Was war ein Zivi?

Zivis (Zivildienstleistende) waren in Deutschland bis Ende 2011 weit verbreitet.

Es waren junge Männer, die den Wehrdienst in der Bundeswehr aus Gewissensgründen verweigerten. Wurde ihr Antrag anerkannt, mussten sie nicht in der Armee „dienen“, sondern wurden zum Zivildienst einberufen. Diesen Dienst konnten sie in Krankenhäusern, Altenheimen, im Rettungswesen, bei Essen auf Rädern oder in anderen sozialen Einrichtungen ableisten, so eben auch in Kindertagesstätten.

Es gelang in unserem Kindergarten, ständig einen Zivi zu beschäftigen. Das ersparte uns Erzieherinnen viele hauswirtschaftliche Arbeiten, kam also der pädagogischen Arbeit zugute. Es machte uns auch flexibler für Ausflüge und Erkundungsgänge, da die Auflagen der Aufsichtspflicht mit einer zusätzlichen erwachsenen Person leichter zu erfüllen waren.

Einmal im Monat: Ab in den Wald!

Hanna Vock / Monika Hartings

In die Diskussion um die Waldkindergärten wollen wir unsere Erfahrung mit regelmäßigen Waldausflügen einbringen. Seit fast sechs Jahren fahren wir, bei gutem und bei „schlechtem“ Wetter, mindestens einmal im Monat in unseren Wald. Unsere Kinder sind Stadtkinder, fast alle werden mit dem Auto gebracht. Es gibt nicht viel Wald in unserer Gegend westlich von Neuss, und für manche unserer Dreijährigen ist der Wald ein ganz neues Erlebnis.
Wir sind eine Elterninitiative mit 20 Ganztagsplätzen. Das Außengelände ist wild und naturnah. Aber Wald, das ist doch noch ganz was anderes! „Unser“ Wald ist ein bewirtschafteter, recht kleiner, aber doch unglaublich abwechslungsreicher, abenteuerlicher Wald. Wir sind froh, dass wir ihn gefunden haben. In jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter hat er seinen besonderen Reiz.

Nicht Sonntagsspaziergang, sondern Abenteuer

Um hinzukommen, müssen wir 20 Minuten mit dem Bus fahren und dann noch einen guten Kilometer laufen. Die meisten neuen Eltern machen sich Sorgen, dass ihr Dreijähriges diese Laufstrecken nicht schafft oder zumindest bald zu jammern anfängt. Eine ganz unbegründete Sorge, denn sie laufen alle ausdauernd und mit Freude – von einer Attraktion zur nächsten. Die Großen müssen wir oft bremsen; kaum aus dem Bus gesprungen, würden sie den Weg bis zum Waldrand am liebsten im Laufschritt zurücklegen.
Da liegen einige gefällte Bäume am Wegesrand, für kleine Kinder ein Riesenklettergebirge. Manchmal ist die Rinde glitschig-nass und verlangt den Kindern alle Konzentration ab, manchmal ist sie trocken, und man kann über die verschiedenen großen Ritzen springen…
Im September lockt die große Brombeerhecke am Waldrand. Diese Brombeeren schmecken natürlich besser als die Früchte aus dem Laden. Die Kinder erfahren, dass man sich aus der Natur bedienen kann: Man kann viel mehr Pflanzenarten essen als die meisten Kinder und Erwachsenen glauben. Das ist für viele Kinder ein neues Erlebnis, aber die Gefahren müssen ihnen immer wieder erklärt werden. So darf man die Brombeeren nur oben pflücken (Fuchsbandwurm!).
Irgendwann haben wir den „wilden“ Einstieg in unseren Wald entdeckt: einen schmalen Pfad, auf dem man nur im Gänsemarsch vorwärtskommt, links undurchdringliches Gebüsch, rechts ein steiler Abhang zu einem Auenwäldchen, das meistens überflutet ist. Umgestürzte Bäume und Brombeerranken versperren den Weg. Hier gucken die kleinen Neuen manchmal etwas verschreckt und sind ein bisschen hilflos. Aber sie lernen schnell, dass man Dornenranken niedertreten und dass man über Baumstämme rüberklettern kann, wenn man nur beherzt die Rinde anpackt, auch wenn sie rauh und nass ist.
Das Gehen ohne Weg und Steg ist für die Kinder oft wie ein Abenteuer und ist gleichzeitig eine außerordentlich gute Bewegungsschulung: Sie lernen dabei eine Menge an Konzentration, Ausdauer, Geschicklichkeit und Koordination.

