von Martina Böckling

 

Jasmin ist mittlerweile 4;7 Jahre alt, sie besucht gerne die Einrichtung und hat sehr große Fortschritte in ihrer Entwicklung gemacht.

Sie bekommt sehr viel vom Gruppengeschehen mit und bemerkt auch Vorgänge, die selbst wir Erzieherinnen nicht registrieren.

Jasmin verblüfft mich immer wieder mit ihrem guten Gedächtnis, sie merkt sich Dinge, die wir Erwachsenen schnell wieder vergessen. Sie erkennt und merkt sich schnell Strukturen und Rituale, die sich wiederholen; dabei hilft sie den Kindern, die diese vergessen haben.

Jasmin kann die Bedürfnisse und Befindlichkeiten Anderer sehr gut wahrnehmen und darauf eingehen. Sie nimmt Rücksicht, bietet Hilfe an und erklärt den anderen Kindern, was nun los ist.

 

…kurz gefasst…

Jasmin will weiterhin gerne schreiben lernen, womit sie im voran gegangenen Projekt begonnen hatte.
Die Autorin verknüpft dieses Interesse mit der Idee, mit Jasmin eine Geschichte zu schreiben, in der Jasmin eigene Wünsche ausdrücken kann; denn sie kümmert sich viel um Andere, äußert aber nur selten, was sie selbst möchte.

Da Jasmin Prinzessinnen liebt und wohl am liebsten selber eine wäre, beginnt das Projekt mit verschiedenen Bilderbüchern über Prinzessinnen.
Schließlich entwickelt und schreibt Jasmin eine eigene Geschichte.
Die Autorin entscheidet sich hier für eine Einzelförderung, um genau auf Jasmin eingehen zu können.

Mehr über Jasmin:

Jasmin, 3;4 Jahre

Eine Dreijährige will schreiben

Drei kleine Mädchen sind die „Denkgruppe“

Begründung des Themas

So gut sich Jasmin in Andere hinein versetzen kann, so wenig scheint sie ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu äußern. Ich habe selten erlebt, dass Jasmin sich dahingehend äußert, welche Wünsche sie hat. Zum Beispiel nimmt sie sich Spiele, aber sie sagt selten, was sie möchte.

Jasmin macht bei allem gerne mit, ist aber immer damit beschäftigt, sich um das Wohl der anderen Kinder zu kümmern.

Sie besteht einzig darauf, dass sie regelmäßig mit mir alleine oder in der Kleingruppe „arbeitet“. Dies ist ihr wichtig und dies äußert sie auch sehr energisch.

Wenn es Jasmin nicht gut geht, ihr etwas nicht passt oder sie sonstige Schwierigkeiten hat, zeigt sie körperliche Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen. Es kann auch passieren, dass sie müde wird. Obwohl diese Symptome in der letzten Zeit abgenommen haben, sind sie noch nicht ganz verschwunden.

Es fällt auf, dass dies nicht vorkommt, wenn sie gefordert wird oder wenn sie sehr zufrieden wirkt.

Durch ihre gute Beobachtungsfähigkeit reagiert Jasmin viel sensibler auf Menschen oder auf Situationen als die anderen Kinder aus der Gruppe.

In Gesprächen mit der Mutter ist mir klar geworden, dass Jasmin zu Hause nicht die Ruhe und die Ausgeglichenheit findet, die sie braucht. Durch sehr viel Verwandtenbesuch, der sich oft tagelang in der kleinen Wohnung aufhält, und durch Probleme, die die Mutter hat, herrscht ein unruhiges Klima.
Der Mutter ist ein gutes Benehmen Jasmins gegenüber den Verwandten sehr wichtig; Jasmins Bedürfnisse und Wünsche finden dabei offenbar wenig Anklang. Trotz der oft schwierigen Umstände ist es der Mutter wichtig, dass es Jasmin gut geht, und sie versucht ihr viele materielle Wünsche zu erfüllen.
Allerdings erwähnte die Mutter, dass Jasmin zu Hause oft sehr frech sei, ein Verhalten, das wir aus dem Kindergarten gar nicht kennen.

Für Jasmin finde ich es wichtig, dass sie ihre Wünsche in der Kita äußern kann und sie auch stärker durchsetzt.

Jasmin selber äußert immer wieder, dass sie mit mir „arbeiten“ möchte. Darunter versteht sie, dass sie schreibt. Der normale Gruppenalltag mit all seinen Angeboten reicht ihr nicht aus.

Ich habe verschiedene Angebote gemacht, sie war mit Begeisterung dabei, aber immer wieder kam der sehr energische Wunsch, weiter zu schreiben.

