von Antonia Herberg und Hanna Vock

 

Kinder erforschen ihre Umwelt, indem sie vieles ausprobieren, beobachten, Änderungen vornehmen, wieder beobachten und schlussfolgern. So geschieht Lernen.

Und je besser und passender dafür die Bedingungen sind, die das Kind vorfindet und die ihm durch verständige Erwachsene geschaffen werden, desto weiter wird es damit kommen. Darin liegt eine große Verantwortung von Eltern, ErzieherInnen und LehrerInnen.

Siehe auch:

Woher kommen die außergewöhnlichen Fähigkeiten – Hochbegabung oder supergute Förderung?

und

Wie lernen hoch begabte Kinder?

Ein Forscher braucht allerdings einige Eigenschaften in einem Maße, das nicht jedem Menschen gegeben ist.

Manuel (5;3) zeigt diese Eigenschaften – und wer weiß, vielleicht hat er später tatsächlich Lust und die Möglichkeit, sie für einen Forscherberuf zu nutzen? Vielleicht wird er aber auch ganz andere Wege einschlagen, aber es ist doch interessant zu sehen, wie er als Fünfjähriger agiert.
Im Folgenden einige Beobachtungen aus seinem Kindergartenalltag, dargestellt von seiner Erzieherin. Die Notizen sind eine Auskopplung aus dem Beitrag Vom Clown zum Könner, in dem es hauptsächlich darum geht, dass Manuel selbstbewusster wird und besseren Kontakt zu den anderen Kindern der Gruppe entwickelt.

***

Spiel mit Kerzen

In den letzten Tagen hat sich Manuel (5;3) während des Freispiels wiederholt das (Montessori-) Angebot >Kerze anzünden< geholt. Seine Aufmerksamkeit galt dabei deutlich dem Moment, in dem er die Kerze mit dem Dochtlöscher ausmachte. Er tat dies jedes Mal sehr langsam und ließ die Kerze immer wieder aufflackern.
Um ihm eine neue Mögichkeit zu geben, das Verlöschen der Kerze zu beobachten, stelle ich ihm eine Kerze, Streichhölzer und ein Glas hin.
Als er sich am nächsten Morgen wieder die Kerze holt, frage ich ihn, ob ich ihm etwas anderes mit der Kerze zeigen darf. Manuel schaut mich aufmerksam an und stimmt zu. Ich demonstriere ihm einmal den Ablauf, Manuel lacht und wiederholt es gleich mehrmals. Dabei legt er den Kopf auf die Tischplatte und schaut so der Kerze beim Verlöschen zu.

Ich frage ihn, ob er weiß, warum die Kerze unter dem Glas ausgeht. Er antwortet: „Die kriegt keine Luft mehr.“ Ich biete ihm ein größeres Glas an. Er nimmt es und sagt: „Da hat sie mehr Luft.“ Manuel probiert es aus. Als ich ihm eine zweite Kerze hinstelle, zündet er beide an und stülpt die Gläser gleichzeitig beidhändig darüber und beobachtet gespannt, was geschieht.
Er fragt, ob ich auch noch ein ganz kleines Glas habe. Er baut seine Beobachtung bis auf fünf verschieden große Gläser aus, stellt sie der Reihe nach auf und stülpt mit raschen und koordinierten Bewegungen die Gläser darüber.
Nach mehreren Durchläufen strahlt er mich an und sagt: „Das macht so einen Spaß, ich werde alle Streichhölzer verbrauchen.“

Zum Ende des Freispiels bitte ich Manuel, doch den anderen Kindern im Stuhlkreis zu zeigen, was er gemacht hat, und es ihnen zu erklären. Er überlegt, lächelt und nickt.
Alle sitzen im Kreis, Manuel sitzt neben mir und vor ihm steht das Tablett mit den Kerzen, Gläsern und Streichhölzern. Die Kinder warten. Ich frage Manuel leise, ob er ihnen jetzt sagen kann, was er vorhat. Manuel schüttelt den Kopf, neigt sich zu mir und flüstert: „Du!“ Ich sage einige Sätze zu den Kindern und Manuel beginnt die Kerzen anzuzünden. Bevor er die Gläser darüberstülpt, schaut er ernst in die Runde und sagt : „Das muss jetzt zack-zack gehen.“ Seine Vorführung gelingt. Er erklärt noch, dass Feuer Luft braucht um zu brennen; dass verschieden viel Luft in den Gläsern ist und deswegen die Kerzen nacheinander ausgehen. Die Kinder sind aufmerksam, hören und schauen zu.

Am nächsten Tag wiederholt Manuel das Spiel mit den Kerzen und den Gläsern. Er agiert selbstständig und sehr konzentriert und macht mehrere Durchgänge. Sein Augenmerk liegt offensichtlich darauf, die Gläser in schnellem Tempo über die Kerzen zu stülpen, um Zeitgleichheit beim Start zu erreichen. (Diese Aufgabe hat er sich selber gestellt.)  Manchmal geht dabei eine Kerze aus. Dann sagt Manuel „Mist!“ und beginnt noch einmal von vorne.

