Projekt: Messen und Werken

von Ayla Altın

 

Pablo (3;9) beschäftigt sich noch immer hauptsächlich mit Zahlen, sein Interesse gilt zur Zeit ganz besonders dem Abmessen. In der Gruppe versucht er zu schätzen, wie groß die Möbelstücke sein könnten. Dabei nannte er ganz unrealistische Zahlen, da er noch keine Vorstellung von Zentimetern und Metern hatte.
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Vor ein paar Tagen habe ich Pablo beobachtet, wie er zusammen mit ein paar anderen Kindern eine lange Straße aus Holzklötzen baute, dabei schätzte er die Länge der Straße auf 100 Meter. Er versuchte den Kindern zu erklären, wie lang die Straße ist und sagte: „Ich glaube, die Straße ist 100 Meter lang.“

Diese Beobachtungen waren für mich der Anlass, mit Pablo ein Projekt im Bereich Bauen und Konstruieren zum Thema „Abmessen“ durchzuführen. Da wir bei uns (in unserem „Integrativen Schwerpunktkindergarten für Hochbegabtenförderung“) gruppenübergreifend arbeiten, kam auch aus jeder Gruppe noch ein Kind hinzu, das wie Pablo großes Interesse am Abmessen und Bauen hat.

Folgende Kinder haben teilgenommen:
Pablo, 3;9 Jahre ( mein Beobachtungskind )
Maya, 4;9 Jahre
Onur, 5;5 Jahre
Selin, 4;8 Jahre
Pablo ist in dieser Gruppe zwar mit Abstand das jüngste Kind, aber durch sein mathematisches Interesse kann er mit den älteren Kindern sehr gut mitarbeiten.

Tag 1

Wir versammelten uns im Werkraum, weil es dort viele Messinstrumente gibt und wir dort auch die nötige Ruhe hatten. In der Reggio-Pädagogik, an der wir uns orientieren, ist der Raum der Dritte Erzieher. Unser Werkraum ist so gestaltet, dass er viele Impulse setzt und zum selbstständigen Arbeiten anregt.
Ich legte verschiedene Messinstrumente (Lineal, Geodreieck und einen Zollstock) auf den Tisch und fragte die Kinder, ob sie diese kennen. Die Kinder kannten namentlich nur das Lineal, wussten aber, dass die anderen Instrumente auch zum Abmessen waren.
Sie sahen sie sich genau an, die besondere Aufmerksamkeit galt dem Zollstock.

Selin sagte: „Das kann man so raus ziehen und dann abmessen“. Pablo: „Ja genau, da sind Meter drauf.“ Alle Kinder brachten mit dem Abmessen den Begriff Meter in Verbindung.

Wir schauten uns gemeinsam die Zahlen an. Ich wollte erst einmal sicher stellen, ob auch alle Kinder die Zahlen von 1 bis 10 kennen. Für die Kinder war es kein Problem, die 10er Reihe bis 100 zu erkennen. Dies bedeutet nicht, dass sie von 1 bis 100 zählen können. Sie erkennen die 10er Reihe. Wie weit jeder Einzelne tatsächlich zählen und Zahlen erkennen kann, wird sich während des Projektes zeigen.

Ich fand es wichtig, dass die Kinder verstehen, dass es auch eine kleinere Einheit gibt, nämlich Zentimeter. Damit sie überhaupt verstehen, wie sie richtig abmessen können.
Ich fragte die Kinder, ob sie schon einmal was abgemessen haben. Pablo sagte: „Ich habe eine Stütze vom Tisch zu Hause gemessen.“ Daraufhin schauten wir uns gemeinsam das Lineal an. Ich fragte: „Wie können wir damit messen?“

Selin sagte: „Da sind Zahlen und Striche darauf, damit kann man das abmessen.“ Ich erklärte ihnen, dass vor dem Meter der Zentimeter kommt und dass die Zahlen, die auf dem Lineal sind, Zentimeter sind und das erst 100 Zentimeter 1 Meter ergeben. Diese Aussage konnte ich ganz gut mit dem Zollstock demonstrieren. Die Kinder verstanden ganz schnell und wollten sofort mit dem Lineal einiges mit der Einheit Zentimeter abmessen.

Sie gaben sich abwechselnd das Lineal und nahmen an verschiedenen Gegenständen Maß. Onur versuchte ein Blatt auszumessen, das länger als 29 cm war und fragte mich: „Ayla, was sind denn die ganz kleinen Striche neben den Zentimetern?“ Ich erklärte ihm, dass es vor dem Zentimeter noch eine kleinere Maßeinheit gibt und zwar den Millimeter und dass 10 Striche, 10 mm und somit 1 cm ergeben. Die Kinder hörten dabei aufmerksam zu.

So fingen alle an, neben den Zentimetern noch die kleinen Striche zu zählen. Onurs Blatt war 29,6 cm groß, Pablos Löffel 24,8 cm, Mayas Stab 27,0 cm und Selins Stab 14,0 cm. Die Kinder waren sehr genau und zählten jeden Millimeter.
Aus diesem Anlass beschloss ich, erst mal bei den Begriffen Millimeter und Zentimeter zu bleiben. Hier zeigten sie das meiste Interesse und ich wollte nicht, dass sie durcheinander kamen.
Die Kinder hatten so viel Freude daran, Dinge abzumessen, dass sie gerne zu Hause weiter messen wollten. Ich sagte, das könnten sie gerne tun und wenn sie Lust haben, könnten sie die abgemessen Gegenstände aufmalen und die Messergebnisse daneben schreiben.
Onur wollte alles abmessen, was 50 cm lang war. Er fand die Maßeinheit passend und alle anderen Kinder ließen sich von dieser Idee leiten. So wollten sie auch zu Hause alles abmessen, was 50 cm lang ist.

Fazit des Tages
Am Ende dieses Tages wurde mir auch bewusst, wieso sich Onur für die Zahl 50 entschied. Er kann sicher im Zahlenraum bis 50 zählen und deswegen wollte er in diesem Zahlenbereich bleiben. Pablo, der bis vor kurzem sicher bis 39 zählen konnte, zeigte sich wissbegierig und schloss sich Onur an, um von ihm was zu lernen.

Tag 2

Am zweiten Tag unseres Projektes trafen wir uns wieder im Werkraum. Pablo, Selin und Onur brachten ganz stolz ihre Zeichnungen mit. Selin hatte zu Hause einiges abgemessen und aufgemalt. Pablo und Onur hatten dies bereits am Nachmittag in ihren Gruppen gemacht. Maya hatte zu Hause nicht mehr daran gedacht, etwas abzumessen, was aber nicht schlimm war, denn die Kinder bekamen nicht genug vom Abmessen, so dass es weiter ging.

