Isabel (3;3) lernt „Halli Galli“

von Ellen Görg

 

Mehr zu Isabel lesen Sie in den Beiträgen:

Hinweise auf Hochbegabung bei einer Zweijährigen
Eine Zweieinhalbjährige meistert schwierige Aufgaben
Isabel (2;10) und die Zahlen
Bei Zahlen-Spielen findet Isabel (3;8) passenden Spielgefährten

Isabel ist nun 3;3 Jahre alt und ihr Interesse an Mengen und Zahlen hat sich stets weiterentwickelt. Das kann ich im gesamten Tagesablauf beobachten. Sie sucht ständig nach neuen Impulsen, um ihren Wissensdurst zu stillen.

Dabei sucht sie oft den Kontakt zu den älteren Kindern. Sie interessiert sich für deren Spiele und schaut ihnen dabei zu. Besonders aufmerksam ist Isabel, wenn unsere Fünf- bis Sechsjährigen „ Halli Galli“ spielen. Deshalb möchte ich ihr dieses Kartenspiel gezielt vorstellen.

 

…kurz gefasst…

Isabel (3;3 Jahre alt) erarbeitet sich schrittweise ein Kartenspiel, das die meisten Kinder erst ab 5 bis 6 Jahren bewältigen. Sie versteht die Spielregel und auch den Wettbewerbscharakter des Spiels – und obwohl sie mit der Reaktionsgeschwindigkeit der Älteren noch nicht mithalten kann, hat sie Spaß am Spiel.

Probleme beim Spielen mit Gleichaltrigen

Auf Grund meiner Beobachtungen kann ich immer wieder feststellen, dass Isabel neue und schwierigere Herausforderungen braucht. Sie fordert sie manchmal direkt ein. Zugleich fällt es ihr in einer Kleingruppe von gleichaltrigen Kindern schwer, deren Spiele über einen längeren Zeitraum zu spielen. Das ist ihr zu langweilig und bringt sie in ihrem Wissensdrang nicht weiter. Es sei denn, sie übernimmt die Spielführung und kann ihr Wissen weiter vermitteln. Aber schnell stellt Isabel fest, dass die gleichaltrigen Kinder ihr nicht folgen können und bricht das Spiel ab, indem sie deutlich äußert, dass sie keine Lust mehr hat. Sie sucht dann wieder den Kontakt zu den älteren Kindern.

Mit dem Spiel „Halli Galli“ möchte ich Isabel eine neue Herausforderung stellen. Das Spiel erfordert eine schnelle Auffassungsgabe und schnelles Reaktionsvermögen. Diese Voraussetzungen sind bei ihr schon sehr gut entwickelt. Ich möchte herausfinden, inwieweit sie schon einen Sinn für Wettbewerbsspiele hat. Oder überfordere ich Isabel damit? Auch möchte ich feststellen, wo ihre Grenzen sind. Sind ihr ihre Grenzen bewusst? Und inwieweit ist Isabel in der Lage, sich so zu motivieren, dass sie bei auftretenden Schwierigkeiten nicht gleich aufgibt und eventuell nach eigenen Lösungsmöglichkeiten sucht.

Sie darf bei den Älteren nicht mitspielen

Da Isabel beim „Halli Galli“-Spiel der älteren Kinder nur zuschauen aber nicht mitspielen darf, fängt sie an, das Spiel zu stören. Ich schlage ihr vor, dass wir beide das Spiel spielen könnten. Isabel ist sofort einverstanden und ich sehe, wie froh sie darüber ist.

„Halli Galli“ ist für Kinder ab sechs Jahren gedacht und wird insgesamt mit 56 Karten gespielt. Ich denke, dass Isabel mit so vielen Karten überfordert sein könnte und fange zunächst mit 20 Karten an.
Das Spiel ist gestaltet wie ein Fruchtsalat. Ich suche zunächst die Karten mit den Fruchtsorten Bananen, Erdbeeren, Pflaumen und Limonen heraus. Zu jeder Fruchtsorte gibt es fünf Karten mit jeweils einer bis fünf Früchten.

Die Spielkarten werden an die Spieler verteilt und jeder Spieler legt seine Karten verdeckt vor sich hin. Reihum decken die Spieler eine ihrer Karten auf und legen sie offen in die Mitte. Dadurch verändert sich die Mischung des „Fruchtsalats“ ständig. Aber aufgepasst: Sobald auf zwei aufgedeckten Spielkarten die gleiche Anzahl Früchte zu sehen ist, muss man auf die Glocke schlagen. Der Schnellste gewinnt die beiden Karten.

Um ungestört zu sein, gehe ich mit Isabel zum Spielen in den Musikraum. Zuerst betrachtet sie die Spielkarten, dann probiert sie die Glocke aus, ob diese auch funktioniert.
Auf meine Frage: „Was kannst du auf den Spielkarten sehen? Welche Früchte kannst du erkennen?“ kann Isabel alle Früchte aufzählen. Nur die Limone betrachtet sie als Weintraube. Das ist aber für mich okay. Als ich sie frage, wie viele Früchte auf den Karten zu sehen sind, kann sie mit ihrem Finger die Früchte bis vier richtig abzählen, bei der fünf zählt sie immer einen weiter bis zur sechs.

Ich biete Isabel an, dass wir noch mal gemeinsam das Abzählen der Früchte üben. Sie nimmt dieses Angebot an, aber nur für kurze Zeit. Sie zählt dann immer bis 20, um mir zu zeigen, dass sie richtig zählen kann. Dafür lobe ich sie auch. Für mich ist das aber auch ein Hinweis, dass Isabel das Spiel spielen möchte und sich nicht länger an Nebensächlichkeiten aufhalten will.

Die Spielregel ist nicht alles

Ich erkläre ihr die Spielregel. Dann mischen wir die Karten und ich teile sie aus. Jeder bekommt einen Stapel mit zehn Karten. Beim Spiel beobachte ich, dass Isabel die Spielregel nicht beachtet. Sie beschäftigt sich vorwiegend mit der Menge der Früchte auf den Karten. Die Glocke, die vor dem Spiel noch interessant war, ist nur noch nebensächlich. Meine Versuche, sie noch mal auf die Spielregel hinzuweisen, ignoriert sie.

Ist Isabel mit der Spielregel überfordert? Oder ist es für sie wichtiger, sich zuerst intensiv mit dem Material auseinanderzusetzen? Isabel setzt das Spiel fort, indem sie die Karten nach den Mengen der Früchte sortiert. Alle Karten mit einer Frucht auf einen Stapel, dann alle Karten mit zwei Früchten usw. bis alle Karten geordnet sind. Dies macht sie selbstständig und ich bin überrascht, dass sie schon in der Lage ist, eine eigene Strategie zu entwickeln. Deshalb unterbreche ich sie auch nicht, denn sie ist dabei sehr konzentriert. Nach etwa 20 Minuten räumt sie das Spiel ein und will zu den anderen Kindern gehen. Sie fragt mich aber, ob ich das Spiel im Nebenraum liegen lassen kann, da sie später wieder damit spielen möchte. Ich bejahe und Isabel zeigt sich zufrieden.

Und doch hat sie die Spielregel verstanden

Am darauf folgenden Tag fordert Isabel mich auf, mit ihr in den Musikraum zu gehen, um „Halli Galli“ zu spielen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Isabel von sich aus zu mir kommt und das Spiel spielen möchte. Ich habe angenommen, dass ich sie mit diesem Spiel überfordert habe.
Ich frage sie dann, ob vielleicht noch andere Kinder mitspielen können. Das verneint sie. Wir gehen in den Musikraum, wo das Spiel noch auf dem Tisch liegt. Isabel legt die Karten hin und stellt die Glocke daneben.
Ich frage: „Was müssen wir als nächstes tun?“ Isabel: „Die Karten mischen und austeilen.“ – „Möchtest du das allein machen, oder soll ich dir helfen?“ Sie mischt und teilt die Karten aus. „Soll ich dir die Spielregel noch mal erklären, oder weißt du sie noch?“

Isabel:
„Karten umdrehen und wenn genau soviel Früchte drauf sind, auf die Glocke schlagen.“

Ich bin überwältigt, mit dieser Antwort habe ich nicht gerechnet! Eigentlich wollte ich ihr noch mal alles erklären. Ich will aber überprüfen, ob Isabel in der Lage ist, das bereits vermittelte Wissen (Spielregel) anzuwenden. Denn hoch begabte / überdurchschnittlich begabte Kinder verlieren durch Wiederholungen oft den Reiz an Dingen, wenn sie das zugrundeliegende Prinzip begriffen haben. Ich teste es aus und liege mit meiner Vermutung richtig.
Der Spielablauf entspricht im wesentlichen der Spielregel. Wir spielen das Spiel zweimal, und haben sehr viel Spaß miteinander, Isabel zeigt eine große Ausdauer.

