Wann war Mittelalter auf der Erde? – Projekt Zeitrolle

von Klaudia Kruszynski

 

Nach Ostern fingen wir im Rahmen unseres Projekts „Zeit“ mit einem neuen Thema an:

Mittelalter.

Wir wollten den Kindern vermitteln,

wie die Menschen damals gelebt haben,
dass es keinen Strom gab, keine Autos, und in der Wohnung weder Kühlschränke noch Toiletten,
dass die Kinder mit selbst gebasteltem Spielzeug gespielt haben,
dass es damals Edelmänner gab, Ritter, feine Damen und das einfache Volk.

Als Höhepunkt sollte unser Sommerfest als Ritterfest gefeiert werden.

Die Vorschulkinder wurden durch die Altstadt von Werne (unseren Nachbarort) geführt. Danach erlebten sie im kindergarten eine „Mittelalter-Übernachtung mit einem Abendessen bei Kerzenlicht“. Geplant war noch eine Besichtigung einer echten Burg: Burg Fischering in Lüdinghausen. Sie fand auch statt, aber erst nach Abschluss des Projekts.

Wir haben den Kindern viel über diese Zeit erzählt. Sie bauten Burgen aus Lego, Duplo und anderen Bausteinen. Sie malten Ritter, Könige und feine Damen und hängten die Bilder im Flur und in der Halle auf. Die Kinder überlegten sich, was ihre Stärke ist oder was sie interessiert, und entwarfen dem entsprechende eigene Wappen.

… kurz gefasst …

Im Rahmen eines langfristigen Projektes zum Thema „Zeit“ wird eine Möglichkeit gefunden, den Kindern 1. die historische Reihenfolge wichtiger Ereignisse deutlich zu machen, 2. eine Ahnung von der Länge geschichtlicher Epochen zu geben und 3. unser modernes Leben dazu in Beziehung zu setzen:
mit Hilfe der Zeitrolle.

Wir Erzieherinnen stellten fest, dass dieses Thema den Kindern sehr gefällt. Manche Jungen entfalteten sich zu den echten Ritter-Kennern. Auch Mädchen spielten mit Ritter-Püppchen. Wir lernten lustige Lieder und alte Spiele.

Öfter hörten wir, wie die Kinder beim Spielen so etwas sagten wie: „Und dann kamen die Polizisten und steckten die bösen Ritter ins Gefängnis“, oder „Die Indianer hätten wohl die Burg überfallen“.

Wir stellten fest, dass die Kinder keine Vorstellung darüber hatten, wann es das Mittelalter gab. Die Ritter sind genauso wie die Dinosaurier schon längst „ausgestorben“.

Ich habe sehr lange nachgedacht, wie ich den Kindern am einfachsten vermitteln könnte, wann es diese Zeit gab und in welcher Chronologie die wichtigsten Ereignisse aus der Erdgeschichte geschahen.

Ich wollte an das Wissen über den Urknall anknöpfen. Jan hatte bereits erwähnt, dass die Zeit dabei angefangen hat.

Aber die meisten Kinder wissen kaum etwas darüber, was in der Vergangenheit passiert ist. Sie begreifen die Vergangenheit nicht so, wie die Erwachsenen. „Gestern“, „zum Nikolaus“, „zu Weihnachten“, „im Urlaub“, und Ähnliches, das sind die häufigsten Begriffe, die die Kinder im Kindergartenalter zum Bezeichnen des Vergangenen benutzen. Diese Begriffe sind sehr unpräzise. Sie liegen in ihrem Verständnis auch noch nicht in der tatsächlichen Reihenfolge. Die Zeitempfindung geht erst mal nur in eine Richtung, nämlich nach vorne. Die Ereignisse kommen ständig dazu, verdrängen die vergangenen, summieren sich.

Erst mit täglich gesammelten Erfahrungen, die wieder in den Sinn kommen, weil sie für das Kind besonders wichtig sind, erst wenn das Kind beginnt, häufiger über Erlebtes nachzudenken, erst dann bildet sich ein Gespür für die Vergangenheit.

Bis die Kinder in der Lage sind, die Vergangenheit genau zu präzisieren, müssen sie gewisse mathematische Fertigkeiten beherrschen. Sie müssen vorwärts und rückwärts zählen können. Das wiederum muss sich zuerst im konkreten Tun äußern, zum Beispiel rückwärts laufen können, im Spiel Figuren zurücksetzen können, Gegenstände zum Ursprungszustand oder -ort zurückbringen, usw.
Sehr wichtig sind auch jegliche Gespräche, bei denen die Kinder / Erzieher berichten, was sie am Vortag / am Wochenende gemacht haben. Auch die Geschichten, die täglich weitererzählt werden, eignen sich zum Zeitumkehren: wenn die Kinder sich erinnern sollen, was bis jetzt passiert ist.

Ebenso festigen sich die Vorstellungen über die Vergangenheit, wenn die Entwicklung in der Natur beobachtet wird, wenn alte Fotos betrachtet werden, wenn Kleider anprobiert werden, die im letzten Sommer getragen wurden.

Diese Erfahrungen bewirken noch eine andere Erkenntnis: Die Kinder können in Gedanken, Gesprächen in die Vergangenheit wandern, aber sie können nicht die vergangene Zeit noch mal leben, das, was geschah, lässt sich nicht mehr ändern.

Man erfährt die Vergangenheit, indem man in der Lage ist, das, was real passiert, als Gegenwart zu sehen. Vergangen ist alles, woran man sich erinnert. So wird die Gegenwart der Ursprung jeder Zeitreise in die Vergangenheit.

Die Zeit verläuft wie eine Linie, mit dem Urknall am Anfang (nach heutigem Wissensstand) in Richtung: Unendlichkeit.