Sie wollten alle durch das Haus laufen und alles abmessen, was etwa 50 cm groß ist. Da ich aber in der Kita nicht genügend Zollstöcke hatte, nahm sich jedes Kind ein Band, maß 50 cm davon ab und machte sich auf den Weg. Während sie überall Maß nahmen, überlegten sie, was sie noch alles abmessen könnten.

Sie sagten: „Fieber kann man messen oder die Körpergröße.“ Wir waren uns schnell einig, dass man Fieber mit einem Thermometer misst und nicht mit einem Zollstock. Aber unsere Körpergröße konnten wir alle messen.
Nachdem die vier Kinder ihre Körpergröße gemessen hatten und geklärt hatten, wer wie groß ist, überlegten wir gemeinsam, was wir mit unserem Wissen jetzt noch tun könnten.

Pablo sagte:
„Ich möchte einen Tisch bauen!“

Dieser Idee schloss sich Onur an. Die Mädchen wollten einen Puppenschrank bauen. Woraufhin Pablo sagte: „Dann können wir auch einen Puppentisch bauen.“
Das nahmen wir uns für den nächsten Tag vor.

Fazit des Tages
Beim Abmessen konnte ich Pablos Freude richtig spüren, er war sehr motiviert und wurde in keiner Situation unaufmerksam. Es war die richtige Herausforderung für ihn.

Tag 3

Am dritten Tag versammelten wir uns wieder im Werkraum. Die Kinder waren schon ganz aufgeregt und wollten direkt loslegen. Sie holten sich Holzplatten und den Hammer und wussten dann aber nicht mehr weiter.

Ich sagte: „Wollen wir uns erst einmal überlegen, wie der Tisch und der Schrank aussehen sollten?“
Selin hatte die Idee, Tisch und Schrank aufzuzeichnen. Sie war früher öfter im Werkraum gewesen und hatte bereits einige Erfahrungen im Bereich Bauen gesammelt.

Damit ich mich in dieser Phase intensiver mit Pablo und Onur beschäftigen konnte, teilte ich die Kinder in zwei Gruppen auf. Da Pablo mein Beobachtungskind ist, werde ich in diesem Bericht die Bauphase der beiden Jungs weiter dokumentieren.
Beide bekamen ein Blatt, Bleistift und ein Lineal von mir und überlegten genau, wie lang die Beine des Tisches werden sollten und wie breit die Arbeitsplatte sein muss, damit die Proportionen stimmen. Sie machten eine genaue Zeichnung. Sie legten dabei das Lineal genau an und konnten auch schon erkennen, wie groß der Tisch am Ende wird. Während sie zeichneten, wurde ihnen auch bewusst, welche Materialien sie brauchen, zum Beispiel eine Tischplatte.

Die Planung war sehr wichtig, denn nur eine ordentlich gemachte Planung führt zu einem guten Ergebnis. Die beiden Jungs waren sehr konzentriert und setzten dabei ihre neu erlernten Fähigkeiten ein. Sie wussten, wie sie das Lineal ansetzen sollten und wie sie genau die Zentimeter und die Millimeter ablesen können. Sie hatten in den letzten Tagen einiges an Erfahrung sammeln können.

Da diese Phase etwas länger dauerte und es bereits Zeit fürs Mittagessen war, verlegten wir das Handwerkliche auf den nächsten Tag.

Fazit des Tages
Die beiden Jungs ergänzen sich sehr gut und können viel voneinander lernen: Vor allem für Pablo ist dieses Projekt eine Bereicherung.

Tag 4

Die beiden Jungs kamen am nächsten Tag pünktlich in den Werkraum und machten sich sofort an die Arbeit. Sie holten ihre Zeichnungen und legten sie so vor sich, dass sie immer wieder darauf schauen konnten. Sie suchten sich die Materialien aus den Regalen.

Pablo nahm eine Holzlatte in die Hand und fragte mich, ob er die für die Tischbeine benutzen könnte. Ich sagte ihm, dass er das selber einmal ausprobieren soll. Er stellte die Tischbeine hin und sagte: „Das ist nur zu lang.“ Daraufhin Onur: „Das müssen wir absägen.“

Sie holten sich eine Säge und wollten schon loslegen. Ich erinnerte die Beiden daran, mal auf ihre Zeichnung zu schauen. Da fiel den Jungs wieder ein, dass sie ja erst die Länge abmessen mussten. Sie schauten auf den Plan und Pablo sagte: „Die Beine müssen 15 cm lang sein.“

Er nahm den Zollstock und maß genau 15 cm an der Holzlatte ab. Pablo markierte die Stelle. Ich half ihm noch, die Holzlatte mit den Schraubzwingen am Tisch zu befestigen. Dann konnte Pablo loslegen.
Der Tisch brauchte vier Beine; sie teilten sich die Aufgabe. Onur nahm sich die beiden anderen Beine vor.

Da man beim Sägen sehr viel Kraft anwenden muss, fanden beide es sehr anstrengend. Pablo musste zwischendurch eine Pause einlegen, doch er war sehr motiviert und hatte den Ehrgeiz, sein Werk zu beenden.

Als die Jungs die Beine fertig gesägt hatten, suchten sie sich eine passende Platte aus dem Regal. Sie nahmen Maß an der Platte und stellten fest, dass sie nur etwas von der Länge kürzen mussten. Pablo sagte: „Guck mal, die ist hier nur 3 cm zu lang, sonst passt sie.“

Damit sich jeder von den Beiden einmal ausruhen konnte, teilten sie sich die Arbeit, indem sie abwechselnd sägten. Sie merkten, dass das Sägen ganz schön „in die Arme geht“. Da Pablo und Onur auch eher „Kopfmenschen“ sind, fällt ihnen körperliche Arbeit, in welche sie Kraft investieren müssen, etwas schwerer.

Im nächsten Schritt wollten sie die Beine an die Platte nageln. Ich sagte ihnen, dass sie erst einmal die Platte auf die Beine stellen sollten, damit sie sehen, wo sie genau befestigt werden sollen. Als sie das gemacht hatten, stellten sie fest, dass die Beine nicht alle gleich lang waren, obwohl sie sorgfältig abgemessen hatten.

Ich fragte die Kinder, ob es schlimm wäre.

Pablo antworte fassungslos:
„Natürlich, dann wackelt der Tisch doch!“

Dies bedeutete, dass die Jungs erneut abmessen mussten, um die Beine auf die gleiche Länge zu bringen.

