Kommentar: Hoch begabte Kinder in Waldorfschulen?

von Hanna Vock
Januar 2013

 

Oft werde ich von Eltern und auch von Kolleginnen gefragt, welche Grundschulform ich für hoch begabte Kinder empfehlen könnte. Manchmal kann ich eine Schule ganz konkret empfehlen, weil ich sie kenne und einschätzen kann, wie dort gearbeitet wird.

Meistens ist das aber nicht der Fall – und dann geht es den Eltern um die Schulform. Meine Antwort geht dahin, dass ich die Schulform für zweitrangig halte. Es ist wichtiger, vor Ort heraus zu finden,

  • wie die Schulleitung zu Hochbegabung eingestellt ist,
  • welche Erfahrungen es an der Schule mit der Förderung hoch begabter Kinder gibt,
  • und vor allem, wie die aufnehmende Lehrerin sich dazu stellt, ein (vermutlich) hoch begabtes Kind in ihrer Klasse zu unterrichten.

Dies alles kann man nur in offenen Gesprächen erfahren, zu denen ich dringend vor der Einschulung rate.

Nur von einer Schulform rate ich grundsätzlich ab: von der Waldorfschule.

Mag sie für manche Kinder eine geeignete Schulform sein, wenn die Eltern sich mit den ideologischen, unwissenschaftlichen und damit auch unpädagogischen Grundlagen der Waldorfschulpädagogik arrangieren können.

Für hoch begabte Kinder ist diese Schulform schädlich, da sie zum Beispiel abstraktes Denken von Kindern unter 7 Jahren ablehnt und nicht selten, wie mir des öfteren berichtet wurde, zu verhindern sucht. Es wurde in diesen Fällen den Kindern gesagt, dass sie davon krank werden könnten, und auch die Eltern wurden in diesem Sinne verunsichert.

Grade hoch begabte Kinder haben aber das Bedürfnis und das Potenzial, schon sehr früh logisch, systematisch und abstrakt zu denken, was nicht nur zu akzeptieren, sondern auch positiv zu bestätigen und zu fördern ist.

 

Bitte lesen Sie zur Waldorfschule den informativen Artikel
aus der Süddeutschen Zeitung vom 28. 1. 2013.

 

Datum der Veröffentlichung: Januar 2013
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum

Experten-Interview für eine Facharbeit

Fragen: Alina Röpsch
Antworten: Hanna Vock

 

1. Erzählen Sie mir etwas von Ihrem beruflichen Werdegang. Was haben Sie gelernt?

Nach dem Abitur habe ich Erziehungswissenschaft und Soziologie an der Uni Göttingen studiert, mit dem Master-Abschluss in beiden Fächern. Es folgte Fortbildungsarbeit für Erzieherinnen und Kinderpflegerinnen bei verschiedenen Trägern. Später wollte ich praktische Erfahrungen in der Kindergartenarbeit sammeln und habe das auch über 10 Jahre lang getan. Berufsbegleitend habe ich die Ausbildung zur Staatlich anerkannten Erzieherin absolviert. Ab 2001 bin ich wieder freiberuflich in die Fortbildung eingestiegen, ab dann mit dem ausschließlichen Schwerpunkt „Hoch begabte Kinder im Kindergarten“.
Seit Jahrzehnten befasse ich mich mit diesem Thema und habe sehr viele (getestet oder vermutet) hoch begabte Kinder, ihre Eltern und Erzieherinnen getroffen, mit ihnen gearbeitet und von ihnen gelernt.
2003 habe ich das IHVO (Institut zur Förderung hoch begabter Vorschulkinder) gegründet. Seit 2015, mit Erreichen des Rentenalters, arbeite ich nicht mehr fortbildend, sondern nur noch beratend und an der Weiterentwicklung des Online-Handbuchs.

2. Was verstehen Sie unter dem Begriff „Hochbegabung“?

Unter kognitiver Hochbegabung verstehe ich die Fähigkeit eines Menschen, sehr leicht schnell zu lernen (bei interessierenden Inhalten), und früh über vieles effizient nachzudenken. Diese Fähigkeiten zeigen sich bei Kindern früh und sind auch im Kita-Alter schon gut zu beobachten. Hochbegabung kann breit angelegt sein, oder sie äußert sich hauptsächlich in einem Entwicklungsbereich und/oder ist mit besonderen Talenten verbunden.
(Siehe auch: Begriffsbestimmung Hochbegabung.)

3. Sie haben schon mit hoch begabten Kindern gearbeitet. Wie äußerte sich diese Begabung bei den Kindern?

Im Online-Handbuch habe ich mit großer Unterstützung von inzwischen 70 Kita-Erzieherinnen viele Beispiele vorgestellt, die zeigen, wie unterschiedlich die Begabung aussehen kann. Oft ist eine frühe und/oder sehr rasche Sprachentwicklung zu beobachten, die früh zu erstaunlichen Ergebnissen führt – aber das ist nicht immer so. Bei Kindern mit weniger sprachlichem Talent oder mit einer anderen Muttersprache und (noch) wenig Beherrschung der deutschen Sprache muss man genauer hinsehen und sich stärker auf die im Spiel sichtbaren Denkleistungen konzentrieren. (Näheres dazu in: Hochbegabung ist kein Luxusproblem, Abschnitt 3.)

4. Was meinen Sie zu der Aussage: Kindergartenkinder kann man nicht als hoch begabt definieren, sondern als Kind mit „kognitivem Entwicklungsvorsprung“?

Da Entwicklung nicht vom Himmel fällt, muss etwas passiert sein, damit der beobachtbare Entwicklungsvorsprung zustande gekommen ist. Dabei spielt sicher eine gute familiäre Förderung eine Rolle. Aber ein sehr großer Entwicklungsvorsprung ist durch besonders gute Förderung allein nicht zu erklären. Das ist das Problem ehrgeiziger Eltern, die ihr Kind gerne früh auf die Karriere-Schiene schieben wollen: Wenn ihr Kind gar nicht besonders begabt ist, können ihre ambitionierten Bemühungen auch nicht in dem gewünschten Ausmaß fruchten und werden zur Belastung des Kindes. Tatsächlich hoch begabte Kinder dagegen fordern ihre Eltern oft bis zu deren Belastungsgrenze, weil sie beständig Fragen stellen und nach „geistigem Futter“ verlangen.

Für Hochbegabung braucht es genetische und physiologische Grundlagen. Ich bin der Meinung, dass Pädagogen mit entsprechender (Zusatz-) Ausbildung und Erfahrung durchaus in der Lage sind, weit überdurchschnittliche Begabungen bei jungen Kindern zu erkennen. Dabei kann es nicht das Ziel sein, Hochbegabung (definiert als IQ ab 130 aufwärts) zu bescheinigen. Es geht vielmehr darum, den besonderen Wissensdurst und die besonderen kognitive Bedürfnisse zu erkennen und zu beantworten, mit dem Ziel, dass sich das Kind wohl fühlen und adäquat entwickeln kann.
Entgegen früherer Ansichten weiß man heute aber auch, dass Kinder ab etwa 4 Jahren von kundigen Psychologen schon auf die Höhe ihrer Intelligenz getestet werden können, mit stabilen Ergebnissen, die bei späteren Tests beim älteren Kind dann ähnlich ausfallen.
(Siehe auch:
Feststellen von Hochbegabung
und Normalverteilung der Intelligenz  

5. Sind Sie der Meinung: Erzieher und Erzieherinnen brauchen unbedingt eine Weiterbildung in diesem Bereich, um die hoch begabten Kinder auch professionell fördern zu können?

Eine einschlägige praxisnahe, gründliche Weiterbildung mit vielen erklärenden Beispielen und Praxisaufgaben, die in der eigenen Kita bearbeitet werden müssen, bringt einen großen Vorteil.
Wichtig ist aber auch eine positive Einstellung der Erzieherin zu sehr klugen Kindern. Und wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt, sind kommt es noch entscheidend auf die geistige Beweglichkeit und Kreativität der Erzieherin an, die ihr ermöglichen, Ideen zur Förderung des Kindes zu entwickeln und eine angemessene Kommunikation zu Kind und Eltern aufzubauen.
Manche Erzieherinnen sind so intelligent und pädagogisch begabt, dass sie von selber „dahinter kommen“. Aber darauf sollte sich ein Bildungssystem nicht verlassen, deshalb bin ich sehr für gründliche Weiterbildung…

6. Wie denken Sie über eine vorzeitige Einschulung der Vorschulkinder?

Es gibt aus meiner Sicht nur sehr wenige Gründe, ein sehr begabtes Kind nicht frühzeitig einzuschulen – aber es gibt viele gute Gründe dafür. Hoch begabte Kinder haben sich den Lernstoff der ersten oder sogar der ersten beiden Grundschulklassen oft schon „nebenbei“ erarbeitet. Dieses rasante Lerntempo kann und soll man auch nicht stoppen, denn es gibt meines Erachtens ein Grundrecht zum Lernen auch bei kleinen Kindern. Die Schulen haben sich darauf einzustellen, dass der kognitive Entwicklungsstand hoch begabter Kinder sehr weit vom Durchschnitt abweichen kann. Das Kind muss auch in der Schule weiterlernen können, es muss entsprechende Aufgaben und Herausforderungen bekommen.
Die oft geäußerten Gegenargumente (fehlende körperliche oder soziale oder emotionale Reife) halten bei den meisten hoch begabten Kindern einer genaueren Betrachtung nicht stand.
(Siehe: Hoch begabte Kinder zwischen Kita und Grundschule.)
Sicherlich muss der beste Zeitpunkt für jedes hoch begabte Kind individuell gefunden werden; aber bei hoch begabten Kindern, die ohne triftigen Grund spät (also zum gesetzlichen Zeitpunkt) eingeschult werden, kann es zu einem dramatischen Motivationsverlust kommen.

7. Müssen überhaupt schon Kindergartenkinder so früh von einem Psychologen in IQ-Tests unter die Lupe genommen werden?

Nein. Im allgemeinen ist das nicht nötig.
Für eine frühe Testung sollte es immer einen klaren Grund geben. Ein solcher Grund könnte zum Beispiel sein, dass sich die Eltern nicht einig sind. Die Mutter sieht Anlass zum Handeln, der Vater nicht. Oder beide Eltern sehen nichts, die Kita aber schon; dann kann man den Eltern empfehlen, die Behauptungen der Kita durch einen Test überprüfen zu lassen. (Siehe: Wenn die Eltern wenig fördern.)

Dasselbe gilt, wenn den Eltern nicht geglaubt wird, dass ihr Kind aufgrund seiner Begabung besondere Spiel- und Lernbedürfnisse hat. (Siehe: Besondere Spiel- und Lernbedürfnisse oder das frühe Gefühl, anders zu sein.) Dann kann ein klares Testergebnis für den Kindergarten hilfreich sein.
Interessant ist, dass die allermeisten hoch begabten Kinder die Testsituation genießen – wenn die testende Person ihre Sache gut macht.

Bei Schulkindern kann eine Testung bei der Identitätsfindung helfen.
Aber wirklich notwendig ist eine Testung nicht, wenn die Umgebung des Kindes allein durch sorgfältige Beobachtung und eine dichte Kommunikation gute Anhaltspunkte für die kognitiven, emotionalen und sozialen Bedürfnisse des Kindes findet und sie hinreichend berücksichtigt.
(Zur Testung siehe auch: Kapitel 2.2 in diesem Handbuch.)

8. Finden Sie solche bekannten „Checklisten“ für Erzieher und Erzieherinnen hilfreich bei der Erkennung von Hochbegabung?

Jein. Die meisten Checklisten, die ich gefunden habe, finde ich ungeeignet, weil sie einzelne Fähigkeiten oder Eigenarten willkürlich auflisten und/oder die Items sehr schwer einzuschätzen sind.
Gute Checklisten können erste Anhaltspunkte geben, sind aber niemals ausreichend für die Entscheidung, ob eine Hochbegabung vorliegt oder nicht vorliegt .
Ich habe versucht, eine brauchbare Checkliste zu entwickeln, die zu einer ersten Beschreibung des Kindes auch für Gespräche mit Eltern und für die Diskussion im Kita-Team hilfreich sein kann.
(Siehe: Welchen Wert haben Checklisten?
Dort wird auch verwiesen auf meine Checkliste mit vielen Beispielen: Hinweise auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung

9. Von 2005 – 2014 sind in Deutschland 17 Integrative Schwerpunktkindergärten für Hochbegabtenförderung (IHVO-Zertifikat) entstanden. Können auch hoch begabte Kinder in einer „normalen“ Kindertagesstätte ausreichend gefördert werden?

Da die meisten Kitas „normale“ sind, möchte ich das gerne bejahen. Es braucht dazu aber einige Voraussetzungen, die ich teilweise schon bei Frage 5 angedeutet habe. Weiter ist meiner Meinung nach wichtig, dass in der Gruppe mindestens zwei Erziehungsfachkräfte arbeiten und genügend Ausweichraum für ungestörtes Spielen und Lernen in Kleingruppen vorhanden ist.

10. Sie sprechen auf Ihrer Homepage etwas von Projekten und Kleingruppenarbeit. Ist das ein Teil der Begabtenförderung für eine Kindertagesstätte? Gibt es noch weitere Förderungen?

Ja, das sind die Methoden, mit denen man hoch begabte Kinder am besten ansprechen und in die Gruppe integrieren kann. Beispiele dazu finden sich zuhauf im Online-Handbuch im 4. Kapitel.
Ganz wichtig ist aber auch eine angemessene Kommunikation zwischen den Erzieherinnen und dem Kind. Das betrifft die Form der Sprache, sie muss dem Sprachstand des Kindes angepasst sein, sonst wird das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zeigen (können), was in ihm steckt und sich nicht verstanden fühlen.
Aber es betrifft natürlich auch die Inhalte. Interessiere ich mich für die Gedanken des Kindes, nehme ich mir die Zeit (habe ich die Zeit), ihm konzentriert zuzuhören und auf vom Kind geäußerte gute Ideen einzugehen, sie immer mal wieder aufzugreifen?
(Siehe: Kommunikation im Kindergarten.)

