Murat und unser Projekt „Mein Körper“

von Verena Demirel

 

Murat ist schon seit längerem mein „Beobachtungskind“ im IHVO-Zertifikatskurs.

Siehe:
Murat (5;6) fiel schon früh auf
Murat will lernen: Minus-Aufgaben und Englisch

Besonders begabte Kinder in einer Englisch-AG

 

Nun ist Murat 6 Jahre alt und steht kurz vor seiner Einschulung. In den letzten Monaten sind mir immer wieder Situationen aufgefallen, in denen Murat seine Klugheit unter Beweis gestellt hat und ich versucht habe, ihn in seinem Lernprozess angemessen zu unterstützen.
Diese Situationen möchte ich dokumentieren.
Unser Gruppenthema war „Mein Körper“. Dabei berücksichtigten wir die Interessen einer Kleingruppe von sieben besonders begabten Kindern im Alter von fünf bis sechs Jahren.

Vorüberlegungen

Das Thema entstand im letzten Jahr aus den Interessen der Kinder. Ein moslemischer Junge war kurz zuvor beschnitten worden, und im Nebenraum wurde das Erlebte (heimlich) verarbeitet durch Nachspielen. Das Puppengeschirr diente als Operationsbesteck und alle Bücher, in denen nackte Menschen zu sehen waren, wurden (heimlich) in den Nebenraum befördert.

Das Spiel fand immer unter der Decke statt. Kam man als Erwachsener dazu, wurde man mit der Aussage „wir machen nix, wir spielen nur“ wieder zum Gehen aufgefordert. Natürlich ließen wir die Kinder gewähren – gegenseitiges Verletzen war ausgeschlossen, die Kinder waren immer komplett bekleidet. Dies hielt über etwa drei Wochen an.

Murat (noch nicht beschnitten) war so etwas wie der „Anführer“ der Gruppe und wirkte immer bemüht, das große Geheimnis (mit dabei waren noch zwei Jungen und zwei Mädchen) auch geheim zu halten.

Wir starteten das Thema „Ich sehe ja ganz anders aus als du“ und es entwickelte sich schnell weiter. Von den Unterschieden gleicher Geschlechter kamen wir auf die von unterschiedlichen Geschlechtern. Über die Haut, die Muskeln und die Knochen ging es zum Blut über. Daraus entwickelte sich großes Interesse am Herzen, mit dem wir sehr lange beschäftigt waren.

Die Speise- und Luftröhre waren ebenfalls sehr gefragt, bevor wir herausfanden, was für alles eigentlich verantwortlich ist: Das Gehirn.

Die Methoden im Projekt waren mit Experimenten, Bewegungs- und Rollenspielen, Liedern, Tischspielen, Filmen, Büchern, Körperpuppen, Gesprächskreisen und kreativer Gestaltung sehr abwechslungsreich und spannend. Am Ende unseres sehr intensiven, lustigen und ereignisreichen Projektes fuhren wir auf einen großen Indoor-Spielplatz, auf dem man die eigenen körperlichen Grenzen an einer hohen Kletterwand neu definieren konnte.

Ziele des Projektes

Es gab mehrere Ziele, die ich mit der Kleingruppe erreichen wollte.
Hier möchte ich mich aber nur auf Murat beziehen:

    • durch Spaß und gemeinsames Interesse den Freundeskreis von Murat verfestigen und stärken,
    • ihn in eine Kleingruppe integrieren, in der er nicht unterfordert ist und seine kognitiven Fähigkeiten „einbauen“ kann,
    • seinen Wissensdurst zu diesem Thema stillen,
    • Murat vermitteln, wie man sich selbstständig Wissen beschaffen kann.

Hier die meiner Meinung nach vier aussagekräftigsten Aktionen in bezug auf Murat:

Experiment: Mein Herz

Wir wollten herausfinden, wie man die Schnelligkeit seines eigenen Herzschlages beeinflussen kann. Die Kinder probierten mehrere ihrer eigenen Ideen aus, wie zum Beispiel laufen, Luft anhalten, Hampelmann-Sprung, Gewichte heben, schreien, usw. Als Kontrolle diente uns die eigene Hand oder die des Freundes und ein Stethoskop.

Als ein Junge sein T-Shirt hob, um nachzugucken, ob die Haut sich dabei auch bewegt, fiel Murat etwas ein. Er erklärte der Kleingruppe und mir, dass er vor kurzem in der Kindersendung „Wissen macht Ahh…“ etwas darüber gesehen habe. Er brauche Knete und einen Strohhalm und wolle uns das dann zeigen.

Die Knete war im Gruppenraum schnell zur Hand, jedoch erwies sich das Auffinden eines Strohhalms als sehr schwierig. Ich kümmerte mich nicht weiter darum, da Murat sich selbstständig darum bemühte, die Materialien zusammen zu suchen.

Zunächst ging er in den Werkraum und durchsuchte alle Vorräte unserer Bastelmaterialien. Danach durchstöberte er alle Materialschränke der drei anderen Gruppen und fragte zuletzt unsere hauswirtschaftliche Kraft in der Küche.

Es war kein Strohhalm zu finden! (Ich habe es später überprüft, sie waren wirklich aus.)
Murat ging angemessen mit dem Misserfolg um. Er nahm sich vor, am nächsten Tag einen Strohhalm von zu Hause mitzubringen. Ich schlug ihm vor, sich einen Erinnerungszettel zu schreiben, was er aber für überflüssig hielt. Ich war gespannt.

Tatsächlich war ihm dieses Experiment so wichtig, dass er am nächsten Morgen nicht nur einen, sondern gleich eine kleine Packung Strohhalme mitbrachte: für alle. Ich fand nicht nur toll, dass er es überhaupt schaffte, sondern dass er gleichzeitig auch noch an die anderen Kinder gedacht hatte.

Sobald die Kleingruppe vollständig war, legten wir los. Murat erklärte uns, dass man eine gewisse Menge Knete zu einer Kugel formen und dann den Strohhalm da hinein stecken müsse. Nun hält man die Kugel an die Stelle des Körpers, wo das Herz sitzt. Alle Kinder folgten Murats Arbeitsauftrag, und wir waren begeistert – der Strohhalm vibrierte und wir konnten SEHEN, wie unser Herz schlägt. Anton fragte, wie das sein kann, und Murat erklärte, dass im Fernsehen gesagt wurde, dass die Knete die Bewegungen des Herzens einfach gut „weiterschicken“ kann.

Als auch mit schnelleren Herzschlägen geprobt wurde, erklärte Murat uns, dass der Ball aus Knete auch nicht zu groß sein darf. Er habe das zu Hause direkt ausprobiert und festgestellt, dass die Knete ab einer gewissen Größe aufhört, die Schläge weiterzuleiten. Kleiner könne die Kugel werden, größer aber nicht. Nun probierten alle aus, ab wann der Strohhalm nicht mehr wackelte.

Es war toll zu beobachten, wie aufmerksam die Kleingruppe Murat zuhörte und wie positiv sie auf seine Ideen reagierte.

Ohne als „Besserwisser“ dazustehen, konnte Murat Impulse setzen und wurde von allen ernst genommen. Außerdem hatten sie großen Spaß miteinander.

Aktion Internet

Ich saß gerade am Computer und tippte eine Liste, als Murat zu mir ins Büro kam, um mich zu fragen, was „Pipi“ auf Englisch heißt. Die Projekte „Mein Körper“ und die Englisch-AG liefen im gleichen Zeitraum parallel nebeneinander. Hier war wieder deutlich zu erkennen, wie gut er beide Projekte miteinander verknüpfen konnte.

Ich gab offen zu, dass ich nicht wüsste, was „Pipi“ auf Englisch heißt, und fragte ihn, wie wir das nun rausfinden könnten. Er schlug vor, „das Buch zum Übersetzen“ aus dem Studierzimmer zu holen.

Ich fragte ihn, ob er Lust habe, mal eine andere Möglichkeit, sich Wissen anzueignen, ausprobieren möchte. Als ich ihm vorschlug, zusammen im Internet nachzusehen, war er sofort dabei.
Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben mich an dem Schreibtisch. Zuerst erklärte ich ihm die Funktion der Suchmaschine „google“. Murat sagte, dass er schon mal mit seiner Mutter im Internet war und das Wort „google“ schon mal gehört habe.

Ich buchstabierte ihm die Adresse und er gab sie ein. In google gaben wir dann die Wörter „Übersetzung englisch deutsch“ ein und Murat entschied sich für einen der ersten Vorschläge: „LEO – deutsch englisches Wörterbuch“.

Nun erklärte ich ihm, dass er das Wort, das er übersetzt haben möchte, oben in die Suchleiste eintippen muss und die Maschine ihm dann das englische Wort hinschreibt. Also schrieb er „Pipi“ hinein. Ich las ihm das Ergebnis „wee“ oder „wee-wee“ vor. Als ich sagte, dass Pipi machen „to have oder to do a wee-wee“ heißt, erklärte Murat mir, dass er das Pipi eigentlich gar nicht meinte, er meinte den „Pipimann“.

Ich antwortete, dass „Pipimann“ ja wohl ein Wort für Babys und nicht die richtige Bezeichnung für dieses Körperteil wäre. Er lächelte und sagte leicht beschämt, dass er „Penis“ meinte. Er gab das Wort ein und stellte fest, dass das ja eine ganz andere Bedeutung hat. „Penis“ wird im Englischen zwar genauso geschrieben, aber anders ausgesprochen.

Also zeigte ich Murat den kleinen Lautsprecher links vor dem Wort durch den man sich die Übersetzung anhören konnte. Jetzt las ich ihm noch die Worte „dong“ und „pecker“ (amer.) vor und erklärte, dass es bei uns ja auch mehrere Wörter für das Wort „Penis“ gäbe. Murat amüsierte sich sehr über das Wort „dong“ und sagte: „Hört sich an wie dingdong, das kann ich mir gut merken“. Damit ging er zurück in die Gruppe.

Experiment: „Kann ich schneller pumpen als mein Herz?“

Nachdem wir die Inhaltsstoffe und Aufgaben des Blutes in Erfahrung gebracht hatten, kam die Frage auf, warum und wie das Blut eigentlich durch den Körper läuft und warum das Herz schlägt. Um den Kindern besser verdeutlichen zu können, wie dieser Muskel das Blut durch den Körper pumpt, starteten wir ein kindgerechtes Experiment.

Zuerst brauchten wir die Menge Flüssigkeit, die auch die Blutmenge im Körper ausmacht. So nahmen die Kinder also einen Messbecher und schütteten 3 Liter Wasser (ungefähre Blutmenge eines 5-jährigen Kindes) in einen Eimer. Um es möglichst echt aussehen zu lassen, färbten wir das Wasser mit roter Wasserfarbe und etwas Ketchup ein. Das Ketchup war den Kindern sehr wichtig.

Nun stellten wir einen leeren Eimer daneben, und das Herz kam in Form eines rechteckigen Tafel-Schwammes zum Vorschein. Ich steckte den Schwamm in den ersten Eimer und erläuterte der Kleingruppe, dass dieser sich wie das Herz nun mit Blut vollsaugt. Dann drückte ich ihn über dem leeren Eimer aus und erklärte, dass es sich danach dann wieder ausdehnt. Es saugt an der einen Seite Blut an und nimmt es auf, zieht sich dann zusammen und pumpt das Blut dabei auf der anderen Seite mit Druck in den Körper.