Probleme mit dem Spiel in der Kleingruppe

Am nächsten Tag will ich dieses Spiel in einer Kleingruppe von vier Kindern spielen. Dazu wähle ich ein älteres Kind Emmily (5;8 Jahre) und dann noch Fiona (3;6 Jahre) und Marian (3;2 Jahre). Im Musikraum bereite ich alles vor und gehe mit der Kleingruppe zum Spiel.

Isabel merkt sofort, was jetzt stattfinden soll. Sie äußert: „Ich möchte nicht mitspielen“ und verlässt den Raum. Ich bin überrascht, denn mit dieser Reaktion habe ich nicht gerechnet. Sie zeigt nicht das geringste Interesse. Da ich die anderen Kinder nicht enttäuschen will, spiele ich mit ihnen das Spiel. Emmily, unser Vorschulkind, übernimmt die Spielführung und erklärt den anderen Kindern die Spielregeln.

Mich beschäftigt dieses Verhalten Isabels sehr. Ich frage sie anschließend, warum sie nicht mit uns zusammen spielen wollte. Ihre Antwort: „Ich möchte nicht mit Marian und Fiona das Spiel spielen.“ Beide sind ungefähr in Isabels Alter. „Und warum nicht?“ Isabel: „Die können das Spiel noch nicht spielen.“

Interessant! Kann es sein, dass ihr adäquate Spielpartner für anspruchsvolle Ziele nicht zur Verfügung stehen und dass sie schon so früh zu der Schlussfolgerung kommt, ihre Ziele am besten allein oder mit mir zu verfolgen und dass es für sie keinen Sinn macht, sich dafür mit Anderen zusammen zu tun? Ich muss es herausfinden.

Die Wettbewerbs-Variante funktioniert noch nicht

Am folgenden Tag fordert Isabel mich auf, mit ihr das Spiel zu spielen. Sie geht mit mir in den Musikraum, und fängt gleich an, das Spiel vorzubereiten. Die erste Spielrunde verläuft wie immer ohne Wettbewerb.
Danach erkläre ich ihr, was ein Wettbewerbsspiel ist: dass man sehr schnell sein und genau aufpassen muss. Und dass der Schnellste gewinnt. Isabel zeigt Begeisterung und will es ausprobieren.

Ich beobachte, dass Isabel sehr aufmerksam die Anzahl der Früchte auf den Spielkarten vergleicht. Dadurch bleibt jedoch das schnelle Reaktionsvermögen auf der Strecke. Ab und zu fällt ihr wieder ein, dass man ja auch schnell auf die Glocke schlagen soll. Dann macht sie es zwischendurch. Ohne sich davon zu überzeugen, ob es richtig ist. Obwohl sie einige Misserfolge einstecken muss, hat sie Spaß beim Spielen. Sie äußert auch den Wunsch, das Spiel wieder zu spielen.

Ich glaube, dass Isabel den Sinn des Wettbewerbs erfasst hat. Sie braucht aber noch die nötige Übung, um Konzentration und Schnelligkeit zu kombinieren. An ihrem Verhalten sehe ich, dass Isabel an ihre Grenzen gekommen ist: etwa wenn sie ärgerlich in sich hinein brummt, wenn es nicht so klappt, wie sie will, oder wenn sie die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Es ist wichtig für mich zu beobachten, dass Isabel trotzdem Spaß und Freude am Spiel hat. Und sie entwickelt den Ehrgeiz, es beim nächsten Spiel besser zu machen. Ich bin sehr auf den weiteren Verlauf gespannt. Denn ich verfolge mein Ziel weiter, dieses Spiel mit Isabel in einer Kleingruppe zu spielen.

Was hat Isabel geschafft?

Isabel zeigt von Anfang an großes Interesse daran, das Spiel „Halli Galli“ zu lernen. Denn sie will ja schon immer bei den älteren Kindern mitspielen, wird bisher aber immer abgewiesen. Obwohl ich bei unseren ersten Zusammentreffen meine Zweifel habe, als Isabel sich nur mit dem Spielmaterial auseinandersetzt. Aber je mehr ich mich damit beschäftige, scheint es mir auch logisch, denn sie will sich eigenständig mit dem Spiel auseinandersetzen, sich selbst einen Überblick verschaffen und auch eigenwillige Lernstrategien versuchen.

Dabei ist sie sehr konzentriert und aufmerksam. Deshalb habe ich ihr die Möglichkeit gegeben und sie nicht unterbrochen. Es hätte auch keinen Zweck, denn Isabel ist schon eine starke Persönlichkeit, und kann ihre eigenen Interessen gut umsetzen.

Gut ist auch, dass ich die Anzahl der Spielkarten reduziert habe. So kann sich Isabel einen schnellen Überblick über die Früchte und deren Anzahl verschaffen. Interessant ist auch, dass sie die Karten nach der Anzahl der Früchte sortiert. Ich vermute, dass sie genau überprüfen will, ob von jeder Sorte Früchte die gleiche Anzahl vorhanden ist.

Dass Isabel das eigentliche Spiel zunächst gar nicht ausprobieren will, verwunderte mich schon. Aber es ist ihre Entscheidung und die akzeptiere ich. Umso mehr staune ich am zweiten Tag, dass sie alles weiß, was wir beim ersten Mal besprochen haben. Sie baut das Spiel selbstständig auf und kann die Spielregeln wiedergeben. Ehrlich gesagt, habe ich es geahnt, dass sie dazu in der Lage ist. Aber wenn es dann eintrifft, kann man es doch kaum glauben.

Den Wettbewerbscharakter des Spiels hat sie verstanden. Isabel weiß worauf es ankommt, doch die erforderliche schnelle Reaktion gelingt ihr nicht sofort. Die muss offenbar erst eingeübt werden.

Es ist mir noch nicht gelungen, Isabel bei diesem Spiel in die Kleingruppe zu integrieren. Liegt es an der Zusammensetzung der Kindergruppe? Sollte ich vielleicht die älteren Kinder auswählen, bei denen sie immer zusieht? Starkes Interesse am Umgang mit älteren Kindern gilt ja als ein Anzeichen für besonders Begabte.
Ich werde versuchen, die älteren Kinder so zu motivieren, dass sie eventuell Isabel in ihr Spiel mit einbeziehen. Oder ich frage Isabel, mit welchen Kindern sie das Spiel spielen möchte.
Die Anzahl der Spielkarten im Spiel werde ich gemeinsam mit Isabel in der nächsten Zeit erweitern, Isabel kann selber bestimmen, wie viele Spielkarten sie dazu nehmen möchte.

Wie es weiter ging:

Bei Zahlen-Spielen findet Isabel (3;8) passende Spielgefährten

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2015
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

Isabel (2;10) und die Zahlen

von Ellen Görg

 

In den Beiträgen Hinweise auf Hochbegabung bei einer Zweijährigen und Eine Zweijährige meistert schwierige Aufgaben berichtete ich bereits über die kleine Isabel aus meiner Kita-Gruppe.
Isabel hat sich bereits mit dem Spiel „Heinevetters Trainer“ vertraut gemacht, bisher nur mit der einfachen Variante. (Heinevetters Trainer- Kindergartenspiel – Ein Spiel für vorschulische Erkennungsübungen im 3.-6. Lebensjahr mit automatischer Kontrolle.)
Dabei geht es darum, Gegenstände aus sieben Sachbereichen auf 49 Symbol-Täfelchen zu erkennen und diese dann den Bereichen zuzuordnen.

 

…kurz gefasst…
Da sich Isabel anhaltend für das Spiel „Heinevetters Trainer“ begeistert, nutzt es die Erzieherin, das immer wieder deutlich werdende Interesse des kleinen Mädchens für Zahlen und Zählen zu fördern und schildert ihre Beobachtungen.