11. Wie können hoch begabte Kinder kognitiv gefördert und unterstützt werden? Meinen Sie, dass Erzieherinnen das im Alltag auch leisten können?

Im Prinzip ja. Allerdings spielen die Arbeitsbedingungen in der Kita dabei eine wesentliche Rolle. (Siehe: Rahmenbedingungen verbessern! )

Aber auch bei den unterschiedlichsten Bedingungen ist es Erzieherinnen oder auch ganzen Teams während unserer zweijährigen Weiterbildungen gelungen, ihre Arbeit so umzustellen und neu zu erfinden, dass hoch begabte Kinder gut gefördert werden konnten und dies der gesamten Kindergartengruppe zugute kam. Die meisten der Erzieherinnen berichteten, dass dieser Prozess zwar zunächst Zeit und Kraft gekostet hat, dass die alltägliche Arbeit aber im Endeffekt interessanter und befriedigender wurde.

12. Haben Sie den Eindruck, anhand ihres Erfahrungs- und Recherchierungsschatzes, dass die Hochbegabung weitervererbt werden kann? Und kommt es auch vor, dass es mehrere hoch begabte Kinder in einer Familie gibt?

Ja, das kommt gar nicht so selten vor. Ich glaube, tendenziell am besten sind die Familien dran, in denen alle mehr oder weniger hoch begabt sind. Sie haben die Chance, sich gegenseitig gut zu verstehen und zu unterstützen. Wenn Geschwister sehr unterschiedlich hoch begabt sind, kann es schwieriger werden, ebenso wenn nicht hoch begabte Eltern ein hoch begabtes Kind groß ziehen oder wenn hoch begabte Eltern ein eher durchschnittlich begabtes Kind bekommen. Geduld und Engagement zur Überwindung von Verständnisproblemen werden dann in stärkerem Maße gebraucht.

13. Warum ist die Entscheidungsfreiheit (im Gruppengeschehen) bei hoch begabten Kindern wichtig für ihre weitere Entwicklung?

Vieles im alltäglichen Gruppengeschehen ist für hoch begabte Kinder langweilig, manchmal auch verstörend, meistens weil sie längst „darüber hinaus“ sind. Zum Beispiel sind Rollenspiele oft zu schlicht oder stereotyp, oder der Morgenkreis besteht im Singen „alberner“ Lieder; oder zum dritten Mal im dritten Frühling Marienkäfer zu basteln, wird als seltsame Idee empfunden.
Das Kind sollte dann erfahren, dass es sich – ohne negative Reaktionen hinnehmen zu müssen – frei für andere, selbstgewählte Tätigkeiten entscheiden kann. Und dass dafür ausreichend Möglichkeiten vorhanden sind (also auch entsprechendes Spielmaterial) und das Kind auch dabei die nötige Unterstützung erhält.

14. Sollte man auffällige Verhaltensweisen, ständiges in den Vordergrund stellen oder sogar Stören der Gruppenarbeit, eher ignorieren oder zurechtweisen?

Das kommt sehr auf die Situation und den Einzelfall an. Ist das Kind verständlicherweise dauerfrustriert, kann sein Verhalten eine klar logische Folge sein. Es dann zusätzlich auch noch ständig zurechtzuweisen, würde ich als Gemeinheit empfinden.
(Siehe: Dauerfrustration wegen Unterforderung und Unverständnis.)

Wenn ein Kind zum Beispiel den Morgenkreis nicht mitmachen muss und stattdessen seinen eigenen Lerninteressen folgen kann, wird es die anderen Kinder auch nicht stören, zumindest könnte man es sich dann energisch verbeten.
(Siehe die Beispiele 2a und 2b in: Passgenaue kognitive Förderung.)

Den Geltungsdrang der Kinder, die dazu neigen, sich in den Vordergrund zu drängen, kann man auch so auffassen, dass sie ihren Platz in der Gruppe (als Experten für dies oder das) noch nicht gefunden haben. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, nicht genervt zu reagieren, sondern es als ein (zugegebenermaßen nerviges) Signal des Kindes zu verstehen. Ich habe dann versucht den Spieß umzudrehen und das Kind aufgefordert, zu einem Thema länger zu sprechen, und dafür Zeit und Platz geschaffen.

15. Vertreten Sie die Meinung, dass Fortbildungsmaßnahmen zu diesem Thema, nicht ausreichend abgedeckt werden und somit oft Hilfestellung für Bedürftige auf der Strecke zu bleiben scheint?

Ja, unbedingt. Jede Erzieherin sollte schon in ihrer Ausbildung einiges über das Thema Hochbegabung erfahren und sich bei verstärktem Interesse in Fortbildungen weiter darein vertiefen können. Das würde sie zu einer kompetenten Ansprechpartnerin für das hoch begabte Kind und auch für seine Eltern machen. Wichtig ist das, weil sowohl die Kinder als auch die Eltern sehr oft verunsichert sind und sich nicht verstanden und allein gelassen fühlen.
Dazu will ich aber noch bemerken, dass der Löwenanteil der passgenauen Förderung – auch bei sehr guter Unterstützung durch die Kita – oft bei den Eltern bleibt. Denn die Kita kann immer nur zeitweilig Impulse setzen und durch eine gute Kommunikation das Wohlbefinden des Kindes sichern, das Kind braucht aber beständig „Futter“ und ein interessiertes Gegenüber.

16. Integration ist ein wichtiger Faktor. Wie kann eine positive Integration zusammenfassend für hoch begabte Kindergartenkinder stattfinden?

Zunächst einmal muss anerkannt werden, dass die Integration Hochbegabter ebenfalls eine anspruchsvolle Aufgabe ist so wie die Integration von Kindern mit Handicap oder mit geringer Intelligenz.
Ich bin dafür, behinderte Kinder nicht vereinzelt über die verschiedensten Kitas zu verstreuen, sondern sie in integrativen Kitas zu betreuen und zu fördern, dort wo es ein passendes Equipment und spezialisierte Fachkräfte gibt und wo das Kind sich in seiner Abweichung nicht vereinzelt fühlen muss. In einer integrativen Kita können behinderte und nicht behinderte Kinder zusammen spielen und Unterschiede als selbstverständliche Normalität erleben – aber auch die fundierte besondere Unterstützung der behinderten Kinder kann dort geleistet werden.
Im Prinzip genauso sehe ich die Situation für hoch begabte Kinder. Gemischte Gruppen mit mehreren hoch begabten Kindern und mindestens einer spezialisierten Fachkraft finde ich ideal.
(Siehe: Schwerpunktkindergärten für Hochbegabtenförderung.)
Und ich weiß von vielen Eltern, dass sie für so eine Kita auch einen weiteren Weg in Kauf nehmen, weil sie erfahren, dass ihr Kind morgens meistens entspannt und ausgeglichen in die Kita geht und nachmittags genauso entspannt, ausgeglichen und mit wertvollen neuen Eindrücken und Erlebnissen nach Hause kommt.

 

Datum der Veröffentllichung: Januar 2021
Copyright © Hanna Vock

Theater spielen mit dem Ritter-Lied

von Hanna Vock

 

Wenn die Kinder in dem Alter sind, in dem Ritter und Prinzessinnen ihre Fantasie beflügeln, kann es Sinn machen, mit ihnen das Ritter-Lied zu erarbeiten.

Die einzelnen Strophen lassen sich szenisch gut umsetzen, es ist auch zunächst unwichtig, in welcher Reihenfolge die Szenen entwickelt werden, die Kinder können die Auswahl nach Lust und Laune treffen. Nach Geschmack können Verkleidungen, Requisiten und angedeutete Kulissen besorgt bzw. geschaffen werden.

Auch hier empfehle ich, den ersten Durchgang mit besonders begabten und/oder fürs Theaterspiel talentierten Kindern zu machen; daran können sich dann die anderen Kinder orientieren und auf dieser Basis ihre eigenen Ideen einbringen.

Angelegentllich habe ich für das Ritter-Lied die Melodie von „An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn…“ benutzt und sie neu betextet:

1.
Auf den Bergen in der Höhe
stehen Burgen stolz und kühn.
Ihre Mauern sind verfallen
und der Wind streicht durch die Hallen,
Wolken ziehen drüber hin.

2.
Zwar die Ritter sind verschwunden,
nie mehr klingen Schwert und Schild;
doch dem Wandersmann erscheinen
in den altbemoosten Steinen
oft Gestalten zart und mild.

3.
Unsre Burg hat feste Mauern,
niemals kommt ein Feind da rein.
Wenn wir in der Nacht tief schlafen
zwischen Pferd, Hühnern und Schafen,
wacht der Türmer ganz allein.

4.
Und die Ritter sind zufrieden,
liegen auf dem Bärenfell.
Und die Ritterfräulein lachen,
wenn die Ritter Kämpfchen machen,
denn es ist zum Glück nur Spiel.

5.
Und der Stärkste will gewinnen,
stößt den andern schnell vom Ross.
Kunibert, der kühne Recke
kugelt sich verschämt im Drecke
und es lacht das ganze Schloss.

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2020
Copyright © Hanna Vock

Talent for Research

by Antonia Herberg and Hanna Vock

 

Children explore their environment by trying out, observing, making changes, observing again and drawing conclusions. This is how learning happens.

And the better and more suitable the conditions are that the child finds and that are created for it by sensible adults, the further it will progress. This is a great responsibility of parents, kindergarten teachers and school teachers.

See also:

Where Do the Extraordinary Abilities Come from? Giftedness or Superb Advancement?

and

How Do Gifted Children Learn?

However, a researcher needs some qualities to a degree that is not available to everyone.

Manuel (5;3) shows these qualities – and who knows, maybe he really wants to use them for a researching profession later on? Or maybe he will take completely different paths, but it is interesting to see how he acts as a five-year-old. Below are some observations from his kindergarten routine, presented by his kindergarten teacher.

The notes are an excerpt from the article From Clown to Expert, which is mainly about Manuel becoming more confident and developing better contact with the other children in the group.

Play with candles

In the last few days Manuel (5;3) has repeatedly taken the (Montessori) offer >lighting a candle< during free play. His attention was clearly focused on the moment when he put out the candle with the wick extinguisher. He did this very slowly each time and let the candle flare up again and again.
To give him a new opportunity to observe the extinguishing of the candle, I provided a candle, matches and a glass for him.
When he gets the candle again the next morning, I ask him if I may show him something else with the candle. Manuel looks at me attentively and agrees. I demonstrate the procedure to him once, Manuel laughs and repeats it several times. He puts his head on the table top and watches the candle go out.

I ask him if he knows why the candle goes out under the glass. He replies: „There’s no air left.“ I offer him a bigger glass. He takes it and says, „It gives her more air.“ Manuel tries it out. When I offer him a second candle, he lights both of them and puts the glasses over them at the same time with both hands and watches curiously what happens.
He asks if I have a very small glass. He extends his observation to five glasses of different sizes, sets them up in an line and one after the other he puts the glasses over the candles with rapid and coordinated movements.
After several passes he beams at me and says: „This is such fun, I’m going to use up all the matches.“

At the end of the free play I ask Manuel to show the other children in the chair circle what he has done and explain it to them. He thinks, smiles and nods.
Everyone sits in a circle, Manuel sits next to me and in front of him stands the tray with the candles, glasses and matches. The children are waiting. I ask Manuel quietly if he can tell them now what he is going to do. Manuel shakes his head, leans over to me and whispers: „You!“
I say a few sentences to the children and Manuel starts lighting the candles. Before he puts the glasses on, he looks seriously and says: „This has to be done in a hurry.“ His performance succeeds. He explains that fire needs air to burn, that there is different amounts of air in the glasses and that the candles go out one after the other. The children are attentive, listen and watch.

Manuel repeats the game with candles and glasses. He acts independently and very concentrated and makes several passes. His attention is obviously focused on putting the glasses over the candles at a fast pace in order to achieve synchrony at the start. (He has set this task for himself.) Sometimes a candle goes out. Then Manuel says „Shit!“ and starts again from the beginning.

Mortar

Manuel gets the offer to grind different raw materials with a mortar. He is concentrated and works on it for over two hours. He keeps looking closely at what is happening, what is changing in the mortar. In the circle of chairs he presents his work confidently and safely.

Manuel is still interested in the mortar. Every day, something different is pounded. He presents the results again in the chair circle and finds companions who share this passion with him.

Marguerites

On the table are white marguerites in a vase. I ask Manuel, „Do you think marguerites drink the water?“

He nods and says, „Yes, all plants need water.“ I go on asking if you can see that they’re drinking it. Manuel ponders for a moment and says, „Yes, with a magnifying glass.“ I give him a magnifier and he looks intently at the stems through the magnifying glass. After a while, I ask him if he has observed anything. He shakes his head and says, „I don’t see anything.“

I point out to him that the water in the vase is transparent, that it has no colour, and suggest that he colour it, then the flowers would have to drink coloured water. He looks at me and asks, „What happens then?“ I ask back, „What do you think might happen?“ He touches a blossom and says, „Will it turn colour?“ I ask him to try it and give him a stand with test tubes and red and black ink.

Manuel carefully fills the ink and puts two marguerites in red and black ink. Then he sits in front of them, crosses his arms and looks at the flowers. After ten (!) minutes he comes to me and says with a plaintive tone: „Nothing’s happening.“
We put the stand with the flowers on the windowsill and I invite him to do something else now and to have a look in between.