Wenn wir uns anstrengen, pumpt es schneller, wenn wir uns ausruhen, langsamer. Das macht es mit den ganzen 3 Litern in nur einer Minute! Das ist eine erstaunliche Leistung; denn eine Minute vergeht so schnell wie einmal bis 60 zählen.

Jetzt fragte ich, wer bereit sei, den Wettlauf mit der Zeit gegen sein eigenes Herz anzutreten und zu versuchen, das Blut in einer Minute in den anderen Eimer zu pumpen. Zusätzlich sollten zwei Kinder mit einer Stoppuhr die 1 Minute messen.

Wir waren sehr lange im Waschraum beschäftigt, da es anfangs keinem Kind gelang, den Eimer in der vorgegebenen Zeit zu leeren. Zum guten Schluss gelang es Ardan dann doch. Ich zog mich aus der Situation zurück, sagte den Kindern aber, dass sie gerne noch ohne mich weiter machen könnten.

Murat ließ es keine Ruhe, dass er die Leistung seines eigenen Herzens nicht überbieten konnte. Er übte fast den gesamten Vormittag. Sein Ehrgeiz ließ nicht zu, die Sache so zu belassen. Also ging er ohne Aufforderung oder Nachfrage nach dem Mittagessen wieder in den Waschraum und machte weiter. Sein Freund David unterstützte ihn und stoppte die Zeit. Es dauerte noch eine Weile, aber schließlich schaffte er es, die 3 Liter Wasser in einer Minute von Eimer A in Eimer B zu befördern.

Erst jetzt war er zufrieden und stolz und konnte das Experiment als erfolgreich ansehen.

Gestaltung eines lebensgroßen und originalgetreuen Selbstporträts

Die Kinder legten sich auf ein Stück ausgerollte Tapete und ließen sich von ihrem Partner abmalen, der mit einem Stift um den Körper herum fuhr. So kamen die Körperumrisse aufs Papier. Aufgrund der Größe des Blattes mussten wir auf dem Boden arbeiten und legten die Gruppe mit Folie aus.
Das Porträt sollte auch als Lernzielkontrolle dienen und den Kindern visuell vor Augen führen, was sie schon alles über den Körper gelernt hatten.

Wir begannen mit dem Mengenverhältnis Blut und Wasser im Körper, und die Kinder füllten den Körper anteilig mit roter und blauer Wasserfarbe aus. Danach stellte ich ihnen zwei Bücher zur Verfügung, aus denen sie die Organe, die wir schon besprochen hatten, an die richtige Stelle in ihren Umriss malen konnten.

Murat arbeitete sehr selbstständig. Er fragte, im Vergleich zu den anderen Kindern der Kleingruppe, kaum nach, um Bestätigung zu erhalten. Auch beim Sitz und Aussehen der Organe war er sich ziemlich sicher. So zeichnete er das Herz (hier machte er es sich einfach und malte auch ein Herz), das Gehirn (hier gab er sich viel Mühe, malte detailliert, war aber weniger zufrieden, obwohl es ja sehr schwer zu malen ist), die Luft- und Speiseröhre und die Lunge. Am Ende hängten wir die Porträts in der Gruppe auf.

Ich schlug Murat vor, die jeweiligen Organe noch zu beschriften, wenn er noch Lust hätte. Er stimmte zu und die anderen Kinder schlossen sich ihm an. Toll zu beobachten war die Kettenreaktion des gegenseitigen Helfens, die jetzt stattfand: Murats Bild hing ganz rechts außen und ich buchstabierte für ihn die Wörter, nach denen er mich fragte. Mit dem Lineal zog er Striche vom Organ aus zu einer freien Stelle auf dem Bild und schrieb die Bezeichnung dahin.
David daneben begann nun von Murats Bild abzuschreiben, Anton daneben schrieb von David ab und Ardan dann von Anton.

Reflexion

Das Projekt lief über einen Zeitraum von 6 Monaten, war abwechslungsreich und hat viel Spaß gemacht. Ausgegangen war es von „Doktorspielen“ und hatte sich dann durch die Impulse und Ideen der Kinder (viele davon waren Murats Ideen) über viele Themen weiterentwickelt.

Ich denke, dass ich mit diesem Thema Murats Interessenschwerpunkt getroffen und seine kognitiven Bedürfnisse befriedigt habe. Auch weil die Kleingruppe aus seinen Freunden bestand, konnte er seinen geistigen Möglichkeiten freien Lauf lassen.

Er trieb die Kleingruppe voran, hatte tolle Ideen (Beispiel: Knete am Strohhalm) und stellte viele interessante Fragen. Sehr wichtig dabei war mir auch, dass die anderen Kinder seine Ideen akzeptierten. Diese Ziele habe ich also erreicht.

Auch mein Ziel, ihm neue Möglichkeiten aufzuzeigen, sich selbstständig Wissen anzueignen, kann ich in gewisser Weise als erreicht ansehen. Das Surfen im Internet hat ihm viel Spaß gemacht. Ich denke, dass er sich sehr selbstständig Wissen beschaffen wird, wenn er erst das Lesen beherrscht.

Diese Selbstständigkeit wird ihm in der Schule zu Gute kommen und auch immer dann, wenn er dort seinen Wissensdurst nicht ganz stillen kann.
Während des Projektes wurden sein Wissensdurst und seine gute Merkfähigkeit mal wieder sehr deutlich. So hatte er sich viele Bestandteile des Blutes schon nach dem ersten Mal gemerkt, konnte wiedergeben, was passiert, wenn der Körper versucht, eine blutende Wunde zu schließen, warum das Blut durch den Körper fließen muss und was es transportiert, usw.

In Gesprächen, auch mit Kindern, konnte er das Gelernte auch kindgerecht erklären.

Toll fand ich auch, wie er Erworbenes mit in die Englisch-AG und andersrum seine Englischkenntnisse auch mit in das Körperprojekt nahm. So suchte er Übersetzungen für manche Wörter und erklärte den Kindern der Englisch-Gruppe etwas über das Blut.

Schön zu beobachten war auch, wie sein Ehrgeiz ihn antrieb, die Herausforderung anzunehmen und seine Ziele zu erreichen. Hier war gut, dass ich ihm Raum und Zeit gegeben habe, sich mit mir über das Thema und auch mit sich selber auseinander zusetzen (Beispiel: Experiment, bei dem er schneller sein wollte als sein Herz).
Nun kommt Murat in die Schule.

Ich wünsche ihm, dass er an eine Lehrkraft gerät, die sich wenigstens ein bisschen mit dem Thema „Hochbegabung“ befasst und ihn angemessen fordern, fördern und unterstützen wird.

Mit seiner Mutter habe ich schon besprochen, dass sie sich bei uns melden soll, wenn es mit Murat Schwierigkeiten in der Schule geben sollte. Vielleicht hilft ja dann ein Gespräch zwischen uns und der Schule etwas. Außerdem habe ich sie gebeten, uns über Murats Entwicklung auf dem Laufenden zu halten. Sie hat gerne zugestimmt. Ich wünsche ihm für die Zukunft alles erdenklich Gute. Murat ist ein toller Junge und wird mir wirklich fehlen!

 

Datum der Veröffentlichung: September 2017
Copyright © Hanna Vock

Besonders begabte Kinder in einer Englisch-AG

von Verena Demirel und Silvia Petrikowski

 

Unsere 3. Praxis-Aufgabe im IHVO-Kurs war:

Durchführung eines Projektes zur ganzheitlichen kognitiven Förderung unter Berücksichtigung der Interessen unserer Beobachtungskinder.

Vorüberlegungen von Verena Demirel

In meiner zweiten Praxisaufgabe hatten der fünfjährige Murat und ich uns ja schon ausgiebig mit dem Thema „Englisch“ befasst. Seine Lernleichtigkeit, was das Erlernen von Sprachen betrifft (mit 2;10 Jahren sprach er nahezu perfekt türkisch und deutsch), und seine stark ausgeprägte Merkfähigkeit verhalfen ihm dazu, dass er auch noch Wochen nach dem Projekt viel mit den erlernten englischen Wörtern sprach.

Siehe: Murat will Lernen; Minus-Aufgaben und Englisch und
Murat (5;6) fiel schon früh auf.

Außerdem war für ihn kein Grund erkennbar, nun mit der Englischgruppe aufzuhören, und hoch motiviert fragte er mich fast täglich danach, wann wir wieder Englisch machen. Da das letzte Projekt mit der Vorführung der englischen „Bärenjagd“ einen sinnvollen und positiven Abschluss gefunden hatte, musste ich mir nun etwas Neues einfallen lassen. Wichtig war mir hierbei, seine Motivation aufrecht zu erhalten und die Ansprüche an seine kognitiven Fähigkeiten noch einmal zu erhöhen, um ihn auch richtig zu fordern und zu fördern.

kurz gefasst…

Zwei Erzieherinnen greifen die Interessen ihrer beiden „Beobachtungskinder“ (im IHVO-Zertifikatskurs) auf und entschließen sich, für diese beiden und einige andere besonders begabte und sprach-interessierte Kinder eine Englisch-AG anzubieten.

Sie führen die AG gemeinsam durch und schreiben einen überwiegend gemeinsamen Text für ihre Hausarbeit. Nur die speziellen Passagen zu den Kindern Murat und Nayla verfassen sie getrennt.

Die AG zeigt, dass für besonders sprachbegabte Kinder Englischlernen schon im Kindergarten eine passende Herausforderung sein kann, die ihre Lernlust befriedigt, wenn das Vorgehen ihrem Lerntempo entspricht.

Lesen sie hierzu auch: Fremdsprachen im Kindergarten.

Dass mein Thema für die dritte Praxisaufgabe wieder „Englisch“ sein würde, war mir also schon ziemlich früh klar. Hier liegt einfach derzeit (und das ja auch schon seit längerem) sein Interessenschwerpunkt. Im Alltag bittet mich Murat (inzwischen 6;4 Jahre alt) häufig um Übersetzungen einzelner Wörter ins Englische, und mehr als einmal musste ich schon mein Wörterbuch raus holen, oder wir sahen gemeinsam im Internet nach.
(Ich benutze die kostenfreie Version des Programms „LEO“.)

Nachdem sicher war, dass meine Kollegin und ich in unserer Kita eine gruppenübergreifende Peer-Gruppe „Englisch“ starten wollen, erzählte ich Murat von unserem Vorhaben. Mit Begeisterung nahm er den Vorschlag an.
(Wir arbeiten in einem Integrativen Schwerpunktkindergarten für Hochbegabtenförderung mit IHVO-Zertifikat.
Siehe hierzu: Der Weg der Städtischen Kindertageseinrichtung…

Ich finde es sehr wichtig, dass Murat Gleichgesinnte trifft, mit denen er sich kognitiv messen kann. Gespannt war ich darauf, wie er reagiert, wenn er mal nicht der einzige ist, der die Antwort auf schwierige Fragen kennt.
Murats aktuelle Situation in der Gruppe

Vor kurzem boten wir den Eltern wieder die Möglichkeit zu einem Entwicklungsgespräch. Neben vielen Gesprächen, die mit Murats Mutter „nebenbei“ laufen, nahm sie auch hier wieder interessiert teil. Eine ihrer ersten Aussagen war, sie wundere sich, dass Murat sich noch immer nicht im Kindergarten langweile, obwohl er schon 6;4 Jahre alt ist.

