasmin:
Jasmin erkannte ihren Namen und „Berin“ sofort. Bei „Amanda“ sagte sie: „Fängt mit A an, hat viele A, das ist Amanda“. Bei „Raman“ erkannte sie die A, das M und N. Den ersten Buchstaben sagte ich ihr vor, sie hängte die anderen dran und konnte so „Raman“ lesen.
„Yusuf“ blieb übrig.

Amanda:
Sie konnte ihren Namen anhand der A erkennen, die anderen hat sie verwechselt.

Mit jedem Kind habe ich noch einmal die Buchstaben besprochen und diese zusammengefügt. Beispiel: R A M A N = Raman.

Namensspiele in der Turnhalle

Im Rahmen der Bewegungserziehung fand heute in der Turnhalle eine Bewegungseinheit statt. Die Kinder zogen ihre Sportsachen an und fanden es toll, in die Turnhalle zu gehen. Raman fragte: „Martina, turnen wir?“ Ich stellte die Gegenfrage: „Könnt ihr euch vorstellen, was wir hier jetzt machen wollen?“ Jasmin lachte mich an und sagte: „Turnen mit Buchstaben oder Namen“. Berin stimmte zu: „Oh ja, mit Namen“. Ich bestätigte die Aussagen und nach ein paar Aufwärmübungen legten wir los.

Kommentar der Kursleitung:
Gut, dass Du hier wieder mit einer Gegenfrage antwortest und so das Denken der Kinder herausforderst.

Spiel 1.

Jeden der sechs Namen hatte ich auf jeweils sechs Blätter geschrieben und die Zettel wahllos und durcheinander in der Halle verteilt, während die Kinder auf der Bank saßen.
„Ah, unsere Namen“, sagte Raman.
Ich erklärte die erste Aufgabe: Nacheinander sollten sie aufstehen und ihre Namen herausfinden, die Zettel aufheben und uns zeigen. Danach wurden diese wieder zurückgelegt.

Fast alle Kinder haben ihre Namen wiedergefunden, Raman und Jasmin ohne einen anderen Namen aufzuheben, Yusuf und Berin hatten sich einmal vertan und Amanda hatte Schwierigkeiten, ihren Namen zu finden.
Jasmin erklärte ihr: „Du musst die vielen A suchen, das ist dein Name“ und mit dieser Hilfe fand Amanda ihre Zettel.

Spiel 2.

Wieder wurden die Zettel durcheinander in der Halle verteilt.
Ich schaltete den CD-Player ein und die Kinder tanzten nach der Musik. Sobald die Musik ausgeschaltet wurde, sollte jeder seinen Namen hoch nehmen und abgeben.

Auch dies klappte gut, Jasmin half Amanda ihre Zettel zu finden.

Spiel 3.

Ich legte die Namen auf den Boden und bat die Kinder, einen oder mehrere andere Namen vorzulesen.
Die Kinder wurden aufgeregt und Jasmin sagte: „Ja, Martina, ich will.“
Sie las und zeigte erst auf Berins Namen, dann auf „Amanda“, sie überlegte kurz und zeigte dann auf „Raman“ und „Yusuf“ und las sie alle vor.
Raman erkannte Jasmins, Berins, Yusufs Namen direkt und sagte: „Die vielen A ist Amanda.“

Yusuf und Berin überlegten bei jedem Namen sehr genau, hatten aber keine Probleme, alle zu finden.
Amanda erkannte ihren Namen und Ramans Namen.

Spiel 4.

Fünf mal wurde jeder Name in der Turnhalle verteilt. Ich erklärte den Kindern, dass ich ihnen eine Geschichte erzählen würde und sie jedes Mal, wenn sie einen der Namen hören, sie zu diesem Zettel gehen sollten.
Wir starteten einen Probelauf und ich stellte fest, dass die Kinder zu ihrem eigenen Namen gingen.
Also erklärte ich es noch einmal und fragte dann nach. Von Raman kam: „Wenn du `Berin‘ sagst, müssen wir dahin gehen“, und Jasmin folgerte: „Ja, nicht nur unseren Namen“. Berin holte aus: „Wenn du sagst „Amanda“, dann gehen wir zu Amandas Namen, wenn du „Yusuf“ sagst, gehen wir zu dem Namen“ und sie wiederholte alle Namen. Nun konnten wir anfangen.
Nach jedem vorgelesenen Namen machte ich eine Pause.

Die Geschichte:
„Es beginnt ein neuer Morgen, viele Kinder liegen noch im Bett und schlafen. Draußen ist es noch dunkel und verschneit. Eine Mutter geht ins Kinderzimmer und macht das Licht an. Dabei sagt sie: “YUSUF, aufstehen“.
Er möchte nicht aufstehen und sie beschließen, dass er noch eine halbe Stunde weiter schlafen darf.
Ein paar Straßen weiter wird eine kleine Schwester wach und schreit, sie bekommt die Flasche. Der Frühstückstisch wird gedeckt, die Mutter kocht Kaffee. RAMAN zieht sich alleine an und kommt zum Frühstücken.
Das rote Auto steht bereit, nur die Kinder fehlen. Das Mädchen sucht seine Handschuhe, findet sie aber nicht. Die kleine Schwester geht zum Auto vor und AMANDA läuft hinterher.
Im Kindergarten sitzt ein Mädchen an der Garderobe und zieht die Jacke aus. Die Stiefel werden weggeräumt und die Brotdose ins Regal gestellt. Die Kinder am Frühstückstisch rufen: „JASMIN“.
Ein weiteres Kind kommt an, er hat seinen Bruder dabei und diskutiert mit der Mutter. Diese kommt in die Gruppe und begrüßt alle. YUSUF geht in die Bauecke.
Am Frühstückstisch sitzt noch ein Mädchen und isst Obst. Sie hatte ihren Teddybären dabei. Als sie aufgegessen hat, geht BERIN in die Puppenecke.
Alle Kinder spielen.
In der Bauecke wird es laut. YUSUF schimpft, weil jemand seinen Turm zerstört hat.
In der Puppenecke wird gekocht, AMANDA deckt den Tisch. Am Maltisch schneidet JASMIN einen Clown aus. BERIN geht ins Musikzimmer und hört eine CD. RAMAN hüpft hinterher.“

Diese Aufgabe war für die Kinder sehr schwierig.

Die meisten konnten zwar die Namen der anderen lesen, aber für diese Aufgabe mussten die Kinder sich konzentrieren, den vorgelesenen Namen erfassen und dann diesen in der Turnhalle suchen.

Jasmin half immer wieder Amanda, den richtigen Namen zu finden. Sie bemühte sich sehr. Berin schien manchmal darüber genervt zu sein, aber Jasmin ließ sich nicht beirren.

Auf meinen Vorschlag, dass jemand von den Kindern die Erzählerrolle übernimmt, wollte keines der Kinder eingehen.

Abschlussspiel:

Alle Zettel lagen verteilt auf dem Boden, alle Kinder liefen herum. Wenn ich das Tamburin einmal fest schlug, sollte der gerufene Namenszettel aufgehoben werden.
Wir starteten einen Probelauf, bei dem Jasmin, Berin und Amanda ihre eigenen Namen holten. Als sie bemerkten, dass Raman und Yusuf die meisten Zettel holten, änderten sie ihr Verhalten.

Beim richtigen Spiel ging es darum, einen Gewinner auszumachen (so enden unsere Bewegungsstunden gewöhnlich). Dabei holten die Mädchen auf. Jasmin schaffte es, mit Raman zu gewinnen.

Ich denke, dass die Konzentration der Kinder zu diesem Zeitpunkt immer geringer wurde. Als den Mädchen klar wurde, worum es ging, mobilisierten sie noch mal alle Kräfte.
Jasmin war sehr stolz auf sich und äußerte es mit den Worten: „Hurra, ich hab geschafft.“

Wir schreiben die Namen der anderen Teilnehmer

Raman kam zu mir und berichtete, dass er nun das S kann, Jasmin sagte: „Martina, hab das D gelernt.“

Kommentar der Kursleitung:
Hier deutet sich an, dass es zum Selbstläufer werden könnte.

Als wir uns diesmal in den Nebenraum zurückzogen, stellte ich die Frage: „Habt ihr Lust, heute mal die Namen der anderen Kinder zu schreiben?“

Die Reaktionen der Kinder waren unterschiedlich. Raman, Yusuf und Berin waren sofort damit einverstanden und wollten direkt anfangen. Sie holten sich die Namensschilder aus den Boxen. Jasmin und Amanda waren skeptisch. Ich fragte nach und Jasmin sagte: „Kann nicht alle schreiben.“ Amanda nickte.
„Dann schreibt die Namen, die ihr schreiben könnt.“
Jasmin sah zu, wie die anderen Kinder begannen und fing an: „Jasmin“, „Berin“ und „Raman“ zu schreiben.

Raman schrieb seinen Namen und die von Jasmin, Berin und Amanda. Yusuf schrieb alle Namen, Berin schrieb „Raman“ und „Yusuf“. Amanda malte.

Dann schlug Jasmin vor, die Namen auch in ihre Hefte zu schreiben, und die anderen waren einverstanden. Dabei entwickelte sich ein Gespräch, in dem die Kinder auch noch andere Namen schreiben wollten.
In ihr Heft schrieben:
Jasmin: Jasmin, Berin, Raman, Martina, Nele
Berin: Raman, Martina, Amanda, Nele, Nadine
Yusuf: Yusuf, Jasmin, Raman, Berin, Amanda
Raman: Raman, Jasmin, Amanda, Berin, Yusuf, Malin
Amanda schrieb viele A

Ihre eigenen Namen haben die Kinder dabei auswendig ohne Vorlage hingeschrieben.

Das Ziel „Wir schreiben die Namen der anderen Teilnehmer“ ist teilweise erreicht worden. Die eigenen Namen konnten alle Kinder außer Amanda schreiben. Für die anderen Namen brauchten sie die Hilfe der Namenszettel.
Der Grund liegt meiner Meinung darin, dass wir uns sehr viel Zeit genommen haben, die eigenen Namen zu lernen. Für die Namen der anderen hatten wir nicht mehr so viel Zeit.
Das lag daran, dass ich erfahren hatte, dass Jasmin nun plötzlich für einige Wochen nach Tunesien flog. Die Zeit war also sehr begrenzt und ich hatte den Eindruck, die Kinder weiter voran kommen wollten.

Das Ziel, den eigenen Namen schreiben und lesen zu können, war nun erreicht und die Kinder wollten „mehr“, vor allem Jasmin und Raman.
Ich denke, dass die Kinder im Laufe der Zeit auch die anderen Namen schreiben und lesen lernen.

Jasmin hatte Schwierigkeiten, das Wort „Yusuf“ zu schreiben. Die Buchstaben hatten wir nicht so ausführlich geübt, und sie verweigerte sich.
Hier zeigt sich meiner Meinung nach wieder, dass Jasmin hohe Ansprüche an das Ergebnis der eigenen Tätigkeit hat. Ihr war klar, dass sie den Namen nicht perfekt schreiben kann, und so versuchte sie es erst gar nicht.

Wir schreiben kurze Wörter

Der letzte Tag vor Jasmins Urlaub begann mit ihrer freudigen Aussage, dass sie nun das D gelernt habe. Als Einzige aus der Gruppe hatte sie zu Hause weiter geübt.

Amanda war an diesem Tag nicht anwesend.
Ich hatte kleine Zettel mit kurzen Wörtern vorbereitet, wie Tor, Haus, Mann, Ball, Mama, usw. „Au ja, Wörter schreiben“, rief Raman.
Jedes Kind suchte sich ein Wort aus, ließ es sich vorlesen und schrieb es dann auf.
Sie arbeiteten konzentriert etwa 30 Minuten.
Jasmin und Raman sagten sich selber langsam die Wörter vor, während sie sie schrieben.
Berin fragte bei jedem Wort, das sie schrieb, welches der letzte Buchstabe sei und wie er heiße. Sie schrieb die Wörter: Haus, Hand, Hase, Auto, Nase.
Raman schrieb: Haus, Auto, Baum, Bus. Dann möchte er das Wort „Eisenbahn“ aufgeschrieben haben und schreibt es ab.
Jasmin schrieb: Baum, Mann, Haus, Hand, Tor, Ball (siehe Foto).
Yusuf schrieb langsam: Tor, Haus.

Als die Kinder fertig waren, gingen sie in den Gruppenraum und präsentierten den anderen Kindern ihre Arbeiten. Berkant aus der Vorschulgruppe fragte mich daraufhin mit vorwurfsvoller Stimme, wann sie denn nun schreiben lernen würden, sie wären schließlich älter. Ich verwies darauf, dass sie zur Zeit die Zahlen lernten, und wenn dies beendet sei, könnten wir auch mit dem Schreiben beginnen.

Als die Kinder in den Nebenraum zurück kamen, besprachen wir, dass Jasmin für längere Zeit in Urlaub fährt.
„Was ist mit Arbeit?“ fragte Jasmin.
Ich schlug den Kindern vor, mit dem Projekt weiter zu machen, wenn Jasmin zurückkommt, die Kinder waren einverstanden.

Meine Idee ist, dass wir nach ihrem Urlaub noch ein paar Buchstaben lernen könnten, danach das ABC herstellen und vielleicht eine Geschichte schreiben könnten (ein Gemisch aus selbst geschriebenen und gedruckten Wörtern, je nach Können der Kinder).
Das fanden die Kinder gut, und Yusuf sagte das gesamte ABC auf.
Jasmin stellte fest, dass wir noch viel lernen müssten, und Raman bestätigte dies.
Berin vergewisserte sich, dass ihre Arbeiten alle in ihren Mappen abgeheftet werden, und die Kinder gingen zurück in den Gruppenraum.

Ich erklärte den Kindern, dass die Boxen mit den Namensschildern und den Buchstaben zur freien Verfügung stünden und dass jeder, der möchte, sich die Teile nehmen kann, um an ihnen zu üben.

Interpretation des Projektes

Auch während dieses Projektes waren die Kinder immer mit Freude und Ausdauer bei den Angeboten dabei.
Durch Yusuf ist nun ein neues Kind hinzu gekommen, das sofort in der Gruppe akzeptiert wurde.
Diese kleine Gruppe ist so zusammengewachsen, dass die Kinder auch in anderen Situationen zusammen spielen und arbeiten.

Alle Kinder haben von diesem Projekt profitiert, wenn auch in unterschiedlichem Maße.

Überprüfung der Ziele

Das erste Ziel, das ich mir gesetzt hatte, lautete: “Wir schreiben unseren eigenen Namen“.
Dieses Ziel ist, von Amanda abgesehen, von den Kindern erreicht worden.
Jasmins Wunsch war es, ihren Namen schreiben zu können, und sie hat es geschafft.

Die Kinder haben gemeinsam gelernt, einige Buchstaben zu lesen und zu schreiben, und es wurde auch zu Hause gearbeitet.

Dieser Teil des Projektes dauerte am längsten, weil es einige Zeit in Anspruch nahm, das Schreiben der Buchstaben zu üben.