At the beginning of the circle of chairs I ask Manuel to explain to the children what he did with the flowers. He laughs and says, „Yes, I want to do that.“ Manuel tells the children with a lot of facial expressions and a loud voice about his experiment and that he is now waiting to see if anything has happened. The children listen even more attentively than at his first demonstration. Manuel speaks freely and doesn’t even pay attention to me anymore.

When about half the time in the circle of chairs is already over he jumps up and shouts: „There, it starts! One flower is already turning pink.“ Manuel is beaming and all the children look at the pink flower. When he leaves, he says, „Black takes longer.“

Flower press

Manuel comes in the morning and says: „I have to check my leaf. I’m very curious.“ A few days ago he brought a big leaf from his trip to the kindergarten and put it in the flower press.
The leaf is not dry yet. He looks at it and feels it and says, „Do you think it’s ready?“ When I say no, he says: „Then it must go back in“ and clamps it again.

***

After a superficial look at the notes, one might think: Manuel does nothing else than many other children in the kindergarten do. The difference is how he does it.

A closer look reveals: Manuel’s observations over a short period of time have shown him to be a really good researcher:

    • Exploratory urge
    • Desire to gain knowledge
    • Follow up on questions you have thought up yourself
    • Consistent interest across all days
    • Perseverance in his plans
    • Ability to communicate his research paths and results to the other children

 

Hopefully, he’ll continue to find good mentors who will
help him to maintain his motivation, to ask him good questions
and who support him in this,
to see success in his work and to further develop his researcher mentality.

 

More about Manuel:
Manuel, 5;0 Years

From Clown to Expert

Date of publication: May 2020
Copyright © Hanna Vock and Antonia Herberg, see Imprint

 

 

 

A Hen´s Egg

by Hanna Vock

 

Scientific thinking and acting can also be practiced with very few resources.

I would like to demonstrate this with an example. In 2001 I led a play and learning group for gifted pre-school children in Düsseldorf (Germany). This offer of the Adult Education Center took place 10 times as planned, each meeting lasted one and a half hours, in the afternoon in weekly intervals.

The seven participating children were four boys and three girls aged 4;8 to 5;6 years. Except for two girls, they did not know each other, and they did not know me or the room where we met. I had to bring all the material with me and take it home each time. Despite these unfavorable conditions compared to the kindergarten, a joyful and intensive playing and learning took place.

…in short…

Seven presumably gifted pre-school children are involved with the chicken egg. They examine it thoroughly and pursue the exciting question of why eggs begin to swim in water with increasing age. And they figure it out.

We spent the 10 afternoons dealing with different topics, one of which was „The Egg“. The children should be able to explore the hen’s egg thoroughly, to make discoveries and to learn about it.

What was important to me was that the children

    • could observe changes over time,
    • should learn a way to record their observations,
    • should learn that joint reflection on what has been observed, accurate conclusions help to clarify an initially „mysterious“ question,

which are all basic scientific procedures.

The children received uncooked and cooked chicken eggs, which they could take apart and examine. The children discovered what the egg looks like inside, how it smells and feels.

All the observations the children made were collected in the group. The most important thing was an exact description and precise formulation.

It was interesting to see that the children were always specifying themselves, but also each other.

According to the information given by the children, I tried a sketch on the blackboard, which was changed again and again until the children were satisfied with the sketch. In the process, the nature and purpose of the egg components were also discussed. Afterwards the sketch was wiped away on the blackboard and the children tried to draw the discussed details from memory.

Results:
Girl, 5 years                                   Boy, 5 years                       Girl, 5 years

 

 

 

 

 

 

With the help of sketches and from photos I brought along, the details of the egg were brought together with the development of the chick in the egg.

The children puzzled about what „subject“ they would have had if the whole thing had taken place at school. (They were all still months to years away from enrolment.)

After I had listed the usual school subjects (and what is done there), they found at the end of this discussion that it must have been a mixture of natural science and German and art. I found this assessment remarkable.

To find out more about the hen’s egg, I suggested the „egg freshness test“ to the children. (The egg is fresh when it is left in a bowl of water at the bottom.)

After the children noticed that some eggs stayed on the floor, some stood up in the water and some even swam, everything revolved around the question:

Why is it so different?

The children received some important information: From their drawings of the egg structure they found out,

    • that the lime shell has small holes through which water can get out and air can get in;
    • that the egg whites and yolks feel so wet because there’s water in them.

Also:

    • that water can evaporate (go into the air) and the previously wet clothes become drier as a result (for example, clothes hung up);
    • that some things can float if you blow them up with air (for example, water wings).

They were not yet able to process this information in their minds to the point where they came up with the solution why some eggs float and some don’t.

This „egg freshness test“ should therefore keep us busy for weeks, which was not originally planned. Every week we repeated the freshness test, always with the same (marked and initially fresh) eggs and observed how the position of the egg in the water changed from week to week. The eggs endured the multiple back and forth transport and also the handling of the children until the end without breaking.

Since some of the children were keen to write on the blackboard, we also looked at the egg from this side:

The children painted ovals on the blackboard and all the other geometric shapes they could think of. They considered in which words „Ei“ (the German word for egg) occurs and wrote them (with more or less instructions) on the blackboard, partly also on paper.

In the process, I also gained incidental information about the children’s reading skills: Of the seven children, two read fluently, two spelled slowly, the others knew more or less letters.

The exchange of knowledge about the living conditions of the chickens as well as a discussion about it rounded off the topic for the time being.

But still we had the secret why some eggs do not swim and some do, not yet revealed.

At the 5th meeting, before the autumn holiday break, we repeated the egg freshness test one more time. The eggs, which were initially still quite fresh, had naturally aged. The children had observed over the weeks how the position of the eggs in the water had changed and could describe this well.

They received a prepared sheet on which the first three states were already drawn by me.

They should now draw in their assumption about how the eggs would be in the water after the holidays. After the holidays we wanted to do the test and draw the actual position.

This task challenged the children’s ability to make assumptions about future development. At the same time, they learned that observations made during the experiment can be recorded with simple sketches.

Result (boy, 5 years):

Result (girl, 5 years):

After the holidays it turned out that the children had guessed right in principle:
that the eggs had come off the ground.

However, several children now noticed that the eggs were not floating in the water, but were really swimming, i.e. partially emerged from the water. They drew this exactly.

Now it seemed to me that it was time to help the children to find out the reason for the newly acquired swimming ability of the eggs.

The question was: Why do the eggs swim now?

First we looked at our drawings of the egg’s interior again.

On the question: which part of the egg could be important for swimming? the children came to the air chamber, because they remembered the earlier comparison with swimming wings.

The next step was the question: But in the beginning, when the eggs were still fresh, they already had an air chamber and still could not swim. What happened to the eggs that they can now after all?

After the humorous remark of a five-year-old girl: „Maybe somebody blew them up“, the children, after thinking hard, came up with the idea that the air chamber might really have gotten bigger and the rest of the egg smaller.

The next helpful question was: Can anything get in and out of the egg, even if the shell is intact? Here the children remembered the fine holes in the egg shell and said yes.

The final question was: What went in and what came out?

The children said that air had probably come in and that the air bubble had become larger. Something must have come out, but what?

A brief analogy was necessary: What happens when washing is dried on a line? Answer: The water comes out. Question: Where does it go? Answer: Somehow into the air. Question: Can this also happen with an egg? Is there any water in the egg? Answer: „Yes, I think so; it feels all wet. especially the egg white.“

The children had used their little grey cells to solve a mysterious case and were visibly satisfied that they had made it.

 

Date of publication in German: May 2011
Copyright © Hanna Vock 2011, see Imprint.

Talent zum Forschen

von Antonia Herberg und Hanna Vock

 

Kinder erforschen ihre Umwelt, indem sie vieles ausprobieren, beobachten, Änderungen vornehmen, wieder beobachten und schlussfolgern. So geschieht Lernen.

Und je besser und passender dafür die Bedingungen sind, die das Kind vorfindet und die ihm durch verständige Erwachsene geschaffen werden, desto weiter wird es damit kommen. Darin liegt eine große Verantwortung von Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen.

Siehe auch:

Woher kommen die außergewöhnlichen Fähigkeiten – Hochbegabung oder supergute Förderung?

und

Wie lernen hoch begabte Kinder?

Ein Forscher braucht allerdings einige Eigenschaften in einem Maße, das nicht jedem Menschen gegeben ist.

Manuel (5;3) zeigt diese Eigenschaften – und wer weiß, vielleicht hat er später tatsächlich Lust und die Möglichkeit, sie für einen Forscherberuf zu nutzen? Vielleicht wird er aber auch ganz andere Wege einschlagen, aber es ist doch interessant zu sehen, wie er als Fünfjähriger agiert.
Im Folgenden einige Beobachtungen aus seinem Kindergartenalltag, dargestellt von seiner Erzieherin. Die Notizen sind eine Auskopplung aus dem Beitrag Vom Clown zum Könner, in dem es hauptsächlich darum geht, dass Manuel selbstbewusster wird und besseren Kontakt zu den anderen Kindern der Gruppe entwickelt.

***

Spiel mit Kerzen

In den letzten Tagen hat sich Manuel (5;3) während des Freispiels wiederholt das (Montessori-) Angebot >Kerze anzünden< geholt. Seine Aufmerksamkeit galt dabei deutlich dem Moment, in dem er die Kerze mit dem Dochtlöscher ausmachte. Er tat dies jedes Mal sehr langsam und ließ die Kerze immer wieder aufflackern.
Um ihm eine neue Mögichkeit zu geben, das Verlöschen der Kerze zu beobachten, stelle ich ihm eine Kerze, Streichhölzer und ein Glas hin.
Als er sich am nächsten Morgen wieder die Kerze holt, frage ich ihn, ob ich ihm etwas anderes mit der Kerze zeigen darf. Manuel schaut mich aufmerksam an und stimmt zu. Ich demonstriere ihm einmal den Ablauf, Manuel lacht und wiederholt es gleich mehrmals. Dabei legt er den Kopf auf die Tischplatte und schaut so der Kerze beim Verlöschen zu.

Ich frage ihn, ob er weiß, warum die Kerze unter dem Glas ausgeht. Er antwortet: „Die kriegt keine Luft mehr.“ Ich biete ihm ein größeres Glas an. Er nimmt es und sagt: „Da hat sie mehr Luft.“ Manuel probiert es aus. Als ich ihm eine zweite Kerze hinstelle, zündet er beide an und stülpt die Gläser gleichzeitig beidhändig darüber und beobachtet gespannt, was geschieht.
Er fragt, ob ich auch noch ein ganz kleines Glas habe. Er baut seine Beobachtung bis auf fünf verschieden große Gläser aus, stellt sie der Reihe nach auf und stülpt mit raschen und koordinierten Bewegungen die Gläser darüber.
Nach mehreren Durchläufen strahlt er mich an und sagt: „Das macht so einen Spaß, ich werde alle Streichhölzer verbrauchen.“

Zum Ende des Freispiels bitte ich Manuel, doch den anderen Kindern im Stuhlkreis zu zeigen, was er gemacht hat, und es ihnen zu erklären. Er überlegt, lächelt und nickt.
Alle sitzen im Kreis, Manuel sitzt neben mir und vor ihm steht das Tablett mit den Kerzen, Gläsern und Streichhölzern. Die Kinder warten. Ich frage Manuel leise, ob er ihnen jetzt sagen kann, was er vorhat. Manuel schüttelt den Kopf, neigt sich zu mir und flüstert: „Du!“ Ich sage einige Sätze zu den Kindern und Manuel beginnt die Kerzen anzuzünden. Bevor er die Gläser darüberstülpt, schaut er ernst in die Runde und sagt : „Das muss jetzt zack-zack gehen.“ Seine Vorführung gelingt. Er erklärt noch, dass Feuer Luft braucht um zu brennen; dass verschieden viel Luft in den Gläsern ist und deswegen die Kerzen nacheinander ausgehen. Die Kinder sind aufmerksam, hören und schauen zu.

Am nächsten Tag wiederholt Manuel das Spiel mit den Kerzen und den Gläsern. Er agiert selbstständig und sehr konzentriert und macht mehrere Durchgänge. Sein Augenmerk liegt offensichtlich darauf, die Gläser in schnellem Tempo über die Kerzen zu stülpen, um Zeitgleichheit beim Start zu erreichen. (Diese Aufgabe hat er sich selber gestellt.)  Manchmal geht dabei eine Kerze aus. Dann sagt Manuel „Mist!“ und beginnt noch einmal von vorne.

Mörser

Manuel bekommt das Angebot, verschiedene Rohstoffe mit einem Mörser zu zermahlen. Er ist konzentriert bei der Sache und arbeitet über zwei Stunden daran. Er schaut immer wieder genau hin, was passiert, was sich im Mörser verändert. Im Stuhlkreis stellt er seine Arbeit souverän und sicher vor.

Das Mörsern interessiert Manuel weiterhin. Jeden Tag wird etwas anderes zerstoßen. Er hat die Ergebnisse wieder im Stuhlkreis vorgestellt und findet Gefährten, die diese Leidenschaft mit ihm teilen.