Diesen Wunsch wollte ich ihr erfüllen. Zugleich war mir wichtig, dass Jasmin lernt, ihre Wünsche zu äußern und durchzusetzen, so dass sie die körperlichen Beschwerden nicht mehr braucht.

Um Jasmin zu fordern, habe ich mir überlegt, mit ihr eine Geschichte auszudenken, in der auch ihre Wünsche vorkommen, und sie aufzuschreiben.
Da Jasmin bis zum Beginn des Projektes nur ihren Namen selbstständig schreiben konnte, sie aber schon die Vorerfahrungen der Laute und Buchstaben gemacht hatte (siehe: Eine Dreijährige will schreiben, Kurzfassung), wollte ich herausfinden, was Jasmin leisten kann.

Ziele, die erreicht werden sollten

    • Jasmin ist in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern.
    • Jasmin ist in der Lage, diese durchzusetzen.
    • Jasmin entwickelt ihre Fähigkeiten im Schreiben weiter.
    • Jasmin gewinnt weiter an Selbstvertrauen.

Während in den letzten Projekten immer die Kleingruppenarbeit im Mittelpunkt stand, habe ich mich entschieden, in diesem Projekt mit Jasmin eine Einzelförderung durchzuführen.

Zum einen möchte ich Jasmin die Ruhe geben, die sie weder zu Hause, noch in der Gruppe und auch nicht in der Kleingruppe hat.

In der Kleingruppe sind es Raman und Berin, die sehr viel reden und schneller als Jasmin in der Lage sind, das Wort zu ergreifen.

Da es mir diesmal darum geht, dass Jasmin ihre Bedürfnisse erkennt, ist eine Einzelförderung wichtig.
Jasmin traut sich sehr viel mehr zu, wenn sie keine Rücksicht nehmen muss, und hinzu kommt, dass Berin ihr schnell über den Mund fährt. In solchen Momenten zieht Jasmin sich zurück und weint dann manchmal.

Zudem ist mir aufgefallen, dass Jasmin sich der Kleingruppe sehr anpasst. Meiner Einschätzung nach zeigt sie nicht wirklich, wozu sie fähig ist.
Auf Amanda nimmt sie sehr viel Rücksicht, und neben den anderen traut sie sich zu wenig zu.
Jasmin hat in den letzten Projekten gezeigt, dass sie viel ausdauernder sein kann als die anderen Kinder aus der Kleingruppe.
Dies führte immer mal wieder dazu, dass sie Streit mit Berin bekam.

Mir ist es wichtig, dass sich Jasmin bei dieser Projektarbeit nicht noch mit den anderen Kindern auseinandersetzen muss.

Kommentar der Kursleitung:
Ein sinnvoller Ansatz.

Ich selber kann mich besser auf Jasmin einstellen und sie fordern, wenn ich mit ihr alleine bin. Da ich ein sehr gutes und intensives Verhältnis zu ihr aufgebaut habe, hoffe ich, dass sie nun zeigen kann, was noch alles in ihr steckt.

Siehe auch: Einzelförderung, Mentoring

Vorüberlegungen

Für Jasmin wurde vor über einem Jahr der „Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter“ ausgefüllt. Nun will ich anhand dieses Bogens überprüfen, wie weit Jasmin sich in den Bereichen: Sprache, Kognitive Entwicklung, Soziale Kompetenz, Feinmotorik und Grobmotorik seitdem entwickelt hat.

In der Auswertung wird deutlich, dass Jasmin im Bereich der (deutschen) Sprache inzwischen altersgemäß entwickelt ist. Im Alltag zeigt sich jedoch, dass Jasmin noch viele Begriffe fehlen und dass auch die Sätze oft noch nicht richtig gebildet werden.

Im Bereich der kognitiven Entwicklung fällt auf, dass für sie mit ihren 4;7 Jahren mehr als die Hälfte der Anforderungen zutreffen, die für Kinder von 5 1/2 Jahren bis zur Einschulung gelten.

Auffallend bei der sozialen Kompetenz ist, dass fast alle Anforderungen der 5 1/2-Jährigen bis zur Einschulung von ihr erfüllt werden.

Auch bei der Feinmotorik können schon einige Anforderungen bis zur Einschulung von ihr erfüllt werden.
Bei der Grobmotorik ist sie altersgerecht entwickelt.

Interessenfragebogen

Um eine gute Ausgangsbasis für das neue Projekt zu haben, wollte ich mit Jasmin erneut den Interessenfragebogen durchgehen.