Isabel ist mittlerweile 2;10 Jahre alt und hat weiterhin großes Interesse an „Heinevetters Trainer“.
Da sie nun aber die einfachste Spielvariante sehr gut beherrscht, braucht sie eine neue Herausforderung.
Isabel zeigt – auch im Zusammenhang mit dem Trainer-Spiel – großes Interesse an Zahlen und beginnt zu zählen. Durch Zahlenspiele möchte ich das Zählen und ihr Interesse an Zahlen weiter fördern. Diese Spiele sollen sich vor allem aus dem Kindergarten-Alltag ergeben, beim Umgang mit alltäglichen Gegenständen.

Eine neue Herausforderung für Isabel

Was kann ich tun, um Isabels Interesse am „Heinevetters Trainer“ weiterzuentwickeln?

Ich beobachte, dass Isabel von der einfachen Spielvariante zunehmend gelangweilt ist. Sie ist immer sehr schnell damit fertig. Wenn sie mit einer Kleingruppe spielt, ist ihr das Tempo der anderen Kinder zu langsam. Dann bricht sie ihr Spiel ab oder räumt gleich das gesamte Spielmaterial ein.

Um ihr vielfältigere Möglichkeiten zu zeigen, sich auszuprobieren, möchte ich ihr die nächst schwierigere Spielvariante anbieten.
Aber meine Überlegungen gehen noch weiter: Was ist, wenn sie das Material langweilig findet und auch in dieser Hinsicht neue Anregungen braucht? Ich suche nach Alternativen.

Da Zahlen für Isabel immer größere Bedeutung bekommen, suche ich eine Kombination: Wie kann man Bekanntes wie „Heinevetters Trainer“ mit dem verbinden, was sie auch sehr interessiert?
Vielleicht ist eine andere Version geeignet, die unsere Vorschulkinder auch nutzen, der „Heinevetters Trainer – Einertrainer 1-5. 392 Aufgaben für vorschulische Gestalt- und Mengenerfassung.“ Damit möchte ich Isabel die Möglichkeit geben, sich auszutesten. Ich will ihr mehr Auswahlmöglichkeiten geben, um ihren Wissensdurst zu stillen.

Von selbst nahm sie sich die nächste schwierigere Spielvariante und schaute sich aber nur das Vorlagenblatt an. Als ich sie frage: „Wollen wir dieses Spiel einmal zusammen spielen?“ ist sie sofort begeistert.

Wie bereits zuvor möchte ich auch diesmal schrittweiswe vorgehen und an bereits Bekanntem anknüpfen.

Am ersten Tag treffe ich mich mit Isabel im ruhigen Nebenraum und frage sie: „Heute möchte ich mit Dir unser Spiel spielen. Hast Du Lust dazu? Wenn Du willst, kannst Du es allein spielen oder mit mir zusammen.“

Isabel ist sehr erfreut, dass sie mit mir wieder etwas zusammen (vor allem nur wir beide) spielen kann. Zusammen bereiten wir das Spiel vor. Isabel will allein spielen: „Das kann ich schon.“ Rasch ordnet sie alle 49 Legetafeln richtig den sieben Sachbereichen zu (Fahrzeuge, Geschirr, Spielzeug, Kleidung, Werkzeug, Tiere und Möbel).

Dabei legt sie viel Wert auf meine Anerkennung und das Loben für die richtige Zuordnung. Immer wieder fragt sie mich: „Ist das richtig, passt das?“ – obwohl sie genau weiß, dass es richtig ist. Denn wenn ein Symbol falsch zugeordnet ist, passt es nicht in das System. Isabel kann also auch selbstständig kontrollieren, ob sie richtig gelegt hat oder nicht. Für das komplette Spiel braucht sie etwa zehn Minuten – eine tolle Leistung. Sie ist sehr konzentriert und hat viel Spaß; sie klatscht sich oft selber Beifall und freut sich.
Nicht ein einziges Mal bittet sie um Hilfe.

Das Schwierige provoziert

Als wir die Legetafeln einräumen, fällt ihr Blick schon auf das nächste Blatt, die nächst schwierigere Variante. Ehrlich gesagt, habe ich dies ein bisschen provoziert, um Isabel darauf neugierig zu machen. Es hat geklappt. Sie betrachtet es mit Interesse. Ich frage sie: „Wollen wir auch mal mit diesem Blatt die Tafeln legen?“ Sie nickt und sagt: „Aber nicht jetzt, ich möchte raus gehen.“

Bleibt noch zu erwähnen, dass sie auch bei diesem Spiel versucht hat, die Tafeln zu zählen. Bis zwölf kann sie das in richtiger Reihenfolge. Einen „Hänger“ hat sie bei sechs, dann zähle ich die sieben, und sofort zählt sie bis zwölf allein weiter. Ich bin sehr erstaunt, denn bisher zählte sie immer nur bis acht.
Dieses Kind versetzt mich immer mehr in Staunen.

Am zweiten Tag sind wir wieder allein im Nebenraum. Nun geht es um die schwierigere Variante des Trainers. Ich sage: „Als wir das letzte Mal dieses Spiel spielten, hast du dir dieses Blatt angesehen. Frage: wollen wir dieses Spiel zusammen spielen? Das Spiel ist auch schwieriger, man muss genau hinschauen, weil die Gegenstände etwas anders aussehen.“ (Bei dieser Spielvariante sind die Symbole auf dem Spielblatt verändert. Sie stimmen nicht mehr genau mit den Symbolen auf den Legetafeln überein. Es sind eine gute Aufmerksamkeit und eine gute Konzentration nötig, um die entsprechenden Symbole zu erkennen und um die Tafeln richtig zuzuordnen.)

Sie will es alleine schaffen

Während ich noch bei meinen Erläuterungen bin, konzentriert sich Isabel bereits auf das Spielblatt. Ich frage: „Kannst du die Gegenstände erkennen?“ Es dauerte einige Zeit. Immer wieder betrachtet sie das Spielblatt mit den Symbolen auf den Legetafeln. Sie spricht kein Wort. Aber ich sehe ihr an, dass sie sich etwas ausdenkt. Auf einmal fängt sie an, die Legetafeln den Bildern auf der Vorlage zuzuordnen. Sie fordert mich nicht auf, mitzuspielen.

Ich sehe, dass es eine Herausforderung für Isabel ist und ihr zunächst schwer fällt. Doch es gelingt ihr, einige Symbole zuzuordnen. Auf meine Frage: „Warum hast du diese Legetafel auf dieses Bild gelegt?“, erklärt sie mir, an welchen Merkmalen sie sich orientiert hat, zum Beispiel bei der Ente an Kopf und Schnabel. Erneut kann sie die Bilder zuerst zuordnen, die ihr am geläufigsten sind – Tiere, Spielzeug, Geschirr.

Kommentar der Kursleitung:
Sie musste sich anstrengen und war bereit dazu. Sie hat das Prinzip erfasst und ein System entwickelt.

Nach etwa 15 Minuten lässt ihre Konzentration nach und sie will nicht mehr weiterspielen.

Kommentar der Kursleitung:
War es kognitiv zu schwierig für sie, oder war es für sie nach einiger Zeit anstrengend, aber wenig inspirierend? Hoch begabte Kinder zeigen oft wenig Neigung, etwas immer wieder zu wiederholen, wenn sie das zugrunde liegende Prinzip begriffen haben. Wiederholungen verlieren dann an Reiz und werden als anstrengend und ermüdend wahrgenommen.

Mich wundert, dass sie mich nicht aufgefordert hat mitzuspielen. Hat sie schon so einen Ehrgeiz entwickelt, schwierige Aufgaben allein lösen zu wollen?

Isabel will zu den anderen Kindern. Ich lobe sie, wie toll sie das Spiel gespielt hat, und betone nochmal, dass diese Spielvariante viel schwieriger ist. Das bejaht sie. Sie will das Spiel nicht einräumen, es soll so liegenbleiben. „Möchtest Du später weiterspielen?“ – „Ja.“

Keine Begeisterung für Kleingruppenarbeit

Da ich auch das Zusammenspiel in einer Kleingruppe fördern möchte, schlage ich ihr vor: „Wir könnten auch noch andere Kinder fragen, ob sie mitspielen möchten. Was meinst du?“ Sie sagt Ja, aber wirkt nicht begeistert.
Für mich stellt sich die Frage: Warum möchte Isabel bei solchen Spielen, die für sie eine Herausforderung sind, allein oder nur mit mir spielen? Bei anderen Gelegenheiten, Rollenspielen oder Kreisspielen, spielt sie durchaus auch mit anderen Kindern zusammen.