Vertrautes wiederfinden, Neues entdecken

Es gibt schöne Plätze, die die Kinder kennen und immer wiederfinden. Da ist das runde Holzhäuschen, wo wir manchmal Brot essen und wo wir nach Ostern Eier suchen, dann der Platz unter riesigen Buchen, wo man schön „Bäumchen wechsle Dich“ und anderes spielen kann. Es gibt einen Weg durch dichtes Unterholz, „wo das tote Kaninchen lag“, eine Ruine, Reste von Backsteinmauern, ganz versteckt zwischen „Urwald“, wo wir kleine Kletterkurse machen, ein breites, tiefes Bachbett, das manchmal trocken ist und manchmal Wasser führt, so dass wir aus Baumstämmen Brücken bauen, um ‚rüberzukommen.

Ein schöner Spiel- und Kletterplatz. Zum Vergrößern anklicken.

Es gibt ein verwunschenes Gebiet mit viel Weidengebüsch, wo man sich herrlich verstecken kann und über Baumstämme balancieren kann, meist ohne ins niedrige Wasser zu fallen.

 

Die älteren Kinder finden schon allein den sonnenbeschienenen Flecken, wo wir gerne Mittag essen. Dort ist es warm und trocken, auch wenn der übrige Waldboden feucht ist. Ganz in der Nähe ist der Abhang, der zu Tobespielen lockt. Man fällt weich, denn der Boden ist dort mit einer dicken Laubschicht bedeckt.

Nach Laufen und Spielen an der frischen Waldluft schmecken Butterbrote gut. Zum Vergrößern anklicken.

 

Ein Baum hat es geschafft, ein so ausgedehntes oberirdisches Wurzelgewirr auszubilden, dass die halbe Gruppe sich daraufhocken kann, um sich auszuruhen und fantastische Geschichten zu hören.

Es sind immer dieselben Orte, es gibt viel Vertrautes wiederzufinden. Das gibt den Kindern Sicherheit und Mut auf Entdeckungsreisen zu gehen. In jedem Monat haben diese Orte und hat der ganze Wald ein anderes Gesicht. Die Kinder nehmen Veränderungen wahr in der Gesamtstimmung und in unzähligen Einzelheiten. Sie entdecken Riesiges und Winziges, „Naturkunde“ ergibt sich am Wegesrand. Natürliche Zusammenhänge können wir den Kindern vor Ort am besten zeigen und erklären. Das geschieht beiläufig, denn im Vordergrund stehen für unsere Kinder Bewegung, Erlebnis und Abenteuer, die je nach Alter und Entwicklungsstand der Kinder immer wieder andere Schwerpunkte haben.
Anfangs hatten Eltern Bedenken und meinten, wir müssten dazu anhalten, im Wald still zu sein und die Tiere nicht zu stören. Wir haben uns dafür entschieden, die Kinder nicht zu ermahnen, wenn sie im Spiel laut rufen oder schreien, wenn sie aufgeregt sind durch die vielen starken sinnlichen Eindrücke. Es ist ihr Wald genauso wie der Wald der Rehe und Hasen. Die Waldarbeiter, die wir manchmal treffen, freuen sich über die muntere Kinderbande.
Sicher wird manches Pflänzchen geknickt und manches Tier aufgescheucht – aber unterm Strich entsteht in den drei Jahren bei den Kindern eine Bindung zu ihrem Wald und damit ein wichtiger Zugang zur Natur.

