Autobau

von Lucy Rüttgers

 

Mit diesem Projekt „Basteln eines Autos aus wertfreiem Material“ soll Max (5;2)

– individuell angemessen gefördert werden und
– seine Integration in die Gruppe verbessert werden.

 

Die Vorgeschichte

Max´ Mutter hatte einen Info-Abend (mit Hanna Vock) zum Thema Hochbegabung besucht und wandte sich daraufhin an unseren Kindergarten, da Kolleginnen und ich einen IHVO-Zertifikatskurs besuchten.

Sie berichtete von der Unzufriedenheit ihres Sohnes in seinem Kindergarten. Ebenso erwähnte sie die Aussagen der dortigen Erzieherinnen, dass sie Max nicht angemessen fördern könnten. Somit unterstützten sie einen Kindergartenwechsel.

Als er zu uns kam, war er 4;8. Die Eingewöhnung fiel ihm schwer. Als Freunde hatte er sich sechsjährige Schulkinder ausgesucht, die unseren Hort besuchten. Sie standen allerdings nur nachmittags als Spielkameraden für ihn zur Verfügung. In seiner Kita-Gruppe fand er keinen Freund.

 

… kurz gefasst …

Eine Erzieherin nimmt sich trotz Personalmangel die Zeit, über eine Woche lang ein Projekt mit nur zwei Kindern durchzuführen und es recht aufwändig vorzubereiten. Ein Junge (5;2) erhält dabei eine angemessene kognitive Förderung und findet durch die Zusammenarbeit im Projekt Zugang zu einem anderen, älteren Kind.

Die großen kognitiven Fähigkeiten des Jungen und seine hohe Motivation und große Freude bei angemessen schwierigen Herausforderungen beweisen sich.

Am liebsten spielte er alleine mit mir „schwierige“ Spiele. Die Versuche meinerseits, andere interessierte Kinder mitspielen zu lassen, schlugen fehl – er verließ dann das Spiel, weil die anderen Kinder die Spielregeln nicht richtig erfassten und ihm auch zu langsam spielten. Durch eine intensive gemeinsame Spielzeit wurde unser Kontakt recht eng.

Max interessierte sich stark für Buchstaben und Zahlen. Ich legte mit ihm ein eigenes Rechenheft an, in das ich ihm unterschiedlich schwierige Aufgaben hinein schrieb. Allerdings löste er diese am liebsten in meinem Beisein und nicht alleine.

Buchstaben kannte er und wollte sie oft schreiben. Er gestaltete so Geburtstagskarten oder Ähnliches, zum Beispiel für seine Eltern. Mir diktierte er dann den Text, und ich musste ihn auf einem Blatt vorschreiben. Dies schrieb er dann alleine, selbstständig und hochmotiviert ab.

Max´ Mutter erzählte mir von seinem Interesse für Baupläne. So haben wir auch gemeinsam nach LEGO­-Plänen Fahrzeuge gebaut.

Die schlechte personelle Besetzung in der Kita erschwerte unsere Arbeitsbedingungen zu dieser Zeit so sehr, dass viele wichtige pädagogische Leistungen gar nicht möglich waren. Dadurch hat auch Max lange nicht die Zuwendung und Förderung erhalten, die meiner Meinung nach notwendig gewesen wäre.

Ich wollte die Kita in Kürze verlassen und beschloss, dass mein letztes Projekt dort Max weiter helfen sollte.

Die Vorbereitung

Zur genaueren Projektfindung füllte ich mit Max den Interessen-Fragebogen aus. Auch hierbei wurde wieder deutlich, dass er sich für Buchstaben und fürs Rechnen interessiert, außerdem aber auch fürs Basteln. Geschrieben und gerechnet hatten wir nun schon oft, also wollte ich nun sein Interesse am Basteln aufgreifen.

Ich wusste: Damit es ihn wirklich interessiert und motiviert, muss ich mir etwas Besonderes einfallen lassen. Es sollte ja auch einen speziellen, für Max passenden Schwierigkeitsgrad haben.

Mir kam seine Leidenschaft für Pläne in den Sinn und da kam mir die Idee, ihn ein Auto nach Bauplan basteln zu lassen.

Zur Unterstützung seiner Integration (er ist immer noch sehr einsam) wollte ich dann die Jungs mitmachen lassen, die Max im im Interessen-Fragebogen erwähnt hat. Jeder sollte sein eigenes Fahrzeug erstellen, und sie sollten sich bei den einzelnen Arbeitsschritten, sowohl im Erkennen der Aufgaben, als auch in der Durchführung gegenseitig helfen.