Das zweite Ziel lautete: „Wir schreiben die Namen der anderen Teilnehmer“.
Dieses Ziel ist teilweise erreicht worden.

Jasmin hat „Berin“ und „Raman“ geschrieben, sie kann aber anhand der erlernten Buchstaben auch „Amanda“ schreiben.
Viel mehr Spaß hat es ihr gemacht, noch „Martina“ und „Nele“ zu schreiben.

Kommentar der Kursleitung:
Jetzt kann sie das Gelernte flexibel anwenden, das gibt Befriedigung.

Berin kann „Raman“, „Jasmin“ und „Amanda“ schreiben, zusätzlich noch „Martina“, „Nele“, „Nadine“.

Yusuf und Raman können alle Namen der Teilnehmer aus der Gruppe schreiben.

Amanda hat das A schreiben gelernt.

Warum haben nicht alle Kinder das Ziel erreicht?

Bei Amanda war von Anfang an klar, dass sie in diesem Projekt überfordert werden würde.

Kommentar der Kursleitung:
Aber Deine Einschätzung, dass sie gut damit umgehen kann, in der Gruppe bei dieser spezifischen Beschäftigung die Schwächste zu sein, hat sich ja bestätigt. Und Deiner Schilderung entnehmen wir, dass sie sich zugehörig gefühlt hat.

Berin und Jasmin haben den Namen „Yusuf“ nicht schreiben können und auch nicht schreiben wollen.
Bei Berin liegt es meiner Meinung daran, dass sie es nicht wollte, weil sie Yusuf nicht besonders mag.

Bei Jasmin liegt es daran, dass sie aufgrund ihrer eigenen hohen Erwartung an ihre Fähigkeiten, dies es erst gar nicht versuchte, weil sie wusste, dass sie es nicht so gut kann wie die anderen Namen.

Alle Kinder schrieben aber mit Begeisterung auch noch andere Namen, so dass ich mich entschloss, das vorgesehene dritte Ziel anzugehen.

Das dritte Ziel: „Wir können kleine Wörter schreiben“ ist von allen Kindern, außer Amanda, erreicht worden.

Allerdings können die Kinder die Wörter nur abschreiben, lesen können sie nur die Wörter, deren Buchstaben sie sehr gut kennen.

Für das nächste Angebot hatte ich geplant, mit den Kindern Wörter zu lesen, die aus den Buchstaben bestehen, die sie schon kennen.
Das konnte ich aufgrund des plötzlichen Urlaubs von Jasmin den Kindern nicht mehr anbieten.

Erkenntnisse, die ich über Jasmin gewinnen konnte

Jasmin hat sich während des Projektes ständig weiterentwickelt und war immer mit Begeisterung dabei.

Sie hat gezeigt, dass sie weiterhin ein großes Interesse am Schreiben und Lesen hat. Ihre Mutter musste ihr sogar Übungshefte und Lernhefte zum Buchstabenlernen kaufen.
Sie hat gezeigt, dass sie eine schnelle Auffassungsgabe besitzt. Jasmin war es immer klar, was sie lernen sollte, und sie hat sehr schnell gemerkt, wie schwer oder leicht es ihr fällt. Manchmal genügte ein Blick von ihr auf die Arbeitsmaterialien und ihr war klar, wie das Angebot nun weitergeht.

Sie hat durch ihr Einfühlungsvermögen und ihre hohe Beobachtungsfähigkeit immer wieder Amanda geholfen, wenn diese nicht weiter wusste. Sie hat sie nie kritisiert, dabei hatte Amanda sie, laut Interessenfragebogen, vor Beginn der Projekte genervt.
Sie hat gezeigt, dass sie eine lange Aufmerksamkeitsdauer in der Kleingruppe hat. Sie konnte und wollte immer länger als die anderen Kinder arbeiten. Dies hat sich auf ihr Verhalten im Gruppengeschehen ausgewirkt. Während sie sich früher im Gruppenraum sehr leicht ablenken ließ und sie sich immer nur kurz beschäftigte, schafft sie es nun auch im Gruppengeschehen, sich langfristig zu beschäftigen.
Sie hat gezeigt, dass sie hohe Ansprüche an sich selbst hat. Buchstaben, die sie nicht konnte, hat sie so lange zu Hause geübt, bis sie ihren Ansprüchen genügten.
Sie hat ihre Sprache so verbessert, dass sie den anderen Kindern nun auch ihren Humor zeigen kann. Im Morgen- und Schlusskreis ist sie nun ein aktives Mitglied und scheut sich nicht mehr zu reden.

Sie hat gezeigt, dass sie eine hohe Sensibilität besitzt. Sie erkennt zum Beispiel sofort, wie es mir oder auch den Kindern aus der Kleingruppe geht und spricht uns nun, im Gegensatz zu früher, darauf an. Leider melden sich aufgrund der angespannten Familiensituation ihre psychosomatischen Beschwerden zur Zeit wieder. Jasmin fängt auch bei aus- und nichtausgesprochener Kritik seitens der Kinder und auch der Erzieherin im Moment direkt an zu weinen. Es reicht schon ein Erzieherwechsel aus einer anderen Gruppe.
Sie hat gezeigt, dass sie sehr schnell die Buchstaben und Wörter lernen konnte. Sie hatte, abgesehen von Amanda, die geringsten Vorerfahrungen in diesem Bereich und steht nun mit den anderen auf einer Wissensstufe.
Jasmin ist viel selbstbewusster geworden. Früher war Berin die treibende Kraft in der Beziehung gewesen. Dieses Verhältnis ist nun ausgeglichen, und wir haben auch schon Situationen erlebt, in denen Jasmin beschäftigt war und Berin ihre Aufmerksamkeit mit allen Mitteln erhalten wollte. Dies wäre vor Beginn des Projektes nicht möglich gewesen.

Mein persönliches Verhältnis zu Jasmin ist intensiver geworden. Mit vielen ihrer Ideen, Wünsche und Probleme wartet sie, bis ich in der Gruppe bin und wir darüber sprechen können.
Durch meine Arbeit mit Jasmin und den damit verbundenen Informationsaustausch mit den Kolleginnen aus der Gruppe haben diese ein neues Verständnis für Jasmin entwickelt.
Während die Kolleginnen früher häufig genervt von Jasmins Art (Weinen, Schmerzempfindlichkeit) waren und sie deshalb ihre Fähigkeiten nicht mehr sehen konnten, hat sich dies nun sehr verbessert.

Kommentar der Kursleitung:
Jasmin und Du, Ihr habt in der kurzen Zeit sehr viel erreicht.

Erfahrungen mit den anderen Kindern

Alle Kinder haben sich während des Projektes weiterentwickelt und viel gelernt.
Die Kinder haben nicht nur ein wenig schreiben und auch lesen gelernt; auch ihr Selbstbewusstsein ist gestiegen und sie treten nun gerade unserer großen Jungentruppe (angehende Schulkinder) energisch entgegen. Dafür werden sie wiederum von ihnen akzeptiert.

Für Berin war es wichtig zu erkennen, dass auch die anderen Kinder etwas können.

Berin kann sich sehr gut ausdrücken und steht gerne im Vordergrund. Während der Kleingruppenarbeit hat sie mitbekommen, dass die anderen Kinder aus der Gruppe genauso gut schreiben können wie sie.

Für Yusuf war es wichtig, in dieser Kleingruppe seine Fähigkeiten zu zeigen. In der Gesamtgruppe gehen sie oft unter, da er langsam redet und reagiert.
Gerade die großen Jungen übervorteilen ihn, und er versucht dies mit immer neuen Spielsachen, die er mitbringt, zu kompensieren.
Er war in der Gruppe ein wichtiges Mitglied und alle hörten ihm fasziniert zu, als er das ABC vorsagte. Mit Raman hat er sich angefreundet, sie spielen nun auch häufiger außerhalb der Kleingruppe zusammen.

Raman hat während dieses Projekts sein Sprachverhalten sehr verbessert.
Er redet zur Zeit sehr viel und hat angefangen, Witze zu machen und manchmal die Kinder auf den Arm zu nehmen, was diese jedoch häufig nicht verstehen.

Für Amanda war es wichtig, weiterhin in dieser Gruppe mitzumachen. Aufgrund ihrer belastenden Familiensituation hat sie sehr große Minderwertigkeitsgefühle – und diese Gruppe bedeutet ihr sehr viel. Sie muss nicht alles können, es geht Amanda um andere Dinge als darum, Schreiben zu lernen.

Planung für die Zukunft

Sobald Jasmin aus ihrem Urlaub zurück kommt, werde ich mit der Mutter die Bildungsdokumentation besprechen. Den Anlass werde ich nutzen, um mit ihr die Fortschritte von Jasmin zu besprechen und zu erfahren, wie die Beziehung zwischen Mutter und Tochter sich entwickelt hat.

Das Projekt sollte weiterlaufen, da das Interesse der Kinder sehr hoch ist, vor allem bei Jasmin.
Sie hat in ihrer Sprachentwicklung sehr große Fortschritte gemacht, allerdings gibt es Laute, die sie nicht korrekt ausspricht.
Nach ihrem Urlaub werde ich einige Übungen mit ihr machen, um herauszufinden, ob ich der Mutter empfehle, einen Logopäden aufzusuchen.

Die Kinder der Kleingruppe haben ihre Kenntnisse immer wieder ins Gruppengeschehen eingebracht, zum Beispiel schlug Raman während des Kaffeeklatsches vor, doch erst mal allen Kinder mit „A“ im Namen den Nachtisch zu geben.

Oder als wir die Kinder zum Anziehen in den Flur schickten, hatte Jasmin die Idee, erst mal alle Kinder, die ein „I“ im Namen haben, zu schicken.

Es hat sich entwickelt, dass die anderen Kinder der Gruppe ein Stück mit einbezogen wurden, sei es durch das gelernte Lied oder auch dadurch, dass beim Vorlesen der Namen der Anwesenheitsliste nicht der Name, sondern erst der Anfangsbuchstabe, dann der zweite usw. vorgelesen wurde.
Die Gesamtgruppe hat von diesem Projekt profitiert, und der Wunsch der angehenden Schulkinder nun auch schreiben zu lernen, ist verständlich.

Noch ein Effekt: Zum Beispiel sitzt die kleine Gülten, 2;2 Jahre alt, auf der Toilette und singt lauthals: „Ein A, ein I, ein A, ein I…“

Jasmin hat immer wieder auch zu Hause geübt und diese „Hausaufgaben“ mitgebracht.

Da auch ein Interesse der Gesamtgruppe an dem Projekt besteht, werden wir das selbst erstellte ABC im Gruppenraum aufhängen und dies bei unser nächsten Themenplanung berücksichtigen.

Einen Tag nach Beendigung unseres Projektes wollte die Jahrespraktikantin ein Angebot machen. Sie legte Zettel mit Namen der Kinder auf den Boden und die Kinder sollten ihren Platz suchen.
Berin setzte sich auf den Platz, auf dem Jasmins Name stand. Jasmin ging somit zu Berins Platz, schaute sich den Namen an und sagte: „Nee, kann nicht sein, ist Berins Platz.“
Als Nele fragte: „Ja, was machen wir denn jetzt?“, drehte sich Jasmin zu Berin um und sagte zu ihr: „Berin, du bist falsch, hier ist dein Platz.“

Diese Situation hätte es vor drei Monaten noch nicht gegeben.

 

Datum der Veröffentlichung: Februar 2015
Copyright © Martina Böckling, siehe Impressum

Drei kleine Mädchen sind die „Denkgruppe“

von Martina Böckling

 

Überlegungen zum Thema

Meine Idee war, das Projekt „Club der Denker“ zu nennen. Die Kinder waren begeistert von dem Namen, im Laufe des Projekts nannten die Kinder es selber um in: die „Denkgruppe“.

Jasmin fragte mich tagein, tagaus, wann wir wieder „arbeiten“. In Gesprächen machte sie mir klar, dass für sie „arbeiten“ nun heißt: Sie möchte besser denken lernen, sie hat viel Freude am Denken und es ist ihr wichtig.

Mehr über Jasmin:

Jasmin, 3;4 Jahre

Eine Dreijährige will schreiben

Jasmin (4;7) schreibt eine Geschichte

Kurz vor Beginn des Projektes (vor den Sommerferien) hatte ich den Eindruck, dass Jasmin wieder unsicherer, zurückhaltender und stiller wurde. Sie weinte schnell und schien allgemein unglücklicher als sonst zu sein. Die Kolleginnen aus der Gruppe hatten denselben Eindruck. Sie meinten, Jasmin bekomme zu wenig Aufmerksamkeit. Ich selber sah es nicht so und nahm mir vor, der Sache auf den Grund zu gehen.

 

…kurz gefasst…

Die vierjährige Jasmin spricht darüber, dass sie gern denkt. Die Autorin greift dieses Interesse auf, sie lädt noch zwei andere vierjährige Mädchen hinzu und trifft sich regelmäßig mit dieser Kleingruppe zu verschiedenen Denkspielen (Tischspiel, Arbeitsblätter, Denkspiele in der Turnhalle, Sudoku). In Gesprächsrunden beschäftigt sich die Gruppe mit dem Denken. Schließlich ergibt sich daraus die Idee, ein Denkspiel für die Gruppe zu basteln. Sie wird in die Tat umgesetzt.

Bei einem Ausflug auf die Wiesen am Rhein stellte sich heraus, dass Jasmin sich als „dumm“ titulierte. Sie verlor einen Strumpf (beim Muscheln suchen) und fand ihn nicht wieder. Allerdings bemerkte sie dies ziemlich schnell. Ich ging mit ihr zusammen zurück, um ihn zu suchen. Jasmin fand noch einige Muscheln, ich fand den Socken.
Ihre Reaktion bestand darin, sich mehrmals als dumm zu bezeichnen, nur weil sie den Socken verloren hatte. Meine Erklärung, dass sie nicht dumm sein könne, denn sie habe doch gemerkt, dass der Socken fehlte, nahm sie dankbar an. Sie kam zu dem Schluss, sie habe den Socken verloren, weil sie so viele Muscheln gesammelt habe. Und das sei nicht schlimm ist, weil sie es doch gemerkt habe.

Jasmins Mutter erzählte mir, dass sie sich im Gespräch mit der Ärztin vom Gesundheitsamt, die einmal jährlich in unsere Kita kommt, sehr geärgert habe. Die Ärztin habe Jasmins eingeschränkte Sprachkenntnisse bemängelt und sie als „dumm“ hingestellt. Sie (die Mutter) wolle nichts mehr mit der Frau zu tun haben und beim nächsten Gespräch sollte ich dabei sein.

Man muss dazu wissen: Als Jasmin mit 2;8 Jahren in unsere Kita kam, sprach sie noch kein Wort Deutsch.

Nun hoffte ich eine Erklärung für Jasmins Idee gefunden zu haben, dass sie „dumm“ sei.
Da ich selber mit der Ärztin gesprochen hatte (die sich im übrigen auch mit Hochbegabung auskennt) konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Sache so abgelaufen war.
Für mich war es deshalb sehr wichtig, ein Projekt zu starten, in dem Jasmin wieder Selbstvertrauen gewinnt, das ihr Spaß macht und in dem sie ihre Stärken herausfinden kann.