Margeriten

Auf dem Tisch stehen weiße Margeriten in einer Vase. Ich frage Manuel: „Meinst du, dass die Margeriten das Wasser trinken?“ Er nickt und sagt: „Ja, alle Pflanzen brauchen Wasser.“ Ich frage weiter, ob man sehen kann, dass sie es trinken. Manuel überlegt kurz und sagt: „Ja, mit einer Lupe.“ Ich gebe ihm eine Lupe und er betrachtet aufmerksam die Stängel durch die Lupe. Nach einiger Zeit frage ich ihn, ob er etwas beobachten konnte. Er schüttelt den Kopf und sagt: „Ich sehe nichts.“

Ich weise ihn darauf hin, dass das Wasser in der Vase durchsichtig ist, dass es keine Farbe hat, und schlage ihm vor, es zu färben, dann müssten die Blumen farbiges Wasser trinken. Er schaut mich an und fragt: „Was passiert dann?“ Ich frage zurück: „Was könnte passieren, was meinst du?“ Er berührt eine Blüte und sagt: „Wird die dann bunt?“ Ich fordere ihn auf, es auszuprobieren, und gebe ihm einen Ständer mit Reagenzgläsern sowie rote und schwarze Tinte.

Manuel füllt die Tinte vorsichtig ein und stellt jeweils zwei Margeriten in rote und schwarze Tinte. Dann setzt er sich davor, verschränkt die Arme und guckt die Blumen an. Nach zehn (!) Minuten kommt er zu mir und sagt mit klagendem Ton: „Da passiert nichts.“
Wir stellen den Ständer mit den Blumen auf die Fensterbank und ich lade ihn ein, jetzt etwas anderes zu tun und zwischendurch immer mal nachzuschauen.

Zu Beginn des Stuhlkreises frage ich Manuel, ob er den Kindern erklären will, was er mit den Blumen gemacht hat. Er lacht und sagt: „Ja, das will ich machen.“ Manuel erzählt den Kindern mit viel Mimik und lauter Stimme von seinem Experiment und dass er jetzt wartet, ob etwas passiert ist. Die Kinder hören noch aufmerksamer zu als bei seiner ersten Demonstration. Manuel spricht frei und beachtet mich gar nicht mehr.

Mitten im Stuhlkreis springt er auf und ruft: „Da, es fängt an! Eine Blume wird schon rosa.“ Manuel strahlt und alle Kinder schauen sich die rosa Blume an. Im Hinausgehen sagt er: „Schwarz dauert länger.“

Blumenpresse

Manuel kommt morgens herein und sagt: „Ich muss mal nach meinem Blatt sehen. Ich bin schon sehr gespannt.“ Vor einigen Tagen hat er von seinem Weg in den Kindergarten ein großes Blatt mitgebracht und in die Blumenpresse eingespannt.
Das Blatt ist noch nicht trocken. Er betrachtet und befühlt es und sagt: „Meinst du, es wäre fertig?“ Als ich verneine, sagt er: „Dann muss es wieder rein“ und spannt es erneut ein.

***

Nach oberflächlichem Blick auf die Notizen könnte man meinen: Manuel macht nichts anderes als viele andere Kinder im Kindergarten auch. Unterscheidend ist, wie er es macht.

Bei genauerem Hinsehen fällt auf: Manuel hat bei diesen Beobachtungen über eine kurze Zeit wirklich gute Anlagen zum Forschen gezeigt:

    • Forscherdrang
    • Lust am Erkenntnisgewinn
    • Selbst erdachten, weiterführenden Fragen nachgehen
    • Beständiges, tagesübergreifendes Interesse
    • Beharrlichkeit bei seinen Vorhaben
    • Fähigkeit, den anderen Kindern seine Forscherwege und -ergebnisse mitzuteilen

Hoffentlich findet er weiterhin gute Mentoren, die ihn
darin begleiten, seine Motivation zu erhalten,
ihm gute weiterführende Fragen zu stellen,

und die ihn dabei unterstützen,
bei seinem Tun Erfolge zu sehen und seine Forschermentalität weiter zu entwickeln.

Mehr zu Manuel:
Manuel, 5:0 Jahre

Vom Clown zum Könner

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2020
Copyright © Hanna Vock und Antonia Herberg, siehe Impressum

From Clown to Expert

by Antonia Herberg

 

I want to help Manuel (5;3) to develop a different role in his group of children. Very often he is in the role of the clown and the troublemaker.
My way will be to offer him situations in which he comes across to the other children with his interests and abilities and lets his positive potential come to fruition. I also hope to strengthen him by creating friendships.

Manuel should be given opportunities to pursue his urge to explore and learn. At the same time, I want to show him ways to let his things benefit the group of children, to get involved, to let himself and the other children experience that he is an enrichment.
This includes the offer that he presents his results in the chair circle. There should also be an attempt to involve other children in his activities.

A first observation and assessment of Manuel can be found here: Manuel, 5;0 years.

1.

In the last few days Manuel (5;3) has repeatedly taken the (Montessori) offer >lighting a candle< during free play. His attention was clearly focused on the moment when he put out the candle with the wick extinguisher. He did this very slowly each time and let the candle flare up again and again.
To give him a new opportunity to observe the extinguishing of the candle, I provided a candle, matches and a glass for him.
When he gets the candle again the next morning, I ask him if I may show him something else with the candle. Manuel looks at me attentively and agrees. I demonstrate the procedure to him once, Manuel laughs and repeats it several times. He puts his head on the table top and watches the candle go out.

I ask him if he knows why the candle goes out under the glass. He replies: „There’s no air left.“ I offer him a bigger glass. He takes it and says, „It gives her more air.“ Manuel tries it out. When I offer him a second candle, he lights both of them and puts the glasses over them at the same time with both hands and watches curiously what happens.
He asks if I have a very small glass. He extends his observation to five glasses of different sizes, sets them up in an line and one after the other he puts the glasses over the candles with rapid and coordinated movements.
After several passes he beams at me and says: „This is such fun, I’m going to use up all the matches.“

At the end of the free play I ask Manuel to show the other children in the chair circle what he has done and explain it to them. He thinks, smiles and nods.
Everyone sits in a circle, Manuel sits next to me and in front of him stands the tray with the candles, glasses and matches. The children are waiting. I ask Manuel quietly if he can tell them now what he is going to do. Manuel shakes his head, leans over to me and whispers: „You!“
I say a few sentences to the children and Manuel starts lighting the candles. Before he puts the glasses on, he looks seriously and says: „This has to be done in a hurry.“ His performance succeeds. He explains that fire needs air to burn, that there is different amounts of air in the glasses and that the candles go out one after the other. The children are attentive, listen and watch.
I thank Manuel and hand over the chair circle to a pre-school child. Then I leave the room and the children play under the guidance of the big boy for about 45 minutes. When I return, I see Manuel playing in the circle with a satisfied and happy face.

Remark of the course leader:
He begins to share his insights. And he experiences success: first in his investigations, which lead him to new insights, and then the social success that the children follow him attentively during his presentation. This brings good feelings.

2.

Manuel repeats the game with candles and glasses. He acts independently and very concentrated and makes several passes. His attention is obviously focused on putting the glasses over the candles at a fast pace in order to achieve synchrony at the start. (He has set this task for himself.) Sometimes a candle goes out. Then Manuel says „Shit!“ and starts again from the beginning.

Opposite Manuel sits Ole, who is the same age, working with the electric box. After some time Manuel observes Ole, who does not succeed in his task. Manuel gets up, walks around the table, takes the screwdriver out of Ole’s hand and builds an electric circuit. Then he sits back down on his chair, looks at Ole and says smiling: „That’s how it works.“ They talk about their work. Manuel gets up again after a few minutes, stands next to Ole, then fetches his chair, sits down and watches Ole in silence for a quarter of an hour. Then they both tidy up and have breakfast together. They happily talk about what they like to eat.

Note from the course leader:
Two researchers and inventors have found each other!

3.

Manuel gets the offer to grind different raw materials with a mortar. He is concentrated and works on it for over two hours. He keeps looking closely at what is happening, what is changing in the mortar. In the circle of chairs he presents his work confidently and safely.

Note from the course leader:
Oh! What progress after just one positive result. He has learned how to present. Here, too, ease of learning is evident.

4.

On the table are white daisies in a vase. I ask Manuel, „Do you think daisies drink the water?“ He nods and says, „Yes, all plants need water.“ I go on asking if you can see that they’re drinking it. Manuel ponders for a moment and says, „Yes, with a magnifying glass.“ I give him a magnifier and he looks intently at the stems through the magnifying glass. After a while, I ask him if he has observed anything. He shakes his head and says, „I don’t see anything.“

I point out to him that the water in the vase is transparent, that it has no colour, and suggest that he colour it, then the flowers would have to drink coloured water. He looks at me and asks, „What happens then?“ I ask back, „What do you think might happen?“ He touches a blossom and says, „Will it turn colour?“ I ask him to try it and give him a stand with test tubes and red and black ink.

Manuel carefully fills the ink and puts two daisies in red and black ink. Then he sits in front of them, crosses his arms and looks at the flowers. After ten (!) minutes he comes to me and says with a plaintive tone: „Nothing’s happening.“
We put the stand with the flowers on the windowsill and I invite him to do something else now and to have a look in between.

At the beginning of the circle of chairs I ask Manuel to explain to the children what he did with the flowers. He laughs and says, „Yes, I want to do that.“ Manuel tells the children with a lot of facial expressions and a loud voice about his experiment and that he is now waiting to see if anything has happened. The children listen even more attentively than at his first demonstration. Manuel speaks freely and doesn’t even pay attention to me anymore.

When about half the time in the circle of chairs is already over he jumps up and shouts: „There, it starts! One flower is already turning pink.“ Manuel is beaming and all the children look at the pink flower. When he leaves, he says, „Black takes longer.“

5.

Manuel is still interested in the mortar. Every day, something different is pounded. He presents the results again in the chair circle and finds companions who share this passion with him.

Note from the course leader:
This is where the attention you give Manuel begins to have a distinctly positive effect on the group.

6.

Manuel is back from vacation. He heads for the sandpaper letters and says: „Antonia, do you know I can read a bit now?“
I reply: „No, but you could show me.“ He grins and names all but two of the letters. Then he says, „I want to rub them all in and make a book with them.“ He spends a long time doing it, concentrating.

7.

Manuel is always busy with the letters. He talks about secret writing and I show him mirror writing using my name. He is enthusiastic and tries a lot. Among other things, he glues a printing plate and is happy about the mirror writing when printing. In a circle of chairs he explains the mirror writing to the children.

8.

Today Manuel makes an envelope out of paper, writes something on a small piece of paper and puts it into the envelope. I ask if I may see it. He hesitates and then says resolutely: „No, you can’t. It’s a secret!“ I laugh and say, „What a pity.“ Manuel says, consolingly: „No matter. You couldn’t read it anyway because it’s a secret writing.“ Then he puts it in his drawer and says, „You can’t show it secretly in a circle of chairs either“ and laughs again.

Note from the course leader:
Now he is free to choose what he wants to show you and the other children. Again a learning progress.

9.

Manuel now works more often together with other children, today with Ole. They invent patterns with geometric shapes in graded sizes, rework the shapes with coloured paper and stick their „invention“ on.

10.

Today morning, Manuel comes in and says: „I know what I want to do. I’ve always wanted to work with a web frame.“ We prepare a frame for him. He gets the hang of it quickly, weaves persistently and doesn’t let himself be put off even if he makes a mistake. He then gets help and continues. He carefully chooses the colors by holding them to the piece he’s already woven.

11.

Manuel and Hans have worked together more often in the last few days. Today, in the morning, they walk towards each other determinedly and make an appointment for the building room. Emil asks if he can join in too. Hans and Manuel build a rail network with the Brio Bahn. Emil plays beside it alone with a locomotive and trailers. Manuel and Hans talk to each other and present their plans and actions. Manuel says: „Hey, when are we going to connect the rails, by thunder?“ Hans and Emil laugh and fling the rails across the room. Manuel: „Hey, why do you destroy everything? It doesn’t work that way. I need a long run. When are we going to tie?“
The other two kids keep messing around and laughing. Manuel gets upset and swears and shouts: „Stop! It’s not going to work!“ When the both don’t react, he starts throwing things around.

Note from the course leader:
The desperation of the highly motivated when others torpedo the construction work.

I intervene and ask Hans and Emil to listen to Manuel. They do, and Manuel describes his plan. They are rebuilding. I invite them to put trailers on all the locomotives. Manuel tries, distributes, rearranges again and says: „Oh shit, I wanted one with four trailers. But I can’t do that. Then two engines won’t have any.“
He fiddles around for a while. „I’ve got it! We’ll each get one first.“ He does it like this, looks and comments: „That’s justice.“ They start playing. Manuel comments on his moving train: „Move the longest distance. Oh, station forgotten! Station! Stop the train! Next please! Next, please!“

Note from the course leader:
I’m glad you helped him. He learns: I have an idea, a plan in my head. If I want others to go along with it, I have to introduce and explain it to them.

12.

Manuel comes in the morning and says: „I have to check my leaf. I’m very curious.“ A few days ago he brought a big leaf from his trip to the kindergarten and put it in the flower press.
The leaf is not dry yet. He looks at it and feels it and says, „Do you think it’s ready?“ When I say no, he says: „Then it must go back in“ and clamps it again.

Note from the course leader:
He shows real talent for research, such as constant interest and perseverance in his projects.

13.

Manuel arrives at the kindergarten in a good mood. He goes to his workplace from the day before to print his name with the printing plate he has made. He chooses the colours, mixes a shade of colour and applies the ink evenly with the roller. He prints for the first time, looks at the result, laughs and shouts happily: „Everything’s back to front!“ (Mirror writing.)
He makes several prints, then tidies up his workplace and strolls through the group.

14.

Manuel sits down at the table where the children do folding work and begins to fold. I ask him what he is folding. Manuel: „I just fold. Let’s see what comes out of it.“
Very concentrated he tries it out. The result is a regular folding work, where all folds correspond to each other on the right and left. Hans comes and watches him. Then they both fold „just go ahead“ and show each other their results.
Manuel holds up his and says: „It looks like a plane. I must try it out.“ He likes the test flight and he repeats the folding in a different colour. Then he tidies up and goes for breakfast.