Wie kann ich es für die Kinder darstellen?

Im Kindergarten gibt es nicht genug Platz für so eine Linie. Aber man kann diese Linie aufwickeln, so dass sie ganz wenig Platz benötigt. Man kann eine Papierrolle nehmen und so kann man den Kindern vermitteln, was die Vergangenheit ist.

Je mehr von der Rolle abgewickelt wird, desto tiefer geht man in die Vergangenheit. Der Anfang der Rolle könnte den Anfang der Zeit symbolisieren. Vorher war Nichts.

Es gibt in der Geschichte ein Ereignis, was schon für die Kindergartenkinder in unserem katholischen Kindergarten eine Bedeutung hat. Es ist die Geburt Jesus. Für Nichtchristen könnte man das Jahr 0 als Beginn der modernen Zeitrechnung in unserer Weltgegend zugrunde legen.

Das wunderbare Weihnachtsfest kommt jedes Jahr als Andenken an die Geburt des Sohnes Gottes. Es gibt immer schöne Geschenke, die Familie feiert miteinander. Die Verwandten kommen zu Besuch, es gibt den Tannenbaum und die Krippe. Und immer wieder wird die Weihnachtsgeschichte erzählt.

Die Kinder hören von einem Kaiser, der vor 2000 Jahren lebte, von drei Heiligen Königen, die mit einem Elefanten und Kamelen (und nicht mit einem Auto oder Flugzeug) unterwegs sind. Der kleine Jesus ist nicht in einem Krankenhaus zur Welt gekommen, es gab keine Krankenhäuser. Die frohe Botschaft wurde von den Engeln oder Weisen, die in den Sternen lesen konnten (nicht im Fernseher oder Radio), erzählt. Der Weihnachtsstern (nicht die Verkehrszeichen oder das Navi) hat die Hirten zur Krippe geführt.

Diese Geschichte klingt für die Kinder sonderbar, aber von den Erwachsenen sehr glaubwürdig erzählt. Deshalb verfestigt sich bei den Kindern die erste Vorstellung von so tiefer Vergangenheit.

Die Jesusgeburt markiert auch gleichzeitig den Anfang der modernen Zeitmessung – das erste Jahr.

Von diesem Wissen bediente ich mich, um den Kindern nah zu bringen, wann es Mittelalter gab.

Wie es der Zufall wollte, sprach mich Jan an einem Tag an: „Ich würde so gerne wieder mit dir etwas über die Zeit besprechen“.

Es passte wunderbar, ich wollte nämlich auch mit Jan über die Zeit sprechen und sagte ihm, dass ich etwas vorbereiten wollte. Jan war sehr gespannt und motiviert, etwas zu tun. Er wollte wissen, was ich vorhatte.

Eine „Weltraumdose“

Ich holte eine hohe Dose, in der vorher Tennisbälle gewesen waren. Mit dunkelblauer Folie sollte sie beklebt werden – wie der Himmel in der Nacht. Dann sollten Sterne, Mond und andere Himmelskörper darauf geklebt werden. Die Sterne haben wir mit Hilfe eines Stanzers gemacht, Mond und Kometen haben die Kinder aufgemalt und ausgeschnitten.

Die Dose wurde auf den Schrank gestellt, am nächsten Tag sollte es weiter gehen.

Dann holte ich eine Papierrolle, die in die Dose hinein passte. Ich malte die oben sichtbare Kante der zusammengerollten Papierrolle an – die Mitte markierte ich rot. Je weiter von der Mitte entfernt, desto heller wurde die Farbe: sie ist zuerst ins Gelb übergangen, dann ins Grün.

Ich wickelte von der Papierrolle ein etwa 10 Meter langes Stück ab und malte an diese Stelle eine Krippe.

Und so ging es weiter:

Am nächsten Tag nahm ich paar Kinder in den Nebenraum mit. Es waren Jan, Aaron, Leo, Lukas, Christopher, Carla und Sven dabei. Ich achtete darauf, dass Jan, Sven und Christopher, die Begabtesten, das Angebot bekamen mitzumachen, was sie auch annahmen. Ich freute mich, dass andere Kinder sich von selbst hinzugesellten.

Ich stellte die „Weltraumdose“ in die Mitte und Jan erzählte, was das für eine Dose ist. Als er sie in die Hand nahm, merkte er, dass sie schwerer war als am Vortag. Er sah mich fragend an.

„Ja, da ist eine Zeitrolle drin“, habe ich gesagt.

Die Kinder wollten natürlich sofort die „Zeitrolle“ sehen. Ich nahm den Deckel ab, Aaron zeigte jedem Kind die Rolle in der „Weltraumdose“. Alle merkten, dass die Rolle bunt angemalt war.

Dann erzählte ich den Kindern, dass diese Rolle genauso ist wie die Zeit. Zuerst, am Anfang, war noch nichts. Dafür steht die Leere im Inneren der Rolle. Danach gab es den Urknall (Jan rief: „Ja, ich weiß das!“) und in diesem Moment hat die Zeit hat angefangen. Unsere Erde entstand dann erst viele, viele Jahre später.

Jan hat sofort meine Idee begriffen und sagte, dass die Erde am Anfang sehr heiß war, ganz rot, dann hat sie sich abgekühlt und alles wurde grün und dann kamen die Dinosaurier. Und erst danach die Menschen.

So wurde die Richtung der Zeit festgestellt: Wenn man in die Dinosaurierzeit zurückgehen wollte, musste man die Rolle aufwickeln.

Das heißt, die Zeit, in der wir leben, ist das andere, außen liegende Ende der Rolle.