Fazit des Tages
Dieser Tag war besonders anstrengend für Pablo und Onur, aber beide waren so motiviert, dass sie über die Anstrengungen gerne hinweg schauten und ihr Ziel erreichen wollten.

Tag 5

An diesem Tag sollte das Werk vollendet werden. Die beiden Jungs kamen pünktlich zu mir in den Werkraum.

In den letzten vier Tagen hatten sie gelernt, im Werkraum selbstständig zu arbeiten. Sie wussten, wo sie ihre Materialien finden konnten, die sie zum Arbeiten brauchten.

Ich musste nur als Begleitperson dabei sein.
Onur und Pablo holten sich ihre vorbereiteten Holzbeine, die Platte und die nötigen Werkzeuge, wie den Hammer und die Nägel. Die beiden Jungs hatten sich gut aufeinander eingespielt und arbeiteten gut miteinander.

Onur stellte die vier Tischbeine auf die Arbeitspatte und Pablo die Platte darüber. Sie verstellten die Tischbeine so lange, bis sie parallel zueinander unter der Platte lagen. Diesen Teil der Arbeit bewältigten sie sogar ohne Lineal, sie schätzten die Länge.
Nun wollten sie die Arbeitsplatte mit den Nägeln an den Beinen befestigen. Erst bei diesem Schritt benötigten sie meine Hilfe.

Pablo fragte: „Ayla, kannst du das festhalten?“ Ich hielt ein Tischbein und die Arbeitsplatte fest, so dass er die Nägel einschlagen konnte. Das war für ihn wieder ein Kraftakt. Beim ersten Nagel hatte er die meisten Schwierigkeiten, beim zweiten konnte er die Kraft schon besser dosieren. Sie befestigten jedes Bein mit zwei Nägeln. Dabei wechselten sie sich regelmäßig ab.

Im Anschluss daran war noch die Feinarbeit gefragt. Sie einigten sich auf zwei Farben: Rot und Blau. Gemeinsam malten sie den Tisch an. Sie waren sehr stolz auf ihr Werk. Sie wollten es unbedingt eine Weile ausstellen, damit die anderen Kinder auch sehen konnten, was sie Besonderes hergestellt hatten.
Selin hat den fertigen Schrank mit nach Hause genommen und Pablo den Tisch.

Fazit des Projektes

In diesem Projekt ging es anfänglich um das Abmessen und das Kennenlernen der Maßeinheiten. Ich konnte beobachten, dass es den Kindern sehr gut gelungen ist. Was besonders spannend war: Keiner wusste am Anfang, wie das Projekt verlaufen würde. Die Kinder entschieden jeden weiteren Schritt selbstständig und planten, was sie als Nächstes tun wollten.

Das fleißige Abmessen führte dazu, dass die Kinder motiviert waren, etwas herzustellen und ihr Wissen praktisch umzusetzen. Dabei entwickelten sie ein besonders starkes Team. Sie planten und führten ihre Ideen gemeinsam aus.

Sie hatten eine besonders schöne Art, miteinander zu kommunizieren: sie konnten alles miteinander diskutieren, ohne zu streiten, und wurden sich am Ende immer einig.

Bauen und Konstruieren ist eine besondere Art der Förderung. Die Kinder können durch das Handwerkliche, durch das Greifen und Gestalten, die Theorie erst verstehen. Sie lernen spielerisch ihre Ideen umzusetzen und verstehen, was lang, klein, hoch und tief bedeutet. Durch die handwerkliche Tätigkeit sammeln sie ihre eigenen Erfahrungen und entwickeln sich somit weiter.

In diesem Projekt wurde mir wieder einmal bewusst, wie wichtig es ist, stärkenorientiert zu arbeiten. Da bei Pablo und Onur die Stärken eher im kognitiven Bereich liegen, konnten sie mit ihren Ideen motiviert und spielerisch ihre Motorik trainieren.

Hier sei auch auf die wunderschönen Hör CDs verwiesen:
„Kasimir backt“ und „Kasimir tischlert“ siehe in
Bilderbücher, Sachbücher und Geschichten
Datum der Veröffentlichung: Juni 2015
Copyright © Ayla Altın, siehe Impressum

Pablo, 3;4 Jahre alt

von Ayla Altın

 

Pablo ist ein 3;4 Jahre alter Junge, der unsere Kita seit etwa einem halben Jahr besucht. Die Eingewöhnung in den Kindergarten verlief ohne Komplikationen. Er wächst zweisprachig auf. Er spricht Deutsch und Spanisch.

Ich habe mir Pablo als Beobachtungskind (im IHVO-Zertifikatskurs) ausgesucht, weil er kognitiv seinem Alter voraus entwickelt ist. Zunächst habe ich ihn im Freispiel beobachtet und festgestellt, dass er sich Spiele aussucht, die für Vorschulkinder geeignet sind. Seine Spielpartner sucht er sich nach seinen Bedürfnissen aus, er spielt sowohl mit gleichaltrigen als auch mit älteren Kindern.
Angelehnt an den Beobachtungsbogen nach Huser habe ich folgende Beobachtungen und Einschätzungen notiert:

Allgemeiner Entwicklungsvorsprung

Pablo zeigte im Freispiel sehr viel Interesse an Zahlen und Buchstaben. Er spielte zum Beispiel mit zwei anderen Kindern ein Zahlenspiel, bei dem er würfeln musste und dann die passenden Zahlen-Karten finden musste.
Beim Würfeln erkannte er sofort die Menge der Augen auf dem Würfel, ohne sie abzuzählen und konnte ohne weiteres die passende Zahlen-Karte, die auf dem Tisch lag, finden. Er kann somit die Mengen sofort erfassen und erkennt die Zahlen. Ich probierte einige Spiele, die mit Zahlen zu tun haben, und stellte fest, dass Pablo im Zahlenbereich bis 29 sehr sicher ist.

Schnelle Auffassungsgabe und Neugierde

Pablo hat eine schnelle Auffassungsgabe. Das oben beschriebene Spiel hatte ein Vorschulkind zum Spielzeugtag von zu Hause mitgebracht; es war für Pablo neu und unbekannt.
Da Pablo ein sehr neugieriges Kind ist, gesellte er sich sofort mit an den Tisch, an dem bereits das Vorschulkind und ein anderes Kind das Spiel aufbauten und zu spielen anfingen. Zunächst beobachtete er das Geschehen eine Weile.
In der zweiten Runde fragte er, ob er auch mitspielen könnte. Die anderen stimmten zu und wollten ihm erklären, wie das Spiel funktioniert. Pablo verstand die Regel schnell und spielte mit.
Ich hatte den Eindruck, dass er die Spielregel bereits während des Beobachtens verstanden hatte. Nach meinem Wissen ist es eine sehr große Leistung für ein dreijähriges Kind, mit einem Spiel zu spielen, das für Vorschulkinder gedacht ist.