Kommentar der Kursleitung:
Von Dir aber will sie Neues lernen.

Ich denke, auch wenn Isabel noch so jung ist, spürt sie, dass ich sie ernst nehme, dass ich für sie da bin, wenn sie Fragen oder Probleme hat. Denn meine Kolleginnen bestätigen mir, dass Isabel immer zuerst zu mir kommt, wenn sie etwas beschäftigt. Und ich glaube, sie weiß genau, wenn wir zusammen etwas machen, kommt sie auf ihre Kosten, es kommt keine Langeweile auf.

Kommentar der Kursleitung:
Du hast die Frage gut beantwortet. Aber Vorsicht: Am zweiten Tag war u.E. doch Langeweile aufgekommen. Im Grunde hättest Du schneller, nicht erst nach 15 Minuten, eine neue Version anbieten können. Auch die Absicherung am ersten Tag (Kann sie es wirklich?) war vielleicht überflüssig? Du hattest ja schon erkannt, dass sie es konnte. Warum soll sie ein paar Monate später dümmer sein? Es ist schwierig, das Lerntempo hoch begabter Kinder nachzuvollziehen. Aber bei Isabel raten wir Dir zu (noch mehr) Mut.

Aber ich erlebe sie auch in bestimmten Situationen, wo sie sich der Gruppe (äußerlich?) anpasst. Wenn wir zum Beispiel in der Turnhalle ein Kreisspiel spielen, steht sie zwar mit im Kreis, macht aber fast nie mit, oder beteiligt sich nur teilweise. Für mich ist das in Ordnung, denn eine Aufforderung mitzuspielen bringt nichts, da ist sie stur.

Isabel hat ihr angefangenes Spiel nicht beendet. Ich habe es ihr mehrmals angeboten. Sie zeigte einfach kein Interesse mehr. Nach drei Tagen durfte ich es mit ihrer Erlaubnis einräumen.

Vorschulübungen zur Gestalt- und Mengenerfassung

Weil Isabel immer größeres Interesse am Zählen zeigt, will ich ihr nun den „Heinevetters Trainer – Einertrainer 1-5. 392 Aufgaben für vorschulische Gestalt- und Mengenerfassung“ anbieten.
Auch hier gibt es 49 Legetafeln, zehn Applikationen (Marienkäfer; Enten; Küken; Mäuse; Schmetterlinge; Äpfel; Kirschen; Blätter; Luftballons und Sterne).
Jede Applikation hat 5 Tafeln, wo jeweils von 1-5 die Applikationen abgebildet sind.

Es gilt die Menge der Gegenstände zu erfassen und diese richtig zuzuordnen. Die Gegenstände sind auf den Legetafeln anders als auf der Bildvorlage dargestellt – nur die Anzahl der Applikationen stimmt.

Um Isabel zunächst nicht mit der Vielzahl der Legetafeln zu überfordern, wähle ich aus den zehn Bereichen vier aus: Luftballons; Küken; Sterne und Blätter.

Zuerst liegen nur die Legetafeln auf dem Tisch. Isabel soll sich die Tafeln anschauen und sie benennen. Das ist für sie nicht schwierig, alle Applikationen benennt sie richtig. Als nächstes soll sie die Gegenstände abzählen – zum Beispiel vier Luftballons oder drei Blätter. Damit hat sie Schwierigkeiten. Meistens zählt sie mehr ab: abgebildet sind vier Blätter und sie zählt bis fünf oder sechs.

Ich versuche, mit ihr gemeinsam abzuzählen, aber sie zählt immer weiter. Fällt es Isabel doch noch schwer, Gegenstände richtig abzuzählen, obwohl sie das Zählen bis zwölf in richtiger Reihenfolge beherrscht?

Aber trotzdem will ich testen, ob sie bei den Legetafeln die richtige Menge erfassen und dem Bild auf der Vorlage zuordnen kann. Ich zeige ihr die Spielvorlage und erkläre ihr das Prinzip. Ich überlasse es ihr, mit welchem Gegenstand sie beginnt.

Isabel zeigt sofort großes Interesse und beginnt mit ihrer Aufgabe, ohne dass ich ihr noch viel erklären muss. Mich erstaunt, dass sie auf einen Blick erfasst, welche Anzahl der Gegenstände auf der Tafel ist und wohin die Tafel auf der Bildvorlage gehört (Erkennen von Übereinstimmungen und Unterschieden – sortierendes Denken). Mich fasziniert, mit welcher Schnelligkeit Isabel die Tafeln zuordnet –  zumal auf dem Vorlageblatt mehr Applikationen abgebildet sind, aber Isabel nur eine geringe Anzahl von Legetafeln hat. Von den anderen Bilder lässt sie sich nicht ablenken.

Ich kann es kaum fassen.

Die Anzahl der Bereiche ist für Isabel ausreichend. Sie beschäftigt sich etwa 15 Minuten und schafft es, alle Legetafeln zuzuordnen. Als sie die Sterne zuordnet, singt sie das Laternenlied „Sonne, Mond und Sterne“. Ich finde es bemerkenswert, dass sie in der Lage ist, während ihrer Tätigkeit, die eine hohe Konzentration erfordert, auch noch Verbindungen zu anderen Bereichen herzustellen – wie in diesem Fall zur Musik. Aber zur Zeit werden auch viele Laternenlieder gesungen.

Kommentar der Kursleitung:
Dass sie spontan anfängt zu singen, zeigt ja auch ihre gute Grundstimmung: angeregt, aber nicht angespannt.

Isabel signalisiert weiter großes Interesse. Sie fragt mich, ob wir das noch mal spielen. Weiterhin zeigt sie kein Interesse, in einer Kleingruppe zu spielen. Sie gibt mir gleich zu verstehen, dass sie allein mit mir spielen möchte.

Kommentar der Kursleitung:
Sie ist ein kluges Kind und ahnt, dass Du (und sie) dann abgelenkt wärt, und sie dann doch nicht so gut „auf ihre Kosten“ käme.

Zahlenspiele im Alltag

Um ihr wachsendes Interesse an Zahlen weiter zu fördern, möchte ich ihr auch im gesamten Tagesablauf die Möglichkeit geben, sich an alltäglichen Dingen darin zu üben und immer mehr Lust und Wissbegier im Zahlenbereich zu wecken.
Ich möchte Isabel so viele Impulse wie möglich geben:
– durch Fingerspiele und
– durch Zahlenspiele mit Instrumenten (sie ist auch musikalisch sehr interessiert) und
– beim Sammeln von Eicheln und Kastanien und
– bei Schildchen an unserer An- und Abmeldetafel. (Wird erläutert in: Hinweise auf Hochbegabung bei einer Zweijährigen.)

Es gibt unzählige Möglichkeiten, Kindern im Alltag Mathematik / Zahlen nahe zu bringen.
Siehe auch die Handbuch-Beiträge in Kapitel 4.4.1.

Auf jeden Fall möchte ich erreichen, dass ich Isabel immer Angebote entsprechend ihren Bedürfnissen mache, bei denen sie neue Herausforderungen bekommt.

Mein wichtigstes Ziel ist es, Isabel nicht zu unterfordern.

Denn ich bin davon überzeugt, dass sie eine überdurchschnittliche Begabung besitzt.

Kommentar der Kursleitung:
In den ersten beiden Berichten zu Isabel hast Du eher befürchtet, sie zu überfordern!

Wir zählen beim Tischdecken und beim Musizieren

Wie viele Teller brauchen wir an diesem Tisch? Wir zählen die Stühle, denn an jeden Stuhl, der am Tisch steht, kommt ein Teller. Wir zählen zusammen: sechs Stühle. „Wie viele Stühle stehen am Tisch? Isabel, zähle bitte noch mal nach.“ Es kommt immer noch vor, dass sie sich um ein oder zwei verzählt. Aber es wird nicht dramatisiert. Wir probieren es immer wieder bei passenden Gelegenheiten. Sechs Stühle stehen am Tisch, also brauchen wir sechs Teller. Zusammen stellen wir die Teller auf den Tisch und zählen dabei, ob es auch wirklich sechs Teller sind.

Kommentar der Kursleitung:
Du hast genau beobachtet und gesehen, dass sie kleine Mengen zwar intuitiv erfassen, aber noch nicht sicher abzählen kann. Und genau da forderst und förderst Du sie.