 

Der Prototyp

(Anklicken zum Vergrößern)

 

(Wenn Sie das Foto anklicken, erhalten Sie eine größere Version. Zurück zur Originalgröße bitte über den Pfeil-Button ganz  oben links.)

 

Zunächst erstellte ich einen Prototypen (siehe Foto), den ich Max zusammen mit meiner Idee der Herstellungsart präsentierte. Ich wollte von ihm wissen, ob er an diesem Projekt Interesse habe. Er war begeistert.

Meinen Vorschlag, seine zwei „Wahlfreunde“ mitmachen zu lassen, fand er ebenfalls gut. Leider ging einer von ihnen genau zu dieser Zeit in Urlaub. Der andere, Peter, hatte aber große Lust. Auch er verfügt schon über Erfahrungen im Legobau nach Plan.

Anschließend erstellte ich ein Plakat, von dem die Kinder die Information erhielten, welches Material sie brauchten und welche Werkzeuge erforderlich waren (siehe Foto).
Teilweise waren die Abbildungen gemalt und teilweise die Dinge im Original aufgeklebt (z.B. Wellpappe, Moosgummi, Perle, Knopf, Schraube).

Die Kinder sollten den erhöhten Schwierigkeitsgrad haben, dass sie die Gegenstände anhand meiner Zeichnung erkennen mussten.

 

Allerdings sollte die Selbstständigkeit der Jungs dabei gewährleistet sein, so dass einige Materialien auf diesem ersten Plakat noch aufgeklebt waren. Erst später, bei den Arbeitsschritt­-Anweisungen, mussten sie dann als Skizze erkannt werden.

 

Die Arbeitsschritt-Anleitungen

Ich erstellte fünf Skizzen als Arbeitschritt-Anleitungen im DIN A4-Format. Eine sechste zeichnete Max. Aus zeitlichen Gründen gelang mir das immer erst einen Tag vor dem nächsten Angebot oder unmittelbar vor dem Angebot. Dies hatte allerdings den Vorteil, dass ich mich dem Arbeitstempo der Kinder anpassen konnte und sich eventuelle Fehler in den Arbeitsanleitungen nicht wiederholten.

Die Arbeitsanleitungen waren immer so aufgebaut, dass sie links aufzeigten, wie der Ausgangspunkt für den Weiterbau aussah und welche Werkzeuge und welches Material für den nächsten Arbeitsschritt gebraucht wurde.

Rechts waren dann die einzelnen Arbeitsschritte der Reihe nach zu erkennen. (Gar nicht so einfach, das anhand von Skizzen zu erstellen.)

 

 

Um eine bessere Integration von Max zu erreichen, sollten sich die Beiden gegenseitig helfen, und ich versuchte, ihre gemeinsamen Vorhaben zu unterstützen.

 

1. Arbeitsphase

Dach einzeichnen, ausprickeln und entsprechend zusammen kleben. Achsenpunkte einzeichnen und Achsen einsetzen.

Zunächst haben wir gemeinsam das Material- und Werkzeugplakat betrachtet. Um sicher zu gehen, dass sie alles verstanden und richtig erkannt haben, erzählten sie mir das Gesehene. Das Wissen der beiden ergänzte sich gut. Peter kannte den Begriff „Mutter“, was für Max eine Schraube war, und Max wusste die Zahlen neben den Symbolen richtig zu deuten: zwei Knöpfe, sechs Perlen …

Anschließend besprachen wir noch den Inhalt der ersten Arbeitsanleitung. Beide erkannten die Zusammenhänge sehr gut. Schwierige Stellen des Plans konnten sie am Prototyp dann besser nachvollziehen.

Beide machten sich dann hoch motiviert über einen Haufen von Materialien und Werkzeugen her, wo sie die entsprechenden heraussuchen mussten. Dies ging sehr schnell. Schwierig wurde es bei den Muttern, die unterschiedlich groß waren. Der Größenunterschied war sehr gering und mit dem bloßen Auge nicht so einfach zu erkennen. Von beiden Größen brauchten sie je vier Stück. Sie hatten dann die Idee, das Material-Plakat zu Hilfe zu nehmen: Sie legten die Muttern zum Vergleich auf die dort aufgeklebten.Nachdem sie schnell und gut alles beisammen hatten, wollten sie sofort mit dem Bau beginnen.