Sie berichtete, wie gerne Murat in die Kita kommt, dass er nachmittags nie nach Hause will und sich sonntags schon auf den nächsten Morgen freut. Neben der Tatsache, dass man das als Gruppenleitung natürlich gerne hört, kann ich das nur bestätigen. Murat und ich haben eine sehr enge Bindung und Beziehung zueinander und reden viel miteinander.

Zurzeit nimmt er fast alle Angebote wahr, die wir ihm bieten, und nimmt außerdem an zwei weiteren AGs teil. Er ist in der Gruppe beliebt und hat einen schon lange bestehenden festen Freundeskreis.

Neben dem Üben englischer Wörter liegt sein Interesse beim Singen. Unser Jahrespraktikant gründete im November letzten Jahres eine Gesangs-AG, an der Murat mit Freude teilnimmt. Ihr erstes Lied war „…und wenn ein Lied“ von den Söhnen Mannheims. Den Refrain konnte Murat bereits nach dem ersten Treffen, für den kompletten Text (und der ist wirklich schwierig) brauchte er nur zwei weitere Übungsstunden! Gemeinsam sangen sie dann das Lied mit Mikrofonen auf der Bühne bei unserer Weihnachtsfeier.

Seine hohe Lernleichtigkeit war auch beim Erlernen des neuen Liedes „Monster“ wieder zu beobachten. Besonders am Nachmittag leiht er sich häufig die große Anlage mit Mikrofon aus, um mit anderen, gerne aber auch alleine, zu singen.

Vorüberlegungen von Silvia Petrikowski

Wie in meinem Beobachtungsbericht zur letzten Hausarbeit näher ausgeführt (Siehe: Schreibwerkstatt), ist Nayla sprachlich sehr begabt und vor allem auch an der englischen Sprache sehr interessiert. Vor allem in der letzten Zeit zeigte sie ihr Interesse an Fremdsprachen deutlich. Während sie in ihrem ersten Kindergartenjahr in der Gruppe kaum türkisch gesprochen hat, hört man sie nun oft mit anderen türkischen Kindern in ihrer Muttersprache reden.

Sie spricht sehr flüssig und schämt sich auch vor uns Erzieherinnen und anderen deutschen Kindern nicht mehr, türkisch zu sprechen. Nayla ist in der Lage, problemlos von der deutschen in die türkische Sprache umzuschalten. Sie übersetzt im Alltag mit Freude sehr viel und versucht anderen, so auch mir, Türkisch beizubringen.

In dem Interessen-Fragebogen, den ich vor meiner letzten Praxisaufgabe mit ihr durchgeführt habe, hatte sie angegeben, keine weitere Fremdsprache erlernen zu wollen, weil es sie, wie sie mir antwortete, traurig machte. Aber im Kita-Alltag merkte ich immer wieder, dass sie sehr an der englischen Sprache interessiert ist. Ab und zu singen wir im Morgenkreis englische Lieder, was sie sichtlich begeistert. In Rollenspielen tut sie, als könne sie englisch sprechen; sie benutzt dann eine Phantasiesprache.

Als ich mich bei Naylas Mutter erkundigte, warum Nayla keine Fremdsprache erlernen will, habe ich erfahren, dass es wohl eine Situation gegeben hat, in der sie von türkischen Kindern ausgelacht wurde, weil sie türkisch gesprochen hat. Da ihre Mutter deutscher Herkunft ist, sieht sie äußerlich auch überhaupt nicht südländisch aus, vielleicht war dies ein Auslöser.

Mit der Englisch-AG möchte ich Nayla die Möglichkeit geben, ihrem Interesse nachzugehen und Gleichgesinnte zu treffen, mit denen sie schließlich gemeinsam lernen kann. In meinem letzten Projekt, der „Schreibwerkstatt“ (die übrigens immer noch intensiv weiterläuft) habe ich gemerkt, wie glücklich sie darüber ist, mit Gleichgesinnten einem Interesse zu folgen. In unserer Gruppe hat sie zur Zeit niemanden, mit dem sie sich kognitiv messen kann.

Naylas aktuelle Situation in der Gruppe

Nayla ist im Kindergarten glücklich. Sie ist stets motiviert, an Angeboten teilzunehmen, die sie herausfordern, und genießt es auf der anderen Seite auch, mit einigen Kindern einfach mal ausgelassen herumzualbern. Herausforderungen unterschiedlichster Art, die wir ihr regelmäßig bieten, nimmt sie immer dankbar an.

In meinem Beobachtungsbericht über Nayla habe ich erwähnt, dass sie ein sehr gutes Beobachtungsvermögen besitzt. In ihrem ersten Kindergartenjahr beobachtete sie das Gruppengeschehen sehr genau. Um den Verlauf einer Konfliktsituation zweier Kinder nicht zu verpassen, sprang sie aus ihrer Spielsituation heraus, stellte sich neben die betroffenen Kinder und beobachtete, was passiert. Genauso handelte sie auch, wenn wir Erzieherinnen ein Kind auf etwas aufmerksam machten (z.B. „Benjamin, du müsstest dies hier noch wegräumen, bevor du nach draußen gehst.“) – sofort stand sie dabei und beobachtete, wie das angesprochene Kind reagierte, ob es nun aufräumt oder nicht, und natürlich entging ihr auch unsere entsprechende Reaktion nicht.

Täglich stand bei ihr an erster Stelle, nichts im Gruppengeschehen zu verpassen: und das tat sie nicht. Wenn ich mich jetzt an ihre erste Zeit bei uns erinnere, würde ich sagen, sie hat in diesem ersten Jahr jedes einzelne Kind „studiert“.

Heute weiß sie genau, wie jedes einzelne Kind „tickt“ und wie es in welcher Situation reagiert. Dies hilft ihr natürlich dabei, ihre Anliegen in einer Gruppe von Kindern durchzubringen: Sie weiß genau, wie sie einzelne Kinder ansprechen muss, damit sie ihr „gehorchen“. Damit hatte sie zunächst unsere Puppenecke unter Kontrolle. Interessant ist, dass sie inzwischen nicht nur Kinder, mit denen sie im Freispiel viel zu tun hat, dazu bringt, sich nach ihrer Meinung zu richten, sondern dass sie auch Kinder, mit denen sie sonst nicht so viel zu tun hat, problemlos dazu bewegt, mit ihr in eine Richtung zu gehen und ihr Anliegen zu unterstützen.

Dies führte neulich dazu, dass sie es schaffte, meiner Kollegin ein Angebot zu sprengen: Sie brachte 12 Kinder während einer Liedeinführung dazu, nicht mehr zu singen. Dazu muss man sagen, dass diese Kinder wild zusammengewürfelt waren und diese Kleingruppe also nicht nur aus ihren engeren Freunden bestand. Dennoch sang meine Kollegin schließlich alleine. So sehr sie sich auch darum bemühte, die Kinder wieder zum Mitsingen zu bewegen, es gelang ihr nicht. Erst als sie Nayla aus dem Raum schickte, war eine Liedeinführung möglich.

Dazu muss man sagen, dass Nayla eine enorme innere Stärke besitzt.

Anmerkung der Kursleitung:
… und ein sehr großes Durchsetzungsvermögen. An dieser Stärke könnte man auch mit einer gezielten Förderung ansetzen und prüfen, wie schnell sie auch andere soziale Kompetenzen (wie zum Beispiel Verhandeln, Kompromisse schließen, Streit schlichten u.ä. lernen kann – und ob sie es will). Das wäre dann die Förderung einer hohen sozialen Begabung, die sich im Förderprozess allerdings erst noch in ihrem Umfang herausstellen müsste.

Da sie „nur noch“ uns Erzieherinnen dazu bringen muss, nach ihrer Pfeife zu tanzen, um die gesamte Gruppe kontrollieren zu können, gibt es viele Situationen, in denen sie uns testet und wir dieser inneren Stärke natürlich standhalten müssen. Und es ist tatsächlich so, dass auch ich, als gelernte Erzieherin, mich erst mal gerade hinstellen muss und einige Sekunden brauche, um mir klar zu machen, dass ich in der Gruppe das Sagen habe und nicht dieses gerade fünf Jahre alte Mädchen, wenn sie anfängt mit mir zu diskutieren.

Mit den Kindern redet sie häufig im harten Befehlston, auch bei mir hat sie dies versucht. Als ich ihr jedoch deutlich sagte, dass ich mir so einen Tonfall verbitte, da ich auch normal mit ihr rede, gab sie diesen Ton auf.

Anmerkung der Kursleitung:
Kann man die anderen Kinder anleiten, es sich ebenfalls zu verbitten?

Dennoch ist sie auch im ruhigen Tonfall innerlich einfach enorm stark und diesem selbstbewussten Auftreten können selbst unsere selbstbewusstesten Kinder oft nicht standhalten.
Neulich erzählte ihre Mutter, dass sich viele Erwachsene, unter anderem auch ihr Vater, in Diskussionen mit Nayla geschlagen geben.

Ziele der Englisch-AG

Ziel dieser AG ist es, den vermutet überdurchschnittlich begabten Kindern unserer Einrichtung die Möglichkeit zu geben, Gleichgesinnte zu treffen.
Um die Kinder kognitiv herauszufordern und ihre Interessen aufzugreifen, war es unsere Absicht, diesen Kindern zunächst ein Gefühl für die englische Sprache zu vermitteln und sie an diese heranzuführen. Deshalb waren wir bemüht, möglichst durchgängig englisch zu sprechen. Beide haben wir nur unser Schul-Englisch – aber wie sich zeigte, reichte es.

Als roter Faden diente uns die Idee, den Kindern einen Grundwortschatz über den eigenen Körper beizubringen.
Sehr wichtig ist uns, in den unterschiedlichen Angeboten auf eine ganzheitliche Förderung zu achten.

Zusammenstellung der Kleingruppe

Die Kleingruppe besteht aus acht Kindern im Alter von 4 bis 6 Jahren. Wir haben uns entschieden, gruppenübergreifend zu arbeiten, um alle vermutet hoch begabten Kinder unserer Kita einander näher zu bringen und ihnen damit zu zeigen, dass es auch andere Kinder gibt, die genauso denken wie sie.

Hanns, 5 Jahre
Hanns‘ Begabungen liegen im sprachlichen und im mathematisch-logischen Bereich. Er interessiert sich sehr für die englische Sprache und kann bereits einige Wörter. Zudem kann er fast ohne Hilfe auf englisch bis 100 zählen. Oft benutzte er auch im Alltag englische Wörter.

Ali, 6 Jahre
Ali zeigte Interesse an der englischen Sprache und war sehr motiviert an der Englisch-AG teilzunehmen.