Wir musizieren in einer Kleingruppe und Isabel hat viel Freude daran. Bevor wir mit Instrumenten spielen, müssen wir hören, wie sie klingen – etwa die Klanghölzer. „Seht zu mir, ich zähle, wie oft wir mit den Klanghölzern schlagen“ – und alle machen mit. Das wird verbunden mit lautem, leisem, schnellem und langsamem Schlagen der Klanghölzer. Isabel ist sehr konzentriert, beobachtet ganz genau meine Bewegungen.

Das sind nur einige von vielen Situationen, in denen ich Gelegenheiten zum Zählen nutze. Mir ist wichtig, dass ich dies immer mehreren Kindern anbiete, allen die Interesse und Spaß daran haben. Auch soll Isabel positive Kleingruppen- Erfahrungen sammeln und möglicherweise auch ihre guten Ideen mit einfließen lassen.

Habe ich mein Ziel erreicht?

Ja, obwohl ich anfangs einige Zweifel hatte. Beim Vorstellen der schwierigeren Spielvariante des ersten „Heinevetters Trainer“ konnte ich beobachten, dass das Interesse bei Isabel nachließ und sie das Spiel auch nicht zu Ende spielen wollte.

Was kann die Ursache dafür sein? Ich glaube, dass es für Isabel nicht mehr interessant genug war, da sie die Symbole und den Ablauf schon kannte. Sie brauchte eine neue Herausforderung, was auch das Material und ihr neues Interessengebiet „Zählen / Zahlen“ betrifft.

Da sie zum Anfang ja Interesse bekundet hat, aber beim Spielverlauf bemerkte, dass sie das Prinzip des Spiels kannte, ließ ihr Interesse einfach nach. Ich vermute, dass sie mir signalisieren wollte: „Gib mir neue, interessantere Impulse, die meinen Bedürfnissen entsprechen.“

Könnte das auch Widerwille gegen Routineaufgaben und Wiederholungen sein?
(Auch dieses Merkmal ist in den Hinweisen auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung aufgeführt.)

Mit dem Angebot des neuen „Heinevetters Trainer“ für vorschulische Gestalt- u. Mengenerfassung konnte ich ihren Bedürfnissen gerecht werden. Diese Reaktion von Isabel hätte ich nicht erwartet: Mit welcher Schnelligkeit sie das Prinzip des neuen Trainer erfasst hat, und alle Symbole richtig zugeordnet hat! Ich bin immer noch sehr erstaunt. Da komme ich meiner Vermutung immer näher, dass bei Isabel eine überdurchschnittliche Begabung vorliegt.

Kommentar der Kursleitung:
Hochbegabung ist eben keine kleine Abweichung vom Durchschnitt, sondern eine wirklich große. Es ist toll, wie Isabel Dir das zeigen kann.

Da ich bei dem neuen Trainer die Anzahl der Legetafeln reduziert habe, um Isabel nicht gleich mit der Vielzahl der Legetafeln, zu überfordern, werde ich in der nächsten Zeit, mit ihr gemeinsam, die Anzahl der Legetafeln erhöhen. Isabel soll über die Anzahl der Legetafeln selbst entscheiden.

Weiterhin möchte ich das Spiel in einer Kleingruppe anbieten. Denn Isabel soll (so hoffe ich) für sich die positive Erfahrung sammeln, dass das Zusammenspiel mit anderen Kinder viel Freude bereitet, und dass man auch dabei Neues lernen kann.

Und so ging es weiter mit Isabel:

Isabel (3:3) lernt „Halli Galli“

Bei Zahlen-Spielen findet Isabel (3;8) passende Spielgefährten

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2015
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum

Eine Zweieinhalbjährige meistert schwierige Aufgaben

von Ellen Görg

 

Im Beitrag Hinweise auf Hochbegabung bei einer Zweijährigen habe ich über die damals 2;3 Jahre alte Isabel berichtet.
Dabei spielte auch ein Spiel eine Rolle: „Heinevetters Trainer- Kindergartenspiel – Ein Spiel für vorschulische Erkennungsübungen im 3.-6. Lebensjahr mit automatischer Kontrolle.“
In der einfachsten Variante sollen die Kinder Gegenstände aus sieben Sachbereichen auf 49 Täfelchen wiedererkennen.
Da sich Isabel anhaltend für dieses Spiel begeistert, setze ich die Arbeit mit dem Spiel fort.

Isabel, jetzt 2;6 Jahre alt, nutzt weiterhin jede Gelegenheit, mit dem Trainer zu spielen. Dabei kann sie sich über einen längeren Zeitraum, etwa 15 bis 20 Minuten lang, gut konzentrieren. Leider hat sie nicht so oft dazu Gelegenheit, da dieser Trainer auch bei unseren Vorschulkindern ein heißer Favorit ist.

 

… kurz gefasst…

Ein zweijähriges Mädchen befasst sich interessiert, selbstbewusst und erfolgreich mit einem Spielmaterial, das für deutlich ältere Kinder gedacht ist. Sie möchte zunächst allein damit spielen, mit der ganzen Aufmerksamkeit der Erzieherin. Erst am 3. Tag findet sie es in Ordnung, dass zwei weitere Kinder mitmachen.

Ich beobachte, dass Isabel sehr unzufrieden ist, wenn sie nicht mit dem Trainer spielen kann. Manchmal versucht sie, das Spiel der anderen zu stören, indem sie heimlich, still und leise versucht, Legetafeln wegzunehmen. Das gelingt ihr natürlich nicht, und sie bekommt Ärger mit den älteren Kindern. Isabels Verhalten stimmt mich nachdenklich, und ich frage mich: Ist Isabel schon so frustriert – womöglich weil sie sich unverstanden und unterfordert fühlt – , dass sie durch Wut und Ärger eine aggressive Verstimmung zeigt? Oder kann man von einer aggressiven Verstimmung in Isabels Alter noch gar nicht sprechen?

Kommentar der Kursleitung:
O doch! Zumindest von aggressiven Reaktionen in frustrierenden Situationen. Geschieht dies oft und über einen längeren Zeitraum, kann es sich zu einer aggressiven Verstimmtheit ausweiten, die das Verhalten grundlegend bestimmt: Die Grundstimmung des Kindes ist dann irgendwann aggressiv getönt.

Was kann ich tun, um Isabel die Möglichkeit zu geben, ihr Interesse an diesem Trainer weiter zu fördern, und sie auch an die schwierigeren Varianten heranzuführen?

Da wir in unserer Einrichtung mehrere solche „Heinevetters Trainer“ mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden besitzen, frage ich in den Gruppen, wer seinen Trainer ausleihen kann. Ich werde fündig und kann so Isabel die Möglichkeit bieten, öfter mit dem Trainer zu spielen und ihr Interesse an schwierigeren Variationen zu wecken.

Ich möchte herausfinden, ob sie in der Lage ist, die einfachste Spielvariante vollständig, also mit allen sieben Bereichen und 49 Legetafeln zu lösen. (In der ersten Phase bekam Isabel nur eine kleinere Auswahl des Materials.) Ob ich sie damit überfordere?

Außerdem möchte ich erreichen, dass Isabel auch mit mehreren Kindern in einer Kleingruppe zusammen spielen kann. Ich habe nämlich beobachtet, dass Isabel kein anderes Kind mitspielen lässt, wenn sie sich mit dem Trainer beschäftigt.
Ich möchte auch überprüfen, ob sich die Hinweise auf Isabels mögliche Hochbegabung bestätigen.

Schritt für Schritt zu schwierigen Varianten

Zunächst möchte ich überprüfen, inwieweit Isabel sich mit den sieben Sachbereichen (Fahrzeuge, Geschirr, Spielzeug, Kleidung, Werkzeug, Tiere und Möbel) vertraut gemacht hat, und ob sie diesen Bereichen die entsprechenden Legetafeln zuordnen kann. Um sie nicht zu überfordern, will ich dabei schrittweise vorgehen.

Am ersten Tag gebe ich ihr nur drei Sachbereiche – Tiere, Kleidung und Möbel – mit den jeweils sieben Legetafeln. Isabel kann alle einzelnen Gegenstände (Symbole) auf den Legetafeln benennen und sie den Bereichen richtig zuordnen. Den Bereich Tiere schafft sie zuerst und sehr schnell, bei Kleidung und Möbel muss sie sich kurz einen Überblick verschaffen.