Da Jasmin dazu neigt, in Gesprächen sehr schnell abzulenken, habe ich beschlossen, sie bei ihrer Stärke zu packen, damit sie sich auf unser Gespräch konzentriert.

Die Aufgabe meinerseits lautete: „Jasmin, höre gut zu und denke über die Fragen nach.“
Da Jasmin gerne denkt, war sie mit Eifer dabei. Nach jeder beantworteten Frage strich sie die Nummer der Frage mit einem Stift durch.

Im Gegensatz zur ersten Bearbeitung des Fragebogens – vor etwa einem Jahr – wurde deutlich, dass sie nun sehr gern Regelspiele spielt und gern schreibt.
Die Anzahl ihrer Spielkameraden hat sich verdoppelt und Schreiben ist weiterhin ihre Lieblingsbeschäftigung.
Während sie früher „Malen“ als Können genannt hat, kann sie heute „Schreiben und Lernen“.
Ihr Wunsch ist es, noch besser „denken“ zu können.

Kommentar der Kursleitung:
Das ist allerdings ein typisches Begehren für ein hoch begabtes Kind. In diesem Alter ist das Denken selbst doch nur bei sehr wenigen Kindern Gegenstand des eigenen Denkens.

Sie findet es schön, alleine im Kindergarten zu spielen, und ihr gefällt es nicht, wenn große Mädchen sie ärgern, wenn sie in der Bewegungshalle oder im großen Flur spielt.
Früher fand sie puzzlen schwierig, nun findet sie es schwierig, wenn sie Buchstaben falsch geschrieben hat.

Bei der Frage, was sie nervt, war es vor einem Jahr die Amanda. Heute nervt sie, dass Raman nur mit Yusuf spielen möchte. Auf meine Frage, was sie daran stört, wurde klar, dass sie selbst gerne mit Raman spielen möchte.

Ihr Lieblingsspielzeug besteht aus allem, was mit Prinzessinnen zu tun hat (sie nannte mir in diesem Zusammenhang viele Dinge, die sie gerne haben möchte).
Auch im Fernsehen sieht sie gerne Prinzessinnen und Prinzen, am liebsten, wenn sie tanzen.

Auf die Frage, was sie noch gerne lernen möchte oder auf was sie stolz ist, bekam ich keine Antwort. Jasmin lächelte – wahrscheinlich, weil sie die Antwort schon längst gegeben hat, sie möchte schreiben und denken und mehr nicht!

Später möchte sie Tänzerin werden – und wenn sie eine alte Frau trifft, würde sie diese nach Buchstaben fragen.

Wenn ich mir diese Antworten betrachte, hat Jasmin sehr klar ihre Wünsche geäußert.
Sie möchte: mehr schreiben, möchte mit Raman spielen und sie möchte mehr denken.

Nach diesem Gespräch verließ Jasmin sehr zufrieden den Raum, nicht ohne noch alle Felder auf dem Bogen „Welche Dinge machst du gerne?“ mit dem Symbol für Ja einzukreisen. Sie überlegte sich jede Frage sehr genau und kreiste dann ein.

Distanzierte Beobachtung

Jasmin, Berin und Juline (alle ähnlichen Alters) sitzen im Nebenraum am Tisch und warten auf das Mittagessen.

Juline und Berin erzählen und werden dabei immer lauter. Juline hat eine sehr hohe Stimme, die sich in der Tonhöhe steigert und auch Berin schreit schließlich, um etwas zu sagen. Jasmin wird immer stiller und sagt gar nichts mehr. Nach einiger Zeit fängt sie an zu weinen, es dauert, bis die anderen es merken.

Hier wird deutlich, dass Jasmin zu viel Lautstärke nicht gut vertragen kann, aber nicht in der Lage ist, zu sagen, dass die Schreierei sie stört. Stattdessen weint sie.

Siehe auch: Arten der Beobachtung

Teilnehmende Beobachtung

Berin, Jasmin und ich sitzen im Gruppenraum am Tisch und spielen das „Biber-Spiel“. In dem Spiel geht es darum, Klötze von einem Stapel zu ziehen, ohne dass der darauf liegende Biber herunterfällt.
Jasmin zieht einen Klotz, der Stapel fällt zusammen und der Biber fällt herunter.
Berin fängt an: „Also, Jasmin, da hättest du aber besser überlegen müssen, du hast den falschen Klotz herausgezogen. Also, siehst du, das passiert, jetzt ist alles kaputt gegangen. Nur wegen dir. Du musst besser nachdenken.“
Jasmin hört sich das Gerede verdutzt an, wird traurig und sagt: „Ja, stimmt.“ Sie wirkt sehr unglücklich.