Da „Denken“ ein wichtiger Bereich für Jasmin ist, habe ich mich entschieden, dies in mein Projekt einzubauen. Ein Beispiel zeigt, wie Jasmin mit dem Denken umgeht:
Amanda nimmt einem Kind den Stuhl weg, während es sich gerade hinsetzen möchte. Eine Kollegin schimpft mit ihr und Amanda fragt: „Warum?“ Die Kollegin sagt zu ihr: “Amanda, denk mal nach“. Amanda fragt: „Hä?“

Daraufhin steht Jasmin auf, geht zu Amanda und sagt zu ihr: „Amanda, du sollst denken.“ Amanda: “Denken?“
Jasmin erwidert: „Ja, denken, denken ist wichtig“. Dabei zeigt sie auf den Kopf: „Du musst viel denken.“
Amanda sagt: „O.k., ich denke jetzt“.
Nachdem Jasmin dies geklärt hat, setzt sie sich zufrieden auf einen Stuhl.

Die Kinder

Ich habe mich für die Kleingruppenarbeit entschlossen, und zwar aus folgenden Gründen:

    • Es ist mir wichtig, dass Jasmin gemeinsam mit Kindern, die ähnliche Begabungen und Interessen haben, intensiv arbeiten kann.
    • In einer ruhigen Umgebung kann Jasmin konzentrierter arbeiten, sie kann sehr schlecht Lärm ertragen und wirkt dann unkonzentriert.
    • Ich selbst kann mich gut auf die (wenigen) Kinder einstellen und reagieren.

Jasmin ist mein Beobachtungskind (im IHVO-Zertifikatskurs) und mittlerweile 4;10 Jahre alt.
Sie möchte eigentlich jeden Tag mit mir arbeiten und genießt die Zeit, die sie mit mir außerhalb der Gruppe verbringen kann.
Ihre Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache sind deutlich geringer geworden, aber längst noch nicht verschwunden.
Sie hat in den letzten Monaten große Entwicklungsschritte gemacht und ich war mir sicher, das zu dieser Zeit fehlende Selbstbewusstsein könnte wieder aufgebaut werden.

Berin (4;9) wird von zu Hause aus sehr gefördert und probiert sich in vielen Kursen aus: Malen, Klavierspiel, Ballett und Schwimmen. Sie ist sprachlich den anderen Kindern weit voraus und nutzt dies auch aus. Jasmin ist an ihr gewachsen und gibt ihr immer mehr Kontra.
Beide können sehr viel zusammen spielen. Es kann sich jedoch auch Streit entwickeln, wenn Jasmin sich nicht so verhält, wie Berin es möchte. Es passiert zur Zeit häufig, dass Jasmin sich sehr viel gefallen lässt und sie dann keinen glücklichen Eindruck macht.

Juline ist die Jüngste von den Dreien, sie ist erst 4;2 Jahre alt. Sie wird nach meinem Eindruck zu Hause wenig gefördert und wirkt häufig uninteressiert, gelangweilt, provoziert auch mal gerne.
Ich habe ein gutes Verhältnis zu ihr aufbauen können und ich konnte beobachten, dass sie offenbar mehr kann als sie zeigt. Deutlich wurde es mir beim Besuch des Gesundheitsamtes. Ich war bei der Voruntersuchung dabei (Hör- und Sehtest). Ich mischte mich nicht ein und sah zu, wie sich Juline gegenüber der Arzthelferin regelrecht „dumm stellte“.

Diese sagte dann zu mir, andere Kinder müssten Juline zeigen, was sie machen sollte, weil sie es nicht verstehe und Angst habe. Ihre Aussage: „Solche Kinder gibt es immer wieder.“ Juline und ich sahen uns an und sie grinste. Mir war klar, dass sie einfach keine Lust hatte, sich mit dieser Frau und diesen Aufgaben abzugeben. Juline merkte, dass ich genau wusste, was los war. Ich glaube, wir beide amüsierten uns.

Lesen Sie auch: Verbergen von Fähigkeiten und Interessen.

Im anschließenden Gespräch sagte mir die Ärztin, es lohne sich, in dieses Kind zu „investieren“. Für ein Kind, das keinerlei Förderung zu Hause bekomme, sei sie sehr weit entwickelt. Bei der Ärztin hatte Juline übrigens keine Schwierigkeiten, alles mitzumachen.
Ich hoffte, dass alle Drei – Jasmin, Berin und Juline – zusammen ein gutes Team sein würden.

Zielsetzung des Projektes

Meine Ziele für Jasmin, das vermutlich hoch begabte Kind:

Im Alltag erlebe ich immer wieder zwei Jasmins:
Eine, die unruhig und unkonzentriert ist, die ihre Aufgaben nicht zu Ende erledigt und vieles ratz-fatz macht. Der Reiz einer Aufgabe ist schnell vorbei, und etwas Neues muss her.
Dann die andere Jasmin, die hochkonzentriert, genau und exakt arbeitet, die ein großes Durchhaltevermögen und auch Humor besitzt.

Folgende Ziele waren mir für Jasmin wichtig:

    • Jasmin erweitert ihre Fähigkeiten in Bezug auf wahrnehmen, vergleichen, ordnen.
    • Jasmin erweitert ihren Wortschatz durch Vertiefung von Begriffen und durch Gespräche.
    • Jasmin erlebt sich als ein wichtiges Mitglied der Kleingruppe und stärkt ihr Selbstvertrauen.
    • Jasmin schafft durch intensive Beschäftigung mit Berin und Juline, die Kontakte zu intensivieren und diese auch in der Gesamtgruppe zu leben.
    • Jasmin ist in der Lage, bei auftretenden Schwierigkeiten (Verständnisfragen, Bevormundung durch Berin) darüber zu reden und ihren Weg der Auseinandersetzung zu finden.

Meine Ziele für die anderen Kinder:

Berin
– Berin erkennt, dass auch andere Kinder Fähigkeiten und Fertigkeiten haben.
– Berin ist in der Lage, ihre Fähigkeiten in der Beobachtungs-, Merk- und Denkfähigkeit zu steigern.
– Berin erfährt sich als Mitglied der Gruppe.

Juline
– Juline erfährt sich als Teil der Gruppe und ist in der Lage, diese Beziehungen auch in der Gesamtgruppe zu leben.
– Juline steigert ihre Fähigkeiten zu beobachten, zu denken und sich etwas zu merken.
– Juline ist in der Lage, ihre Fähigkeiten zu zeigen.

Für alle Drei erhoffe ich mir, dass sie im Projekt viel Spaß haben, sich wohl fühlen, die Zeit genießen und dass wir viel zusammen lachen werden.

Eigene Auseinandersetzung mit dem Thema

Anhand von Literatur und Internet, angeregt durch das im IHVO-Kurs Gelernte, informierte ich mich über die verschiedenen Arten des Denkens – was Denken ist und was entwicklungspsychologisch wichtig ist.

Folgende Aussagen sind mir wichtig:

    • Erste und wichtigste Grundlage aller Denkprozesse ist eine stressfreie, angenehme Lernsituation, in der wir freudig entspannt denken und lernen können.
    • Denken hat oft mit Wissen und Erfahrung zu tun.
    • Denken ist an Sprache gebunden.

Ich war neugierig, wie sich das Projekt entwickeln würde und welche Ideen die Kinder zu diesem Thema entwickeln würden.

Projektverlauf

Einstieg ins Thema

Ich fand eine Aussage von Gerold Scholz, Professor an der Goethe-Uni Frankfurt/Main, die ich überprüfen wollte.
Die Aussage lautet: „Kinder können über ihr Denken keine Auskunft geben.“

(Quelle: Die Aussage von G. Scholz habe ich unter:
www.u3l.uni-frankfurt.de/downloads/Scholz_wie_kinder_denken.pdf
gefunden.

Nacheinander befragte ich alle drei Kinder: “Weißt du, was Denken ist?“

Juline: „Wir denken mit Mund und den Haaren. Schlau, weil sie viel denken, sind Jasmin und Laura.“
Berin: „Denken ist, man muss nachdenken, was man machen soll oder machen will“.

Frage: „Womit denkst du?“
Antwort von Berin: „Mit dem Gehirn im Kopf, das ist rosa. Gut denken können Berkant, Berkay und ich.“
Jasmin: „Arbeiten ist Denken, Mamas gehen arbeiten, die denken dann. Du, Luisa, Nadine arbeiten im Kindergarten, alle denken viel.“

Frage: „Womit denkst du?“
Antwort von Jasmin: „Denke mit dem Kopf“, zeigt dabei auf die Stirn: „Hier“.
Frage: „Wer denkt in der Gruppe viel?“
Antwort von Jasmin: „Ich kann gut denken – sonst keiner, nur Berin.“ „Denken macht Spaß.“

Unsere Kinder können Auskunft über ihr Denken geben!!

Spiel „Quiz o Fant“

Dieses Spiel spielte ich mit den Kindern, um herauszufinden, wie sie auf das Thema reagieren.
Es enthält Spieltafeln zu den Bereichen: Konzentration, Sprachentwicklung, logisches Denken, Wiedererkennen, Zuordnen, Wimmelbilder.
Ein magnetischer Elefant zeigt an, ob die gegebene Antwort richtig ist.
Die Kinder hatten viel Spaß und es wurde viel gelacht.

Kommentar der Kursleitung:
Hier zeigt sich wieder eine Stärke der Elementarerziehung: Uns ist eine gute (Lern-) Stimmung immer besonders wichtig.

Jasmin überlegte sehr genau, wägte ab, kombinierte und machte keine Fehler.

 

Juline beeilte sich und machte dadurch einige Fehler.
Berin überlegte, machte einige Fehler.

Die Gegenstände und Tiere in den Wimmelbildern wurden schnell gefunden.
Die Reime fielen den Kindern schwer, sie überlegten gemeinsam und fanden die richtigen Wörter.
Jasmin beschloss: „Davon will ich mehr machen“, und die anderen Kinder stimmten ihr zu.
Ich stellte die Frage: „Was gefällt euch daran?“ Antwort von Jasmin: „Es ist schön zu denken, wir möchten mehr denken.“
Mein Vorschlag, einen „Club der Denker“ zu bilden und viele Denkaufgaben zu bekommen, wurde mit Begeisterung aufgenommen.

Kommentar der Kursleitung:
Du warst also bei diesen Kindern „auf dem richtigen Dampfer“; und Jasmin steuert den Prozess, indem sie klar äußert, dass sie davon mehr will.

Denkaufgaben auf Arbeitsblättern

Wir starteten mit Arbeitsblättern (Jasmins Lieblingsbeschäftigung) zu den Themen:
Ein Bild ist anders (es werden jeweils drei genau gleiche Tiere o.ä. gezeigt, ein viertes ist ein wenig anders als die anderen).

Mir fiel auf, dass Jasmin die „falschen“ Tiere erkannte, während die beiden anderen Schwierigkeiten hatten, die Unterschiede zu erkennen.
Einfach war die Aufgabe für keines der Kinder, alle überlegten, aber nur Jasmin konnte nach kurzer Bedenkzeit die richtigen Tiere herausfinden.

Sie half Juline, als diese ihre Tiere nicht fand.
Als Berin sehr laut ein anderes Tier benannte, als Jasmin sich rausgesucht hatte, wurde sie verunsichert und fand das richtige Tier nicht mehr.
Mein Hinweis: „Jasmin, überlege ganz genau“, führte dazu, dass sie dann doch die richtige Lösung fand.

Kommentar der Kursleitung:
Hier hat Jasmin drei wichtige Erfahrungen gemacht:
1. Sie kann es besonders gut.
2. Sie kann Juline helfen.
3. Sie soll sich nicht verunsichern lassen; durch genaues Denken kann man die eigene Lösung überprüfen.

Als Berin und Juline fertig mit ihrem Blatt waren, sagte Jasmin: „Wartet, ich bin noch nicht fertig.“
Zum ersten Mal malte sie die Figuren nicht aus, was sie sonst bei den Arbeitsblättern ausgiebig tat. Diesmal ging es ihr um die Sache selbst.

Jasmin fragte nach einer weiteren Aufgabe, ich war mir nicht sicher, ob Berin und Juline sich noch weiter konzentrieren konnten, sie alle wollten jedoch weitermachen.

Jetzt lautete die Aufgabe:
Welcher Gegenstand passt nicht in die Reihe? (Es werden Möbel, Musikinstrumente, Werkzeuge usw. abgebildet, ein Teil gehört jeweils zu einem anderen Oberbegriff.)
Beispiel: Tisch-Baum-Stuhl-Sofa


Die Kinder sollten überlegen, welches Teil nicht dazu passt und den Grund benennen.
Hierbei fiel auf, dass Jasmin einige Begriffe fehlten. Da dieses Blatt vom Schwierigkeitsgrad her anspruchsvoll war, bot sich die Gelegenheit an, viel darüber zu reden.

In der 1. Reihe waren Spielzeuge und ein Radio abgebildet. Jasmin kannte kein Radio, sie konnte es aber ausschließen, nachdem ihr klar wurde, was es war.
Für Berin war es klar, dass ein Radio kein Spielzeug war und sie konnte es ausschließen.
Juline verstand den Unterschied nicht und Jasmin erklärte ihr diesen.

In der 2. Reihe waren Besteckteile und ein Apfel abgebildet. Allen Kindern war klar: Der Apfel passt nicht dazu.
Berin und Juline sagten, das Besteck wird zum Essen benutzt, der Apfel nicht.
Interessant fand ich die Begründung von Jasmin: „Der Apfel kommt nicht in den Schrank, die anderen Sachen kommen in den Schrank.“
Dies zeigt einen anderen Gedankengang, als die anderen Kinder ihn hatten.

In der Reihe mit den Möbeln und dem Baum begründete Berin den Ausschluss des Baumes mit: „Das andere sind Möbel“.
Jasmins Begründung lautete: „Der Baum passt nicht in den Keller.“
Es war den Kindern anzumerken, dass die Aufgabe nicht einfach war. Während ich bei Juline und Berin merkte, dass die Konzentration nachließ, war Jasmin bis zum Schluss mit Ausdauer und Freude dabei.
Sie wünschte sich zum nächsten Mal, wieder solche Sachen zu machen.

Zwei Tage später:
Aufgabe: Aus verschiedenen Situationen die nicht passende heraussuchen (ein Mädchen läuft am Strand entlang, das Mädchen zieht den Badeanzug am Strand an, das Mädchen geht mit Wintersachen durch den Schnee, das Mädchen hüpft ins Meer).
Auch diese Bilder luden zum Diskutieren ein, die Kinder erzählten, was sie sahen, diskutierten und kamen zu dem gleichen, richtigen Ergebnis.