Sandra, 5 Jahre
Sandra ist musikalisch begabt und hat bereits mit Freude an einer Kleingruppe teilgenommen, die sich mit der englischen Sprache beschäftigte.

David, 5 Jahre
David hat sich ebenfalls bereits im Vorfeld in einer Kleingruppe mit der englischen Sprache beschäftigt und freute sich sehr, diesem Interesse erneut nachgehen zu können.

Emil, 5 Jahre
Emils Begabungen liegen eindeutig im sprachlichen, mathematischen und technischen Bereich. Er ist der festen Überzeugung, das schlauste Kind der Einrichtung zu sein und äußert dies auch uns gegenüber. Das Nichtrespektieren seiner Regeln straft er mit körperlicher Gewalt. Ihn zu motivieren ist eine große Herausforderung, da er glaubt, bereits alles zu können und zu wissen.

Robert, 5 Jahre
Robert ist sehr kreativ und auch sprachlich weit entwickelt. Er ist sehr interessiert an diesem Thema und probiert gerne Neues aus.

Murat, 6 Jahre
Murat ist sprachlich und mathematisch-logisch begabt. Er hat sich vor Beginn der Englisch- AG bereits in einer Kleingruppe mit der englischen Sprache befasst und ist sehr motiviert, seine Kenntnisse zu vertiefen. Beim Erlernen einer neuen Sprache (bzw. einzelner Wörter) kommen ihm seine schnelle Auffassungsgabe und seine stark ausgeprägte Merkfähigkeit zu Gute.

Nayla, 4;11 Jahre
Nayla ist im sozialen und logischen, vor allem aber im sprachlichen Bereich sehr begabt. Sie spricht bereits fehlerlos Deutsch und Türkisch. Problemlos kann sie zwischen den Sprachen wechseln und übersetzt sehr gerne. Sie konnte bereits vor der Englisch-AG einige Wörter Englisch sprechen.

Anmerkung der Kursleitung:
Wir finden es bemerkenswert, dass unter den acht Kindern nur zwei Mädchen sind; obwohl doch die Mädchen, statistisch gesehen, sprachlich früher entwickelt sind. Ist es hier Zufall?

Erstes Angebot: Wir lernen ein Begrüßungslied!

Ziele:
– Die Kinder knüpfen an bisherige Erfahrungen mit der englischen Sprache an.
– Die Kinder lernen die Gruppe kennen.
– Sie lernen erste Wörter über die eigene Person.
– Sie erlernen ein Ritual, das Sicherheit gibt.

Für unser erstes Treffen wählen wir den Turnraum, da er viel Platz bietet und organisatorisch am ehesten in Frage kommt. Im Sitzkreis berichten die Kinder nacheinander von ihren Erfahrungen mit der englischen Sprache und geben stolz ihr Wissen preis.
Anschließend klären wir die Kinder über den Verlauf der Englisch-AG auf, die nun jeden Dienstagnachmittag stattfinden wird.
Da die Kinder der Englisch-AG aus vier verschiedenen Kita-Gruppen zusammentreffen, bietet sich eine Vorstellungsrunde an.

Jedes Kind stellt sich mit Hilfe in drei Sätzen vor:
My name is … .
I’m … years old.
I’m a boy / girl.
Danach lernen die Kinder das Begrüßungslied „Hello (Name des Kindes), how are you today?“, das von nun an jedes Treffen einleiten soll.
Zum Abschluss spielen wir „Feuer, Wasser, Luft“ auf Englisch.

Ergebnis:
Es stellte sich heraus, dass alle Kinder in irgendeiner Weise bereits mit Englisch in Berührung gekommen waren. Die Vorstellungsrunde gestaltete sich einfacher als gedacht. Einige Kinder sprachen die Sätze problemlos, andere brauchten mehr oder weniger Hilfe.
Das Begrüßungslied fand bei den Kindern Anklang. Durch die namentliche Ansprache in dem Lied fühlte sich jedes Kind sichtlich zugehörig.
Es stellte sich heraus, dass der Turnraum für die Englisch-AG doch unvorteilhaft gewählt war. Dieser Raum regt zum Toben und Bewegen an, was zwischenzeitlich Unruhe in die Gruppe brachte. So entschlossen wir uns, den Turnraum nur noch für Bewegungsangebote zu nutzen und die AG ansonsten flexibel in andere Räumlichkeiten zu verlegen.

Zu Murat:
Murat fragte mich täglich, wann die AG starten würde, und zählte bereits die Tage, wie oft er noch schlafen müsse. Am ersten Angebot nahm er interessiert und sehr motiviert teil. Ich konnte beobachten, dass er den anderen Kindern aufmerksam zuhörte, was sie denn bereits schon für englische Wörter kennen. Als er an der Reihe war, nannte er viele der Wörter, die ihm bekannt sind, und zählte auf englisch bis 30. Die Vorstellungsrunde gestaltete er in ganzen Sätzen. Bei der Einführung des Liedes sang er direkt spontan mit.

Es war Murats Idee, zum Abschluss noch „Feuer, Wasser, Luft“ zu spielen. Ich meinte, das müssten wir dann aber auf englisch schaffen. „Water“ konnte er mir sofort benennen, „fire“ „wind“ und „ice“ erarbeiteten wir uns alle gemeinsam. Murat war begeistert und setzte die neuen englischen Begriffe sofort in die jeweiligen Bewegungen um.

Zu Nayla:
Nayla hielt sich bei diesem ersten Zusammentreffen zurück und beobachtete, was für sie allerdings nicht untypisch ist. Als meine Kollegin Verena sie ansprach und fragte, ob sie denn schon Englisch könne, verneinte sie dies sofort und verleugnete auch das Beherrschen der türkischen Sprache.
Nayla hat im Umgang mit anderen Kindern und Erwachsenen bereits öfter die Erfahrung gemacht, aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten zurückgewiesen zu werden oder negative Rückmeldung zu bekommen. Ich denke, dass sie deswegen nicht gleich alles von sich preisgibt, sondern die Menschen, denen sie sich anvertraut, zunächst einmal genauer beobachtet, um sie besser einschätzen zu können.

Anmerkung der Kursleitung:
Das ist eine gute Strategie zum Selbstschutz. Es ist zu erwarten, dass sie merken wird, dass sie diese Strategie in der Englisch AG nicht braucht.

Zweites Angebot: Wir benennen unsere Körperteile auf Englisch!

Ziele:
– Die Kinder erwerben einen Grundwortschatzes über den eigenen Körper.
– Sie verknüpfen Bewegung und Sprache.
– Sie wenden die erlernten Vokabeln an.

Heute treffen wir uns in der Bärengruppe, deren Kinder vorher ausquartiert werden müssen und in eine andere Gruppe gehen. Den Anfang macht unser Begrüßungslied.
Bevor wir dann das Lied „Head, shoulders, knees and toes“ einführen, gehen wir auf die deutsche Version ein, welche viele der Kinder kennen. Gemeinsam singen wir einmal „Kopf, Schulter, Knie und Zeh“ und fragen die Kinder anschließend, ob sie die Körperteile in diesem Lied auch in Englisch benennen können. Wir sprechen die einzelnen Körperteile im Rhythmus der Melodie gemeinsam, danach hören wir uns das Lied einmalig auf CD an.

Nun singen wir das Lied gemeinsam und zeigen jeweils auf das benannte Körperteil. Nach und nach wird in dem Lied ein Teil weggelassen und durch ein „mh“ ersetzt.
Zum Abschluss machen wir einen kleinen Handreim:
Oh where, oh where have my fingers gone?
Oh where, oh where can they be?
Oh where, oh where have my fingers gone?
Oh here they are – yipeee!

Nun ersetzen wir “my fingers” durch die im Lied vorkommenden Wörter.

Ergebnis:
Man merkte den Kindern die hohe Motivation an. Zwar konnte keines der Kinder ein Körperteil auf Englisch benennen, jedoch waren sie sehr gespannt darauf zu erfahren, wie sie heißen. Das Lied konnten sie sehr schnell auswendig und wollten nicht aufhören, es zu singen. So kam es dazu, dass wir das Lied so lange sangen, bis alle Körperteile einmal verschwunden und wieder aufgetaucht waren.

Der Handreim war eine Herausforderung, die die Kinder gerne annahmen. Sie versuchten sofort mitzusprechen, was ihnen nach jeder Runde besser gelang. Die vorher gesungenen Körperteile schlugen sie (teilweise mit Hilfe) für den Handreim vor.

Zu Murat:
Auch heute war Murat wieder mit großer Freude dabei. Da das Singen momentan zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehört, weckte dieses Angebot seine Aufmerksamkeit sofort. Die deutsche Version des Liedes ist ihm bekannt und es fiel ihm nicht schwer, die englischen Begriffe in die jeweiligen Bewegungen umzusetzen. Er wurde nicht müde, das Lied zu singen, und bestand mit zwei weiteren Kindern darauf, alle Körperteile weg und wieder her zu singen. Das Lied erfordert viel Konzentration und ich konnte Murat die Freude am Lösen dieses „Liederrätsels“ ansehen.

Beim Handreim war seine gute Merkfähigkeit wieder deutlich erkennbar. Nach wenigen Wiederholungen der Sätze sprach er mit, und war in der Lage, die Körperteile aus dem vorangegangenen Lied im Reim einzusetzen. Bis auf wenige Ausnahmen hatte er sich alle englischen Wörter gemerkt (head, shoulders, knees, toes, eyes, ears, nose, mouth). Verwirrend war hier, die sich sehr ähnelnde Aussprache der Wörter (nose- mouth, eyes- ears). Hier erfragte Murat noch die Unterschiede.

Zu Nayla:
Nayla war an diesem Tag leider nicht in der Kita.

Drittes Angebot: Wir spielen das Gesellschaftsspiel „Lotto Englisch“

Ziele:
– Die Kinder erlernen weitere englische Ausdrücke.
– Sie verknüpfen die Wörter mit Bildern.
– Sie erleben eine noch individuellere Förderung durch Bildung zweier Gruppen von je vier Kindern.

Heute erweitern wir unser Begrüßungslied um einen Schwierigkeitsgrad und fordern die Kinder auf, die gesungene Frage „How are you today?“ mit „I’m fine“ oder „I’m not fine“ zu beantworten.
Auf Wunsch der Kinder singen wir erneut das Lied „Head, shoulders, knees and toes“. In der vorherigen Woche brachte Sandra ohne Aufforderung ihr Spiel „Lotto Englisch“ von zu Hause mit und bat darum, es in der heutigen Englisch-AG zu spielen.

Um eine gezieltere Förderung zu erreichen, teilen wir die Gruppe unter uns Erwachsenen auf, so dass zwei Kleingruppen von jeweils vier Kindern entstehen.
Glücklicherweise haben wir das „Lotto-Englisch“-Spiel auch in der Kita, so dass wir an zwei Tischen spielen können. Ziel des Spiels ist es, die vorliegende Karte mit bestimmten Motiven (Tiere, Alltagsgegenstände, Kleidung etc.) zu füllen. Jedes Kind zieht nacheinander eines der Motive, benennt es auf Deutsch und erfährt anschließend die englische Übersetzung. Die Kinder sprechen das englische Wort nach und geben das Motiv dem Kind, auf dessen Karte dieses abgebildet ist. Wer zuerst eine volle Karte besitzt, gewinnt das Spiel.