Hier wird deutlich, dass Jasmin ausgeschimpft wird, und zwar auf eine unangemessene Art und Weise, sie aber nicht in der Lage ist, sich zu wehren. Stattdessen wird sie traurig und stimmt auch noch zu.

Provozierende Beobachtung

Jasmin sitzt am Maltisch und schreibt ihren Namen, dazu malt sie Kringel. Nach einigen Minuten hört sie auf und schaut auf ihr Blatt.
Ich sitze ihr gegenüber, schaue ihr zu und als sie merkt, dass ich sie beobachte, lächelt sie mich an.
„Jasmin, was machst du?“ frage ich.
„Martina, ich möchte denken.“
„Worüber möchtest du denn denken?“
„Eine Prinzessin möchte ich denken“, antwortet Jasmin .
Ich frage: „Was möchtest du über eine Prinzessin denken?“
Jasmin: „Prinzessin ist schön und kann alles und darf alles wünschen.“

„Möchtest du mal etwas über Prinzessinnen hören und darüber reden?“ frage ich.
Sie freut sich und ruft: „Ja, Prinzessin.“
Ich verspreche es ihr.

Bei dieser Beobachtung wird deutlich, dass für Jasmin eine Prinzessin alles das hat und sich traut, was sie auch gerne hätte oder wäre.

Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, dass der Inhalt des Projektes von Prinzessinnen handeln soll.

Projektverlauf

Um Jasmin die Verlässlichkeit zu geben, mit ihr zu arbeiten und auch ihr Einverständnis zur Einzelförderung zu bekommen, sagte ich zu ihr:
„Jasmin, ich weiß, dass du viel arbeiten und lernen möchtest. Leider schaffen wir es in der Gruppe nicht, dass du so viel arbeiten kannst, wie du es möchtest. Was hältst du davon, wenn wir beide uns öfter aus dem Gruppenraum herausziehen und zusammen denken und arbeiten würden?“
Jasmin strahlt und ruft: „Ja, wir beide, wir arbeiten, toll, Martina, toll!“
Sie hüpft durch den Gruppenraum und ruft und singt: „Ich geh mit Martina arbeiten, elelele.“

Bilderbuchbetrachtung:
„Ich will Freunde!“ aus der Kleinen Prinzessinnen Reihe von Tony Ross

Die Geschichte handelt von der kleinen Prinzessin, die zur Schule kommt mit der Erwartung, viele Freunde zu finden. Alle Kinder, auf die sie zugeht, lehnen sie ab und sie macht die Erfahrung, dass keiner mit ihr spielen möchte. Anderen Kindern geht es ähnlich und so setzen, essen und spielen alle „Kinder ohne Freunde“ zusammen.
Die kleine Prinzessin lädt alle „Kinder ohne Freunde“ zu sich nach Hause ein. Nun wollen auch die anderen Kinder mitkommen, die Prinzessin setzt ihre berüchtigte, finstere Miene auf und erlaubt es großzügig.

Dieses Buch habe ich ausgewählt, weil es um Freundschaften, aber auch um Ablehnung geht. Ich weiß, dass Jasmin gerne mit Raman befreundet sein möchte, und wollte mir ihr darüber ins Gespräch kommen.

Im Laufe der Bilderbuchbetrachtung erzählte Jasmin, dass Raman und Yusuf sie auch öfter nicht mitspielen lassen, und dass sie es blöd findet.
Sie ist sehr interessiert an der Geschichte und als die „Kinder ohne Freunde“ gemeinsam essen und spielen, sieht sie mich an und sagt: „Aber Martina, das sind doch jetzt Freunde.“
Sie schüttelt den Kopf darüber, dass die „Kinder ohne Freunde“ nicht verstehen, dass sie doch alle zusammen Freunde sind.

Jasmin beschreibt sehr genau, was in dem Buch passiert, möchte aber auch, dass ich ihr jede Seite vorlese.
Als alle Kinder im Schloss auftauchen und die kleine Prinzessin ihrer verdutzten Mutter ihre Freunde vorstellt, lacht Jasmin und sagt: „Nach Hause ist schön, Freunde zu haben.“
Auf meine Frage, ob sie auch Freunde mit nach Hause nimmt, lacht sie: „Martina, geht doch gar nicht, hab keinen Platz.“

Am nächsten Morgen fragt Jasmin mich, ob sie im Außengelände spielen darf. Auf meine Frage: „Mit wem denn?“ lächelt sie mich an und flüstert: „Mit Raman“.
Mir war klar, dass er noch nichts davon wusste, denn er spielte mit Yusuf in der Bauecke.
Das Interessante für mich war, dass Jasmin nie ins Außengelände zum Spielen geht, es sei denn, die ganze Gruppe geht nach draußen. Sie wusste aber, dass Raman gerne draußen spielt.
Ich war gespannt, was sie nun machen würde.