Der Wald ruft auch bei Kälte und Nässe

Es regnet – aber unter den dichten Bäumen ist es gemütlich trocken. Zum Vergrößern anklicken.

Jedes Wetter ist uns lieb. Nur bei starkem Dauerregen oder Sturm sagen wir unseren Waldausflug ab. Wir mögen die Bäume, aber sie sollen uns nicht auf den Kopf fallen.

Kälte und Regenschauer schrecken uns nicht mehr. Wir haben erfahren, dass das Wetter meistens besser ist als es aussieht. Anfangs waren nicht alle Kinder immer wetterfest angezogen, aber inzwischen achten alle Eltern darauf. Und wenn mal eine Familie vergessen hat, dass Waldausflug ist, finden sich im Kindergarten-Fundus aus Elternspenden immer noch ein paar passende Sachen. Auch wir Erzieherinnen denken an unsere „Waldklamotten“ – obwohl auch unsere gewöhnliche Arbeitskleidung dazu taugt, über den Waldboden zu rollen…
Auch im Sommer tragen wir alle im Wald lange Hosen und Schuhe, durch die so leicht kein Dorn durchkommt. Und auch Brennnesseln könnten höchstens den Händen was anhaben. Die voranlaufenden Kinder rufen dann „Brennnesselalarm“, und alle heben vorsichtshalber die Hände hoch.
Wenn wir in den Kindergarten zurückkommen, sind die Jacken meistens ausgezogen und um den Bauch gebunden. Die viele Bewegung in der frischen Luft oder die doch hervorgekommene Sonne haben uns warm gemacht, und die fröstelnd wartenden Mütter wundern sich.
Eines Tages kamen wir hinzu, als gefällte Buchen zersägt wurden. Wir haben zugesehen, sind ins Gespräch gekommen, und die Waldarbeiter schenkten uns frische, duftende Buchenscheite. Jedes Kind hat sein Scheit hingebungsvoll bis zum Bus geschleppt. Zuhause im Kindergarten hatten wir dann gutes Holz fürs Lagerfeuer.
Im Wald gibt es immer was zu sammeln und zu schleppen, Stöcke, Steine, Eicheln. Blätter, Blumen, Federn kann man in die Haare oder in ein um den Kopf gebundenes Tuch stecken. Manches Jahr ist reich an Bucheckern – die werden meistens gleich aufgegessen. Die Kinder haben beide Hände frei, sie nehmen keine Täschchen oder Rucksäckchen mit in den Wald, es würde sie nur behindern.

Dinge, die wir mitnehmen…

Wir sind drei bis fünf Stunden unterwegs. Was wir in dieser Zeit brauchen, passt in zwei Tagesrucksäcke: Mineralwasser, stapelbare Plastikbecher mit Namen, Butterbrote, Taschentücher, eine Blechdose mit Pflaster, Schere, Pinzette für Splitter, ein Baumwolltuch und zwei bis drei Garnituren Wäsche und Strümpfe für Wasser- und Matsch-Notfälle. Die passieren immer wieder, wenn Kinder selbstvergessen spielen. Wir hatten mal drei Jahre lang ein Kind, das in jede Pfütze fiel. Es wurde von Pfützen unwiderstehlich angezogen, und das Ende war oft ein Schlammbad. Als es wieder mal passierte, war die Ersatzwäsche schon aufgebraucht. Rundum eingematscht und überhaupt nicht erschrocken trabte es Richtung Bus. Damals hat uns ein großer Müllsack entscheidend weitergeholfen. Vor den besorgten Augen des Busfahrers stieg das Kind samt Gummistiefeln in den Sack, guckte oben fröhlich raus und durfte bei einer Erzieherin auf dem Schoß sitzen, damit auch ja nichts an die Sitze kommen konnte. Busfahrer haben freundlicherweise aber auch schon kleine und große Äste transportiert, wenn die Kinder sie unbedingt mitnehmen wollten.