Dieses schnelle Begreifen beobachte ich in vielen Situationen, wie zum Beispiel wenn er wie die Älteren eine Aufgabe bekommt und sie sehr gewissenhaft erledigt.

Orientierung an älteren Kindern

Pablo hat sowohl gleichaltrige als auch ältere Spielpartner. Er sucht sich die Kinder seinen Bedürfnissen entsprechend aus. Wenn ihm in der Gruppe langweilig ist, sucht er auch den Kontakt zur Erzieherin.

Verblüffende Gedächtnisfähigkeit

Pablo hält sich an Abmachungen, die mit ihm oder auch mit anderen Kindern getroffen wurden. Wenn die anderen Kinder vergessen, ihre Aufgaben zu erledigen, erinnert er sie daran oder kommt zur Erzieherin und macht sie darauf aufmerksam.
Neulich habe ich im Morgenkreis beobachtet, wie er ein Ereignis berichtet hat, das schon einige Zeit zurück lag. Er erzählte detailliert und präzise, was passiert ist und was ihn beeindruckt hat.

Lange Aufmerksamkeitsdauer und starke Eigenmotivation

Seine Ausdauer ist ausgeprägter als bei gleichaltrigen Kindern. Wenn er ein Spiel beginnt, beschäftigt er sich umfassend und aufmerksam damit.
Im Morgenkreis beschäftigten sich die Kinder mit Zahlen. Es ist ein Thema, das Pablo sehr interessiert; daher war er sehr aufmerksam, hörte konzentriert zu und machte mit. Er meldete sich oft, war sehr aufgeregt und wollte zu allem seine Meinung sagen. Auf die Frage der Erzieherin, ob jemand die Zahl erkennt, die sie hoch hielt, meldete er sich jedes Mal und war sichtlich enttäuscht, wenn er nicht dran kam.

Dieser Morgenkreis dauerte etwa 45 Minuten, was einer ganzen Schulstunde entspricht und für Kindergartenkinder normalerweise zu lang ist. Pablo blieb aber während der ganzen Zeit aufmerksam und machte aktiv mit.

Kritische Einstellung zu den eigenen Leistungen

Wenn ihm klar wird, dass wir etwas von ihm erwarten, dann traut er sich nicht und nimmt lieber den einfacheren Weg.
Wenn ich zum Beispiel ein Spiel für Pablo aussuche, das etwas anspruchsvoller ist, möchte er das plötzlich nicht mehr spielen und sucht sich ein einfacheres Spiel heraus.
Wird er aber aufgefordert, von sich aus ein Spiel auszusuchen, dann wählt er schwierigere Spiele. Große Herausforderungen nimmt er unbewusst und spielerisch wahr.

Drang nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit

Pablo ist mit seinen 3;4 Jahren schon sehr selbstständig. Seine alltäglichen Aufgaben nimmt er sehr ernst, er hält sich an die Gruppenregeln und achtet darauf, dass auch andere sich daran halten. Seine Aufgaben erfüllt er selbstständig und mit viel Freude.

Wenn er zwischendurch Hilfe braucht, weil er nicht weiter kommt, fragt er und holt sich Unterstützung. Viele Aufgaben erledigt er von sich aus, er meldet sich freiwillig, ohne dass ihn jemand auffordert, wie zum Beispiel beim Kalenderdienst. Er meldet sich jeden Morgen freiwillig und möchte ihn machen. Wenn wir morgens vergessen, den Kalender im Morgenkreis zu besprechen, geht er nach dem Frühstück unaufgefordert in den Flur und stellt ihn neu ein. Danach kommt er ganz stolz in die Gruppe und verkündet das neu eingestellte Datum.

Merkmale von unterforderten Kindern

Merkmale zur Unterforderung zeigt Pablo noch nicht. Das könnte daran liegen, dass wir viele verschiedene Angebote haben, an denen er teilnehmen kann, um seinen Wissensdurst zu stillen.
(Hier möchte ich erwähnen, dass ich in einem Integrativen Schwerpunktkindergarten für Hochbegabtenförderung arbeite.)
Wenn bei uns Projekte oder Angebote stattfinden, werden die Kinder nicht nach ihrem Alter sondern nach ihren Stärken und Interessen eingeteilt. Daher kann Pablo seinen Bedürfnissen nachgehen. Er zeigt zum Beispiel großes Interesse an dem Spiel „Schlaumäuse“, das am Computer gespielt wird. Er möchte bei jeder Gelegenheit damit spielen.
Da er aber noch nicht lesen kann, braucht er dabei Unterstützung. Er fragte mich, ob ich mit ihm zusammen spielen könnte. Wir setzten uns gemeinsam an den Computer und ich half ihm durch das Programm. Er versuchte mit den Buchstaben Wörter zu bilden und zu lesen. Er kennt zwar alle geschriebenen Buchstaben, aber nicht die passenden Laute dazu.

Mit diesem Spiel versuchte er spielerisch, die Laute zu lernen. Immer wenn er den Buchstaben anklickt, tönt aus dem Computer der passende Laut und hilft beim Verbinden der Buchstaben, so dass ein Wort entsteht. Das fesselte ihn so sehr, dass er vollkommen die Zeit vergaß. Er versuchte sich das Lesen beizubringen. Dabei versuchte ich ihn zu unterstützen.
Er war zwischendurch sehr aufgeregt und verlor seinen Mut; er sagte: „Ich kann das nicht, du musst mir helfen!“

Ich zeigte ihm, wie es geht, und half ihm dabei. Obwohl er sehr aufgeregt war, konnte er nicht aufhören mit dem Spiel. Nach einer Weile beendete ich das Spiel, weil ich wollte, dass er zur Ruhe kommt. Das tat ihm in diesem Moment gut. Immer wenn er mich jetzt sieht, fragt er ob wir gemeinsam „Schlaumäuse“ spielen (was dann oft auch passiert).

Sprache und Wortschatz

Pablo wächst zweisprachig auf. Er spricht Deutsch und Spanisch fließend. Er baut Haupt- und Nebensätze grammatikalisch korrekt auf. Er hat einen großen Wortschatz, den er einsetzt. Beim Sprechen stottert Pablo ein wenig. Dieses Stottern vermehrt sich, wenn er aufgeregt ist.
Er hört den anderen Kindern aufmerksam zu. Wenn er Fehler in ihrem Satzaufbau erkennt, korrigiert er die Kinder.