Bevor wir auseinander gehen, schlägt Nayla vor, eine DVD der bekannten deutsch-englischen Kinderserie „Dora“ zum nächsten Treffen mitzubringen.

Ergebnis:
Die Erweiterung unseres Begrüßungsliedes nahmen die Kinder positiv auf. Deutlich anzumerken war ihnen ein gewisser Stolz über die Führung ihres ersten kurzen Dialoges. Bemerkenswert war, dass alle Kinder unbedingt das Lied „head, shoulders, knees and toes“ wiederholen wollten und sich überwiegend alle Begriffe gemerkt hatten.
Die Aufteilung beim Tischspiel stellte sich als gut gewählt heraus, da uns so ein besseres Beobachten und Eingehen auf die vielen Fragen der Kinder möglich war. Obwohl dieses Spiel nicht so ganz unserer pädagogischen Vorstellung von spielerischem Lernen entspricht, war es uns wichtig, die Vorschläge der Kinder aufzugreifen und umzusetzen. Dass die Kinder eigene Spiele von zu Hause mitbrachten, zeigte erneut das große Interesse der Kinder am Thema.

Zu Murat:
Murat war eines der wenigen Kinder, die die gesungene Frage „How are you today?“ in einem ganzen Satz mit „I´m fine“ beantwortete. Beim wiederholten Singen des Liedes „head…“ konnte ich deutlich beobachten, wie gut sich Murat die Begriffe vom letzten Treffen bis jetzt gemerkt hatte. Er betonte, wie sehr er das Lied mag und dass er es lustig findet.
Das Tischspiel war Murat noch aus unseren letzten Englisch-Aktionen bekannt. Als Sandra das Spiel vorstellte, sagte Murat zu mir: „Verena, weißt du noch, das haben wir schon mal zusammen gespielt.“ Dennoch nahm er motiviert am Tischspiel teil. Er erfragte die englische Übersetzung der einzelnen Wörter und wiederholte sie. Begriffe die er kannte, wie apple, house, cake …, benannte er sofort.

Zu Nayla:
Obwohl Nayla das Lied „Head, shoulders, knees and toes“ zum ersten Mal hörte, war sie sehr schnell drin und machte nach kurzer Zeit so sicher mit, dass ich sie fragte, ob ihr das Lied vorher schon bekannt war. Nayla verneinte das sehr glaubwürdig.
Die Aufteilung der acht Kinder in zwei Vierergruppen erwies sich auch für Nayla als sehr vorteilhaft. Ich hatte das Gefühl, dass sie noch aufmerksamer war als zwischen allen acht Kindern, sie öffnete sich mehr und erfragte viel. Ich bemühte mich die ganze Zeit über, Englisch zu sprechen und Nayla „klebte“ sichtlich fasziniert an meinen Lippen. Ich hatte das Gefühl, sie würde jeden Moment einsteigen und mitsprechen.

Viertes Angebot: Musizieren mit Dora

Ziele:
– Die Kinder erleben, dass ihre Interessen aufgegriffen werden.
– Sie erlernen neue Wörter mit einer neuen Methode.
– Die Kinder erleben im Englischen erste Sprechfreude.

Für dieses Angebot nutzen wir unser „Studierzimmer“. Der Zeichentrickfilm „Musizieren mit Dora“ regt die Kinder zum Mitdenken und -sprechen an. Der Film dauert etwa 25 Minuten und verfolgt die Absicht, den Kindern einzelne englische Wörter zu vermitteln. Es werden deutsche und englische Wörter in einem Satz verwendet (zum Beispiel: „Da kommt unser teacher!“)

Ergebnis:
Die Kinder waren von der Methode begeistert. Fast allen Kindern war diese Serie bekannt. Sie sangen bereits mit, als der Film anfing. Während des Films waren die Kinder sehr aufmerksam und fragten viel nach der Übersetzung einzelner Wörter. Erstaunlich zu beobachten war, dass sie Worte aus dem Film sofort verwendeten (David: „Du bist ein child!“). Lieder, die im Film vorkamen, versuchten alle sofort mitzusingen.

Zu Murat:
Bemerkenswert finde ich, dass Murat das einzige Kind der Gruppe war, dem „Dora“ nicht bekannt war. Er hatte keine Scheu davor, dies vor der Gruppe zuzugeben und war gespannt auf den Film. Wir können diese Methode noch nicht sehr lange nutzen, da wir erst vor kurzem einen DVD-Player geschenkt bekommen haben. Dass Murat von der Tatsache, einen Film zu gucken, begeistert war, brauche ich also nicht zu erwähnen.
Murat ließ sich sofort auf den Film ein und versuchte wie alle anderen Kinder mitzusingen. Er ließ sich auch zum Mitsprechen animieren. Er hörte aufmerksam zu, wiederholte die Wörter, „antwortete“ dem Fernseher bei Fragen und hakte bei Unklarheiten bei uns Erwachsenen nach.

Zu Nayla:
Nayla freute sich sehr, dass ihre Idee aufgegriffen wurde. Als ich sie in der Woche vor der Englisch-AG bat, die DVD zum nächsten Mal mitzubringen, stand sie am nächsten Montag mit der DVD in der Tür, ohne dass ich sie ein zweites Mal daran erinnern musste. Sie hatte sehr viel Freude daran, der Gruppe ihren Lieblingsfilm vorzustellen. Sie fragte nach der Übersetzung vieler englischer Begriffe, die in diesem Zeichentrickfilm verwendet werden, und genoss es, sich mit den anderen Kindern über den Film zu unterhalten.

Fünftes Angebot: Snow macht Spaß!

Ziele:

– Kinder lernen abwechslungsreich und in Bewegung.
– Sie erweitern ihren englischen Wortschatz um Wörter, die ihre Umgebung beschreiben.

Wir entscheiden uns spontan zu einem Ausflug in den Wald, da endlich eine Menge Schnee liegt, der zum Schlitten fahren einlädt. Bepackt mit Popo-Rutschern und Plastiktüten finden wir unterwegs schon viele Dinge, die eine Übersetzung wert sind (snow, car, tree, house, forest, stone, etc.). Im Wald angekommen, haben wir einen Riesenspaß! Während des Rodelns reden meine Kollegin und ich ununterbrochen in englischer Sprache, um die Kinder zum Mitsprechen anzuregen. Nach einer guten Stunde machen wir uns auf den Heimweg zurück in die Kita und trinken dort einen heißen Kakao mit Sahne.

Ergebnis:
Vom Ausflug waren die Kinder begeistert. Sie genossen den Schnee, der zu dieser Zeit noch kein Dauerzustand war. Dennoch ließen sie sich nicht vom eigentlichen Ziel, dem Englischlernen, ablenken.

Anmerkung der Kursleitung:
Ein für sehr begabte Kinder typisches Verhalten.

Sie erfragten viele Begriffe und es ließ sich ein deutliches Zusammengehörigkeitsgefühl erkennen, das vorher nicht in dem Maße zu beobachten war.
Außerdem war natürlich der enorme gemeinsame Spaßfaktor von großer Bedeutung.

Zu Murat:
Von diesem Ausflug redet Murat heute noch „Verena, weißt du noch, als wir im Wald englische Wörter gesucht haben?“ Murat war im Wald sehr mutig und ging mit Hanns, Robert und mir auf den höchsten Berg, um ihn auf einer Tüte wieder runter zu rutschen. Dem Sprechen in englischer Sprache folgte er aufmerksam.

Im Alltag sucht er bei mir seit einiger Zeit auffällig häufig Körperkontakt (im Vergleich zu sonst). So auch während diesem Angebot. Obwohl der ganze Nachmittag ein tolles Erlebnis war, gestaltete sich der Rückweg für mich besonders schön. Murat ging den ganzen Rückweg an meiner Hand und wir führten eine richtige „Unterhaltung“ in Englisch. Dies kam daher, dass Murat mich aufforderte, ich solle ihn ganz viel auf englisch fragen.

Damit ich nichts vergesse, hielt ich direkt danach alles schriftlich fest:
How old are you? / I´m six.
How old is your mother? / My mother is 36 years old.
How old is your father? / My father is 38 years old.
How old is your sister? / My sister is four years old.
Nachdem ich ihn einmal darauf hingewiesen hatte, hängte er „years old“ immer hinten dran. Bei den Zahlen 36 und 38 überlegte er kurz, bevor er sie auf englisch nannte.

Weiter ging es mit
What´s the name of your mother/ father/ sister?
Auch das beantwortete er mit Leichtigkeit. Ich erhöhte die Schwierigkeit und fragte:
What´s your favourite colour?
Murat fragte nach der Übersetzung und sagte dann: „green“. Dadurch entstand, dass wir alle Farben aufzählten, die uns einfielen. „Green, blue, red und orange“ konnte er schon benennen. Alle anderen übersetzte ich ihm und er wiederholte sie begeistert.

Nun folgte:
What´s your favourite food / drink / friend?
Do your parents have a car?
Which colour is it?
Auch hier erfragte er wieder die nicht bekannten Vokabeln und bat mich „Pommes“ und „Milch“ ins Englische zu übersetzen. Kurz bevor wir die Einrichtung erreichten, erklärte er mir, dass er die Körperteile ja auch könne, und benennt mir ALLE aus dem erlernten Lied „head…“.

Zu Nayla:
Auch Nayla war von der Idee, die Umgebung nach englischen Begriffen abzusuchen, zunächst begeistert. Sie hatte Freude daran, die Dinge in der Umgebung benennen zu lernen und fragte viel. Die neuen englischen Wörter konnte sie sich sehr schnell merken.

Die Begeisterung änderte sich schlagartig, als uns ein Hund mit seinem Frauchen entgegenkam. Zwar war der Hund klein und an der Leine, dennoch hatte Nayla plötzlich panische Angst. So etwas hatte ich vorher nie bei ihr beobachtet. Sie versteckte sich hinter mir und weigerte sich weiter zu gehen. Da man in diesem Waldstück sehr viele Hundehalter trifft, war es mit der Angst noch lange nicht vorbei.
Die Hunde, die uns entgegenkamen, waren fast alle an der Leine, auch dies beruhigte Nayla nicht. Selbst ein Welpe löste bei ihr panische Angst aus.

Einige Hunde später bat sie mich, sie auf den Arm zu nehmen, sobald ein Hund in Sicht war. Dies war ganz untypisch für sie. Sie war völlig abgelenkt, bekam nichts mehr mit und war nur damit beschäftigt zu beobachten, ob ein weiterer Hund in Sicht war. Sie sagte, dass sie wieder zurück in den Kindergarten wollte und dass sie nicht mehr an der Englisch-AG teilnehmen möchte.