Then he purposefully fetches his weaving frame, holds a ball of wool to the woven piece, mumbles something, puts the wool away and takes red wool. Again he holds it to the woven piece, says „yes, good“ and begins to weave. His movements are relaxed and concentrated. He does not look at what is happening around him.

15.

Again and again Manuel asks to mortar. It almost seems like a ritual of arrival in the morning. Another child always joins in and they enjoy this action together.

16.

Manuel watches as I show a boy of the same age something with brown stairs and red poles (Montessori material). He gives advice on the construction. With the agreement of Konrad he plays along and they try out all kinds of things with a lot of fun. The common play continues throughout the whole morning.

When Manuel arrives and I greet him, I ask: „How does it look like? What do you mortar today?“ Manuel replies: „No, today is the day when I stop using mortars. Today I’m going to the site with Konrad.“ They disappear into the construction corner, and there they’re in good spirits all morning, building a huge railroad.

18.

Manuel plays the role of the wolf in „The Wolf and the Seven Little Kids“. He plays with commitment and the right stakes. When the little goats finally dance, singing, around the fountain into which wolf Manuel has fallen, he jumps up and runs to his seat.

We talk in a circle of chairs about how we enjoyed it. I ask Manuel what suddenly happened to the wolf in the well. Manuel says: „I thought this thing was stupid. I don’t want to be dead.“

19.

Manuel plays with four-year-old Mira. He builds a rhombus with the (Montessori) poles and shows it to the kindergarten teacher. She makes a new suggestion. Manuel says, „No, I want something else.“ He explains with hands and words what form the building should take. The teacher asks, „Like a funnel?“ He beams: „Exactly like a funnel!“
His plan succeeds and he dances enthusiastically with Mira around his work.

Reflection

Manuel has received our support to experiment a lot and to try out new things in the kindergarten as well as to deepen and expand material work.
Our support consisted in

    • to prepare offers for him which we assumed would interest him,
    • to get involved with his guidelines and ideas and to be available to him when he implements them.

Several times he presented his work in a circle of chairs. The group reacted with curiosity and recognition. There were imitators of his work, whom he helped with words and deeds, and also other children presented their things in the circle of chairs.

In the meantime this form of presentation has become part of everyday life and enriches the group life.

Increasingly, play situations developed in which Manuel acted well with children of the same age and also much younger children. His basic mood, which he showed in the kindergarten, changed at an amazingly fast pace. He now comes to the kindergarten full of energy and happy.

He hardly ever takes on the clown role anymore, but acts very humorously, with a lot of wit and joy in situation comedy.

He actively participates in the chair circle offers. As a play partner, he is now in great demand among the children.

Since a few weeks Manuel is also at the kindergarten over lunchtime and can play intensively with other children in the afternoon in the smaller group. We had suggested to the mother to try this step, because it had become clear in conversations with the parents that Manuel (he also has three siblings) was straining the family and himself with many fights at home.

He accepted the afternoon care with enthusiasm. I don’t take this for granted because his younger brother is always picked up before him and has lunch at home.

During this time of targeted demands and attention, Manuel has been able to stabilise his emotional state and his social position in the group through offers and has gained in self-confidence.
Conflicts are handled by him in a relaxed and appropriate manner.
He has a clearly friendly relationship with the teachers, which sometimes has an almost complicit character.

Note from the course leader:
Well, it’s the best thing that can happen to gifted children.

Further considerations

In the last two weeks I have increasingly withdrawn, a colleague (who already has the IHVO certificate – see also: Journalism in Kindergarten) has taken over his company in a very competent way over the weeks. I took this step because of the necessity of everyday life (devotion to other children) and also because I felt that now was the right time to let Manuel go his own way more often. In this way I want to avoid that he only experiences himself as good when he acts close to the adult. It is important to me not to let my attention for him diminish – but to find the right balance in the attention so that Manuel continues to experience and behave as a member of this group of children and his independence grows.

I am confident that we will succeed in this as a team of kindergarten teachers and that Manuel will be able to take further positive steps in his development with his new starting capital of competence.

What impressed me very much about this project was the extent of the profit for the other children. Some children, imitating at first, but then according to their own needs, demanded new forms of play for themselves and also made use of them again for the group.

During this time, we adults were able to discover many new things for our work with the children in general and also specifically with Manuel. The next step for me will be to see exactly when Manuel needs new input and where he can go on alone. Manuel is so enthusiastic about every suggestion that as an adult you might be in danger of slipping into the role of an animator. I would like to observe and reflect on this with myself.

Remark of the course leader:
I don’t see the danger that you could become an animator (i.e. just entertaining and „joking“ him. Manuel implements every suggestion very independently and also has his own ideas… The more of them he can successfully implement (with support, also by further questions; where it makes sense), the more good ideas he will produce himself.

Very often Manuel comes to the kindergarten in the morning and has his own plan in his head and knows what he would like to do. I want to provide him with the necessary means to do so and thus support him in following his own development plan, his own learning paths in and with the group.

(All children’s names have been changed.)

 

Date of publication in German: April 2020
Copyright © Antonia Herberg, see Impressum.

 

 

Vom Clown zum Könner

von Antonia Herberg

 

Ich möchte Manuel (5;3) dabei helfen, sich eine andere Rolle in seiner Kindergruppe zu erarbeiten. Sehr oft ist er in der Rolle des Clowns und des Störers.
Mein Weg ist, ihm Situationen anzubieten, in denen er bei den anderen Kindern mit seinen Interessen und Fähigkeiten ankommt und seine positiven Potentiale zum Tragen kommen lässt. Auch hoffe ich ihn durch das Entstehen von Freundschaften zu stärken.

Manuel soll Möglichkeiten erhalten, seinem Forscherdrang und seiner Lernlust nachzugehen. Parallel dazu möchte ich ihm Wege zeigen, seine Dinge der Kindergruppe zugute kommen zu lassen, sich einzubringen, sich selbst und die anderen Kinder erleben zu lassen, dass er eine Bereicherung ist.
Dazu gehört das Angebot, dass er seine Ergebnisse im Stuhlkreis präsentiert. Es soll auch den Versuch geben, andere Kinder in sein Tun einzubeziehen.

Eine erste Beobachtung und Einschätzung von Manuel findet sich hier: Manuel, 5;0 Jahre.

1.

In den letzten Tagen hat sich Manuel (5;3) während des Freispiels wiederholt das (Montessori-) Angebot >Kerze anzünden< geholt. Seine Aufmerksamkeit galt dabei deutlich dem Moment, in dem er die Kerze mit dem Dochtlöscher ausmachte. Er tat dies jedes Mal sehr langsam und ließ die Kerze immer wieder aufflackern.
Um ihm eine neue Mögichkeit zu geben, das Verlöschen der Kerze zu beobachten, stelle ich ihm eine Kerze, Streichhölzer und ein Glas hin.
Als er sich am nächsten Morgen wieder die Kerze holt, frage ich ihn, ob ich ihm etwas anderes mit der Kerze zeigen darf. Manuel schaut mich aufmerksam an und stimmt zu. Ich demonstriere ihm einmal den Ablauf, Manuel lacht und wiederholt es gleich mehrmals. Dabei legt er den Kopf auf die Tischplatte und schaut so der Kerze beim Verlöschen zu.

Ich frage ihn, ob er weiß, warum die Kerze unter dem Glas ausgeht. Er antwortet: „Die kriegt keine Luft mehr.“ Ich biete ihm ein größeres Glas an. Er nimmt es und sagt: „Da hat sie mehr Luft.“ Manuel probiert es aus. Als ich ihm eine zweite Kerze hinstelle, zündet er beide an und stülpt die Gläser gleichzeitig beidhändig darüber und beobachtet gespannt, was geschieht.
Er fragt, ob ich auch noch ein ganz kleines Glas habe. Er baut seine Beobachtung bis auf fünf verschieden große Gläser aus, stellt sie der Reihe nach auf und stülpt mit raschen und koordinierten Bewegungen die Gläser darüber.
Nach mehreren Durchläufen strahlt er mich an und sagt: „Das macht so einen Spaß, ich werde alle Streichhölzer verbrauchen.“

Zum Ende des Freispiels bitte ich Manuel, doch den anderen Kindern im Stuhlkreis zu zeigen, was er gemacht hat, und es ihnen zu erklären. Er überlegt, lächelt und nickt.
Alle sitzen im Kreis, Manuel sitzt nben mir und vor ihm steht das Tablett mit den Kerzen, Gläsern und Streichhölzern. Die Kinder warten. Ich frage Manuel leise, ob er ihnen jetzt sagen kann, was er vorhat. Manuel schüttelt den Kopf, neigt sich zu mir und flüstert: „Du!“ Ich sage einige Sätze zu den Kindern und Manuel beginnt die Kerzen anzuzünden. Bevor er die Gläser darüberstülpt, schaut er ernst in die Runde und sagt : „Das muss jetzt zack-zack gehen.“ Seine Vorführung gelingt. Er erklärt noch, dass Feuer Luft braucht um zu brennen; dass verschieden viel Luft in den Gläsern ist und deswegen die Kerzen nacheinander ausgehen. Die Kinder sind aufmerksam, hören und schauen zu.
Ich bedanke mich bei Manuel und übergebe den Stuhlkreis an ein Vorschulkind. Dann verlasse ich den Raum und die Kinder spielen unter Anleitung des großen Jungen etwa 45 Minuten. Als ich wieder dazukomme, sehe ich Manuel mit zufriedenem und fröhlichem Gesicht in der Runde mitspielen.

Anmerkung der Kursleitung:
Er beginnt seine Erkenntnisse mitzuteilen. Und er erlebt Erfolg: zuerst bei seinen Untersuchungen, die ihn zu neuen Erkenntnissen führen, und dann den sozialen Erfolg, dass ihm die Kinder bei seiner Präsentation aufmerksam folgen. Das bringt gute Gefühle.

2.

Manuel wiederholt das Spiel mit den Kerzen und den Gläsern. Er agiert selbstständig und sehr konzentriert und macht mehrere Durchgänge. Sein Augenmerk liegt offensichtlich darauf, die Gläser in schnellem Tempo über die Kerzen zu stülpen, um Zeitgleichheit beim Start zu erreichen. (Diese Aufgabe hat er sich selber gestellt.)  Manchmal geht dabei eine Kerze aus. Dann sagt Manuel „Mist!“ und beginnt noch einmal von vorne.

Manuel gegenüber sitzt der gleichaltrige Ole und arbeitet mit dem Elektrokasten. Nach einiger Zeit beobachtet Manuel Ole, dem sein Vorhaben nicht richtig gelingt. Manuel steht auf, geht um den Tisch herum, nimmt Ole den Schraubenzieher aus der Hand und baut einen Stromkreis. Dann setzt er sich wieder auf seinen Stuhl, schaut Ole an und sagt lächelnd: „So geht das.“ Sie unterhalten sich über ihre Arbeiten. Manuel steht nach einigen Minuten wieder auf, stellt sich neben Ole, holt dann seinen Stuhl, setzt sich und schaut Ole eine Viertelstunde lang schweigend zu. Dann räumen beide auf und gehen zusammen frühstücken. Sie unterhalten sich fröhlich darüber, was sie gerne essen.

Anmerkung der Kursleitung:
Da haben sich zwei Forscher und Tüftler gefunden!

3.

Manuel bekommt das Angebot, verschiedene Rohstoffe mit einem Mörser zu zermahlen. Er ist konzentriert bei der Sache und arbeitet über zwei Stunden daran. Er schaut immer wieder genau hin, was passiert, was sich im Mörser verändert. Im Stuhlkreis stellt er seine Arbeit souverän und sicher vor.

Anmerkung der Kursleitung:
Oh! Was für ein Fortschritt durch ein positives Ergebnis. Er hat das Präsentieren gelernt. Auch da zeigt sich Lernleichtigkeit.

4.

Auf dem Tisch stehen weiße Margeriten in einer Vase. Ich frage Manuel: „Meinst du, dass die Margeriten das Wasser trinken?“ Er nickt und sagt: „Ja, alle Pflanzen brauchen Wasser.“ Ich frage weiter, ob man sehen kann, dass sie es trinken. Manuel überlegt kurz und sagt: „Ja, mit einer Lupe.“ Ich gebe ihm eine Lupe und er betrachtet aufmerksam die Stängel durch die Lupe. Nach einiger Zeit frage ich ihn, ob er etwas beobachten konnte. Er schüttelt den Kopf und sagt: „Ich sehe nichts.“

Ich weise ihn darauf hin, dass das Wasser in der Vase durchsichtig ist, dass es keine Farbe hat, und schlage ihm vor, es zu färben, dann müssten die Blumen farbiges Wasser trinken. Er schaut mich an und fragt: „Was passiert dann?“ Ich frage zurück: „Was könnte passieren, was meinst du?“ Er berührt eine Blüte und sagt: „Wird die dann bunt?“ Ich fordere ihn auf, es auszuprobieren, und gebe ihm einen Ständer mit Reagenzgläsern sowie rote und schwarze Tinte.

Manuel füllt die Tinte vorsichtig ein und stellt jeweils zwei Margeriten in rote und schwarze Tinte. Dann setzt er sich davor, verschränkt die Arme und guckt die Blumen an. Nach zehn (!) Minuten kommt er zu mir und sagt mit klagendem Ton: „Da passiert nichts.“
Wir stellen den Ständer mit den Blumen auf die Fensterbank und ich lade ihn ein, jetzt etwas anderes zu tun und zwischendurch immer mal nachzuschauen.