Mathematisch-logische Intelligenz

Pablo kann im Zahlenbereich bis 29 zählen und zuordnen. Er erkennt die Zahlen als geschriebene Zahl, er kann Mengen erfassen und kann beurteilen, ob eine Menge größer oder kleiner ist. Dies konnte ich bei einen Spiel beobachten, in dem er laut Spielregel Steine sammeln musste: Derjenige, der die meisten Steine hatte, hat am Ende gewonnen. Er zählte seine Steine und die Steine seines Gegenübers und sagte: „Ich habe 19 Steine und du 17. Ich habe gewonnen, weil ich mehr habe“.
Das Zählen ist zur Zeit eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Er sucht sich bewusst Spiele aus, die mit Zählen oder Zahlen zuordnen zu tun haben.

Inter- und intrapersonale Intelligenz

Pablo ist sehr sensibel und mitfühlend. Er kann sich in Konfliktsituationen gut durchsetzen. Er provoziert aber keinen Streit von sich aus. Im Außengelände konnte ich beobachten, wie Pablo beim Buddeln im Sandkasten ein anderes Kind aus Versehen mit der Schippe traf und ihm weh tat. Dieses Kind weinte laut, woraufhin Pablo sich erschreckte und versuchte, sich um das Kind zu kümmern. Er entschuldigte sich sofort und umarmte das Kind. Das betroffene Kind war aber noch viel zu jung, um Pablo zu verstehen, deshalb schrie es weiter. Da verlor Pablo die Fassung und fing auch an zu weinen. Selbst als das getroffene Kind sich beruhigt hatte, weinte Pablo weiter und musste sich erst einmal auf die Bank setzen und sich von dieser Situation erholen.
Auch sonst ist Pablo ein hilfsbereites und freundliches Kind. Er beobachtet intensiv sein Umfeld und bietet immer seine Hilfe an, wie zum Beispiel beim Aufräumen und bei anderen Aufgaben.

Fazit

Nach einer intensiven Beobachtungsphase kann ich fest stellen, dass Pablo im mathematischen, logischen Denken und auch im Bereich Sprache sehr weit fortgeschritten ist.
Sein besonderes Interesse gilt jedoch der Mathematik, deswegen will ich ihn in der nächsten Zeit in diesem Bereich fördern.

Lesen Sie dazu:
Projekt: Messen und Werken

Pablo (4;1) befasst sich beim Backen mit Zahlen und Mengen

Und außerdem:

Pablo (4;5) interessiert sich auch schon fürs Lesen

Bobby-Car-Waschanlage

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2015
Copyright © Ayla Altın, siehe Impressum

Bei Zahlen-Spielen findet Isabel (3;8) passende Spielgefährten

von Ellen Görg

 

Isabels Entwicklung verfolge ich in meiner Kita-Gruppe, seit sie 1;5 Jahre alt war. Mit 2;3 Jahren wurde sie zu meinem „Beobachtungskind“ im IHVO-Zertifikatskurs.

Meine bisherigen Berichte zu Isabel:

Hinweise auf Hochbegabung bei einer Zweijährigen
Eine Zweieinhalbjährige meistert schwierige Aufgaben
Isabel (2;10) und die Zahlen
Isabel (3;3) lernt „Halli Galli“
Nun ist Isabel 3;8 Jahre alt. Die Welt der Zahlen ist für sie weiterhin ein großes Thema. Mittlerweile verlässt sie immer wieder mal unsere Gruppe und sieht sich in der gesamten Kita um – wohl auch nach neuen Spielgefährten.

Vorüberlegungen

Mein Ziel für die nächste Zeit ist, dass Isabel
– das Zählen bis 15 in richtiger Reihenfolge beherrscht,
– die Ziffern bis 6 richtig erkennt und benennt und dass sie
– bei Angeboten in Kleingruppen positive Erfahrungen sammelt.

Deshalb möchte ich die Kleingruppen von Isabel selbst zusammen stellen lassen.

Was veranlasst mich dazu?
Ich glaube, sie kann schon ein bisschen beurteilen, mit welchen Kindern sie ähnliche Interessen und Bedürfnisse in Bezug auf Denken, Forschen, und Gestalten teilen kann.
Da Isabel sich bei Angeboten, zum Beispiel Zahlen-Spielen, in der Kleingruppe bisher oft verweigert hat, kam ich zu der Schlussfolgerung, diese Variante auszuprobieren. Ich bin sehr gespannt, ob sie sich darauf einlässt.
Isabel verfügt schon über ein sehr gut entwickeltes Sozialverhalten und ich möchte erreichen, dass sie öfter bereit ist, ihr Wissen mit anderen Kindern zu teilen, und dass sie die Erfahrung macht, dass auch sie von anderen Kindern etwas lernen kann.

 

… kurz gefasst …

Isabel hat gemerkt, dass sie im engen Kontakt mit ihrer Erzieherin (der Autorin) viel lernen kann. Der kognitive Input stimmt in diesen Situationen (siehe die anderen Berichte über Isabel) und Isabel liebt diese Zeiten, in denen ihre Erzieherin sie beim Lernen unterstützt.

Auf dieser Erfahrungsbasis baut die Erzieherin nun auf und bringt Isabel das Spielen und Lernen in einer Kleingruppe nahe, das Isabel bisher nicht annehmen konnte.
Der Kunstgriff ist, das dreijährige Mädchen seine Spielpartner für die Kleingruppe immer wieder selber wählen zu lassen. So entstehen schließlich Spielkontakte zu wesentlich älteren Jungen.

Zur Zeit beschäftigt Isabel sich am liebsten mit Zahlen-Spielen, sie hat viel Spaß dabei und fordert immer neue Impulse ein. Daran möchte ich bei der Kleingruppenarbeit anknüpfen.

In verschiedenen Situationen zeigte Isabel eigenwillige Lernstrategien (siehe: Hinweise auf eine mögliche intellektuelle… ).Ich möchte herausfinden, ob diese Strategien Zufall sind, oder ob dieses junge Mädchen schon in der Lage ist, Strategien zu erfinden.
Bei den Spielen werde ich eine Variante vorschlagen, die wir zunächst spielen. Dann überlegen wir in der Gruppe gemeinsam, welche Varianten wir noch finden können.

Planung

Folgende Vorgehensweise habe ich mir überlegt:

1. Phase:
Zahlwörter in bekannten Zusammenhängen in richtiger Reihenfolge nennen und anwenden.
Gezielte Aktivitäten dazu:
1. Zahlen, die wir kennen
2. Musik machen – mit Zahlen
3. Hilfe für den Kasper

2. Phase:

Ziffern von 1 bis 6 erkennen und benennen.
Dazu offene Angebote im Freispiel:
1. Würfelspiele
2. Zahlen fangen
3. Zahlen auf dem Taschenrechner und der Tastatur des Computers

3. Phase:

(Diesen Schritt möchte ich nur von Isabel abhängig machen.)
Erstellen eines Zahlenbuches nach Isabels Vorstellungen.