Interessant war, in einer Reihe wurden drei Bilder mit Straußeneiern in der Entwicklung gezeigt. Oben scheint eine Sonne, das vierte Bild zeigt eine Mutter mit Kinderwagen.
Jasmin erklärte: „Die Frau ist falsch, da scheint keine Sonne.“

Dann nahmen wir uns ein Wimmelbild vor: „Am Strand“.
Aufgabe: „Sucht die Kinder heraus, die ich euch beschreibe.“
Hier mussten die Kinder zuhören, suchen, nach den genannten Kriterien die Kinder auf dem Bild finden.
Zum Beispiel: „Sucht das Kind, das ein Eis kauft“.

Nach zwei Aufgaben stöhnte Berin, sie könne nicht mehr, und Juline schloss sich an.
Jasmin sagte: „Ich schaffe das“.
Auf meine Frage: „Möchtest du denn weitermachen?“ antwortete Jasmin: “Ja, Martina, ich kann das.“

Als Berin und Juline den Raum verlassen hatten, sagte Jasmin: „Berin kann das nicht, ich kann das schon.“
Da Berin sprachlich sehr weit entwickelt ist und sehr viel und laut redet, auch kommandiert und belehrt, kommt Jasmin manchmal nicht zum Zuge.
Für Jasmin war es die Gelegenheit, sich selbst, mir und auch Berin zu zeigen, dass sie ausdauernder arbeiten kann.

Kommentar der Kursleitung:
Ja, dafür hast Du eine gute Gelegenheit geschaffen.

Insgesamt suchte Jasmin 14 unterschiedliche Kinder heraus.
Die Entscheidung, welche Kinder gemeint sind, wurde von Jasmin immer schneller getroffen.
Nach Beendigung der Aufgabe ging sie sichtlich zufrieden in den Gruppenraum zurück.

Denkspiele in der Turnhalle

Die Denkspiele in der Turnhalle habe ich mir selber überlegt, Spiel 2 (mit den Tüchern) hat als Ursprung das Märchenspiel, das wir während einer Seminarphase (im IHVO-Zertifikatskurs) gespielt haben, ich habe es ein wenig umgeändert.

Ich verabredete mich mit den Kindern in der Turnhalle. Jasmin stellte die Frage: „Martina, sollen wir hier auch denken?“
„Was glaubt ihr?“
Berin rief: „Nein, wir turnen!“ Jasmin sieht mich an, grinst und sagt: „Juline, wir turnen und denken“.

1. Spiel:
Die Kinder stehen nebeneinander an der Wand, bei richtiger Antwort darf jedes Kind einen Schritt nach vorne gehen, wer ist zuerst bei mir?

Fragen:
– Was ist größer: ein Haus oder ein Bild?/ ein Auto oder eine Puppe/ ein Tisch oder ein Stuhl?
– Was ist dunkler: der Tag oder die Nacht?/ Kakao oder Milch/ Sand oder Schnee?
– Was ist schwerer: ein Stein oder ein Blatt?/ Laura oder Jonas/ ein Buch oder eine Malunterlage?
– Was ist länger: ein Stift oder ein Lineal/ ein Auto oder ein LKW/ ein Finger oder ein Arm?

Bei diesem Spiel waren fast alle Kinder gleich schnell, sie mussten zuhören, vergleichen und sich dann entscheiden. Die Begriffe waren bewusst einfach gehalten, da Jasmin und auch Juline mit der Sprachentwicklung von Berin nicht mithalten können.
Bei einigen Begriffen brauchten die Kinder länger zum Überlegen, bei anderen klappte es schneller.

2. Spiel:
Es liegen drei Tücher in der Turnhalle (rot, gelb, grün). Die Kinder sollten bei drei Begriffen herausfinden, welcher nicht dazu passt und sich auf das Tuch stellen. Zum Beispiel:
rot: Puppe gelb: Ball grün: Haus
rot: Filzstifte gelb: Wachsmalstifte grün: Wasserfarben
rot: Sofa gelb: Bett grün: Sessel
rot: Apfel gelb: Wasser grün: Milch

Bei diesem Spiel fiel mir auf, dass sich Juline schnell auf die Tücher stellte, ohne zu überlegen. Offenbar hatte sie die Aufgabe nicht verstanden, hatte aber ein paar Zufallstreffer.
Berin und Jasmin liefen in den meisten Fällen zu den richtigen Tüchern. Waren sie unsicher, schauten sie, wohin die jeweils andere lief, und folgten dorthin.

Spiel 3:
Ich legte zwei große Zettel mit jeweils + oder – auf den Boden. Die Kinder sollten meine Aussagen dahin überprüfen, ob sie richtig (+) oder falsch (-) waren und sich auf den zugehörigen Zettel stellen.

Zum Beispiel:
Als ich über die Wiese ging, biss mich ein Elefant.
Ein Auto fährt auf der Straße.
Nadine fliegt auf den Baum.

Die Kinder fanden die Aussagen lustig und riefen laut, ob die Aussagen richtig oder falsch sind.
Zunächst machte ich die Aufgaben schwieriger, danach schlug ich vor, dass die Kinder nun den Part des Erzählers übernehmen. Alle drei Kinder nahmen den Vorschlag an und hatten viel Spaß bei dieser Aufgabe.

Berin konnte sehr differenzierte Aussagen machen, Julines Aussagen waren einfacher gehalten. Jasmin überlegte sich lustige Aussagen, wie
– Chaima fällt in die Toilette,
– der Zoo hat viele Türen,
– Petra schläft im Büro.

Spiel 4:
Die gleichen Regeln wie bei Spiel 1, nur mit Tieren:
Zum Beispiel: Was kann schwimmen:
Hai – Fisch – Katze?

Bei diesem Spiel war Jasmin die Schnellste, sie hatte die meisten richtigen Antworten.
Wir setzten uns zusammen und ich fragte die Kinder: „Was haben wir heute gemacht?“
„Geturnt.“
„Gespielt.“
„Aber wir haben auch gedacht“, kam von Berin. Dieser Aussage stimmten die Kinder zu.

Auf meine Frage: „Denken wir beim Turnen denn immer?“ kam die Aussage von Jasmin: „Ja, Martina, wir müssen doch denken, was wir tun.“ „Genau“, kam es von Berin, “sonst können wir nichts machen.“
Zurück im Gruppenraum wollten die anderen Kinder wissen, was gemacht wurde. Jasmin erzählte: „Wir haben geturnt und gedacht, wir sind doch die Denkgruppe.“
Die anderen Kinder hörten zu, als die drei von der vergangenen Stunde erzählten.

Sudoku

Als nächstes Angebot schlug ich den Kindern vor, an Sudokus zu arbeiten. Am ersten Tag gab ich ihnen zwei Sudokus mit geometrischen Formen, am zweiten Tag ein Buchstaben- und ein Zahlen-Sudoku.

Juline war erkrankt, so dass nur Berin und Jasmin teilnahmen. Zu Beginn waren Beide begeistert, allerdings stellten sie fest, dass die Aufgabe schwer sei.

Die geometrischen Sudokus bestanden aus 4 großen Quadraten, jedes war nochmal in 4 kleine unterteilt. In jedem der insgesamt 16 so entstandenen Kästchen sollten geometrischen Formen (Kreis, Raute, Dreieck und Quadrat) vorhanden sein.
Es fehlte in jedem großen Viereck eine Form. Die Kinder hatten die Aufgabe, die jeweils fehlende Form zu finden.
Am Anfang wussten Beide nicht, wie sie beginnen sollten. Gemeinsam überlegten wir, wie die fehlende Form herausgefunden werden könnte.

Berin redete viel, hatte aber keine Idee, wie es weitergeht.
Jasmin meinte, das sei zu schwer für sie und Beide bekamen plötzlich Durst. Ich schlug vor, dass ich Wasser hole und die Beiden in der Zwischenzeit drüber nachdenken.
Nach reichlichem Trinken (die Kinder waren weiterhin motiviert) stellte Jasmin fest, alle Formen seien einmal vorhanden und sie begann zu murmeln: „Überall ein Kreis, hier keiner. Martina, hier muss ein Kreis sein.“
Sie malte den Kreis ein, Berin bestätigte es und nun begannen Beide, die Formen zu finden. Dabei riefen sie sich gegenseitig zu, wenn sie ein fehlendes Teil entdeckt hatten.
Sie waren so motiviert, dass sie noch ein zweites Sudoku machen wollten.

Beide tranken immer wieder Wasser.
Als sie fertig waren, fragte ich: „Sagt mal, ihr trinkt soviel Wasser?“
„Wir haben Durst“, kam von Berin. „Wir arbeiten viel, da müssen wir viel trinken“, sagte Jasmin.

Am nächsten Tag bot ich den Kinder die gleiche Art Sudoku an, nur mit Buchstaben (A,B,C,D).
Jasmin löste dieses Sudoku innerhalb von 1 bis 2 Minuten. Die Buchstaben kannte sie aus den vorhergehenden Projekten, ihr fiel es sehr leicht, die fehlenden Buchstaben zu finden.

Berin fiel es schwerer, sie brauchte länger. So konnte Jasmin ihr Zahlen-Sudoku anfangen, während Berin noch mit den Buchstaben beschäftigt war. Beide arbeiteten konzentriert und tranken immer wieder Wasser.
Bei den Zahlen brauchte Jasmin etwas länger. Berin hörte nach den beiden Sudokus auf, Jasmin meinte, sie möchte noch eins machen.
Ich bot nochmal ein Zahlen-Sudoku an, diesmal mit 6 großen Kästchen, die wiederum in jeweils 6 kleine unterteilt waren, die Zahlen 1 bis 6 waren gefragt, wieder fehlte jeweils eine Zahl.

Diesmal fiel es Jasmin schwer, und ich erwartete, dass sie sich darüber beklagen würde – doch das geschah nicht.
Sie überlegte, Berin gab Ratschläge, mit denen Jasmin nichts anfangen konnte. Dann bat Jasmin um ein Blatt Papier und wollte alle Zahlen von 1 bis 6 einmal aufgeschrieben haben. Die Zahlen 1 bis 4 schrieb sie selber von anderen Sudokus ab, die 5 und 6 schrieb ich auf. (Siehe im Bild oben.)

Ich war gespannt, wie sie die Aufgabe lösen wollte.

Jasmin nahm sich zwei kleine Faltblätter und deckte die Kästen so zu, dass nur ein Kasten mit 6 Unterkästchen zu sehen war. Dann sah sie sich die selbst geschriebenen Zahlen an, verglich diese mit den Zahlen in dem Kasten und fand so die fehlenden Zahlen heraus.

Für dieses Sudoku brauchte sie etwa zehn Minuten. Als sie fertig war, lobte ich sie mit den Worten: „Du hast alle Zahlen herausgefunden, das ist richtig schwierig gewesen.“ Jasmin strahlte und sagte: „Ich kann gut denken“.

Kommentar der Kursleitung:
Sehr positiv, dass sie sich hierbei geistig richtig anstrengen konnte!

Berin meinte, sie hätte es auch gekonnt, aber keine Lust gehabt.

Kommentar der Kursleitung:
Wie hast Du auf diese Aussage von Berin reagiert? Uns fiel ein, dass Berin jetzt Jasmins Überlegenheit bei diesen Aufgaben erkennt, sie aber nicht zugeben möchte. Wie kann man ihr helfen? Solche Situationen wird es immer wieder geben, wenn sehr begabte Kinder mal in ihrem Grenzbereich gefördert werden, also ist es wichtig, dabei auch auf die Gefühle der anderen, schwächeren Kinder zu achten und sich eine pädagogische Linie dafür zu erarbeiten.

„Was wäre wenn“-Gesprächsrunde mit Jasmin

Da Berin und Juline einige Zeit krank waren, nutzte ich die Gelegenheit, um mich mit Jasmin allein zurückzuziehen.
Das hatte den Vorteil, dass Jasmin sich mitteilen konnte, ohne von Berin verbessert zu werden.
Jasmin schlug vor, direkt Wasser mitzunehmen und diesmal ließen wir uns im gemütlichen Personalraum nieder. Jasmin suchte sich den Schaukelstuhl aus, ich machte es mir auf einem Sofa gemütlich.

Nachdem Jasmin sich gründlich umgesehen hatte, erklärte ich ihr, dass sie sich diesmal etwas vorstellen sollte. Sie nickte freudig, und ich sagte ihr:
„Was wäre, wenn du ganz viel Geld hättest?“

Sie erklärte mir, dass sie dann eine Prinzessin wäre, ganz viel Schmuck hätte und Raman der Prinz sei. Amanda und Berin hätten auch viel Geld und Schmuck. Alle gehen in den Kindergarten.
Sie möchte mit allen Kindern ins Kino gehen und Cola trinken. Auf meine Frage, wer das denn bezahlen würde, sagte Jasmin: „Natürlich ich.“

Kommentar der Kursleitung:
Es ist doch interessant, dass sie viel Geld haben und spendabel sein können in engem Zusammenhang sieht.

Dann möchte sie mit allen Kindern in den Zoo gehen und nun erzählt sie ganz viel über einen Zoobesuch.
„Martina, weißt du, die Erdmännchen?“ So kommen wir ins Gespräch über unseren letzten Zoobesuch und finden viel zu lachen.
Nach einiger Zeit grinst sie mich an und sagt: „Was jetzt?“

Kommentar der Kursleitung:
Auch hier übernimmt sie wieder eine Steuerungsfunktion.

Ich schlug vor:
„Was wäre, wenn du ein Tier wärst?“
Das lehnte Jasmin mit den Worten ab:

„Nein, will kein Tier sein.“

Ich bot ihr an, selber etwas vorzuschlagen, doch Jasmin bestand darauf, dass ich einen Vorschlag mache.

„Was wäre, wenn du machen könntest, was du wolltest?“
Dieses Thema interessierte Jasmin.
Sie würde viel Pausen machen, Musik kaufen und einkaufen gehen.
Jasmin würde mit den Mädchen in einem pinkfarbenen Zelt im Schnee übernachten, die Jungen in einem anderen Zelt. Sie schlägt vor, dass die Erzieherinnen mit den Mädchen in einem Zelt schlafen. Sie würde viel Spielzeug und Plätzchen kaufen, Pudding kochen und eine Halloween-Feier feiern. Außerdem Geburtstag feiern und eine Party machen.

Jasmin wünschte weiterzumachen, so schlug ich vor:
„Was wäre, wenn du erwachsen wärst?“
Jasmin gab an, in Urlaub zu fliegen, nicht nur nach Tunesien. Sie würde zu ihren Eltern fahren und im Hotel wohnen.
Sie würde als Verkäuferin arbeiten, sehr lange Haare haben und bei ihrer Mutter wohnen, die blonde Haare hätte.
Jasmin würde ein weißes Auto fahren und viel bezahlen können, weil sie arbeitet.

Ich stellte fest, dass Jasmin sehr klare Vorstellungen hat, und Jasmin stimmte dem zu.
Auf meine Frage, ob wir heute denn gedacht haben, sagte sie:

„Natürlich haben wir gedacht und geredet, so als ob.“

Jasmin konnte sehr differenziert Auskunft geben, dies war ein großer Fortschritt. Früher wurden Aussagen allgemein gehalten und ihr fehlte der Sprachschatz.