So erarbeiteten wir dann nochmals gemeinsam an Hand des Plans den ersten Arbeitsschritt. Das speziell für diesen Arbeitsschritt notwendige Material sowie Werkzeug suchten sie aus dem nun eigenen Fundus heraus. Ein dabei von mir unabsichtlich eingebauter Schablonen-Fehler wurde von den Kindern ohne größere Probleme oder Verunsicherung kompensiert. (Zur Vereinfachung wählte ich eigentlich eine Schablone, die man ganz auf die Oberfläche der Schachtel auflegen konnte und die in der Mitte einen Ausschnitt hatte, den man übertragen konnte. An dieser Linie entlang sollte dann ausgeprickelt werden. Irrtümlich zeichnete ich den weiteren Ablauf falsch ein – eine Korrektur war aus Zeitmangel nicht mehr möglich.)

Eine Schwierigkeit war die Einzeichnung der Achsenpunkte. Links konnte man die Schablone normal benutzen. Aber für die Einzeichnung des rechten Achsenpunktes musste man sie spiegelverkehrt einsetzen. Ich war höchst überrascht, als Peter dies bemerkte und sofort umsetzen konnte. Er half dann Max bei der Umsetzung.

Dauer: etwa 45 Minuten.

 

Was konnte ich beobachten?

Beide Kinder gingen sehr höflich und hilfsbereit miteinander um. Keiner lachte den anderen aus, wenn er etwas Falsches sagte oder machte.

Beide wollten direkt im Anschluss an das Angebot im gleichen Raum bleiben und dort miteinander, ohne andere Kinder, Kicker spielen. Anschließend haben sie zudem noch ganz lange tolle Gebäude mit den Kappla-Bausteinen gebaut.

Als ich Max am Ende des Kita-Tages fragte, ob das denn heute ein guter Kita-Tag für ihn gewesen sei, strahlte er, nickte und meinte: „Besonders das Autobasteln!“

 

2.  Arbeitsphase

Die zweite Arbeitsphase unfasste zwei Arbeitsanweisungen: Die Motorhaube falten und kleben sowie das Pappgestell mit Pinsel und Farben beliebig anmalen.

Dieses Angebot musste ich leider mit Max alleine machen, da Peter an diesem Tag nicht die Kita besuchte. Es war mir wichtig, dass die Projekttage nicht zu weit auseinander lagen, da es die einzigen Highlights für Max waren.

Bezeichnend war dann sein Verhalten an diesem Morgen. Nach dem kurzen Morgenkreis, an dem ich wegen eines Elterngesprächs nicht teilnehmen konnte, hatten die Kinder die Wahl: noch ein Spiel im Kreis zu spielen oder den Kreis schon zu verlassen. Max verließ als einziger den Kreis und wartete auf mich, damit wir endlich mit dem Autobau fortfahren konnten.

Die Arbeitsschritte waren etwas schwierig mit der Skizze darzustellen. Wir nahmen daher den Prototyp zu Hilfe, und ich setzte entsprechende Impulse. Wie das Auto angemalt werden sollte, war dann eindeutig zu erkennen.

Zwei ältere Mädchen wollten ihm gerne bei der Arbeit zuschauen, was für ihn in Ordnung war. Sie halfen ihm, das Auto festzuhalten, damit er mit dem Pinsel besser an die schwierigen Stellen gelangte, ohne schon Bemaltes zu verwischen.

Dauer: etwa 40 Minuten.

 

 

Was konnte ich beobachten?

Die Vorfreude von Max auf diese Arbeitsphase war riesig. Dass Peter nicht dabei war, war für ihn nicht schlimm. Er fühlte sich offenbar gut dabei, das Interesse der älteren Mädchen zu haben. Die Zusammenarbeit der drei Kinder war sehr harmonisch, obwohl die beiden Mädchen natürlich am liebsten beim Projekt mitgemacht hätten. Da sie aber kurz zuvor bei einem Buchstabenprojekt dabei gewesen waren, an dem auch nicht alle Kinder teilgenommen hatten, konnten sie die Situation ohne weiteres akzeptieren.

 

3.  Arbeitsphase

Peter arbeitet den 2. und 3. Schritt nach, Max hilft ihm.
Beide befassen sich mit der 4. Arbeitsanleitung: Aufzeichnen, Ausschneiden und Zusammenkleben der Räder.

Max und Peter sahen sich gemeinsam den schwierigen Arbeitsplan über das Zusammenfalten und Kleben der Motorhaube an. Max gab Peter Erklärungen und half ihm bei der Umsetzung.
Anschließend malte Peter selbstständig, voller Motivation und Freude sein Auto an. Gleichzeitig erzählte er uns, wie und warum er was in welchen Farben anmalte. Er arbeitete ganz ruhig, völlig ausgeglichen und erwähnte, dass er ja so geme male.