Isabel darf sich für die erste Aktion eine Kindergruppe auswählen. Ich gebe nicht vor, wie viele Kinder es sein sollen. Ich möchte beobachten, mit welcher Sorgfalt sie die Kinder auswählt und welche Kinder in dieser Situation für Isabel wichtig sind.

Ich habe mir auch überlegt, dass Isabel vor jeder Aktivität die Gelegenheit bekommt, die Kindergruppe auszusuchen. Vielleicht entwickelt sich ein Freundeskreis?

Ich werde verschiedene Räume nutzen: den Nebenraum unserer Gruppe, der oft für Rollenspiele genutzt wird, den Musikraum, die Vorschulkinderecke, wo die Computer stehen – und wenn es das Wetter zulässt – das Außengelände.

Einige Angebote möchte ich in den Gruppenalltag integrieren. Da ich meine Kinder, vor allem Isabel, genau beobachte, finde ich immer Situationen, in denen man Spielvarianten einfügen kann. Deshalb ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein und zu wissen, welche Spiele mit entsprechenden Inhalten die Kinder interessieren.

Die Spiele, die ich ausgewählt habe, sollen die vielfältigen Spiel-Möglichkeiten im Bereich der Zahlen zeigen.

Zahlen, die wir kennen

Isabel war sehr begeistert, dass sie die Kleingruppe auswählen durfte. Es fiel ihr auch nicht schwer, die Kinder auszusuchen:
Fiona (3;11), Caspar (4;3), Valerie (4;4). Isabel selbst ist 3;8 Jahre alt.

Wir trafen uns um 13 Uhr. Ich habe immer wieder beobachtet, dass die Kinder zu dieser Zeit zur Ruhe kommen und sich mit verschiedenen Spielen beschäftigen. Alle kleinen Kinder schlafen dann, und die älteren Kinder sind ungestört.

Mein Einstieg war: „Da ihr alle schon so toll zählen könnt und euch viel mit Zahlen beschäftigt, möchte ich mit euch ein Spiel mit Zahlen spielen.“
Mehr brauchte ich gar nicht zu sagen, die Kinder waren begeistert. Wir setzten uns im Kreis auf den Teppich. „Ich möchte mit euch über Zahlen sprechen, die ihr schon kennt, die eure Lieblingszahlen sind. Wer möchte mit dem Zählen beginnen? Ich bin gespannt, wie weit ihr schon richtig zählen könnt.“

Caspar, Valerie, Fiona, Isabel (v. l. – Namen geändert)

 

Zuerst meldete sich Valerie, sie zählte bis 19, dann Caspar bis 17, Isabel bis 13 und Fiona bis 10. Alle zählten in der richtigen Reihenfolge.
Bei Isabel konnte ich beobachten, dass sie von Anfang an sehr konzentriert war und mit den anderen Kindern mitzählte. Sie bemerkte auch, wenn sich ein Kind verzählte, und äußerte dies.

Ich lobte die Kinder für ihre Leistung, wusste aber auch, dass Valerie und Caspar schon bis 20 zählen konnten. Und als ob sie meine Gedanken lesen könnten, fingen sie nochmal an zu zählen. Sie zählten bis 20 und darüber hinaus, dann aber nicht mehr in der richtigen Reihenfolge; ich ließ sie gewähren.

Isabels Reaktion: „Ich möchte auch nochmal zählen!“ Nun zählte sie auch bis 20. Wir alle staunten und lobten sie. Man konnte an ihrer Haltung sehen, dass ihr das Lob gut tat. Sie freute sich und wollte immer wieder zählen.

Ich fragte: „Habt ihr auch schon eine Lieblingszahl?“ Alle Kinder nannten mir eine Zahl: Isabel die Vier, Laurenz die Fünf, Fiona die Eins, Valerie die Vier und die Eins.
Auf die Frage: „Warum ist das eure Lieblingszahl?“ konnten mir die Kinder keinen besonderen Grund nennen – nur Isabel sagte: „Ich werde bald vier Jahre alt, deshalb ist die Vier meine Lieblingszahl.“
In diesem Moment wurde mir bewusst, dass Isabel schon eine genaue Vorstellung von Zahlen aufgebaut hat und sie flexibel verwendet.

Mengen von 1 bis 6 hören und mit Gegenständen darstellen

Nun erkläre ich den Kindern das erste Spiel:
„Ich habe hier eine Kiste mit bunten Bausteinen, die wir gleich für unser Spiel brauchen. Ich klatsche in die Hände, ihr zählt mit, wie oft ich klatsche – und so viele Bausteine legt ihr vor euch hin.“

Zuerst klatschte ich sechsmal in die Hände. Alle Kinder zählten richtig mit und legten sechs Bausteine vor sich hin.
Nun forderte ich die Kinder auf: „Nun seid ihr an der Reihe. Wer möchte mit Klatschen beginnen?“ Es meldeten sich alle. Ich bestimmte, dass Isabel beginnt. Sie klatschte siebenmal. Alle Kinder machten alles richtig.

Caspar und Valerie klatschten 15- bzw. 13-mal; da klappte das Zählen gut, jedoch das Abzählen der Bausteine bereitete den Kindern einige Schwierigkeiten. Gemeinsam überprüften wir die Ergebnisse und berichtigten sie.
Isabel, Valerie und Caspar waren sehr bestrebt, ihre Aufgaben richtig zu lösen und halfen sich auch untereinander. Bei Fiona konnte ich beobachten, dass sie überfordert war; sie hatte dann auch keine Lust mehr und zog sich zurück.

Die anderen drei Kinder spielten noch einige Zeit weiter, insgesamt waren sie länger als 40 Minuten damit beschäftigt. Sie suchten sich sogar noch andere Varianten: anstatt in die Hände zu klatschen, benutzten sie Musikinstrumente wie Klanghölzer und Triangel. Statt der Bausteine nahmen sie Tiere, Autos und Legofiguren.

Als die Kinder das Spiel selbst in die Hand nahmen, zog ich mich zurück und beobachtete nur noch. Über Isabel war ich erstaunt, denn sie hat dieses Spiel gut angenommen und eigene Ideen eingebracht. So aktiv hatte ich sie in einer Kleingruppe noch nicht erlebt.