Um sie etwas zu beruhigen, gingen wir schließlich vom Weg ab, ein Stück richtig in den Wald hinein. So wichen wir den Hunden aus. Nayla konnte sich jedoch auch nun nicht beruhigen, sie lief nur noch ganz steif an meiner Hand und konnte sich aufs Englischsprechen schon längst nicht mehr konzentrieren. Zu allem Unglück hörte man, kurz nachdem wir den offiziellen Waldweg verlassen hatten, um den Hunden auszuweichen, permanent einen größeren Hund bellen. Dieser befand sich vermutlich auf der anderen Seite des Waldes, durch das Echo war sein Bellen jedoch ziemlich laut zu hören. Ich erklärte Nayla, dass dieser Hund weit weg sei und man sein Bellen nur wegen des Echos so laut höre. Sie ließ sich darauf ein, einmal laut zu schreien, um das Echo zu erleben, beruhigt war sie danach jedoch auch nicht.

In dieser Situation wurde für mich erkennbar, dass Nayla sehr weit denkt. Sie war sich sicher, dass die Hundeleinen vom Waldweg bis hinein in den Wald, wo wir uns befanden, nicht reichten, dachte aber auch darüber nach, dass Hunde, die frei herumliefen, uns problemlos erreichen konnten. Sie fragte nach dem großen Hund, den man bellen hörte, wollte wissen, ob er durch den Wald zu uns kommen kann. Sie erzählte mir, dass sie schon mal einem Schäferhund begegnet war, der sie angebellt hatte. In dem Moment wurde mir klar, dass sich der bellende Hund tatsächlich auch nach einem Schäferhund anhörte.
Sie fragte mich, ob es in dem Wald Wölfe gibt, und war sicher, dass es für uns gefährlich wäre, wenn wir Wölfen begegnen würden.

Sechstes Angebot: Wir gestalten ein Selbstporträt

Ziele:
– Die Kinder setzen das Erlernte bildnerisch um.
– Sie beschaffen sich selbstständig Wissen.
– Sie schreiben einige englische Wörter.

Da wir beim Malen nicht auf Tische verzichten wollen, treffen wir uns zu diesem Angebot in der Gespenstergruppe. Wir begrüßen uns „auf die englische Art“ und schlagen den Kindern dann die heutige Aufgabe vor, die sie motiviert annehmen.
Bevor wir beginnen können, bestehen die Kinder darauf, das Lied „Head, shoulders, knees and toes“ noch einmal zu singen.

Der Vorschlag kommt sehr passend. Wir geben den Kindern den Tipp, dies ruhig auch als Hilfestellung bei der Beschriftung des Selbstporträts zu verwenden. Sie beginnen zu malen. Als sie an ihre Grenzen stoßen, bitten sie uns, ihnen die Wörter zu buchstabieren. Daraufhin fragen wir sie, wo man solche Informationen her bekommen könnte.
Schnell fällt Robert ein, dass Bücher dafür geeignet sind. Ein englisches Buch war schnell gefunden (wir waren natürlich vorbereitet) und wurde intensiv zum Abschreiben genutzt.

Ergebnis:
Mit großer Sorgfalt gestalteten die Kinder ihr Selbstporträt aus. Beim Beschriften erkannten sie, dass sich die Aussprache der englischen Wörter von deren Aussprache unterscheidet (Bsp. “knees“, gesprochen: „nies“). Die Unterschiede zu finden, war für die Kinder eine interessante Herausforderung. Toll zu beobachten war, dass die Kinder sich beim Beschriften der ersten Körperteile an dem Lied „head, …“ orientierten und sich dieses immer wieder vorsangen. Auch noch einige Tage danach ergänzten die Kinder ihr Porträt weitgehend selbstständig.

Zu Murat:
Sein Porträt muss man einfach gesehen haben:

Murat gab sich bei seinem Bild viel Mühe und malte ausdauernd und sehr konzentriert. Zu bemerken ist, dass er genau aufs Detail achtete – die Streifen des Pullovers sind originalgetreu und wurden exakt abgezählt.

Zu Beginn der Beschriftung sang Murat sich das Lied selbst vor und bat um Buchstabierung der Wörter. Als das Buch zur Hilfestellung dazu kam, arbeitete er komplett selbstständig. Auch dass im Buch die Wörter in Kleinbuchstaben geschrieben waren, stellte für ihn kein Hindernis dar. Toll fand ich zu beobachten, dass er die klein geschriebenen Wörter „gedanklich umänderte“ und sofort in Großbuchstaben abschrieb.
Auch beschriftete er „vom Körper weg“, sodass LIP und BLOOD spiegelbildlich erscheinen.

Seit einiger Zeit läuft in unserer Gruppe mit sechs Kindern das Projekt „Mein Körper“. Mit großem Interesse haben die Kinder und ich schon viel über das Blut und den Blutkreislauf, das Herz, die Muskeln und das Gehirn herausgefunden. Auch Murat nimmt aktiv an der Kleingruppe teil.

Einige Tage nach dem Malen des Selbstporträts fragte er mich, ob er noch mehr dazu schreiben könnte. Ich bejahte dies natürlich und er erklärte mir, dass er Blut und Herz noch nicht auf Englisch da hin geschrieben hätte. Er bat mich um die Übersetzung, und danach darum, ihm die Wörter zu buchstabieren. An dieser Situation konnte ich erkennen, dass Murat in der Lage ist beide Themen, die ihn momentan beschäftigen, miteinander zu verknüpfen.

Zufrieden schaute er auf sein Bild und stellte fest, dass er „ear“ ja völlig vergessen hatte. In der letzten AG war ihm schon aufgefallen, dass man sich auf das Heraushören der Buchstaben im Englischen nicht so gut verlassen konnte. Also fragte er: „Fängt das mit „i“ an?“ Als ich verneinte, war es ihm aber wichtig, dass es dort richtig stand, so dass ich buchstabieren sollte. Nun fiel ihm auf, dass die Lippen noch fehlten, die er dann dran schrieb. Danach war er zufrieden und packte das Bild wieder weg.

Zu Nayla:
Nayla wollte diesmal tatsächlich nicht an der Englisch-AG teilnehmen. Als ich sie nach dem Grund fragte, bekam ich jedoch keine genaue Auskunft. Sie teilte mir nur mit, dass sie nicht mehr dabei sein möchte. Ich bat sie darum, mir den Grund zu nennen, damit wir eventuell etwas ändern können, aber auch dies war erfolglos.

Als ich schließlich nicht mehr aus ihr herausbekommen konnte, beließ ich es dabei. Man sah ihr an, dass sie selbst auch nicht glücklich mit ihrer Entscheidung war, jedoch war nichts zu machen. Ich bat meine Kollegin, sie noch einmal auf die Englisch-AG anzusprechen, in der Hoffnung, dass sie vielleicht etwas erzählte, leider war auch dies erfolglos. Ich beschloss, ihr beim nächsten Mal erneut die Chance zu geben, wieder einzusteigen.

Siebtes Angebot: Englisch in Bewegung

Ziele:

– Die Kinder verknüpfen ihre Englischkenntnisse mit Bewegung.
– Sie vertiefen das Erlernte.

Wir treffen uns im Turnraum und beginnen mit dem Aufwärmspiel „fire, water, wind“. Um die Schwierigkeit zu erhöhen, erklären wir die Spiele größtenteils in englischer Sprache.
Für das nächste Spiel bilden wir zwei Reihen, so dass die Kinder sich paarweise gegenüber stehen. Sie haben nun die Aufgabe, ein Körperteil zu nennen, mit dem der Partner den geworfenen Ball zurückschlagen soll.

Anschließend folgt das Bewegungsspiel „Please Mr. Crocodile“, welches die englische Version des deutschen Spieles „Fischer, Fischer, welche Fahne weht heute“ darstellt.
Den Abschluss bildet ein etwas ruhigeres Spiel, für das wir uns im Stehkreis versammeln. Nacheinander nennen die Kinder jeweils ein Körperteil auf Englisch. Bei ihrem Nachbarn berühren sie dann das benannte Körperteil mit einer Hand und bleiben daran „kleben“. Schließlich kleben beide Hände aller Teilnehmer an ihren jeweiligen Nachbarn und wir sind miteinander verknotet.

Ergebnis:
Die Auswahl der Spiele war gut getroffen. Unsere Ziele, Sprache und Bewegung miteinander zu verknüpfen und das Erlernte zu vertiefen, haben wir spielerisch erreicht. Die Kinder hörten sehr aufmerksam zu, als wir die Spielanweisungen auf englisch erläuterten und gaben sich Mühe, sie zu verstehen. Bei Unklarheiten fragten sie nach der Übersetzung. Außerdem hatten die Kinder viel Spaß und lachten ausgiebig zusammen.

Zu Murat:
Ich war gespannt, ob er sich beim Wurfspiel mit den Körperteilen zufrieden geben würde, die er schon kannte. Spätestens jetzt rechnete ich mit eventueller Langeweile durch die bereits einige Male wiederholten Körperteile. Also stellte ich mich zu David und Murat und beobachtete ihr Spiel.

Nach einer Weile wollte ich einen Impuls setzen und bat David, den Ball an meinen „back“ zu werfen.

Es funktionierte – Murat erfragte weitere Körperteile, so dass sich sein Wortschatz spielerisch erweitern konnte: finger, bottom, hair, leg, arm, hand, stomach.

Beim englischen „Fischer, Fischer, welche Fahne weht heute?“ hob er sich deutlich von den anderen Kindern ab, da ihm die meisten Farben jetzt bereits bekannt sind. Schön fand ich, wie stolz er sein Wissen präsentieren konnte und den anderen Kindern half („black ist schwarz, du musst laufen“).

Als wir das letzte Spiel begannen, stellte ich mich neben ihn, so dass ich ihm die Wörter zum „ankleben“ nennen konnte, die er gerade erst kennen gelernt hatte. Bis auf „stomach“ und „leg“ hatte er sie alle schon „abgespeichert“.

Zu Nayla:
In den letzten Tagen erwähnte ich die Englisch-AG in Naylas Beisein mehrmals zwischendurch. Jedes Mal hörte sie sofort hin und sagte oft: „Ich bin nicht mehr dabei“, obwohl ich sie nicht direkt angesprochen hatte. Daraufhin fragte ich sie noch mal nach dem Grund, worauf sie meistens bedrückt mit den Schultern zuckte. Ich bot ihr auch vor diesem Angebot an, mitzumachen, aber sie lehnte ab, was ich mir immer noch absolut nicht erklären kann, da sie immer noch großes Interesse an der englischen Sprache zeigt.

In einem Elterngespräch erzählte mir die Mutter, dass Nayla ihr von der Begegnung mit den Hunden im Wald berichtet hatte, und sie war sich ziemlich sicher, dass dies der Grund für Naylas Aussteigen ist. Irgendwie habe ich allerdings das Gefühl, dass noch etwas anderes dahinter steckt, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass sie aufgrund dieser einen Situation im Wald die ganze AG aufgibt (wir waren ja nicht ständig, sondern nur dieses eine Mal unterwegs). Zudem hat sie die Schreibgruppe (mein letztes Projekt, das immer noch intensiv weiter läuft) auch nicht aufgegeben, obwohl wir auch schon draußen waren, um unsere selbst geschriebenen Briefe weg zu schicken.