Max erarbeitete sich in der Zeit den nächsten Arbeitsschritt. Er erkannte die notwendigen Materialien und den Arbeitsauftrag sofort, obwohl hier die Materialien als Skizze dargestellt waren, die auf dem Plakat noch im Original sichtbar waren.

Unverständlich für ihn war die Anzahl der Kreise, die er aus Wellpappe aufmalen und ausschneiden sollte. Warum acht? Das Auto hat doch nur vier Reifen. Anhand des Prototyps wurde die Erklärung dann ersichtlich.

Beim Aufmalen und Ausschneiden der Reifen brauchte Max dann meine Hilfe. So kleine Reifen aus Wellpappe, das war wirklich schwierig. Leider konnten wir, wieder mal aufgrund von Personalmangel, die Räder nicht mehr zusammenkleben.

Dauer: etwa 50 Minuten.

 

Was konnte ich beobachten?

Beide arbeiteten in einer entspannten, ruhigen Atmosphäre. Sie erzählten miteinander und waren guter Dinge. Der Arbeitsaufwand mit dem Ausschneiden der Räder entsprach nicht unbedingt Max´ Lieblingsarbeit. Beide wollten anschließend wieder alleine, im gleichen Raum, miteinander Kicker spielen. – was sie natürlich durften!

 

4.  Arbeitsphase

Peter hatte heute Max´ letzen Arbeitsschritt vor sich, das Aufmalen und Ausschneiden der Räder. Er war ja dabei gewesen, als Max diesen bewältigt hatte und brauchte keine Hilfe.
Nachdem Max seine Räder zusammengeklebt hatte, erstellte er die Skizze für den nächsten Arbeitsschritt: das Ausprickeln der Löcher in den Rädern, durch welche die Achsen geschoben werden sollten:
In der Zwischenzeit trocknete der Kleber, so dass Max direkt im Anschluss die Achsenlöcher seiner Räder ausprickeln konnte – was für ihn recht schwierig war. Peter arbeitete sehr selbstständig.

Dauer: etwa 50 Minuten.

 

 

 

Was konnte ich beobachten?

Auch an diesem Tag herrschte eine tolle Harmonie zwischen den Beiden. Max´ Idee, dass er einen Arbeitschritte-Plan zeichnen könnte, erwies sich als gut. Die Kinder waren dadurch auch wieder auf einem gemeinsamen Arbeitsstand, und für Max war es ein gutes Gefühl, selber einen Arbeitsplan zu erstellen, der ja dann auch von Peter genutzt wurde.

 

5. Arbeitsphase

Jetzt sollten Knöpfe und Perlen als Lampen nach Anleitung aufgeklebt werden. Die Räder mussten mit entsprechenden Vorlegescheiben nach Skizze auf die Achsen gesteckt und am Auto befestigt werden.

Die Kinder erkannten Material und Arbeitsschritte selbstständig.

Beim Anbringen der Lampen brauchten sie leichte Unterstützung, damit sie das Auto von der richtigen Seite aus bearbeiteten – die Rückleuchten sollten ja nicht vorne landen. Schwieriger wurde das Anbringen der Räder auf den Achsen.

Die beiden haben es mit viel Geduld und Ruhe gut bewältigt.

Die Selbstständigkeit war trotz des Schwierigkeitsgrades auch vorhanden. Jetzt musste die Räderbefestigung nur noch trocknen.

Max hatte noch die Idee, eine Antenne anzubringen. Das fanden beide ganz toll – und ich auch, da es ja Max´ eigene Idee war.

Dauer: etwa 45 Minuten.

 

Was konnte ich beobachten?

Zunächst war es wieder erfreulich, dass die Beiden im Anschluss an das Angebot wieder zusammen in der Kappla-Ecke spielen wollten. Auch bei diesem Angebot herrschte wieder eine freundliche, hilfsbereite Stimmung. Die Spannung stieg, da die letzten Arbeitsschritte fast bewältigt waren und die Vorfreude auf das Endprodukt groß war.

 

6. Arbeitsphase

Fertigstellung des Autos, gemeinsame Reflektion des Projekts und Dokumentation des Ergebnisses mit der Kamera.