Bei trockenem Wetter nehmen wir unser Mittagessen mit in den Wald. Das schleppen wir nicht mit – ohnehin fährt aus Sicherheitsgründen immer eine Erzieherin mit ihrem Auto bis an den Waldrand – falls mal was passieren sollte und wir schnell zum nächsten Telefon wollen. (Achtung: Handys gab es nocht nicht!!!)

Wenn wir nach ein paar Stunden aus dem Wald zurückkommen, sind Kinder wie Erwachsene total müde. Auch sonst sind wir viel draußen, aber die Waldluft schafft uns immer wieder und wir haben das gute Gefühl, einen gesunden Tag verbracht zu haben.

… und Dinge, die wir uns holen

Aber unser Wald gibt uns viel mehr als nur frische Luft. Er schenkt uns Abenteuer, vielfältige Bewegungsmöglichkeiten, Ausdauer im Laufen, Abstand von der alltäglichen Verwöhnung, hautnah Natur erleben, alles anfassen dürfen, natürliche Stille spüren, Weite und Ruhe sowie Spaß und Reize für alle Sinne.
Wir Erzieherinnen hoffen, dass unsere Kinder den Wald so lieben lernen, dass sie ihn später schützen wollen. Denn krank ist er auch schon, unser Wald.
Wir sind kein Waldkindergarten, und wir wollen auch keiner sein – aber unsere regelmäßigen Ausflüge in den Wald möchten wir nicht missen.
Erstveröffentlichung: in Kita aktuell NRW, 4/97.

Und da waren die Geschenke hin

von Hanna Vock

  

Im Dezember hatten alle Kinder getöpfert. Es waren kleine Schalen und Untersetzer entstanden, aber auch Skulpturen – manches waren wirklich kleine Kunstwerke. Es waren die Geschenke, die die Kinder den Eltern bei der Weihnachtsfeier überreichen wollten.

Zum Trocknen standen sie im Nebenraum auf der sehr breiten Fensterbank. Wir hatten darüber gesprochen, dass nun die Fensterbank „tabu“ war, dass man dort nun nicht sitzen und klettern und spielen konnte, sondern vorsichtig sein sollte, um nichts zu zerstören.

Und dann gab es eines Tages ein großes Scheppern.
Ein sechsjähriger Junge, nennen wir ihn Frieder, der mit seiner Mutter einen größeren Streit hatte, war auch noch mit einem guten Freund im Kindergarten in Streit geraten. Er rannte aus dem Gruppenraum und fegte im Nebenraum mit ein paar großen wütenden Armbewegungen alles Getöpferte von der Fensterbank. Der Zivi hatte es durch die Küchendurchreiche gesehen, konnte aber nichts mehr retten.

Alle Geschenke waren hin.
Die Kinder kamen gelaufen und standen bestürzt vor dem Scherbenhaufen. Frieder wurde eigentlich von vielen Kleineren bewundert. Aber jetzt wollten wir ihm den Gruppendruck nicht ersparen. Ich nahm Frieder beiseite und fragte ihn, warum er das gemacht hat. Er setzte sein trotzigstes Gesicht auf und sagte: „Darum!“ Auf die Frage: „Ist Dir klar, dass jetzt alle Geschenke für die Eltern kaputt sind?“ gab er zur Antwort: „Mir doch egal.“ – „Tut es Dir denn Leid, dass Dir das passiert ist?“ Keine Antwort, aber Verlegenheit.

Natürlich wusste Frieder, was er da angerichtet hatte, er ist ein kluger Junge. Und mir war ziemlich klar, dass er es schon bereute. Aber es ging ja hier nicht nur um ihn und mich, sondern auch um die Gruppe, um alle anderen Kinder.

Nach kurzer Absprache im Team wurde eine Teppichversammlung einberufen. Alle saßen im Kreis, Frieder mit gesenktem Kopf dazwischen. Die anderen Kinder waren sehr ruhig, nur ein paar böse Blicke der älteren Mädchen flogen zu Frieder.