Zwischenspiel:
Eine halbe Stunde vor Beginn des achten Angebotes befand sich Nayla zusammen mit Dilara, einem Mädchen aus unserer großen Mädchenclique, der auch Nayla angehört, im Flurbereich vor unserem Gruppenraum. Ich nutzte die Gelegenheit, um Nayla das Buch zu zeigen, mit dem wir uns in der Englisch-AG beschäftigen wollen. Ich wollte motivieren, dass sie wieder teilnimmt – obwohl ich kaum noch Hoffnung hatte. Ich hielt Nayla also das Buch entgegen und fragte sie, ob sie vielleicht Lust habe, dieses Buch mit uns in der Englisch-AG anzuschauen. Nayla schaute neugierig auf das Buch, als Dilara zischte: „Oder willst Du nicht?“ Es war deutlich ein Unterton in ihrer Stimme zu hören, der Nayla dazu drängte, mir abzusagen.

In diesem Moment wurde mir klar, was noch hinter Naylas Verweigern der Englisch-AG steckte:
Unsere Mädchenclique in der Gruppe besteht aus insgesamt sechs Mädchen im Alter von fünf bis sechs Jahren. Wie es vor allem in Mädchencliquen ja üblich ist, kommt es auch hier im Moment sehr oft zu Ausgrenzungen (oft stiftet auch Nayla die Gruppe dazu an, Einzelne auszuschließen), Drohungen / Erpressungen („Wenn …, dann bist Du nicht mehr meine Freundin!“) und Eifersuchtsszenen (wenn zwei dieser Mädchenclique intensiver zusammenspielen, als dem dritten Mädchen lieb ist).

Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass Nayla sich von den anderen Mädchen unter Druck setzen lässt, was nach Dilaras Bemerkung allerdings ganz danach aussah. Wie bereits in meinen Vorüberlegungen („Naylas momentane Situation in der Gruppe“) beschrieben, hat Nayla die gesamte Gruppe, vor allem die Mädchen, mehr als gut im Griff.

Allerdings war sie tatsächlich die Einzige aus der Mädchenclique, die an der Englisch-AG teilgenommen hat. Vielleicht war das wirklich etwas, worauf die anderen Mädchen neidisch waren? Oder war die Tatsache, dass Nayla an der Englisch-AG teilgenommen hat, einfach die einzige Möglichkeit für die anderen Mädchen aus der Clique, Nayla auch einmal auszuschließen, sie vielleicht in der Hand zu haben oder sie in ihrer Macht zu bremsen? Wie bereits geschildert, hat Nayla meiner Meinung nach eigentlich die Fäden in der Hand und bestimmt was und wie gespielt wird, wer ausgegrenzt wird und wer nicht.

Auf Dilaras Bemerkung ging ich nicht ein, Nayla schaute einige Male zu Dilara und antwortete mir schließlich: „Nein, ich möchte nicht.“ Ich fragte sie nach dem Grund, woraufhin sie immer wieder zwischen Dilara und mir hin und her schaute, mir jedoch keine Antwort gab.

Sie wirkte sehr bedrückt. Ich hatte das Gefühl, ihr stand es bis zum Hals und sie konnte nichts sagen. Ich bot ihr an, mit mir alleine zu reden, und fragte sie, ob es an unserem Waldspaziergang und der Begegnung mit den Hunden liegt, aber beides beantwortete sie mit Schweigen. So verschlossen habe ich sie bis jetzt noch nicht erlebt. Ich schlug ihr vor, sich diese Entscheidung noch einmal bis zum Beginn der Englisch-AG zu überlegen.

Bevor ich aufstand und zurück in unsere Gruppe ging, um den Nebenraum für die Bilderbuchbetrachtung vorzubereiten, sagte Nayla: „Ich weiß, was „I love you“ heißt. Das heißt „Ich hab dich lieb“. Das hat meine Oma mir gesagt.“

Bevor ich schließlich die Kinder aus den anderen Gruppen zur Englisch-AG rief, ging ich an Dilara und Nayla vorbei und fragte Dilara, ob sie nicht vielleicht auch Lust hätte, dieses Buch mit den anderen Kindern aus der Englisch-AG anzuschauen. „Ja!“ sagte sie und stand vom Teppich auf. Bevor ich dazu kam, mich Nayla zuzuwenden, stand sie ebenfalls auf und sagte schnell: „Ja, ich auch!“

Anmerkung der Kursleitung:
Eine bemerkenswerte Episode, die einmal mehr zeigt, wie wichtig es ist „am Ball zu bleiben“ und plötzlichen Veränderungen im Verhalten (hier: vermeintlich kein Interesse mehr an Englisch) nachzuspüren. Gut, dass Du nicht gleich aufgegeben hast!
Also war es vermutlich doch nicht ihre Angst, den Anschluss an die AG verloren zu haben (was ihr zusätzlich ein Unbehagen bereiten könnte), sondern der Gruppendruck aus der Mädchengruppe.
Macht es in Deinen Augen Sinn, das Problem mal in der Mädchenclique zu thematisieren?:
– Bleibt die Mädchengruppe freundlich auch zu einem Mädchen, das mal etwas anderes machen möchte als die anderen, etwas Besonderes?
– Oder darf kein Mädchen etwas Besonderes machen?
– Was könnte etwas Besonderes sein?
Nayla muss ja lernen, zu ihren Interessen zu stehen, wenn sie ihre Begabungen entfalten will. Ein solches Gespräch könnte also vielleicht 1. die anderen Mädchen nachdenklich und freundlicher stimmen und 2. Nayla bestärken, sich nicht gegen ihr Interesse in die Gruppe einzupassen.
Denn Dilara wird auf Dauer vielleicht keine Lust haben, in der Englisch-AG mitzumachen…

Deine Schilderung zeigt gut, in welchem Ausmaß gedrückte Stimmungen und Ängste Lernen verhindern.

Achtes Angebot: Today we take a look at the book “Froggy gets dressed”

Ziele:

– Die Kinder erweitern ihr Sprachverständnis
– Sie sprechen mit Freude.
– Sie erweitern ihren Wortschatz zu den Themen Körperteile und Kleidung.

Zur Bilderbuchbetrachtung treffen wir uns im Nebenraum der Bärengruppe. Jeder nimmt sich ein Kissen und wir bilden einen Sitzkreis. Wie bei jedem Treffen, begrüßen wir uns auch dieses Mal mit dem Lied „Hello…, how are you today?“.

„Now we want to look at this book. It’s called ‘Froggy gets dressed’. This is froggy” beginnt meine Kollegin und zeigt auf den Frosch auf dem Deckblatt. Das Buch ist mit relativ wenig Text ausgestattet und eignet sich also sehr für eine erste englische Bilderbuchbetrachtung.
Meine Kollegin Silvia liest den Kindern auf Englisch vor und übersetzt teilweise auch direkt ins Deutsche.

Ergebnis:
Das Buch „Froggy gets dressed“ ist recht witzig geschrieben und zog die Kinder richtig in seinen Bann. Einige Sätze wurden direkt ins Deutsche übersetzt, das Buch war allerdings aufgrund seiner Bilder auch ohne Übersetzung gut zu verstehen.
Die Kinder versuchten teilweise mitzusprechen und benannten nach und nach (Froggy musste sich gezwungener Maßen zweimal an- und wieder ausziehen) einige Kleidungsstücke, die in dem Buch vorkamen.

Auch während dieser Bilderbuchbetrachtung sprachen wir fast ausschließlich englisch (teilweise übersetzten wir anschließend ins Deutsche) und die Kinder hörten sehr aufmerksam zu.

Zu Murat:
Murat war konzentriert und sprach schon früh die sich wiederholenden Kleidungsstücke mit. Man konnte erkennen, dass er das Prinzip des Buches sehr schnell verstanden hatte, da er sich köstlich über den Frosch, der sich ständig an- und ausziehen musste, amüsierte. Als sich am Ende herausstellte, dass dem armen Frosch die Unterwäsche fehlte, musste Murat herzhaft lachen.

Jetzt die erlernten Körperteile mit der jeweiligen Kleidung bedecken zu können, ist mit Sicherheit eine Herausforderung, der er sich stellen wird. Wie viele der englischen Kleidungsstücke er sich gemerkt hat, kann ich jetzt noch nicht beurteilen, da die Bilderbuchbetrachtung erst kurz vor Abgabe dieser Hausarbeit stattgefunden hat.

Zu Nayla:
Ich konnte kaum glauben, dass Nayla doch wieder eingestiegen war und habe mich riesig gefreut.
Nayla war mit dieser Entscheidung auch wieder richtig glücklich. Als wir anfingen, unser Begrüßungslied zu singen, stieg sie sofort strahlend mit ein! Als Dilara vor ihr an der Reihe war zu antworten, ob es ihr gut geht oder nicht („I’m fine / I’m not fine“), zeigte Nayla stolz ihr Können und flüsterte Dilara ins Ohr: „‘I’m fine‘ musst du sagen! Oder ‚I’m not fine‘!“

Nach der Bilderbuchbetrachtung kam Nayla zu mir: „Silvia, ist die Dilara jetzt auch immer in der Englisch-AG?“ Ich antwortete: „Wenn es ihr gefallen hat, kann sie nächstes Mal gerne wieder dabei sein.“ Nayla lächelte. „Ich bin auch wieder dabei!“ beschloss sie und strahlte mich an.

Anmerkung der Kursleitung:
Also war Deine spontane Entscheidung, Dilara mitmachen zu können, genau die richtige Maßnahme in dieser Situation.

Fazit:

Unser Ziel, einen Grundwortschatz über den eigenen Körper zu vermitteln, war schneller erreicht, als wir dachten, da die Kinder größtenteils über ein schnelles Lerntempo verfügen.

Durch das konstante Englischsprechen unsererseits hörten sich die Kinder schnell in die Sprache ein und entwickelten ein Gefühl dafür. Je weiter die AG voran schritt, umso aufmerksamer hörten die Kinder uns beim Sprechen zu und verstanden immer mehr einzelne Worte von dem, was wir sagten.

Wie bereits in den Zielformulierungen erwähnt, war uns eine ganzheitliche Förderung sehr wichtig. Wir haben uns bemüht, die Angebotsreihe diesbezüglich so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten.

Anfangs waren wir damit beschäftigt, den Entwicklungsstand der Kinder im Bezug auf die englische Sprache festzustellen, da die Kinder aus verschiedenen Gruppen sind. Wichtig war uns dabei, die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder zu berücksichtigen, um möglichst alle Teilnehmer in der Gruppe zu halten. Damit erhöht sich die Chance, dass einzelne Kinder sich nicht nur auf der kognitiven, sondern auch auf der emotionalen Ebene finden.

Da wir darauf achteten, dass die Kinder über das Englischlernen hinaus Spaß miteinander hatten (Ausflug in den Schnee, Schlitten fahren, Kakao trinken, lustige Bewegungsangebote), entwickelte sich schnell ein harmonischer Gruppenzusammenhalt.

Die Kinder waren und sind von der Englisch-AG begeistert.

Während sie vorher nur sehr wenige Wörter kannten, war zu beobachten, dass sie ihren Wortschatz stetig und mit Freude erweiterten. Dabei entwickelten sie eine Eigenständigkeit, die ihnen auch weiterhin nützlich sein wird.