Jasmin ging zur Bauecke und meinte: „Ich gehe raus. Raman, möchtest du mitgehen?“
Yusuf sagte zu ihr: „Raman spielt mit mir.“
Jasmin erwiderte: „Wir können alle raus gehen.“
Yusuf: „Ich kann mit Raman rausgehen.“
Jasmin klärte auf: „Aber ich hab schon gefragt, ich darf und ihr könnt mitgehen.“

Raman schaut auf sein Gebautes, zu Jasmin sagt er: „O.K., gehen wir alle raus, aber wir müssen noch aufräumen.“
Sie fingen an aufzuräumen, Jasmin freute sich sichtlich. Leider entwickelten sich während des Aufräumens immer neue Spielsituationen, so dass die Kinder es letztendlich nicht schafften, raus zu gehen.

Zumindest hat Jasmin den Versuch gestartet. Sie hat sich überlegt, wie sie es hin bekommt, dass Raman mit ihr nach draußen geht.
Jasmin hat abgeklärt, dass sie nach draußen kann, sie hat Raman und auch Yusuf dazu eingeladen (ihr war klar, dass sie Raman alleine dazu nicht überreden kann).
Jasmin hat die Initiative ergriffen, diese war sehr durchdacht und es hat ihr gut getan, dass Raman mit ihr rausgehen wollte.

Geschichten aus: „Viele kleine Prinzessinnen Geschichten“
von Sabine Cuno und Stefanie Dahle

Dreimal habe ich mich mit Jasmin zurückgezogen, um ihr kurze Geschichten über unterschiedliche Prinzessinnen vorzulesen.
Sie hörte sehr genau zu, dachte mit und es entwickelten sich daraus interessante Gespräche mit ihr.
Wir überlegten, wie es wäre, wenn Jasmin eine Prinzessin wäre, und sie erzählte:

– Dann würde sie Arielle heißen.
– Dann sollten alle zu ihr nach Hause kommen, um ihren Geburtstag zu feiern.
– Dann hätte sie ein großes Prinzessin-Zimmer, einen Ring, viel Spielzeug, viele Barbies.
– Sie würde in einem Schloss wohnen, das direkt neben dem Kindergarten liegen würde.
– Sie könnte Piano spielen.
– Sie würde ganz alleine schlafen.

Im weiteren Verlauf erzählte sie mir, dass sie mehr Freunde haben möchte.

Sie fragte mich: „Martina, Uschi ist deine Freundin, oder?“
Ich bejahte ein wenig verdutzt und erklärte ihr, dass Uschi meine Arbeitskollegin und meine Freundin sei.
Verdutzt war ich, weil selbst Kolleginnen dies noch nicht mitbekommen hatten.
Dies zeigte mir noch einmal, wie genau Jasmin wahrnimmt und ihre Beobachtungen genau einordnen kann.
Sie wollte wissen, wieso wir Freundinnen sind, und ich erzählte ihr, dass Uschi und ich viel zusammen unternehmen und dass wir oft die gleichen Dinge mögen.

Jasmin fragte genau nach, was wir zusammen machen und auch wie wir Kontakt nach dem Kindergarten aufnehmen. Ihre Fragen waren sehr konkret und ich versuchte, ihr konkrete Antworten darauf zu geben.
Jasmin wollte ganz genau verstehen, wie die Freundschaft mit Uschi funktioniert, sie wollte alles sehr genau erklärt haben.

Solch ein Gespräch hatte ich noch nie mit einem Kind in diesem Alter. Ihr genaues Nachfragen über eine Freundschaftsbeziehung hat mir gezeigt, wie weit und viel Jasmin schon denkt.

Kommentar der Kursleitung:
… und nachdenkt, hinterfragt, analysiert und sich gezielt bei einem erfahreneren Mitmenschen (Dir) Informationen besorgt. Reflexionen, die sich bei den meisten frühestens mit der Pubertät einstellen.

Insgesamt kann ich sagen, dass wir viel Spaß hatten und viel lachten.

Nach diesen Gesprächen war sie immer sehr gut gelaunt und hüpfte in den Gruppenraum. Die Fragen der anderen Kinder, was wir denn machten, beantwortete sie mit: „Martina und ich, wir denken.“
Von den anderen Kinder kam ein „Aha“, aber keins fragte genauer nach.