Das wollten die Kinder sofort ausprobieren und wickelten die Zeitrolle auseinander. Plötzlich entdeckten sie das Bild mit der Krippe.

„O, da war Jesus geboren!“

„Wann war das, im letzten Winter?“

„Nein, schon lange her, da waren wir noch gar nicht auf der Welt“, meinte Jan.

Ich konnte das nur bestätigen: „Ja, das stimmt, es war vor 2000 Jahren. Was hat der kleine Jesus damals zum Spielen gehabt: Legosteine und Autos?“

Die Kinder lachten laut. „Es gab noch keine Autos!“

„Womit hat Jesus gespielt?“

„Mit selbst gemachten Sachen.“

„Gab es schon zu Jesus Zeit Ritter?“, wollte ich wissen.

„Nein, die gab es nicht.“

„Wann gab es die Ritter?“

Das wussten die Kinder nicht, sie einigten sich auf: “Vielleicht später“.

„Ja, die Ritter lebten im Mittelalter. Ich kann euch einen Trick zeigen, wie man es herausfinden kann, wann es war.“

Ich zeigte den Kindern noch mal das Stück der Zeitrolle von heute bis Jesusgeburt. So lange müsste man die Uhr zurückdrehen – zweitausend Jahre.

Dann sagte ich zu Aaron, er soll das Ende der Rolle auf die Krippe legen. Da, wo der Knick war, sollte Sven ein Kreuz malen.

Als wir das Papierband wieder auseinander falteten, lag das Kreuz genau in der Mitte – zwischen Heute und Krippe.

„Genau in der Mitte lag das Mittelalter. In dieser Zeit lebten die Ritter.“

Ich gab den Kindern Buntstifte. Jedes Kind konnte einen Ritter in der Kreuznähe malen. Carla malte ein Burgfräulein.

Danach sind die meisten Kinder spielen gegangen. Nur Christopher blieb. Er wollte noch mehr malen.

Christopher ist 4;3 Jahre alt. Er hat zwei ältere Geschwister, die beide (getestet) hoch begabt sind.

Das war damals das Erste, was ich von seiner Mutter hörte, als wir im Kindergarten den Kennenlern-Nachmittag hatten. Und dass der Junge Lokomotiven über alles liebt.

Im Kindergarten-Alltag ist Christopher sehr lebhaft, sprunghaft und laut. Er hat Schwierigkeiten, an einem Ort zu bleiben, er ist ständig überall. Bevor ein Spiel zu Ende ist, holt er sich schon ein neues. Er rennt auf den Bauteppich, wirft schnell das Gebaute um oder setzt sich in der Mitte hin und fängt an zu bauen, ohne die dort spielenden Kinder zu beachten. Kein Wunder, dass sie schon laut um unsere Hilfe rufen, wenn er nur in der Nähe ist. Das Spielen mit den anderen Kindern klappt eigentlich gar nicht.

Christopher hat einen Freund, zu dem er sich hingezogen fühlt und jedes Mal nach ihm sucht, aber auch mit ihm endet angefangene Spiel immer in einem Streit.

Es gibt etwas, womit der Junge sich länger beschäftigen kann: die Eisenbahn. Er kennt verschiedene Lokomotiven, hat zu Hause mehrere Modelle und Sachbücher über Eisenbahnen.

Im Kindergarten baut er immer Schienen auf und verschiedene Züge aus Duplo-Steinen.
Auch am Maltisch malt er nur Lokomotiven, Schienen und Weichen. Die Menschen, die mit dem Zug fahren, sind nur als Striche dargestellt.

In der letzten Zeit ist sein Verhalten problematischer geworden. Er ist noch unruhiger geworden – kaum dreht man sich von ihm weg – ist er schon wieder woanders und widmet sich immer für kurze Zeit neuen Tätigkeiten.

Ich bin der Meinung, dass man seine Interessen mehr einbeziehen sollte, damit er seine „Verhaltensschwierigkeiten“ allmählich überwinden kann. Denn für mich ist seine Sprunghaftigkeit ein Zeichen dafür, dass er für sich nichts wirklich Interessantes finden kann. Daraufhin will ich ihn auch näher beobachten.

Zurück zu der Zeitrolle: Christopher ist geblieben, weil er noch weiter malen wollte –  natürlich eine Lokomotive.

„Gab es im Mittelalter Lokomotiven?“, habe ich ihn gefragt.

„Nein, noch nicht!“

Ich zeigte ihm die Stelle auf der Zeitrolle, wo ungefähr der erste Zug gebaut wurde, und Christopher fing an zu malen. Er wirkte sehr zufrieden.

Dann kam Mohammed und wollte auch etwas auf der Rolle malen. Ich fragte, ob er Lust hätte, eine Ritterburg zu malen. (Dieser Junge ist begeistert vom Thema Mittelalter, bis jetzt wollte er nie freiwillig malen, aber in der letzten Zeit ist er täglich am Maltisch und malt Ritterburgen.)

Er war begeistert, eifrig malte er die ersten Striche.

Dann kam noch ein anderer Junge, der ein Auto malen wollte.

Christopher sagte: „Die Autos sind gleich nach den Lokomotiven erfunden worden.“

Er malte ein Auto und ein Verkehrszeichen dazu.

„Wie ist man damals gereist?“, warf ich in die Runde.

„Auf dem Pferd und in der Kutsche“, sagte Christopher.

„Stimmt, auf dem Land benutzte man Pferde, und wie reiste man auf dem Wasser?“

„Mit den Schiffen“, meinte Mohammed.

So haben die beiden eine Pferdekutsche und ein Schiff vor der „Lokomotiven-Zeit“ gemalt.