Musik machen mit Zahlen

„Isabel, hast du Lust mit ein paar Kindern im Musikraum Musik mit Zahlen zu machen?“ – „Ja.“ – „Mit welchen Kindern möchtest du spielen? Du kannst sie fragen, ob sie mit in den Musikraum kommen.“

Isabel fragte dieselben Kinder wie beim ersten Mal – außer Fiona. Auf meine Frage, warum sie Fiona nicht gefragt hat, antwortete sie: „Fiona kann das noch nicht.“ Sie ging gleich weiter und wollte nicht mit mir darüber diskutieren. Stattdessen hat sie Marian (3;8) eingeladen, den sie auch schon in einer Kleingruppe erlebt hatte.

Ich legte die Instrumente bereit, die Kinder konnten wählen.
Isabel und Marian entschieden sich für Klanghölzer, Valerie nahm eine Triangel und Caspar griff sich eine Trommel.

Nun erhielten die Instrumente Zahlen zugeteilt; um einfach anzufangen, bekamen die Klanghölzer die 1, die Triangel die 2 und die Trommel die 3. Die Spielregel ist, dass die Kinder auf ihrem Instrument spielen, wenn ihre Zahl gerufen wird. Dazu müssen die Kinder sehr aufmerksam und konzentriert sein.

Zuerst rief ich die Zahlen langsam und mit großem zeitlichem Abstand, dann immer schneller. Die Kinder hatten viel Spaß. Isabel war sehr konzentriert, was ich an ihren großen Augen und dem zusammengebissenen Mund ablesen konnte.

Danach variierte ich mit dem Tempo, es entstand eine schöne Melodie, und die Kinder waren über das Ergebnis selber erstaunt.
Isabel behielt immer den Überblick und war sogar in der Lage, den anderen Kindern ihren Einsatz zu geben, wenn sie nicht sofort mit ihrem Instrument losspielten.

Schließlich wechselten die Kinder die Instrumente und es wurden größere Zahlen verteilt.
Isabel wollte meine Rolle als Zahlensprecherin übernehmen. Sie schaffte es sehr gut. Dabei war sie in der Lage, sich die Zahlen zu den Instrumenten zu merken und, wenn nötig, die Kinder auf ihren Einsatz aufmerksam zu machen. (Hier entdecke ich als Hinweise auf eine mögliche Hochbegabung: Gutes Beobachtungsvermögen, Früher Drang zu Selbststeuerung und Selbstbestimmung. Isabel erwartet, dass ihre Urteilskraft anerkannt wird, wenn sie der Meinung ist, eine Situation zu überblicken.)

Bei dieser Spielvariante konnten alle Kinder die Erfahrung machen, dass Zahlen und Musik auch eine Einheit bilden können, dass dabei etwas Wunderschönes entstehen kann, was individuell immer wieder abgewandelt werden kann.

Auch in dieser Kleingruppe konnte Isabel die Erfahrung sammeln: Der Freundeskreis bringt viel Humor und Unternehmungsgeist hervor.

Kaspertheater: Hilfe für den Kasper

Dies war ein Angebot an die gesamte Kita-Gruppe. Es fand im Musikraum statt, wo unser Kaspertheater steht.
Der Inhalt der kleinen Geschichte:
Seppel braucht Hilfe, denn sein bester Freund, der Kasper, hat noch Schwierigkeiten beim Zählen. Seppel erklärt, dass der Kasper eigentlich schon bis 15 zählen kann, aber nicht immer die richtige Reihenfolge weiß oder auch Zahlen auslässt.
Seppel bittet die Kinder, dem Kasper dabei zu helfen. Alle Kinder stimmten zu, denn die Kinder lieben den Kasper.

Bevor der Kasper erschien, wollte der Seppel von den Kindern wissen, wer schon bis 15 zählen kann. Valerie (4;4) und Caspar (4;3) meldeten sich sofort und zählten richtig bis 15. Auch unsere beiden Vorschulkinder (unsere Gruppe ist altersgemischt von 1 bis 10 Jahren) beteiligten sich. Auch Isabel wurde gefragt, ob sie zählen kann. Sie sagte kein Wort, blieb stumm. Obwohl die älteren Kinder erwähnten, dass Isabel schon bis 15 zählen kann, blieb sie still und stumm sitzen. Auch als alle Kinder noch mal gemeinsam zählten, machte sie nicht mit.

Ihr Verhalten (Verweigerung, der ganzen Gruppe ihr Wissen preiszugeben) veränderte sich im laufenden Spiel nicht mehr. Aber ich konnte beobachten, dass sie den gesamten Verlauf aufmerksam verfolgte. Als der Kasper erschien und immer wieder Zahlen vergaß, zeigte Isabel keine Mitarbeit, um dem Kasper zu helfen.
Alle anderen Kinder, auch die älteren, waren sehr aktiv beim Zählen in der richtigen Reihenfolge.

Auf meine Frage an Isabel, warum sie dem Kasper nicht geholfen hat, sagte sie, sie habe keine Lust. Meine Vermutung ist: Da Isabel inzwischen ziemlich sicher bis 15 zählen kann, war diese Spielvariante keine wirkliche Herausforderung für sie. Sie konnte es schon und nahm sich zurück.

Kommentar der Kursleitung:
Vielleicht sah sie auch den Sinn dieses Spiels nicht – vielleicht hat sie darüber nachgedacht, welchen Sinn es macht, einer Puppe beim Zählen zu helfen… Besonders begabte Kinder sind da manchmal sehr kritisch und fühlen sich durch „babyleichte“ Spiele nicht ernst genommen und wundern sich, warum die anderen Kinder daran so großen Spaß haben.

Ziffern von 1 bis 6 erkennen

Gemeinsam mit einigen Kindern der Gruppe hatte ich einen Zahlenwürfel gebastelt. Unsere beiden Vorschulkinder waren daran beteiligt, da bei ihnen Zahlen sehr aktuell sind. Isabel zeigte großes Interesse an dem Würfel. Als ich sie fragte, ob wir mit einigen Kindern ein Würfelspiel spielen wollen, willigte sie ein. Sie wählte auch wieder die Kleingruppe aus: Valerie, Caspar, Malte (5;1), Denis (5;3).

Zuerst betrachteten wir die Ziffern auf dem Würfel der Reihe nach. Damit wollte ich herausfinden, welche Isabel erkennt und bei welchen sie Schwierigkeiten hat. Es stellte sich heraus, dass sie nur die 5 und die 6 nicht erkennen konnte.

Die Spielregel war nun, entsprechend der gewürfelten Zahl Gegenstände dazu zu tun oder weg zu nehmen. Die Kinder ließen ihrer Fantasie freien Lauf und benutzten sämtliche geeigneten Gegenstände, die sie in der Gruppe finden konnten (Bausteine, Kissen, Teller, Autos usw.).