Zu Beginn des Stuhlkreises frage ich Manuel, ob er den Kindern erklären will, was er mit den Blumen gemacht hat. Er lacht und sagt: „Ja, das will ich machen.“ Manuel erzählt den Kindern mit viel Mimik und lauter Stimme von seinem Experiment und dass er jetzt wartet, ob etwas passiert ist. Die Kinder hören noch aufmerksamer zu als bei seiner ersten Demonstration. Manuel spricht frei und beachtet mich gar nicht mehr.

Mitten im Stuhlkreis springt er auf und ruft: „Da, es fängt an! Eine Blume wird schon rosa.“ Manuel strahlt und alle Kinder schauen sich die rosa Blume an. Im Hinausgehen sagt er: „Schwarz dauert länger.“

5.

Das Mörsern interessiert Manuel weiterhin. Jeden Tag wird etwas anderes zerstoßen. Er hat die Ergebnisse wieder im Stuhlkreis vorgestellt und findet Gefährten, die diese Leidenschaft mit ihm teilen.

Anmerkung der Kursleitung:
Hier beginnt sich die Aufmerksamkeit, die Du Manuel gibst, für die Gruppe deutlich positiv auszuwirken.

6.

Manuel ist aus dem Urlaub zurück. Er steuert auf die Sandpapierbuchstaben zu und sagt: „Antonia, weißt du, dass ich jetzt ein wenig lesen kann?“
Ich antworte: „Nein, aber du könntest es mir zeigen.“ Er grinst und benennt bis auf zwei alle Buchstaben. Dann sagt er: „Ich will jetzt alle durchreiben und ein Buch damit machen.“ Er ist lange und konzentriert damit beschäftigt.

7.

Manuel beschäftigt sich immer wieder mit den Buchstaben. Er spricht von Geheimschrift und ich zeige ihm Spiegelschrift anhand meines Namens. Er ist begeistert und probiert viel aus. Unter anderem klebt er eine Druckplatte und freut sich über die verkehrte Schrift beim Drucken. Im Stuhlkreis erklärt er den Kindern die Spiegelschrift.

8.

Heute bastelt Manuel sich einen Umschlag aus Papier, schreibt etwas auf einen kleinen Zettel und steckt ihn in den Umschlag. Ich frage, ob ich es mal sehen darf. Er zögert und sagt dann entschlossen: „Nein, geht nicht. Ist ja geheim!“ Ich lache und sage: „Wie schade für mich.“ Manuel sagt tröstend: „Macht nix. Du könntest es eh nicht lesen, weil es Geheimschrift ist.“ Dann bringt er es in seine Schublade und sagt im Weggehen: „Geheim kann man auch nicht im Stuhlkreis zeigen“ und lacht wieder.

Anmerkung der Kursleitung:
Jetzt kann er schon frei entscheiden, was er Dir und den anderen Kindern präsentieren will und was nicht. Wieder ein Lernfortschritt.

9.

Manuel arbeitet jetzt öfter mit anderen Kindern, heute mit Ole zusammen. Mit geometrischen Formen in Größenabstufung erfinden sie Muster, arbeiten die Formen mit buntem Papier nach und kleben ihre „Erfindung“ auf.

10.

Manuel kommt morgens rein und sagt: „Ich weiß, was ich machen will. Ich wollte schon immer mal am liebsten auf der Welt einen Webrahmen machen.“ Wir spannen einen Webrahmen für ihn. Er hat es schnell raus, webt ausdauernd und lässt sich auch bei Fehlern nicht beirren. Er holt sich dann Hilfe und macht weiter. Er wählt die Farben sorgfältig aus, indem er sie an das schon gewebte Stück hält.

11.

Manuel und Hans haben in den letzten Tagen öfter zusammen gearbeitet. Heute gehen sie morgens zielstrebig aufeinander zu und verabreden sich für den Bauraum. Emil fragt, ob er auch mitmachen kann. Hans und Manuel bauen ein Schienennetz mit der Brio Bahn. Emil spielt daneben alleine mit einer Lok und Anhängern. Manuel und Hans reden miteinander und stellen einander ihre Pläne und Aktionen vor. Manuel sagt: „Ey, wann verbinden wir die Schienen endlich, zum Donnerwetter?“ Hans und Emil lachen und schleudern die Bahngleise durch den Raum. Manuel: „Hey, warum macht ihr alles kaputt? So geht das nicht. Ich brauche eine lange Bahn. Wann binden wir endlich?“ Die beiden anderen Kinder werfen weiter alles durcheinander und lachen. Manuel regt sich auf und schimpft und ruft: „Stopp! Das wird nix!“ Als die zwei nicht reagieren, beginnt er heftig alles Gebaute umzuschlagen.

Anmerkung der Kursleitung:
Die Verzweiflung des Hochmotivierten, wenn Andere die Aufbauarbeit torpedieren.

Ich habe eingegriffen und Hans und Emil aufgefordert, Manuel zuzuhören. Das tun sie, und Manuel schildert sein Vorhaben. Sie bauen neu auf. Ich lade sie ein, die Loks alle mit Anhängern zu versehen. Manuel probiert, verteilt, ordnet wieder um und sagt: „Oh Mist, ich wollte eine mit vier Anhängern. Aber das geht nicht. Dann habn zwei Loks gar keinen.“
Er hantiert eine Weile. „Ich hab´s! Jede bekommt erstmal einen.“ Er macht es so, schaut und kommentiert: „So ist es gerecht.“ Sie beginnen zu spielen. Manuel kommentiert seinen fahrenden Zug: „Längste Strecke fahren. Oh, Station vergessen! Bahnhof! Anhalten! Der Nächste bitte! Der Nächste bitte!“

Anmerkung der Kursleitung:
Gut, dass Du ihm geholfen hast. Er lernt: Ich habe eine Idee, ein Vorhaben im Kopf. Wenn ich möchte, dass Andere mitziehen, muss ich sie ihnen vorstellen und erklären.

12.

Manuel kommt morgens herein und sagt: „Ich muss mal nach meinem Blatt sehen. Ich bin schon sehr gespannt.“ Vor einigen Tagen hat er von seinem Weg in den Kindergarten ein großes Blatt mitgebracht und in die Blumenpresse eingespannt.
Das Blatt ist noch nicht trocken. Er betrachtet und befühlt es und sagt: „Meinst du, es wäre fertig?“ Als ich verneine, sagt er: „Dann muss es wieder rein“ und spannt es erneut ein.

Anmerkung der Kursleitung:
Er zeigt wirklich gute Anlagen zum Forschen, zum Beispiel beständiges Interesse und Beharrlichkeit bei seinen Vorhaben.

13.

Manuel kommt gut gelaunt im Kinderhaus an. Er geht zu seinem Arbeitsplatz vom Vortag, um mit der angefertigten Druckplatte seinen Namen zu drucken. Er wählt die Farben, rührt sich einen Farbton an und trägt die Farbe mit der Walze gleichmäßig auf. Er druckt zum ersten Mal, schaut das Ergebnis an, lacht und ruft erfreut: „Alles verkehrt!“ (Spiegelschrift.)
Er fertigt mehrere Drucke an, räumt dann seinen Arbeitsplatz auf und schlendert durch die Gruppe.

14.

Manuel setzt sich an den Falt-Tisch und beginnt zu falten. Ich frage ihn, was er faltet. Manuel: „Ich falte einfach mal. Mal sehen, was dabei heraus kommt.“
Sehr konzentriert probiert er aus. Es entsteht ein regelmäßiges Faltwerk, bei dem alle Faltungen sich rechts und links entsprechen. Hans kommt und schaut ihm zu. Dann falten sie beide „einfach drauflos“ und zeigen sich gegenseitig ihre Ergebnisse.
Manuel hält seins hoch und sagt: „Sieht aus wie ein Flieger. Ich muss es ausprobieren.“  Der Probeflug gefällt ihm und er wiederholt den Faltvorgang in einer anderen Farbe. Dann räumt er auf und geht frühstücken.

Danach holt er zielstrebig seinen Webrahmen, hält ein Wollknäuel an das gewebte Stück, murmelt etwas, legt die Wolle weg und nimmt rote Wolle. Wieder hält er sie an das Gewebte, sagt „ja, gut“ und beginnt damit zu weben. Seine Bewegungen sind entspannt und konzentriert. Er schaut nicht, was um ihn herum geschieht.

15.

Immer wieder verlangt Manuel danach zu mörsern. Es erscheint fast wie ein Ritual des Ankommens. Immer stößt dann auch ein anderes Kind dazu und sie erfreuen sich gemeinsam an dieser Aktion.

16.

Manuel schaut zu, wie ich einem gleichaltrigen Jungen etwas mit brauner Treppe und roten Stangen (Montessori-Material) zeige. Er gibt Ratschläge zur Konstruktion. Mit dem Einverständnis von Konrad spielt er mit und sie probieren mit viel Spaß allerlei aus. Das gemeinsame Spiel zieht sich über den gesamten Vormittag.

Als Manuel ankommt und ich ihn begrüße, frage ich: „Wie sieht es aus? Was mörserst du heute?“ Manuel antwortet: „Nee, heute ist mal Schluss mit mörsern. Heute will ich mit Konrad in den Bauraum.“ Sie verschwinden im Bauraum und sind dort über den ganzen Vormittag guter Dinge, bauen eine große Eisenbahnanlage auf.

18.

Manuel übernimmt beim Rollenspiel im Stuhlkreis die Rolle des Wolfes in „Der Wolf und die sieben Geißlein“. Er spielt engagiert und mit den richtigen Einsätzen. Als die Geißlein zum Schluss singend um den Brunnen tanzen, in den Wolf Manuel gefallen ist, springt er auf und rennt zu seinem Platz.

Wir unterhalten uns im Stuhlkreis darüber, wie es uns gefallen hat. Ich frage Manuel, was mit dem Wolf im Brunnen plötzlich los war. Manuel sagt: „Ich fand diese Sache doof. Ich will nicht tot sein.“

19.

Manuel spielt mit der vierjährigen Mira. Er baut mit den (Montessori-) Stangen einen Rhombus und zeigt ihn der Erzieherin. Sie macht einen neuen Vorschlag. Manuel sagt: „Nein, ich will etwas anderes.“ Er erklärt mit Händen und Worten, welche Form das Gebaute haben soll. Die Erzieherin fragt: „Wie ein Trichter?“ Er strahlt: „Genau, wie ein Trichter!“
Sein Plan gelingt und er tanzt mit Mira begeistert um sein Werk herum.

Reflektion

Manuel hat unsere Unterstützung dabei bekommen, viel zu experimentieren und sowohl neue Dinge im Kinderhaus auszuprobieren, als auch Materialarbeit zu vertiefen und auszubauen.
Unsere Unterstützung bestand darin

    • für ihn Angebote vorzubereiten, von denen wir annahmen, dass sie ihn interessieren,
    • auf seine Vorgaben und Ideen einzusteigen und ihm zur Verfügung zu stehen, wenn er sie umsetzte.

Mehrfach präsentierte er seine Arbeit dann im Stuhlkreis. Die Gruppe reagierte darauf mit Neugier und Anerkennung. Es fanden sich Nachahmer seiner Tätigkeit, denen er dann mit Rat und Tat zur Seite stand, und auch andere Kinder präsentierten dann ihre Dinge im Stuhlkreis.

Inzwischen gehört diese Form der Darstellung zum alltäglichen Vorkommen und bereichert das Gruppenleben.

Zunehmend entwickelten sich Spielsituationen, in denen Manuel gut mit gleichaltrigen und auch deutlich jüngeren Kindern agierte. Seine Grundstimmung, die er im Kinderhaus zeigte, veränderte sich in einem erstaunlich schnellen Tempo. Er kommt nun voll Tatendrang und fröhlich in den Kindergarten.

Die Clownsrolle übernimmt er so gut wie nie mehr, sondern agiert sehr humorvoll, mit viel Witz und Freude an Situationskomik.

Er beteiligt sich aktiv an den Stuhlkreisangeboten. Als Spielpartner ist er inzwischen bei den Kindern gefragt.

Seit einigen Wochen ist Manuel auch über Mittag im Kinderhaus und kann in der kleineren Gruppe am Nachmittag noch einmal intensiv mit anderen Kindern zusammen spielen. Wir hatten der Mutter nahe gelegt, diesen Schritt auszuprobieren, weil in Elterngesprächen deutlich geworden war, dass Manuel zu Hause (er hat auch noch drei Geschwister) mit vielen Kämpfen die Familie und sich selber strapazierte.

Er hat die Übermittagsbetreuung mit Begeisterung aufgenommen. Das finde ich deswegen nicht selbstverständlich, weil sein jüngerer Bruder immer vor ihm abgeholt wird und zu Hause zu Mittag isst.

Manuel hat in dieser Zeit der gezielten Anforderungen und Zuwendung durch Angebote seine emotionale Befindlichkeit und seine soziale Stellung in der Gruppe stabilisieren können und an selbstbewusstem Auftreten gewonnen.
Konflikte werden von ihm entspannt und angemessen ausgetragen.
Zu den Erzieherinnen hat er ein deutlich freundschaftliches Verhältnis, das manchmal fast komplizenhaften Charakter hat

Anmerkung der Kursleitung:
Nun ja, das ist das Beste, was besonders begabten Kindern passieren kann.

Weitere Überlegungen

In den letzten zwei Wochen habe ich mich zunehmend zurück gezogen, eine Kollegin (die das IHVO-Zertifikat bereits hat – siehe auch: Journalismus im Kindergarten) hat im Laufe der Wochen auf sehr kompetente Weise seine Begleitung übernommen. Zu diesem Schritt hat mich die Notwendigkeit des Alltags (Zuwendung zu anderen Kindern) bewogen, zum anderen auch der Eindruck, es sei nun der richtige Zeitpunkt gekommen, Manuel häufiger seinen eigenen Weg weiter gehen zu lassen. Dadurch will ich vermeiden, dass er sich nur dann als gut erlebt, wenn er dicht am Erwachsenen agiert. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, in meiner Aufmerksamkeit für ihn nicht nachzulassen – aber in der gelebten Zuwendung die richtige Balance zu finden, damit Manuel sich weiter als Mitglied dieser Kindergruppe erlebt und verhält und seine Unabhängigkeit wächst.