Plötzlich verlor Christopher die Lust und wollte rausgehen. Ich fand es schade, dass das Pferd nicht ausgemalt war. Er wollte trotzdem nicht weitermalen. Carla sagte, dass sie das machen könnte. Christopher war einverstanden, aber zuerst sollte Carla die grüne Wiese weitermalen (es gab damals keine asphaltierten Straßen), mit der sie gerade beschäftigt war. Als sie damit fertig war, fing sie an, das Pferd auszumalen. Plötzlich war Christopher wieder zur Stelle, riss ihr den Stift aus der Hand und sagte, dass er sein Pferd selbst und ganz anders anmalen will. Das war für mich ein Zeichen, dass es für ihn wichtig war.

Bevor ich es ihm erlaubt habe, erklärte ich ihm, dass ich es so verstanden habe, dass er zum Malen keine Lust mehr hatte. Normalerweise werden die Bilder zu Ende gemalt – was man angefangen hat, macht man zu Ende! Dann kann man auch selbst bestimmen, welche Farbe das Pferd haben soll.

„Ja, ja“ – das war sein Kommentar dazu. Ich kann trotzdem vermuten, dass so was sich nicht mehr wiederholen wird. Er hat verstanden, was es für Konsequenzen hat, wenn man sein eigenes Werk aufgibt.

Später im Stuhlkreis erzählten die beteiligten Kinder von der Rolle, erklärten, wie wir es herausgefunden haben, wann die Ritter lebten, usw.

In der Folgezeit wurde die Rolle immer weiter ergänzt. Es wurden Dinosaurier und noch vieles mehr gemalt, und es wurden auch ausgeschnittene Bilder darauf geklebt.

Dieses Projekt, genauso wie viele andere zum Thema Zeit, ist noch nicht beendet. Es kann immer wieder aufgegriffen werden, immer wenn die Kinder Zeit und Lust haben.

Die Zeitrolle wurde in der Folgezeit oft herausgeholt. Sie musste immer wieder sorgfältig zusammen gerollt werden, damit sie in der Dose aufbewahrt werden konnte.

Eines Tages nahm Mohammed die Rolle vom Regal herunter und küsste sie. Als ich ihn fragend ansah, sagte er: „Ich liebe die Zeitrolle“.

 

Datum der Veröffentlichung: Juli 2012
Copyright © Klaudia Kruszynski, siehe Impressum.

 

Märchen von der Prinzessin, die fast allen zu schlau war (Theaterfassung)

 von Hanna Vock

 

Theaterfassung in 11 Bildern

Hier handelt es sich um ein vorgegebenes Stück, das sich die Kinder nach und nach erarbeiten. Selbstverständlich gibt es viele andere gute Arten, mit Kindern Theaterarbeit zu machen.

Personen:

Prinzessin
Kinderfrau
König und Königin
Stallknecht Kasimir
Der kluge Vogel
Pferd
Der erste Lehrer
Lehrer Alexander
2 Minister
Prinz Heinrich
Prinz Kuno
Prinz Adelbert

Da das Märchen ziemlich lang ist und viel Sprechtext hat, kann man gut eine Vorleserin oder einen Vorleser (VL) brauchen. Diese Person führt die Kinder durch das Stück.

Sie kann zunächst auch die Regietexte laut vorlesen – und je sicherer die Kinder werden, desto mehr kann sie weg lassen.

Wie viel Text die Kinder (so oder so ähnlich, wie er aufgeschrieben ist) selber sprechen, hängt von der Gedächtniskapazität und dem Schauspieltalent der beteiligten Kinder ab – und von der Ausdauer, mit der sie proben wollen.

Auch wenn es sich um sehr begabte Kinder handelt, ist es gut möglich, dass die Kinder zunächst „nur“ die Orientierung im Ablauf der Geschichte, die Bewegung auf der Bühne sowie die mimischen und gestischen Aufgaben bewältigen lernen.

Der Sprechtext kann für sie eventuell allmählich hinzukommen.

Bei einer Aufführung ist zu bedenken, dass das Stück nicht nur eine lange Konzentration von den Schauspielern erfordert, sondern auch von den Zuschauern. Falls also jüngere Kinder dabei sind, empfiehlt sich eine Aufführung in zwei Teilen.

Erster Teil: Bilder 1 bis 7, zweiter Teil: Bilder 8 bis 11.

1. Bild

Prinzessin, Kinderfrau, Der kluge Vogel

Zimmer der Prinzessin:
Lila Teppich / Kulisse, goldenes Wandtuch.

Der kluge Vogel hockt in der Ecke.
Die Prinzessin steht mitten auf der Bühne.

Vorleserin (VL):

Es war einmal vor langer Zeit eine kleine Prinzessin. Sie war lustig und munter und tat niemandem etwas zu Leide. Zu allen Leuten war sie lieb und freundlich.

Die Prinzessin tritt vor, lächelt die Zuschauer an und winkt ihnen zu.

Der kluge Vogel schwirrt einmal um sie herum und setzt sich dann still hin. Er beobachtet die Szene.

VL:

Sie hatte eine Kinderfrau, die ihr Kinderlieder beibringen wollte.

Die Kinderfrau tritt auf. Der kluge Vogel krächzt böse und flattert mit den Flügeln.

Die Kinderfrau stellt sich vor die Prinzessin, sieht sie an und singt:

„Hänschen klein, ging allein…“

Die Prinzessin steht starr und zieht eine Schnute.

Die Kinderfrau versucht es weiter:

„…aber Mama weinet sehr…“

Die Prinzessin verschränkt die Hände hinter dem Rücken und singt nicht mit.

VL:

Diese Lieder konnte sich die Prinzessin überhaupt nicht merken. Immer musste sie sich wundern, wie albern die Worte und wie kindisch die Melodien waren.