Die Motivation an diesem Tag war riesig, da das fertige Auto heute nach Hause mitgenommen werden durfte. Der letzte Arbeitschritt war das Kürzen der Achsen, die aus einem Schaschlikspieß bestanden.

Anschließend haben wir mit Hilfe des Material- und Werkzeugplans sowie den Arbeitsanleitungen das gesamte Projekt Revue passieren lassen. Beide haben abwechselnd berichtet und hatten alles hervorragend in Erinnerung. Beide fanden das Projekt auch toll und würden so etwas gerne wieder machen. Anschließend wurde dann fotografiert.

Dauer: etwa 45 Minuten.

Was konnte ich beobachten?

Es war ein sehr schöner, freudiger und stimmungsvoller Ausklang des Projekts. Die positive Resonanz hat mich natürlich sehr gefreut.
Das Fotografieren machte natürlich besonderen Spaß, da wir dank Digital-Kamera alles sofort anschauen konnten.

 

Abschlussgedanken zum Projekt

lnhalt und Schwierigkeitsgrad des Projekts waren sowohl fur Max als auch Peter genau richtig. Dies wurde während unserer gemeinsamen Arbeit immer wieder deutlich. Die Motivation der Beiden blieb bis zum Schluss hoch. Bis auf wenige Situationen war auch ein selbstständiges Handeln der Kinder gegeben.

 

Max´ Auto.

 

 

 

 

 

 

Meine Erfahrung mit dem Erstellen der Arbeitsanleitungen: Es muss alles sehr gut durchdacht sein, und es wäre hilfreich, genügend Vorbereitungszeit zur Verfügung zu haben. Zweckmäßig wäre ein Probelauf, bei dem eine Kollegin anhand der Arbeitsschritt­Skizzen den gewählten Gegenstand erstellt, um dabei Schwierigkeiten aufzudecken. Somit fand ich meine Arbeitsablauf­-Skizzen nicht optimal, aber den Möglichkeiten entsprechend gut.

 

Zur Integration von Max

Der Zufall, dass der dritte Junge nicht am Projekt teilnehmen konnte, erwies sich im Nachhinein als eher günstig. Eine Dreierkombination ist oft nicht so glücklich, da sich dabei meist zwei zusammen finden und einer alleine gegen zwei antreten muss.

So fanden sich zumindest für den Projektzeitraum zwei Jungen und entdeckten ihre lnteressengleichheit. Es war eine Freude zu beobachten, wie sie nicht nur bei den Arbeisphasen, sondern auch anschließend stundenlang gemeinsam spielten. Allerdings war dies auch nur in der Zweisamkeit so. Gingen die beiden nach draußen, wo auch andere Kinder anwesend waren, war der enge Kontakt nicht mehr gegeben.

Leider konnte ich die begonnene Freundschaft der Beiden nicht weiter unterstützen, da ich wenige Tage später die Kita verlassen habe. Trotzdem bin ich froh, dieses Projekt gemacht zu haben – und wenn es „nur“ bewirkt haben sollte, dass ein einsamer trauriger Max eine tolle Woche in der Kita erleben konnte, wo es ihm mal richtig gut ging!

 

Siehe auch: Pläne, Zeichnungen, Skizzen, Mind-Maps.

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2012.
Copyright ©  Lucy Rüttgers, siehe Impressum.

 

 

Schreiben lernen ohne Schule

von Hanna Vock

 

Ein fünfjähriges Mädchen, das noch nicht in die Schule geht, aber bereits fließend liest, fängt an, sich das Schreiben selbst beizubringen.
Sie verwendet ihre Schreibfähigkeiten zu ganz unterschiedlichen Zwecken.
An Hand von sechs Dokumenten aus der Produktion des Kindes wird der Lernprozess sichtbar. Das Kind hatte alleine die Ideen und hat sie alleine umgesetzt.
Später ergab ein Test eine Hochbegabung.

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1. Die Glückwunschkarte

Das Mädchen ist 5;11 und beglückwünscht seine Eltern zum Hochzeitstag. Sie hat ein Usambaraveilchen gepresst und aufgeklebt.

Sie schreibt im Zweifelsfall nach dem Gehör.
Das geht manchmal gut, zum Beispiel bei „BEIDE“, manchmal führt es aber auch zu Fehlern, wie bei „SEIT“ statt „SEID“ und „JETS“ statt „JETZT“.
Durch das frühe und heftige Lesen weiß sie aber auch schon etliche Wörter richtig zu schreiben, deren Schreibweise man nicht genau hören kann – zum Beispiel „IHR“ und „LIEB“.
Und sie hat sich offenbar schon gemerkt, dass die Vorsilbe „ver“ mit v geschrieben wird.