Leider mussten wir auch erkennen, dass Emil durch seine Überzeugung, bereits alles schon zu können, nur schwer zu motivieren war, aufmerksam zu bleiben.

Anmerkung der Kursleitung:
Kannte er tatsächlich schon das meiste, oder war er in einem Generalirrtum gefangen? Haben sich durch das Zusammensein mit den anderen sehr begabten Kindern bei ihm kein Staunen, keine Verwunderung, keine Freude und keine Nachdenklichkeit eingestellt?

Zwar wollte er an der Englisch-AG teilnehmen, allerdings bräuchte er dafür einen anderen Rahmen: noch weniger Kinder und intensivere Betreuung. Selbst in Vierergruppen gestaltete sich die Zusammenarbeit schwierig.
Er hat Interesse weiterhin dabei zu bleiben, jedoch hat er unserer Ansicht nach bis jetzt nicht viel daraus mitnehmen können.

Reflexion über Murat (Verena Demirel):
Da Murat sowieso ein Kind ist, das so gut wie nie fehlt, hatte ich das große Glück, dass er an allen bisher gelaufenen Angeboten der Englisch-AG teilnehmen konnte.
Wenn ich nun alle bisherigen Aktionen angucke, stelle ich fest, dass Murat an allem immer großes Interesse zeigte und motiviert mitmachte. Ich glaube, dass ich damit seinen Interessenschwerpunkt getroffen und seine kognitiven Bedürfnisse befriedigt habe.
Das Lerntempo war der Gruppe angepasst

und meiner Meinung nach lernte Murat auf einem Level, das genau das Richtige für ihn war. Es waren nicht zu viele Wiederholungen und auch nicht zu wenig Input.

Dies erfuhr ich auch durch Gespräche mit ihm außerhalb der Englisch- AG. Er weiß, dass er mir gegenüber Langeweile äußern kann, und das hat er an anderer Stelle auch schon getan. Dass er das in der AG nicht machte, betätigt mich zusätzlich in der Annahme, ihm das Richtige angeboten zu haben.

Allgemein ist zu sagen, dass Murat seinen englischen Wortschatz enorm erweitert hat. In der Gruppe fühlte er sich wohl, wirkte ausgeglichen und glücklich. Obwohl wir es nicht offen benannten, glaube ich schon, dass er merkte, dass er es mit Kindern zu tun hat, die seinem geistigen Niveau standhalten. Das konnte ich daran erkennen, dass er den anderen Kindern immer aufmerksam zuhörte (vielleicht wissen die ja für mich was Neues…) und im Vergleich zu anderen Kleingruppenarbeiten nicht so schnell in den Vordergrund trat. Nicht zuletzt genoss er auch die Einzelarbeit mit mir alleine. Wir hatten viel Spaß in der Gesamtgruppe und Murat lachte viel.

Meine nächsten Ziele in der Arbeit mit Murat werden sein, dass er natürlich weiterhin an der Englisch-AG teilnehmen wird. Hier kann er seinen Interessen nachgehen, eigene Ideen einbringen, seinen Wortschatz erweitern und auf Gleichgesinnte treffen.

Des weiteren habe ich mir überlegt, ihm die Idee vorzuschlagen, mal ein englisches Lied auswendig zu lernen und zu singen. So könnte er seine beiden momentanen Lieblingsbeschäftigungen miteinander verbinden und hätte eine ganz neue Herausforderung. Schön wäre das dann noch in Einzelarbeit mit mir alleine, da ich den Rückweg aus dem Wald als sehr lernintensiv empfand. Dies hängt natürlich von mehreren Faktoren in der Kita ab, und ist leider nicht immer möglich.

Anmerkung der Kursleitung:
Auch diese Beobachtung von Dir bestärkt uns wieder in der Ansicht, dass hoch begabte Kinder Mentoren brauchen, die sie 1:1 im Lernen unterstützen. Dann geht wirklich die Post ab! Hochmusikalische Kinder, die Einzelunterricht bekommen, haben das!

Außerdem ist es mein Ziel herauszufinden, wann Murat an seine Grenzen stößt, bevor er im Sommer unsere Einrichtung verlässt, um in die Schule zu gehen.

Reflexion zu Nayla (Silvia Petrikowski):
Nayla war in den Angeboten der Englisch-AG sehr aufmerksam und beteiligte sich daran mit Begeisterung. Sie „sog“ die englischen Wörter auf und behielt sehr viel. Sie hat sichtlich Freude am Erlernen der englischen Sprache und verfügt über eine auffallend gute Aussprache. Gegenüber den anderen Kindern der AG war sie eher zurückhaltend, was aber typisch für sie ist. Dafür beobachtet sie deren Verhaltensweisen umso genauer.

Zu Hanns, der ebenfalls in meiner Gruppe ist, vertiefte sich Naylas Beziehung im Laufe der Englisch-AG. Die Beiden freuten sich immer gemeinsam auf die Englisch-AG und veranstalteten einen Freudentanz (im wahrsten Sinne des Wortes), wenn es dann endlich los ging. Hanns ist kognitiv ebenfalls sehr weit entwickelt, was die beiden verbindet. Auch außerhalb der Englisch-AG sah man sie zwischendurch immer öfter zusammen. Leider ist Hanns bald darauf weg gezogen.

Naylas Mutter erzählte mir, dass Nayla sich auch zu Hause sehr gerne mit der englischen Sprache beschäftigt (auch in der Zeit, als sie aus der Englisch-AG ausgestiegen war). Sie hat einen zwei Jahre jüngeren Bruder und versucht, laut Aussagen der Mutter, ihm Englisch beizubringen. So muss er ihr dann zum Beispiel englische Wörter nachsprechen.

In Bezug auf das Aufgeben der Englisch-AG vermute ich, dass sie von den anderen Mädchen aus der Gruppe unter Druck gesetzt wurde. Wie bereits erwähnt, ist unsere Mädchenclique im Moment sehr darauf aus, sich gegenseitig auszuspielen und Macht aufeinander auszuüben. Zudem verstärkt meine Vermutung, dass Nayla vor meiner letzten Praxisaufgabe im Interessenfragebogen angab, keine weitere Fremdsprache erlernen zu wollen, da es sie „traurig“ machte. Daraufhin kam ja heraus, dass sie in dieser Mädchenclique gehänselt und ausgelacht wurde, wenn sie türkisch sprach. Der Verdacht liegt also nahe, dass dies wieder der Fall war, diesmal wegen ihres Interesses an der englischen Sprache.

Anmerkung der Kursleitung:
Ja, das ist ein häufig auftretendes Problem: Die besonderen Interessen der höher Begabten stoßen auf Spott und Ablehnung seitens der normal Begabten. Ein Sprichwort besagt, dass „wir uns lustig machen über das, was wir nicht verstehen“. Daraus sprechen Verunsicherung und Gefühle der Minderwertigkeit.
Wie wir daran sehen können, bekommt es ein hoch begabtes Kind sehr wohl schon im Vorschulbereich mit solchen Konflikten zu tun, die häufig erst in der Schule für möglich gehalten werden, wenn gute Zensuren als Strebertum gegeißelt werden.

Mit dem Projekt „Schreibwerkstatt“ ergibt sich so ein Problem nicht. Der größte Teil dieser Mädchenclique ist auch in der Schreibgruppe vertreten und beschäftigt sich ebenfalls intensiv mit der Schrift. Hier hat Nayla gegenüber den anderen Mädchen also keine „Sonderstellung“.

Dilara ist kognitiv durchschnittlich entwickelt. Weil sie nun aber in der Englisch-AG mitmacht, ist Nayla innerhalb der Mädchenclique nicht mehr in der Außenseiterposition. Dies entspannt die Lage anscheinend etwas.

Naylas Mutter erklärte mir Naylas annähernd panische Angst vor Hunden: Als sie gerade laufen konnte, wurde sie das erste Mal von einem bereits ausgewachsenen Golden Retriever umgerannt, was sie nie vergaß. Von da an war sie Hunden gegenüber bereits ängstlich. Ihre zweite negative Erfahrung mit Hunden verdankt sie einem Mops, der sich auf dem Spielplatz an ihrem Hosenbein festbiss. Und schließlich traf sie vor einigen Monaten auf einen Schäferhund, von dem sie mir bei unserem Waldspaziergang ja auch berichtete. Dieser kam ihr auf dem Bürgersteig entgegen und bellte sie fürchterlich an. Da er an der Leine war und sein Herrchen ihn zurückzog, stand er dadurch nur auf seinen Hinterpfoten und bellte Nayla entgegen.

Ich denke, dass solche Erfahrungen bei den meisten Kindern Angst auslösen, kann mir aber vorstellen, dass überdurchschnittlich begabte Kinder diese Angst vielleicht anders (intensiver?) erleben, da sie sich zum Einen diese negativen Erfahrungen, selbst aus der frühen Kindheit, eher merken und noch im fortschreitenden Alter genauer vor Augen haben und sich andererseits auch in erneuten angst-einflößenden Situationen (weitere Begegnung mit Hunden) tiefer gehende Gedanken machen. Das heißt, dass sie sich somit eventuell alle möglichen Verläufe ausmalen, zum Beispiel, dass der Hund sich von der Leine reißen könnte, oder der Hundehalter das Tier nicht mehr bändigen kann, etc.

Anmerkung der Kursleitung:
Genauso ist es wohl, nach aller Erfahrung.

(Siehe hierzu auch: Ängstlichkeit und Vor-Sicht bei hoch begabten Kindern.)

Naylas Mutter bringt sie bewusst täglich zu Fuß in den Kindergarten (Nayla würde lieber mit dem Auto fahren), da sie auf dem Weg immer vielen Hunden begegnen und sie sich erhofft, dass Nayla ihre Angst dadurch vielleicht etwas verliert.
Inzwischen erzählt Nayla mir immer öfter von den Hunden, denen sie auf dem Weg in unsere Kita begegnet und kann ihre Angst auch benennen und erklären. Erst letztens war sie stolz, an allen Hunden vorbeigegangen zu sein, ohne dass ihre Mutter sie tragen musste.

Weitere Ideen:
Aufgrund der hohen Motivation und des großen Wissensdurstes sind wir uns sicher, dass wir die Englisch-AG mit den jetzt teilnehmenden Kindern auf unbestimmte Zeit weiterführen möchten.
Unsere Ziele sind es, die Kinder weiterhin kognitiv herauszufordern und den englischen Wortschatz zu bestimmten Themen auszubauen. Dabei ist es uns wichtig, die Interessen der Kinder aufzugreifen und sie in die Planung mit einzubeziehen (z.B. Thema „Tiere“).

Wir möchten den Kindern deutlich machen, dass sie nicht alleine mit ihren Fähigkeiten sind und unterstützen sie bei der Bildung von Freundschaften.

In der gemeinsamen Reflexion des Projektes erkannten wir, dass wir die Gesamtgruppe zukünftig für manche Angebote noch öfter teilen möchten (je Erzieherin vier Kinder zum Beispiel bei Bilderbuchbetrachtungen), um eine intensivere Förderung gewährleisten zu können.

Zu Murat siehe auch:

Murat und unser Projekt „Mein Körper“

 

Datum der Veröffentlichung: September 2017
Copyright © Hanna Vock