Die Kinderfrau dachte insgeheim:

<Was ist bloß mit der kleinen Prinzessin los? So ein dummes Kind habe ich noch nicht erlebt. Es behält ja gar nichts.>

Nun wollte sie aber eine gute Kinderfrau sein, und deshalb sang sie die Lieder immer wieder und wieder – immer nur die einfachsten –

und sie dachte:

<Na, irgendwann wird wohl auch bei der Prinzessin ein bisschen davon im Gedächtnis hängen bleiben.>

Die Kinderfrau wendet sich zum Publikum und schüttelt den Kopf. Sie geht vor und sagt hinter vorgehaltener Hand zum Publikum:

„Gar so dumm kann sie doch nicht sein!“

Kinderfrau sieht die Prinzessin an und singt leise immer weiter.

VL:

Die Prinzessin aber blieb stumm und dachte gar nicht daran, den Mund für die blöden Lieder auf zu machen.

Und irgendwann dachte sie sich:

<Sie singt immer nur dieselben paar Lieder, und es sind tatsächlich nur die allereinfachsten… Die Stallknechte singen sogar den Pferden was Besseres vor.>

Die Prinzessin geht vor und sagt hinter vorgehaltener Hand zum Publikum:
„Die Kinderfrau ist wirklich nicht sehr schlau!“

Prinzessin geht ab, der Vogel schwirrt hinterher.

Die Kinderfrau hebt die Arme, seufzt und geht ab.

VORHANG

2. Bild

Prinzessin, Kasimir, Pferd

Pferdestall:
graues Laken vor dem goldenen Wandtuch, Kulisse.
Verstecktes Buch. Bücherstapel.

Das Pferd scharrt mit den Hufen und wiehert. Kasimir striegelt es.

Die Prinzessin schlüpft in den Stall,

begrüßt Kasimir und streichelt das Pferd.

VL:

Die kleine Prinzessin ging gerne in den Pferdestall, was sie eigentlich nicht durfte. Immer wenn sie erwischt wurde, gab es ein großes Geschrei:

„Eine Prinzessin darf nicht im Stall spielen! Im Stall werden ihre schönen Kleider schmutzig, und dann sieht sie garstig und hässlich aus.“

Die Prinzessin erschrickt und sieht sich um.

VL:

Und so konnte sie nur heimlich in den Stall schlüpfen.

Das tat sie oft, denn der alte Knecht Kasimir wusste viele interessante Geschichten zu erzählen, und vor allem konnte er sich unendlich viele Rätsel ausdenken. Rätsel liebte die Prinzessin sehr!

So sagte Kasimir eines Tages:

„Prinzessin, hilf mir. Ich muss frischen Hafer für die Pferde holen, aber ich weiß nicht genau wie viel.

Wir haben vier Ponys auf der Weide, jedes bekommt einen Sack Hafer, die sechs großen Pferde brauchen jedes zwei Sack Hafer.

Wie viel muss ich denn nun holen, damit alle satt werden?“

Kasimir und die Prinzessin stehen einander zugewandt und tun so, als ob sie miteinander reden.

VL:

Die kleine Prinzessin überlegte nur kurz.

Dann sagte sie zu Kasimir:

„16 Säcke brauchst du.“

VL:

Der Stallknecht staunte, er konnte selber gut rechnen. Er hatte es lange geübt – aber woher konnte es die kleine Prinzessin, die doch noch gar nicht in der Schule war?

Kasimir fragte:

„Woher weißt du das?“

Und die Prinzessin antwortete:

„Ich weiß es eben.“

Und dann vertraute ihr Kasimir sein größtes Geheimnis an:

Er hatte ein Buch, und er konnte darin lesen.

Er verstand die Buchstaben, und so konnte ihm das Buch seine Geschichte erzählen.

Kasimir holt sein Buch hervor und zeigt es der Prinzessin.

Sie reden miteinander.

Kasimir:

„Prinzessin, es gibt noch viel mehr Bücher. Sie stehen im Schloss, in der Bibliothek.
Ich darf da nicht rein, aber ich hätte zu gern mal ein zweites Buch. Ich möchte sehen, welche Geschichten darin verborgen sind.“

VL:

Und so huschte die kleine Prinzessin von nun an oft in die Bibliothek und holte Bücher für Kasimir.

Wenn er sie fertig gelesen hatte, stellte die kleine Prinzessin sie ganz heimlich wieder zurück.

Denn sie wusste – und Kasimir wusste es auch – dass der König es nie erlaubt hätte, dem Stallknecht die königlichen Bücher in die Hände zu geben.

Die Prinzessin huscht weg und kommt mit einem Bücherstapel wieder.

Kasimir nimmt die Bücher und freut sich. Er versteckt sie.

VL:

Aus Dankbarkeit erklärte Kasimir der Prinzessin die Buchstaben,

und ehe er sich´s versah, konnte sie noch besser und schneller lesen als er selbst.

Kasimir malt ein A in die Luft, die Prinzessin macht es nach.

Dann ein W, dann ein U.

(Achtung: nur klappsymmetrische Buchstaben benutzen, damit Schauspieler und Zuschauer dasselbe sehen!)

VL:

So waren sie dicke Freunde geworden.

Sie lachen sich fröhlich an.

VORHANG

3. Bild

Prinzessin, Königin, König. Kinderfrau, Erster Lehrer

Thronsaal: goldenes Wandtuch, Kulisse.
Thron für Königin und König. 3 Stühle.
Gedeckter Tisch, silberne Teller und silberne Becher.(Alufolie)

König, Königin und Prinzessin essen und trinken.