Kim-Spiel

Bei diesem Angebot waren Berin und Jasmin dabei.
Für das Kim-Spiel hatte ich ein Tablett, verschieden Gegenstände aus der Gruppe und ein Tuch besorgt. Da ich wusste, dass Jasmin ein sehr gutes Gedächtnis hat, erwartete ich, dass sie sich viel merken konnte.

Wir starteten das Spiel mit fünf Gegenständen, die auf dem Tablett lagen. die Kinder sollten sie sich einprägen. Dann legte ich das Tuch darauf und nahm mit dem Tuch ein Teil der Gegenstände weg.
Jedes Kind war einmal mit dem Raten dran, dann wollte ich das Spiel steigern. Sowohl bei einem, als auch bei zwei Teilen, die ich weg nahm, konnten es die Kinder sehr schnell richtig benennen.

Nun legte ich zwei Gegenstände dazu, nahm ein Teil weg. Für Jasmin war es kein Problem, Berin schaffte es nicht.

Ich nahm zwei Teile weg, und beide Kinder hatten Schwierigkeiten. Diesmal brauchten beide jeweils zwei Versuche.

Es kamen noch zwei neue Teile dazu, dann nahm ich zwei Teile weg. Beide Kinder konnten eins davon benennen.

Ich legte noch ein Teil hinzu, Jasmin sagte: „Ich schaffe es nicht mehr.“ Überlegt und sagte dann: „Ich schaffe es.“
Berin ging zur Toilette und Jasmin beschloss: „Ich mach das für Berin.“ Ich nahm drei Teile weg, dann vier. Jasmin schaffte alles.

Als Berin zurück kam, nahm Jasmin zwei Teile weg und Berin sollte raten. Sie erkannte nur eins und wollte nun für Jasmin zwei Teile wegnehmen. Jasmin jedoch beschwerte sich, dass noch ein Teil fehle und sagte: „Jetzt bin ich dran.“

Berin erwiderte: „Ich mach nicht mehr mit, ich denke auch nicht mehr.“ Sie drehte sich von Jasmin weg.
Die Reaktion, die ich normalerweise von Jasmin kenne, wäre nun gewesen, dass sie einlenkt. Doch Jasmin überraschte mich, sie sagte: „Dann machst du nicht mehr mit, dann macht Amanda mit, Martina!“

Ich wollte mich raus halten und murmelte vor mich hin: „Ich muss etwas Wichtiges aufschreiben, klärt es selber.“
Beide Kinder sahen sich mit ernster Miene einige Zeit an, dann lenkte Berin ein: „Na gut, dann spiel ich weiter.“

Jasmin hat sich zum ersten Mal in einem Streitgespräch gegenüber Berin durchgesetzt. In diesem Moment wirkte sie selbstbewusst und verbindlich, sie ließ sich nicht beirren und bestand auf Einhaltung der Regeln.

Spiel mit dem Erzählwürfel

Die Erzählwürfel sind neun Holzwürfel, auf denen Bilder abgebildet sind.
Die Kinder sollten die Bilder erkennen, benennen und aus diesen einen Satz bilden. Die Kinder würfeln und erzählen etwas zu dem Bild. Dies kann man steigern, indem man zwei oder mehr Würfel nimmt.

Jasmin würfelte eine Farbtube. Sie sagte: „Das ist eine Farbe, ein Mädchen malt damit.“
Berin würfelte ein Fenster: „Stell dir vor, ein Mädchen steht am Fenster und schaut hinaus.“
Jasmin (Haus): „Im Haus sind die Türen zu.“
Berin (Buch): „Ein Mädchen hat gerade ein Buch gelesen, hat es zugeklappt. Es tut es ins Bücherregal.“

Steigerung auf zwei Bilder:
Jasmin (Apfel/ Haus): „Ein Mädchen will keinen Apfel. Das Haus hat ein Dach und Türen.“

Berin (Baum/ Buch): „Ein Mädchen sitzt draußen auf einem Baum und möchte ein Buch lesen, weil es ein sonniger Tag ist.“

Dann wird Jasmin müde und Berin schließt sich an.

Kommentar der Kursleitung:
Hier wird (vielleicht auch für Jasmin) deutlich, dass Berin stärker ist. Frustration nimmt oft die Gestalt von Müdigkeit (Unlust) an.

Auf meine Frage: „Haben wir heute gedacht?“ kommt von beiden Kindern ein klares „Ja.“
„Wir haben Bilder gesehen und erzählt“, sagt Jasmin.
Berin gibt zur Antwort: „Wir mussten erst uns etwas ausdenken, dann drüber reden.“

Bei diesem Spiel wird deutlich, wie differenziert Berin reden kann, ihre Satzzusammenstellung ist nicht mit der von Jasmin zu vergleichen.
Aber auch Jasmin zeigte bei dem Spiel Fortschritte.

Überlegung zur Entwicklung eines Spieles

Die anderen Kinder in der Gruppe fragten immer mal wieder, was wir denn machen. Die Antworten von Jasmin gingen von „arbeiten“ zu „denken“ über.
Die Kinder selber bezeichneten sich als die „Denkgruppe“.
Eines Mittags, die gesamte Gruppe saß beim Mittagessen zusammen, kam die Rede auf die „Denkgruppe“.

Raman fragte, was wir denn immer so machen. Berin und Jasmin erzählten, dass wir denken. Berin erzählte, dass wir reden und Aufgaben lösen. Jasmin sagte: „Wir denken, als ob und machen die Sudi…Martina, wie heißen die?“
Ich gab die Antwort: “Sudoku, und was machen wir noch?“ Berin rief: „Und wir überlegen, was nicht zusammen gehört.“

Raman sagte: “Aber wir denken doch auch.“
Ich fragte ihn: „Raman, wann denkst du?“ Raman erwiderte: „Ich denke im Kindergarten und um 8 Uhr und um 9 Uhr und…“ Dann stoppte er. Jasmin warf ein: „Ich denke auch, wenn ich schlafe.“ „Das nennt man träumen“, gab Berin zum Besten.

„Ja, wann denken wir denn jetzt?“, kam wieder von mir.
Jasmin rief:

„Wir denken immer und brauchen viel Wasser.“

Ich bestätigte sie, die älteren Kinder stimmten zu, die Kleinen saßen staunend auf ihrem Platz und hörten sich alles an.

„Manchmal kann man nicht gut denken“, sagt Yusuf. „Woran könnte das denn liegen?“ fragte ich.
Keiner hatte eine Idee. „Martina, warum?“ fragte ein Kind.

Ich erklärte den Kindern, dass wir immer denken, aber manchmal abgelenkt sind, weil wir zum Beispiel viele Dinge auf einmal machen wollen, oder weil es uns nicht gut geht.

„Man muss eine Sache machen“, kam von Yusuf. „Wenn man eine Sache macht, kann man gut denken.“
Das Mittagessen wurde herein gefahren und Raman rief noch: „Wir können auch gut denken!“

Das ließ in mir den Gedanken hochkommen, ob wir nicht selber ein Spiel entwickeln könnten, so dass auch die anderen Kinder etwas davon haben.

Ich besprach das mit den drei Mädchen und sie fanden die Idee gut.
Das Spiel wollten sie zuerst ohne Jungen machen. Jasmin wollte nur mit Mädchen spielen und meinte: „Das sind Jungens, die können nicht so gut denken wie Mädchen. Jungen sind albern, machen immer Quatsch.“
Berin gab zu bedenken: “Dann gewinnen die Jungs und wir verlieren.“
Juline beschloss: “Ohne Jungen.“

Kommentar der Kursleitung:
Ein wirklich denkwürdiger Dialog und Entscheidungsprozess.

Auf meine Frage, wie das Spiel aussehen könnte, kamen folgende Vorschläge:
Wir könnten Männchen mit Würfeln gehen lassen.
Alles soll drin sein, was wir gemacht haben.
Einer soll gewinnen.

So überlegte ich mir, dass wir das „Mensch ärgere dich nicht“ nehmen könnten, wir haben ein großes Spiel mit Holzfiguren.
Eine Figur sollte wie bei dem Original-Spiel ins farblich passende Ziel laufen, aber bei jedem Würfeln sollte zusätzlich eine Karte gezogen werden und die darauf stehende Aufgabe erfüllt werden.

Ich fertigte Karten mit unterschiedlichen Aufgaben an und malte die Würfelaugen von 1 bis 6 auf die Karten. Die Aufgaben waren von der Art her so wie die unterschiedlichen Angebote aus der Denkgruppe. Sie hatten unterschiedliche Schwierigkeitsgrade.

Aufgabenbeispiele:

    • Zungenbrecher nachsprechen: Früh fressen freche Frösche Früchte
    • Zuhören und die Anweisungen in Bewegung umsetzen: Lege die linke Hand auf das rechte Auge und dreh den Kopf nach links.
    • Oder: klatsch-klatsch-schnips-stampf.
    • Welches Wort passt nicht dazu: Birne- Apfel- Banane- Blumenkohl?
    • Welche Zahlen oder Buchstaben sind doppelt?
      P-E-Z-A-K-B-F-Y-A-P-T-Q-V-X-H
    • Sätze vollenden:
      Im Sommer gehen wir_______
      im Himmel sind____________
      Auf der Straße fahren________

Wir stiegen direkt ins Spiel ein, „Mensch ärgere dich nicht“ war den Kinder bekannt. Die Kartenstapel mit den Würfelaugen wurden neben die Aufgabenstapel gelegt und los ging es.
Die Kinder waren konzentriert bei der Sache, es wurde viel gelacht, und die Aufgaben waren ihnen wichtiger als zu gewinnen.

Juline konnte bei manchen Aufgaben nicht mithalten, dann half Jasmin ihr. Berin arbeitete zeitweise für sich, aber zwischendurch half auch sie mal Juline.

Da die Aufgaben unterschiedlich schwierig waren, mussten die Kinder machmal sehr überlegen. Die Tatsache, dass es leichte und auch schwierige Aufgaben gab, hatte zur Folge, dass die Kinder sich bei Schwierigkeiten gegenseitig halfen, trotzdem immer mal wieder ein Erfolgserlebnis hatten, weil sie die Aufgabe schnell lösen konnten.

Nach dem Spiel brachten die Kinder das „Denkspiel“,
so wurde es von den Dreien genannt, zu den anderen Kindern der Gruppe.

Interpretation

Analyse-Gespräch mit den Kindern

Nach Beendigung des Projektes setzte ich mich mit den Kindern zusammen, um über das Projekt zu reden. Berin war nicht anwesend, so dass ich mit Juline und Jasmin zusammentraf.
Das gesamte Gespräch gestaltete sich ein wenig zähfließend, die Kinder erzählten nicht viel. Ich vermute, dass es an ihrer Tagesverfassung lag. Aufgrund personeller Probleme musste ich das Gespräch nachmittags führen, zu einem Zeitpunkt, an dem unsere Kinder nicht mehr sehr aufnahme- und gesprächsbereit sind.
Beide fanden das Projekt gut und schön, Jasmin hat am Besten das „Sudoka“, so nannte sie es, gefallen.

Kommentar der Kursleitung:
Hierbei war sie nach unserer Einschätzung geistig am meisten gefordert.

Gelernt hat Jasmin nach ihren Worten, dass der Eismann keinen Badeanzug hat und dass man bei den Wimmelbildern viel sehen kann.
Sie freute sich, dass sie viel denken musste, weil sie bald in die Schule kommt. (Dies dauert allerdings noch.)
Juline meinte, dass sie denken kann, wenn es leise ist und sie Wasser hat.
Selber machen konnte Jasmin:
Schreiben und malen, turnen und denken.
Juline fiel nichts ein.

Beide betonten, dass sie gut zusammen reden konnten, sich geholfen haben und jetzt gut im Denken sind. Ich fragte, ob einer gute Ideen hatte, daraufhin meinte Jasmin: „Martina, wir haben immer gute Ideen.“
Sie konnte mir allerdings keine benennen.
Als ich sie fragte, wer was besonders gut könnte, sagte Juline, sie könne gut die Spiele in der Turnhalle spielen.

Jasmin stimmte ihr zu und sagte, dass sie selbst gut „merken“ könne. Sie wusste noch, dass Berin vor einigen Wochen gesagt hatte: „Ich kann nur einen Stern wie ein Oktopus malen.“

Überprüfung der Ziele
– für Jasmin, das vermutlich hoch begabte Kind:

Zum 1. Ziel:
Jasmin erlebt sich als ein wichtiges Mitglied der Kleingruppe und stärkt ihr Selbstvertrauen:

Jasmin hat dieses Ziel erreicht. Sie merkte, dass sie wichtig ist. Gerade in der Konstellation mit Berin kam es darauf an, dass Beide sich öfter gegenseitig halfen. Jasmin konnte ihr Einfühlungsvermögen und ihre kognitiven Fähigkeiten nutzen, um Juline zu unterstützen, wenn diese nicht weiter wusste.
Es war keine Rede mehr davon, dass sie sich „dumm“ fühlt. Gerade das Projekt „Denken“ hat ihr gut getan und sie merkte, was sie schon alles leisten kann.

Beobachtung:
Bisher hatte sich Jasmin bei Angeboten in der Gesamtgruppe sehr zurück gehalten. Beim letzten Turnen benutzten wir das Schwungtuch. Meine Kollegin sagte: „Bei 1-2-3 lassen wir alle das Tuch los“.
Jasmin bemerkte: „Nein, wir sagen Achtung-Fertig-Los“. Meine Kollegin stutzte und sagte: „O.k.“
Sie wollte gerade mit „Achtung“ anfangen, als Jasmin das Wort ergriff und ganz laut: „Achtung-Fertig-Los“ rief.
Bei der nächsten Ansage kam von ihr: „Und jetzt alle: Achtung- Fertig-Los!“
Sie tritt mutiger auf und schafft es mittlerweile auch, zum Spielen alleine in andere Gruppen zu gehen. Sie hat sehr an Selbstbewusstsein gewonnen.

Zum 2. Ziel:
Jasmin schafft es durch intensive Beschäftigung mit Berin und Juline, Kontakte zu intensivieren und diese auch in der Gesamtgruppe zu leben:

Durch dieses Projekt haben die Drei viel Zeit miteinander verbracht, dieses setzt sich in der Gruppe fort. Sie spielen gemeinsame Tischspiele, das hat es vorher nicht gegeben. Alle Drei spielen auch gemeinsam im neu angeschafften Holzhaus (bestehend aus zwei Ebenen), das sich im oberen Stockwerk der Einrichtung befindet.
Vor dem Projekt ist es Jasmin schwer gefallen, außerhalb der Gruppe zu spielen.