Wir forderten die Kinder auf und ermutigten sie, der Reihe nach zu sagen, wie sie das finden, was Frieder gemacht hat, und ihm dabei ins Gesicht zu sehen.

„Ich finde das doof“. „Ich finde das ganz gemein von Frieder“. „Er muss das alles wieder heile machen.“ (Frieder wusste, dass das nicht gehen würde…) „Ich spiele nie wieder mit Dir.“ Das waren die häufigsten Aussagen, die von anderen wiederholt wurden, immer mit Nachdruck und Betonung und Blick auf den Übeltäter.

 

Natürlich verbietet sich ein solches Vorgehen bei unter Fünfjährigen und bei Kindern, die in der Gruppe neu oder noch unerfahren sind.

Es war nicht leicht auszuhalten für Frieder.
Zunächst ließ er sich nichts anmerken. Als ihm aber auch ein paar Dreijährige ganz ruhig und ernsthaft ins Gesicht gesagt hatten, dass sie auf ihn böse sind, und ein älteres Mädchen spontan sogar einen Strafvorschlag brachte: „Zur Strafe darf er nicht bei der Weihnachtsfeier mitmachen“, da fing Frieder an zu weinen. Er hatte gemerkt, dass er außerhalb der Gemeinschaft gelandet war, und das tat weh.

Nun brauchte er also Schutz von den Erzieherinnen: Ich setzte mich hinter ihn, umarmte ihn (er lehnte sich an) und sagte: „Nein, so eine Strafe gibt es nicht. Natürlich feiert  Frieder mit uns. Aber auch die letzten Kinder, die noch nicht dran waren, sollen noch etwas zu Frieder sagen.“

Der Ton der letzten Kinder war versöhnlicher, sie hatten ja Frieders Betroffenheit vor Augen: „Ich finde auch doof, dass Du das gemacht hast. Was können wir denn nun den Eltern schenken?“  Und die letzten Äußerungen wandten sich nun stärker dieser Frage zu. Aber ihr Missfallen brachten auch die gutmütigsten Kinder noch zum Ausdruck.

Ich fragte Frieder, ob es ihm denn nun Leid tue, dass er die Geschenke kaputt gemacht hat, und er nickte schluchzend. Die Kinder nahmen dies offensichtlich als Entschuldigung an, die Blicke wurden freundlicher.

Zum Schluss griffen wir noch einmal die Äußerung auf: „Ich spiele nie wieder mit Dir.“
Das sei doch eine vielleicht übereilte Aussage – nur weil man mal einen Fehler macht, will man ja nicht gleich seine Freunde verlieren. Wenn der Ärger und die Wut verraucht sind, könnte man ja vielleicht doch wieder gut miteinander spielen? Das gab den Kindern zu denken.

Zum Schluss sagten wir den Kindern, dass wir versuchen würden, noch mal Ton zu besorgen, und dass dann alle noch einmal etwas töpfern könnten.

Mit Frieder redete ich im Anschluss noch einmal in Ruhe unter vier Augen, um zu sehen, wie er den Gruppendruck empfunden hat. Er war noch emotional erschüttert, meinte aber, er würde ja verstehen, dass die anderen auf ihn sauer sind. Am liebsten würde er morgen gar nicht kommen.
Ich sagte ihm, dass er sich da nicht so viel Sorgen machen sollte, weil die Kinder ja gemerkt hätten, dass es ihm Leid tut. Ich würde ihm aber raten, nicht mitzutöpfern und es auszuhalten, dass er dann kein getöpfertes Geschenk für seine Eltern hätte. (Er war ein künstlerisch begabtes Kind und malte ein sehr schönes Bild für seine Eltern. Als sie ihn fragten, warum er etwas anderes hätte, da sagte er ihnen schweren Herzens: „Ich habe den anderen Kindern die Geschenke kaputt gemacht, und da konnte ich nicht nochmal töpfern.“)

Wir hatten den Eltern natürlich direkt telefonisch von dem Vorfall berichtet, damit sie über Frieders Stimmung nicht im Dunkeln tappen mussten, und sie gebeten, zuhause nur darauf einzugehen, wenn Frieder selbst es ansprechen würde. Denn es war eine Angelegenheit der Gruppe, die intern geregelt wurde. Diese Eltern kannten unsere Grundsätze schon und hielten sich auch daran.