König und Königin tun so, als ob sie sich miteinander unterhalten. Die Prinzessin bleibt stumm.

Als alle fertig sind, hält sich der König den Bauch. Die Prinzessin geht ab.

König und Königin setzen sich auf ihren Thron.

VL:

Eines Abends saß die Prinzessin wieder einmal ganz stumm beim Essen. Als alle fertig waren, sagte ihre Mutter, die Königin, zum König:

„Unsere Prinzessin redet nicht viel, auch spielt sie nicht wie die anderen Kinder. Es scheint ihr keinen Spaß zu machen, im Schlossgarten hundertmal vom Mäuerchen zu hüpfen, wie die anderen Kinder es tun.

Sie ist ziemlich seltsam. ..

Die Königin sagt zum König:

Was denkst du darüber, du bist schließlich ihr Vater.“

Der König antwortete:

„Ja, ja“, ein bisschen merkwürdig ist sie schon…

…Wie ich hörte, will sie der Kinderfrau die Lieder und Reime nicht nachsprechen, sondern macht nur ein trotziges Gesicht.

Vielleicht sollten wir bald einen Lehrer rufen, der ihr Unterricht gibt, damit sie nicht allzu dumm bleibt.

Denn eine allzu dumme Prinzessin will kein Prinz zur Frau nehmen.“

Und so wurde ein berühmter Lehrer gerufen. Er sollte der Prinzessin alles Wichtige beibringen.

Der König ruft die Kinderfrau und sagt ihr:

„Hole zuerst die Prinzessin und dann den Lehrer!“

Die Kinderfrau verschwindet und kommt mit der Prinzessin wieder.

Die Prinzessin setzt sich auf ihren Platz am Tisch.

Der Lehrer erscheint, verneigt sich.

Er wendet sich der Prinzessin zu und spricht zu ihr.

VL:

Er sagte: „Nun, verehrte Prinzessin, zuerst wollen wir mit dem Rechnen anfangen. Sieh mal, hier steht ein Stuhl. Wenn ich noch einen zweiten dazu stelle, wie viele Stühle stehen dann da?

Denke gründlich in Ruhe nach und sage mir morgen die Antwort.“

Dann durfte sie gehen.

Die Prinzessin geht langsam raus und lauscht nach hinten.

VL:

Sie hörte noch, wie der Lehrer zur Königin sagte:

„Ich habe der Prinzessin eine schwierige Aufgabe gegeben. Es ist wichtig, dass sie zunächst etwas rechnen lernt, ehe wir mit den Buchstaben beginnen.“

„Ah ja“,

antwortete die Königin, denn sie vertraute der Kunst des Lehrers.

Und der Prinzessin war klar, dass der Lehrer nicht ihr Freund werden konnte.

VORHANG

4. Bild

Prinzessin, Kinderfrau, Vogel

Zimmer der Prinzessin: Kulisse. Lila Teppich. 2 Stühle.
Hinter der Kulisse sind ein Buch und ein Taschentuch versteckt.

Die Kinderfrau sitzt mit einer Stickerei auf einem Stuhl.

Der kluge Vogel hockt in der Ecke. Er hat den Kopf unter die Flügel gesteckt.

VL:

Nach dem unangenehmen Erlebnis mit dem Lehrer lief die Prinzessin in ihr Schlafgemach, um zu lesen. In der Bibliothek hatte sie ein Buch gefunden, das sie ungemein interessierte. Sie hatte es unter ihrer Matratze versteckt. Im Schlafgemach gab es aber ein Problem.

Die Prinzessin kommt herein und sieht die Kinderfrau. Die stickt und blickt auf.

VL:

Dort saß die Kinderfrau und stickte an einem Deckchen.

Die kleine Prinzessin entschied sich dafür, ein bisschen zu schwindeln:

Prinzessin:

„Ich will schlafen, lass mich bitte allein.“

VL:

Zum Glück stand die Kinderfrau auf und schickte sich an, das Gemach zu verlassen:

Kinderfrau:

„O je, Prinzessin, hat dich der Unterricht so sehr angestrengt?

Du bist noch so klein und sollst schon so viel lernen.

Schlaf schön, mein Engel.“

Die Kinderfrau streicht der Prinzessin übers Haar und geht ab.

Der Vogel kreischt und flattert hinter der Kinderfrau her.

Die Prinzessin lacht, die Kinderfrau hält sich im Gehen die Ohren zu.

VL:

Als sie endlich allein war, las die Prinzessin in ihrem Buch.

Der Vogel bringt ihr das versteckte Buch.

Sie liest. Der Vogel kuschelt sich an sie.

VL:

Das Buch handelte davon, wie die Ärzte schlimme Krankheiten heilen können, und auch davon, was alles noch nicht erforscht war an den Krankheiten.

Die Prinzessin dachte:

<Warum interessiert das die anderen Kinder nicht?

Jeder kann doch mal schlimm krank werden, und dann will man doch wissen, was gemacht werden kann. Nie kann ich mit den anderen darüber reden…>

Prinzessin:

„Außer Kasimir habe ich keinen richtigen Freund.“

VL:

Da wurde die kleine Prinzessin traurig und musste eine Weile weinen.

Die Prinzessin weint, der Vogel bringt ihr ein Taschentuch.

VL:

Als sie damit fertig war, dachte sie sich:

<Aber einer ist besser als keiner>, und sie beschloss,

Kasimir das interessante Buch von den Krankheiten zu bringen.

Auch er konnte schließlich mal krank werden.

Die Prinzessin hört auf zu weinen.

Sie klappt das Buch zu und geht mit entschlossenem Schritt ab. Das Buch nimmt sie mit.