Zum 3. Ziel:
Jasmin ist in der Lage, bei auftretenden Schwierigkeiten (Verständnisfragen/ Bevormundung durch Berin) darüber zu reden und ihren Weg der Auseinandersetzung zu finden:

Sie hat schon während des Projektes gezeigt, dass sie sich gegenüber Berin nun durchsetzen kann. Vorher war es so, dass Berin sie mit verschiedenen Methoden unter Druck setzen konnte, zum Beispiel durch beleidigt sein; durch die Drohung, sie nicht zum Geburtstag einzuladen; mit Freundschaftsentzug. Jasmin hat meistens nachgegeben.
Es sieht zur Zeit danach aus, als hätte sich die Beziehung der Beiden zueinander geändert. Berin merkte, dass Jasmin sich nicht mehr beeinflussen ließ, und es dauerte einige Zeit, bis sie damit zurecht kam.
Zur Zeit ist es so, dass Beide gleichstark erscheinen und Beide sehr zufrieden mit ihrem gegenseitigen Umgang sind.

Kürzlich beschwerte sich Jasmin das erste Mal darüber, dass ihr langweilig sei.
„Was könntest du denn da machen?“ fragte ich. Sie sagte, dass sie mit mir ein Spiel spielen möchte, und wir probierten gleich ein Spiel aus, das sie noch nie gespielt hatte.
Spiele spielen gehörte bis jetzt nicht zu Jasmins Favoriten. Diesmal kam auch Berin hinzu, sah sich das Spiel an und die zweite Runde spielten wir zu dritt.

Zum 4. Ziel:
Jasmin erweitert ihre Fähigkeiten in Bezug auf wahrnehmen, umsetzen, vergleichen, ordnen:

Durch die unterschiedlichen Angebote konnte Jasmin ihre Fähigkeiten erweitern. Durch die sich steigernden Schwierigkeiten in den Angeboten hatte ich dafür gesorgt, dass es sowohl Erfolgserlebnisse, als auch Herausforderungen für sie gab.
Nach Beendigung des Projektes wollte Jasmin ein Spiel spielen, welches sonst nur die Vorschulkinder spielten.

Kommentar der Kursleitung:
Sie beginnt geistig anspruchsvolle Dinge einzufordern. Schön. Es zeigt auch, dass sie diesbezüglich jetzt viel Vertrauen zu Dir hat.

Das Spiel heißt „Rush Hour“. Man muss durch Ausprobieren und Überlegen ein rotes Auto aus einem Bereich voller anderer Autos und Lastwagen herausfahren. Die Auto dürfen nur waagerecht und senkrecht bewegt werden.
Verschiedene Karten in verschiedenen Schwierigkeitsgraden zeigen an, wie die Autos zu Beginn zu stehen haben.

Jasmin schaffte zwei Karten ohne Hilfe und war sehr stolz auf sich.

Zum 5. Ziel:
Jasmin erweitert ihren Wortschatz durch Vertiefung von Begriffen und durch Gespräche:

Jasmin hat ihren Wortschatz sehr erweitert und setzt dies auch in der Gruppe ein. Gerade die Sprache ist wichtig, um sich im Tagesgeschehen durchzusetzen. Auch dies ist ein Grund für ihr „neues“ Selbstbewusstsein.
Während sie früher immer alles regeln und klären musste, erlebte ich nun diese Situation:
Ihre Cousine Chaima und die gleichaltrige Laura puzzeln, dann beschimpfen sie sich gegenseitig. Beide bezeichnen sich gegenseitig als “böse“ und Chaima ruft nach ihrer Cousine Jasmin.

Jasmin malt und reagiert nicht. Beide beschweren sich bei mir, ich reagiere auch nicht. Beide Mädchen sehen sich verdutzt an, und ich dachte zuerst, die Situation hätte sich erledigt. Plötzlich schlägt Laura die Chaima, diese fängt an zu weinen.

Jasmin kommt und nimmt Chaima in den Arm. Chaima beschwert sich, dass Laura böse sei. Jasmin erwidert: „Nein, keiner ist böse.“ Daraufhin fängt auch Laura an zu weinen.
Jasmin nimmt auch Laura in den Arm und drückt sie.
Mit sehr viel Einfühlungsvermögen hat sie erst einmal abgewartet, dann hat sie sich nicht auf die Seite ihrer Cousine gestellt, sondern beide Kinder getröstet.

Kommentar der Kursleitung:
Hier zeigt sich wieder einmal, dass die Klischeevorstellung, kognitiv begabte Kinder seien sozial nicht ähnlich weit entwickelt, hier nicht zutrifft. Sobald die Grundstimmung der Kinder gut ist (auf Grund hinreichender kognitiver Förderung), zeigen sie ihre wirklichen (hohen) sozialen Kompetenzen.

Ich habe mittlerweile einige Situationen erlebt, in denen sie sich nicht mehr genötigt fühlte, sich um alles zu kümmern.
Jasmin redet viel mehr als früher, auch mit einer anderen Qualität.

Überprüfung der Ziele
– für die anderen Kinder:

Sowohl Berin und Juline haben erkannt, dass auch andere Kinder Fähigkeiten und Fertigkeiten haben, genau wie sie selber.
Sie merkten alle Drei, dass die anderen Beiden manche Dinge besser oder schlechter konnten als sie selber.
Ihnen wurde klar, dass Jasmin sich am besten Dinge merken und zuordnen kann, dass Juline sehr gut bei den Denkspielen in der Turnhalle abgeschnitten hat und dass Berin alles gut und ausgiebig erklären kann.

Sie steigerten ihre Fähigkeiten in der Beobachtungs-, Merk- und Denkfähigkeit und erfuhren sich als Teil der Gruppe.
Ich hätte mir gewünscht, dass auch mehr Ideen von den Kindern gekommen wären und ich manchmal nur Impulse hätte setzen müssen.
Dies wird aber mit zunehmendem Sprachvermögen, steigender Selbstsicherheit und dem Gefühl, viele Fähigkeiten zu besitzen, noch kommen.

Kommentar der Kursleitung:
Ja, das ist sicher zu erwarten. – Es ist jetzt noch zu viel verlangt von den Kindern. Sie beginnen ja durch dieses Projekt erst ihr eigenes Denken als solches bewusst anzuwenden und zu reflektieren. Und bei dem Spiel für die anderen haben sie doch tolle Ideen gehabt.

Schon jetzt hat es diese Kleingruppe geschafft, in der Gesamtgruppe eine wichtige Rolle zu übernehmen, und ich denke, dass sie zusammen mit Yusuf, Raman und Amanda noch viele interessante Themen aufbringen werden.

Planung für die Zukunft

Für Jasmin wird es noch viele interessante Projekte geben, und ich denke, diese werden nun auch in Verbindung mit Juline, Berin, Amanda, Yusuf und Raman sein. Jasmin hat nun so viel Selbstbewusstsein, dass sie und die Anderen ein gutes Team abgeben werden.

Jasmin wird an der Sprachförderung im Kindergarten teilnehmen, auch bekommt sie ein paar Termine beim Logopäden.
Die Sprache wird sich weiterentwickeln und somit werden immer mehr Angebote möglich sein.

Schon jetzt ist es so, dass viel mehr innerhalb der Gesamtgruppe (zum Beispiel beim Mittagessen und „Kaffeeklatsch“) geredet wird und die Themen und Diskussionen meistens von den Kindern ausgehen.

Über folgende Themen wurde in den letzten Tagen diskutiert:
Gibt es nur einen Mond?
Warum ist er mal rund und mal schmal?
Warum werden unsere Filzstifte immer weniger?

Es wurde etwas angeregt und nun entwickelt es sich anscheinend weiter.
Gespräche, die vor den Ferien aufgrund der Gruppensituation nicht möglich waren, können nun stattfinden.
Wir haben die Nebenräume umgeräumt und dadurch ein Spielfeld für alle Altersstufen in unseren Gruppen geschaffen.
Durch die Anschaffung von „schwierigen Spielen“ gibt es immer wieder Herausforderungen für die Großen (und die kognitiv besonders weiten Jüngeren).

Durch immer mehr Projektarbeit, auch zusätzlich zu unserem Gruppenthema, bieten wir jedem Kind die Möglichkeit, seinen „geistigen Hunger“ zu stillen.

Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema „Hochbegabung“ nicht nur für das Beobachtungskind gut war, sondern zu einer positiven Entwicklung für die Gesamtgruppe geführt hat.

 

Datum der Veröffentlichung: März 2015
Copyright © Martina Böckling, siehe Impressum

Mit dem Förster im Wald

von Kornelia Eppmann

 

Felix (4;0) hat für sein Alter ein umfangreiches Wissen zu naturkundlichen Themen.
So erzählte er von einem Besuch bei seinen Großeltern. Er war mit ihnen im Wald und sie haben dort einen riesengroßen Ameisenhaufen entdeckt. Felix: „Die Ameisen hatten einen langen Weg vor ihrem Hügel“. Er hat beobachtet: „Die Ameisen haben einen toten Käfer weg getragen, der war größer als sie selber“. Mein Opa hat gesagt: Die Ameisen sind die Waldpolizei und räumen auf“.

Bei Spaziergängen in unserer Umgebung macht Felix viele Entdeckungen in der Natur, wie Tierspuren auf dem Acker. „Die sind bestimmt von einem Hasen und, guck mal, die da von einem Vogel.“

Meiner Einschätzung nach hat Felix eine gute Wahrnehmung und kann logische Zusammenhänge für sein Alter schnell erfassen.
Er will komplexe Abläufe in der Natur verstehen. Ständig stellt er Fragen und hinterfragt, um seinen Wissensdurst zu stillen und Erklärungen zu bekommen.

Ich möchte sein Interesse aufgreifen. Bald ergibt sich dafür ein Anknüpfungspunkt.

Das Gespräch

In einer Gesprächsrunde, in der die Kinder erzählen können, was sie am Wochenende erlebt haben, erzählt Felix (4;0) wieder von einem Besuch bei seinen Großeltern. Er berichtet, der Opa habe mit dem Schorsch (Nachbar) darüber gesprochen, dass viele Bäume im Wald tot sind.

Felix: „Wenn die Bäume tot sind, geben sie uns keinen Sauerstoff mehr, den brauchen wir doch zum Atmen! Haben die alle Bäume abgesägt, oder wie?“

Meine Frage: „Weißt du denn, was „tot“ ist?“

Felix: „Ja, mein anderer Opa war ganz krank, der musste ins Krankenhaus und dann ist der gestorben. Jetzt ist er auf dem Friedhof. Manchmal besuchen wir ihn und stellen Blumen hin.“

Die anderen Kinder erzählen dann auch von gestorbenen toten Tieren und Personen, die sie kannten. Wir sprechen darüber, dass alle Pflanzen, Tiere und Menschen einmal sterben müssen.

Ich frage die Kinder, ob sie draußen die Bäume und Pflanzen schon mal genau betrachtet hätten. „Ja“, kam zur Antwort, „die haben grüne Blätter im Sommer und an dem dicken Nussbaum klettern wir immer hoch, das macht Spaß“.

„Wie mag denn ein toter Baum aussehen?“ frage ich.

Eines der Kinder sagte: „Vielleicht hat der keine Blätter oder sieht schwarz aus.“ Ich zucke mit den Schultern: „Ich kann es auch nicht so genau sagen. Wir haben jetzt Winter, schaut mal aus dem Fenster! Könnt ihr sehen, wie der Baum vor unserer Gruppe aussieht?“

Felix: „Der hat keine Blätter, aber so kleine Kugeln hängen dran“. (Es ist eine Platane.)

„Was meinst du?“, frage ich.
Felix: „Aber der sieht nicht schwarz aus, ich weiß nicht.“

„Ob man die kleinen Kugeln essen kann?“ frage ich in die Runde. „Nein“, erwidert eines der älteren Kinder, „da sind die Samen drin und wenn sie herunterfallen, verteilt der Wind sie draußen, daraus können dann neue Bäume wachsen. Manchmal sitzen da auch Vögel dran und fressen die Samen.“

Nun frage ich: „Wen könnten wir danach fragen, wie ein toter Baum aussieht? Wer kennt sich mit Bäumen aus?“

„Mein Opa vielleicht, der ist Förster und Jäger“, meldet sich eines der Kinder zu Wort. (Ein Glücksfall, dann muss ich nicht erst lange nach einem Experten suchen.)

„Das ist eine gute Idee, kannst du ihn fragen, ob er zu uns in den Kindergarten kommen kann?“

Der Waldspaziergang

Ja, in Kürze verabredeten wir uns zu einem Waldspaziergang mit dem Opa. In einem kleinen Laubwald konnten die Kinder – jetzt im Winter besonders gut – die einzelnen Bäume betrachten.

„Was könnt ihr an den Bäumen sehen, wenn ihr durch den Wald schaut?“ fragte der Förster.
Felix: „Die haben keine Blätter, da steht einer ganz schief.“
Der Förster: „Warum haben die keine Blätter?“
Felix: „Weil Winter ist.“
Der Förster: „Richtig; denn im Winter ruhen die Bäume, sie halten so etwas wie Winterschlaf.“
Felix: „So wie die Eichhörnchen, die halten auch Winterschlaf.“
Der Förster: „Ja, richtig.“

Der Förster: „Warum könnte der Baum wohl schief sein?“
Felix: „Vielleicht war das der Wind – oder einer hat den umgeschubst.“

Wir gingen zu einem Baum, der auf dem Boden lag, der Förster befreite ihn an einer Stelle vom Schnee und forderte die Kinder auf, mal genau hin zu schauen. Zum Vergleich hatte er einen frisch abgesägten kleinen Ast mitgebracht.

Felix fragte: „Warum hast du den abgesägt?“
Der Förster: „Manchmal muss man Äste von Bäumen absägen, weil sie über einen Weg hinweg wachsen, man kann dann nicht mehr vorbeigehen. Es schadet dem Baum aber nicht.“
„Mein Papa schneidet auch manchmal die Hecke ab, die wächst dann wieder neu“, bemerkte Felix.

Der Förster: „Was könnt ihr erkennen?“
Felix: „Der da hat runde Kreise und der andere sieht so komisch aus, der hat kleine Löcher.“
Der Förster: „Die runden Kreise nennt man Jahresringe, daran kann man sehen, wie alt der Baum ist. Könnt ihr die Ringe zählen?“

Sie zählten. Felix fragte: „Haben die Menschen auch Ringe innen?“
„Nein“, erklärte der Förster, „die Menschen wachsen nur bis zu einem gewissen Alter, dann nicht mehr und feiern jedes Jahr Geburtstag; so wissen sie, wie alt sie sind.

Der Förster: „Der andere Baum ist morsch geworden, deshalb hat er kleine Löcher, er war krank und konnte nicht mehr genug Nährstoffe aus dem Boden aufnehmen.
Felix: „Was ist `aufnehmen`“?
Der Förster: „Pflanzen nehmen ihre Nahrung und Wasser durch die Wurzeln auf, die im Boden wachsen.“

Felix: „Wo sind denn die Wurzeln von dem Baum jetzt“?
Der Förster: „Die stecken noch hier im Boden und verfaulen.“
„Iiih, Verfaulen stinkt!“ sagt Felix, „Mama hatte mal einen Salat, der war verfault. Puh, das war ekelig!“

Der Förster: „Ja, wenn etwas verfault, riecht es meist nicht so gut. Irgendwann wird aber wieder neue Erde daraus, die nennt man Humus.“

Felix: „Wenn ich krank bin, geht meine Mama mit mir zum Arzt und ich muss Medizin nehmen, damit ich gesund werde. Gibt es Medizin für Bäume?“
„Leider nein“, antwortet der Förster.