Am zweiten Tag gebe ich ihr zunächst die restlichen vier Bereiche – Fahrzeuge, Geschirr, Spielzeug und Werkzeug mit den jeweils sieben Legetafeln. Isabel löst auch diese Aufgabe sehr schnell. Ich beobachte, dass die Bereiche Werkzeug und Fahrzeuge etwas schwierig für sie sind. Aber die Bereiche Spielzeug und Geschirr kann sie sehr schnell zuordnen und richtig benennen.

Ich beobachte, wie sie genau kontrolliert, ob die einzelnen Tafeln auch passen. Sie sagt: „Das passt“ oder „Mein Papa hat auch einen Hammer“. So bringt sie eigene Erfahrungen in das Spiel ein. Wenn sie ein Symbol nicht gleich findet, bittet sie: „Ellen, hilf mir“. Ich zeige ihr ein Symbol, ohne es zu benennen. Isabel nimmt es und kann es richtig zuordnen und benennen.

Sie wählt stets zuerst solche Bereiche und Gegenstände, mit denen sie sich tagtäglich beschäftigt und kann sie sehr schnell zuordnen (Tiere, Möbel, Geschirr, Spielzeug und Kleidung). Bereiche wie Fahrzeuge und Werkzeug sind für Isabel nicht so interessant.

Kommentar der Kursleitung:
… oder nicht so bekannt? Später stellt sich ja heraus, dass sie diese Bereiche sehr schnell nachlernt.

Im Verlauf der Beschäftigung mit dem Trainer zeigt Isabel auch ihr Interesse am Zählen. Als nur noch fünf Felder (von 28) offen sind, fängt sie auf einmal an zu zählen, tippt mit ihrem Finger auf die offenen Felder und zählt: „Eins, zwei, vier, fünf, sieben“, schaut dann auf die restlichen auf dem Tisch liegenden Legetafeln und „zählt“ auch diese.

Kommentar der Kursleitung:
Wir würden das, weil Ähnliches immer wieder vorkommt, als Signal an Dich werten: „Das lerne ich auch gerade, weil es mich interessiert. Da könnte ich auch Unterstützung gebrauchen.“ Solche Signale sind vielleicht nur halb bewusst, aber sie drücken Wichtiges aus.

Danach ordnet Isabel die restlichen Legetafeln zu und freut sich, dass alles passt. Sie klatscht sich selbst Beifall.

Selbstständig traut sie sich an das komplette Spiel

Ich stelle es Isabel frei, ob sie das Spiel wegräumen möchte oder ob sie noch weiter spielen will. Zu meinen Erstaunen will sie noch einmal von vorn anfangen. Sie selbst legt das Spielmaterial in die Ausgangsstellung. Diesmal liegen alle 49 Legetafeln für alle sieben Sachbereiche auf dem Tisch.

Isabel verschafft sich erst wieder einen genauen Überblick, dabei nimmt sie sich richtig Zeit, um alle Legetafeln zu fixieren. Dann fängt sie selbstständig an, rasch ihre Lieblingsbereiche (Tiere, Spielzeug, Möbel, Kleidung, Geschirr) zuzuordnen. Immer wieder äußert sie: „Das passt“ – ihre Selbstkontrolle.

Nach etwa zehn Minuten bemerke ich, wie ihre Aufmerksamkeit und Konzentration nachlassen. Sie fragt: „Passt das?“ – ohne es selbst auszuprobieren, oder sie ordnet bei Werkzeug und Fahrzeugen die Bereiche falsch zu. Zwischendurch beginnt sie wieder die fehlenden Felder zu zählen.
Auf meine Frage: „Hast du noch Lust weiter zuspielen oder möchtest du wegräumen?“ sagt sie: „Ja, wegräumen“.

Kommentar der Kursleitung:
Sie kann ihre Bedürfnisse gut wahrnehmen und selbstbewusst ausdrücken. Gut, dass Du so aufmerksam reagierst.

Zu diesem Zeitpunkt fehlen nur noch neun (von 49) Legetafeln, die noch zuzuordnen wären.
Was mich an diesem Tag erstaunt, ist die verhältnismäßig lange Zeit, die sich Isabel dem Spiel widmet – außerdem ihr immer stärkeres Interesse am Zählen.

Das Spiel funktioniert auch in der Kleingruppe

Am dritten Tag bilde ich eine Kleingruppe. Zu Isabel (2;6 Jahre) kommen der gleichaltrige Marian und die etwas ältere Valerie (3;2 Jahre).
Nun soll Isabel mit den Beiden zusammen spielen.

Alle Legetafeln sind auf dem Tisch verteilt. Die bunte Vorlage liegt in der Tischmitte. Marian und Valerie, die bisher kaum Interesse an diesem Spiel gezeigt haben, sind nun sehr neugierig und wollen gerne mitspielen. Vor Spielbeginn erläutere ich genau den Spielverlauf und die Spielregeln: Die Kinder sind der Reihe nach dran, sie wählen sich ein Symbol (eine Legekarte) aus und legen es auf das entsprechende Bild. Das Symbol soll richtig benannt werden.

Valerie und Marian verschaffen sich einen Überblick, sie schauen sich alles sehr genau an. Isabel kann es kaum abwarten, mit dem Spiel zu beginnen.

Diesmal beobachte ich, dass Isabel keine Probleme mehr mit den Bereichen Werkzeug und Fahrzeuge hat. Den beiden „Neulingen“ gegenüber ist sie sehr hilfsbereit: Wenn es bei Marian nicht klappt, nimmt sie sein Symbol, legt es an die entsprechende Stelle und sagt: „Das passt“. Obwohl Valerie und Marian anfangs etwas unsicher sind, sich bei der Vielzahl der Symbole zu orientieren, gelingt es ihnen schnell, die Spielregeln einzuhalten und den Spielverlauf umzusetzen.

Im weiteren Verlauf ändert Isabel selbstständig das Spiel. Bis dahin liegen die Tafeln auf dem Tisch und jeder sucht die aus, die er legen will. Isabel ordnet nun jedem Kind so viele Legetafeln zu, bis keine mehr in der Tischmitte liegen. Dabei beginnt sie auch wieder die Legetafeln zu zählen. Die beiden anderen Kinder finden Isabels Vorgehen toll und sind damit einverstanden. Überhaupt haben die Kinder sehr viel Spaß und spielen sehr harmonisch etwa 20 Minuten miteinander.

Kommentar der Kursleitung:
Eine ganz wichtige positive Kleingruppen-Erfahrung für Isabel. Ihre Veränderung der Spielsituation interpretieren wir so: Als es ihr begann langweilig zu werden, sucht sie sich selbst eine neue Herausforderung. Schön, dass die anderen Kinder so positiv reagieren!

Habe ich mein Ziel erreicht?

Ich kann klar sagen, dass ich mein Ziel erreicht habe. Anfangs war ich mir nicht so sicher und fragte mich, ob ich Isabel mit dieser Aufgabe überfordere. Aber da Isabel immer wieder Interesse bekundete und ich ihr immer wieder den Trainer anbot, ohne Zwang und Druck, war ich mir fast sicher, dass ich meinem Ziel näher komme.

Ich glaube, dass es gut war, mit einfachen Schritten zu beginnen. So konnte Isabel sich systematisch die Bereiche und die dazu gehörigen Symbole einprägen. Bewährt hat sich, dass ich mehrere Trainer zur Verfügung stellen konnte, um Isabel die Möglichkeit zu geben, ihr Interesse zu vertiefen und sie somit neugierig auf schwierigere Varianten zu machen.
Ich habe den Trainer auch so in die Gruppe gelegt, dass Isabel ihn jederzeit selbstständig holen und sich damit beschäftigen kann. Doch sie beschäftigte sich immer allein mit dem Trainer. Wenn sich andere Kinder dazu setzen und mitspielen wollten, lehnte sie es ab.

Dieses Verhalten von Isabel stimmt mich sehr nachdenklich. Warum reagiert sie so? Ich glaube, dass sie mit der einfachsten Spielvariante unterfordert ist. Da sie in kürzester Zeit den Spielinhalt schnell verinnerlicht hat, ist ihr diese Spielvariante zu langweilig geworden.