VORHANG

5.Bild

König und Königin, Prinzessin, 2 Minister, Alexander

Thronsaal. Alexanders Landkarte.
König und Königin sitzen auf ihren Thronen.
Daneben liegen 2 Sitzkissen (für die Minister).

Die Prinzessin hat sich unter dem Tisch versteckt und hört die ganze Zeit aufmerksam zu.

VL:

Jeden Montag, genau um 12 Uhr, ließ der König Minister und Gelehrte zu sich kommen.

Und jetzt war Montag. Die Prinzessin verhielt sich ganz ruhig und still, damit sie hören konnte, was die Erwachsenen redeten.

Die Uhr schlägt 12.

2 Minister kommen herein und setzen sich dem Königspaar zu Füßen.

Dann kommt Alexander herein, seine Landkarte unter dem Arm. Er verbeugt sich vor dem Königspaar, bleibt stehen und erzählt und gestikuliert.

Er entrollt seine Landkarte und zeigt sie allen.

VL:

Heute war ein Mann da, der Alexander hieß. Er hatte die ganze Welt bereist und erzählte spannende Geschichten von fernen Ländern.

Die Prinzessin hätte gerne noch länger zugehört, aber der König bekam Hunger und wollte Mittag essen, und so schickte er den Mann weg.

Der König fasst sich an den Bauch und wedelt Alexander weg. Der verbeugt sich noch mal und geht.

Alle drei setzen sich an den gedeckten Tisch.

Sie essen.

VL:

Beim Essen wagte die kleine Prinzessin zu fragen:

Prinzessin:

„Kommt der weit gereiste Mann wieder?“

VL:

Die Königin hob erstaunt die Augenbrauen und forderte die Prinzessin auf, lieber ihr Püree zu essen – aber die Prinzessin trotzte. Sie dachte: <Jetzt oder nie!> Mutig fragte sie weiter:

„Kann der Mann mein Lehrer sein, er weiß so viel!“

Nun wunderte sich auch der König, denn er hatte gar nicht bemerkt, dass die Prinzessin im Thronsaal zugehört hatte.

Der König ruft unwillig:

„Du hast den besten Lehrer, also komm nicht auf so dumme Gedanken!“

VL:

Die Prinzessin aß weiter und dachte darüber nach, ob ihre Gedanken wirklich dumm waren.

Und je länger sie so nachdachte, desto wütender wurde sie.

Schließlich riss ihr der Geduldsfaden.

Sie schrie so laut, dass sich alle die Ohren zuhalten mussten. Sie brüllte und trampelte mit den Füßen.

Prinzessin tut all dies.

VL:

Und als sie wieder Zeit zum Luft holen hatte, sagte sie ganz laut und deutlich: „Mutter und Vater, wozu bin ich eine Prinzessin, wenn ich mir nie was wünschen darf?

Ich wünsche mir diesen Mann als Lehrer und damit basta! Und wenn ich ihn nicht kriege, dann…dann…dann esse ich nie mehr Püree!“

Die Eltern waren erschrocken. Aber sie hatten die Prinzessin lieb.

So sagte der König:

„Also gut, er soll geholt werden.“

VORHANG

6. Bild

Prinzessin, Alexander, Königin und König, Minister

Die Prinzessin sitzt im Thronsaal (seitlich zum Publikum). Alexander tritt auf und sagt ihr Guten Tag.

VL:

Nun bekam es die kleine Prinzessin mit der Angst.

Was würde der Mann dazu sagen, dass er ihr Lehrer sein sollte?

Alexander:

„Ich heiße Alexander. Ich soll dein Lehrer sein.“

VL:

Von der Kinderfrau hatte die Prinzessin erfahren, dass er diesmal nicht freiwillig gekommen war. Die Palastwache hatte ihn mit Gewalt von seinem Hause zum Schloss gezwungen.

Und da stand er nun und war insgeheim stinksauer auf die Prinzessin.

Die Prinzessin sagte:

„Ich bitte um Entschuldigung. Ich bin sehr an deinen Geschichten über die fernen Länder interessiert und möchte von dir lernen. Wenn es dir jetzt nicht gut passt, können wir uns ja ein anderes Mal treffen.“

So artig hatte man die kleine Prinzessin lange nicht reden gehört.

Der Mann mit Namen Alexander war beeindruckt. Und da er Geld für neue Reisen verdienen wollte, willigte er ein, Prinzessin-Lehrer zu werden.

Alexander gibt der Prinzessin die Hand und schlägt durch.

Alexander:

„Okay, abgemacht. Fangen wir an. Ich gebe dir aber schwierige Rätsel auf.“

Prinzessin:

„Das macht nichts, ich werde sie schon lösen.“

Prinzessin und Alexander unterhalten sich (leise) angeregt.

VL:

Nun begann eine schöne Zeit für die Prinzessin.

Alexander behandelte sie nicht wie ein kleines Kind, sondern sprach ganz normal mit ihr.

Sie lernte, ohne es zu merken, denn es machte ihr großen Spaß.

Und tatsächlich löste die Prinzessin die schwierigsten Rätsel, die Alexander ihr aufgab. Und alle, die das hörten, staunten.

Die Minister, König und Königin kommen, nehmen Platz und hören zu.

Alexander gibt ihr ein Rätsel auf:

Alexander:

„Prinzessin, was ist braun oder weiß oder schwarz,

hat vier Beine und kann an beiden Enden gleich gut sehen?“

Tuschel, tuschel bei allen Zuschauern. (= wie schwer / keine Ahnung / so was gibt’s doch gar nicht…

VL:

Die Prinzessin musste eine Weile nachdenken, dann sagt sie:

„Ist doch einfach. Das ist ein Pferd, das die Augen zugemacht hat.“

Alexander:

„Prinzessin, du bist nicht dumm, sondern klug.“

Alle Anderen staunen und gehen weg.