Mörser

Manuel bekommt das Angebot, verschiedene Rohstoffe mit einem Mörser zu zermahlen. Er ist konzentriert bei der Sache und arbeitet über zwei Stunden daran. Er schaut immer wieder genau hin, was passiert, was sich im Mörser verändert. Im Stuhlkreis stellt er seine Arbeit souverän und sicher vor.

Das Mörsern interessiert Manuel weiterhin. Jeden Tag wird etwas anderes zerstoßen. Er hat die Ergebnisse wieder im Stuhlkreis vorgestellt und findet Gefährten, die diese Leidenschaft mit ihm teilen.

Margeriten

Auf dem Tisch stehen weiße Margeriten in einer Vase. Ich frage Manuel: „Meinst du, dass die Margeriten das Wasser trinken?“ Er nickt und sagt: „Ja, alle Pflanzen brauchen Wasser.“ Ich frage weiter, ob man sehen kann, dass sie es trinken. Manuel überlegt kurz und sagt: „Ja, mit einer Lupe.“ Ich gebe ihm eine Lupe und er betrachtet aufmerksam die Stängel durch die Lupe. Nach einiger Zeit frage ich ihn, ob er etwas beobachten konnte. Er schüttelt den Kopf und sagt: „Ich sehe nichts.“

Ich weise ihn darauf hin, dass das Wasser in der Vase durchsichtig ist, dass es keine Farbe hat, und schlage ihm vor, es zu färben, dann müssten die Blumen farbiges Wasser trinken. Er schaut mich an und fragt: „Was passiert dann?“ Ich frage zurück: „Was könnte passieren, was meinst du?“ Er berührt eine Blüte und sagt: „Wird die dann bunt?“ Ich fordere ihn auf, es auszuprobieren, und gebe ihm einen Ständer mit Reagenzgläsern sowie rote und schwarze Tinte.

Manuel füllt die Tinte vorsichtig ein und stellt jeweils zwei Margeriten in rote und schwarze Tinte. Dann setzt er sich davor, verschränkt die Arme und guckt die Blumen an. Nach zehn (!) Minuten kommt er zu mir und sagt mit klagendem Ton: „Da passiert nichts.“
Wir stellen den Ständer mit den Blumen auf die Fensterbank und ich lade ihn ein, jetzt etwas anderes zu tun und zwischendurch immer mal nachzuschauen.

Zu Beginn des Stuhlkreises frage ich Manuel, ob er den Kindern erklären will, was er mit den Blumen gemacht hat. Er lacht und sagt: „Ja, das will ich machen.“ Manuel erzählt den Kindern mit viel Mimik und lauter Stimme von seinem Experiment und dass er jetzt wartet, ob etwas passiert ist. Die Kinder hören noch aufmerksamer zu als bei seiner ersten Demonstration. Manuel spricht frei und beachtet mich gar nicht mehr.

Mitten im Stuhlkreis springt er auf und ruft: „Da, es fängt an! Eine Blume wird schon rosa.“ Manuel strahlt und alle Kinder schauen sich die rosa Blume an. Im Hinausgehen sagt er: „Schwarz dauert länger.“

Blumenpresse

Manuel kommt morgens herein und sagt: „Ich muss mal nach meinem Blatt sehen. Ich bin schon sehr gespannt.“ Vor einigen Tagen hat er von seinem Weg in den Kindergarten ein großes Blatt mitgebracht und in die Blumenpresse eingespannt.
Das Blatt ist noch nicht trocken. Er betrachtet und befühlt es und sagt: „Meinst du, es wäre fertig?“ Als ich verneine, sagt er: „Dann muss es wieder rein“ und spannt es erneut ein.

***

Nach oberflächlichem Blick auf die Notizen könnte man meinen: Manuel macht nichts anderes als viele andere Kinder im Kindergarten auch. Unterscheidend ist, wie er es macht.

Bei genauerem Hinsehen fällt auf: Manuel hat bei diesen Beobachtungen über eine kurze Zeit wirklich gute Anlagen zum Forschen gezeigt:

    • Forscherdrang
    • Lust am Erkenntnisgewinn
    • Selbst erdachten, weiterführenden Fragen nachgehen
    • Beständiges, tagesübergreifendes Interesse
    • Beharrlichkeit bei seinen Vorhaben
    • Fähigkeit, den anderen Kindern seine Forscherwege und -ergebnisse mitzuteilen

Hoffentlich findet er weiterhin gute Mentoren, die ihn
darin begleiten, seine Motivation zu erhalten,
ihm gute weiterführende Fragen zu stellen,

und die ihn dabei unterstützen,
bei seinem Tun Erfolge zu sehen und seine Forschermentalität weiter zu entwickeln.

Mehr zu Manuel:
Manuel, 5:0 Jahre

Vom Clown zum Könner

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2020
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