Während des letzten Gesprächs beschloss Jasmin, dass sie auch Freundinnen haben möchte, und sie stellte klar:

– Wir machen nicht immer das, was Berin, Amanda und Juline möchten.
– Alle dürfen entscheiden.
– Ich kann auch mal was alleine machen.

Sie hatte nun sehr konkrete Vorstellungen von dem, was sie wollte, und ich war gespannt, wie sie es umsetzen würde.

Erstellung einer eigenen „Prinzessinnen-Geschichte“

Ich schlug Jasmin vor, eine eigene Geschichte zu schreiben.
Meine Überlegung war, dass sie dort ihre Wünsche einbauen und auch mit dem Schreibenlernen voran kommen könnte.

Sie freute sich sehr über die Idee. Sie überlegte laut, was in die Geschichte hinein kommen sollte, während ich Stichpunkte notierte.
Wir trafen uns insgesamt zweimal, um die Geschichte zu schreiben.

Es lief so ab, dass wir uns kurze Sätze überlegten und ich ihr die Wörter vorschrieb. Jasmin schrieb diese dann ab, immer unter Einbeziehung der Laute.

Beispiel: Das Wort „ARIELLE“.
Ein A wie Affe, dann ein R wie Raman, ein I wie Igel, ein E wie Esel, ein L wie Lampe, nochmal ein L und noch ein E wie Esel.

Gerade dieses Schreiben mit Benennung der Buchstaben machte Jasmin viel Freude. Sie äußerte den Wunsch, „Prinzessinnen-Sticker“ in die Geschichte mit einzubeziehen.

Beim ersten Blatt der Geschichte forderte sie, dass ich drei Wörter schreibe, sie meinte, dass sie es nicht könnte.
Die folgenden Wörter hat sie dann alle selbst geschrieben.

Ich las ihr vor, was sie sich überlegt hatte. Einiges wollte sie nicht mehr in der Geschichte haben, anderes mussten wir hinzufügen, zum Beispiel „Arielle mag Schuhe“.

An beiden Tagen hat sie in jeweils einer halben Stunde zwei Blätter vollgeschrieben und wollte danach aufhören. Sie lief mit den Blättern in den Gruppenraum und zeigte sie stolz umher.

Ich schlug ihr vor, die Blätter zu laminieren und als Buch zu binden, so dass sie die Geschichte im Schlusskreis vorlesen könnte. Die Idee nahm Jasmin freudig an.

Überprüfung der Ziele

Die Ziele, die ich für Jasmin gesetzt habe, hat sie erreicht. Jasmin hatte von Anfang an klare Wünsche und Bedürfnisse, die ihr auch bewusst waren; nur konnte sie sie nicht äußern und durchsetzen.

Zu Ziel 1:
Jasmin ist in der Lage, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern

Jasmin konnte gut die Befindlichkeiten der Anderen wahrnehmen und auch darauf eingehen. Sie zeigte Rücksichtnahme, Hilfsangebote und viel Verständnis.
Ihre interpersonale Intelligenz ist anscheinend sehr stark ausgeprägt.

Ihre eigenen Befindlichkeiten äußerten sich in Weinen oder in Kopf- und Bauchschmerzen, manchmal stöhnte sie auch über Müdigkeit.

In den Gesprächen mit ihr, die sehr intensiv und lang waren, zeigte sie große Ausdauer, obwohl es ihr aufgrund ihrer Sprachschwierigkeiten immer wieder schwer fiel, in die Diskussion zu gehen.

Zu Beginn des Projektes wollte und konnte sie über ihre Wünsche nicht reden. Das „Medium“ Prinzessin war gut geeignet, um mit ihr ins Gespräch zu kommen.
Sie war sehr am Thema interessiert. Mit der Zeit wurde sie immer offener und traute sich, Fragen zu stellen.

In der gesamten Kindergartengruppe fiel auf, dass Jasmin sich nun traute, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern.
Beispiele:
1.
Als das Mittagessen verteilt wurde, sagte Jasmin zu unserer Berufspraktikantin: „Ich mag keine Pommes, möchte mehr Wurst haben, auch Salat.“ Vorher hat sie sich immer alles geben lassen.

2.
Jasmin spielt mit Nele ein Memory. Berin kommt in die Einrichtung und unterbricht die Beiden ständig. Immer wieder spricht sie Jasmin an.
Nach kurzer Zeit sagt Jasmin, dass sie nun mit Nele spielen möchte und beachtet Berin nicht mehr.