Kommentar der Kursleitung:
Vielleicht hat sie schon die Erfahrung verinnerlicht: Wenn andere mitmachen, wird man gestört und/oder es wird zu einfach? Es ist die Frage, was in ihrem Kopf vor sich geht, während sie sich mit dem Trainer befasst. Vielleicht ist sie auf der Suche nach neuen Herausforderungen? Da würden die anderen Kinder natürlich stören, wenn sie am bekannten Schema festhalten würden…

Ihr Verhalten deute ich auch als Hinweise auf eine mögliche Hochbegabung: Auffällige schnelle Auffassungsgabe – Neues wird auf Anhieb begriffen. Hohe Verarbeitungskapazität von neuen Informationen. Schnelles Erkennen von Mustern und Gesetzmäßigkeiten. Widerwille gegen Routineaufgaben und Wiederholungen.
(Dies sind Merkmale, die aufgelistet und erläutert sind in: Hinweise auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung.)

Ich werde Isabel in der nächsten Zeit mit den schwierigeren Spielvarianten des „Heinevetters Trainer“ vertraut machen.

Weiter überlege ich, Isabel Zahlenspiele anzubieten. Immer wieder konnte ich ihr großes Interesse an Zahlen beobachten: wie beim Tischdecken das Abzählen von Bechern und Tellern.

Eine weitere eventuell überdurchschnittliche Begabung beobachte ich im musikalischen Bereich. Isabel kann sich schnell Liedtexte einprägen, oft geht sie auch in unser Musikzimmer, nimmt sich Instrumente und singt dazu unsere Lieder. Das macht sie aber nur, wenn sie sich unbeobachtet fühlt. Sind mehrere Kinder im Musikzimmer, zeigt sie diese Fähigkeiten nicht. Da das Musikzimmer an unseren Gruppenraum grenzt, und es immer von den Kindern genutzt werden kann, hat Isabel immer die Möglichkeit, ihre musikalischen Fähigkeiten weiter zu entwickeln.

Auf die nächste Zeit bin schon sehr gespannt, denn es ist sehr interessant, Isabels Entwicklung weiter zu verfolgen, ihr neue Impulse zu geben und sie so zu fördern, dass es ihr hoffentlich nie langweilig wird.

Eine Frage noch: Kann ein Kind (in diesem Fall Isabel) spüren, dass man eine besondere Beziehung zu ihm hat? Manchmal habe ich das Gefühl, sie weiß genau, dass ich sie genauer beobachte.

Kommentar der Kursleitung:
Ja, das hat sie sicher bemerkt. Eine solche besondere Beziehung – Mentorin und „Schülerin“ in einer rasanten Lernbeziehung – ist für sie bestimmt sehr wertvoll. Wobei ja auch Du in dieser Beziehung Neues lernt…

Wie es weitergeht mit der kleinen Isabel, wie ihr großes Interesse an Zahlen und am Zählen mithilfe einer schwierigeren Spielvariante des „Heinevetters Trainer“ gefördert wird, erfahren Sie im Beitrag Isabel (2;10) und die Zahlen.

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2015
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum

Hinweise auf Hochbegabung bei einer Zweijährigen

von Ellen Görg

 

Isabel kam mit 1;5 Jahren in meine Gruppe (alterserweitert – Kinder im Alter von 1 bis 10 Jahren). Im Verlauf des IHVO-Seminars begann ich sie im Alter von 2;3 Jahren zu beobachten.

Zunächst war ich sehr unsicher, ob Isabel das richtige Kind für eine gezielte Beobachtung zum Thema Hochbegabung sein könnte, da sie noch sehr jung ist. Aber je intensiver ich mich mit ihr auseinandersetzte, sie genau beobachtete, umso sicherer wurde ich.

Eine große Hilfe war dabei auch der „Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter“, der mir Hinweise gab, in welchen Bereichen Isabels Entwicklung dem Durchschnitt der gleichaltrigen Kinder voraus ist (zum Beispiel in der sozialen Kompetenz, der kognitiven Entwicklung oder der Feinmotorik).

Eine wichtige Überlegung war auch, dass ich Isabel vermutlich die gesamte Seminarzeit über beobachten und fördern kann, sollten sich die Hinweise auf eine Hochbegabung oder weit überdurchschnittliche Begabung verdichten.

Den Beobachtungsbogen von Joelle Huser konnte ich nur teilweise einsetzen, weil Isabel zu jung war, um alle darin beschriebenen Merkmale zu zeigen.

Frühes Interesse an Sprache und Zahlen

Seit Anfang des 2. Lebensjahres hat sich Isabel sprachlich sehr schnell entwickelt. Neue Worte und Sätze nimmt sie sofort sinngemäß in ihren Sprachgebrauch auf. Wenn ich mit ihr spreche, beobachtet sie genau meinen Mund. Manchmal denke ich, sie liest mir von den Lippen ab.

Ihr Interesse an Zahlen zeigt sich jetzt mit 2;3 Jahren darin, dass Isabel beginnt, Zahlen nach zu sprechen oder an den Fingern oder Spielfiguren abzählt, was jedoch nicht in der richtigen Reihenfolge gelingt. Doch ihr Interesse an Zahlen wächst sichtlich.

Von Anfang an hatte Isabel eine schnelle Auffassungsgabe. Sie ist sehr neugierig und kann sich schnell auf neue Situationen einstellen.

Isabel hat den Überblick

In unserer Einrichtung hat jedes Kind ein Schildchen, auf dem „sein“ Symbol zu sehen ist. Isabel hat ein Schäfchen – das ist zugleich ihr Lieblingskuscheltier, das sie täglich mitbringt.

Zu den Schildchen heißt es im Pädagogischen Konzept unserer Einrichtung:
„Angelehnt an die Freinet-Pädagogik arbeiten wir mit einer An- und Abmeldetafel. Sie hängt zentral im Gruppenraum und ist mit Fotos aus allen Bereichen der Einrichtung versehen, zum Beispiel: Gruppenraum, Funktionsräume, Küche, Büro, Außengelände, Schlafraum. Zudem gibt es noch Fotos, auf denen symbolisch Urlaub, Kranksein, (rotes Kreuz), zu Hause, Einkaufen u.a. zu sehen ist. Die Anzahl der Haken neben den Bildern bestimmt die Anzahl der Kinder, die den jeweiligen Bereich zur gleichen Zeit nutzen können. Dies bedeutet, dass sich die Kinder anhand ihrer Symbolschilder frei nach ihren Bedürfnissen einem Bereich zuordnen. Für jeden Bereich sind mit den Kindern Regeln aufgestellt worden, die eigenverantwortlich einzuhalten sind.“

Isabel hat mit gerade mal zwei Jahren das Prinzip der An- und Abmeldetafel schnell erfasst. Jeden Morgen, wenn sie in die Gruppe kommt, sucht sie ihr Schild und hängt es an das Foto vom Gruppenraum. Sie ist meistens als Erste da und achtet darauf, dass jedes Kind sein Schild aufhängt. Wird es von einem Kind vergessen, macht Isabel es darauf aufmerksam – oder Isabel hängt es für das Kind an. In unserer Gruppe sind derzeit 18 Kinder, davon fünf Schulkinder. Von den 13 ein- bis sechsjährigen Kindern und von uns drei Erzieherinnen kennt sie alle Schilder, kann sie zuordnen und benennen.

Wird im Morgenkreis besprochen, welche Kinder wegen Krankheit fehlen, ist Isabel in der Lage, deren Schildchen an das Foto mit dem roten Kreuz zu hängen.
Frage an Isabel: „Welche Kinder sind heute noch nicht da?“ Sie gibt die richtige Antwort: „Marian, Meike, Benjamin“. Ich erkläre, dass die Kinder nicht da sind, weil sie krank sind.
„Isabel, hänge bitte die Schildchen an unsere Tafel an!“ Sie führt diesen Auftrag richtig aus, kommt zurück in den Morgenkreis und verfolgt weiter das Geschehen.

Nach dem Mittagessen putzen alle Kinder ihre Zähne. Unsere Wichtelkinder gehen nach dem Zähneputzen in die Schlafmütze (kleiner Schlafraum) und werden zum Mittagsschlaf vorbereitet. Zuvor müssen die Symbolschilder an das entsprechende Foto der An- und Abmeldetafel gehängt werden.
Isabel weiß genau, wo sie ihr Schild und das der anderen Mittagsschläfer hinhängen muss.