 

 

2. Der Grundriss

Diesmal hat sich das Mädchen (5;11) etwas anderes vorgenommen: Sie zeichnet einen Grundriss der Wohnung. Die Zuordnung der Zimmer, die Wege und Richtungen sind fast richtig getroffen. Nur das Zimmer der Eltern wurde vergessen.

Kleinbuchstaben kann sie noch nicht schreiben. Es erscheint ihr offenbar (noch) nicht nötig, Kleinbuchstaben zu erlernen, denn die Großbuchstaben reichen für ihre Zwecke (noch) aus.
Das ist ein Hinweis darauf, dass es ihr nicht darauf ankommt, perfekt zu schreiben, sondern dass sie von Anfang an die Schrift benutzen will, um ihre Ideen auszudrücken.
Die Motivation zum Schreiben-Üben entsteht aus der Lust an der geistigen Tätigkeit, ist also intrinsisch.

3. Die Einladung zum 6. Geburtstag

Da beide Eltern berufstätig waren und auch die ältere Schwester viel unterwegs war, wurden viele Benachrichtigungs- und Grußzettel geschrieben und auf den Esstisch gelegt. Die Kleine (5;11) war sehr darauf aus, sich in diese Praxis einzuklinken.
Dies ist einer der ersten Zettel, den die anderen Familienmitglieder vorfanden:

Hier wurde schon der Bindestrich verwendet, mit dem man ein Wort trennen kann, damit es in einen vorgegebenen Rahmen (das Herz) passt.
Er wurde gebraucht, also kam er dem viel lesenden Mädchen in den Sinn. (Bestes learning by doing.)

Das ß war zwar schon in Gebrauch (siehe oben: Eßecke), aber bei „GRUS“ nicht herausgehört.

 

 

 

4. Die Geschichte

Mit 6;1 schreibt das Mädchen im Kindergarten eine selbst ausgedachte Geschichte. Sie tut es heimlich („Die anderen waren alle draußen“) und schmuggelt die Kärtchen mit der Geschichte auch heimlich in der Brotdose aus dem Kindergarten heraus.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Beherrschung der Rechtschreibung ist noch lückenhaft, die Buchstaben sind nicht besonders korrekt geschrieben, aber: Das Kind hat die Möglichkeit und den Mut, sich mit Hilfe der Schrift kreativ auszudrücken.
Und das ist das Wichtigste.
Neue Elemente, die seit der Einladung hinzu gekommen sind: Durchstreichen, Unterstreichen, Ausrufezeichen, (was für die Dramatik der Geschichte gebraucht wird).

 

5. Der Brief

Das Mädchen war nun 6;4 und immer noch nicht in der Schule. (Sie konnte dann drei Wochen nach der Einschulung von der 1. in die 2. Klasse springen.)

Sie war eine Woche lang alleine bei Freunden der Familie und schrieb den Brief ganz ohne Hilfe.

Hier hat schon jeder Satz am Ende einen Punkt.

Sehr vieles ist schon richtig geschrieben.
Nur das Dehnungs-E nach dem I und die Verdoppelung von Konsonanten klappen noch nicht immer:

Noch: „DISEN BRIF“  – aber schon: „LIEBER PAPA“,

Noch: „VERSCHIDENEN“ – aber schon: „HIER“ und „SPIELPLÄTZEN“, „VIELE“.

Noch: „WEN“ statt WENN und „SCHWIMEN“.

 

 

6. Der Bericht

Nun war das Mädchen 6;10 und in der 2. Klasse. Sie holte nach Hort-Schluss ihre Mutter von der Arbeit ab und musste eines Tages noch eine Weile im Büro warten. Sie setzte sich zum ersten Mal an eine Schreibmaschine (die war alt, hakte an vielen Stellen und war längst ausrangiert).

Kleinbuchstaben und Schreibschrift hatte sie inzwischen gelernt. Aber diese Dinge interessierten sie nur am Rande. Mit ihren Gedanken war sie schon wieder weiter:
Die Form des Berichts (etwas knapp und präzise aufschreiben) war gerade interessant, als dieses Beispiel entstand.

Die Rechtschreibung hat sich durchs Bücherlesen weiter entwickelt. Auch die Zeichensetzung wurde durch das Komma, den Doppelpunkt und die Anführungszeichen bereichert.

 

Der gesamte Schreiblernprozess vollzog sich unabhängig von der Schule.

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2012
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.