Am nächsten Morgen hörte ich, wie Frieders bester Freund kumpelmäßig zu ihm sagte: „Das war echt Scheiße von Dir. Ich war noch den ganzen Tag sauer auf Dich.“ Dann gingen sie einträchtig spielen. Die anderen Kinder begegneten Frieder normal. Nur beim Töpfern kam das Thema wieder auf. Aber da hielt sich Frieder klugerweise raus.

Der Vorfall geschah drei Tage vor der Weihnachtsfeier, es wurde etwas stressig, das Plätzchenbacken fiel aus, so dass es nur gekaufte Kekse zur Weihnachtsfeier gab.

Aber die Kinder konnten lernen, dass man weder ungeschorener Täter noch sprachloses Opfer sein muss, wenn eine Gruppe gut funktioniert und zusammenhält.

Datum der Veröffentlichung: Dezember 2012
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

Der Zivi wollte zu viel Eis

von Hanna Vock

 

Mit den Vorschulkindern waren wir des Öfteren in der Stadt unterwegs. Auf dem Rückweg kamen wir an einer Eisdiele vorbei.
Weil es bei unseren Ausflügen und Erkundungsgängen immer viel zu entdecken gab, kamen wir oft nicht pünktlich zum Mittagessen zurück und wurden unterwegs hungrig.

Also hatte es sich eingebürgert (und die Kinder sahen es irgendwann als Gewohnheitsrecht an), dass wir Eis essen gingen, zum Spaß und um den größten Hunger zu dämpfen.

Damit wir uns nicht mit ellenlangen Diskussionen, Verhandlungen oder gar Quengeleien aufhalten mussten, gab es auch hierzu eine Regel: Ein Kind – eine Kugel, ein Erwachsener zwei Kugeln. Die zwei Kugeln gestanden uns die Kinder zu, „weil Erwachsene ja größere Körper haben“. Etliche Kinder erzählten, dass sie von ihren Eltern drei, vier oder fünf Eiskugeln bekamen. Das hatte aber nichts mit unseren Kindergarten-Gepflogenheiten zu tun. Der Vorteil einer Kugel war auch: Die Kinder überlegten sich schon lange vorher, welche Sorte sie haben wollten.
Wir hatten immer ein sehr entspanntes, fröhliches Eisessen und dann auch noch genug Appetit für das aufgewärmte Mittagessen.

Einer unserer Zivis glaubte aber, dass er sich über diese Regel hinwegsetzen könnte und kaufte sich von seinem Geld noch drei Kugeln dazu. Fünf Kugeln! Das akzeptierten unsere selbstbewussten und auf Fairness bedachten Kinder nicht und verlangten von ihm, drei Kugeln in den Abfallkorb zu tun. Sie setzten ihm so lange gemeinschaftlich zu, bis er es machte. Von da an wusste er Bescheid.
Mir hat er zwar tagelang nicht verziehen, dass ich mich nicht auf seine Seite geschlagen hatte, aber am Ende eingesehen hat er es doch.

Vor allem hatten die Kinder ihre gemeinschaftliche Kraft gespürt und die Regel erfolgreich verteidigt, die sich auch ihrem Empfinden nach bewährt hatte.

Das alles hat nichts mit einem Hang zur Askese zu tun (außerhalb der Gruppe esse ich auch gerne und oft drei bis fünf Kugeln) – die Regel ist einfach vernünftig und wichtig für den Frieden in der Gruppe.

 

Datum der Veröffentlichung: Dezember 2012
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.