Felix versteht es in seinem jungen Alter schon gut, sich durch Fragen und noch mehr Fragen Wissen zu verschaffen.

„Weißt du, wie die Menschen Nahrung aufnehmen?“ fragt der Förster.
„Na, hier!“ zeigt Felix auf seinen Mund, „mit dem Mund.“
Der Förster: „Ja, und wenn wir nichts mehr essen und trinken können, weil wir krank sind, was passiert dann?“
Felix: „Dann verdursten und verhungern wir und sterben. Ich musste schon mal brechen und Mama hat gesagt, ich soll trinken, sonst vertrocknet man.“
Der Förster: „Genau das ist auch mit diesem Baum passiert, er ist vertrocknet und deshalb gestorben, dann abgebrochen. Das Holz zerfällt, man kann es mit der Hand abbrechen.“ Dabei gibt es ein lautes Knacken.

Die Kinder probieren selbst, zwei kleine Zweige zu zerbrechen, und stellen fest, bei dem frisch gesägten Ast geht das nicht richtig ab, der trockene Ast ging leichter durchzubrechen und hat lauter geknackt.

Felix: „Kommt der Baum jetzt auf den Friedhof?“
Der Förster: „Nein, in dem Baum leben jetzt noch viele kleine Tiere, die hier noch Nahrung finden und darin wohnen.“
Felix: „Auch Ameisen?“
Der Förster: „Ja.“
Felix: „Kann man die auch sehen?“
Der Förster: „Nein, im Winter nicht, da verkriechen sie sich, weil es so kalt ist. Erst im Frühling kommen sie wieder heraus. Irgendwann sind die Reste von dem Baum zu neuer Erde geworden, aber das dauert ganz lange.“

Wir verabschieden und bedanken uns und wollen uns später, im Frühling, noch einmal mit dem Förster im Wald treffen, um nach dem toten Baum zu sehen. Es ergaben sich bei den Kindern, vor allem bei Felix, noch jede Menge andere Fragen. Sie gaben Anlass zu weiteren Wald-Besuchen mit dem Förster.

In den Tagen nach unserem ersten Treffen konnte ich feststellen, dass Felix sich weiterhin mit dem Thema auseinandersetzte.
An unseren Pflanzen in der Kita und im Außengelände fand er Ähnlichkeiten: vertrocknete Blumen, knackende Stöcke, die im Herbst abgeschnitten worden sind,er entdeckte eine kleine Maus auf unserem Komposter.

Kommentar der Kursleitung:
Das ist typisch für besonders begabte Kinder: Sie bleiben dran. Aus jeder Antwort entwickeln sie neue Fragen und vertiefen das Gelernte – so sie denn die Gelegenheit haben und Jemand so interessiert und klug auf ihre Fragen eingeht wie dieser Förster…

Das Buch „Tiere bei Nacht im Wald“ schaut er sich gern an und findet darin viele interessante Sachen, die seine Neugier wecken und neue Fragen aufwerfen.

Ich hörte, wie er ein anderes Kind aus der Gruppe fragte: „Hast du schon mal einen toten Baum gesehen?“ „Nö“, sagte das Kind. Felix: „Im Frühling gehen wir wieder in den Wald, dann zeige ich ihn dir ja?

Kommentar der Kursleitung:
Er denkt mit seinen gerade mal vier Jahren auch schon in großen Zeiträumen.

Am Maltisch reflektierten wir noch einmal unseren Waldbesuch, die Kinder hatten jede Menge neuer Erfahrungen gesammelt und fanden den Förster klug, denn er konnte uns viel vom Wald erzählen. Einige Kinder malten Bilder dazu.

 

Mehr über Felix lesen Sie hier:

Experiment „Vulkan“

Felix und das Fotografieren

 

Datum der Veröffentlichung: Februar 2015
Copyright © Kornelia Eppmann, siehe Impressum

Jasmin, 3;4 Jahre

von Martina Böckling

 

Dieser Beitrag ist der erste Teil eines vierteiligen Praxisberichts. Alle vier Teile zusammen beschreiben die Förderung der kleinen Jasmin, die zu Beginn des Berichts drei und am Ende vier Jahre alt ist.

Jasmin hatte auf Grund ihrer tunesischen Wurzeln die ganze Zeit über mit der deutschen Sprache zu kämpfen, fiel mir aber trotzdem sehr früh als besonders begabt auf.

Der erste Teil des Berichts, der hier folgt, beschreibt meine Beobachtungen zu Beginn des Förderprojekts.

Die weiteren Teile finden Sie hier:

Eine Dreijährige will schreiben

Jasmin (4;7) schreibt eine Geschichte

Drei kleine Mädchen sind die „Denkgruppe“

Siehe auch:
Hochbegabung ist kein Luxusproblem

 

Jasmin fiel mir kurz nach ihrem Eintritt in unsere Gruppe auf, weil sie eine hohe soziale Kompetenz zeigte, die mir für ihr Alter ungewöhnlich erschien.

Mit ihren jetzt 3;4 Jahren kümmert sie sich sehr viel um andere Kinder. Sie hilft ihnen, beobachtet sehr genau, bekommt sehr viel vom Gruppengeschehen mit, greift bei Streitigkeiten ein und kann sich viele Dinge merken, bei denen selbst wir Erwachsenen Schwierigkeiten haben.
Jasmin weiß zum Beispiel grundsätzlich, welche Brotdose zu welchem Kind gehört. Wir Erwachsenen können es uns nicht merken, da die Kinder ständig wechselnde Brotdosen dabei haben, teilweise sind es auch noch ähnlich aussehende, und an manchen Tagen haben die Kinder auch Brottüten vom Bäcker dabei.
Wenn eine Brotdose nicht zugeordnet werden kann, brauchen wir nur Jasmin zu fragen.

Jasmin bekommt mit, wenn ein Kind Hilfe braucht, und hilft dann sofort, selbst wenn sie selber beschäftigt ist.

Sie hat hohe Ansprüche an ihre „Werke“, egal ob sie malt oder bastelt. Sie arbeitet sehr genau und exakt, sie ist nicht immer mit dem Ergebnis zufrieden, dann schmeißt sie diese „Werke“ in den Müll.

Sehr häufig wendet sich Jasmin den älteren Kindern zu; sie beobachtet sie und sobald sich eine Gelegenheit bietet, nimmt sie den Kontakt auf. Sie holt sich Hilfe bei den größeren, aber bietet auch ihre Hilfe an, wenn sie meint, dass sie es besser kann oder weiß. Jasmin hört sehr gerne gerade den größeren Jungen zu und zeigt darin eine große Geduld.

Tischspiele spielt sie am liebsten alleine oder mit einem Erwachsenen. Spielt sie mit Gleichaltrigen, dann fällt auf, dass sie das Spiel dominiert.

Sie lässt sich von den anderen Kindern nichts gefallen und setzt sich durch.
Wenn Jasmin bemerkt, dass ein Kind geärgert oder gezankt wird, kommt sie sofort zu uns und gibt uns Bescheid. Sollten wir sie nicht verstehen, dann zieht sie uns zu den entsprechenden Kindern und möchte die Situation mit unserer Hilfe geklärt haben.

Um herauszufinden, ob Jasmin eine überdurchschnittliche Begabung aufweist, habe ich mir die Hinweise auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung durchgelesen und auch den „Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter“ ausgefüllt.

Durch intensives Beobachten in der Gruppe beim Turnen und im Außengelände ist mir nach Ausfüllen des „Entwicklungsbegleiters“ aufgefallen, dass Jasmin in dem Bereich der „sozialen Kompetenzen“ sehr weit entwickelt ist. Von einigen Ausnahmen abgesehen, liegt ihr Sozialverhalten im Bereich „5 ½ Jahre bis Einschulung“.

Ihre Feinmotorik liegt bei ca. 4 ½ Jahren und auch die Grobmotorik ist weit fortgeschritten.
Einzig in der Sprache ist sie noch nicht so weit entwickelt, was daran liegt, dass Jasmin kein Wort Deutsch konnte, als sie mit 2;8 in die Einrichtung kam, und sie es erst lernen musste. Sie redet sehr viel, sehr schnell und ist manchmal nicht zu verstehen.
Ihre kognitive Entwicklung, laut Entwicklungsbogen, ist teilweise schwierig zu beurteilen. Jasmin ist auf jeden Fall altersgemäß entwickelt, bei vielen Punkten ist jedoch das Problem, dass sie die Aufgabe nicht versteht, und das kann auch an den fehlenden Deutschkenntnissen liegen.

Erste Hinweise auf eine besondere Begabung

Ich habe Jasmin sehr viel beobachtet, um herauszufinden, wo ihre Fähigkeiten und Begabungen liegen.
Dabei habe ich einige Entsprechungen im Beobachtungsbogen nach Joelle Huser gefunden:

Zu A 1.)
Allgemeiner Entwicklungsvorsprung, großes Interesse an Buchstaben und Zahlen:

1.
Jasmin hat wie alle anderen Kinder mitbekommen, dass in unserer Einrichtung immer wieder so genannte Rundlaufzettel unterwegs sind, die wir durchlesen und unterschreiben, um sie dann weiter zu reichen.
Eines Morgens nimmt sie zwei Zettel, malt etwas darauf, kommt zu mir und erklärt, sie müsse die Zettel wegbringen.

Auf meine Frage: “Wohin denn?“ antwortet Jasmin: “Zu Agnes“ (das ist die Leiterin unserer Einrichtung). Später fand ich den einen Zettel auf dem Schreibtisch im Büro, den anderen in der Küche auf der Anrichte.

Als sie zurück kommt, holt sie sich einen Schuhkarton, schneidet kleine Stücke ab und malt darauf wieder dieselben Zeichen. Auf meine Frage, was sie denn mache, erklärt sie mir, dass sie alles aufschreiben müsse. Danach läuft sie wieder ins Büro, legt dort einen Zettel ab, malt neue, bringt diese in die Küche, schneidet neue aus. Das Ganze zieht sich über eine Stunde hin.

2.
Auf einem Schrank im Flur liegen Matschhosen und dabei ein Zettel, auf dem steht:“Wem gehören diese Sachen?“
Jasmin bleibt an diesem Schrank stehen, nimmt den Zettel, murmelt vor sich hin und fragt mich: “Was steht da?“ Ich lese es ihr vor, sie wiederholt es.

3.
Alle Kinder und Erzieherinnen sitzen im Morgenkreis. Während wir Erzieher unsere Liedermappen mit den Liedtexten zu Hilfe nehmen, sehe ich, dass Jasmin sich mit einem selbst gemalten und geschriebenen Zettel hinsetzt und auch während des Singens immer wieder draufschaut.

Zu A 2.)
Schnelle Auffassungsgabe und Neugierde:

1.
Ich sitze mit einem anderen Kind am Tisch und spiele mit ihm das Zuordnungsspiel „Flocards.“ Spielebeschreibung siehe hier: Interessante Spiele.
Jasmin kommt zu uns und möchte auch daran arbeiten. Als das Kind fertig ist, setzt sich Jasmin auf dessen Platz.
Ich erkläre Jasmin, wie das Spiel geht, und sie legt zwei Teile richtig hin. Nebenbei hört sie zu, worüber sich die anderen Kinder unterhalten, die neben ihr stehen. Sie kommentiert die Äußerungen der Kinder und legt wieder zwei Teile richtig hin. Dann steht sie auf, geht zur Fensterbank, betrachtet die Lupen, die dort liegen, kommt zurück, legt wieder Teile auf die richtige Stelle.

Dieses Spiel spielt Jasmin zum ersten Mal und ich habe es auch mit anderen Kindern im ähnlichen Alter gespielt, sie haben das Spiel nicht verstanden.

Seit wir vor Monaten den Kölner Zoo besucht haben, zeigt uns Jasmin in Büchern die Tiere, die wir gesehen haben. Sie kann sie benennen, hat sich auch Einzelheiten gemerkt, die sie uns sagen kann.

2.
Bei unserem Projekt “Reise um die Welt“ erfahren die Kinder viel über das Land, aus dem sie oder ihre Eltern kommen. Jasmin hört interessiert zu, an diesem Tag geht es um die Türkei. Sie sagt: „Alle kommen andere Länder. Berkay und Umut in Türkei. Ich Tunesien.“

Zu A 3.)
Orientierung an älteren Kindern und Erwachsenen:

1.
Meistens sucht sich Jasmin zum Spielen von Tischspielen Erwachsene aus. Sehr selten spielt sie mit Gleichaltrigen, zwischendurch mal mit Älteren und häufig spielt sie auch alleine.

2.
Melisa, ein Vorschulkind, möchte mit den anderen Vorschulkindern ein Arbeitsblatt bearbeiten. Die anwesenden Vorschulkinder legen los.
Auch Jasmin will ein Arbeitsblatt haben, ich gebe ihr eins, das noch übrig ist, und beobachte, was passiert. Es ist ein Blatt mit verschiedenen Formen: Kreis, Dreieck, Viereck, die ausgeschnitten werden sollen.

Jasmin setzt sich an den Basteltisch und schneidet ein Teil aus, geht zu den Großen und sieht ihnen zu.
Sie kommt zurück, schneidet im Stehen weiter und sagt: “So!“ Sie legt Teile vor sich hin, geht wieder zu den Großen, beobachtet diese, kommt zurück, schneidet und stampft mit den Füßen auf. Sie ist mit dem Ergebnis anscheinend nicht zufrieden, zerknüddelt zwei Teile und wirft sie in den Mülleimer.

Danach schneidet sie noch ein Teil aus, gibt es mir und meint, sie käme auch bald in die Schule.

Kommentar der Kursleitung (im IHVO-Zertifikatskurs):
Es sieht so aus, als habe sie sich mit den älteren Kindern verglichen und festgestellt, dass sie das auch alles kann, was diese Kinder tun. Ihre Schlussfolgerung, auch bald in die Schule zu kommen, ist logisch.

3.
Die angehenden Schulkinder gehen mit mir in den Wahrnehmungsraum, Jasmin möchte auch mit, sie sagt: “Ich auch groß, bald Schule gehen.“

4.
Ich setze mich mit dem Beobachtungsordner an einen Tisch, um etwas zu notieren, sofort kommt Jasmin mit Zettel und Stift, setzt sich dazu und fängt an zu „schreiben“. Als ich sie anschaue, lächelt sie mir zu und sagt: “Ich auch schreiben“.

Zu A 4.)
Verblüffende Gedächtnisfähigkeit:

1.
Jasmin spielt mit einer Praktikantin das Spiel: “Cha memo“, dies ist ein Bildersuchspiel. Man deckt Karten auf und muss zu einem abgebildeten Gegenstand eine Karte mit einem farblich passenden Chamäleon finden.

Obwohl Jasmin sich immer wieder ablenken lässt, sich immer wieder umschaut und hört, was im Gruppenraum passiert und es auch kommentiert, schafft sie es, dieses Spiel zu gewinnen.