Zu Ziel 2:
Jasmin ist in der Lage, ihre Bedürfnisse und Wünsche durchzusetzen

Da Jasmin ihre Wünsche nicht äußern konnte, war es auch schwierig für sie, diese durchzusetzen.
Die anderen Kinder oder auch Erwachsene konnten so ihre Wünsche nicht erfüllen, was vermutlich bei Jasmin immer wieder zu Frust-Situationen führte.

Es ist auch heute noch so, dass Jasmin viele ihrer Wünsche und Bedürfnisse nicht äußert, aber sie hat damit begonnen.

Beispiele:
1.
Jasmin sagte ihrer Mutter, dass sie Bücher brauche. Die Mutter erklärte, Jasmin hätte doch genug Bücher (sie hat Bücher über Schiffe, Autos und Fische). Jasmin machte ihrer Mutter sehr bestimmt klar, dass sie andere Bücher brauche und schlug der Mutter vor, die Bücher gemeinsam zu kaufen.

Kommentar der Kursleitung:
Wir wissen nicht, wie die finanziellen Verhältnisse der Familie sind. Ein solches direktes Fordern ist für Jasmin sicher ein großer Fortschritt und wünschenswert.
Wenn das aber ihre Mutter in Verlegenheit bringt, dann wäre es wichtig, vermittelnd einzuwirken. Ihr solltet erklären, dass es – unabhängig von der Lösung, die gefunden wird – ein wichtiger Entwicklungsschritt für Jasmin ist, so fordernd sein zu können.

Es wäre wichtig, die Mutter nicht allein damit stehen zu lassen. Sie könnte sonst am Ende noch denken, Du würdest ihre Tochter „aufsässig“ machen.

Können die Kinder bei Euch Bilderbücher (z.B. übers Wochenende) ausleihen?
So eine Ausleihbücherei angeleitet zu betreuen, könnte vielleicht auch eine Aufgabe für Jasmin sein. Und sie käme an viel „Lesestoff“.

2.
Jasmin wollte mit Amanda im Nebenraum eine CD hören und dazu tanzen.
Kevin, einer der großen und sehr, sehr energischen Jungen beschloss, dass er mit seinen Freunden nun in den Nebenraum gehen wollte.
Ich hörte eine lautstarke Diskussion und stellte mich an die Tür.
Jasmin hatte sich vor Kevin aufgebaut und sagte: „Kevin, ich will mit Amanda tanzen, ich bin erst hier.“
Amanda bestätigte dies. Kevin schimpfte laut: „Ich will hier spielen!“

Jasmin sah mich und fragte: „Martina, ich bin hier zuerst?“
Ich stellte klar, dass sie zuerst im Nebenraum war und geleitete Kevin und seine Freunde hinaus.
Dies war das erste Mal, dass Jasmin sich gegenüber Kevin durchgesetzt hat.

3.
Jasmin, Berin und Juline spielten oben im großen Flur. Nachdem sie einige Zeit wieder unten waren, beschwerten sich zwei Mädchen aus einer anderen Gruppe, dass die Drei nicht aufgeräumt hätten.
Meine Kollegin, die gerade an der Tür stand, blickte unsere Mädchen fragend an.
Jasmin erwiderte: „Nein, wir haben unsere Sachen aufgeräumt, den Rest müsst ihr aufräumen.“
Die Mädchen zogen wieder ab.

Insgesamt kann man sagen, dass Jasmin auf dem besten Wege ist, ihre Wünsche und Bedürfnisse durchzusetzen.

Zu Ziel 3: Jasmin entwickelt ihre Fähigkeiten im Schreiben weiter

Jasmin konnte vor diesem Projekt ihren Namen und einige wenige Wörter ab-schreiben.
Obwohl es ihr nicht ganz leicht gefallen ist, hat sie die Geschichte an zwei Tagen geschrieben.
Immer wieder hat sie die Buchstaben wiederholt und nach einiger Zeit konnte sie ein I, ein E , ein L und ein A schreiben, ohne dass sie sich die Buchstaben ansehen musste.
Am ersten Tag wollte sie nach einer Seite aufhören. Ich sagte zu ihr, dass sie doch noch ein wenig könnte.

Nach zwei Seiten war ihre Aufmerksamkeit nicht mehr auf die Geschichte zu lenken, sie stand auf, wechselte das Thema, ging durch den Raum und machte mir klar, dass sie nun aufhören möchte.
Dasselbe passierte am zweiten Tag.

Als die Geschichte fertig war, wollte sie am nächsten Tag nochmal ein paar Wörter schreiben.
Sie schrieb die Wörter: Kette, Mama, Uhr, Papa, Prinzessin, Melodie, Arielle und Schloss.
Diese Wörter schrieb ich ihr vor, nachdem sie sie mir genannt hatte.