Ich bin zuversichtlich, dass uns das als Erzieherinnen-Team gelingen wird und dass Manuel mit seinem neuen Startkapital an Kompetenz weitere positive Entwicklungsschritte machen kann.

Sehr beeindruckt hat mich bei diesem Projekt das Ausmaß des Profits für die anderen Kinder. Einige Kinder haben zunächst nachahmend, aber dann doch ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend, neue Spielformen für sich eingefordert und auch wieder der Gruppe zunutze gemacht.

Wir Erwachsenen haben während dieser Zeit viel Neues für unsere Arbeit mit den Kindern im allgemeinen und auch konkret mit Manuel entdecken können. Der nächste Schritt für mich wird sein, genau hinzuschauen, wann Manuel neues Input braucht und wo er alleine weiter kommt. Manuel steigt so begeistert auf alle Anregung ein, dass man sich als Erwachsener vielleicht in die Gefahr begibt, in die Rolle des Animateurs zu rutschen. Das möchte ich bei mir selbst beobachten und reflektieren.

Anmerkung der Kursleitung:
Die Gefahr, dass Du zur Animateurin werden könntest (also ihn nur zu unterhalten und zu „bespaßen“) sehe ich bei Dir nicht. Manuel setzt ja jede Anregung sehr selbstständig um und hat auch eigene Ideen… Je mehr er davon (mit Unterstützung, auch durch weiter führende Fragen; wo es sinnvoll ist) erfolgreich umsetzen kann, desto mehr gute Ideen wird er produzieren.

Sehr oft kommt Manuel morgens in das Kinderhaus und hat einen eigenen Plan im Kopf und weiß, was er gerne tun möchte. Ich will ihm die dazu nötigen Mittel zur Verfügung stellen und ihn so unterstützen, seinen eigenen Entwicklungsplan, seine eigenen Lernwege in und mit der Gruppe zu verfolgen.

 

Alle Kindernamen wurden verändert.

Datum der Veröffentlichung: April 2020
Copyright © Antonia Herberg, siehe Impressum.

 

 

 

Manuel, 5;0 Years

by Antonia Herberg

 

In our Montessori kindergarten, observations are written down and later entered into the child’s file. For my first IHVO homework I would like to look at the collected notes using the observation chart by Huser, according to points A and B (see below). It is therefore necessary to select the notes that can say something about these points.

My goal is to get a clearer perception of how Manuel behaves in different situations, which conditions are conducive to his development and whether my assumption is correct that he has a great talent potential.

A short description of the child

Manuel is now 5;0 years old and has been with us for one and a half years. His parents both have highly qualified professions, Manuel has two older and one younger sibling.

From the beginning Manuel appears as a child for whom the encounter with things is more important than the relationship with the adults and the other children. He makes an extremely serious impression, speaks very purposefully and emphatically. For a long time he used language with us only when he wanted to have something. From his side, communication was mainly limited to „yes“ and „no“. Now he also tells us about his experiences, feelings and likes to exchange ideas with us kindergarten teachers.

At first he had an exclusive relationship with a boy of the same age, who was cognitively inferior to him by far. His games with him became mostly within a short period of time exuberant jokes in which Manuel took on the role of clown.
Now he seeks contact with the pre-school children. One girl seems to be particularly important to him. He speaks much and lovingly with admiration of her, they also meet „privately“.
Furthermore, after a few days I noticed that he is able to devote himself completely to one activity and to carry it out in a concentrated way over long periods of time. If the situation is boring for him, he takes on the role of a clown and cannot stop this without help, even if the kindergarten teachers ask him to.
If he is then confronted with a challenging task, he is immediately back in the mental collection position. His facial expression becomes friendly and he acts turned towards the adult who gave him the task.

Remark of the course leader:
Here a close connection between challenge and mood becomes apparent.

The mother has reported in parent-teacher talks that Manuel behaves quite differently than his siblings. She finds him very difficult, has many conflicts with him and often knows no other way to help him than to isolate him from the family. In this situation Manuel loses his temper completely, rages and smashes things.

Arranging the written observations

A1 – General developmental advantage / interest in numbers and letters

Manuel (5;0) would like to calculate. He solves plus tasks exceeding ten with the help of the pearl steps (Montessori material). He carefully writes down the solved tasks in a booklet.

Two days later he wants to continue working in his arithmetic booklet. He does it on his own, for 1.5 hours and then shows me his work: „Look, I’ve done that much.“ He doesn’t look at the other children at all while doing his calculations.

A2 – Quick comprehension and curiosity

Manuel (4;8) got an introduction to numbers and chips. I showed him that there are even and odd numbers. Numbers that can be halved (divided by 2) and the odd numbers where it is not so easy.
He tries all the numbers from 1 to 10 and then says, „zero cannot be divided either.“
Then I ask him to rub through the even numbers using paper, wax crayons and sandpaper. He does this independently and carefully. He decides to make a book out of it. He says to me: „I also want the numbers that can’t be divided.“ I nod and he makes two books. He’s obviously doing well.

Manuel (4;9) is playing with the electric box every day at the moment and is very skilled, has a plan and tries to realize it (series connection, circuit connection). He checks if the connections are closed, discovers where cables come loose and fixes them again until it works. Then he leans back and looks at it with a smile.

Manuel (4;11) is busy with the electric box. He discovers that the front part of the screwdriver conducts electricity. Enthusiastically he calls me and shows it to me. I give him a wooden stick and ask him to hold it in place of the screwdriver. Manuel takes the stick and throws it scornfully on the table. With a defensive voice, he says, „Wood does not conduct.“ I ask, „How do you know that?“ He replies defensively, „I just know!“

Manuel (4;11) lights the candle and and plays carelessly with it. I take the matches away from him and give him a lighter instead, because I think he is underchallenged with the matches. After a short time he manages to light the candle with the lighter as well.

A 3 – Orientation towards older children and adults

Manuel (5;0) runs in the garden behind the big boys. Like them he calls out loud cheers. Several times he pushes one of the boys from behind. At first the boys ignore this. Then Manuel pushes harder, one falls down. The boy and his friends scold him and tell him to run away. Manuel stands still and listens; as soon as the boys start running, he runs after them again.
This process is repeated over a few days.

Manuel (5;2) has for some time now been looking for Luisa (6 years). She plays with him and he seems radiant and happy.

Remark of the course administration:
Could you observe how this contact came about? What are their common play contents?

A 5 – Long attention and strong self-motivation

Manuel (5;0) was not in the kindergarten for a few days. He comes right in and goes straight to his drawer. He says: „I have started something here. I want to continue it right away.“ (Copy dinosaurs.) He works on it for an hour and a half without paying attention to the surroundings.
The next day he comes in beaming and goes straight to work. He wants to paint more dinosaurs. He works on it for almost 2 hours and only interrupts for a short breakfast. He threads his book together. Because the holes are small and the thread is thick, he has some trouble. And when it’s done, he says to himself, „There you go.“

Manuel (4:6) plays with the NAEF stones. He recreates the shown patterns. He succeeds with all of them. Whenever he has made one, he beamingly invites me to look at his work. He often plays with these stones throughout the day and is very concentrated and persistent.

A 6 – High demands on himself

Manuel (4;11) takes part in the trainee’s knight project. They make a shield and paint it with a motif they have thought up themselves. After a while Manuel comes out of the room and looks very dissatisfied.
I squat down with him and ask him why he comes back. He sobs: „I don’t no longer want to take part.“
He lets me take him in my arms and tells me that he wants to paint a lion on his shield and that he can’t do that. „The B. (trainee) can’t do it either.“
I remind him of the coats of arms he has worked with before. We’ll pick one with a lion on it and copy it. He runs back happily and shouts, „I have a lion now!“ He processes the copy into a knight shield. The product is a success: A shield with a handle. He is the only child of the group who came up with this idea.

A 13 – Innovative use of materials, artistic originality

Manuel (4;7) spends days cutting stamp-sized pieces of paper and carefully painting them. I ask him if he wouldn’t like to have a bigger paper for painting. He rejects it with a narrow „no“. After several days he comes to me with the many painted snippets and says: „Now I want to make a book for my photos.“

A 14 – Sense of humour and puns

Manuel (5;2) says after a long search and with a happy face: „Now I know what I’m doing, he gets the Europe puzzle, puts it on the carpet. He looks at me and says: „I want to do the tracing outlines.“ Using the puzzle pieces as templates.
I help him get started and he sketches out piece by piece. He says: „Jetzt kommen die Dänen mit den Zähnen.“ (Now come the Danish with their teeth) – „Here come the Swedes with noise and racket“, etc. He looks for a saying for each country he draws and then laughs happily. When it gets tricky because the countries are so small, I say, „A tricky thing.“ He replies: „Yes, it’s exhausting, but it’s fun. I want more of that.“

When he finished the map of Europe, he worked in the same way on the continental map.

Manuel (5;1) has been working on a crocodile for two days. He seems satisfied and proud. He sticks a leg on the crocodile, lifts it up, looks at it and sings: „Krokodil hat nur ein Bein und ist irgendwie ein Schwein.“ (Crocodile has only one leg and is somehow a pig.)
Two older children next to him demand in a rebuking voice that he should stop immediately. Manuel looks at them with astonished face and sings his rhyme again. He looks at the one child. The girl turns to me and says, „Manuel is singing bad words.“ I say, „Is that bad?“ Manuel with a raised voice: „This is not evil, this is funny. That’s right, funny!“ He sings it again and looks at me laughing. Then he tinkers on.

B 1 – Not concentrated in hard work

Manuel (5;2) paints the map of Europe, which he has sketched with great perseverance and care in the days before (see above). At first he transfers the original colours very precisely, later he takes any colour and finally he paints over the edge with bouncing movements.
He starts talking and fooling around with the children near him, spreading the paint on the paper without paying attention to the contours.

B 3 – Aggressive, demanding or clownish behaviour

After Manuel (5;0) has disturbed the other children of the group for a few days by fooling around, making a lot of noise and breaking the rules, I intercept him in the morning. I want to give him a task. He reacts defensively, shakes his head and makes a pouty face. I take him by the hand wordlessly, choose a game, spread it out on the carpet and formulate the task.
It is a game of association from the linguistic realm (putting nouns together to form new terms). He listens, we arrange two pairs together and then he continues alone.
Manuel is not distracted by anything and manages all the cards. Afterwards he goes on to other things in a balanced and busy way. There is no clash with other children this morning.

Manuel knows exactly what he wants and what he doesn’t want: He has filled out the interest questionnaire and especially the last page clearly and energetically:

(play in a theatre
read
learn another language
draw and paint
care for plants
singing and making music
find out new things on the computer
inventing and telling stories
listen to music and stories
write something
learn to cook and bake
calculate
dancing
gymnastics
tinker
deliberate over questions
solve a riddle)

Reflection

I have partially achieved my goal. It is clear that Manuel has his own idea of what he wants to do. If we can afford to keep an eye on him with his interests, to hook into them and be on hand, he will move on to more advanced activities.

I have become very aware of how strongly his emotional state depends on what he can do and how beneficial it is for him to have an appropriate playing partner.

It would have been good to have more concrete observations available. This failed because I was very busy with other tasks in the kindergarten in the last few weeks (loss of personnel). I would like to continue this form of observation using the observation sheet.

In addition, an irritation in the evaluation of what has been perceived has arisen because Manuel´s father no longer lives with the family. Now it is necessary to take a very special look in order to be able to recognize which behaviors can be traced back to this break in Manuel’s life and which are „merely“ expressions of his „hunger for education“. In this way I want to avoid the mistake of always responding to emotional needs with cognitive challenge. This could possibly have fatal consequences for his development.

More on Manuel:
From Clown to Expert

 

Date of publication in German: April 2020
Translation: Hanna Vock
(Sorry, there is no money for a professional translator. If you discover any gross errors, please let me know. hannavock@ihvo.de)
Copyright © Antonia Herberg, see Imprint.

 

 

Manuel, 5;0 Jahre

von Antonia Herberg

 

In unserem Montessori-Kinderhaus werden Beobachtungen schriftlich notiert und später in die Akte des Kindes eingetragen. Für meine erste IHVO-Hausaufgabe möchte ich die gesammelten Notizen an Hand des Beobachtungsbogens nach Huser betrachten, und zwar nach den Punkten A und B (siehe unten). Es gilt also die Notizen auszuwählen, die etwas zu diesen Punkten aussagen können.

Mein Ziel dabei ist, deutlicher wahrzunehmen, wie Manuel sich in verschiedenen Situationen verhält, welche Bedingungen für seine Entwicklung förderlich sind und ob meine Vermutung zutrifft, dass er ein großes Begabungspotenzial hat.

Eine kurze Kindbeschreibung

Manuel ist jetzt 5;0 Jahre alt und seit anderthalb Jahren bei uns. Seine Eltern haben beide hochqualifizierte Berufe, Manuel hat noch zwei ältere und ein jüngeres Geschwister.

Von Beginn an erscheint Manuel als ein Kind, dem die Begegnung mit den Dingen wichtiger ist als die Beziehung zu den Erwachsenen und den anderen Kindern. Er macht einen ausgesprochen ernsten Eindruck, spricht sehr gezielt und mit Nachdruck. Längere Zeit hat er Sprache bei uns nur dann eingesetzt, wenn er etwas haben wollte. Die Kommunikation beschränkte sich von seiner Seite aus vorwiegend auf „ja“ und „nein“. Jetzt erzählt er uns auch von seinen Erlebnissen, Gefühlen und tauscht sich gerne mit uns Erzieherinnen aus.