Kommentar der Kursleitung:
Offenbar war sie noch nicht an ihrer Leistungsobergrenze angekommen; denn sie machte keine Fehler und musste sich dafür nicht voll konzentrieren. Wäre es richtig schwierig für sie geworden, hätte sie vermutlich ihre Aufmerksamkeit stärker auf das Spiel gerichtet.

2.
Wir sitzen in der Bauecke, wollen einen Morgenkreis beginnen, als eine Kollegin dort eine so genannte Zippertüte findet. Keiner von uns drei Erwachsenen weiß, woher die Tüte stammt. Ich sage zur Kollegin: “Wirf sie weg.“ Jasmin sagt sehr energisch: “Nein, Tüte“. Sie läuft zum Spielzeugschrank, sucht ein Spiel heraus und sagt: “Guck!“, nimmt die Tüte und räumt die Spielsteine hinein. Dann packt sie das Spiel weg.

Zu A 5.)
Lange Aufmerksamkeitsdauer und starke Eigenmotivation:

Wenn Jasmin sich für etwas interessiert, hat sie eine lange Aufmerksamkeitsdauer und möchte diese Aufgabe so gut wie möglich absolvieren. Beispiel: Herstellen einer Weltkugel.
Die Kinder stellen aus Pappmaché eine Weltkugel her und bemalen sie blau. Danach werden die Kontinente grün aufgemalt. Zum Schluss stellen wir noch ein ausgeschnittenes Männchen auf die Kugel, bevor sie aufgehängt wird. Diese Arbeit zieht sich über drei Tage hin.

Jasmin arbeitet sehr sorgfältig, dadurch arbeitet sie länger und ausgiebiger an der Kugel als alle anderen Kinder, die mitgemacht haben.
Nichtsdestotrotz bekommt sie alles mit, was sich im Gruppenraum abspielt und während sie arbeitet, gibt sie ihre Kommentare dazu.

Zu A 6.)
Kritische Einstellung zur eigenen Leistung – hohe Ansprüche an sich selbst.

1.
Jasmin beurteilt ihre Werke sehr kritisch.Wenn ihr etwas nicht gefällt, versucht sie es zu verbessern oder sie wirft die Sachen weg.
Beispiel: Jasmin malt ein Mandala aus; dann schaut sie sich an, wie Melisa und Kaynat ihr Mandala angemalt haben (beides sind angehende Schulkinder), nimmt ihr Mandala und wirft es in den Müll.

2.
In der Turngruppe von Jasmin sind die jüngeren Kinder. Alle beschäftigen sich mit Bällen. Jasmin merkt nach kurzer Zeit, dass sie werfen, aber nicht fangen kann.
Als die Praktikantin ihr den Ball zuwirft, dreht sie sich weg und sagt: „Nein, nicht so.“ Dann wirft sie den Ball und sagt: “So, will ich.“

3.
Beim Mittagessen merkt sie, dass sie das Fleisch nicht schneiden kann, sie probiert es kurz, dann gibt sie es auf und lässt das Fleisch liegen.

Zu E 1.)
Besonders gute Beobachtungs- und Wahrnehmungsfähigkeit:

1.
Wir sind im Außengelände, Jasmin kommt mit der Kapuze einer Jacke angelaufen und ruft nach mir. Ich frage sie, wem die Kapuze gehört, und sie sagt: “Umut“. Dann läuft sie mit der Kapuze in der Hand über das gesamte Außengelände und sucht den Jungen.

2.
Maxim, ein neues Kind, weiß nicht, wo er seine Brotdose hinlegen soll. Jasmin bekommt es mit, nimmt ihn an die Hand, zieht ihn zum Regal, auf dem die Brotdosen stehen und sagt: “Maxim, hier.“ Als er kurze Zeit später frühstücken möchte – Jasmin frühstückt selber gerade – steht sie auf und holt ihm seine Brotdose.

3.
Jasmin sitzt am Tisch und knetet. Am Frühstückstisch hat ein Kind seinen Teller nicht weggeräumt. Ich frage: “Wer hat zuletzt gefrühstückt?“ Jasmin antwortet: „Cansu“.

4.
Ein paar drei- und vierjährige Kinder sitzen am Maltisch. Denise klebt Knöpfe auf ein Blatt. Dabei verteilt sie sehr, sehr viel Kleber über ihr Blatt, die Knöpfe halten nicht. Jasmin sieht es, geht zum Regal mit den Bastelutensilien, schneidet ein Stück Papier ab, geht zu Denise hin und legt das Papierstück auf den vielen Kleber. Dann zieht sie es wieder ab und sagt: “So“ und geht sichtlich zufrieden zu ihrem Platz zurück.

5.
Amanda sitzt blass auf einem Stuhl, Jasmin sieht sie an, geht zu ihr und fragt: “Amanda, krank?“ Amanda nickt und zeigt auf ihren Kopf. Jasmin kommt zu mir und sagt: “Martina, Amanda krank, Kopfschmerzen.“

Zu E 2.)
Hohe Fähigkeit zur sozialen Anpassung:

Auffallend ist, dass Jasmin, sobald sie mit gleichaltrigen Kindern der Gruppe zusammen ist, manchmal ihr Licht unter den Scheffel stellt.

1.
Amanda fordert Hilfe bei ihrem Puzzle, Jasmin puzzelt auch und sagt: „Ich kann auch nicht“, obwohl sie dieses Puzzle schon oft gemacht hat.

2.
Sameer hat Schwierigkeiten, ein Spiel einzuräumen, Jasmin schafft es nun auch nicht, ihr Spiel einzuräumen, und fordert auch Hilfe.

Zu E 4.)
Ausgeprägter Gerechtigkeitssinn – hohe Sensibilität:

1.
Sameer wird ausgeschimpft, weil er nicht in der Bauecke aufgeräumt hat. Nun kommt Jasmin empört zu meiner Kollegin und schimpft ihrerseits: „Sameer muss nicht aufräumen, Berkant muss.“ Sie hatte mitbekommen, dass Berkant die Sachen ausgeräumt hatte.

2.
Bei Lisa läuft die Nase, sie merkt es nicht. Jasmin holt ihr ein Taschentuch und gibt es ihr.

3.
Die fünfjährigen Jungen geraten in Streit, wer in die Turnhalle gehen darf. Berkay wird von den anderen ausgeschlossen, er fängt an zu weinen. Die dreijährige Jasmin geht zu ihnen hin und sagt: „Berkay darf Turnhalle, Berkay weint.“

4.
Jasmin wird von einer Kollegin ausgeschimpft, weil sie in der Puppenecke gespielt hat, diese aber nicht aufgeräumt ist. Jasmin fängt an zu weinen. Es stellt sich heraus, dass Jasmin sehr viel alleine aufgeräumt hat, während die anderen Kinder zuschauten. Sie hat den Rest für die Anderen übrig gelassen.
Ich könnte gerade zu den letzten Punkten (E) noch sehr viel mehr Beispiele bringen, muss es aber aus Platzgründen einschränken.

Ich will über Jasmin noch mehr herausfinden

Jasmin ist vor 11 Monaten zu uns in die Einrichtung gekommen, zu diesem Zeitpunkt konnte sie kein Wort Deutsch sprechen, sie musste es erst lernen. Sie hat sehr schnell Deutschkenntnisse erworben, kann sich in der Gruppe zurechtfinden und mit den Kindern und uns Erzieherinnen auseinandersetzen.

Sehr häufig benutzt sie noch Zweiwort-Sätze. Wenn wir Erzieherinnen genau nachfragen, weil wir sie nicht verstehen, kann es vorkommen, dass sie nicht mehr weiterredet und verunsichert wirkt.

Mir ist aufgefallen, dass Jasmin sich mit Begriffen gut auskennt, sich jedoch weigert, in ganzen Sätzen zu reden, oft redet sie in Satzbruchstücken.

Ich möchte herausfinden, ob Jasmin sich nicht traut vor den anderen zu sprechen, ob sie es nicht kann oder ob sie ihre Fähigkeiten nicht nutzt.

Dazu wollte ich versuchen, mit ihr in ein längeres Gespräch zu kommen. Am Tag zuvor hatte ich den Dreijährigen eine Bilderbuchgeschichte von „Bobo Siebenschläfer“ vorgelesen, dies ist eine Bildgeschichte mit sehr wenigen und einfachen Texten aus dem Lebensbereich der Kinder; die Kinder erzählten, was sie auf den Bildern sahen.

Da Jasmin gerne mal was mit mir alleine macht, habe ich vor, mit ihr in den Nebenraum zu gehen und mit ihr nochmal in aller Ruhe und ohne dass sie vom Geschehen der Gruppe abgelenkt wird, über die Geschichte zu reden.
Jasmin bekommt soviel mit, was um sie herum passiert, dass ich mir erhoffe, dass sie im Nebenraum sehr viel mehr erzählen wird, wenn nur wir beiden uns die Geschichte nochmal anschauen.

Im Nebenraum nimmt Jasmin das Buch und blättert. Ich frage sie, ob sie sich noch an die Geschichte erinnern kann und sie murmelt etwas vor sich hin, was ich nicht verstehen kann. Als ich nochmals nachfrage, sagt sie: “Mädchen sing.“

Ich versuche sie nochmals zum Gespräch zu motivieren, doch als sie sich ans Fenster stellt und anfängt zu singen, ist mir klar, dass sie kein Interesse hat, über die Geschichte zu reden.

Sie setzt sich wieder, ergreift das Buch, blättert und sagt: “Bobo fallenlassen“ (sie meint einen Becher Kakao, den Bobo fallengelassen hat) blättert noch ein wenig in dem Buch herum. Ich wiederhole ihre Aussage, sie lächelt mich an.
Nun zeigt sie mir die Seite mit der Information über den Autor und meint: “Lies vor“.

Ich lese ein wenig über den Autor vor, Jasmin nimmt sich meinen Block und den Kugelschreiber und fängt an zu malen.
Ich frage: “Was machst du“? Ihre Antwort lautet: “Schreiben“
„Ich schreiben: alle Kinder da“. Sie malt Zeichen und sagt: „Berin da, Berkay da, Yusuf da, Amanda da.“ Sie zählt die Namen aller Kinder auf, die da sind.
Sie malt weiter und sagt dann: “Sameer bester Freund, Denise bester Freund, Amanda auch.“
Dann zählt sie „1, 3, 5, 7“ und sagt: “Alle Kinder da.“

Ich zeige auf ein Zeichen und frage: „Wie heißt das?“ Prompt antwortet sie: „Amanda“. Ich zeige auf ein weiteres und sie nennt den Namen: „Sameer“. Dann zeigt sie mir, wo „Martina“ steht.
Nun will sie, dass ich auch schreibe. Ich schreibe ein paar Namen auf und Jasmin sieht mich an, lächelt und sagt: „Gut.“

Auswertung und Interpretation der Beobachtungen

Jasmin hatte weder Interesse, über die Geschichte zu reden, noch eine neue zu hören.
Sie entschied, dass sie etwas anderes machen möchte, und hat mir gezeigt, dass sie sehr genau wahrnimmt, welche Kinder in der Gruppe anwesend sind, und dass sie dies gerne aufschreiben möchte.
Mein Ziel, zu erfahren, ob Jasmin auch in ganzen Sätzen reden kann, habe ich nicht erreicht, dafür hat sie mir wieder mal gezeigt, wie gut ihre Beobachtungsfähigkeit ist und dass sie ein großes Interesse am Schreiben hat.

Durch die Beobachtungen habe ich festgestellt, dass Jasmin hohe Ansprüche an sich selber hat.

Alle Dinge, die sie ihrer Meinung nach noch nicht hinreichend bewältigen kann, vermeidet sie.
Jasmin beherrscht die deutsche Sprache nicht so, dass sie mit mir über die Geschichte reden konnte, so hat sie schnell abgelenkt und zu dem gegriffen, wo sie sich sicher sein konnte, dass sie es bewältigen kann.
Dafür, dass sie erst seit wenigen Monaten deutsch lernt, kann sie es schon gut, ich vermute, dass sie aber wahrnimmt, wie gut die anderen Kinder deutsch reden.
Ich denke, dass die gesamte Situation etwas unglücklich war. Jasmin hatte zwar viel Freude, mit mir alleine in den Nebenraum zu gehen, aber sie wollte nicht über die Geschichte reden. Sie lenkte ab, und als ich darauf einging, zeigte sie mir ihre Beobachtungsfähigkeit. Sie zählte alle anwesenden Kinder auf, ohne dass sie diese sehen konnte, und schrieb die Namen auf.

„Schreiben“ macht Jasmin sehr viel Freude, sie ist das einzige Kind in unserer Gruppe, das den Versuch unternimmt die Namen der Kinder zu schreiben. Man muss bedenken, sie ist erst 3;4 Jahre alt.
Gleichzeitig wurde mir deutlich: Was Jasmin nicht möchte, das macht sie nicht. Ich habe dieses Verhalten im Umgang mit der Mutter erlebt, im Kindergarten hat sie es bis jetzt noch nicht gezeigt.

Kommentar Kursleitung:
Vielleicht hat Jasmin auch „den Braten gerochen“ und fühlte sich auf die Probe gestellt gefühlt. Eine alternative Strategie hätte sein können, einen Gesprächsfaden zu vertiefen, den sie ihrerseits aufnimmt. Auf jeden Fall zeigt sich eine starke Neigung zur Selbstbestimmung.

Weiterer Verlauf

Einen Tag später habe ich mit ihr und Amanda das Spiel „Ratzolino“ gespielt.
Hierbei liegen kleine Holzgegenstände auf dem Tisch, wie Auto, Möhre, Eichhörnchen etc., also auch nicht ganz so gewöhnliche Begriffe – und Jasmin konnte sie alle benennen. Ich erzählte eine kleine Geschichte, in der die Gegenstände vorkamen. Jasmin und Amanda sollten sich die Gegenstände schnell nehmen, sobald sie genannt wurden.
Von den 17 Teilen hat Jasmin sich 14 geschnappt.
Das hatte ich nicht erwartet, Jasmin kennt viel mehr Begriffe, als sie uns im Alltag zeigt. Ich vermute, dass wir sie häufig unterschätzen und auch unterfordern.
Bei den nächsten Angeboten werde ich das berücksichtigen.

Ein überraschendes Erlebnis hatte ich drei Tage später. Ich setzte mich auf unser Sofa in der Leseecke. Sofort kam Jasmin, schnappte sich das Buch “Regenbogenfisch“ und setzte sich dazu.
Sie zeigte mir die erste Seite und sagte: “Regenbogenfisch, viele Schuppen.“ Auf mehreren Seiten zeigte und sagte sie mir, was sie sah.

Dies war das erste Mal, dass sich Jasmin ein Bilderbuch genommen und darüber gesprochen hat. Vielleicht hat doch meine Bildgeschichte dazu beigetragen.
Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir mit Jasmin noch einige Überraschungen erleben werden, und darauf freue ich mich.

 

Datum der Veröffentlichung: Februar 2015
Copyright © Martina Böckling, siehe Impressum