Je öfter Isabel das Spiel spielte, um so sicherer erkannte sie die Ziffern. Sie wollte aber immer nur mit den Kindern spielen, die beim ersten Mal dabei waren.

Dieses Würfelspiel regte auch bei anderen Kindern der Gruppe das Interesse an. Sie wurden neugierig und wollten am Spaß der Anderen teilhaben. Die Kinder und ich bastelten für die Jüngeren einen zweiten Würfel mit Punkten. So waren alle zufrieden und hatten Freude am Würfeln.

Zahlen fangen

Auch beim folgenden Spiel wurde deutlich, dass Isabel immer sicherer die Zahlen 1 bis 6 erkannte. Für das Spiel füllten wir eine Plastikwanne mit Sand und verteilten darin Holzziffern von 1 bis 6. Die Kinder sollten die Ziffern mit kleinen Sieben fangen und sie dann in die entsprechend nummerierten Eimer sortieren.

Als ich das neue Spiel vorstellte, fanden sich dieselben Spieler wie beim Würfelspiel zusammen. Hat sich da schon ein Freundeskreis entwickelt? Alle Kinder dieser Kleingruppe sind selbstbewusst, durchsetzungsfreudig, kooperativ und kreativ. Vor allem hat mich gefreut, dass sich Isabel in dieser Gruppe wohlfühlt. Sie langweilt sich nicht und kann sich neuen Herausforderungen stellen.

Isabel und die anderen Kinder zeigten großes Interesse an diesem Spiel. Alle beobachteten gespannt, welche Ziffer geangelt wurde. Und es wurde genau kontrolliert, ob sie auch in den richtigen Eimer sortiert wurde.

Isabel zeigte große Anspannung – sie wollte die Ziffern immer richtig zuordnen und benennen. Dazu entwickelte sie ihre eigene Strategie: Wenn sie zum Beispiel eine 6 gefangen hatte und sie nicht gleich benennen konnte, verglich sie die Ziffer mit denen auf den Eimern, zählte leise die Eimer, und schon konnte sie die Ziffer benennen. Damit hatte sie immer Erfolg und wurde auch gelobt.

Bei diesem Spiel war ich nur Beobachter. Ich fand es faszinierend, dass die Kinder das Spiel ohne Streit oder Schummeln etwa eine halbe Stunde lang allein spielen konnten.

Ziffern auf der Computer-Tastatur

Verstärkt interessierte sich Isabel nun für Computer. Ich bot ihr an, wenn sie möchte, könnten wir die Zahlen auf der Tastatur des Computers suchen und tippen. Isabel freute sich über das Angebot und wollte es gleich ausprobieren. Sie fand das sehr spannend und probierte alles aus.

Als ich sie fragte: „Hast Du schon alle Zahlen gefunden?“ zeigte sie sie mir auf der Tastatur. „Wie alt bist Du? Kannst Du die Zahl auf der Tastatur finden und eingeben?“
Da die Zahlen auf der Tastatur ziemlich klein sind, brauchte Isabel eine Weile, bis sie die 3 gefunden hatte. Aber es hat geklappt. Danach ließ Isabel keine Gelegenheit aus, um mit mir an den Computer zu gehen. Sie hat eine neue Herausforderung gefunden.

Nach meinem ursprünglichen Plan wollte ich nun Isabel ein Zahlenbuch nach ihren eigenen Vorstellungen erstellen lassen. Doch sie zeigte zu dieser Zeit kein Interesse daran – und so ließ ich es vorerst bleiben. Sollte sie später daran interessiert sein, werde ich es dann noch mal aufgreifen.

Isabel hat das Zählen gelernt

Ich habe mein Ziel erreicht: Isabel kann nun in richtiger Reihenfolge bis 15 zählen und die Ziffern 1 bis 6 erkennen und benennen. Bei den verschiedenen Spielen hat sie das geübt. Sie lässt nun keine Zahlen mehr aus und vertauscht sie auch nicht mehr.

Die Spiele waren abwechslungsreich. Für Isabel war es wichtig, dass sie eigene Ideen einbauen konnte. So blieb das Spiel interessant, Langeweile kam nicht auf.  Das war auch für mich eine wichtige Erfahrung, denn oft unterbrach Isabel Angebote oder zog sich zurück, weil sie sich meinen Regeln unterordnen sollte.

Aber bei diesen Spielen war sie Mitgestalter, und das ist es, was Isabel braucht und will.

Spaß in der selbstgewählten Kleingruppe

Als meinen größten Erfolg werte ich, dass Isabel in der Kleingruppe immer aktiv war. Sie zog sich nicht zurück, war immer mit Freude dabei. Sie hatte auch keine Hemmungen, ihre Ideen zu äußern. Das lag daran, dass sie die Teilnehmer der Kleingruppe selber auswählen konnte. Von Beginn an hat sie die Kinder gezielt ausgewählt, sonst wäre nicht so eine feste Gruppe entstanden. Ich konnte beobachten, dass sich Isabel darin wohlfühlte und Spaß hatte.

Eine gute Erfahrung für Isabel (3;8) war auch, dass sich die beiden Vorschulkinder Malte (5;1) und Denis (5;3) dazu gesellten. Vorher hatten die beiden Jungen kein großes Interesse gezeigt, mit Isabel etwas zu unternehmen. Für Isabel war die Teilnahme der Beiden eine Bestätigung, dass sie mit ihrem Wissen auch Anerkennung bei älteren Kindern findet. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein. Ich hoffe und wünsche, dass sich der kleine Freundeskreis, der sich entwickelt hat, weiterhin festigt. Ich werde das auf jeden Fall unterstützen.

Nächstes Ziel: der „Computerführerschein“

Isabels großes Interesse am Computer hatte ich nicht erwartet. Aber Isabel lässt mich immer wieder staunen. Ich werde ihr die Möglichkeit geben, mit mir am Computer zu arbeiten.
Unsere Vorschulkinder können bei uns einen „Computer-Führerschein“ erwerben. Der befähigt sie, selbstständig am Computer zu arbeiten. Vielleicht kann man es Isabel ermöglichen, den „Computer-Führerschein“ schon früher zu machen.

Zum Computer-Führerschein siehe auch den Beitrag: Computernutzung und Internet.

Im Verlauf der hier beschriebenen Lernvorgänge konnte ich beobachten, wie sich Isabels Persönlichkeit weiter entwickelte. Ich finde es bemerkenswert, dass sie in der Lage ist, immer wieder eigene Lernstrategien zu finden, um zum Ergebnis zu  kommen.

Datum der Veröffentlichung: Juni 2015
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.