Zunächst hatte er eine ausschließliche Beziehung zu einem gleichaltrigen Jungen, der ihm kognitiv mit Abstand unterlegen war. Seine Spiele mit ihm wurden meistens innerhalb kurzer Zeit zu ausgelassenen Albereien, in denen Manuel die Clownsrolle einnahm.
Jetzt sucht er den Kontakt zu den Vorschulkindern. Ein Mädchen ist ihm anscheinend besonders wichtig. Er spricht viel und liebevoll mit Bewunderung von ihr, sie treffen sich auch „privat“.
Desweiteren ist mir nach wenigen Tagen aufgefallen, dass er in der Lage ist, sich ganz einer Tätigkeit hinzugeben und sie konzentriert über lange Zeiträume auszuführen. Wenn die Situation für ihn langweilig ist, nimmt er die Clownsrolle ein und kann dies auch bei nachdrücklicher Bitte der Erzieherinnen nicht ohne Hilfe stoppen.
Konfrontiert man ihn dann mit einer herausfordernden Aufgabenstellung, ist er sofort wieder in der Haltung der Sammlung. Sein Gesichtsausdruck wird freundlich und er agiert zugewendet zu dem Erwachsenen, der ihm die Aufgabe gegeben hat.

Anmerkung der Kursleitung:
Hier wird ein enger Zusammenhang zwischen Herausforderung und Stimmung sichtbar.

Die Mutter hat in Elterngesprächen berichtet, dass Manuel sich ganz anders verhält als seine Geschwister. Sie empfindet ihn als sehr schwierig, hat viele Konflikte mit ihm und weiß sich oft nicht anders zu helfen, als ihn von der Familie zu isolieren. In dieser Situaltion verliert Manuel dann vollkommen die Fassung, tobt und zerschlägt Dinge.

Ordnen der schriftlichen Beobachtungen

A1 – Allgemeiner Entwicklungsvorsprung / Interesse an Zahlen und Buchstaben

Manuel (5;0) möchte rechnen. Er löst mit Hilfe der Perltreppchen zehnerüberschreitende Plus-Aufgaben. Die gelösten Aufgaben trägt er sorgfältig in ein Heft ein.

Zwei Tage später möchte er weiter in seinem Rechenheft arbeiten. Er tut es selbstständig, 1,5 Stunden lang und zeigt mir dann seine Arbeit: „Guck mal, so viel hab ich geschafft.“ Er schaut während der Rechnerei überhaupt nicht nach den anderen Kindern.

A2 – Schnelle Auffassungsgabe und Neugier

Manuel (4;8) hat eine Einführung in Zahlen und Chips bekommen. Ich habe ihm gezeigt, dass es gerade und ungerade Zahlen gibt. Zahlen, die man halbieren (durch 2 teilen) kann und die ungeraden Zahlen, bei denen das nicht so einfach geht.
Er probiert alle Zahlen von 1 bis 10 durch und sagt dann: „Null kann man auch nicht teilen.“
Anschließend fordere ich ihn auf, die geraden Zahlen mittels Papier, Wachsstiften und Sandpapier durchzureiben. Er tut das selbstständig und sorgfältig. Dabei beschließt er, daraus ein Buch zu machen. Zu mir sagt er: „Ich will aber auch die Zahlen, die man nicht teilen kann.“ Ich nicke und er macht zwei Bücher. Es geht ihm sichtlich gut dabei.

Manuel (4;9) spielt zurzeit täglich mit dem Stromkasten und ist dabei geschickt, hat einen Plan und versucht zäh, ihn zu verwirklichen (Reihenschaltung, Kreisschaltung). Er konrolliert, ob die Verbindungen geschlossen sind, entdeckt, wo sich Kabel lösen, und befestigt sie wieder, bis es funktioniert. Dann lehnt er sich zurück und schaut es lächelnd an.

Manuel (4;11) ist mit dem Stromkasten beschäftigt. Er entdeckt, dass der vordere Teil des Schraubenziehers den Strom leitet. Begeistert ruft er mich und zeigt es mir. Ich gebe ihm ein Holzstäbchen und fordere ihn auf, es an die Stelle des Schraubenziehers zu halten. Manuel nimmt das Stäbchen und wirft es verächtlich auf den Tisch. Mit Abwehr in der Stimme sagt er: „Holz leitet nicht.“ Ich frage: „Woher weißt du das?“ Er antwortet abwehrend: „Weiß ich eben!“

Manuel (4;11) zündelt beim Kerze anmachen gewagt herum. Ich nehme ihm die Streichhölzer weg und gebe ihm stattdessen ein Feuerzeug, weil ich denke, er ist unterfordert mit den Streichhölzern. Nach kurzer Zeit gelingt ihm, die Kerze auch mit dem Feuerzeug anzuzünden.

A 3 – Orientierung an älteren Kindern und Erwachsenen

Manuel (5;0) läuft im Garten hinter den großen Jungs her. Er ruft wie sie laute Anfeuerungsrufe. Mehrmals schubst er einen der Jungen von hinten. Zunächst ignorieren die Jungen das. Dann schubst Manuel kräftiger, einer fällt hin. Der Junge und seine Freunde schimpfen und sagen, er soll abhauen. Manuel steht still und hört zu; sobald die Jungen los laufen, läuft er wieder hinterher.
Dieser Ablauf wiederholt sich über ein paar Tage.

Manuel (5;2) sucht seit einiger Zeit verstärkt die Nähe von Luisa (6 Jahre). Sie spielt mit ihm und er wirkt strahlend und glücklich.

Anmerkung der Kursleitung:
Konntest Du beobachten, wie dieser Kontakt zustande kam? Was sind ihre gemeinsamen Spielinhalte?

A 5 – Lange Aufmerksamkeit und starke Eigenmotivation

Manuel (5;0) war einige Tage nicht da. Er kommt gleich rein und geht gleich zu seiner Schublade. Er sagt: „Ich habe hier noch was angefangen. Das will ich gleich weitermachen.“ (Dinos abpausen.) Er arbeitet 1,5 Stunden daran, ohne die Umgebung zu beachten.
Am nächsten Tag kommt er strahlend herein und geht gleich an die Arbeit. Er möchte noch mehr Dinos malen. Er arbeitet fast 2 Stunden daran und unterbricht nur für eine kurze Frühstückspause. Er fädelt sein Buch zusammen. Weil die Löcher klein sind und der Faden dick ist, hat er einige Mühe. Als es dann klappt, sagt er zu sich selber: „Geht doch!“

Manuel (4:6) spielt mit den NAEF-Steinen. Er baut die abgebildeten Vorlagen nach. Alle gelingen ihm. Immer wenn er eine geschafft hat, fordert er mich strahlend auf, sein Werk anzuschauen. Er spielt über Tag hinweg oft mit diesen Steinen und ist dabei sehr konzentriert und ausdauernd.

A 6  – Hohe Ansprüche an sich selbst

Manuel (4;11) macht beim Ritter-Projekt der Praktikantin mit. Sie basteln ein Schild und bemalen es mit einem selbst ausgedachtes Motiv. Nach einer Weile kommt Manuel aus dem Raum und schaut sehr bedröppelt aus.
Ich hocke mich zu ihm und frage ihn, warum er zurück kommt. Er schluchzt: „Ich kann nicht mehr mitmachen.“
Er lässt sich in den Arm nehmen und erzählt, dass er einen Löwen auf sein Schild malen will und das aber nicht kann. „Die B. (Praktikantin) kann es auch nicht.“
Ich erinnere ihn an die Wappen, mit denen er schon gearbeitet hat. Wir suchen gemeinsam eines mit einem Löwen aus und kopieren es. Er läuft fröhlich zurück und ruft: „Ich habe jetzt einen Löwen!“ Er verarbeitet die Kopie zu einem Ritter-Schild. Das Produkt ist gelungen: Ein Schild mit Haltegriff. Er ist das einzige Kinde der Gruppe, der auf diese Idee gekommen ist.

A 13 – Innovativer Gebrauch von Materialien, künstlerische Originalität

Manuel (4;7) schneidet tagelang briefmarkengroße Papierschnipsel und bemalt sie sorgfältig. Ich frage ihn, ob er nicht ein größeres Papier zum Malen möchte. Er lehnt es mit einem knappen „Nein“ ab. Nach mehreren Tagen kommt er mit den vielen bemalten Schnipseln zu mir und sagt:“Jetzt will ich ein Buch machen für meine Fotos.“

A 14 – Sinn für Humor und Wortspiele

Manuel (5;2) sagt nach längerer Suche und mit frohem Gesicht: „Jetzt weiß ich, was ich mache. Er holt sich das Europa-Puzzle, legt es auf den Teppich. Er sieht mich an und sagt: „Ich will das mit dem Drum-herum-malen machen.“ (Also die Puzzleteile als Zeichen-Schablonen benutzen.)
Ich helfe ihm beim Start und er zeichnet Stück für Stück ab. Dabei sagt er: „Jetzt kommen die Dänen mit den Zähnen“ – „Hier kommen die Schweden mit Krach und Radau“, usw. Er sucht für jedes Land, das er umzeichnet, einen Spruch und lacht dann erfreut. Als es knifflig wird, weil die Länder so klein sind, sage ich: „Eine schwierige Sache.“ Er antwortet: „Ja, ist anstrengend, aber macht Spaß. Davon will ich mehr.“

Als er die Europa-Karte fertig hat, bearbeitet er auf dieselbe Weise die Erdteil-Karte.

Manuel (5;1) bastelt seit zwei Tagen an einem Krokodil. Er wirkt zufrieden und stolz. Er klebt dem Krokodil ein Bein an, hebt es hoch, schaut es an und singt: „Krokodil hat nur ein Bein und ist irgendwie ein Schwein.“ Zwei ältere Kinder neben ihm verlangen mit tadelnder Stimme, er solle sofort aufhören. Manuel sieht sie mit erstauntem Gesicht an und singt wieder seinen Reim. Dabei schaut er das eine Kind an. Das Mädchen wendet sich zu mir und sagt: „Manuel singt böse Wörter.“ Ich frage: „Ist das böse?“ Manuel mit erhobener Stimme: „Das ist nicht böse, das ist lustig. Genau, lustig!“ Er singt es noch einmal und schaut mich dabei lachend an. Dann bastelt er weiter.

B 1 – Unkonzentriert bei Fleißarbeiten

Manuel  (5;2) malt die Europakarte aus, die er in den Tagen zuvor mit sehr viel Ausdauer und Sorgfalt aufgezeichnet hat (siehe oben). Zunächst überträgt er die Originalfarben sehr genau, später nimmt er irgendeine Farbe und schließlich malt er mit fahrigen Bewegungen über den Rand.
Er beginnt mit den Kindern in seiner Nähe zu sprechen und zu albern und verteilt dabei die Farbe auf dem Papier, ohne die Konturen zu beachten.

B 3 – Aggressives, forderndes oder clownhaftes Verhalten

Nachdem Manuel (5;0) einige Tage lang durch Alberei, große Lautstärke und Regelüberschreitungen die anderen Kinder der Gruppe gestört hat, fange ich ihn gleich morgens ab. Ich will ihm eine Aufgabe geben. Er reagiert abwehrend, schüttelt den Kopf und macht ein Schmollgesicht. Ich nehme ihn wortlos an die Hand, wähle ein Spiel, breite es auf dem Teppich aus und formuliere die Aufgabe.
Es handelt sich um ein Zuordnungsspiel aus dem sprachlichen Bereich (Zusammensetzen von Substantiven zu neuen Begriffen). Er hört zu, wir ordnen zwei Paare gemeinsam und dann macht er alleine weiter.
Manuel ist durch nichts abzulenken und schafft alle Karten. Danach geht er ausgeglichen und geschäftig anderen Dingen nach Es gibt an diesem Vormittag keinen Zusammenstoß mit anderen Kindern.

Manuel weiß genau, was er will und was nicht: Den Interessenfragebogen und insbesonders die letzte Seite hat er klar und energisch ausgefüllt:

Reflexion

Mein Ziel habe ich zum Teil erreicht. Es ist deutlich, dass Manuel eine eigene Vorstellung davon hat, was er tun will. Wenn wir es leisten können, ihn mit seinen Interessen im Blick zu haben, da einzuhaken und zur Stelle zu sein, kommt er zu weiterführenden Tätigkeiten.

Sehr bewusst ist mir geworden, wie stark seine emotionale Befindlichkeit davon abhängt, was er tun kann, und wie förderlich es für ihn ist, wenn er dabei einen angemessenen Spielpartner hat.

Es wäre gut gewesen, noch mehr konkrete Beobachtungen zur Verfügung zu haben. Das scheiterte daran, dass ich in den letzten Wochen mit anderen Aufgaben in der Kita sehr belegt war (Personalausfall). Ich möchte diese Form der Beobachtung mit Hilfe des Beobachtungsbogens weiter fortsetzen.

Darüber hinaus hat sich eine Irritation bei der Wertung des Wahrgenommenen dadurch ergeben, dass der Vater nicht mehr bei der Familie wohnt. Jetzt ist es notwendig, ganz besonders hinzuschauen, um erkennen zu können, welche Verhaltensweisen sich auf diesen Einbruch in Manuels Leben zurückführen lassen und welche „lediglich“ Ausdruck seines „Bildungshungers“ sind. Dadurch möchte ich den Fehler vermeiden, auf emotionale Bedürfnisse stets mit kognitiver Herausforderung zu antworten. Das könnte für seine Entwicklung unter Umständen fatale Folgen haben.

Mehr zu Manuel:
Vom Clown zum Könner

 

Datum der Veröffentlichung: April 2020
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