Zu Ziel 4:
Jasmin gewinnt durch das Projekt mehr Selbstvertrauen

Jasmin hat sehr viel an Selbstvertrauen gewonnen. Sie kann teilweise ihre Wünsche durchsetzen, sie tritt Berin und auch Juline gegenüber selbstsicher auf und traut sich zu, den großen Jungen zu widersprechen.
Ich konnte sehen, dass sie eine Streitsituation zwischen Amanda und Berin nur betrachtet hat, ohne einzugreifen. Sie selber malte am Maltisch, während die beiden sich um Farbstifte stritten. Normalerweise hätte sie eingegriffen und versucht die Situation zu klären, doch diesmal hat sie nur kurz zugehört und zugeschaut, um sich weiterhin ihrer Arbeit zu widmen.

Ein anderes Mal stritten sich zwei Kinder um einen Stuhl. Jasmin saß an diesem Tisch und früher hätte sie versucht, den Streit zu schlichten.
Diesmal lächelte sie und fing an, die Kinder auszuzählen: „Ene, mene ,miste…“
Die beiden Kinder waren so verdutzt, dass sie das Streiten um den Stuhl aufgaben.

Zur Zeit scheint sie auch immer wieder alleine etwas zu tun – ohne diese Rastlosigkeit, die sie sonst immer zeigte. Jasmin fing früher Vieles an, ohne etwas zu beenden, nun erscheint sie deutlich ruhiger.
Sie spielt alleine, genauso oft spielt sie aber auch mit anderen Kindern. Beides ist anscheinend für sie in Ordnung.
Dies war einer der Wünsche, die sie an sich selber hatte und den sie nun für sich geklärt hat.

Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass Jasmin durch die Einzelbeschäftigung sehr große Fortschritte gemacht hat, sie konnte sich öffnen und weiterentwickeln. Kein anderes Kind behinderte sie und sie konnte ihre Fähigkeiten ausbauen.

Kommentar der Kursleitung:
Wir finden es sehr gut, dass Du Dich an diesem Punkt von Jasmins Entwicklung für eine Einzelförderung entschieden hast. Es war offensichtlich das, was sie jetzt brauchte, um voran zu kommen.

Planung für die Zukunft

Das Thema „Schreiben“ ist definitiv noch weiter wichtig für Jasmin.

Ich werde eine Box mit Wörtern erstellen, die sich Jasmin und auch die anderen Kinder aus der Schreibgruppe immer wieder nehmen und damit arbeiten können.
Auf der Bildungsmesse Didacta habe ich Buchstabenstreifen gekauft. Hier stehen die Buchstaben der Reihe nach auf einem Streifen. Zu jedem Buchstaben ist ein Bild gezeichnet, zum Beispiel A – Apfel oder B – Birne.

Diese Streifen und auch ihre Schreibhefte werde ich den Kindern zur Verfügung stellen. So sind die Kinder jetzt, nachdem sie viel Anleitung erhalten haben, nicht mehr darauf angewiesen, dass ich mir Zeit für sie nehme.

Kommentar der Kursleitung:
Der beste Lehrer macht sich mit der Zeit selbst überflüssig.

    • Jasmin hat so die Möglichkeit, ihre Kenntnisse im Buchstabenschreiben auszubauen, und muss nicht darauf warten, dass wir uns zurückziehen.
    • Buchstabenspiele werden zum Einsatz kommen, so dass das Erlernte sich festigt und weiterentwickelt.
    • Ihre Geschichte wird Jasmin im Schlusskreis allen Kindern vorstellen, darauf freut sie sich schon.
    • Jasmin wird bei den Ausflügen mit den Vorschulkindern dabei sein (sowie auch Raman und Yusuf).

Insgesamt kann ich feststellen, dass Jasmin sich rasant weiterentwickelt und ihre Talente nun auch zeigt.

Zur Zeit ist sie nicht mehr so unruhig und zeigt auch keine körperlichen Schwächen, die Müdigkeit ist verschwunden.

Kommentar der Kursleitung:
Das Somatisieren ist offenbar überflüssig geworden.

Für Jasmin ist es sehr wichtig, sie weiterhin zu fordern und zu fördern, dies kann in einer Einzelförderung und auch in Kleingruppenarbeit geschehen.

Da Jasmin gerade die Denk-Gespräche gefallen und sie weiter gebracht haben, werde ich mir immer mal wieder Zeit nehmen, um mich mit ihr zurückzuziehen.

Siehe auch: Drei kleine Mädchen sind die Denkgruppe.

 

Datum der Veröffentlichung: März 2015
Copyright © Martina Böckling, siehe Impressum