Orientierung an Älteren

Isabel orientiert sich sehr stark an den älteren Kindern, auch gern an den Schulkindern, und an den Erzieherinnen. Sie sucht oft die Nähe der Älteren und beobachtet, was sie tun, und ahmt dann auch bestimmte Tätigkeiten nach.

Zum Beispiel: Nach den Mahlzeiten, wenn der Tisch abgeräumt ist, wird der Tisch gesäubert. Isabel holt sich fast immer den Lappen und will die Tische abwischen, was sie auch gut kann. Danach ist sie sehr stolz und möchte auch Anerkennung haben.
Wenn sie Krümel auf dem Fußboden sieht, holt sie den Besen, um sie aufzukehren. Dabei ist es ihr egal, dass der Besen viel zu groß ist und sie diese Arbeit kaum bewältigen kann. Sie kann sich damit eine Weile beschäftigen, bis sie ein Erfolgserlebnis erzielt.

Regeln sind ihr wichtig

Isabel verfügt auch schon über ein gut entwickeltes Gedächtnis. Sie kann sich gut an bestehende Regeln halten und merkt, wenn sich Kinder nicht daran halten. Sie versucht, die Kinder darauf aufmerksam zu machen, was nicht immer gelingt. Dann holt sie sich Hilfe von einer Erzieherin.

Spaß an schwierigen Aufgaben

Da sich Isabel stark an unseren älteren Kindern orientiert, interessiert sie sich auch für deren Spiele. Unsere Vorschulkinder üben sich im Moment an „Heinevetters Trainer“.
(Kindergartenspiel – Heinevetters Trainer „Ein Spiel für vorschulische Erkennungsübungen im 3.-6. Lebensjahr mit automatischer Kontrolle.“)

In der einfachsten Spielvariante sollen die Kinder Gegenstände einer farbigen Vorlage auf 49 schwarz-weißen Täfelchen wiedererkennen.

Isabels Interesse an dem Spiel ist sehr groß. Also mache ich ihr ein Angebot. Ich suche mir vier Bereiche aus: Fahrzeuge, Spielzeug, Kleidung, Tiere.
Aus jedem dieser Bereiche wähle ich fünf Tafeln, die Isabel richtig zuordnen soll.

Zuerst lasse ich Isabel die Symbole auf den Tafeln benennen.
Fahrzeuge: Auto, Traktor, Eisenbahn, Flugzeug, Bus
Spielzeug: Puppe, Ball, Bausteine, Hampelmann, Schaukel
Kleidung: Hose, Jacke, Pullover, Mütze, Schuhe
Tiere: Bär, Pferd, Schwein, Hund, Kuh

Es dauert eine Weile, bis sie sich einen Überblick verschafft hat. Dann kann sie die entsprechenden Tafeln richtig zuordnen. Diese Aufgabe bietet für Isabel keine große Schwierigkeit.

Nun lege ich alle ausgewählten Tafeln der vier Bereiche durcheinander auf den Tisch.
Auch diesmal überlegt sie eine gewisse Zeit, bevor sie beginnt.

Ich frage mich: Habe ich sie damit überfordert?

Doch dann fängt sie an. Sind ihr die Symbole gut bekannt, kann sie diese Tafeln schnell zuordnen (zum Beispiel Tiere, Spielzeuge – außer Hampelmann, Schaukel). Bei den Fahrzeugen hat sie einige Schwierigkeiten: Auto und Traktor sind kein Problem, aber Bus, Flugzeug und Bus. Mit meiner Hilfe kann Isabel aber auch diese Aufgabe lösen.

Isabel probiert immer schwierigere Varianten

Zu meinem Erstaunen nimmt sie sich dann selbst Tafeln auch aus anderen Bereichen und spielt noch eine gewisse Zeit selbstständig weiter, insgesamt fast eine halbe Stunde. Sie ist dabei voll konzentriert und aufmerksam. Mein Eindruck ist, dass sie sich eventuell eine Strategie überlegt hat, bevor sie anfing. Das könnte die kleine Wartezeit zu Beginn erklären.

Isabel möchte sehr oft mit dem Heinevetters Trainer spielen und die Tafeln selbst auswählen. Es ist einfach toll zu beobachten, wie sie sich immer mehr Tafeln zurecht legt und schwierigere Bereiche ausprobiert.

Bei einem anderen Spiel („Tiere und ihre Kinder“ von Ravensburger – Altersangabe zweieinhalb bis fünf Jahre) versucht Isabel, ob sie allein damit zurecht kommt. Als es ihr nicht gelingt, wird sie sehr ungeduldig und lässt alles auf dem Boden liegen. Ich merke, dass sie dennoch weiter Interesse an diesem Spiel hat. Deshalb spiele ich mit ihr und anderen Kinder, die noch hinzukommen, das Spiel gemeinsam. Diesmal ist sie geduldiger und aufmerksamer. Mittlerweile spielt sie auch dieses Spiel selbstständig.

Isabel hat einen großen Drang nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit

Sie möchte am liebsten alles selber machen. Wenn sie sich unbeobachtet fühlt, nutzt sie die Situation, um etwas auszuprobieren.

Isabel zieht sich auch selbstständig allein aus – geholfen wird nur beim Öffnen der Hosen-Knöpfe oder eines Reißverschlusses. Sie will gern alles allein machen und sagt das auch. Wenn sie etwas nicht schafft, zum Beispiel den Pullover auszuziehen, dann bittet sie: „Kannst Du bitte helfen?“

Jüngeren oder gleichaltrigen Kindern bietet sie ihre Hilfe an – zum Beispiel beim Ausziehen, bei der Vorbereitung zum Mittagsschlaf. Sie hilft den Kindern die Strumpfhose auszuziehen oder versucht Knöpfe zu öffnen. Bemerkt Isabel, dass Kindern die Nase läuft, holt sie unaufgefordert ein Taschentuch.

Zum Frühstückstisch holt Isabel selbstständig ihre mitgebrachten Sachen. Sie weiß immer genau, was sie dabei hat. Sie packt ihr Frühstück auf den Teller, isst selbstständig. Und wenn sie fertig ist, packt sie alles allein ein und räumt ihren Platz auf. Sie spült auch ihren Teller und Becher.

Ausgeprägter Sinn für Humor und Ironie

Isabel ist ein sehr lustiges Kind. Zwar kann sie sich sprachlich noch nicht so ausdrücken, aber sie zeigt ihren Humor durch ihre Mimik und Gestik.

Ein Beispiel: Isabel schaut sich ein Bilderbuch an. Als sie kein Interesse mehr daran hat, lässt sie es einfach liegen und räumt es nicht weg. Ich mache sie darauf aufmerksam und fordere sie mehrmals auf, das Buch weg zu räumen. Sie schaut mich mit ihren großen blauen Augen an – was so viel bedeutet wie „Jetzt hat sie mich erwischt“ – nimmt das Buch und bringt es mir. Mit einem Lächeln sagt sie ganz ironisch: „Bitte schön“. Ähnliche Situationen habe ich öfter beobachtet.

Eine Fülle von Hinweisen auf Hochbegabung

Nach all diesen Beobachtungen und Erfahrungen verdichtet sich mein Eindruck, dass Isabel entweder hoch begabt oder zumindest weit überdurchschnittlich begabt ist.

Hinweise dafür ergaben sich auch aus dem Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter, den ich für sie ausgewertet habe. Bei der kognitiven Entwicklung zeigt sie Fähigkeiten, die erst bei dreieinhalb- bis vierjährigen Kindern erwartet werden.

Kommentar der Kursleitung:
Das bedeutet in dieser Altersgruppe einen sehr großen Entwicklungsvorsprung, der auf eine besondere Begabung hindeutet. In diesem jungen Alter ist der Begriff Hochbegabung mit sehr großer Vorsicht zu gebrauchen; aber es ist wichtig, die Hinweise zu beachten und pädagogisch zu reagieren.

In den Bereichen Soziale Kompetenz und Feinmotorik liegt der Entwicklungsvorsprung der noch nicht zweieinhalbjährigen Isabel bei rund zwei Jahren, d.h. sie verfügt über Möglichkeiten, die eigentlich erst vier- bis viereinhalbjährigen Kindern zugetraut werden.

Wie geht es weiter mit Isabel?

Lesen Sie bitte dazu:
Eine Zweieinhalbjährige meistert schwierige Aufgaben
Isabel (2;10) und die Zahlen
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Bei Zahlen-Spielen findet Isabel (3;8) passende Spielgefährten

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2015
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum