Die Zahlendetektive messen

 von Heike Brandt

 

Im voran gegangenen Projekt der Zahlendetektive (siehe Projekt Zahlendetektive ) entdeckte ein Mädchen die Zahlen auf einem Lineal. Dies gab den Impuls für die Fortführung des Projektes in Richtung Messungen. Es sollte also jetzt um verschiedene Möglichkeiten des Messens gehen. Der Inhalt soll von den Kindern mitgestaltet werden, wodurch eine genaue Vorplanung nicht möglich ist.

Bei der Gründung der Zahlendetektive war Carls Integration (alle Namen wurden verändert) in die Kleingruppe war ein Ziel; er war damals 4;2 Jahre alt. Die Integration war bisher ein fortlaufender Prozess, der durch intensive Beobachtung und Impulsgebung gekennzeichnet war. Jetzt soll Carls Einbindung in die Kleingruppe weiterhin einen Schwerpunkt bilden. Er ist inzwischen 4 Jahre und 8 Monate alt.

…kurz gefasst…

Eine bereits gefestigte und miteinander erfahrene Kleingruppe, die sich intensiv mit Zahlen befasst hatte, wendet sich jetzt neuen Möglichkeiten zu: dem Messen von Längen, Temperaturen und Zeit.

Gleichzeitig wird verfolgt, ob und wie sich ein vierjähriger Junge in die Gruppe integriert.

Einstieg ins Projekt

Fabian (4;11) unterhielt sich während des Mittagessens mit mir über die Olympiade. So kamen wir auf das Turmspringen zu sprechen. Fabian erzählte, dass sein Vater vom 10m-Turm gesprungen sei. Er schloss die Frage an: „Wie groß sind denn 10 Meter?“

Ich schlug ihm vor, diese Frage im Kreis der Zahlendetektive zu stellen. Er war begeistert.

Messung von 10 Metern

Fabian brachte seine Frage mit meiner Unterstützung in den Kreis der Detektive ein, die erwartungsvoll zusammengekommen waren.

Nachdem die Teilnehmer ihre unterschiedlichen Vorstellungen von 10 Metern dargestellt hatten, gab ich den Impuls des Messens in die Runde. Die von den Kindern genannten Hilfsmittel, wie „Messband“ und „Messstab“ wurden danach im Kindergarten gesucht und gefunden. Mit unserem Zollstock konnte nur ein Meter abgemessen werden. Die Detektive brachten dann von zu Hause noch andere Messgeräte mit.

Nun wollten die Kinder die Strecke von 10 Metern mit einem 20 m-Maßband abmessen.

Schnell war festgestellt, dass der Turnraum für diese Messung zu klein war. Daraufhin kamen die Kinder auf die Idee, die Messung vom unteren Flur über das Treppenhaus bis einige Meter hinauf in den oberen Flur durchzuführen.

Nachdem ich den Verlauf des Maßbandes betrachtet hatte, brachte ich die Frage ein, ob Fabians Vater um die Ecke gesprungen sei. Danach stellte ich die Frage, ob die Kinder Lust hätten einen 10m-Turm zu bauen.

Bau eines 10m-Turmes

Ja, sie hatten. Nun folgte die Baumaterialüberlegung. Die Detektive machten drei Vorschläge: Legosteine, Pappe und Holz. Diese ließ ich ohne Bewertung stehen. Da nur Pappe in ausreichender Menge im Kindergarten vorhanden war, begannen wir mit diesem Material. Auch die Befürworter von Holz und Legosteinen schlossen sich an.

Die Kinder verglichen die Maßeinheiten auf dem Zollstock und dem Maßband und überlegten, wie man mit einem Meter-Zollstock 10 Meter abmessen könne und kamen zu einer richtigen Lösung.

Beim Bau des Turmes aus Kartons wurden Einzelteile gemessen, aufeinander gesetzt und erneut vermessen.

Schätzungen, wie hoch der Turm im Vergleich zum Gruppenraum oder zur Gebäudehöhe war, wurden ausgetauscht. Gemeinsam wurden Einzelteile mit Kordel befestigt und verklebt. Es wurden Ideen entwickelt, wie der Turm durch eine Tür begehbar werden könnte.

 

 

Als der Turm fast die Gruppenraumdecke erreichte, überlegten die Detektive, wo der Turm weitergebaut werden könnte. Sie maßen die Breite der Tür zum Außengelände und erkannten, dass der Turm durch die Tür liegend heraus getragen werden konnte.

 

 

 

 

 

 

Zum Schutz vor Regen wurde der Turm über Nacht in der Pyramide (einem großen Schuppen auf unserem Außengelände) gelagert; deshalb konnten die Kartons nicht alle verbunden werden, sondern es wurden drei große Teilstücke erstellt. Diese wurden vermessen, damit durch Addition dann die Turmgröße ermittelt werden konnte.

Die Kinder verbanden die ersten beiden liegenden Teilstücke miteinander und versuchten sie aufzustellen. Das endete mit einem Zusammenbruch des Turms, und es wurde neu überlegt. Wir entschlossen uns, die Teile im Stand aufeinander zu setzen und dann erst zu verbinden. Doch auch mit der neuen Strategie konnten nur zwei Teilstücke aufeinander gestellt werden.

 

 

 

 

 

Die Größe des stehenden Turmes wurde anhand des noch am Boden liegenden Teilstückes von 2,80 m (10 m – 2,80 m = 7,20 m) errechnet, da keine Möglichkeit bestand, den stehenden Turm auszumessen. Zum Abschluss wurde der Turm nochmals auf dem Boden zusammengesetzt und vermessen.

Turmbau im Freispiel

Einige Detektive bauten, durch den Bau des Pappkarton-Turmes angeregt, verstärkt Türme mit Holzbausteinen auf dem Bauteppich, die jedoch statisch bedingt umfielen. Durch einen breiten Turmfuß und das Bauen gegen die Wand, wurde ein Turm von 1,90 m gemeinsam erstellt. Er wurde durch Absperrungen und ein Verbotsschild „Eintritt verboten“ einige Tage vor Zerstörung geschützt.

Besichtigung eines 10 m-Sprungturmes

Der Vorschlag, einen aufrecht stehenden 10 m-Turm zu besichtigen, wurde mit Begeisterung aufgenommen. Gemeinsame Überlegungen und Taten folgten, um ein Schwimmbad zu ermitteln, welches über einen 10 m-Turm verfügt. Der Turm der „Schwimmoper“ in Wuppertal schien für unser Projekt geeignet.

Da der Sprungturm nun aber wegen Baufälligkeit nicht mehr betreten werden durfte, war eine Messung nicht möglich. Nach dem erstaunten Betrachten des Turms, stellten die Detektive noch Fragen an die Bademeister und bekamen bereitwillig Antworten sowie eine Demonstration der Beckentiefe.

Fragen der Detektive:

„Welche verschiedenen Sprunghöhen hat der Turm?“

„Warum werden Sprungbretter hochgestellt?“

„Warum ist das Wasser im Sprungbecken so tief?“

Reflektion

Während der programmfreien Zeit in unserer Kita (Anfang Juni bis Mitte August) beschäftigten sich einige Detektive weiterhin mit Zahlen. Fabian behielt sein Interesse für das Rechnen bei und wandte dies zum Beispiel bei der Auszählung des Ligretto-Spiels an und forderte außerdem den Praktikanten des Öfteren auf, mit ihm zu rechnen. Auch seine Eltern konnten davon bTimhten, dass er zu Hause rechnen wollte. Bei Jean (4;1) war dies auch der Fall. Er ging freudig darauf ein, wenn seine Schwester mit ihm rechnete. Begeistert erzählte er mir, welche Zahlen er jetzt schon alleine schreiben könne.

Der Wiedereinstieg in ein weiteres Projekt der Zahlendetektive wurde von Allen mit Freude aufgenommen.

Früh zeichnete sich ab, dass Fabian nach dem Ausstieg der Schulkinder die Führung der Gruppe übernahm. Seine Ideen, wie zum Beispiel die Einplanung und den Einbau einer Turmtür mit Eingriffsloch, wurden begeistert aufgenommen.

Ich begleitete das Projekt, indem ich Impulse gab, wenn die Detektive Anregungen brauchten. Ich ließ sie ansonsten weitgehend selbstständig ausprobieren, etwa beim Transport des Turmes durch die Türe. Aus diesem Grunde nahm der Turmbau auch einen großen Zeitraum in Anspruch. Dabei zeigte sich, dass zum Beispiel Jean und Astrid (5;1) ausdauernd bei der Sache waren, während andere Detektive zunehmend das Interesse am Turmbau verloren und sich anders beschäftigten.

Durch das ständige Messen der Turmgröße übten sich die Kinder im Umgang mit Maßband und Zollstock. Sie begannen Höhen abzuschätzen, wie zum Beispiel: „Der Turm wird höher als der Kindergarten“ oder „Der Kindergarten ist drei Meter hoch“. Während des Messens fiel auf, dass vor allem Astrid und Fabian die Maße sicher ablesen konnten.

 

Und was ist mit dem kleinen Carl?

Ein wichtiger gruppendynamischer Wendepunkt zeichnete sich ab, als einige Kinder nach der Turmbauaktion Türme auf dem Bauteppich mit Holzbausteinen nachbauten. Zuerst fielen diese mangels ausreichender Statik um, was zu Beginn Spaß machte. Zunehmend rief dieser Zustand auch Ärger hervor, bis Georg die gute Idee hatte, den Sockel des Turms zu verstärken und den Turm gegen die Wand zu bauen. Die Kinder bauten nach Anfragen bei Georg nun an seinem Turm weiter und freuten sich gemeinsam über die wachsende Höhe. Georg, der große Schwierigkeiten hatte Zahlen zu benennen und zu schreiben, bekam so große Anerkennung von allen Beteiligten.

Zum Schutz des Turmes sollte ein Schild mit der Aufschrift „Eintritt verboten“ angefertigt werden. Die Erbauer fragten mich, und ich verwies sie an Carl, der die Buchstaben schon gut schreiben konnte.

 

 

 

 

 

 

Mit meiner Hilfe schrieb Carl das Verbotsschild und wurde so in die Gemeinschaft aufgenommen.

 

Auch sein Interesse am Projekt wurde dadurch neu geweckt. Er wiederholte seine geschriebenen Worte oft mündlich und sprang mit einem Lachen um den Turm herum und wollte sogar neben ihm fotografiert werden. Fotografiert werden mag er sonst nicht gern.

Carl rief: „Ich bin der Meister des Turms.“

Fabian entgegnete: „Du hast ja gar nicht mitgebaut.“

Daraufhin zeigte ich den Detektiven auf, dass nur durch die Fähigkeiten von allen Detektiven der Turm gebaut und abgesichert wurde. Fabian antwortete: „Ja gut.“ und Georg rief daraufhin: „Wir sind alle die Meister des Turms.“ Dieser Sprechgesang wurde von Carl aufgenommen.

Der Ansatz, die Fähigkeiten der einzelnen Kinder aufzuzeigen, kam bei den verschiedenen Aktionen immer wieder zum Einsatz, zum Beispiel auch beim Heraussuchen und Schreiben der Telefonnummern des Schwimmbads.

An weiteren Sicherungsaktionen, wie der Absperrung und der Messung des Turms, beteiligte sich Carl und blieb 30 Minuten bis zum Ende der Aktion im Kleingruppengeschehen. Zuvor konnte ich sein Interesse für das Projekt immer nur für kurze Zeit wach halten. Früher zog er sich aus der Gruppe heraus und distanzierte sich, wie zum Beispiel beim Bau des großen Karton-Turmes und beim Ausflug in die Schwimmhalle.

Einrichtung eines Messbüros

Ein Schuhhaus führte in unserer Kita Fußmessungen durch; anschließend gab ich die Anregung in die Gruppe der Zahlendetektive, ein Messbüro einzurichten.

Gemeinsam wurden Ideen entwickelt, wie und was man bei Kindern messen könnte: Kopfumfang, Hand- und Fußgröße, Körpergröße und Gewicht. Jeder Detektiv übernahm eine Messung.

Die gemessenen Daten wurden in einen selbst gebastelten Ausweis eingetragen, der mit einem Foto des Detektivs versehen war.

Zuerst wurden die Messungen unter den Detektiven durchgeführt, danach wurden Eltern, Erzieherinnen und Kinder aus verschiedenen Gruppen vermessen.

Bei der Errichtung des Messbüros hob ich wiederum die Fähigkeiten aller Beteiligten hervor: Schreiben von Wörtern und Zahlen, Ablesen von Maßen, Ausdauer und Verlässlichkeit, Ideengeber. Ich war darauf bedacht, dass jeder seine Ideen einbringen konnte und diese anerkannt wurden. Mir war auch wichtig, dass jedes Kind eine Messung durchführen konnte.

Für diese Aktion brachten die Detektive nochmals Messgeräte von zu Hause mit. Georg, der von mir als Ideengeber tituliert wurde, sagte stolz: „Ich bringe Ideen mit, ich bringe Schlaukopf mit.“

Am Anfang waren alle Detektive mit Hochspannung damit beschäftigt, sich selbst zu vermessen. Im Laufe der Zeit vermischten sich die Einzelaktionen und waren geprägt von gegenseitiger Unterstützung und Neugier. Die Messungen beschränkten sich nicht nur auf die Kinder der eigenen Gruppe, sondern dehnten sich auch auf Erzieherinnen, Eltern und Kinder anderer Gruppen aus. Während dieser Aktion waren alle fünf Detektive (Carl, Fabian, Astrid, Georg und Jean) in den Gruppenprozess involviert.

Reflektion

Dass das Projekt der Zahlendetektive einen so positiven sozialen Abschluss gefunden hat, hätte ich über längere Zeit nicht gedacht. Bis zur Aktion des Turmbaus auf dem Bauteppich überlegte ich immer wieder, wie ich Carl, der sich selbst ständig aus der Gruppe ausschloss, in diese integrieren könnte. Er zeigte zwar Interesse an Aktionen, wenn ich ihn danach fragte, zog sich jedoch nach wenigen Minuten von jeder Aktion zurück und verließ die Gruppe.

Wenn ich ihm bei Aktionen meine ganze Aufmerksamkeit widmete, konnte ich ihn für einige Zeit bei der Aktion halten. Dies war jedoch nicht immer möglich und ist für ein Gruppenprojekt unangemessen.

Das Projekt hat mich selbst gefordert, wie zum Beispiel beim Turmbau. Besondere Freude empfand ich, als Georg und Carl die Anerkennung der Gruppe erfuhren.

In diesem über fünf Wochen dauernden Projekt fühlte ich mich jedoch sehr zerrissen. Auf der einen Seite standen die Bedürfnisse der Zahlendetektive und auf der anderen Seite die der anderen Kinder meiner Gruppe. Besonders schwierig war dies, weil seit dem Sommer sieben neue, junge Kinder ins Gruppenleben integriert werden mussten.

In solchen Situationen träume ich von einer generell besseren Personalsituation in den deutschen Kitas.

Carls Entwicklung

Carl beherrscht inzwischen das Schreiben von Wörtern, wenn diese buchstabiert werden oder wenn man sie ihm langsam vorliest, zum Beispiel T – TU – TUR – TURM. Seine Fähigkeit, gedruckte Kleinbuchstaben in Großbuchstaben zu übertragen, ist aus meiner Sicht bemerkenswert. Als Carl die Telefonnummern und das Stichwort Freibad aus dem Telefonbuch herausschrieb, fiel mir diese Fähigkeit auf. Sein Interesse an Buchstaben ist allgegenwärtig. Er legte zum Beispiel nach dem Mittagessen mit Zahnstochern Wörter, indem er Buchstaben auf einzelnen Tellern legte und diese dann zusammen schob. Mein Vorlesen bereitete ihm große Freude. Er selbst las jedoch nicht.

Gute Einfälle und den Einsatz seiner Fähigkeit lobte ich bewusst deutlich, um ihm zu zeigen, dass diese wertvoll sind und er sie nicht zu verstecken braucht. Gute Überlegungen meinerseits lobte er ebenfalls mit den Worten: „Gute Idee, Heike.“ Dabei tauschten wir ein Lächeln aus.

Seit ich die Detektive auf Carls Fähigkeiten aufmerksam gemacht hatte und diese von der Kleingruppe angenommen wurden, änderte sich Carls Verhalten grundlegend. Er suchte Kontakt zur Gruppe und fragte zum Beispiel im Messbüro:

„Wer will sich messen lassen?“

Er bezog andere Kinder in sein Spiel im Messbüro ein.

Nachdem ich ihm im Projektverlauf mehrmals die Anregung gegeben hatte, seine Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen (ob er zum Beispiel Georg beim Notieren der Messdaten helfen könne, da dieser dabei Schwierigkeiten habe), sah er danach selbst, wo er sich ins Gruppengeschehen einbringen konnte. Bereitwillig und mit Eifer und Stolz führte er Dienste für die Gruppe aus und deckte zum Beispiel den Mittagstisch.

Seine neue Freude drückte er unter anderem aus, indem er mich an einem Morgen mit einer herzlichen Umarmung begrüßte.

Diese sichtbare Veränderung ist natürlich nicht allein dem Projekt der Zahlendetektive zuzuschreiben, sondern auch unser übrigen pädagogischen Alltagsarbeit, zum Beispiel mit Grenzsetzungen, die er manchmal herausfordert.

Fabian

Nachdem die Kinder, an denen sich Fabian im letzten Kindergartenjahr orientiert hatte, jetzt die Schule besuchten, führte er die Gruppe der Zahlendetektive an. Er duldete keine Konkurrenz. Vielleicht aus diesem Grunde lehnte er zunächst Carl mit seinen Fähigkeiten ab. Er wollte zum Beispiel nicht, dass Carl die Leiter für seine Messung trug und dass er sich als der Meister des Turms bezeichnete.

Die Fähigkeiten des leserlichen Schreibens von Buchstaben, die Carl beherrscht, trieb Fabian an, ebenfalls seine Schreibfähigkeit zu trainieren – und sogar noch mehr zu können.

„Ich kann Spiegelschrift und Schreibschrift.“

Seine Eltern bestätigten, dass Fabian zu Hause die Schreibschrift üben wollte.

Seine Fähigkeiten im Bereich der Zahlen sind meines Erachtens bemerkenswert. Er konnte bei den Messungen Zentimeter in Meter umrechnen. Auf meine Frage, wie man mit einem ein Meter langen Zollstock zehn Meter abmessen könne, antwortete er:

„Zehnmal messen.“

Daran anknüpfend, versuchte ich sein Interesse an Addition oder Subtraktion zu wecken, als wir zum Beispiel die Turmhöhe errechneten. Diese Herausforderung war jedoch noch zu hoch.

Zum Abschluss der Messungen der Körpergröße erzählte ich ihm, dass man auch anhand der Zahlen sehen könne, wer der Größte in der Gruppe sei, ohne auf die von ihm erstellte Messlatte zu sehen. Er war interessiert, und ich schrieb die Größen 116 cm und 103 cm auf. Fabian erkannte sofort die größere Zahl. Ich zeigte ihm das Symbol >, das ohne weitere Erklärung die Größenverhältnisse aufzeigt. Bei einem zweiten Beispiel (114 cm und 109 cm) ließ ich mir von ihm erklären, woran er die größere Zahl erkannt hatte. Er zeigte auf die Zehnerstelle und sagte:

„Weil hier eine Eins ist und bei der anderen Zahl eine Null.“

Vor der Nutzung des Symbols > zögerte er, und ich erklärte ihm anhand eines hungrigen Vogels, der immer den größeren Futternapf bevorzugt und dort den Schnabel aufreißt, nochmals den Einsatz des Zeichens. Daraufhin nickte Fabian, setzte das Symbol richtig ein und beschäftige sich danach anderweitig.

In der folgenden Zeit ergab sich eine Weiterentwicklung des Themas Messungen in einem neuen Projekt:

Temperaturen messen

Der Impuls zur Weiterführung des Projektes in Richtung Messung von Temperaturen wurde durch Fabian gelegt, der ein Thermometer in der Kita fand.

Fabian entdeckte das Thermometer beim Decken des Frühstückstisches im Kühlschrank und fragte mich, wozu es dort läge. Ich erklärte ihm, dass man anhand des Thermometers die Temperatur (Kälte/ Wärme) im Kühlschrank messen könne.

Kennen lernen verschiedener Thermometer

Den Zahlendetektiven erzählte ich von Fabians Entdeckung und stellte anschließend die Frage, wozu man ein Thermometer braucht. Die Detektive wussten, dass damit die Wärme und Kälte gemessen wird. Danach trugen wir unser Wissen über verschiedene Thermometer zusammen.

Die Kinder nannten folgende Arten und ihren Zweck:

– Fieberthermometer – um die Körpertemperatur zu messen und so zu

sehen, ob man krank ist.

– Außenthermometer – damit man nicht „falsch“ gekleidet rausgeht

und dann krank wird.

– Badethermometer – damit das Badewasser für das Baby die richtige

Temperatur hat „und das Baby nicht zu Eis erstarrt“.

– Kühlschrankthermometer – damit es im Kühl- oder Gefrierschrank

nicht zu warm ist oder Lebensmittel

einfrieren.

Umgang mit dem Körperthermometer

Die verschiedenen Thermometer (Außen-, Körper-, Bade- und Kühlschrankthermometer) wurden von den Detektiven verglichen (verschiedene Skalen, digital und mit Flüssigkeiten) und den Einsatzgebieten zugeordnet.

Gemeinsam wurden die Messstellen für die Nutzung des Körperthermometers zusammengetragen: Mund, Po, unter den Muskeln (Achsel).

Die Detektive maßen gegenseitig ihre Temperaturen im Mund und unter der Achsel und schrieben die Messwerte auf. Danach verglichen sie sie mit der Fiebertemperatur und stellten fest: „Keiner ist krank.“

Messen der Badewassertemperatur

Nach dem Betrachten des Badethermometers entschieden sich die Detektive dafür, die Wassertemperatur für Babys sowie ihre eigene Badetemperatur in einer gefüllten Waschschüssel durch das Mischen von heißem mit kaltem Wasser zu erreichen.

 

In einigen Fällen wurde die angezeigte Temperatur des Badethermometers mit der des hinzu genommenen Körperthermometers verglichen. Die Ergebnisse trugen die Detektive in eine von ihnen selbst angefertigte Skizze ein.

Kontrolle der Kühlschranktemperatur

Um die richtige Temperatur für den Kühlschrank zu erfahren, fragte Astrid bei unserer hauswirtschaftlichen Kraft (Expertin) nach. Von ihr erfuhr sie außerdem, dass das Küchenpersonal die Temperatur des Kühl- und Gefrierschrankes täglich kontrollieren muss.

 

Daraufhin legte Astrid für die Temperaturkontrolle des Gruppenkühlschranks eine Tabelle an. Bei der Zubereitung des Mittagessens half sie, die Temperaturen der gekochten Speisen mit Hilfe eines Fleischmessers zu ermitteln.

Nutzung des Außenthermometers

Um das hölzerne Außenthermometer vor Wettereinflüssen zu schützen, wurden zunächst Skizzen angefertigt, nach denen dann ein Schutzkasten gebaut wurde.

Die Detektive überlegten, dass sie anhand von Temperaturen aufzeigen wollten, welche Kleidung für die Wetterlage geeignet wäre, ohne dass die Erwachsenen etwas sagen müssten.

So wurden die Temperaturen vom wettergeschützten Außenthermometer abgelesen, die Wetterlage aufgemalt und durch eine Zeichnung die geeignete Kleidung dargestellt. Einige Detektive schrieben die Namen der Kleidungsstücke auch unter die Zeichnungen. Jeweils zwei Detektive unterstützten sich bei den täglichen Aufzeichnungen.

Den übrigen Kindern der Gruppe wurde das System ausführlich erklärt.

Reflektion

Das Projekt zeichnete sich durch Intensität in den Kleingruppen aus, in denen Ideen ausgetauscht und Beziehungen aufgebaut wurden.

So fand Tim, der Neuzugang aus der Katzengruppe, nach anfänglichem Desinteresse so sehr Spaß daran, sich an dem Projekt zu beteiligen, dass er andere Kinder motivierte („Komm Astrid, Kühlschrank messen.“) Sein Ehrgeiz, zum Beispiel beim Bau des Wetterschutzes für das Außenthermometer („Wenn wir weitermachen, dann staunen die anderen“) und der Ausspruch beim Erreichen der Badewassertemperatur („Wir sind die Bademeister“) zeigten, dass er sich der Gruppe zugehörig fühlte.

Im Projekt wurden verschiedene Fähigkeiten der Detektive angesprochen, vom Experimentieren, Skizzieren, Konstruieren, über das handwerkliche Geschick bis hin zum bildlichen und schriftlichen Dokumentieren. So fand jeder Detektiv sein Gebiet, wo er seine Fähigkeiten einsetzen konnte.

Georg zeigte sich als Konstrukteur, nach dessen Skizze der Wetterschutz für das Außenthermometer gebaut wurde. Seine Ideen beim Bau wurden von den anderen Detektiven in die Tat umgesetzt. Der Ausspruch beim Zusammenschrauben des Wetterschutzes

– „Mein Traum wird wahr. Ich hab davon geträumt“ –

zeigt meiner Meinung nach, wie wichtig ihm das Vorhaben war. Sein handwerkliches und physikalisches Denken zeigte sich auch, als die Detektive die Holzteile nach dem Zuschneiden mit Schmirgelpapier glatt schliffen und bemerkten, dass die Hände warm wurden. Sein Kommentar: „Das kommt durch die Reibung.“

Einige Zahlendetektive zeichneten sich durch Ausdauer und Verlässlichkeit aus. Tim und Klaus, die sich den Detektiven spontan anschlossen, schraubten und strichen an dem Wetterschutz weiter, während sich die anderen Kinder anderen Dingen zuwandten.

Klaus konnte mit großer Begeisterung Interessierten das Projekt und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse näher bringen.

Astrid, die bei dem Gespräch über die Bedeutung des Kühlschrankthermometers darauf hinwies, dass man geschmolzene Lebensmittel nicht mehr essen dürfe, übernahm gewissenhaft die Kontrolle des Gruppenkühlschranks.

Carl, der lange Zeit gefehlt hatte, schaute sichtlich enttäuscht beim Bau des Wetterschutzes zu und sagte: „Ich hab das nicht gebaut, weil ich krank war.“ Beim Austarieren der Wassertemperatur für das Babybadewasser behielt er das Thermometer genau im Auge und gab den anderen Detektiven Anweisungen, ob kaltes oder warmes Wasser zugeführt werden sollte. Seine Fähigkeit, Buchstaben zu schreiben, nahmen die Detektive in Anspruch. Dabei zeigte sich, dass er lieber Wörter schrieb, die ihm buchstabiert wurden, als dass er sie abschrieb.

Fabian führte die Zahlendetektive weiter an und wollte alles alleine durchführen. Die Konkurrenz zu Carl, die weiterhin besteht, zeigte sich zum Beispiel, als Fabian ein „W“ schreiben wollte. Ich machte ihm den Vorschlag, Carl um Hilfe zu bitten. Dieser schrieb es ihm in die Luft. Daraufhin sagte Fabian beim Schreiben des „W“: „Ich konnte das gar nicht sehen. Er hat das ganz schnell gemacht.“

Fabian konnte die Skala eines Thermometers lesen und wusste, dass große Zahlen eine größere Temperatur bedeuten („Ich mach das Wasser ganz heiß, bis 50.“). Er wusste, ob er kaltes oder heißes Wasser zum Erreichen der gewünschten Temperatur hinzufügen musste. Er errechnete mit mir zusammen, mit Hilfe unserer Finger, den Unterschied zwischen der Wassertemperatur für Babys (36 Grad) und der Wassertemperatur (42 Grad), die er erzeugt hatte. Er schaute interessiert zu, zählte mit und nickte zustimmend. Dieses System wandte er später, nach wiederholter Erklärung, beim Kartenspiel an.

Als Fabian mit dem digitalen Thermometer die Körpertemperatur bei einem Kind maß, fragte ich ihn, ob es schon gepiepst hätte. Ich hatte Schwierigkeiten das Geräusch zu hören. Daraufhin entgegnete er: „Das Piepen können wir Kleinen besser hören, weil wir näher dran sind.“

Fabian begann Wörter nicht nur mit Hilfe des Buchstabierens, sondern auch nach eigenem Gehör aufzuschreiben (zum Beispiel Regn, Regnpogn, B Papa.) Er war stolz darauf und erzählte meiner Kollegin, welche Wörter er allein geschrieben hatte.

Dass die Aktionen der Zahlendetektive für Fabian eine Herausforderung darstellten, erkannte ich an seiner Äußerung, an der er aber nicht festhielt: „Ich will kein Zahlendetektiv mehr sein. Es ist so anstrengend, ich schwitz dann immer so.“

Jean konnte Fabian beim Aufschreiben von Wörtern unterstützen, da er einzelne Laute der Wörter heraushörte (wenn auch nicht fehlerfrei) und diese dann weitergab. Jean hatte großes Interesse an Buchstaben und möchte nach Angaben der Mutter zu Hause Wörter buchstabiert bekommen. Zurzeit hat er noch große Schwierigkeiten, die Buchstaben zu schreiben.

Während des Projektes konnte ich beobachten, wie ernsthaft und gewissenhaft die Detektive bei der Sache waren. Zum Beispiel wurden Wassertemperaturen aufs Grad genau austariert und Ungenauigkeiten in Dokumentationen korrigiert.

Durch die Kleingruppen von zwei oder mehr Kindern, entstand ein intensiver Kontakt, der durch gemeinsames Forschen (Experimentieren mit Wasser) und gemeinsames Dokumentieren geprägt war. Die unterschiedlichen Fähigkeiten der Detektive wurden gegenseitig geschätzt und anerkannt und neue Erkenntnisse stolz an die Gruppe weitergegeben.

In der Phase des Experimentierens mit Wasser war ersichtlich, dass Fabian und Carl von Beginn an die Wassertemperatur nach Wunsch regulieren konnten. Georg und Tim dagegen erlangten diese Fähigkeit erst nach einigen Versuchen.

Im Laufe des Projekts konnte ich beobachten, dass sich einige Detektive aus Kleingruppenaktivitäten herauszogen und sich später wieder beteiligten.

Eine Aussage während des Projekts zeigte mir, dass ich mit meiner Zielsetzung, die Kinder zum selbstständigen Tun zu erziehen, auch das Bedürfnis der Kinder ansprach. Als ich mit den Kindern über den Nutzen des Außenthermometers sprach, sagte Georg:

„Dann müssen die Erwachsenen nicht mehr sagen, was wir anziehen müssen. Genauso wie bei der neuen Uhr – da müsst ihr auch nicht mehr sagen, wann wir aufräumen müssen.“

Jean stellte fest: „Ich darf nicht anziehen was ich will, Mama sagt was ich anziehen soll. Ich habe keinen Plan zu Hause“ (bezogen auf unsere bildliche Darstellung von Temperaturen und geeigneter Kleidung.)

Die Zahlendetektive messen die Zeit

Der Impuls zur Weiterarbeit der Zahlendetektive, jetzt zum Thema Zeit, wurde von Carl gelegt, der wütend war, als er nicht mehr genug Zeit für eine Beschäftigung hatte.

Carl bekam einen Wutanfall, als er merkte, dass er durch eine vorangegangene Beschäftigung nicht mehr genug Zeit hatte, um eine von ihm geplante Aktion durchzuführen. Ich schlug ihm vor, von diesem Erlebnis im Kreis der Zahlendetektive zu berichten.

Die Zahlendetektive gehen der Frage nach, wie wichtig es ist, die Uhrzeit ablesen zu können

Mit meiner Hilfe stellte Carl sein Erlebnis dar. Daraus ergab sich die Erkenntnis, dass es wichtig ist, die Uhrzeit ablesen zu können. Die Detektive trugen von sich aus Situationen zusammen, bei denen das Zuspätkommen negative Folgen hat:

  • Wenn man zu spät oder zu früh zum Geschäft kommt, kann man nichts mehr kaufen.
  • Wenn ein Bauarbeiter zu spät zur Arbeit kommt, dann ist er gefeuert. – Dann suchen die einen anderen.
  • Wenn der Bürgermeister zu spät kommt, dann ist er kein Bürgermeister mehr, dann wird ein anderer gewählt.
  • Wenn ich zu spät zu meiner Freundin komme, (die heißt Nicole) dann sagt die: „Ich mag `nen andern.“
  • Wenn ich zu spät nach Hause komme, dann sind meine Eltern sauer. Ich hatte es ja versprochen.
  • Wenn man zu spät zur Schule kommt, dann muss man ganz hinten sitzen.
  • Wenn man zu spät zur Schule kommt, kriegt man schlechte Noten.
  • Wenn man zu spät zur Party kommt, ist die Party aus.

Danach zählten die Detektive verschiedene Uhren auf, die sie kannten:

Taschenuhr, russische Uhr, Armbanduhr, Uhr mit und ohne Zeiger, Kettenuhr, Kompassuhr, Scherzuhr, Wanduhr, Stoppuhr, Uhrspiel und französische Uhr.

Nach der Aufzählung gab Fabian den Gedanken in die Runde, dass eine Uhr auch eingestellt werden muss:

„Vielleicht hat man noch Winterzeit und jetzt ist Sommerzeit und dann kommt man zu spät.“

Vergleichen von verschiedenen Uhren

Die Detektive brachten verschiedene Armbanduhren von zu Hause mit und verglichen sie. Sie erkannten Gemeinsamkeiten (Zeiger, Zahlen), aber auch Unterschiede im Design, in der Anzahl der Zeiger und in den Uhrwerksgeräuschen.

Eine von mir mitgebrachte alte Taschenuhr zog die Aufmerksamkeit auf sich. Georg: „Die habe ich im Fernsehen gesehen, in einem Film von der alten Zeit.“

Fabian entdeckte die römischen Zahlen auf dem Zifferblatt und sagte:

„Da sind nur Striche drauf.“

Ich erklärte, dass dies römische Zahlen sind und wir aber heutzutage arabische Zahlen schreiben. Fabian entgegnete: „Hatten die Römer die?“

Die Zahlendetektive zeigten großes Interesse an der Handhabung der Taschenuhr, zum Beispiel beim Einstellen der Uhrzeit, beim Aufziehen des Uhrwerks und beim Tragen der Uhr.

Ich erzählte, dass es früher die Taschenuhren gab. Diese wurden später von der Armbanduhr verdrängt. Gemeinsam überlegten wir, welche Vorteile die Armbanduhr gegenüber der Taschenuhr hat. Wir veranstalteten einen Wettkampf, um herauszufinden, bei welcher Uhr die Zeit am schnellsten ablesbar ist.

Wir stellten bei mehreren Uhren die gleiche Uhrzeit ein und warteten eine Viertelstunde. Die Detektive entdeckten, dass wieder alle Uhren die gleiche Uhrzeit anzeigten. Die Kinder kamen zu der Erkenntnis, dass wenn alle Uhren die gleiche Zeit anzeigten, alle Menschen Bescheid wüssten und so Verabredungen eingehalten werden könnten. Handgreifliche Auseinandersetzungen, aus zeitlichen Missverständnissen heraus, würden so vermieden.

Gemeinsam überlegten wir, dass durch das Herumspielen an der Krone der Uhr oder durch eine verbrauchte Batterie unterschiedliche Uhrzeiten angezeigt werden können. Jedoch durch die Kirchenglocken, den Anrufbeantworter und die Nachrichten könne man die richtige Uhrzeit erfahren, meinten die Detektive.

Zusammensetzen von Uhr-Bausätzen

Beim Stöbern in unserer Kita fand ich Bausätze für Uhren (von der Firma BELEDUC Lernspielwaren).

Die Detektive setzten die Uhren selbständig mit Hilfe der Bauanleitung, mit gegenseitiger Unterstützung und meinen gelegentlichen Anmerkungen zusammen.

Uhrzeiten ablesen lernen

Anhand der Uhr aus der Gruppe und den Bausatz-Uhren beschäftigen sich die Zahlendetektive mit der vollen und der halben Stunde. Die Kenntnisse einiger Kinder, die schon die Uhrzeit ablesen konnten, flossen in den Lernprozess mit ein. Besonderen Anreiz schaffte das Stellen von Einzelaufgaben, bei denen das Ergebnis der Gruppe vorgestellt wurde.

Uhrzeiten, zu denen bestimmte Aktionen im Tagesverlauf stattfinden

Gemeinsam überlegten die Detektive, welche Aktionen im Kindergarten-Tagesablauf von besonderer Bedeutung seien:

  • Start in der Bärengruppe,
  • Morgenkreis,
  • Frühstückstisch abräumen,
  • Schlusskreis
  • Nachmittagsturngruppe.

Diese Aktionen wurden den entsprechenden Uhrzeiten zugeordnet. Mit Hilfe von Lineal und Zirkel zeichneten die Detektive Uhren auf und malten und schrieben die jeweiligen Aktionen dazu.

Der gesamten Gruppe wurde das Plakat vorgestellt und der ableitbare Nutzen erklärt.

Wettlauf, bei dem gegen die Uhr gelaufen wurde

Aus dem Gedanken heraus, Tätigkeiten mit der Stoppuhr zu messen, entstand die Veranstaltung eines Wettlaufs. Hierbei wurde von den Detektiven von der Festlegung der Start- und Ziellinie, über die Organisation der Zeitmessung und das Festhalten der gelaufenen Zeiten (mit kleinen Impulsen meinerseits) alles selbstständig erarbeitet.

Beschäftigung mit römischen Zahlen

Einige Detektive zeigten großes Interesse an römischen Zahlen. Ich erklärte sie ihnen so, wie mein Lehrer mir das Lesen und Schreiben der römischen Zahlen beigebracht hatte. Besonders großen Spaß hatten die Kinder bei der Veranstaltung eines Quiz, bei dem arabische und römische Zahlen erfragt wurden.

Herstellen einer Kerzenuhr

Nach einer Anleitung aus dem Buch über die Zeit (Näheres zu dem Buch am Ende des Beitrags) bauten einige Detektive auf eigenen Wunsch Kerzenuhren, die in der Gesamtgruppe auf ihre Funktionstüchtigkeit getestet wurden. Hierbei wurde diese Kerzenuhr mit Hilfe einer Stoppuhr geeicht.

Besuch des Uhrenmuseums in Wuppertal

Nachdem wir gemeinsam die Kosten für den Ausflug errechnet hatten, fuhren wir ins Uhrenmuseum (das die Firma Abeler betrieb). Durch die – auf die Detektive abgestimmte – Führung, erfuhren wir unter anderem Interessantes über die ägyptische Auslaufuhr, die Sanduhr und die Zahnraduhr. Einige ausgestellte Uhrentypen waren den Kindern durch Bücher schon bekannt und so ergab sich eine Gesprächsbasis unter Experten.

Konstruieren einer Feueruhr

Drei Detektive konstruierten nach einer leider ungenauen kurzen Beschreibung gemeinsam eine Feueruhr (aus dem oben schon angeführten „Buch von der Zeit“).

Dabei wurde überlegt, welche Materialien verwendet werden sollten und aus welcher Höhe die fallende Perle das lauteste Geräusch erzeugen würde. Außerdem wurde getestet, welcher Resonanzkörper am besten für den Versuch geeignet wäre. Der Funktionstest vor der gesamten Gruppe misslang, da das heiße Wachs den Wollfaden verklebte.

Nach dem Fehlversuch konstruierten Fabian und ich eine Feueruhr, die ein schweres Gewicht hatte. Außerdem verwendeten wir ein Kunststoffband, das sich nicht mit Wachs voll saugen konnte. Dieses Band führten wir über eine stehende Toilettenrolle, damit es nicht durch das heiße Wachs verklebte.

Diese Feueruhr wurde vor der gesamten Gruppe getestet und funktionierte .

Bau einer ägyptischen Auslaufuhr

Fabian baute nach einer Anleitung, die er von zu Hause mitgebracht hatte, eine ägyptische Auslaufuhr. Durch einige Anmerkungen wurde er von mir dabei unterstützt.

Bauanleitung:

In einen 10-Liter-Eimer wird an einer Stelle an der Innenseite des Eimers ein Stück Tesakrepp geklebt, und zwar vom Rand bis zum Boden. Hier soll später die Skala angezeichnet werden.

In die Seitenwand des Eimers wird ziemlich weit unten ein kleines Loch gepiekst, durch das Wasser auslaufen kann. Achtung, zuerst nur ein kleines Loch bohren, vergrößern kann man es immer noch, wenn nötig. Der Eimer wird auf einen kleinen Tisch gestellt. Daneben auf den Boden kommt ein gleich großer Eimer, in den das Wasser hinein fließen kann. Nun den oberen Eimer mit Wasser füllen und beobachten, wie schnell das Wasser ausfließt. Jeweils nach einer bestimmten, mit einer anderen Uhr gemessenen Zeitspanne einen Strich auf das Kreppband malen.

Wenn man den Eimer nun wieder neu füllt, kann man am Kreppband ablesen, wie viel Zeit vergangen ist.

Siehe auch: Projekt Zeit .

Reflektion

In der Anfangsphase des Projektes war eine uneingeschränkte Intensität und Begeisterungsfähigkeit zu spüren. Die Detektive fragten nach jeder Einheit nach, wann die nächste stattfinden würde.

Bei der Veranstaltung des Wettlaufes gegen die Stoppuhr fiel mir auf, dass die Interessen auseinander gingen. So entschloss ich mich, bei der weiteren Planung den Detektiven die Möglichkeit zu geben, sich für Aktionen je nach Interesse eintragen zu können (was sie mit Stolz taten). Ich erklärte, dass ich diese Entscheidungen ernst nahm und nur die Kinder, die sich eingetragen hatten, auch an den Aktionen teilnehmen würden.

Die Detektive überprüften durch Nachfragen meine Aussage auf ihre Gültigkeit. Wenn ich diese bestätigte, lächelten sie. Andererseits hatte dies auch Gültigkeit für die Kinder. Fabian, zum Beispiel, beobachtete nachdenklich die Tauglichkeitsprüfung der Kerzenuhr (bei der er nicht mitgewirkt hatte) und sagte zu mir:

„Ich habe mich ja nicht eingetragen.“

Der Vorteil dieses Systems war, dass auch nur die Detektive, die wirklich Interesse hatten, an der Einheit teilnahmen und nicht später aus Desinteresse die Gruppe verließen. Die Atmosphäre in diesen Teilgruppen war geprägt von großer Einsatzbereitschaft, Freude und Intensität.
Dies fiel mir bei der Aktion des Schreibens von römischen Zahlen besonders auf. Astrid, Jean, Fabian und Klaus hatten großen Spaß daran, das System der römischen Zahlen zu erkunden, und bejubelten meinen Vorschlag, ein Quiz zu veranstalten.

Dazu schrieb ich arabische und römische Zahlen auf, und die „Kandidaten“ sollten das Ergebnis in der jeweils anderen Schreibweise niederschreiben.

Obwohl die Kinder auch auf individuellen Einzelaufgaben bestanden, war keine Konkurrenz zu spüren. Sie waren stolz, wenn sie ihre Aufgabe gelöst hatten. Astrid sagte:

„Ich habe die Sieben gewusst, ohne (aufs Arbeitsblatt) zu gucken.“

Für die letzte Gemeinschaftsaufgabe schrieb ich die Zahl 13 auf, obwohl wir die römischen Zahlen nur bis zur 10 aufgeschrieben hatten. Astrid und Jean lösten gemeinsam diese Aufgabe, wobei Jean die Zahl erkannte, sie aber von Astrid in arabischen Ziffern aufschreiben ließ, weil er dies nach eigener Aussage noch nicht so gut konnte.

Während des Museumsbesuches erkannten die Detektive die römischen Zahlen wieder und erklärten stolz, dass sie diese kennen würden. Sie konnten sie jedoch noch nicht ohne Fehler lesen. Bei Astrid hinterließen die römischen Zahlen einen bleibenden Eindruck, so dass sie die sogar auf ihre Kerzenuhr schrieb.

Einen besonderen Stellenwert nahm aus meiner Sicht auch die Organisation des Wettlaufes gegen die Stoppuhr ein. Bis auf einige Denkanstöße ließ ich die Detektive selber walten. Schon das Festlegen der Ziellinie erforderte genaue Beobachtung, Überlegung sowie Überprüfung in der Praxis. Das Abstecken der Laufbahn und die Verständigung der beiden Zeitnehmer (zuerst verbal, dann durch Handzeichen) am Start und am Ziel, musste abgesprochen werden. Dabei merkte Carl, dass er als Zeitnehmer am Start gar nicht sehen konnte, wenn der Läufer am Ziel angelangt war. Danach wollte er nur noch am Ziel die richtige Zeit stoppen. Für das Festhalten der gelaufenen Zeiten war Klaus zuständig, der gewissenhaft und stolz die Daten niederschrieb. Fabian war derjenige, der den Lauf organisierte, über die Position der Ziellinie intensiv nachdachte, die Zeitmessung organisierte und die Datendokumentation überprüfte. Die anderen Detektive hatten nur kurze Zeit Interesse und hauptsächlich Spaß am Wettlauf.

Als es dann allerdings an die Auswertung der Daten ging, konnten die Detektive meinen Erklärungen nicht mehr folgen. Sie konnten es nicht nachvollziehen, dass Derjenige mit der kleinsten Zahl, gewonnen hatte.

Die Stoppuhr kam nun auch im übrigen Gruppengeschehen, zum Beispiel beim Sport zum Einsatz. Jedoch mein Gedanke, die Zeit von gewissen Tätigkeiten zu messen, um zu sehen, ob diese noch zeitlich durchzuführen sind, wurde von den Kindern nicht aufgegriffen.

Auch die Liedeinführung zum Thema Uhr stieß bei den Detektiven nicht auf Interesse und wurde von mir daraufhin fallengelassen.

Dagegen fiel besondere Aufmerksamkeit der Detektive auf den Uhrenbausatz. Mit großer Intensität waren sie dabei, ihre Uhren zusammen zu setzen. Georg entdeckte als Erster die Bauanleitung und sagte lächelnd:

„Wir brauchen nicht alleine bauen.“

Fabian fügte hinzu:

„Ich habe eine Hilfe… Ich sag dazu Anleitung.“

Jeder Detektiv wollte die Uhr zunächst alleine zusammensetzen und keine Hilfe in Anspruch nehmen. Während der Bauphase herrschte eine intensive Kommunikation, die später auch in praktische Hilfe überging. Konkurrenzverhalten war nicht zu beobachten, sogar beim Aufräumen halfen sich die Detektive einander. Carl, der als Erster seine Uhr zusammengebaut hatte (und sich oft bei anderen Aktionen zurückzog), half anderen Kindern, nachdem ich ihm den Vorschlag gemacht hatte.

Während des gesamten Projektes war die Gruppe homogen. Jedem wurde geholfen und die Zeit gelassen, die er brauchte. Auch als durch die Interessensberücksichtigung Kleingruppen entstanden, war kein Neid zu spüren. Das Interesse an den Ergebnissen der anderen konnte ich dagegen immer wieder beobachten.

Auch andere Kinder aus der Gruppe waren zeitweise zu Gast bei den Detektiven. Jenny zeigte beständiges Interesse und wurde einstimmig und freundlich aufgenommen.

Durch die verschiedenen Anforderungen, die das Projekt stellte – vom Experimentieren, Konstruieren, Organisieren, Dokumentieren in bildlicher und schriftlicher Form, handwerklichen Arbeiten bis hin zum kognitiven Umsetzen – wurden die verschiedenen Fähigkeiten aller Detektive angesprochen. Mir fiel auf, dass die Fähigkeiten der Detektive untereinander anerkannt und genutzt wurden.

Georg fiel durch sein schnelles Erfassen von Anleitungen auf, zum Beispiel für den Uhrenbausatz und für die Kerzenuhr. Seine Erklärungen waren geprägt vom fachlichen Überblick über die Zusammenhänge. Seine konstruktive Ader zeigte er auch beim selbstständigen Bau einer Sanduhr aus zwei Plastiküberraschungseiern oder beim Konstruieren eines Zirkels aus einem Lineal und einem Bleistift. Wie wichtig für Georg seine Ideen sind, zeigte sich meiner Meinung nach in seiner Aussage:

„Meine Erfindungen brauche ich nicht alle im Kopf zu behalten, ich schreibe sie in mein Tagebuch, und wenn ich groß bin, kann ich meine Erfindungen angucken.“

Tim, der mittlerweile als Detektiv vollständig integriert ist, verblüffte die anderen, als er beim Zusammenrechnen der Ausflugsauslagen das Ergebnis als Erster sagen konnte. Seine Methode, zuerst eine Teilsumme zu errechnen und diese dann mit der weiteren Zahl zu addieren (2 + 2 + 1 = 5 + 5 = 10), fand schnell Fabian als begeisterten Nachahmer.

Astrid, genauso wie Klaus, zeichneten sich durch große Hilfsbereitschaft und Geduld aus. Beide hatten Interesse an allen Aktionen der Zahlendetektive und dokumentierten diese gewissenhaft.

Astrid schrieb mit Jean zusammen in mühevoller Kleinarbeit (Buchstabe für Buchstabe) und mit großem Interesse die Aktionen im Tagesablauf auf das Plakat. Bei der Beschäftigung mit römischen Zahlen liefen Jean und Astrid zur Höchstform auf und verließen anschließend den Raum mit vor Aufregung roten Wangen.

Jean, der Jüngste der Gruppe, nahm ebenfalls an allen Aktionen teil. Seine jetzt immer häufiger werdenden Äußerungen waren geprägt von genauen Überlegungen.

Carl ging auch in diesem Projekt seine eigenen Wege und löste sich öfter von der Gruppe. Es war jedoch zu beobachten, wie er mit Interesse die Ergebnisse der Teilgruppen beobachtete und großen Wert darauf legte, ein Zahlendetektiv zu sein. Seine Fähigkeiten beim Zusammenbau der Uhrenbausätze verblüfften mich, genau wie seine Bereitschaft, sein Wissen an andere Detektive weiter zu geben. Die selbstgebaute Uhr begeisterte ihn so sehr, dass ich ihn dabei beobachten konnte, wie er mit anderen Detektiven im Freispiel die morgendliche Aufwachsituation etwa eine Dreiviertelstunde lang nachspielte. Erfreulich war auch, dass er seine Aufgabe als Zeitnehmer beim Wettlauf mit Ausdauer wahrnahm.

Jenny, die neu in die Gruppe aufgenommen wurde, war begeistert bei der Sache und zeigte besondere Ausdauer bei der Beobachtung der Kerzenuhr.

Fabian, der auch diesmal die Gruppe der Zahlendetektive durch seine Einfälle und Gedanken anführte, wurde durch die Organisation des Wettlaufes herausgefordert. Einer weiteren großen Herausforderung stellte er sich, als ich ihn als Einzigen überreden konnte, doch die Feueruhr mit mir gemeinsam zu überarbeiten.

Unsere Zusammenarbeit war geprägt vom Ideenaustausch, Spaß und gegenseitiger Anerkennung. Für die Wahl des richtigen Gewichtes an der Feueruhr entwickelte Fabian zum Beispiel von sich aus eine Waage, bei der er zwei unterschiedlich schwere Metallteile mit einer Schnur verband. Diese legte er über einen festliegenden Besenstiel und stellte so fest, welches Teil das Schwerere war. Als der zweite Versuch mit der Feueruhr erfolgreich beendet wurde, waren wir beide stolz. Kurz nach diesem Versuch brachte Fabian eine Kopie für den Bau einer Auslaufuhr aus einem Buch seiner Mutter mit. Nur mit wenigen Anmerkungen meinerseits baute er selbstständig die Uhr nach.

Das Projekt der Zahlendetektive hat auch mich begeistert.

Die Zusammenarbeit zeigte mir, wie begeistert und ernsthaft die Detektive bei der Sache waren. Teilweise dauerten Aktionen über eine Stunde. Es wurden Aspekte genannt, wie zum Beispiel die Gedanken zur Verspätung, die ich nicht erwartet hätte. Auch meine Fähigkeiten des Konstruierens wurden beim erneuten Bau der Feueruhr herausgefordert. Der erfolgreiche Abschluss erfüllte auch mich mit ein wenig Stolz.

Der Gedanke, den ich zuerst mit dem Projekt Zeit verbunden hatte, nämlich das Erlernen der Uhrzeiten, nahm relativ wenig Raum ein.

Den Detektiven reichte es wohl aus, die vollen und halben Stunden ablesen zu können. Es war für sie wichtiger, die römischen Zahlen kennen zu lernen, die Uhren zusammen zu bauen oder sich mit anderen Arten von Uhren zu beschäftigen.

 

Literatur:

Gisela Walter, Jutta Knipping:
Das Buch von der Zeit: Kinder erleben und lernen spielerisch alles über die Zeit. Ökotopia-Verlag.

Beschreibung siehe unter:

Bilderbücher, Sachbücher und Geschichten

 

 

Datum der Veröffentlichung: April 2011
Copyright © Hanna Vock 2011, siehe Impressum .

Projekt: Zahlendetektive

 von Heike Brandt

 

Kurz nachdem Carl (alle Kindernamen wurden geändert) in unsere Kita aufgenommen worden war, sprachen seine Eltern mit uns über ihre Vermutung, dass Carl vielleicht eine höhere Begabung haben könnte. Um dieser Vermutung nachzugehen, führte ich eine Zeitlang ein pädagogisches Tagebuch für Carl und notierte alle konkreten Begebenheiten und Äußerungen, die auf eine höhere Begabung hindeuten konnten.

1. Beobachtung des dreijährigen Jungen

Carl war zu diesem Zeitpunkt 3 Jahre und 10 Monate alt und seit zwei Monaten in der Kita. Ich beobachtete ihn während des Freispiels mit anderen Kindern und nutzte die Gelegenheiten, mit ihm gemeinsam Aktivitäten durchzuführen. Zusätzlich griff ich auf Beobachtungen anderer Kolleginnen zurück.

…kurz gefasst…

Ausgehend von einer gezielten Beobachtung eines vermutlich hoch begabten dreijährigen Jungen, entwickelte sich ein mathematisches Projekt, das über viele Wochen aktuell blieb.

Es stellte sich heraus, dass Carl immer wieder ungewöhnliche geistige Leistungen zeigte.

Einige Beispiele:

Zum Ende des Morgenkreises stand das Durchzählen der Kinder an. Carl nannte sofort namentlich drei Kinder, die an diesem Tag fehlten.

An einem anderen Tag stellte Carl zum Ende des Vormittags fest, dass jetzt nur noch 18 Kinder in der Gruppe seien. Ich fragte nach, wie er darauf gekommen sei. Er antwortete, dass ein Kind abgeholt worden sei.

Carl bemerkte spontan, dass ein Kind seine Brille nicht trug und sprach es sofort darauf an.

Meine Kollegin fragte eine Gruppe von Kindern, wem eine gefundene Jacke gehöre. Daraufhin meldete sich Carl als der Besitzer und wies auf das Namensschild hin. Er buchstabierte dann korrekt seinen Namen.

Den größeren Kindergartenkindern erklärte ich ein Bewegungsspiel. Dabei schaute Carl zu. Während die Großen sich noch unentschlossen anschauten, gab Carl die Spielbeschreibung mit eigenen Worten exakt wieder, um Hilfestellung zu geben.

Carl zeigte großes Interesse an der Fernsehsendung „Wer wird Millionär“, die er nach Angaben seiner Mutter sehr aufmerksam und konzentriert verfolgte. Begeistert nahm er deshalb die Gelegenheit wahr, mit den Hortkindern gemeinsam das Spiel nachzuspielen.

Beobachtungen meiner Kollegin in dieser Situation:

Carl war zunächst zornig, dass er nicht auf dem Kandidatenstuhl sitzen sollte. Er sagte enttäuscht: „Ich spiele ja gar nicht mit.“ Die Aussicht, als Publikumsjoker beteiligt zu sein, stellte ihn wieder zufrieden. Das Abstimmungssystem mit Buchstabenkarten durchschaute er ohne zusätzliche Erklärung.

Eine Frage nach der Türanzahl der Einrichtung beantwortete er fast richtig und bemerkte sogar, dass die Nebenraumtür in seiner Gruppe fehlen würde. Seine Antwort wurde von der Spielleitung zunächst nicht richtig verstanden. Bei der Nachfrage rechtfertigte er sich: „Ich bin drei.“

Bei seinem zweiten Einsatz als Publikumsjoker konnte er den Anfang der zweiten Strophe des Martinsliedes richtig zuordnen.

Während der 45-minütigen Spieldauer war Carl mit großem Interesse dabei.

Carl suchte sich ein einfaches Farbspiel heraus und spielte es gemeinsam mit mir und mehreren Kindern.

Er war schon nach der ersten Runde nur mit Überredung und der Aussicht auf ein anspruchsvolleres Spiel (Dame) dazu zu bringen, das für ihn langweilige und einfache Spiel zu beenden.

Er begriff das Damespiel auf Anhieb.

Er verhinderte das Überspringen seiner Steine, indem er sie korrekt aus der Gefahrenzone zog. Er erkannte Möglichkeiten des Überspringens fast ohne zusätzliche Hinweise. Bei diesem Spiel konnte er 20 Minuten konzentriert und freudig mitmachen, obwohl er gegen mich verlor.

Carl spielte mit einem Schaumstoffwürfel und konnte ohne Nachzählen die Augenanzahl bestimmen.

Carl zeigte sich vom gemeinsamen Durchzählen im Kreis gelangweilt und verweigerte sich. Während der Tagesplanung unterhielt er sich und alberte herum.

Während der Beobachtung von Carl wurden seine Fähigkeiten und Vorlieben im Bereich der Zahlen und Buchstaben deutlich. Ebenso zeigte er ein klares Vorstellungsvermögen im Hinblick auf Wochentage und Daten. Seine schnelle Auffassungsgabe und die Orientierung an größeren Kindern waren auffallend.

Auf die Frage: „Was sammelst du gerne?“ antwortete Carl:

„Zahlen. Die 3 und die 0, das sind 30.“ Auf Nachfrage, worin er die Zahlen sammeln würde, sagte er mit faltiger Stirn: „Nur so.“

Als praktische Überlegung ergab sich, in meiner Kita-Gruppe einen Zahlen- oder Buchstabenkurs durchzuführen und Carl dabei einzubeziehen.

Bei diesem Projekt wollte ich mich ganz klar am Niveau der stärkeren Kinder orientieren.

Später sollten auch eine Präsentation der Ergebnisse und die Öffnung des Kurses für alle Kita-Gruppen stattfinden.

Eine weitere Überlegung war, dass ich spielerisch mit den Kindern die Welt der Zahlen oder Buchstaben erkunden und nicht in einen schulischen Umgang verfallen wollte.

2. Gründung der Gruppe der Zahlendetektive

Mit Carl (inzwischen 4;4) sprach ich über sein Interesse an Zahlen und Buchstaben und fragte ihn, womit er sich lieber beschäftigen würde. Er entschied sich sofort für die Zahlen. Die Idee, eine Gruppe von Zahlendetektiven zu gründen, die die Zahlen genauer unter die Lupe nehmen, nahm er begeistert auf. Im Schlusskreis gab Carl mit meiner Hilfe die Idee in die Gruppe, worauf zwölf Kinder Interesse bekundeten.

 

Im Büro der Zahlendetektive

Nach einigen Überlegungen richteten wir gemeinsam auf der Freifläche im Flur ein Büro aus Pappkartons her, das mit Schreibtischsets, Lampen, Papierkorb usw. ausgestattet wurde.

 

Konzentriertes Arbeiten im "Büro"

3. Die Zahlendetektive erkunden den Kindergarten

Ausgestattet mit Heften, Lupen und selbst erstellten Ausweisen gingen die Detektive auf Spurensuche. Zahlen aller Art wurden zum Beispiel auf Blumentöpfen, Feuerlöschern, Spielzeugen und an der Waschmaschine entdeckt und in den Heften festgehalten. Die Detektive waren 40 Minuten mit Eifer und Ernsthaftigkeit am Werk.

4. Die Zahlendetektive bitten Zahlenexperten um Hilfe

Einige Kinder erkannten zwar Zahlen und konnten sie benennen, aber das Schreiben gelang ihnen noch nicht. Beispiel: Malte (Name geändert) schaute während der Zahlensuche auf seine Hand und sagte deprimiert: “Meine Hand schafft das nicht.“

Wir überlegten gemeinsam, wen wir um Hilfe bitten könnten.

Geschwister, Eltern und ehemalige Kindergartenkinder, die jetzt die erste Klasse besuchen, wurden als Zahlenexperten genannt.

So riefen die Detektive die Schulkinder an und luden sie und die Geschwisterkinder zum gemeinsamen Spaghettiessen mit anschließendem Ziffernschreiben ein. Alle elf Schulkinder und zwei ältere Geschwister kamen der Einladung nach.

Mit großem Eifer wurde Ziffernschreiben erlernt und erklärt. Die Spanne reichte vom Erlernen des Schreibens zweier Ziffern, bis zum Lösen von Ketten-Rechenaufgaben.

5. Bereitstellung von Arbeitsmaterial zum Zahlenfinden und Zahlenverbinden und Beschäftigung mit dem Overhead-Projektor

Den Detektiven bot ich Arbeitsblätter an, die sie freiwillig bearbeiten konnten. Dabei wurden mit großer Intensität Zahlen gesucht und gefunden. Einige Kinder beschäftigten sich auch mit den Arbeitsblättern, auf denen Zahlenreihen verbunden werden. Anton und Marie erkundeten den Overhead Projector, legten darauf aus Gegenständen Zahlen und schrieben sie auf Folien.

6. Die Zahlendetektive erobern die Remscheider City

Die Detektive gingen mit Heften und Lupen ausgestattet in der Stadt auf Zahlensuche. Sie fanden Zahlen in Schaufenstern, auf Geschäftseingangstüren, Häuserwänden, Mülleimern, Verkehrsschildern, Nummernschildern, Schuhen, Handys, Uhren usw. Gewissenhaft wurden die Zahlen auf Papier festgehalten und die Kinder erkundigten sich mit meiner Hilfe nach deren Bedeutung.

Beispiele:

Die Kinder fragten eine Verkäuferin nach den Zahlen im Schaufenster. Die Verkäuferin erklärte, dass dies Preise seien. Holger: „Ach ja, die man gewinnt.“ (Was natürlich aufgeklärt wurde.)

Preisschilder in der Remscheider City

 

 

 

 

 

 

 

 

Preisschilder in der Remscheider CityOder sie erkundigten sich nach den Zahlen auf einer Restauranttür. Die Antwort, dass es sich um Öffnungszeiten handelt, war für die Kinder noch unverständlich. So fragten sie weiter. Die Erklärung, es handele sich um die Zeiten, zu denen ein Restaurant oder ein Geschäft öffnet und wieder geschlossen wird, brachte Holger zu der Bemerkung: „Und wann Pause ist!“

Auf der Suche nach noch mehr Zahlen

Die Detektive erfragten außerdem noch die Bedeutung von Zahlen auf Verkehrs- und Nummernschildern.

 

7. Die Zahlendetektive rechnen Plusaufgaben

Nach dem Ausflug stand die Frage an, womit sich die Detektive jetzt beschäftigen wollten. Als kein Vorschlag von den Kindern kam, gab ich Ideen wie das Lesen der Uhr und das Rechnen ein. Beides hatte ich bei den Kindern schon in Ansätzen beobachtet. Die Mehrheit stimmte begeistert für das Thema Rechnen. Drei Kinder wollten daran nicht teilnehmen.

Addition

Einige Tage später erklärte ich anhand einer Geschichte und Buntstiften die Addition, wie sie mir meine Mutter beigebracht hatte. Einige Kinder entwickelten danach vor den Augen der anderen Detektive eigene Aufgaben. Dabei war ihnen der Rechenvorgang wichtig und die Geschichte wurde weggelassen.

 

Nach der Zusammenkunft kam Ayse weinend zu mir, weil sie das Rechnen nicht verstanden hatte. Ich tröstete sie damit, dass ich ihr sagte, dass sie jetzt noch nicht rechnen können müsse und dass dies jetzt noch nicht so wichtig sei.

Auch zum Thema Addition bot ich Arbeitsblätter und Zahlenmandalas an, die von einigen Kindern bearbeitet wurden.

8. Die Zahlendetektive beschäftigen sich mit Minusaufgaben

Bei einem Zusammentreffen erklärten die Detektive, die gerne weiter mit Zahlen arbeiten wollten, dass sie etwas auf dem Computer machen wollten. Daraufhin überlegten wir gemeinsam, wo wir eine Diskette mit Zahlenspielen bekommen könnten, ohne den finanziellen

Hihi… es war halt im Jahr 2005, da waren Disketten noch aktuell!

Rahmen zu sprengen. Fabian brachte die Idee der Bücherei ein. Außerdem wollten die Detektive das Minusrechnen erlernen, welches Anton schon mit mir in einer Einzelbeschäftigung ausprobiert hatte. Anton erklärte sich auf mein Nachfragen hin bereit, den anderen Kindern die Subtraktion näher zu bringen. Einige Tage später zeigte Anton anhand von Spielfiguren und einer Aufgabe von einem Arbeitsblatt, das er bearbeitet hatte, den anderen Kindern, wie er das Minusrechnen erlernt hatte. Seine Erklärung wurde positiv aufgenommen, jedoch wollten einige Kinder danach etwas anderes spielen.

Holger und Astrid probierten sich dann unter Antons Anleitung an weiteren Minusaufgaben. Von den Kindern wurden keine Arbeitsblätter zur Subtraktion angefordert.

9. Die Detektive suchen einen gestohlenen Schatz

Im Mehrzweckraum baute ich einen kleinen Parcours mit Bewegungselementen auf, der zu einem Schatz führte, den ein Pirat gestohlen hatte. (Zu dieser Zeit lief in der Gruppe ein Piratenprojekt.) Der Pirat hatte allerdings Spuren hinterlassen, die die Zahlendetektive interessieren könnten.

Ganz bewusst hatte ich vier „schwierige“ Aufgaben gewählt, um die stärkeren Kinder anzusprechen:

  • neue Rechenart, Division 6:3
  • Subtraktion 10-3
  • Aufgabe selbst erfinden, bei der das Ergebnis 8 ist
  • Rechnen über den Zahlenraum 10 hinaus 7+5

Außerdem konnten sie ihre Ergebnisse selbst vergleichen: Lachendes Gesicht = richtiges Ergebnis, weinendes Gesicht = neuer Versuch.

Hierbei zeigte sich, dass nur vier Kinder mit Erklärungshilfen in der Lage waren, diese Aufgaben zu lösen. Die anderen beteiligten Kinder schauten zu oder ahmten nach. Die Detektive, die die Aufgaben lösen konnten, waren begeistert und fragten nach einer Fortsetzung.

Beispiel: Fabian und Paula: „Das war pipileicht. Hast du noch mehr so schwere Aufgaben?“

10. Ausflug in die Bücherei

Die Detektive besuchten die Bücherei um weiteres Material zum Thema Zahlen zur Verfügung zu haben. Neben einigen Zahlenbüchern wurde auch ein Computerspiel entliehen.

11. Reflektion des Projekts

Da Carl, der eigentlich der Auslöser für das Zahlenprojekt gewesen war, während der Projekt-Zeit einen Kurzurlaub verbrachte und auch noch erkrankte, nahm er an einigen Aktionen leider nicht teil. So hatte er es schwer, in die Gruppe hineinzufinden, zumal er die Interessen der anderen Kinder, zum Beispiel an Arbeitsblättern, nicht so sehr teilte.

Sein Interesse an der Gruppenuhr griff ich auf und bot ihm gemeinsame Beschäftigungen zu diesem Thema an, denen er zunächst begeistert zustimmte. Als er jedoch die Uhr aufgemalt hatte, lehnte er weitere Beschäftigungen ab.

Zur Schatzsuche konnte ich ihn begeistern. Er war fasziniert vom System der Selbstkontrolle und errechnete bei der Aufgabe 7+5 das richtige Ergebnis. Er konnte den Rechenweg jedoch nicht erklären. Bei den anderen Aufgaben sagte er, dass er dies nicht könne und der andere Spielpartner übernehmen solle.

Während des Projektes konnte ich bei den Kindern große Intensität und Ernsthaftigkeit spüren. Dies zeigte sich besonders, wenn Kinder merkten, dass ihnen Fehler unterliefen. Fabian weinte zum Beispiel verzweifelt über einen Fehler auf einem Arbeitsblatt und beruhigte sich erst, als der Fehler behoben wurde. Holger andererseits legte ein Arbeitsblatt fort und wollte daran nicht weiterarbeiten. Erst als wir beide gemeinsam seinen Fehler korrigiert hatten, beschäftigte er sich weiter mit dem Blatt.

Eine große Eigenmotivation zeigte sich, wenn die Kinder nach weiteren Arbeitsblättern fragten und sich ins Detektivbüro zurückzogen. Dort beschäftigten sie sich manchmal bis zu einer Stunde und tauchten erst wieder auf, wenn sie mit den Aufgaben nicht alleine weiterkamen.

Das Beschäftigen mit Zahlen begrenzte sich nicht nur auf den Kindergarten. Stolz zeigten sie ihre Hefte, worin sie weitere gefundene Zahlen oder selbst erdachte Aufgaben notiert hatten. Astrid zum Beispiel, die sich, als es um das Rechnen ging, dagegen entschieden hatte, zeigte mir am nächsten Tag stolz ihre Aufgaben, die sie mit den Eltern aus eigenem Antrieb gerechnet hatte.

Meine Bedenken, dass durch das Orientieren an den Stärkeren die Schwächeren frustriert würden, bestätigten sich nicht. Georg, Ayse, Leo und Jean zogen sich teilweise aus dem Projekt heraus und nahmen nur an bestimmten Aktionen wieder teil. Sie fühlten sich dennoch dazugehörig. Dadurch, dass die Kinder durch die frei zugänglichen Arbeitsblätter ihr Pensum selbst bestimmen konnten, entstand kein Konkurrenzdruck.

Bei der Lösung der „schweren“ Aufgaben während der Schatzsuche wurde die Individualität der Kinder deutlich. Es wurde mit Fingern, Stiften und Legosteinen gerechnet, und manche Kinder schrieben die Aufgaben sogar auf. Hier zeigte sich auch, dass Paula, Anton, Fabian und Marie sich den Aufgaben stellten und Spaß daran hatten diese zu lösen.

Auch geschlechtsspezifische Unterschiede wurden während des gesamten Projekts deutlich.

Während die Jungen ihre Aufgaben schneller erledigten, brauchten die Mädchen für ihre mehr Zeit, erfüllten sie aber sorgfältiger und mit geringerer Fehlerzahl.

Die Intensität, Eigenmotivation und die Begeisterung der Kinder hatte ich nicht erwartet. Sie zeigten mir, dass das Projekt der Wissbegierde und dem Verständnis der Kinder entsprach. Besonders die Highlights (Ziffernschreiben mit Experten, Zahlensuche in der City, Schatzsuche) haben einen lang anhaltenden Eindruck hinterlassen.

Meine Einführung von Plusaufgaben sehe ich als nicht so gelungen an. Schon kurz nach dem Angebot wurde mir klar, dass ich nicht genauer nachgefragt hatte, wie sich die Kinder das Rechnen vorstellen und wer es ihnen beibringen könnte. Ich war nur von meinen Beobachtungen auswendig gelernter Additionsaufgaben ausgegangen und hatte mich deshalb nur auf die Addition beschränkt.

Die Vorstellung der Minusaufgaben durch Anton hatte positive Aspekte. Er stellte seine Aufgabe nach intensiver Vorbereitung mit Stolz, gekonnt und gut verständlich dar.

Mein Ziel, nicht in den schulischen Umgang mit Zahlen zu verfallen, wurde durch die Vorstellungen der Kinder teilweise vereitelt. Durch ihr Interesse an Schule und dem Vorbild der Erwachsenen ist ihr Zugang zu Zahlen geprägt. Das zeigte sich bei der Wahl des Rechnens als weitere Aktion. Da das Interesse bei der Beschäftigung mit den Minusaufgaben deutlich zurückging, sehe ich die Chance, den Kindern weitere Wege im Umgang mit Zahlen näher zu bringen.

Weil die Zeit, die mir zur Verfügung stand, durch krankheitsbedingte Ausfälle in unserer Kita begrenzt war, hatte ich keine Möglichkeit, mit den Kindern eine Präsentation vorzubereiten. Zum anderen hatte mich der große Andrang von zwölf Kindern, die Zahlendetektive werden wollten, überrascht. So sah ich keine Möglichkeit, noch Interessierte aus anderen Gruppen mit zu betreuen. Die Überlegung, interessierte Kinder aus anderen Gruppen einzuladen, wird aus Zeitgründen und auf Grund der Gruppenstärke der Detektive erst nach den Sommerferien realisierbar sein.

12. Weitere Ideen

Die verbleibende Zeit bis zu den Ferien möchte ich dazu nutzen, mit den Zahlendetektiven die Medien aus der Bücherei zu erkunden und ihnen aufzuzeigen, wo uns im Alltag Plus- und Minusaufgaben begegnen. Zum anderen würde ich gerne den Impuls von Paula aufgreifen, die ein Lineal mit den Worten mitbrachte: „Da sind auch Zahlen drauf.“ Vielleicht wäre dies ein Ansatz zum Messen und Vergleichen.

Wie es mit den Zahlendetektiven weiter ging, können Sie hier lesen: Die Zahlendetektive messen.

Datum der Veröffentlichung 16.6.10
Copyright © Hanna Vock 2010, siehe
Impressum .

Computernutzung und Internet

von Hanna Vock

 

In immer mehr Kitas gibt es Computer, die auch für die Kinder zugänglich sind. Manchmal haben die Kinder auch Zugang zum Internet.

Was die Akzeptanz angeht, erleben wir eine große Bandbreite: von der strikten Ablehnung, Kinder in der Kita an Computer zu lassen, über die gelegentliche Nutzung des Bürocomputers auch für die Kinder bis hin zu Computerräumen oder einem Computer in jedem Gruppenraum.

Die Diskussion pro und contra Computer ähnelt der Meinungsbildung, wie sie sich vor vielen Jahren im Hinblick auf das Fernsehen und vor noch viel mehr Jahren im Hinblick auf das Lesen abgespielt hat.

Durch das Aufkommen von Lesen und Fernsehen drohten angeblich den Kindern dieselben Gefahren wie heute durch den Computer und das Internet: Es verdirbt die Augen, macht die Kinder zu ungesunden Stubenhockern, entfremdet sie ihrem wirklichen Leben und isoliert sie von den anderen Kindern.

Und diese Gefahren sind auch für viele Kinder Wirklichkeit geworden. Nur wissen wir heute: Es liegt nicht an den Medien, es liegt meiner Meinung nach auch nicht hauptsächlich „am Umgang mit den Medien“, sondern es liegt vor allem daran, dass viele Kinder heute eine armselige Kindheit haben. Dabei ist zweitrangig, ob sie in materieller Armut leben, die ihnen den Zugang zu vielen interessanten Dingen und Erlebnissen verwehrt, oder ob sie inmitten von materieller Verwöhnung und Überschüttung leben und trotzdem zu wenig wirklich Positives und Spannendes in ihrem Alltag erleben.

Für hoch begabte Kinder ergibt sich noch ein zusätzlicher Gesichtspunkt. Viele erwachsene Hochbegabte berichten, dass ihre Bücher in ihrer Kindheit ihre Freunde waren und dass sie sich über das ausgiebige Bücherlesen den geistigen Input geholt haben, den sie von den Menschen ihrer Umgebung nicht erhalten konnten.

Es ist einerseits tröstlich, dass ihnen diese (Ersatz-) Möglichkeiten zur Verfügung standen, andererseits schade, dass sie nicht genügend Freunde und Mentoren aus Fleisch und Blut hatten. Beides zusammen, ausgewogen und in Balance und gegenseitiger Ergänzung, wäre vermutlich ein größeres Glück gewesen.

Das bedeutet also: Bücher, Fernsehen, Computer, Internet sind für Hochbegabte unverzichtbar, aber nicht hinreichend.
Genau so wie es schrecklich ist, wenn Kinder gewohnheitsmäßig und über große Zeiträume allein vor dem Fernseher „geparkt“ werden und wenn sie dabei allen möglichen Unsinn in sich aufnehmen – genauso schrecklich ist es, wenn Hochbegabte auf den Input und Austausch mit Medien und Internet abgeschoben werden, ohne im ständigen Austausch mit interessierten Mentoren zu sein. Als Mentoren betrachte ich verlässliche, am geistigen und emotionalen Leben der Kinder interessierte Menschen, die sich zuwenden, ohne sich aufzudrängen.

Spannendes Kinderleben incl. Computer

Die weit verbreitete nicht artgerechte Kinderhaltung in unserer Gesellschaft (siehe dazu: Herbert Renz-Polster, Menschenkinder: Plädoyer für eine artgerechte Erziehung) macht die Kinder unkritisch und verführbar auch für den Müll in den modernen Medien.

Und dann besteht auch die Gefahr, dass Kinder aus der Realität an den Computer fliehen.

Wenn Eltern und Pädagogen es aber schaffen, den Kindern ein spannendes, natur-nahes, bewegungs- und erlebnisreiches Kinderleben zu ermöglichen – und wenn sie genügend Zeit und Interesse für sie „übrig“ haben, müssen sie die neuen Medien nicht fürchten.

Für diese glücklichen Kinder sind die neuen Medien eine zusätzliche Chance und Bereicherung.

Fazit:
Ein Kindergarten, der so funktioniert, dass die Kinder in allen möglichen Bereichen Anregung, Spannung und Begeisterung erleben können, kann sich der Computerfrage gelassen und positiv stellen.

Den Umgang mit dem Computer lernen – der Computerführerschein

In der Kita Botzeknööfe in Kürten können die Kinder einen Computerführerschein machen. Zwei Erzieherinnen in der dreigruppigen Einrichtung sind dafür zuständig. In AGs von zwei bis drei Kindern lernen die interessierten Kinder:

    • den Computer hoch und runter fahren,
    • Fenster öffnen und schließen,
    • die Benennung von Laptop, Monitor, Maus, Mauspad, Tastatur, Richtungstasten…
    • das Starten der Spiele,
    • das Navigieren in den Spielen.

Jedes Kind muss am Ende zeigen, dass es dies alles kann. Erst dann erhält es den Computerführerschein und darf von da an alleine an den Computer gehen.

Es gibt eine Zeitbegrenzung.
An einem Küchenwecker wird eine halbe Stunde eingestellt. Wenn er klingelt, ist Schluss. Manchmal ist der Andrang so groß, dass morgens in der Gruppe eine Liste ausgelegt wird, in die die Kinder ihren Namen eintragen können. Der Reihe nach sind sie dann dran.

Oft klingelt der Wecker mitten in einem Spiel. Das ist dann Verhandlungssache zwischen den Kindern. Wenn ein Kind fragt: „Kann ich das eben noch zu Ende spielen?“, dann kann es Glück oder Pech haben. Denn das nächste Kind kann auch antworten: „Nee, jetzt bin ich dran.“

Welche Möglichkeiten bieten Computer im Kindergarten?

1. Computer ohne Internetanschluss

ist besser als nichts. Diese Computer kann man nutzen

  • als Maschine für Computerspiele und Lernprogramme, die auf CD-ROM gespeichert sind,
  • als Schreibmaschine,
  • als Gestaltungsmaschine,
  • als Kinomaschine (in Verbindung mit einem Beamer) und
  • für ganz fitte und interessierte Kinder zum Programmieren lernen (Erste Schritte).

Falls der Computer nicht über ein eingebautes CD/DVD-Laufwerk verfügt, empfiehlt sich die Anschaffung eines externen Laufwerks, damit man die erwähnten Programm-CD-Rom (nur ablesbare, nicht beschreibbare CDs) auch nutzen kann.

2. Computer mit Internetanschluss

ist natürlich noch besser, denn er kann zusätzlich genutzt werden

  • als Maschine für Computerspiele und Lernprogramme, die kostenlos im Internet zu haben sind, und
  • als Suchmaschine (Lexikon).

Welche dieser Möglichkeiten in einer Kita verwirklicht werden, hängt davon ab, ob das Know how bei einer oder mehreren Kolleginnen (oder pädagogisch begabten Eltern) vorhanden ist. Auch hier ist die eigene Begeisterung, verbunden mit einigen Kenntnissen, die beste Grundlage, die Dinge für die Kinder fruchtbar zu machen.

Maschine für Computerspiele und Lernprogramme, die auf CD-ROM gespeichert sind

Die Kinder lernen schnell, bestimmte Spiele aufzurufen und allein oder mit mehreren zu spielen.
Angesichts der raschen Entwicklung auf diesem Markt ist es wenig sinnvoll, hier auf einzelne Spiele und Medien einzugehen. Mit Hilfe entsprechender Kataloge und Übersichten, aber auch durch Hinweise erfahrenere Nutzer – häufig auch der Kinder selber – lassen sich viele Möglichkeiten nutzen. Immer mehr Kinder haben zuhause eigene Medien, die sie gerne auch mal in der Kita präsentieren.

Die Schreibmaschine

Ist der Computer nicht mit dem Internet verbunden, muss ein Schreibprogramm installiert sein oder gekauft werden. Ansonsten kann ein freies Programm (zum Beispiel: LibreOffice Writer) herunter geladen werden. Um den Computer sinnvoll als Schreibmaschine zu nutzen, ist es empfehlenswert, einen Drucker anzuschließen, damit die Kinder ihre Ergebnisse auch auf Papier ansehen und mit nach Hause nehmen können.

Man kann überlegen, ob vor der Nutzung des Computers als Schreibmaschine geprüft wird, ob das Kind schon alle Buchstaben leserlich mit der Hand schreiben kann. Dies zur Voraussetzung zu machen, könnte für manche Kinder ein Ansporn sein, das Schreiben von Hand zu üben.
Allerdings wird man damit Kinder, die noch eine schwache Feinmotorik haben, aber bereits hören können, aus welchen Lauten ein Wort besteht, und alle Buchstaben erkennen, unnötig ausbremsen und frustrieren. Es ist also, wie so oft, der Einzelfall zu betrachten.

Die Gestaltungsmaschine

Texte gestalten, Fotos bearbeiten oder frei zeichnen am Computer – das kann reizvoll sein, wenn eine Erzieherin sich selbst damit auskennt und ihre Begeisterung an die Kinder weiter gibt.

Praxisbeispiel: Schneewelten durch die Linse gesehen – ein Kunstprojekt mit Fotografie

Die Kinomaschine

In der Kita zusammen einen Film auf großer Leinwand (oder weißer Wand) ansehen und hinterher darüber sprechen (oder auch ein Quiz zum Film veranstalten) – das ist bestimmt nicht die schlechteste Möglichkeit, einen völlig verregneten Nachmittag zu verbringen.
Vielleicht ist es auch ein selbst gedrehter Film?

Sehr geeignet finde ich die Filme zu Petterson und Findus, zum Beispiel die Original-DVD zur TV-Serie. Jeder einzelne Film auf dieser DVD dauert etwa eine Viertelstunde. Dann kann man darüber diskutieren oder dazu spielen – und dann vielleicht noch einen weiteren Film ansehen.

Der Musik-Automat

Im Internet, etwa auf youtube.com findet man auch viele Kinderlieder, oft in Kindergartentonhöhe und -tempo gesungen, manchmal mit eingeblendetem Text… Es gibt auch Karaoke-Versionen zu hören, also die reine Instrumentalbegleitung.

Aber auch klassische Musik, Popmusik-Titel, Zirkusmusik und Tanzmusik lassen sich ja oft gut in Themen einbinden.

Es ist anzuraten, dass eine Vorauswahl getroffen wird, denn manches ist von der Qualität her nicht zu empfehlen.

Programmieren lernen

Hoch begabte Kinder mit ausgeprägten Stärken im mathematisch-logischen Bereich können durchaus mit fünf oder sechs Jahren erfahren, was Programmieren im Prinzip ist. Sie können auch lernen, kleine einfache Programme selbst zu schreiben – und dann erleben, wie ihr Programm auf dem Computer tatsächlich läuft.

Die Programmiersprache „Scratch“ wurde 2007 vom MIT (Massachusetts Institute of Technology) veröffentlicht und wird seitdem ständig weiter entwickelt, und zwar von einer Gruppe, die „Lifelong Kindergarten“ heißt. Man kann Scratch im Internet kostenlos herunterladen. Dafür werden hoch begabte Kinder vermutlich dankbar sein.

(Siehe Artikel „Scratch (Programmiersprache)“ in Wikipedia.)

Mit dem Programm kann man Spiele, interaktive Geschichten und Animationen selbst entwickeln und dabei den Grad der Komplexität selbst bestimmen.

Also ideal auch für Anfänger.

Die Kinder müssen allerdings, um mit dem Programm arbeiten zu können, schon einigermaßen lesen können. Schreiben können ist nicht so wichtig, denn es handelt sich bei Scratch um eine visuelle Programmiersprache. Das heißt, es müssen nicht einzelne Zeichen eingetippt werden, sondern es werden bereits getippte Versatzstücke kombiniert.

Die Anleitung erscheint zunächst in Englisch, kann aber wie die Programmiersprache selbst auch auf Deutsch eingestellt werden.

Es ist schon wichtig, dass den Kindern geholfen wird, sich in die Bedienung einzufinden. Alles andere geht dann durch Ausprobieren: Ich mache hier jetzt mal dies – was passiert dann?

Gibt es in der Kita oder in ihrem Umfeld einen computer-begeisterten Menschen, der hilft?

Scratch bietet auch die Möglichkeit, die eigenen Entwicklungen (Spiele etc.) mit anderen Nutzern in einer großen internationalen Community auszutauschen.

Maschine für Computerspiele und Lernprogramme, die kostenlos im Internet zu spielen sind

Diese Spiele sind nicht unbedingt schlechter als die gekauften, aber genaues Hinsehen ist schon nötig. Auch hier gilt der oben gegebene Hinweis auf die rasche Entwicklung in diesem Bereich.

Hier dennoch zwei Quellen für bewährte Medien für jüngere Kinder.

www.wdrmaus.de

www.kikaninchen.de/kikaninchen/index.html

Die Suchmaschine / das Nachschlagewerk

Hier entfaltet der Computer erst seine gesamte Bildungskompetenz. Schon im Jahr 1998 zeigte meine Kollegin, eine Kinderpflegerin, einigen Kindern ein bewegtes Planetenmodell auf dem Computerbildschirm, nachdem sie sich vergeblich abgemüht hatte, die Bewegungen der Planeten um unsere Sonne im realen Raum mit Hilfe von Bällen und Apfelsinen darzustellen. Die Kinder waren von der Computeranimation begeistert und ich auch.

Seitdem sind die Möglichkeiten ins schier Unermessliche gestiegen.

Was frisst ein Marienkäfer? Fragen wir doch mal das Internet.
Wie sieht die Fahne von Italien aus? Schnell mal nachsehen.

Ein Rezept für Bratäpfel? Kein Problem. Ich hörte von einer Kita, in der die Kinder im Internet drei verschiedene Rezepte fanden, die ihnen gefielen, alle drei ausprobierten und dann zur Abstimmung stellten, welche Bratäpfel den übrigen Kindern der Gruppe am besten schmeckten.

Man kann natürlich (in Anwesenheit einer Erzieherin) die großen Suchmaschinen Google oder Yahoo benutzen oder bei Wikipedia nachsehen.
Sinnvoll sind die speziell für Kinder entwickelten (und damit sicheren) Suchmaschinen.

Beispiele:

www.kikaninchen.de/kikaninchen/index.html
www.blinde-kuh.de.
www.labbe.de/zzzebra

Sicherheit im Netz

Eine gute Seite, auf der man viele Informationen finden kann, ist:

www.klicksafe.de
und darin insbesondere die Seite

www.klicksafe.de/Eltern/

Unbedingt notwendig ist, die Computer in der Kita mit einem Jugendschutzprogramm auszustatten. Solche Programme verhindern, dass Kinder auf gefährdende Seiten des Internets geraten können.

Für die Betriebssysteme Windows und Mac 0SX sowie für die Browser Firefox und  Chrome gibt es das wirklich ganz einfach zu installierende Sicherheitsprogramm
http://www.kinderserver-info.de. Es ist nach Installation mit einem Klick und der Eingabe eines Passwortes blitzschnell ein- oder auszuschalten.

Für Computer mit dem Betriebssystem Windows ist auch das kostenlose Programm JusProg. empfehlenswert. Dieses Filterprogramm ist ebenfalls leicht zu installieren. Es wird von der EU-Initiative klick-safe vorgestellt. Näheres dazu findet sich im Portal für Eltern und Pädagogen auf der Seite http://www.internet-abc.de, die im Ganzen sehr empfehlenswert ist.

 

Datum der Veröffentlichung: Februar 2013 / Version Mai 2021
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

Jerome übt Schreiben

von Arno Zucknick

 

Am IHVO-Zertifikatskurs nahm ich als Quereinsteiger teil. Zwar war mir das Thema Hochbegabung nicht unvertraut, aber ich kannte es eher bezogen auf Jugendliche und Erwachsene. Voraussetzung für meine Teilnahme am Kurs war, dass ich einen Tag pro Woche (über zwei Jahre!) in einer Kita in meiner Wohn- und Arbeitsstadt Berlin mitarbeiten würde. Dies tat ich dann auch neben meiner freiberuflichen Tätigkeit als Lehrer in der Erwachsenenbildung, und zwar nacheinander in zwei verschiedenen Kitas. So konnte ich mich mit der Altersgruppe der bis zu Sechsjährigen vertrauter machen und erfahren, wie Kita-Arbeit „geht“.

 

… kurz gefasst …

Ein Dreijähriger interessiert sich fürs Schreiben. Der Autor arbeitet ein bis zwei Vormittage pro Woche in der Kita des Jungen und nimmt sich an diesen Tagen häufig eine halbe Stunde Zeit, um den Jungen bei seinem Lernwunsch zu unterstützen.
Die Lernfortschritte des Jungen sind erstaunlich, ebenso die Freude und die spielerische Leichtigkeit, mit der er sich die Schrift erarbeitet.

Ich wurde in den beiden Kitas gut aufgenommen. Eine Vergütung für meine Arbeit konnte ich nicht bekommen, aber ein paar Kolleginnen zeigten sich am Thema interessiert und unterstützen meine Vorhaben.

Jerome spricht prima

Jerome (3;8) fiel mir gleich am ersten Tag auf. Er war nämlich der einzige, der die Frage nach seinem Namen und Alter in einem vollständigen und richtigen Satz beantwortet hat („Ich bin Jerome und auch drei Jahre alt“), während andere drei- und vierjährige Kinder in der Gruppe lediglich mit der Nennung ihres Namens und dem Zeigen von drei Fingern reagierten. Seine sprachliche Kompetenz ist auffallend. Er fasst seine Gedanken ohne Schwierigkeiten im ganzen Satzgefüge aus Haupt- und Nebensatz. Dabei bleibt sein Sprechen flüssig, nicht wie bei vielen anderen in der Gruppe, die oft noch das kleinkind-typische mehrfache Ansetzen brauchen, bei dem zwischendurch noch einmal neu Atem geholt wird.

Nach einigen Spielen und Gesprächen mit Jerome und einem Gespräch mit seinen Eltern begann ich mich an manchen Tagen, die ich in der Kita verbrachte, etwa eine halbe Stunde lang mit Jerome zu beschäftigen. Die übrige Zeit hatte ich mit der gesamten Kindergruppe zu tun.
Das Thema, das Jerome zur Zeit besonders interessiert, ist Schreiben. Also haben wir uns gemeinsam damit befasst. 

Der pädagogische Ansatz meiner Arbeit mit Jerome

Die Arbeit mit Jerome kommt nicht auf seinen Wunsch zustande, sondern auf meine Initiative. Ich finde es daher wichtig, unsere „Sitzungen“ nicht aus irgendeiner pädagogischen Erwartungshaltung heraus zu betreiben. Ergebnisorientiert ist meine Arbeit hier nur in dem Sinne, dass ich versuche, Aktivitäten anzubieten, die Jerome Spaß machen und die auf seine momentane Interessenlage eingehen. Des Weiteren ist es mein Anspruch, möglichst aufmerksam zu sein und ihn als auch mich bei den Sitzungen genau zu beobachten. Er kann die Angebote jederzeit ausschlagen und ist zu nichts verpflichtet. Es ist immer seine Entscheidung, ob wir am jeweiligen Tag, während die anderen Kinder bereits draußen sind, eine halbe Stunde länger drin bleiben und etwas machen.

Es ist mir auch wichtig, hier kein Lehrer-Schüler-Szenario entstehen zu lassen. Wir gehen spielerisch mit dem Thema um, die Betonung liegt auf der gemeinsamen Aktivität, bei der der Ältere und Erfahrenere dem Jüngeren lediglich mit Hinweisen und Anregungen zur Seite steht und ihm weitgehend die Führung überlässt.

Unsere Sitzungen fanden nicht an jedem Tag statt, an dem ich in der Kita war. Manchmal verbrachte ich den Vormittag in der anderen Gruppe, an manchen anderen Tagen hatte ich den Eindruck, Jerome war nicht in der Stimmung, oder der Tagesablauf  war so voll, dass für Jerome die Möglichkeit noch am Vormittag rauszukommen entfallen wäre, wenn wir noch gearbeitet hätten. Jerome hat ein für sein Alter ganz normales Bedürfnis nach Bewegung und dem sollten unsere Aktivitäten nicht im Wege stehen.

Unsere ersten Sitzungen

Da Jerome auch sehr gern malt, lief es meistens so, dass wir anhand eines von ihm frei gewählten Themas Bilder gemalt und die entsprechenden Wörter dazu geschrieben haben. Bei dieser ersten Sitzung war gerade der Name seines Freundes, Felix, interessant. Den konnte er schon schreiben. Also hat Jerome Felix gemalt und den Namen dazu geschrieben. Ich malte mein eigenes Bild von beiden in ihren jeweiligen Kleidungsstücken, die sie an diesem Tag trugen, und schrieb ihre Namen über die Figuren. Jerome schrieb dann auch auf meinem Bild beide Namen noch einmal dazu und wollte auch meinen Namen schreiben. Ich schrieb ihn vor und Jerome kopierte ihn. Wir schreiben bisher immer in großen Druckbuchstaben.

Gleich bei dieser ersten Sitzung fiel mir auf, dass Jerome auch manchmal in Spiegelschrift schreibt, anscheinend ohne den Unterschied zu bemerken. Ich machte ihn darauf aufmerksam, vermied es aber, die falsche Schreibrichtung „falsch“ zu nennen, sondern nannte sie Spiegelschrift und zeigte ihm, dass man das in Spiegelschrift geschriebene Wort richtig herum sieht, wenn man das Blatt Papier gegen das Licht hält und von hinten hindurchsieht. Das fand er ganz toll. Meinen Namen schrieb er beim ersten Mal richtig herum und als ich ihn aufforderte, ihn doch auch noch einmal in Spiegelschrift zu schreiben, tat er dies ohne zu zögern und beim ersten Versuch ohne „Fehler“, was ich besonders in Hinsicht auf das „N“ in „ARNO“ erstaunlich fand. Wir stellten auch fest, dass es bei manchen Buchstaben egal ist, wie herum man sie schreibt. In der Folgezeit schrieb er noch oft in Spiegelschrift und ich machte ihn jeweils darauf aufmerksam.

Ebenfalls gleich bei der ersten Sitzung stellte sich heraus, dass er die Wörter, die er schreibt, richtig buchstabieren kann. Er tat dies unaufgefordert, nachdem er das jeweilige Wort geschrieben hatte. Dabei benennt er die Buchstaben völlig korrekt, zum Beispiel „enn“ für ein „N“ anstatt eines rein nasalen „nnn“. Ich war ziemlich beeindruckt.

In weiteren Sitzungen kamen die Themen „Piraten“, „U-Bahn“, „Namen von Kindern aus der Gruppe“, „Eule“ und „Elefant“ auf. Beim Thema  „Piraten“ fiel einmal mehr Jeromes fortgeschrittener Wortschatz auf, als er das von mir gemalte Schwert mit gebogener Klinge als „Säbel“ bezeichnete. In dieser Sitzung erklärte er dann auch noch im Detail, wie ein Flugzeug startet, dass es nämlich zunächst auf der „Rollbahn“ anfährt und dann erst „abhebt“.

Beim Thema „U-Bahn“ faszinierte es ihn, die entsprechenden Schilder mit dem auf blauem Hintergrund in Weiß ausgesparten „U“ zu malen. Diese Negativ-Methode einen Buchstaben zu malen, indem man ihn als Umriss malt und den Hintergrund auffüllt, fand er toll. Das haben wir dann auch noch mit dem auf grünem Hintergrund erscheinenden „S“ für die Stadtbahn gemacht. Das war schon schwieriger, aber er ließ sich nicht entmutigen.

Bei einer weiteren Sitzung konnten wir auf neu angeschaffte Plastik-Buchstaben mit Magnet zurückgreifen. Als ich ihm die Wörter „Mama“ und „Papa“ legte, konnte er sie, nachdem er zuerst meinte, „kann ich nicht“ (als geschriebene Wörter waren sie ihm noch neu), dann doch durch Buchstabieren entziffern und lesen. Es machte ihm sichtlich Spaß, etwas ihm noch Unbekanntes selbstständig zu enträtseln. Daraufhin wollte er auch Wörter legen, die ich ihm anschließend vorlesen sollte.

Er legte dann, das gesamte Alphabet verbrauchend, lange Fantasiewörter, die ich ihm auch vorlas. Dass dabei keine echten Wörter herauskamen, fand er nicht  irritierend, vielmehr machte es ihm Spaß zu sehen, dass man jede mögliche Buchstabenkombination irgendwie zum Klingen bringen kann, welche lustigen Laute dabei entstehen können und wie ich mich dabei abmühen musste.

Zu einer der Sitzungen sind wir aus räumlichen Gründen in den Tanz- und Turnraum gegangen und haben die Mal-Utensilien mitgenommen. An diesem Tag war Jerome nicht sehr am Schreiben interessiert, es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Das lag vielleicht an dem ungewohnten Raum und an den vielen Gegenständen und den Musikinstrumenten, die hier herumlagen.

An diesem Tag war er wohl auch darauf aus, mich ein bisschen auf die Probe zu stellen. So fing er an, mit den Musikinstrumenten  herumzuspielen und rannte an einem Punkt sogar aus dem Raum, wohl um zu sehen, ob ich hinterherkommen würde. Außerdem war zwischendurch auch noch Robert, ein Junge aus unserer Gruppe, aufgetaucht und hat ihn abgelenkt. Ich schlug ihm vor, dann doch lieber rauszugehen, was er auch gut fand. Im Ankleideraum kam er aber doch noch einmal kurz auf das Thema Schrift zurück, als er sich die Frage stellte, welche anderen Kindernamen denn noch mit „Jot“ anfangen. Er kletterte auf der Bank an den Fächern entlang und identifizierte die Namen von Josephine und zwei, drei anderen Kindern aus der Nachbargruppe.

Unsere Sitzungen dauerten meist zwischen 30 und 45 Minuten. Danach sind wir dann immer zu den anderen nach draußen gegangen.

Ergebnisse und Beobachtungen

Nach den ersten sieben Sitzungen zog ich eine Zwischenbilanz. Die Arbeit mit Jerome hatte mir und ihm bisher großen Spaß gemacht.  Er hat dabei einige neue Erfahrungen mit dem Schreiben und Lesen gemacht und einige für ihn neue Wörter zu schreiben gelernt.

Allein die Tatsache, dass Jerome bisher die Lust an unseren Sitzungen nicht verloren hat, ist für mich ein großer Erfolg. Der spielerische Umgang mit einem Thema entspricht nicht meiner natürlichen Neigung und ich empfinde mich dabei nicht als sehr einfallsreich. Ich erfasse Inhalte zumeist auf sehr analytisch-abstraktem Niveau und finde Übungen daraufhin eher langweilig. Entsprechend fällt es mir schwer, hier kreative Ideen zu entwickeln. Es war daher sehr hilfreich, Jerome die Führung zu überlassen, einfach mit ihm mitzumachen und gelegentlich Hinweise oder Hilfestellungen einzustreuen. Dieser Ansatz hat sich anscheinend bewährt.

Jerome hat sich in manchen Momenten sehr feinfühlig gezeigt, insbesondere wenn er das Gefühl hatte, ich wolle ihn prüfen, wenn ich beispielsweise nachfragte und wissen wollte, ob er etwas verstanden hatte – in solchen Situationen hat er immer sehr selbstbestimmt gehandelt und entschieden, wie weit das gehen würde.

Die Initiative zu unseren Sitzungen ging zumeist von mir aus. Meiner Erinnerung nach hat er bisher nur einmal seinerseits nachgefragt, „ob wir heute wieder schreiben“. Gleichwohl hat er auch kein einziges Mal auf meine Nachfrage hin abgelehnt.  Die typischen Merkmale einer Hochbegabung zeigt er in Ansätzen; ich denke hier zum Beispiel an seine Klage, dass er sich oft von den äußeren Abläufen gestört fühlt und sich Rückzugsmöglichkeiten wünschen würde.

Die gemeinsamen Zeiten haben Jerome und mich einander näher gebracht, der Kontakt ist ausgesprochen herzlich und er betrachtet mich als einen guten Freund, was mich wirklich sehr freut. Ich erhoffe mir für die Zukunft, dass unsere Begegnungen eine Intensivierung des Vertrauensverhältnisses und weiterhin viel Spaß und Inspiration für uns beide bringen.

 Jerome will richtig schreiben und lesen lernen, aber spielerisch

In der bisher letzten Sitzung hatte ich Jerome gefragt, ob er denn „richtig schreiben und lesen lernen“ wolle, was er bejaht hat. Die Rückmeldung der Eltern, dass Jerome zu Hause schon oft die Hausaufgaben seines Bruders (1. Klasse) mitmache, nehme ich als einen weiteren Hinweis, dass es angebracht ist, nun gezielter das Alphabet zu erarbeiten. Hierzu habe ich einen Ordner angefertigt, der für jeden Buchstaben eine Seite bereitstellt, auf der zunächst der große Druckbuchstabe ausgemalt werden, dann ein Bild in einen vorgegebenen Rahmen gemalt und schließlich ein Wort unter das Bild geschrieben werden kann.

Hier sei auch verwiesen auf das sehr schöne TINTO Buchstabenheft,
siehe: Bilderbücher, Sachbücher…

In letzter Zeit hatte es Anzeichen gegeben, dass meine gesteigerte Aufmerksamkeit für Jerome zu Eifersüchteleien und Animositäten bei anderen Kindern führen könnte.

Durch ein Gespräch mit Jerome, das in Vereinbarungen mündete, konnte das Problem entschärft werden – vor allem aber dadurch, dass ich zusätzlich zu meiner Förderarbeit mit Jerome auch Angebote zur kognitiven Förderung an die Gesamtgruppe machte.

Näheres zu dieser Problematik und zu meinem Gespräch mit Jerome siehe in:
Einzelförderung, Mentoring.

Inzwischen hatte Jerome seinen 4. Geburtstag.

Den von mir vorbereiteten Ordner, den Jerome und ich Fibel nannten, hat er mit Interesse angenommen und wir arbeiten damit. Dabei hebt er gar nicht in dem Maße, wie ich es erwartet hatte, auf das Malen von Bildern ab. Das Schreiben selbst steht für ihn im Vordergrund. In den produktiveren Sitzungen ist er erstaunlich motiviert und schreibt oft sehr lange Wörter wie „Jadgfieber“ oder „Haferbrei“. Dabei braucht er zwar durchaus meine Unterstützung, schreibt aber auf meine Hinweise hin recht selbstständig, fragt gelegentlich nach, ob das nun “richtig rum“ sei (und nicht Spiegelschrift) und will auch immer, dass ich das Wort dann noch einmal vorlese.

Die jeweiligen Wörter ergeben sich meist aus der Situation oder aus Erzählungen von seinen Erlebnissen. Auf „Haferbrei“ kamen wir beispielsweise, weil er erzählte, er habe an jenem Morgen eine riesige Schüssel davon gegessen. Einmal erwähnt er, dass seine Mutter ihm erzählt habe, sie sei früher immer über die Grenze in die DDR gefahren. Nun will er wissen, was das heißt und wie man es schreibt. Ich buchstabiere es ihm und er schreibt es. Bei dem „D“ fällt ihm auf, dass es ja fast wie ein „T“ ist und amüsiert sich dann, dass das „T“ ja quasi schon das ganze Wort „Tee“ ist.

Große Freude machen ihm nach wie vor lange Fantasie-Wörter aus wild zusammengewürfelten Buchstabenfolgen, die ich ihm dann vorlesen soll, manchmal schreibt er sie, manchmal legt er sie mit den Magnet-Buchstaben aus Plastik, die wir in fast jeder Sitzung benutzen, seit wir sie haben. Da solche Wörter meistens lange Folgen von Konsonanten beinhalten, ist es für ihn witzig, wenn ich versuche, sie zu intonieren, gleichzeitig stoßen wir so immer wieder auf das Problem, dass dies eben wegen der vielen Konsonanten so schwierig ist. Als ich solch ein Wort einmal zum Anlass nehme, ihn auf den Unterschied zwischen Konsonanten und Vokalen aufmerksam zu machen und ihn bitte, doch ein paar Vokale einzufügen, tut er dies zielsicher und ohne weiteren Erklärungsbedarf.

Nach den ersten sieben Sitzungen ist etwas Neues zu beobachten:

Jerome fordert die Sitzungen ein

Es fällt jetzt auch auf, dass er, wenn wir länger nichts gemacht hatten, geradezu darauf drängt, „heute wieder was zu schreiben“. Er empfindet das Schreiben mit mir anscheinend anregend und fragt diese Aktivität mit großem Interessse nach, wenn die letzte Sitzung schon etwas länger her ist.

Die Sitzungen waren generell umso produktiver, je ungezwungener sie waren. In dem Maße, in dem ich versuchte, sie zu strukturieren und systematisch das Alphabet zu erarbeiten, zeigte er sich schwerfällig und uninspiriert. So sind wir in der Fibel nach zweiweiteren Sitzungen beispielsweise erst bei dem Buchstaben „C“, obwohl er doch schon viel mehr Buchstaben kennt und anwendet. Ich muss mich immer wieder darauf besinnen, dass hier kein „Klassenziel zu erreichen ist“ und ich mich ohne Not auf seinen intuitiven, spielerischen Umgang mit dem Thema einlassen kann.

Hoch begabte Menschen gehen oft eigenwillige Lernwege, die nicht immer einer üblichen Systematik folgen müssen.

Jerome lernt das ganze Alphabet kennen

Wir haben uns in den folgenden drei Monaten anhand der Fibel konsequent weiter durch das Alphabet gearbeitet und sind schließlich bis zum Buchstaben „S“ vorgedrungen,  wobei die verbleibenden Buchstaben ebenfalls aufgetaucht sind, weil sie in Wörtern vorkommen, die wir unter den vorangehenden Buchstaben behandelt hatten. Dazu brauchten wir neun Termine.

Man kann also sagen, dass Jerome inzwischen Bekanntschaft mit dem gesamten Alphabet einschließlich der Umlaute gemacht hat. Das Wort „Alphabet“ selbst benutzt er in diesem Zusammenhang mit großer Selbstverständlichkeit.

Es kam in letzter Zeit immer seltener vor, dass andere Kinder aus der Gruppe an diesen Sitzungen teilnehmen wollten, was Jeromes Konzentration sehr zu Gute kam. Ich vermute, dass diejenigen, die teilgenommen hatten, gemerkt haben, dass sie dieser Aktivität nicht viel abgewinnen konnten, da sie nicht dasselbe Interesse am konzentrierten Arbeiten mit Buchstaben mitbrachten.

Es ist schade, dass in dieser Kita-Gruppe keine anderen Kinder waren, die sich genauso stark für die Erarbeitung der Schrift interessierten. Das wäre für Jerome noch besser gewesen So aber blieb bloß die Methode der Einzelförderung.

Siehe: Integrative Schwerpunktkindergärten für Hochbegabtenförderung

Bei allen Sitzungen konnte ich beobachten, dass Jerome weiterhin mit großem Interesse und großer Konzentrationsfähigkeit bei der Sache war. Oft ist er geradezu durch die Fibel gestürmt und hat einen Buchstaben nach dem anderen „bearbeitet“.

Dabei hat er große Fantasie beim Auffinden von passenden Wörtern gezeigt und hatte keine Scheu vor langen Wörtern. Beim „N“ beispielsweise entschied er sich, das Wort „Nussschokolade“ zu schreiben. Beim „D“ fiel ihm „Durst“ ein er und merkte schnell, dass man das zwar leicht schreiben kann – aber wie sollte man „Durst“ malen? Seine Lösung war, ein Glas Bier zu malen, auf das er dann ja auch noch das Wort „Bier“ schreiben konnte. Besonderheiten bei der Schreibweise von Zischlauten wie „ch“ und „sch“ oder die prinzipielle Kombination von „Q“ und „u“ bedurften zwar der Erklärung, wurden dann aber ohne Weiteres umgesetzt.

Es war immer wieder erfrischend, seine schnelle Auffassungsgabe zu erleben. Einmal schrieb er mitten im Wort das „S“ spiegelverkehrt und ich machte ihn lediglich darauf aufmerksam, dass da in dem Wort etwas noch nicht ganz stimmte. Er lokalisierte auf Anhieb den Fehler beim „S“, hielt das Blatt anders herum gegen das Licht und sagte: „So muss es sein“.

Beim „Q“ war unser Beispielwort „Qualle“. Durch die direkte Folge von „L“ und „E“ kam er darauf, dass ja das „E“ eigentlich (als geschriebener Buchstabe) eine Kombination aus „F“ und „L“ ist. Daraufhin untersuchten wir weitere Buchstabenkombinationen wie das „P“ das ein Teil von „B“ bzw. „R“ ist.

Jerome weiß jetzt, wie er weiter lernen kann

Er entwickelte im Verlauf der Arbeit auch selbstständig Arbeitsstrategien. So wurden Blätter, die er außerhalb der Fibel erstellt hatte, bei den entsprechenden Buchstaben eingeordnet. Beim Schreiben neuer Wörter recherchierte er bei Unsicherheiten bestimmte Buchstaben in der Fibel, indem er zurückblätterte und sie ausfindig machte.
Eine andere Strategie war, einen Buchstaben, an den er sich zwar erinnerte, bei dem er aber nicht ganz sicher war, zuerst auf einem Schmierzettel auszuprobieren und ihn von mir absegnen zu lassen. Dann erst wurde dieser auf die Seite in der Fibel übertragen. Wenn einmal wegen der Länge des Wortes der Platz auf der Seite nicht ausreichte, schrieb er einfach „um die Ecke“ am Rand der Seite weiter.

Währenddessen überraschte er mich auch immer wieder mit seinem großen Wortschatz. Bei der Qualle erzählte er zum Beispiel, dass die ja Tentakeln habe, und schrieb gleich erstmal das Wort „Tentakeln“.

Gern machte er Gebrauch von alternativen Möglichkeiten des Schreibens wie den Plastikbuchstaben, die man auf der Magnettafel zu Wörtern zusammenlegt, oder einem neu angeschafften Brett mit ausgehobenen Buchstaben, die durch Schraffieren auf ein darübergelegtes Blatt Papier übertragen werden können. Alles das tat er mit spielerischer Leichtigkeit und ganz selbstverständlich. Deutlich spürte er aber auch, wenn es ihm reichte und er gern nach draußen wollte, um sich auszutoben. Das sagte er dann ganz klar und die Sitzung war beendet.

Was hat es gebracht?

Leider musste ich die Arbeit mit Jerome beenden, da ich aus Ausbildungsgründen noch in einer anderen Kita arbeiten wollte, um breitere Erfahrungen zu sammeln.

Mit Jeromes Mutter konnte ich beim Sommerfest ein abschließendes Gespräch führen. Sie äußerte sich sehr positiv und bedankte sich für meine Arbeit mit ihrem Sohn. Er habe das sehr gut gefunden und es sei auch ihr so vorgekommen, dass ihm die gemeinsame Arbeit gut getan habe. Da er sich auch zuhause als sehr wissbegierig zeige, sei es für ihn eine wertvolles Angebot gewesen, mit mir Schreiben zu üben.

Aus meiner Sicht ist die Arbeit mit Jerome für uns beide von großem Gewinn gewesen. Jerome hat es sichtlich gut getan, eine besondere Zuwendung zu erfahren und gleichzeitig fokussiert und unter Anleitung einem seiner Interessen nachgehen zu können. Dies entnehme ich der Tatsache, dass es  – bis auf die ersten Male – sichtlich sein eigener Antrieb war, aus dem heraus die Sitzungen stattfanden.

Er hat sich mit meiner Unterstützung das Schreiben (vorerst in Großbuchstaben) erfolgreich erarbeitet; alles Weitere kann er selber herausfinden bzw. üben.

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2012
Copyright © Arno Zucknick, siehe Impressum.

 

Lese-Rechtschreib-Schwäche

 (Legasthenie)

von Hanna Vock

 

Auch hoch begabte Kinder können von einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) betroffen sein. Das heißt, sie haben große Schwierigkeiten, sich die Schriftsprache zu erarbeiten, obwohl sie zunächst hoch motiviert sind.

Die Verzweiflung ist dann groß, wenn die LRS zu spät erkannt wird, keine kompetenten Hilfen zur Verfügung sind und/oder die Schule die LRS zu wenig berücksichtigt. Zwar haben inzwischen alle Bundesländer dazu verbindliche Regelungen getroffen, aber diese (entlastenden) Regelungen sind verschieden und gehen unterschiedlich weit.

Auch für Erzieherinnen ist es wichtig, Einiges über LRS zu wissen, um schon im Kindergarten Anzeichen erkennen zu können. Bei sehr begabten Kindern beginnt der Leselernprozess früh. Falls eine LRS vorliegt, kommt er aber bald ins Stocken und das Kind resigniert. Es ist wichtig, dies zu bemerken und darauf zu reagieren.

Die Forschung erkennt immer genauer die neurologischen Besonderheiten und die genetischen Ursachen der LRS. Niemand, der LRS hat, kann etwas dafür, auch die Eltern haben nichts falsch gemacht.

Wichtig zu wissen ist, dass es verschiedene Formen gibt: Die LRS betrifft oft sowohl den Lese- als auch den Schreiblernprozess; es gibt aber auch eine Form, bei der der Leselernprozess bewältigt wird, es aber zu großen Schwierigkeiten kommt, sobald das Kind schreiben will (Isolierte Rechtschreibstörung).

Je früher eine LRS entdeckt wird, am besten noch vor der Einschulung, desto besser ist sie zu therapieren. Eine Liste von Therapeuten findet sich unter www.legasthenie.de .

Wie erkennen?

Im Kindergarten können wir uns bei besonders und hoch begabten Kindern an den Lernschritten beim Leselern-Prozess und beim Schreiblern-Prozess orientieren.

Siehe auch: Früh Lesen lernen.

Wenn auffällt, dass ein Kind – trotz besonderer Begabung und dem Wunsch Lesen zu lernen – die Lernschritte:

1. Buchstaben erkennen und dauerhaft einprägen,

2. Buchstaben die richtigen Laute zuordnen,

3. die gesehenen Buchstaben zu gehörten Wörtern zusammen ziehen,

4. den Wort- und Satzrhythmus erfassen

nicht vor dem 6. Geburtstag bewältigt, sollte genauer hingesehen werden, woran dies liegt. Wenn das Kind selbst irritiert ist, sollte auch schon früher geprüft werden, an welcher Klippe, an welchem Lernschritt es die großen Schwierigkeiten hat.

Zunächst muss selbstverständlich eine allgemeine Seh- oder Hörschwäche ausgeschlossen werden.

Dann ist zu fragen, ob das Kind eine visuelle Wahrnehmungsschwäche hat, also die Buchstabenzeichen nicht wirklich auseinander halten und sich zuverlässig einprägen kann. Wenn das so ist, dann scheitert es schon am ersten Lernschritt.

Weiter ist die phonologische Bewusstheit zu betrachten. Kann das Kind gehörte Laute fein genug unterscheiden? Hört es zum Beispiel den Unterschied zwischen einem B und einem P oder einem D und einem T sicher? Hier liegt die Klippe im zweiten Lernschritt.

Der dritte Lernschritt stellt hohe Anforderungen an die Kombination der Sinneswahrnehmungen Sehen und Hören. Möglicherweise funktioniert die „Vernetzung“ dieser beiden Wahrnehmungsarten im Gehirn nicht so reibungslos wie bei den meisten anderen Menschen.

Manche Kinder haben Schwierigkeiten mit dem Wahrnehmungsrhythmus. Für genaues und flüssiges Lesen ist es wichtig, dass die Augenbewegungen (und alle daran anschließenden Wahrnehmungsprozesse) sich dem Rhythmus des Wortes und des Satzes anpassen und nicht holpern oder überspringen.

Man kann sich vorstellen, dass ein Kind Probleme mit dem Lesen (und Schreiben) bekommt, wenn eine oder mehrere dieser Schwierigkeiten auftreten. Es braucht dann spezielle Hilfen und die psychische Entlastung, die eine klare Diagnose gibt.

 

Datum der Veröffentlichung: August 2011
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

Early Reading

by Hanna Vock

See also: Reading and Writing in Kindergarten

Irena was 3 years and six months old when she came to our kindergarten for the first time. She was thrilled and very attentive when I explained to her which hook to use for her coat, namely the one with the sailing ship on it. She whispered to her mother: “Mum, that’s easy to remember, see, it’s got my name right next to it.” An unusual utterance to be made by a 3 years old child. She was showing that she could not only read but also use reading as a tool for orientation in a new situation.

Early reading or the early wish to learn how to read is an indicator of an extraordinary cognitive and verbal aptitude. Further observation yielded many more indications of her extraordinary advancement in thinking and speech.

… in a nutshell …

Many gifted children desire to learn how to read at an early stage. They understand reading is a great tool for gathering information – and thereby satisfying their hunger for knowledge. Gifted children strive for the greatest possible cognitive autonomy early on. For them being able to read is part of it.

And how may kindergarten teachers support them in learning how to read in time? In time meaning at just the time, when the child wants it and also disposes of the necessary prerequisites.

Methodological suggestions as to how that learning process may be facilitated will be given in the article.

Sven, five years old, was suddenly able to read. He started (all of a sudden?) reading long texts fluently and without making mistakes, as if he had been doing so all along. Upon the question “How did you learn that?” he answered: “I don’t know, I just did.”

Ilka, when getting a picture book for her 4 th birthday, said to her mother: “That’s not fair: everybody’s able to read but me.” Was she just babbling away?

Soon after the family is off for two weeks of summer holidays and she has packed the reading primer by which her mother had learned reading many years ago and which was in the shelf with Ilka’s picture books. Now her parents won’t be able to say they don’t have any time helping her learn how to read. Ilka works herself through the entire book within two weeks, oftentimes wanting to do another and yet another page.

At the end of the vacation she can read. Words like “telephone” or “traffic lights” she writes correctly and without help or having to practice them. This shows an extraordinarily high learning tempo.

A number of years later an IHVO-student reports of a four and a half years old girl in her kindergarten group who had said almost the very same thing to her mother: “You are all mean, you can read and I can’t.”

How drastic little lovely girls have to get until their desire to learn is acknowledged! Unfortunately they are not always taken seriously.

Why do many gifted children want to learn how to read even as early as when they are four years old?

In our Certificate Courses the participants make use of the questionnaire by Joelle Huser in order to involve talented (possibly gifted) children in a conversation about their interests and playing and learning needs. Among many others one particular question therein is: “What would you like to learn?” A rather harmless question, yet much too rarely asked.

Again and again colleagues are amazed that quite a few children, unsolicited, choose “reading” from the indefinite number of possible answers.

And they always realize the children are serious about it.

Why is it so important for them?

Developmental psychology has an answer to this.

1. Intellectual giftedness always goes along with a far above average craving for knowledge, a hunger for intellectual nourishment, for input of information about the world.

2. Every child will in its early development pass different stages with regard to its capability of acquiring information about the world.

It’s worthwhile to take a closer look at these stages in order to understand gifted children better.

Phase 1:

The newborn child initially makes use of its close senses which have developed in utero: the tactile sense (touching), the olfactory sense (smelling), the gustatory sense (tasting) and the balance sense. The information acquired via these sensory channels is continuously being integrated into the child’s view of the world.

By making use of these senses in its new environment outside the womb it is practising them so that it learns to perceive ever more accurately and discriminately.

The near senses are important for the child’s orientation (as when engaging in its primary activity: drinking) and they are very important for an uncorrupted sense of being safe and secure.

The far senses, hearing and vision, have developed to an extent inside the first, tight and narrow home of a child, the womb, but they could provide only little and diffuse information.

However, as soon as the child has been born and upon making the initial exhausting adaptations to the new environment the far senses will develop rapidly.

This can be observed primarily with regard to vision: the children practise focussing, which in their case means purposely examining certain details and structures of the outside world, purposely and with great concentration. All the while not only neurons form an incredible number of new connections but the muscles of the orbit (controlling the movements of the eyeball) are being trained as well.

It can be observed that ‘wide awake’ (possibly gifted) infants are more motivated and work harder than other children. The example of little Pete may once more serve to demonstrate this (see also: Observations on a Baby .)

At the age of 3 months and 11 days little Pete showed the following performance:

In the course of 24 hours he was visually fixating toys hung over his bed/baby blanket while kicking his legs lightly and strongly, being highly concentrated, amused and without any extrinsic motivation necessary over these great periods of time:

  • from 3.10 to 4.07 (57 minutes),
  • from 9.12 to 9.38 (26 minutes),
  • from 15.06 to 16.21 (75 minutes),
  • from 21.33 to 22.18 (45 minutes),

That amounts to a self-imposed ‘labour time’ of 3 hours and 23 minutes – aside from the ‘labour time’ spent drinking.

At the end of this period the child is able to gather quite a lot of information about the world just by looking at it. It can now even see more distant colours and structures rather well. This method of acquiring information by looking at things will be of great importance for any further learning – lifelong. New skills and abilities are yet to be added.

The infant demands ever new visual stimuli. It loves being carried around on the arm or on the back so that new colours and structures keep appearing in its visual field. The ‘wide awake’ infant will immediately be uneasy and unsettled if it is being laid down flat while awake without enough interesting visual stimuli or when it’s being carried around in a wrap around baby carrier limiting its sight.

Phase 2:

The baby learns how to grab and handle objects. The developing eye-hand-coordination allows the child to pull things it is seeing closer and examine them from all sides.

The example of little Pete (0;3) continued:

During these periods, in which he practised seeing/looking, he visually fixated the toys consistently, interrupted only by short moves of the head to look around. The hands were twitching slightly into the direction of the toys but couldn’t reach them.

The observer was under the impression that something was intended which could not yet be done for lack of motor skills.

And during this concentrated activity there were probably new neurons being grown at great pace in the brain along with algorithms forming to finally enable the child to purposely touch the toy.

One day later a first targeted grabbing (with one hand) could be observed. When successful (which at this stage were only few attempts) the baby smiled. These ‘grabbing exercises’ too, were repeated with the very same highly concentrated persistence. When torn away from this activity (picked up) the baby would be very annoyed and indignant.

In comparison to what other infants of the same age show, these performances demonstrate a remarkable intrinsic motivation and great persistence in (mentally) highly demanding activities on the cutting edge of present capability.

The great persistence results in much practice and consequently quick success. This comes as no surprise remembering the matter of fact (established by experience) that gifted children ages 3 – 4 years are some 2 years ahead of their peers with regard to their cognitive state of development.

Being able to grab and handle provides the child with a new method, a greater autonomy and independence in the acquisition of information.

The infant is not as dependent as before on having an adult hand him something, it can tend to its craving for information in a whole new way.

Phase 3:

The child learns to move around and to sit up. Every child follows its own routine here. Some don’t crawl, they immediately go directly from commando crawling to the upright position on their legs. Some don’t commando crawl, they roll along their longitudinal axis in order to reach things they have seen. Some take their time to sit up for the first time, but are very adroit in handling things while lying on their backs …, any which way: the aim is to expand their horizon.

  • – By sitting up or assuming an upright position on its legs the child gains a whole new overview of its surroundings (please try this yourself).
  • – Mobility allows the child to autonomously approach things that have been detected by hearing or vision. These things now become accessible.

A revolution in the acquisition of information!

Very intelligent and socially gifted children do not only themselves move around, but have adults move around on behalf of their learning interests (by consequently addressing the reward centre in the adults’ brains: go, get me something new or at least position it within my reach, then I’ll calm down again).

These methods of

  • – going / later driving to the things and
  • – getting a better overview from a higher position

as important learning methods last a lifetime. Just think of schools, museums, journeys… and of watchtowers, exploration via plane, maps of landscapes and cities.

With the upright position and mobility the child learns new methods which in turn give it greater autonomy and independence in the effort to gather information.

Phase 4:

Vocalisation slowly becomes an ever more important method of acquisition of information.

The child from the very beginning on engages joyfully in the possibilities of creating sounds with its ‘phonatory apparatus’. It gets used to the language(s) it hears in its surroundings and tries to imitate the sounds it hears.

It also detects more complex patterns in language (words, intonation, rhythms and combinations of sounds) and in communicating with the people around it the child identifies meaning and purpose of specific words, expressions and eventually of whole sentences.


From what it hears it filters information which seems important. It now disposes of elements with which it can start thinking and manipulating its surroundings through the spoken word, not only vocalizing but actually speaking.

Not only listening, but even actively asking become exciting new techniques of acquiring information. The idea emerges that for everything there are experts who can be turned to. This may at first be for example grandma, who knows all the songs, or the kindergarten teacher, who knows how to make paper planes. The child begins to build its own pool of experts.

Gifted children strive for perfection in acquiring information via vocalisation quickly. This is not only true for children who also have an extraordinary talent for language.

This is about the usage of a tool, and this may at first not be so very elegant and elaborate – as long as it’s effective!

Once three years old, when other children are still struggling with the rudiments of their mother tongue, gifted children have almost always made the use of vocalisation their main tool for satisfying their desire for new information. At this point the interest in telephoning may become stronger – not only because it’s nice to hear the voice of an absent mother, but in order to ask things the child wants to know.

Once the acquisition of language has been mastered brain capacities become disposable for other uses. And now, what’s the next step?

Phase 5:

Learn how to read.

It is nothing but consequent that gifted children want to be able to read. Reading puts you at an advantage, they understand this very soon. They realise: there are many, many books with all kinds of highly interesting contents.

Most picture books have texts, too – but often it seems to make sense to not only read them as they are, even if they are good texts. In accordance to the child’s comprehension and its previous knowledge one may amend the texts, discuss them with the child, ask questions, exchange opinions, welcome their ideas and the like. Only then picture books will fully unfold.

Then comes a point in the development of a child, and gifted children may get there as early as the beginning of their 4 th year when they understand, that behind the letters on the page lies a text which contains information. It is then that they want you to read out what the text says .

This is how the initial interest for the characters as symbols, which often interest the child in its 3 rd year and which are learnt quickly, changes into the idea that texts hold much more information than just the names of the letters.

Reading increasingly appears as a valuable ability.

It frees the child of its dependence on the adult, who most of the time has neither the time nor the desire to read out loud for the child – at least not to the extent a child who is craving for knowledge would wish for and consider appropriate.

Furthermore the child discovers that outside of books it is expedient to know reading, too: on signs, on packaging and so forth. The child striving for autonomy recognises reading as an important means of orientation in its environment.

What a pity that children experience so little understanding for their learning desire and rarely receive unreserved and active support!

Some children are intelligent enough and are so intrinsically motivated as to teach themselves how to read and write (between the ages of 4 to 6 years). The others have to wait until they enrol at school, unless they get help.

In the many years I have been counselling parents I met very few parents who were willing to teach their children how to read before they went to school. Most of those who were willing to do so happened to be foreigners.

Many parents and kindergarten teachers find it immediately liberating when offered the following argument:

Swimming is not part of the curriculum before the 5 th year at school; yet, it would hardly occur to a physical education teacher to reproach parents silently or directly with having taught their physically gifted child swimming when it was 4 or 5 years old.

Phase 6:

Once reading has been mastered and the gifted children have integrated this skill into their everyday lives a new tool comes into focus.

What do adults do, when the information they need is not in their own heads, nor in the heads of people around them nor in books they have at hand?

They go to the internet.

Five-year-olds are able to ask Google if you let them and help them (just like you did when they learned riding a bike or when they learned to speak). Most certainly parents should stand by when a child surfs the internet, even when surfing the internet has technically been mastered. Internet research is not only precarious with regard to the protection of minors, but it can also be very frustrating if one gets lost in the multitude of information of the giant net and doesn’t find the desired answers.

Here too, children need practical support and encouragement.

Summary: How does the child access information?

The active acquisition of information is an important basis for cognitive development. The child becomes increasingly independent in this endeavour. This process takes place in three steps. The child keeps practising intensely until a new method of acquiring information has been learned. Gifted children pass through all these stages earlier and quicker.

1.

The child processes sensory data from the immediate surroundings (even inside the womb). As a newborn child it still needs to be directed towards interesting parts of the environment. It learns to focus its attention and it practises the use of its senses, especially vision.

2.

The growing eye-hand-coordination increases autonomy and expands possibilities of acquiring information.

3.

Sitting up autonomously broadens the important visual horizon. The newly acquired techniques of mobility (rolling around, commando crawling, crawling, walking) allow the child to reach interesting things and examine them.

4.

Vocalisation (passive or active) allows the child to actively make use of other people’s knowledge and experience: listening, asking questions. Oftentimes gifted children will have fully developed these skills by the age of three.

5.

Reading can be a ‘giant leap’, it multiplies possibilities of targeted information gathering. Children who have an extraordinary craving for knowledge therefore strive to learn how to read early on.

6.

Skilful use of the internet again multiplies the possibilities of targeted information gathering.

A child who disposes of good strategies of gathering information (for example in the attempt to solve a problem) will integrate all these and make use of the emerging synergies.

Even very young people can learn to make skilful use of the entire spectrum of strategies at their disposal: from intense introspection to effectively browsing the internet.

So now, how do you go about supporting children who want to learn how to read?

Certainly it is a difficult task to teach children how to read who do not yet have the slightest interest and motivation to deal with written language or who have visual or aural problems or who are of lesser intelligence. But:

It is easy to teach gifted children how to read.

Before school attendance became the law many parents or grandparents, aunts or siblings taught interested children how to read.

There is hardly anything that can go wrong. There is no ‘wrong’ way of learning how to read. Only if the person teaching the child is extremely unskilful, the child may temporarily drop out of the learning process.

For this reason, here are a few hints which are being elucidated a little further down:

1.

In order to read you don’t have to be able to write letters. Learning how to write is a process of its own, which doesn’t necessarily have to be connected to learning how to read.

2.

Gifted children in most cases do not want to form letters out of putty, tinker and colour them or let alone ‘dance’ letters. They grasp the abstract form well without such preparation and may tend to react with irritation to such unmotivated detours to the fulfilment of being able to read.

3.

Learning how to read happens in several steps. In order for the child to go to the next step certain requirements must be met.

4.

A motivated child shouldn’t have to wait until other children have caught up.

Elucidations on 1.- 4.:

About 1:

Some gifted children are able and do want to learn both at the same time – reading and writing. As far as their fine motor skills are sufficiently developed so that a sense of achievement will easily be attained there is nothing to be said against it. Often it is the writing part that interests little children first and they learn how to read on the side. These are often little girls.

However, children (frequently boys, but also 3-4 years old girls) whose fine motor skills are not up to par, experience a harsh setback when learning how to read is supposed to come after learning how to write letters.

Even though they have all the necessary prerequisites to go right about learning how to read (and to enjoy the advantages of that skill) they don’t manage to draw the letters, they drop out and conclude they’re still too young to learn how to read.

It entirely evades me why in our learning culture children are being kept away from reading, writing and arithmetic for the first six years of their lives and then, suddenly, upon enrolment at school are supposed to learn all at once: for many less talented children this is asking way too much and they experience plenty of failures and disappointments right at the start in their first year at school.

Gifted children, if managing their learning process autonomously, often go about it with much greater expedience: some start by looking into arithmetic and the basic principles of calculation before they move on to learning the letters. Others begin with written language. They are interested in letters and inquire about them as early as in their 3 rd or 4 th year.

For young children who read fluently and frequently it is comparably easy to learn how to write. Given, the fine motor skills still have to be trained (but at a point when they are further developed already) – but the question of correct spelling doesn’t represent a major problem to them: once you’ve seen the word ‘and’ for a thousand times you just know it ends on a ‘d’. The same goes for many other frequent words.

About 2:

It is always a good method to visualise things and to address all the senses in learning.

Written language is a highly abstract system: symbols (letters and punctuation marks) being combined by specific rules stand for an infinite number of phenomena in the world and for another infinitude of more or less abstract generalisations (like ‘buildings’, ‘animal kingdom’, ‘food’) and constructs (like ‘friendship’, ‘meanness’, ‘courage’, ‘cleanliness’).

Many children will only find their way into the system, understand and memorize it if they are being introduced to it with caution – if different senses are being addressed and the letters are being connected with something beautiful. Thus it is good if there are colourful 3-dimensional letters in kindergarten which are nice to look at and whose shape can be experienced tactically.

The making of letters is not only great fun for many children but the actual doing, the making of letters, helps them memorize and internalize the letters playfully. Cutting out letters, forming them with putty, writing letters on each other’s back with their fingers and many other techniques are popular among children and help them.

Gifted children, however, are oftentimes fascinated by just the abstract forms, also they have often long understood that it is these very (abstract) symbols which written language is made of. It is therefore not surprising that they take all those games, stories and handicraft works around the issue of reading/writing as an annoying distraction. They don’t understand what good all this is going to do them in the process of learning how to read. Children who are not great at drawing, tinkering and colouring will get to be unnerved if things “never get going for real” (quotation of a gifted 5-year-old).

Other gifted children who enjoy drawing, tinkering and colouring will joyfully participate but wonder why all these detours are being taken.

It has therefore proven useful to avoid the detours and just simply (!) teach the child how to read as demonstrated in the next chapter.

About 3.

First learning step:

Learn a few important letters and safely recognise them.

Gifted children often begin to be seriously interested in letters around the age of three. Some are content with knowing and being able to name them, others want to be able to write them, too. Both schemes should be accepted and supported.

So, in a first step it should be determined which letters the child already knows and which are yet to be learned. A simple method is described in the article Reading and Writing in Kindergarten .

A methodological suggestion on the basis of that article would be this:

In a small group of children who are interested in letters one letter be chosen. The children who already know it get one as a sample for their collection. Those who are still not sure about it take one (made of cardboard or a print-out on paper) home and learn it. Once the child is sure about that letter it brings it back to kindergarten.

It must, however, be pointed out to the child that each letter has a name, for example (spoken) ‘tee’ for ‘t’, but that in reading it is spoken as the pure sound ‘t’ and the ‘name’ only serves to speak of the letter as opposed to reading the letter as part of a word. Otherwise this distinction may easily cause confusion and frustration for the child.

It is wise to start with the letters that are most common in the respective language. In German these would be the vowels E, A, I, O and U and the consonants N, R, S, H, K, L, T, W. Knowing these letters enables a person to read quite a few German words.

Therefore the second learning step may follow even while the child is still learning the remaining letters.

Prerequisites for mastering the second step are:

  • The motivation to learn letters
  • The visual ability to distinguish the characters from another
  • The mnemonic capacity to memorize the letters permanently

Second learning step:

Contracting sounds into a word (reading).

Gifted children are quick to understand that (in German) we read from left to right and that an empty space separates one word from another.

Next comes the decisive step: The contracting of single sounds into a word. The child has to listen closely while recognising the letter and articulating the sound. In most instances this is too much even for gifted 3-year-olds but they usually get to that point around the age of four.

Once the child has mastered this step it knows how to read . Everything else is just embellishment (further letters) and practice.

We can assist the child by working with learning materials (or even making them ourselves) which adhere to the principle of going from easy to difficult. This is the case with reading primers. They bring on the more difficult words (long words, diphthongs like the German ‘eu’ or ‘äu’ 1 or the ‘sch’) later, when the children are already able to read easy words. This principle is vital for clearness and for fostering the child’s motivation.

In German both indiscriminately pronounced like the ‘oi’ in English ‘boil’.

For young children it may be helpful to narrow down the set of letters to only the upper case block letters; as a matter of experience most gifted children will acquire the lower case letters by themselves, for example by making use of a table with the upper and lower case letters next to each other.

In my experience it is a good thing to write small texts (jokes, riddles, letters). That is how over time a little collection of texts all in upper case letters has been created, which the children can use for exercising when they are just at that point in the learning process, where they’re struggling with sounds-to-word-contraction.

Prerequisites for mastering this learning hurdle:

  • A good phonological awareness, which means, the child has to be able to distinguish the sounds consciously and hearing-wise. The point is reached when children are interested in rhymes and can hear/recognise which letter a word begins with.
  • A sufficient feel for rhythm allowing the child to clap the beat of a song or the syllables of a word.
  • The cognitive ability to convert the visual appearance of the character into the respective sound and to store the sequence of sounds in memory long enough until the word as a whole has been pronounced.
  • The cognitive ability to recognise the meaning of what is heard, which is done by running it by once more internally and listening again. This internal listening is necessary until reading has become an automated subroutine.

Third learning step:

Autonomous reading practice and thus exploring ever more complex sound-sequences, longer words and sentences.

Increasing reading speed.

Here the proper assistance is simply in providing exciting, interesting and fun books which are conducive to the child’s joy of reading. The books available in book stores are not entirely suitable as the stories sometimes go beyond the very young reader’s life experience and interests. This should be checked.

I had positive experiences with transcribing texts (not too long) from popular books by typing them in upper case letters, making print-outs and putting these pages into the books or (if you can get yourself to, as I do) gluing them into the books on the respective pages.

At this learning stage one should be alert and open to helping the child get over a learning hurdle at any time. (“I don’t get this word!”)

Prerequisites for mastering this learning step:

  • Having mastered the first two steps and sharing the happiness about the newly acquired reading ability.
  • It is also important the child feels assured that one will continue to read out to the child. The shared activity of looking at a book together is of very special communicative and emotional qualities which the child is not ready to give up at this point.

About 4:

A motivated child shouldn’t have to wait for other children to catch up. Developmental states of children in a kindergarten group differ greatly, certainly with regard to reading.

Some children recognise their names in writing and single letters and will be content with just that for a while. If they are in a “reading” group with a gifted child among them, even if it is much younger than the others, it may be that this gifted child is be the only one who wants to learn quickly and without any detours, ready to take the next step.

This is when we should support that child actively, since (just to remind you):

This is not about doing the school’s job ahead of time, but to provide the child with a tool which will be useful for satisfying its desire for knowledge in a more effective and more autonomous way.

See also: Reading and Writing in Kindergarten

Date of publication in German: June 2011
Translation: Arno Zucknick
Copyright © Hanna Vock, see
Imprint .

The translation of this article was made possible by
Brigitte Gudat, Eschweiler.

Früh Lesen lernen

 von Hanna Vock

 

Bitte lesen Sie auch: Erzieherinnen unterstützen Kinder beim Lesen / Schreiben Lernen

Siehe auch: Lesen und Schreiben im Kindergarten

Irena war 3 Jahre und 6 Monate alt, als sie zum ersten Mal in den Kindergarten kam. Sie war freudig erregt und sehr aufmerksam, als ich ihr erklärte, an welchen Haken sie jetzt immer ihre Jacke hängen sollte, nämlich an den mit dem Segelschiff-Bildchen. Sie flüsterte ihrer Mutter zu: „Mama, das kann ich mir ja leicht merken, dass das Segelschiff mein Zeichen ist, weil da steht ja mein Name daneben.“ Eine ungewöhnliche Äußerung für ein dreijähriges Kind. Sie zeigt, dass Irena nicht nur ihren Namen lesen konnte, sondern dass sie das Lesen auch bereits als Werkzeug benutzte, um sich in einer neuen Situation zu orientieren.

Frühes Lesen oder auch der frühe Wunsch, Lesen zu lernen, ist ein Hinweis auf eine besondere kognitive und sprachliche Begabung. Die weitere Beobachtung von Irena ergab noch viele andere Hinweise auf außergewöhnliche Fortschritte im Denken und Sprechen.

 

… kurz gefasst …

Viele hoch begabte Kinder wollen früh lesen. Sie begreifen die Fähigkeit des Lesens als prima Methode zur Informationsbeschaffung – und damit zur Stillung ihres Wissensdurstes. Hoch begabte Kinder streben früh zu möglichst großer kognitiver Selbstständigkeit. Lesen zu können gehört für sie dazu.

Und wie können Erzieherinnen sie darin unterstützen, es rechtzeitig zu erlernen? Rechtzeitig, das heißt dann, wenn das Kind es will und die nötigen kognitiven Voraussetzungen hat.

Methodische Hinweise, wie der Leselernprozess unterstützt werden kann, runden den Beitrag ab.

Sven, fünf Jahre alt, konnte auf einmal lesen. Er fing (plötzlich?) an, lange Texte fließend und fehlerfrei zu lesen, als hätte er das schon immer getan. Auf die Frage „Wie hast du das denn gelernt?“, antwortete er: „Weiß ich nicht. Ich kann es eben.“

Ilka sagte an ihrem 4. Geburtstag, als sie ein Bilderbuch geschenkt bekam, zu ihrer Mutter: „Ich finde das gemein: Ihr könnt alle lesen, bloß ich nicht.“ Hat Ilka das nur so dahingeplappert?

Als die Familie kurz darauf für drei Wochen in den Sommerurlaub fährt, packt Ilka die Fibel, nach der ihre Mutter vor vielen Jahren lesen gelernt hat und die bei Ilkas Bilderbüchern steht, in ihren kleinen Koffer. Jetzt können die Eltern nicht sagen, sie hätten keine Zeit, ihr beim Lesenlernen zu helfen. Ilka arbeitet die Fibel in den drei  Wochen komplett durch, oft will sie noch eine Seite und noch eine Seite bearbeiten.

Am Ende des Urlaubs kann sie lesen. Worte wie „Telefon“ oder „Ampel“ schreibt sie auch ohne Übung und Hilfe richtig. Hier zeigt sich ein außergewöhnlich großes Lerntempo.

Etliche Jahre später berichtete eine IHVO-Teilnehmerin von einem kleinen viereinhalbjährigen Mädchen in ihrer Kindergartengruppe, das zu ihrer Mutter fast dasselbe gesagt hat: „Ihr seid alle gemein, ihr könnt alle lesen, aber ich nicht.“

Wie klar und drastisch sich kleine, liebe Mädchen ausdrücken müssen, um auf ihren Lernwunsch hinzuweisen! Trotzdem werden sie leider nicht immer Ernst genommen.

Warum wollen viele hoch begabte Kinder mit 4 Jahren schon lesen lernen?

In unseren Zertifikatskursen nutzen die Teilnehmerinnen den Interessenbogen nach Joelle Huser, um mit besonders begabten (möglicherweise hoch begabten) Kindern in ein Gespräch über ihre Spiel- und Lernbedürfnisse zu kommen. Neben vielen anderen Fragen ist darin auch enthalten: „Was möchtest du gerne lernen?“ Eine ganz harmlose Frage, die aber Kindern viel zu selten gestellt wird.

Immer wieder sind die Kolleginnen dann bass erstaunt, dass etliche Kinder aus den unendlich vielen möglichen Antworten, die sie geben könnten, völlig unprovoziert „Lesen“ auswählen.

Und es wird von den Kolleginnen immer wieder erkannt, dass es den Kindern ernst damit ist.
Warum ist das so wichtig für sie?

Darauf gibt uns ein Blick in die Entwicklungspsychologie Antworten.

1. Intellektuelle Hochbegabung bedeutet immer auch einen weit überdurchschnittlichen Wissensdurst, Hunger nach geistiger Nahrung, nach Input von Informationen über die Welt.

2. Jedes Kind durchläuft in seiner frühen Entwicklung verschiedene Stadien, die seine Möglichkeiten betreffen, sich Informationen über die Welt zu beschaffen.

Es lohnt sich, diese Phasen genauer zu betrachten, um hoch begabte Kinder besser zu verstehen.

Phase 1:

Das neugeborene Kind nutzt zunächst seine Nahsinne, die sich schon im Mutterleib gut entwickeln konnten: Tastsinn, Geruchssinn, Geschmackssinn, Lagesinn. Die Informationen, die es darüber erhält, integriert es beständig in sein sich entwickelndes Weltbild.

Indem es die Sinne jetzt in einer neuen Umwelt außerhalb des Mutterleibes benutzt, übt es sie, so dass es immer differenzierter und genauer wahrnehmen lernt.

Die Nahsinne sind wichtig für die Orientierung des Kindes (zum Beispiel bei seiner Hauptarbeit, beim Trinken) und sie sind sehr wichtig für das ungebrochene Sicherheits- und Geborgenheitsgefühl.

Die Fernsinne Hören und Sehen konnten sich im engen ersten Zuhause des Kindes, dem Bauch der Mutter, zwar auch schon ein wenig entwickeln, aber sie konnten nur wenige und diffuse Informationen liefern.

Sobald das Kind aber geboren ist und sobald es die ersten anstrengenden Anpassungen an das neue Lebensmilieu geleistet hat, entwickeln sich die Fernsinne Hören und Sehen rapide.

Vor allem beim Sehen kann man es sehen: Die Kinder üben fokussieren, das heißt, bestimmte Einzelheiten und Strukturen der Außenwelt absichtlich, gezielt und konzentriert zu betrachten. Dabei entstehen nicht nur unglaublich viele neue Neuronenverbindungen, auch die Augenmuskulatur wird geübt.

Es ist zu beobachten, dass „hellwache“ (möglicherweise hoch begabte) Säuglinge motivierter sind und mehr daran „arbeiten“ als andere Kinder. Hier sei noch einmal das Beispiel von dem kleinen Pete erwähnt. (Siehe auch: Beobachtungen an einem Baby.)

Der kleine Junge Pete zeigte im Alter von 3 Monaten und 11 Tagen folgendes Verhalten:

Innerhalb von 24 Stunden fixierte er über seinem Bettchen oder seiner Strampeldecke aufgehängtes Spielzeug (leicht bis heftig strampelnd, hochkonzentriert, freudig) über lange Dauer:

von 3.10 Uhr bis 4.07 Uhr (57 Minuten),

von 9.12 Uhr bis 9.38 Uhr (26 Minuten),

von 15.06 Uhr bis 16.21 Uhr (75 Minuten),

von 21.33 Uhr bis 22.18 Uhr (45 Minuten).

Das ergibt eine selbst gewählte „Arbeitszeit“ von 3 Stunden, 23 Minuten – nicht eingerechnet die Arbeitszeit „Trinken“.

Am Ende dieser ersten Phase kann das Kind schon sehr viele Informationen über die Welt durch Hingucken gewinnen. Auch weiter entfernte Farben und Strukturen kann es jetzt gut sehen. Diese Methode, Informationen durch Hingucken zu gewinnen, wird für sein weiteres Lernen lebenslang von großer Bedeutung bleiben. Aber neue Fähigkeiten werden hinzukommen.

Das Baby verlangt nach immer neuen Anreizen zum Gucken. Am liebsten wird es auf dem Arm oder auf dem Rücken durch die Gegend getragen, so dass immer neue Farben und Strukturen in sein Blickfeld kommen. Das „hellwache“ Baby wird schnell unzufrieden und unruhig, wenn es im Wachzustand und ohne interessante Guck-Anregungen hingelegt wird oder im Bauchbeutel zu sehr am Sehen gehindert wird.

Phase 2:

Das Baby lernt greifen und mit Gegenständen hantieren. Die sich entwickelnde Auge-Hand-Koordination erlaubt dem Kind, sich Dinge, die es sieht, heran zu holen und sie mit allen seinen Sinnen und von allen Seiten zu untersuchen.

Weiter im Beispiel von Pete (0;3):

Während dieser Zeiten, in denen er Sehen übte, fixierte er das Spielzeug fast durchgängig, nur unterbrochen durch kurzes, konzentriertes Rundumblicken mit Drehen des Kopfes. Die Hände zuckten immer wieder leicht in Richtung des Spielzeugs, ohne es zu erreichen.

Es entstand bei der Beobachterin der Eindruck, dass etwas gewollt wurde, was motorisch noch nicht gelang.

Und im Gehirn bildeten sich während dieser konzentrierten Aktivitäten vermutlich verhältnismäßig zügig die notwendigen neuen Nervenbahnen und Programme, die das gezielte Berühren des Spielzeugs schließlich ermöglichten.

Einen Tag später war erstes gezieltes Greifen (mit einer Hand) zu beobachten. Bei Erfolg (der zunächst nur bei wenigen Versuchen eintrat) lächelte das Baby verstärkt. Auch diese „Greifübungen“ wurden mit derselben hochkonzentrierten Ausdauer über lange Zeiträume wiederholt. Wurde das Baby aus dieser Tätigkeit „gerissen“ (hoch genommen), reagierte es sehr verärgert und empört.

Hier zeigen sich (im Vergleich zu anderen, gleichaltrigen Babies) eine beachtliche intrinsische Motivation und eine große Ausdauer bei Tätigkeiten, die im Grenzbereich der Fähigkeiten liegen und eine hohe (geistige) Herausforderung darstellen.

Die große Ausdauer führt zu viel Übung und infolgedessen zu schnellem Erfolg. Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man die Erfahrungstatsache bedenkt, dass hoch begabte Kinder im Alter von drei bis vier Jahren ihren Altersgenossen kognitiv etwa zwei Jahre voraus sind.

Das Greifen und Hantieren können bringt dem Kind eine neue Methode, eine größere Selbstständigkeit und eine größere Unabhängigkeit in der Informationsbeschaffung.

Es ist nicht mehr so stark wie vorher darauf angewiesen, dass der Erwachsene ihm etwas in die Hand gibt, und so kann es seinen Informationshunger auf neue Art stillen.

Phase 3:

Das Kind lernt sich fortzubewegen und sich aufzurichten. Jedes Kind verfolgt da ein eigenes Programm. Manche krabbeln nicht, sondern gehen gleich vom Kriechen in den Stand über, manche kriechen auch nicht, sondern perfektionieren das Rollen um die Längsachse, um erblickte Dinge zu erreichen. Manche setzen sich spät auf, aber hantieren sehr geschickt in Rückenlage… Wie auch immer: Das Ziel ist, den Horizont zu erweitern.

  • Durch das Aufrichten in den Sitz oder den Stand gewinnt das Kind einen ganz neuen Überblick über die Umgebung (bitte mal selber ausprobieren).
  • Durch die Fortbewegung kann es sich an erblickte oder erlauschte Dinge, Tiere und Menschen selbstständig annähern. Sie werden für es erreichbar.

Eine Revolution in der Informationsbeschaffung!

Besonders intelligente und sozial besonders begabte Kinder bewegen sich nicht nur selbst im Raum, sondern erreichen durch Lust- bzw. Missmutsbekundungen, dass die Erwachsenen sich im Lerninteresse des Kindes verstärkt bewegen (indem sie das Belohnungszentrum im Gehirn der Erwachsenen konsequent ansprechen: Bring mir mal was Neues – oder stelle etwas Neues, Interessantes wenigstens in meine Reichweite, dann spiele ich wieder eine Weile friedlich).

Auch die Methoden:

    • Hingehen/ später auch Hinfahren zu den Dingen und
    • von weiter oben einen besseren Überblick gewinnen

bleiben lebenslang wichtig für das Lernen. Man denke an Schulen, Museen, Reisen… und an Beobachtungstürme, Flugzeugerkundung, Landkarten und Stadtpläne…

Auch mit der Aufrichtung und der Fortbewegung erlernt das Kind neue Methoden, die ihm wiederum eine größere Selbstständigkeit und eine größere Unabhängigkeit in der Informationsbeschaffung bringen.

Phase 4:

Die Lautsprache wird allmählich und immer stärker zu einer Methode der Informationsbeschaffung.

Das Kind beschäftigt sich von Geburt an lustvoll mit seinen Möglichkeiten, mit seinen „Sprechwerkzeugen“ Laute zu erzeugen. Es gewöhnt sich an die gehörte(n) Sprache(n) seiner Umgebung und versucht die darin gehörten Laute nachzubilden.

Es hört aus seiner Umgebungssprache darüber hinaus komplexere Muster (Worte, Satzmelodien, Rhythmen, Lautverbindungen) heraus und erkennt durch die Kommunikation mit den Menschen seiner Umgebung den Sinn und Zweck einzelner Worte, Ausdrücke und schließlich ganzer Sätze.

Es filtert aus dem Gehörten Informationen heraus, die ihm wichtig sind. Es hat jetzt viel Stoff, um sein Denken zu intensivieren und seine Umgebung durch das gesprochene Wort zu beeinflussen, sich nicht nur lautlich, sondern auch sprachlich zu äußern.

Nicht nur mit dem Zuhören, sondern auch mit dem aktiven Fragenstellen bilden sich neue und aufregende Strategien der Informationsbeschaffung heraus. Es entsteht die Idee, dass es für die verschiedenen Gebiete Experten gibt, an die man sich gezielt wenden kann. Das ist anfangs vielleicht zum Beispiel die Oma, die besonders viele Lieder kennt, oder die Erzieherin, die weiß, wie man einen Flieger faltet. Das Kind beginnt, Experten zu sammeln.

Hoch begabte Kinder streben danach, die Strategie der Informationsbeschaffung über die Lautsprache zügig zu vervollkommnen. Das gilt nicht nur für die Kinder, die auch eine hohe Sprachbegabung haben.

Es geht hier um Werkzeuggebrauch, und der kann bei nicht sprachbegabten hoch begabten Kindern zunächst durchaus nicht elegant und wenig geschliffen sein – Hauptsache effektiv!

Mit drei Jahren, wenn andere Kinder noch mit den Elementen ihrer Muttersprache kämpfen, haben hoch begabte Kinder dieses Werkzeug Lautsprache fast immer schon sicher zur hauptsächlichen Strategie zur Stillung ihres Wissensdurstes und zur Befriedigung ihres Erkenntnisdrangs entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt verstärkt sich unter Umständen auch das Interesse am Telefonieren – nicht mehr nur um die liebe Stimme der abwesenden Mama zu hören, sondern um sie etwas zu fragen, das man wissen möchte.

Ist der Spracherwerb bewältigt,
wird eine qualitativ neue Entwicklung möglich.
Und nun, was ist der nächste Schritt?

Phase 5:

Lesen lernen.

Es ist nur folgerichtig, dass sehr begabte Kinder Lesen können wollen. Wer lesen kann, ist im Vorteil, das begreifen sie früh. Sie erkennen: Es gibt sehr, sehr viele Bücher mit höchst interessanten Inhalten.

Bilderbücher enthalten zwar meistens auch Texte – oft ist es aber sinnvoll, die Texte, auch wenn sie sehr gut sind, nicht nur wortgetreu vorzulesen. Entsprechend dem Verständnis und dem Vorwissen des Kindes wird man die Texte abwandeln, in den Dialog mit dem Kind / den Kindern gehen, Fragen stellen, Meinungen austauschen, assoziative Bemerkungen der Kinder begrüßen, usw. Erst so erschließen sich die Bilderbücher optimal.

Es gibt dann einen Punkt in der Entwicklung des Kindes, der bei hoch begabten Kindern auch schon am Anfang des 4. Lebensjahres liegen kann, an dem es begreift, dass sich hinter den Buchstaben auf der Seite ein ganz bestimmter Text (und damit Information) verbirgt. Es verlangt dann, dass man vorliest, was dort steht.

So geht das anfängliche Interesse an den Buchstaben als Zeichen, die oft schon im 3. Lebensjahr von Interesse sind und vom Kind gelernt werden, in die Vorstellung über, dass Texte viel mehr Information enthalten als die Namen der Buchstaben.

Lesen können rückt als lohnende Fähigkeit in den Blickpunkt des Kindes.

Es befreit das Kind aus der Abhängigkeit vom Erwachsenen, der oft keine Zeit und oft auch keine Lust zum Vorlesen hat – jedenfalls nicht in dem Maße, wie wissenshungrige Kinder sich das wünschen und für angemessen halten.

Außerdem entdeckt das Kind, dass es auch vorteilhaft ist, Schrift außerhalb von Büchern lesen zu können: auf Schildern, Verpackungen, usw. Das zur Selbstständigkeit drängende Kind sieht hier wichtige Hilfsmittel zur eigenständigen Orientierung in der Umwelt.

Wie schade, dass die Kinder hier dann so wenig Verständnis für ihren Lernwunsch und kaum unbefangene aktive Unterstützung erfahren.

Siehe auch:

Erzieherinnen unterstützen Kinder beim Lesen / Schreiben Lernen.

Manche Kinder sind so intelligent und haben so eine hohe intrinsische Motivation, Lesen zu lernen, dass sie es sich (im Alter von vier bis sechs Jahren) selber beibringen. Die anderen müssen, wenn ihnen nicht geholfen wird, bis zur Einschulung warten.

In meiner langjährigen Beratungstätigkeit habe ich nur sehr wenige Eltern getroffen, die keine Hemmungen hatten, ihrem Kind vor der Schule das Lesen beizubringen. Und wenn doch, dann waren es in fast allen Fällen ausländische Eltern.

Schlagartig befreiend wirkt für viele Eltern, aber auch für Erzieherinnen, oft das folgende Argument:

Schwimmen ist im Lehrplan vielleicht erst für die 5. Klasse vorgesehen; aber es ist vermutlich kein einziger Sportlehrer in unserem Lande zu finden, der auf die Idee kommt, den Eltern einen direkten oder unterschwelligen Vorwurf daraus zu machen, dass sie ihrem motorisch begabten Kind das Schwimmen schon beigebracht haben, als es vier oder fünf Jahre alt war.

Die Leserin Vera Losemann machte mich nach dem Lesen des Beitrags auf Folgendes aufmerksam:

„Für hoch begabte Kinder mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) beginnt hier ein Leidensweg: Sie erkennen – so wie es im Beitrag beschrieben ist – bereits sehr früh Schriftsprache als Informationsquelle. Sie wissen, was das alles soll, sie sehen genau, wie andere Menschen lesen und schreiben. Sie bemühen sich redlich, es ihnen gleich zu tun und prägen sich vielleicht auch viele Wortbilder ein – Der Weg zum Lesen (und Schreiben) bleibt aber verschlossen, da die (neurophysiologische) Entwicklung dieses Teilbereiches verzögert ist oder anders funktioniert, als bei Menschen ohne LRS.“

Siehe auch Informationen zu LRS:

Lese-Rechtschreib-Schwäche

Phase 6:

Ist das Lesen lernen bewältigt und haben die besonders und hoch begabten Kinder es in ihren Alltag integriert, rückt ein neues Werkzeug in den Fokus.

Was machen die Erwachsenen, wenn sie Informationen suchen, die sie nicht in ihrem eigenen Kopf, nicht in den Köpfen der in Rufnähe befindlichen anderen Menschen und auch nicht in verfügbaren Büchern finden?

Sie gehen ins Internet.

Fünfjährige können googlen, wenn man sie lässt und anleitet (wie man das auch beim Erlernen des Radfahrens tut und beim Erlernen der Lautsprache getan hat). Sicher sollten die Erwachsenen dabei sein, wenn das Kind im Internet surft, auch dann noch wenn die Technik beherrscht wird. Denn Internetrecherche ist nicht nur vom Jugendschutzgedanken her heikel, sie ist vor allem Gedankenarbeit, die frustriert, wenn man sich im riesigen Netz verirrt und die gesuchten Antworten nicht findet.

Auch hier brauchen junge Kinder praktische Unterstützung und Ermutigung.

Siehe auch: Computernutzung und Internet

Zusammenfassung: Wie kommt das Kind an Informationen?

Die aktive Beschaffung von Informationen ist eine wichtige Grundlage der kognitiven Entwicklung. Bei der Informationsbeschaffung wird das Kind immer selbstständiger.

Diese Entwicklung vollzieht sich in Phasen. Das Kind übt immer so lange intensiv, bis es sich eine neue Methode zur Informationsbeschaffung erarbeitet hat.

Hoch begabte Kinder durchlaufen einzelne oder alle diese Phasen früher und schneller.

1.

Das Kind verarbeitet Sinneseindrücke aus der unmittelbaren Umwelt (bereits im Mutterleib). Als Neugeborenes ist es noch darauf angewiesen, dass ihm eine interessante Umgebung nahe gebracht wird. Es lernt seine Aufmerksamkeit zu fokussieren, es trainiert insbesondere seinen Sehsinn.

2.

Die immer bessere Hand-Auge-Koordination erhöht die Selbstständigkeit und erweitert die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung.

3.

Selbstständiges Aufsetzen erweitert vor allem den wichtigen visuellen Horizont.

Die neu erlernte Fortbewegung (Rollen, Kriechen, Krabbeln, Laufen) ermöglicht es dem Kind, zu interessanten Dingen hinzukommen und sie zu untersuchen.

4.

Die Lautsprache (passiv und aktiv) ermöglicht dem Kind, das Wissen und die Erfahrungen anderer Menschen aktiv auszunutzen: Zuhören, Fragen stellen. Hoch begabte Kinder haben diese Möglichkeit oft schon mit drei Jahren voll entwickelt.

5.

Lesen können bedeutet einen riesigen Sprung, es vervielfältigt die Möglichkeiten, sich (gezielt) Informationen zu beschaffen. Besonders wissensdurstige Kinder streben deshalb früh zum Lesen.

6.

Gekonnte Internet-Nutzung vervielfältigt die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung nochmals.

Ein Kind, das über gute Strategien zur Informationsbeschaffung verfügt (zum Beispiel um Aufgaben oder Probleme jeglicher Art zu lösen), integriert alle seine bisher entwickelten Strategien und nutzt ihre Synergien.

Auch ganz junge Menschen können lernen, das ganze Spektrum der Strategien virtuos zu nutzen: vom intensiven In-sich-hinein-Horchen bis zum effektiven Surfen im Internet.

Und wie geht es nun, Kindern beim Lesen lernen zu helfen?

Es ist sicherlich schwierig, Kindern das Lesen nahe zu bringen, die für sich überhaupt noch gar keine Motivation finden konnten, sich mit der Schriftsprache zu beschäftigen, oder die visuelle oder auditive Wahrnehmungsschwächen oder eine geringe Intelligenz haben. Aber:

Hoch begabten Kindern das Lesen beizubringen, ist einfach.

Vor der Einführung der allgemeinen Schulpflicht haben auch ganz viele Eltern, Großeltern, Tanten oder Geschwister den interessierten Kindern selbstverständlich das Lesen beigebracht.

Man kann dabei auch gar nichts falsch machen. Man kann nicht „falsch“ lesen lernen. Nur wenn der Lehrende sich sehr ungeschickt anstellt, kann es passieren, dass das Kind vorübergehend aus dem Lernprozess „aussteigt“.

Deshalb hier einige Tipps, die weiter unten noch erläutert werden:

1.

Um Lesen zu lernen muss man nicht Buchstaben schreiben können. Schreiben lernen ist ein eigener Lernprozess, der überhaupt nicht mit dem Leselernprozess verknüpft sein muss.

2.

Hoch begabte Kinder wollen in den seltensten Fällen Buchstaben kneten, basteln, verzieren oder gar tanzen. Sie erfassen die abstrakte Form auch ohne solche „Hinführungen“ und reagieren unter Umständen eher verstört auf solche unmotivierten Umwege zum Glück (des Lesenkönnens).

3.

Das Lesenlernen passiert in mehreren Schritten. Damit ein Kind zum nächsten Schritt übergehen kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

4.

Ein motiviertes Kind sollte nicht warten müssen, bis andere Kinder auch so weit sind.

Erläuterungen zu 1.-4.:

Zu 1.
Um Lesen zu lernen muss man nicht Buchstaben schreiben können. Schreiben lernen ist ein eigener Lernprozess, der überhaupt nicht mit dem Leselernprozess verknüpft sein muss.

Manche hoch begabte Kinder möchten und können beides gleichzeitig lernen: Lesen und Schreiben. Sofern ihre Feinmotorik schon hinreichend entwickelt ist, dass bei geringer Mühe Erfolge eintreten, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Oft interessiert Kinder auch zuerst das Schreiben und sie lernen darüber das Lesen. Oft sind es kleine Mädchen, die dies betrifft.

Kinder dagegen (es betrifft häufig Jungen, aber auch drei- bis vierjährige Mädchen), deren Feinmotorik noch nicht so weit ist, werden schlimm ausgebremst und frustriert, wenn das Lesenlernen mit Buchstaben schreiben beginnen soll.

Sie haben zwar alle Voraussetzungen, um sofort und schnell Lesen zu lernen (und alle Vorteile zu genießen, die das mit sich bringt), scheitern aber am Malen der Buchstaben und steigen aus und glauben, dass sie fürs Lesen noch zu klein sind.

Grundsätzlich ist es mir völlig unverständlich, weshalb in unserer Lernkultur Kinder zunächst sechs Jahre lang vom Lesen, Schreiben und Rechnen weitgehend ferngehalten werden und dann plötzlich ab Einschulungstermin alles gleichzeitig erlernen sollen: Für viele weniger begabte Kinder ist das eine  Überforderung und sie erleiden schon im ersten Schuljahr viele Misserfolge.

Hoch begabte Kinder gehen, wenn sie ihre Lernprozesse weitgehend selber steuern, oft weitaus ökonomischer vor: Die einen befassen sich zunächst intensiv mit Zahlen und den Anfangsgründen des Rechnens und fangen erst später an, sich für Buchstaben zu interessieren. Die anderen befassen sich vordringlich mit der Schriftsprache. Schon im 3. oder 4. Lebensjahr interessieren sie sich für Buchstaben und fragen danach.

Es ist für junge Kinder, die fließend und viel lesen, vergleichsweise einfach, das Schreiben zu erlernen. Natürlich müssen sie es auch feinmotorisch bewältigen lernen (aber zu einem günstigeren Zeitpunkt, zu dem ihre Feinmotorik bereits weiter entwickelt ist) – aber die Fragen der Rechtschreibung sind für sie vergleichsweise harmlos: Wer schon tausendmal das Wort „und“ gelesen hat, weiß einfach längst, dass es am Ende mit d geschrieben wird. Und Entsprechendes gilt für viele andere häufig vorkommende Wörter…

Zu 2.
Hoch begabte Kinder wollen in den seltensten Fällen Buchstaben kneten, basteln, verzieren oder gar tanzen. Sie erfassen die abstrakte Form auch ohne solche „Hinführungen“ und reagieren unter Umständen eher verstört auf solche unmotivierten Umwege zum Glück (des Lesenkönnens).

Es ist grundsätzlich eine gute Methode, Dinge zu veranschaulichen und zum Lernen möglichst alle Sinne anzusprechen.

Die Schriftsprache ist ein hoch abstraktes System: Zeichen (Buchstaben und Satzzeichen), die nach bestimmten Regeln kombiniert werden, stehen für die unendliche Zahl der konkreten Erscheinungen unserer Welt und für die ebenfalls unendlich vielen mehr oder weniger abstrakten Verallgemeinerungen (zum Beispiel Gebäude, Tierwelt, Esswaren) und Konstrukte (zum Beispiel Freundschaft, Gemeinheit, Mut, Sauberkeit).

Viele Kinder können sich mit diesem System nur anfreunden, es begreifen und behalten, wenn sie behutsam herangeführt werden – und dabei verschiedene Sinne angesprochen und die Buchstaben mit etwas Schönem verknüpft werden. So ist es gut, wenn im Kindergarten farbige und dreidimensionale Buchstaben vorhanden sind, die schön aussehen und deren Form mit dem Tastsinn erfahren werden kann.

Auch das Herstellen von Buchstaben macht nicht nur vielen Kindern Spaß, sondern das eigenständige Tun hilft ihnen auch die Form und den Namen des Buchstabens (spielerisch) zu verinnerlichen und einzuprägen. Buchstaben ausschneiden, Buchstaben kneten, Buchstaben mit dem Finger auf den Rücken schreiben und vieles andere mehr ist beliebt und hilft den Kindern.

Hoch begabte Kinder allerdings sind oft gerade von abstrakten Formen fasziniert, auch haben sie oft bereits erfasst, dass es gerade diese abstrakten Zeichen sind, die die Schriftsprache (das was man Lesen kann) ausmachen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn sie alle Spiele und Geschichten und Basteleien, die um Buchstaben gerankt werden, als irritierende Ablenkung empfinden. Sie verstehen nicht, warum sie das brauchen, um ihr Ziel Lesen können zu erreichen. Kinder, die ohnehin nicht so besonders gern malen oder basteln oder Dinge verzieren, fühlen sich auch leicht genervt, wenn „es nie richtig losgeht“ (Originalton eines hoch begabten Fünfjährigen).

Andere Hochbegabte, die gern malen, basteln und verzieren, nehmen dieses freudig mit, wundern sich aber auch, warum diese ganzen Umwege gemacht werden.

Deshalb hat es sich bewährt, alle Umwege zu vermeiden und dem Kind einfach (!) das Lesen beizubringen, wie es im nächsten Abschnitt des Textes skizziert ist.

Zu 3.
Das Lesenlernen passiert in mehreren Schritten. Damit ein Kind zum nächsten Schritt übergehen kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.

Erster Lernschritt:

Einige häufig vorkommende Buchstaben kennen lernen und sicher wieder erkennen.

Hoch begabte Kinder beginnen oft mit drei Jahren, sich ernsthaft für Buchstaben zu interessieren. Manchen reicht es, sie zu erkennen und zu benennen, andere möchten sie auch schreiben können. Beide Lernwege sollten akzeptiert und unterstützt werden.

Zunächst sollte also geprüft werden, welche Buchstaben das Kind schon sicher kennt und welche es noch besser kennen lernen muss. Eine einfache Methode wird im Beitrag Lesen und Schreiben im Kindergarten beschrieben. In Anlehnung daran dieser methodische Vorschlag:

In einer Kleingruppe buchstaben-interessierter Kinder wird ein Buchstabe ausgewählt. Die Kinder, die ihn sicher beherrschen, erhalten ihn für ihren Buchstabensammelkasten. Wer mit dem Buchstaben noch unsicher ist, nimmt ein Exemplar dieses Buchstabens (aus Pappe oder als Papierausdruck oder wie auch immer) mit nach Hause und lernt ihn. Wenn das Kind den Buchstaben dann sicher kann, bringt es ihn wieder mit in den Kindergarten.

Wichtig ist zu beachten, dass jeder Buchstabe einen Namen hat, also zum Beispiel (gesprochen) We, dass aber beim Lesen der reine Laut “w” gilt und der “Name” (“We”) lediglich gesprochen wird, wenn man über den Buchstaben spricht. Andernfalls kann diese Unterscheidung schnell zu Verwirrung und Frustration beim Kind führen.

Es ist sinnvoll, mit den Buchstaben zu beginnen, die im Deutschen am häufigsten vorkommen. Das sind zunächst die Vokale E, A, I, O und U und die Konsonanten N, R, S, H, K, L, T, W. Wer diese Buchstaben kennt, kann schon ganz viele Wörter lesen.

Deshalb kann auch der zweite Lernschritt schon starten, während das Kind noch die restlichen Buchstaben kennen lernt.

Voraussetzungen für die Bewältigung des ersten Lernschritts:

  • Die Motivation, Buchstaben lernen zu wollen
  • Die visuelle Fähigkeit, die Buchstabenzeichen auseinander zu halten
  • Die Gedächtnisfähigkeit, sich die Buchstaben dauerhaft einzuprägen

Zweiter Lernschritt:

Laute zu einem Wort zusammenziehen (Lesen).

Hoch begabte Kinder verstehen sehr schnell, dass die Leserichtung (im Deutschen) von links nach rechts geht und dass ein leerer Zwischenraum ein Wort vom andern trennt.

Jetzt kommt der entscheidende Schritt: Das Zusammenziehen der einzelnen Laute zu einem Wort. Dabei muss das Kind genau lauschen, während es die Buchstaben erkennt und den entsprechenden Laut ausspricht. Das schaffen auch hoch begabte Dreijährige meistens noch nicht, es ist aber oft irgendwann im 5. Lebensjahr „dran“.

Wenn das Kind diesen Lernschritt bewältigt hat, weiß es wie Lesen geht. Alles andere ist dann nur noch Ergänzung (weitere Buchstaben) und Übung.

Wir können dem Kind helfen, wenn wir Lernmaterialien benutzen (oder auch selber herstellen), die das Prinzip vom Einfachen zum Komplizierten beachten. Dies ist bei Schulfibeln gegeben. Dort kommen die schwierigeren Dinge (lange Worte, zusammengesetzte Laute wie eu oder äu oder sch) erst später vor, wenn das Kind schon viele einfache Worte lesen kann. Dieses Prinzip ist wichtig für die Übersichtlichkeit und für die Pflege der Motivation des Kindes.

Für junge Kinder ist es auch hilfreich, wenn wir uns zunächst auf große Druckbuchstaben beschränken; die Kleinbuchstaben erarbeiten sich viele hoch begabte Kinder dann erfahrungsgemäß selbstständig, zum Beispiel mit Hilfe einer Tabelle, auf der neben jedem Großbuchstaben der Kleinbuchstabe abgebildet ist.

Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, kleine Texte (Witze, Rätsel, Briefe) in Großbuchstaben zu schreiben. So entstand mit der Zeit ein kleiner Fundus mit Großbuchstabentexten, an denen die Kinder üben können, die gerade an dieser Lernklippe des Zusammenziehens stehen.

Voraussetzungen für die Bewältigung dieses Lernschritts:

  • Eine gute phonologische Bewusstheit, das heißt, das Kind muss die Laute gut unterscheiden und bewusst heraushören können. Dieser Entwicklungsstand ist erreicht, wenn die Kinder sich fürs Reimen interessieren und hören/erkennen können, mit welchem Laut ein Wort beginnt.
  • Ein ausreichendes Rhythmusgefühl, das dem Kind erlaubt den Takt eines einfachen Liedes oder auch die Silben eines Wortes zu klatschen.
  • Die kognitive Fähigkeit, das gesehene Zeichen sofort in einen zu hörenden Laut umzuwandeln und mehrere aufeinander folgende Laute so lange im Arbeitsgedächtnis zu speichern, bis das ganze Wort erklungen ist.
  • Die kognitive Fähigkeit, den Sinn des Gehörten zu erkennen, also noch einmal innerlich nachzuhorchen. Das innere Nachhorchen ist so lange wichtig, bis der Lesevorgang hinreichend automatisiert ist.

Dritter Lernschritt:

Das selbstständige Üben des Lesens. Dabei geschieht die Erschließung immer schwierigerer Lautverbindungen und immer längerer Wörter und Sätze.

Erhöhung des Lesetempos.

Hier besteht die Hilfestellung nur noch in der Bereitstellung spannender, interessanter oder lustiger Lektüre, die dem Lesevermögen des Kindes angepasst ist. Die im Buchhandel erhältlichen Erstleserbücher sind nur bedingt tauglich, denn manchmal überfordern die Geschichten die Lebenserfahrung und den Interessenkreis ganz junger Lesekinder. Das ist also im Einzelfall zu prüfen.

Gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, (nicht zu lange) Texte beliebter Bilderbücher in Großbuchstaben abzutippen, auszudrucken und in die Bilderbücher einzulegen oder (wenn man es wie ich über sich bringen kann) die Bilderbuchtexte mit den Ausdrucken zu überkleben.

Man sollte auf dieser Lernstufe außerdem offen dafür sein, dem Kind über Klippen jederzeit sofort hinweg zu helfen. („Das Wort kriege ich nicht raus!“)

Voraussetzungen für die Bewältigung dieses Lernschritts:

  • Die gute Bewältigung der ersten beiden Lernschritte und das Teilen der Freude über die Lesefähigkeit.
  • Wichtig ist auch, dass das Kind das sichere Gefühl haben kann, dass ihm auch jetzt noch gerne und ausgiebig vorgelesen wird. Denn das gemeinsame Betrachten eines Buches oder einer Geschichte hat ja besondere emotionale und kommunikative Qualitäten, die das Kind nicht verlieren möchte.
Zu 4:
Ein motiviertes Kind sollte nicht warten müssen, bis andere Kinder auch so weit sind.

In einer Kindergartengruppe finden wir die unterschiedlichsten Entwicklungsstufen vor, was den Leselernprozess angeht.

Manche Kinder können schon ihren Namen und einzelne Buchstaben erkennen, sind damit aber noch eine ganze Weile zufrieden. Wenn sie in einer „Lesegruppe“ zusammengefasst werden und ein hoch begabtes, wenn auch vielleicht viel jüngeres Kind dazwischen steckt, dann kann es sein, dass dieses Kind das einzige ist, das zügig und ohne Schnörkel Lesen lernen möchte und schon den nächsten Lernschritt machen will.

Dann sollten wir es dabei aktiv unterstützen, denn (zur Erinnerung):

Es geht ja nicht darum, der Schule vorzugreifen, sondern dem Kind ein Werkzeug zu geben, mit dem es seinen Wissenshunger und –durst besser und selbstbestimmter befriedigen kann.

In der Einstein-Biografie von Jürgen Neffe ist zu lesen (auf S. 29):

„Was den jungen Albert Einstein von den meisten anderen Schülern damals wie heute unterscheidet: Er schlägt parallel zur Schule seinen eigenen zweiten Bildungsweg ein und verschafft sich das Rüstzeug für seinen späteren Werdegang im Selbststudium. Er liest und liest und liest…“

Ähnlich geht es auch anderen, nicht so genialen Hochbegabten: Sie sind darauf angewiesen, sich ihr Wissen zum größten Teil außerhalb der Schule anzueignen.

Und dies gilt auch für ältere hoch begabte Kindergartenkinder: Ihr Wissenshunger wird in der Kita nicht gestillt; deshalb ist frühes Lesen für sie vorteilhaft.

 

Siehe auch: Erzieherinnen unterstützen Kinder beim Lesen-/ Schreiben lernen

Siehe auch: Lesen und Schreiben im Kindergarten

Siehe auch: Soziale Begabung zeigt sich

 

Die Übersetzung dieses Beitrags ins Englische wurde gesponsert von Brigitte Gudat aus Eschweiler.

Personale Kompetenzen

von Hanna Vock

 

Wie im Bedingungsmodell: Entfaltung von Hochbegabung (von Barbara Teeke) erfasst, sind verschiedene personale Kompetenzen bedeutsam für die Entfaltung von Hochbegabung.

Die Ausprägung von solchen personalen Kompetenzen (auch „Schlüsselqualifikationen“ genannt), ist mitentscheidend dafür, in welchem Maße ein Mensch sein Begabungspotenzial ausschöpfen kann.

Im Einzelnen gehören dazu: kommunikative, soziale Fähigkeiten, aber auch Fähigkeiten, die mit Aufgabenmanagement und Stressbewältigung zu tun haben, und andere Persönlichkeitseigenschaften, die erfolgreiches (Zusammen-) Arbeiten begünstigen.

Viele Forscher und Praktiker stützen sich heute auf das „Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (Big Five)“.

Es umfasst die folgenden fünf Faktoren:

Neurotizismus beschreibt eine emotionale Labilität, die sich in erhöhter Ängstlichkeit oder Reizbarkeit ausdrückt, in Sorgen sowie in der Tendenz, negative Emotionen zu erleben. Extraversion umfasst Aspekte wie Geselligkeit, Aktivität, Erlebnishunger und die Tendenz, positive Emotionen zu erleben. Offenheit für Erfahrungen bezeichnet intellektuelles Interesse, aber auch Fantasie und Experimentierfreude. Verträglichkeit beschreibt soziale Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft und Uneigennützigkeit, während der Faktor Gewissenhaftigkeit auf Organisiertheit und Ordnungsliebe abzielt.

(nach: Gehirn & Geist, 9/2009, S. 33)

 

Bei Kindergartenkindern sind aus meiner Sicht die folgenden personalen Kompetenzen zu beobachten, die hier konsequent positiv gewendet und als Fähigkeiten formuliert sind:

O Fähigkeit zur Selbstmotivierung

O Fähigkeit zur Selbststeuerung

O Stabiles Selbstwertgefühl

O Fähigkeit zu einem klaren und differenzierten Selbstkonzept (Selbstwahrnehmung)

O Fähigkeiten zur günstigen Bewertung von Erfolgen wie Misserfolgen

O Vertrauen in die eigene Leistungs- /Lernfähigkeit

O Fähigkeit zur Aufrechterhaltung emotionaler Stabilität, auch bei widrigen Umständen

O Fähigkeiten zu Metakognition und Reflexion (Nachdenken über das eigene Denken und Handeln)

O Flexibilität, Fähigkeit zur Modifikation von Verhaltensmustern

****

O Empathie und Einfühlungsvermögen

O Fairness und Großzügigkeit

O Gewinnen und verlieren können

O Kooperationsfähigkeit

O Planungsfähigkeit

O Organisationsgeschick

***

O Kommunikationsfähigkeit

O Sprachliche (mündliche und schriftliche) Ausdrucksfähigkeit

O Stimmliche, mimische, körpersprachliche Ausdrucksfähigkeit

O Fähigkeiten zur adäquaten Selbstdarstellung

O Fähigkeit zur Selbstbehauptung, Durchsetzungsfähigkeit

O Kritikfähigkeit (Kritik annehmen und fair/konstruktiv kritisieren)

O Diskussionsgeschick

O Verhandlungsgeschick

***

O Kreativität

O Mut zu eigenen Ideen

O Risikobereitschaft, Mut zum Irrtum

***

O Physische und psychische Gesundheit

O Fitness, Energieressourcen

O Fähigkeiten zum Energie“management“

O Fähigkeiten zur Selbstberuhigung

O Fähigkeiten zum Angst- und Stressabbau

O Ausdauer

O Konzentrationsfähigkeit

O Fähigkeit zur Zielfindung (sich eigene Ziele setzen)

O Beharrlichkeit im Verfolgen von Zielen und im Erreichen von Ergebnissen

 

Viele der oben aufgelisteten Merkmale (vielleicht alle?) sind der Selbsterziehung und der pädagogischen Einwirkung von außen mehr oder weniger zugänglich.

Der Satz „Man hat es oder hat es nicht.“ stimmt zwar für die Momentaufnahme. Auf die Lebensspanne gesehen, entwickeln sich aber all diese Merkmale. Dabei können sie stärker, aber durch verschiedene ungünstige Einflüsse auch schwächer werden. Die Grundsteine für die personalen Kompetenzen werden in der frühen Kindheit gelegt.

Arno Zucknick schreibt als IHVO-Kursleiter, als er sich mit der schriftlichen Hausarbeit einer Teilnehmerin auseinandersetzt:

„Achtung! Fähigkeiten sind nichts Statisches. Dass er (ein von der IHVO-Teinehmerin beschriebener Fünfjähriger) bisher im Kita-Alltag vielleicht nicht so viel Konzentration, Geduld und Ausdauer gezeigt hat (im Vergleich zu diesem Projekt), bedeutet nicht, dass er diese Tugenden gerade erst (in diesem  Projekt) entwickelt hat.
Wie sich gezeigt hat, verfügt er über sie, wenn er sie in einem angeregten Umfeld, bei einem spannenden Projekt einsetzen kann.
Dass er sie jetzt zeigen konnte, bedeutet auch nicht, dass er sie nun gelernt hat, um sie in allen möglichen Situationen einzusetzen. Es ist durchaus zu erwarten, dass er in frustrierenden Zusammenhängen auch wieder Ungeduld, Unlust und Unkonzentriertheit zeigen wird – und das ist eigentlich auch gut so, denn es kann ihm selbst und anderen anzeigen, dass er geistig unterfordert ist.“

Wir können überlegen, wie gut die oben aufgelisteten Merkmale bei uns selbst ausgebildet sind, oder auch bei Kolleginnen. Aber auch die Kinder im Kindergarten zeigen schon ganz unterschiedlich entwickelte personale Kompetenzen.

In der Fachliteratur zum Thema Hochbegabung ist unumstritten, dass die Ausprägungen dieser personalen Kompetenzen ganz erheblich dazu beitragen, in welchem Maße ein hoch begabter Mensch sein geistiges Potenzial ausschöpfen kann – oder eben nicht.

Deshalb macht es Sinn, die hoch begabten Kinder früh auch in der Entwicklung dieser Kompetenzen zu unterstützen und bei Projekten auch hierauf das Augenmerk zu richten.

 

Zeichenkurs mit Linda

 von Silvia Hempler

 

In meiner Gruppe ist mir ein Mädchen (Linda, 5;0) besonders aufgefallen.

Linda verfügt über eine gute Ausdrucksweise und eine schnelle Auffassungsgabe. Sie redet gern und viel, versucht das Spiel der anderen Kinder, zum Beispiel im Rollenspiel, zu leiten und hat große Schwierigkeiten sich anzupassen. Immer wieder fällt sie durch ihr schwaches Sozialverhalten auf.

Linda konnte, wie die Mutter berichtete, schon mit 2 Jahren rechts und links unterscheiden. Als Literatur hat sie in dieser Zeit die Fachbücher ihres Vaters bevorzugt, der mit seiner Ausbildung zum Krankenpfleger beschäftigt war. Die Kinder der Krabbelgruppe mussten oft Handgreiflichkeiten hinnehmen, da sie nicht so Arzt spielen wollten und konnten, wie Linda es ihnen aufgetragen hatte.

… kurz gefasst …

Die gerade fünfjährige, besonders begabte Linda lernt in diesem Projekt nicht nur gegenständlich zu zeichnen; sie macht auch wertvolle soziale Erfahrungen, die sie ihrem Wunsch näher bringen, bei den anderen Kindern beliebter zu sein.

Nach der Arbeit mit dem Beobachtungsbogen nach Joelle Huser möchte ich die folgenden Punkte hervorheben:

Linda verfügt über einen großen Wortschatz, sie berichtet zum Beispiel:

„Meine Mutter möchte den anderen Frauen helfen die Babys auf die Welt zu bringen. Sie lernt, wie die Kinder im Bauch liegen können und was man machen muss, damit sie gesund zur Welt kommen.“

Zurzeit lernt Linda Polnisch. Sie fragt mich oft, ob ich ihr bestimmte Begriffe sage, damit sie diese übersetzen kann, oder sie nennt selber Wörter, die sie kennt, und übersetzt sie.

Sie macht keine grammatikalischen Fehler und drückt sich gut aus.

Linda ist auch sehr schlagfertig und hat auf alles eine Antwort, sowohl in positiven als auch in negativen Situationen.

Häufig hat sie logische Erklärungen und gibt dem Erwachsenen das Gefühl, dass sie sich überlegen fühlt und dass Konsequenzen, die nach negativem Handeln eintreten, sie unberührt lassen. Sie sagt dann:

„…und was soll das jetzt bringen?“

Ich erkenne auch eine besondere mathematisch-logische Intelligenz bei Linda. Sie spricht zum Beispiel mit mir über die Größe eines Kraters auf dem Mond und fragt spontan:

„Sind Krater so breit wie tausend Hochhäuser?“

Sie ist in der Lage, in 5-er Schritten zu addieren, und akzeptiert für sich nur Puzzles mit 100 Teilen.

Zu ihren Interessen und Sachgebieten, mit denen sie sich besonders intensiv beschäftigt:

Da sind zunächst die Berufe der Eltern: Krankenpflege und Hebammenarbeit. Sie lernt quasi mit den Eltern mit.

Außerdem interessiert sie sich für Pferde. Sie kennt alle Begriffe rund ums Pferd, ums Reiten, und um die Pflege der Tiere.

Sie beschäftigt sich mit Fragen zum Weltall. Als ich ihr mit Hilfe eines Buches gezeigt habe, warum der Mond nicht so oft ein Vollmond ist, hat sie es sofort begriffen, mich angesehen und gesagt:

„War das alles?“

Nun möchte sie genaue und ausführliche Informationen über die Ursache des Dinosauriersterbens.

Neben diesen besonderen Fähigkeiten und Interessen fällt mir auf, dass Linda kaum Gefühl und Wahrnehmung für die Interessen anderer Kinder zeigt.

Beispiel:
Ihre Freundinnen beschäftigen sich mit Bastelarbeiten. Linda stört unaufhörlich, bis die Mädchen nachgeben und sich zu dem von Linda gewünschten Rollenspiel in die Puppenecke begeben.

Zur Not bekräftigt sie ihren Wunsch durch übergriffiges Bemalen der Bastelarbeiten ihrer Freundinnen, so dass sie schließlich aufgeben.

Nun ist es ja gut und nicht schlecht, wenn kleine Mädchen durchsetzungsstark sind. Das soll Linda auch bleiben, aber es wäre gut, wenn sie andere Strategien lernte.

(Siehe zu diesem Thema auch: Mädchen setzen sich durch .)

Linda zeigt keine Neigung, sich anzupassen oder sich zurück zu nehmen. Wenn sie mit ihren Vorstellungen nicht auf Anhieb durchdringt, wird sie aggressiv und schlägt die Kinder.

Beispiel: Ein Kind sagt:
“Ich will aber nicht dieses Lied hören. Wir wollten doch tanzen.“
Das Kind bekommt als Antwort einen Stoffhund um die Ohren geschlagen.

Linda möchte die Anführerin der Gruppe sein. Sie hat immer Ideen, kann gut organisieren. Es mangelt jedoch an Rücksichtnahme und Gemeinschaftsdenken, sie nutzt ihre Position aus.

Ihr Gerechtigkeitssinn ist groß, allerdings stehen auch hier ihre eigenen Interessen im Mittelpunkt.

Kritik beantwortet sie immer mit

“Entschuldigung“.

Damit versucht sie weiteren Äußerungen aus dem Weg zu gehen. Sie wird rot im Gesicht und die Tränen steigen ihr in die Augen. Das sonst ständig sprechende Kind kann nur noch mit „Ja“ und „Nein“ antworten. Die Unsicherheit steht ihr im Gesicht geschrieben. Es ist schwer, sie dann wieder aufzubauen. Oft ist sie lange sehr still oder redet dem Erwachsenen nach dem Mund, ist überaus freundlich.

„Kann ich schon mal den Tisch abräumen?“

(Sie hasst es den Tisch abzuräumen.)

Immer wieder entstehen im Team Zweifel darüber, ob Linda besonders begabt ist, denn leider versteckt sie ihre Fähigkeiten sehr stark.

Siehe auch: Verbergen von Fähigkeiten.

Leider scheinen meine Fähigkeiten nach der 1. Seminarphase (des IHVO-Zertifikatskurses – im Jahre 2003!) noch nicht auszureichen, um ihrer schwierigen Situation gerecht zu werden.

(Siehe IHVO-Zertifikatskurse.) Lindas schwach ausgeprägtes Sozialverhalten beschäftigt sie selbst anscheinend innerhalb der Gruppe so stark, dass sie kaum Zeit für andere Dinge hat. Sie probiert sich ständig aus und kommt nicht zum gewünschten Erfolg, für den sie die Kriterien auch immer sehr hoch ansetzt. Dies sind zunächst aber nur Vermutungen.

Vielleicht bieten wir ihr auch nicht genügend Anregungen, um sich auf den Weg in die Zufriedenheit zu begeben.

Nach der 2. Seminarphase habe ich mir zur Aufgabe gestellt, von Lindas Interesse ausgehend einen Zeichenkurs anzubieten, um sie möglichst für längere Zeit in eine Kleingruppe einzubinden. Hier soll sie die Möglichkeit haben, ihr Sozialverhalten weiter zu erproben und zu entwickeln und zugleich Neues zu lernen.

Vorhaben aus meiner Sicht sind

    • der Zeichenkurs,
    • eine Bilderausstellung im Kindergarten nach ersten Erfolgen,
    • der Bau eines Spiels,
    • der Besuch einer Kunstausstellung.

Für den Zeichenkurs haben wir das Buch“ Für kleine Zeichner“ genutzt. Beschreibung des Buches: Bilderbücher, Sachbücher und Geschichten

 

 

Begründung der Vorhaben

Durch die gezielten Beobachtungen und die alltägliche Arbeit mit Linda habe ich bemerkt, dass sie ihre Fähigkeiten und Defizite abschätzt und über den Erwachsenen kontrolliert. So konnte sie zum Beispiel nicht gegenständlich zeichnen, war damit sehr unzufrieden, sagte aber immer: “Das habe ich doch gut gemacht, oder?“ Da sie dies aber mit einem für sie typischen Unterton sagte, habe ich sie, anstatt zu loben, kritisiert und Hilfe angeboten. Sofort war spürbar, dass sie positiv reagierte, sich helfen ließ und mir den Rest des Tages nicht mehr von der Seite wich, um mich mit Fragen zu “löchern“.

So beschloss ich, einen Zeichenkursus anzubieten und damit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Da sie, wie bereits beschrieben, auch große soziale Schwierigkeiten hat, sich oft mit dem anderen besonders begabten Mädchen Sandra in unserer Gruppe vergleicht und kaum andere Spielpartner für sie wichtig sind, habe ich eine Gruppe aus ganz unterschiedlichen Kindern gebildet.

Die Gruppe besteht aus

    • einem türkischen Jungen, der einfach nur lernen und produktiv sein will,
    • einem durchschnittlich begabten Mädchen mit geringem Selbstvertrauen,
    • einem hoch begabten Mädchen mit großen motorischen und emotionalen Schwierigkeiten,
    • zwei Jungen, die durchschnittlich begabt, aber voller Elan und immer für Neuigkeiten zu haben sind,
    • einem begabten türkischen Mädchen, das Sprachprobleme hat, jedoch sehr gut zeichnen kann und auch sonst überdurchschnittlich entwickelt ist,
    • Sandra und
    • Linda.

Erfreulicherweise waren alle Kinder zu motivieren, am Zeichenkurs teilzunehmen. Teilweise aus dem eigenen Interesse der Kinder heraus, teilweise aber auch, weil die Kinder wissen, dass ich selber zeichne. Meist finden sie meine Bilder gut, und somit war ich wohl kompetent genug, um einen Zeichenkurs zu führen.

Die Zusammensetzung der Gruppe erschien mir besonders günstig, da sie viele Besonderheiten menschlichen Daseins vereint und ich mir große soziale Lernerfolge für alle Kinder versprach, besonders aber für Linda. Sie sollte erleben, dass auch Andere etwas können, und ihr erlerntes Verhalten überdenken (wenn Kinder nicht so funktionieren, wie ich es möchte, schlage ich) und andere Lösungen finden. Ihr Selbstwertgefühl (ich darf auch Fehler machen) sollte gestärkt, neue Interessen gefunden und gefördert werden.

Da ich diese Gruppe durchgängig betreut habe, konnte ich gut einwirken und die schwierige Konstellation begleiten.

Wir haben damit begonnen, einen Menschen zu zeichnen. Das oben genannte Buch hat uns dabei sehr geholfen. Klare Linien und Formen brachten die Kinder schnell zum Erfolg. Zunächst zeichneten wir eine einfache Form, einem Strichmännchen gleich.

Im nächsten Durchgang haben wir einen Hals und ein Gesicht hinzugefügt, anschließend Pulli und Hose, und im nächsten Schritt Hände und Schuhe.

Mit dem menschlichen Körperschema und wechselnden Einzelheiten haben wir uns etwa zwei Wochen lang befasst. Während der ganzen Zeit hat Linda sich in der Gruppe erkennbar sehr wohl gefühlt. Sie hat viel beobachtet und offenbar erkannt, dass Andere ähnliche Ängste, Schwächen, aber auch Stärken haben wie sie selbst.

Dieser Lernprozess lief nicht ohne Auseinandersetzungen ab, Linda hat aber erkannt, dass ihre Zeichnungen nicht weniger Wert sind, da wir die letzten Bilder nicht in die sonst genutzten Mappen gelegt, sondern im Kindergartenflur aufgehängt haben.

Dazu haben Linda und ich ein Plakat entworfen, das die Eltern auf die Kunstwerke der Malgruppe aufmerksam machen sollte und auch aufmerksam gemacht hat. Die Kinder haben viel Lob erfahren.

Im Verlaufe des Zeichenkurses wurde den Kindern deutlich, dass Schreiben mindestens genauso wichtig ist wie gegenständliches Zeichnen.

Auch Schreiben ist, wie sie erkannt hatten, eine Möglichkeit der Kommunikation, die für Lob und Aufmerksamkeit günstig ist. Also wurde der eigene Name auf dem Bild immer wichtiger, und neben den Zeichnungen wurden Schreibproben erstellt.

Zu dieser Zeit entdeckte ich auf der Messe ein Spiel, das Beides beinhaltet, sowohl das Schreiben als auch das Zeichnen.

Spielanleitung

Es gibt Legekarten und kleine Symbolkarten sowie Buchstabenkarten. Auf jeder Legekarte ist ein Bild zu sehen, das für ein Wort steht, zum Beispiel steht das Bild eines Balles für das Wort Ball.

Jede Symbolkarte zeigt ebenfalls ein (kleines) Bild, das steht aber für den Anfangsbuchstaben des zugehörigen Begriffs. Das Bild eines Bärenkopfes steht demnach für den Buchstaben B, das Bild der Ameise für den Buchstaben A.

Nun wird eine Legekarte aufgedeckt, zum Beispiel der Ball. Mit Hilfe der Symbolkarten soll nun der Begriff Ball ausgedrückt werden. Die passenden Symbolkarten werden von den Mitspielern herausgesucht und in die richtige Reihenfolge gelegt.

Zum Schluss müssen die entsprechenden Buchstaben gesucht und dazu gelegt werden. So ergibt sich dann das gesuchte Wort Ball.

Dieses Spiel kann in vielen Varianten gespielt und für die Kinder auch erweitert werden:

Möglichkeiten:

    • Neue Wörter finden und mit den Buchstaben legen.
    • Die Symbolkarten nutzen, um andere Wörter zu legen.
    • Die Wörter abschreiben.
    • Aus den Wörtern Sätze bilden.

Ich habe den Kindern vorgeschlagen, dieses Spiel selber herzustellen. Ein Anreiz für die Kinder ergab sich aus der Tatsache, dass die Zeichnungen gut erkennbar werden mussten, damit man die Buchstaben entsprechend zuordnen kann.

Und so sind wir vorgegangen:

Wir haben uns ein Wort überlegt und die entsprechenden Buchstaben sowie Zeichnungen dazu entworfen. Jedes Kind hat eine Aufgabe übernommen, hat entweder eine Zeichnung erstellt oder den zugehörigen Anfangsbuchstaben auf eine kleine Karte geschrieben. Danach wurde abgewechselt: Wer gezeichnet hatte, hat beim nächsten Wort die Buchstaben geschrieben.

Jedes Kind hat dann noch eine große Karte hergestellt, auf der das Bild und der Buchstabe nebeneinander zu sehen sind.

In dieser ersten Arbeitsphase haben wir Bilder und Sachbücher, das Zeichenbuch und eine Buchstabentabelle als Hilfen für die Kinder hinzugezogen.

Ergebnisse:

Das für mich wichtigste Ergebnis war, dass die Zeichengruppe es möglich gemacht hat, integrativ zu arbeiten. Alle Kinder hatten Erfolgserlebnisse.

Die besonders begabten Kinder haben die anderen förmlich mitgezogen und zu Leistungen gebracht, die ich als sehr gut empfinde.

Ich hatte nie den Eindruck, Kinder zu über- oder unterfordern.

Lindas Fortschritte beim Zeichnen eines Pferdes:

Phase 1:

Phase 2:

Phase 3:

Ergebnisse für Linda:

    • Linda hat gelernt, ihre Fähigkeiten zu zeigen. Besonders auch in Bezug auf die Zeichnung eines Pferdes. Sie hat anderen Kindern bei der Wortfindung geholfen, hat zugelassen, dass ich ein Plakat mit ihr zusammen erstellt habe, auf dem sie selbstständig geschrieben hat.
      Die Kinder haben gesehen, dass Linda lesen kann, und dies wie selbstverständlich hingenommen, so dass auch Linda schließlich annehmen konnte, diese Fähigkeit zu besitzen.
    • Durch die Bilder- und Sachbücher haben wir Themen gefunden, die Linda am Rande abarbeiten konnte (Dinosaurier, Insekten).
    • Die Buchstaben-Tabelle für das erste Schuljahr hat sie sofort verstanden und genutzt.
    • Linda hat ebenfalls verstanden, dass sie anderen Kindern ihre Meinung nicht aufzwingen kann.
      Verstanden haben heißt noch nicht umsetzen können, aber sie arbeitet daran. Es gelingt ihr bereits das eine oder andere Mal, sich zu kontrollieren.
      Hier habe ich viel mit Gesprächen gearbeitet und mit Beispielen aus ihren eigenen Erfahrungen, die sie als negativ empfunden hat. Die Gruppenarbeit hat den Rest bewirkt, Linda beobachtet halt sehr genau.
    • Linda hat gelernt, Sandra loszulassen. Durch unterschiedliche Aufgabenstellungen konnten die beiden Kinder nicht immer zusammenarbeiten. Ich konnte mit beiden Mädchen zusammen während des Zeichnens Gespräche über Freundschaft führen, die unterschiedliche Ansichten zu diesem Thema deutlich machten. Linda hat begriffen, dass Sandra mehr Freiheiten braucht, und kann sie jetzt auch manchmal etwas allein machen lassen (zum Beispiel frühstücken).

Sandra ist ein vielseitig hoch begabtes Mädchen, das aufgrund seines guten Sozialverhaltens auch allseits beliebt ist. Linda möchte ebenfalls geliebt werden, und der Weg sich selbst so anzuerkennen, wie sie ist, fällt schwer und bedarf noch einiger Unterstützung.

Sie hat sich auf den Weg gemacht. Ihr Selbstwertgefühl ist jedoch noch immer gering. Sie muss über Jahre gemachte Erfahrungen (ich bin anders und so mag mich keiner) neu bewerten und einordnen, was Zeit benötigt.

Zudem sollten wir bald an das Elterngespräch anknüpfen, das nach unserer ersten Seminarphase stattgefunden hat. Ich möchte gemeinsam mit den Eltern genauer herausarbeiten, welche Bedürfnisse Linda hat und wie sie ihre eigenen Wünsche umsetzen kann.

Punkte für das Gespräch können sein:

    • Was will Linda wirklich?
    • Was macht sie nur, um Anerkennung zu bekommen und zu gefallen?
    • Was kann ihr in der Kita angeboten werden, damit sie ihre Fähigkeiten voll einsetzen kann, so dass sie auch die nötige Anerkennung bekommt?
    • Welche Aufgaben kann sie in der Familie, im Haushalt übernehmen (du bist wichtig)?

Zum guten Schluss

Die Kinder sind noch immer sehr interessiert daran, zeichnen zu lernen. Oft holen sie sich die oben genannten Materialien auch im Freispiel.

Wir haben beim vorerst letzten Treffen des Zeichenkurses darüber gesprochen, ein Museum in Wuppertal zu besuchen, um uns Techniken und Farben anzusehen. Wir sind hingefahren und haben dort eine Führung für Kinder wahrgenommen.

In der Werkstatt des Remscheider Künstlers Wolfgang Petermann konnten wir uns Radierungen ansehen – und da er gerade dabei war eine Baumwurzel künstlerisch zu bearbeiten, haben wir dies dann auch in der Kita versucht.

Linda benötigt weiterhin viel Hilfe im Aufbau ihres Selbstbewusstseins. Ich habe bemerkt, dass ich am meisten erreiche, wenn ich sie direkt auf Probleme anspreche, Gefühle benenne und mit ihr in die Diskussion gehe.

Linda braucht weiter die Möglichkeiten der Kleingruppe, um soziale Fähigkeiten zu üben und um zu lernen, ihre Reaktionen zu kontrollieren.

Ihre besonderen Fähigkeiten werden wir verstärkt für die Gruppe nutzen, damit sie viel Wertschätzung spüren kann.

Ich bin aber auf Grund meiner gesamten Beobachtungen der Meinung,
dass Linda besondere Fähigkeiten hat,
die auch in der Kita besonders gefördert werden müssen.
Siehe auch den Beitrag Pläne, Zeichnungen, Skizzen, Mind-Maps und dort besonders den Abschnitt „Mind-Maps“.
Veröffentlichung: Mai 2011
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

Pläne, Zeichnungen, Skizzen, Mind-Maps

von Hanna Vock

 

Anfänge planvollen Handelns

Der 9 Monate alte David war erst seit drei Wochen in der Kita, als sich Folgendes zutrug:

Nachdem seine Mutter schon gegangen war, machte sich David krabbelnd und in sichtlich guter Laune auf den Weg zur offen stehenden Gruppenraumtür. Die Erzieherin sah, dass er die Gruppe verließ und ging ihm mit Abstand nach, so dass David davon nichts bemerkte. Später sagte die Erzieherin: „Ich dachte, er wollte hinter seiner Mutter her, da er um die Ecke bog, Richtung Haustür.“ Aber David krabbelte an der Eingangstür vorbei, den ganzen langen Flur entlang, zwischen allen Eltern und Kindern hindurch, auch an der Treppe vorbei und zielstrebig zur anderen U3-Gruppe (Gruppe mit Kindern im Alter bis zu 3 Jahren). Hier stand die Tür auch offen, weil das Kommen und Gehen der Eltern noch in vollem Gange war. Dort krabbelte David direkt zum Bällchenbad und warf sich freudig juchzend hinein.

… kurz gefasst …

Die Fähigkeiten, Pläne machen zu können, Zeichnungen und Mind-Maps anfertigen zu können, werden hier als Werkzeuge geistiger Arbeit verstanden. Hoch begabte Kinder sind häufig schon im Vorschulalter sehr interessiert daran, sich diese Werkzeuge anzueignen.

Der Hintergrund dieser erstaunlichen Geschichte:

David, der auch später immer wieder durch ein sehr gutes Gedächtnis, eine hervorragende räumliche Orientierung und Anzeichen für eine hohe logisch-mathematische Begabung auffiel, hatte seine ersten drei Kita-Wochen zu einem beträchtlichen Teil vergnügt im Bällchenbad verbracht, das in seinem Gruppenraum stand. Da es aber für die gesamte Kita nur ein einziges Bällchenbad gab, wechselte es von Gruppe zu Gruppe.

Einen Tag vor seinem Krabbelausflug war David erstmals in den Spätdienst geraten und damit in den Gruppenraum der anderen U3-Gruppe, in der der Spätdienst stattfand. Dort hatte er sein geliebtes Bällchenbad wiederentdeckt und darin gespielt.

Am nächsten Morgen nun hat er, als die Gelegenheit günstig war (offene Tür), einen Plan gefasst und mutig umgesetzt.

Wie gut, dass die Erzieherin ihn sich nicht gleich geschnappt, in die Gruppe zurück gesetzt und die Tür zu gemacht hat. Sie hat ihn ziehen lassen, weil sie wissen wollte, was er wohl vorhat, und ist ihm nachgegangen.

Was muss Alles in seinem Babykopf passiert sein?

  • Er hat eine starke Begeisterung für das Bällchenbad entwickelt.
  • Er hat es vermisst, als es nicht mehr da war.
  • Er hat es wieder entdeckt und geistig in dem anderen Gruppenraum verortet.
  • Er hat sich am nächsten Tag daran erinnert, dass und wo er das Bällchenbad gefunden hat.
  • Er hat die Chance der offenen Tür begriffen und ergriffen.
  • Er wusste den Weg zum anderen Gruppenraum!!!
  • Er war explorationsfreudig, erkundungsfreudig genug, um sich allein und selbstständig auf den Weg zu machen und seine Ressourcen (zum Beispiel endlich Krabbeln können) zu nutzen.
  • Er fühlte genug Mut in sich, um auf seinem Weg nicht umzukehren oder aufzugeben.
  • Er führte seine Expedition zum gewünschten Erfolg und fühlte die entsprechende Befriedigung.
  • Da man ihn gewähren ließ, fühlte er Freiheit und ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit.
Man muss Kindern (manchmal sogar im Wortsinne) nachgehen, um erkennen zu können, was in ihrem Kopf vorgeht.

Alle die oben aufgeführten Punkte sind wichtig für erfolgreiches Lernen.

Davids Plan war ein Handlungsplan: „Ich will zum Bällchenbad krabbeln“. Dieser Plan gliederte sich folgendermaßen:

  • „Meinen Gruppenraum durch die Tür verlassen,
  • den Flur entlang krabbeln,
  • um die Ecke biegen,
  • den langen Flur an Treppe und Eingangstür vorbei durchkrabbeln,
  • in das Zimmer mit dem Bällchenbad rein,
  • Bällchenbad finden,
  • rein und Spaß“.

Siehe auch den Absatz „Algorithmus“ in Grundideen der Mathematik .

Natürlich war er sprachlich noch lange nicht in der Lage, seinen Plan mitzuteilen. Einzelne Schritte (zum Beispiel: um die Ecke biegen) konkretisierten sich vielleicht auch erst während der Expedition, aber den Anfangs- und den gewünschten Endpunkt sowie den Prozesscharakter seines Vorhabens muss er schon am Anfang gewusst haben.

Ich sage Euch, was ich vorhabe

Mit zunehmendem Alter und an irgendeinem Punkt ihrer Entwicklung können Kinder ihre Pläne dann sprachlich mitteilen (wenn sich denn Jemand empathisch und mitdenkend dafür interessiert), später können sie die Pläne, die sie im Kopf haben, auch aufschreiben oder aufzeichnen.

Die IHVO-Absolventin Birgit Wester erlebte, dass ein 2 Jahre 10 Monate alter Junge ihrer Gruppe sich auf erstaunliche Weise orientierte. Sie schreibt: „Er möchte in den ersten Tagen seiner Kindergartenzeit von unserer Regenbogengruppe in die Sonnenscheingruppe. Unsere Gruppen sind folgendermaßen angelegt:

Er sagt: <Ich gehe in die Gruppe, wo ich um die Ecke biege.> Eine solche Äußerung habe ich von einem noch nicht Dreijährigen noch nicht gehört. Es zeigt, dass er schon nach kurzer Zeit im Kindergarten eine genaue Vorstellung von der Anordnung unserer Räume hat.“

Genauer gesagt, heißt es, dass er seinen Plan, den er im Kopf hat, auch schon sprachlich mitteilen kann. Ab wann er einen solchen Plan schon (vorsprachlich) geistig entwickeln konnte, wissen wir in diesem Falle nicht.

Das nächste Beispiel zeigt einen Wohnungsgrundriss, den ein Mädchen (5;11) gezeichnet hat. Die Zuordnung der Zimmer, die Wege und Richtungen sind richtig getroffen, wenn auch das Zimmer der Eltern vergessen wurde und wenn auch natürlich alle Zimmer in Wirklichkeit direkt aneinander grenzen.

Hier zeigt sich die Fähigkeit zur räumlichen Orientierung wieder auf einer neuen Stufe:

Es gab immer einen guten Plan im Kopf – beim 9 Monate alten David konnte er „nur“ handelnd umgesetzt werden; der noch nicht 3-jährige Junge konnte über seinen Plan bereits auch sprechen; und das 5-jährige Mädchen kann seinen Plan auch schon aufzeichnen und beschriften.

Das Wort PLAN hat im Deutschen eine dreifache Bedeutung. Erstens bezeichnet es räumliche Zuordnungen (zum Beispiel: den Stadtplan oder auch den Grundriss der Kita). Zweitens steht es für Zeitpläne (zum Beispiel den Fahrplan), und drittens kann man damit auch geplante Handlungsabläufe meinen.

In den beiden obigen Beispielen handelt es sich um geistige Kombinationen aus Raumplan und Handlungsplan. Im zweiten Beispiel stand dem Kind schon die Lautsprache zur Verfügung.

Im folgenden Beispiel hat das Kind begonnen zu schreiben und schreibt seinen selbst erdachten Handlungsplan auf.

Ein 6-jähriges Mädchen macht einen Tagesplan:

Hier ist ein Bedürfnis nach Planung und Strukturierung zu erkennen; die Umsetzung in einen Notizzettel wurde sicher durch (elterliche) Vorbilder angeregt.

Raumpläne erstellen

Pläne sind abstrakte Reduktionen der konkreten Welt. Ein Strich ist die abstrakte Darstellung einer Straße, ein grüner Fleck repräsentiert einen Park. Ziel eines guten Stadtplans ist es, übersichtlich und klar gerade so viel Information zu bieten, dass sich auch ein Fremder in der wirklichen Stadt zurechtfinden kann.

Alle für diesen Zweck unwesentlichen Einzelheiten (ob die Häuser zwei oder vier Stockwerke hoch sind, ob Blumenkästen an den Fenstern sind, ob die Straße 1920 oder 1975 gebaut wurde, ob es in der Straße fünf oder zehn Geschäfte gibt) werden weggelassen. Alles Wesentliche (wo die Straße eine Kurve macht, wo eine Eisenbahnlinie den Weg versperrt, wo Häuser an den Straßen stehen und wo die Straße durchs Grüne führt) muss jedoch vollständig abgebildet sein.

Diese Möglichkeit zur Abstraktion und zur Unterscheidung in Wichtig und Unwichtig ist reizvoll für viele junge hoch begabte Kinder.

Interessant kann sein, mit Kindern einen Umgebungsplan der Kita zu zeichnen, der alle wichtigen Informationen enthält – und dabei festzustellen, dass man erst mal klären muss, was für wen wichtig ist: Für Kinder sollte der Spielplatz eingezeichnet sein, für Autofahrer die Tankstelle, für alte Leute die Apotheke und der Lebensmittelladen, und für alle Fußgänger der Zebrastreifen.

Leider werden bei solchen Aktivitäten die jungen hoch begabten Kinder zu oft außen vor gelassen, obwohl sie sich sehr früh dafür interessieren.

Ein solches Projekt erfordert es natürlich, mit den Kindern die Umgebung zu erlaufen und den Plan, entsprechend den Beobachtungen, immer wieder zu berichtigen.

Passt das Alles aufs Papier? Wie muss der Maßstab sein – und was ist überhaupt ein Maßstab? Das können Fragen sein, die im Verlaufe des Projekts auftauchen.

Skizzen und Zeichnungen, Zeichnen lernen

Mal eben schnell eine Skizze oder eine Zeichnung anzufertigen, kann die Erinnerung oder auch die Kommunikation mit Anderen unterstützen. Viele Menschen sind aber davon überzeugt, nicht zeichnen zu können. Auch hier gilt aber: Dieses Werkzeug der geistigen Arbeit kann von früh an gelernt werden. Das genaue Sehen und das genaue Aufs-Papier-Bringen lassen sich üben. Wer gut zeichnen kann, ist immer mal wieder im Vorteil. Auch angehende Kunstmaler müssen in ihrem Studium anfangs viel zeichnen und skizzieren. Im Kindergarten hat es Vorteile, das künstlerische Zeichnen und Malen einerseits und das möglichst naturgetreue, präzise Zeichnen andererseits sowohl zusammen als auch getrennt voneinander zu behandeln.

Siehe: Zeichenkurs mit Linda .

Siehe: Zeichnen üben mit 4.

Zum Zeichnen lernen im Kindergarten empfehle ich die unten stehenden Bücher. Nach einer Anfangsanleitung durch die Erzieherin können die Kinder dann auch selbstständig dazulernen und Erfolge sehen.

Kinder lernen zeichnen und malen.
Von Alex Bernfels und Rosanna Pradella.
Verlag christophorus.

 

 

 

Für kleine Zeichner.
Von Iris Prey.
Verlag Bassermann.

 

 

 

Für kleine Maler.
Von Norbert Pautner.
Verlag Bassermann.

 

 

 

Schritt für Schritt Fahrzeuge zeichnen.
Von Norbert Pautner.
Tessloff Verlag.

 

 

 

Tiere zeichnen Schritt für Schritt.
Von Norbert Pautner.
Tessloff Verlag.

 

 

 

Mind-Maps

Mind-Maps sind nicht nur was für “Große”. Wichtige Menschen und Teams wichtiger Menschen erstellen Mind-Maps. Kinder sind wichtige Menschen.

Mind-Maps wurden erst im Jahr 1971 von dem britischen Psychologen Tony Buzan „erfunden”. Als Werkzeug für geistige Arbeit traten sie einen Siegeszug um die ganze Welt an. Der Begriff Mind-Map wird ins Deutsche übersetzt als Gedanken(land)karte oder auch als Gedächtnis(land)karte.

Das unten abgebildete Mind-Map enthält in der Mitte ein A. für Apfelsine. Zunächst stand nur dieses A. in der Mitte eines großen, ansonsten leeren Blattes. In der Kita-Gruppe wurde nun das Wissen der Kinder zum Begriff Apfelsine zusammen getragen. Jede neue Ergänzung, die ein Kind nannte, wurde in das Mind-Map eingefügt. Dabei stellt jeder Zweig, der von der Mitte ausgeht, einen anderen Aspekt des Begriffs Apfelsine dar, zum Beispiel die Herkunft oder die Essbarkeit.

Natürlich können solche Mind-Maps zu allen möglichen Begriffen erstellt werden.

Sie können der Ausgangspunkt oder auch der Endpunkt eines Projektes sein:

Ausgangspunkt, um auf Ideen zu kommen, was interessant sein könnte und was man machen kann – und Endpunkt, um bewusst zu machen und herauszustellen (auch: zu dokumentieren), was im Projekt alles geschehen ist und kennen gelernt wurde.

Siehe auch: Förderung in Projekten.

 

 

 

 

 

 

Wenn hoch begabte Kinder erst einmal gelernt haben, mit dem “Werkzeug Mind-Map” zu arbeiten, werden sie ihre eigenen Anwendungen finden.

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2011
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.