VORHANG

7. Bild

Königin und König, Prinzessin, Alexander, Der kluge Vogel

Thronsaal.
König und Königin sitzen am Tisch und unterhalten sich.

VL:

Die Mutter der Prinzessin, die Königin, machte das Alles gar nicht froh.

Eines Abends sagte sie sorgenvoll zum König:

„Unsere Tochter ist allzu klug. Was soll aus der Prinzessin werden? Welcher Prinz wird sie heiraten wollen?

Die meisten Prinzen wollen keine strohdumme Prinzessin zur Frau, aber allzu klug soll sie nun auch wieder nicht sein.“

Der König antwortete:

„Du hast Recht, Frau. Was soll ein Prinz mit einer Prinzessin, die mehr weiß und besser denken kann als er? Er muss ja Angst haben, dass sie nicht auf ihn hört und dass ihn die anderen Männer auslachen.

König:

Wir werden den Lehrer wegschicken, denn der ist an allem Schuld.“

VL:

Und so geschah es. Alexander musste gehen.

Der König ruft:

„Alexander, Prinzessin. Mal herkommen!“

Alexander und die Prinzessin treten auf.

König:

„Alexander, du musst gehen. Die Prinzessin wird zu klug.“

Prinzessin (laut):

„Nein, nein, er soll hier bleiben!“

VL:

Die Prinzessin weinte und klagte und zeterte, aber es half Alles nichts.

Prinzessin tut dies ausgiebig.

König (laut):

„Nein“

und er weist Alexander die Tür.

Alexander und die Prinzessin sehen sich an, fassen sich an den Händen.

Dann geht Alexander weg.

Die Prinzessin setzt sich hin und weint.

Die Eltern treten ab.

Der kluge Vogel kommt angeflattert und versucht die Prinzessin zu trösten.

VORHANG

AUS dem OFF:

VL:

Alexander ging auf eine weite Reise.

Er war sehr traurig, weil er die Prinzessin verlassen musste.

Und weil es noch keine Post und kein Telefon und keine E-Mails gab, hörten die beiden nie mehr etwas voneinander.

Alexander dachte oft an die Prinzessin und hoffte, dass sie glücklich sein möge.

Und die Prinzessin dachte oft an Alexander und hoffte, dass er glücklich sein möge.

8. Bild

Königspaar, Prinzessin, Prinz Heinrich.

Thronsaal, gedeckte Tafel für 4 Personen.

Das Königspaar und die Prinzessin treten auf und setzen sich zum Essen.

VL:

Als einige Zeit vergangen war, kam Prinz Heinrich angeritten.

Er wollte König in dem großen Königreich werden, und dazu musste er die Prinzessin heiraten.

Prinz Heinrich erscheint, kniet nieder und wird aufgefordert, mit zu essen.

Er setzt sich an den Tisch und beginnt zu essen. Sie reden leise miteinander.

VL:

Der Prinzessin grauste es, als sie beim Essen merkte, wie dumm er daherredete, und zur Probe stellte sie ihm eine Frage:

Prinzessin:

„Prinz Heinrich, wenn ich dich heirate und dir zwei Töchter und zwei Söhne gebäre, wie viele Kinder haben wir dann?“

VL:

Der Prinz lächelte mitleidig und antwortete:

Prinz Heinrich:

„Fünf. Aber das reicht mir nicht, ich will zehn Kinder haben!“

Die Prinzessin lacht und schlägt die Hände vors Gesicht. Sie sagt zur Königin gewandt:

„Mutter, dieser Mann ist wirklich zu dumm, er könnte nicht mal seine Kinder zählen.“

VL:

Die Königin seufzte, und Prinz Heinrich zog von dannen.

Die Königin seufzt und schickt Prinz Heinrich weg.

Prinz Heinrich geht ab.

VORHANG.

9. Bild

Prinzessin, Kasimir, Pferd. Prinz Kuno.

Pferdestall. 2 Bücher. Schwert.

Kasimir und die Prinzessin sitzen einträchtig zusammen und lesen.

Das Pferd scharrt mit den Hufen und guckt auch ins Buch. Es schüttelt den Kopf und wiehert.

VL:

Bald darauf kreuzte Prinz Kuno auf.

Er fand sich nicht nur schön und stark, sondern auch sehr klug.

Prinz Kuno kommt mit seinem Schwert fuchtelnd dazu.

Zur Prinzessin gewandt sagte er:

„Ich weiß, dass du einen klugen Prinzen heiraten willst. Ich bin dieser kluge Prinz.“

VL:

Die Prinzessin dachte:

<Er ist nicht ganz so dumm wie Heinrich, deshalb muss ich ihm eine schwierigere Frage stellen, um ihn zu prüfen.>

Und sie sprach:

„Sag mir, Prinz Kuno, was wünschst du dir: eine Frau, die dümmer ist als du selbst oder eine Frau, die klüger ist als du selbst, oder eine Frau, die genauso klug ist wie du selbst?

Sage mir morgen deine Antwort.“

Prinz Kuno aber überlegte nicht lange, er antwortete:

„Es gibt gar keine Frau, die so klug ist wie ich oder gar noch klüger. Also kann ich mir nur eine Frau wünschen, die dümmer ist als ich. Das macht auch gar nichts, denn ich denke für sie mit und sage ihr, was gut und richtig ist.“

Prinzessin:

„Durchgefallen. Du kannst gehen!“

Die Prinzessin wendet sich ab und guckt Kasimir an. Beide lachen.

VL:

Sie mussten sehr lachen über den eingebildeten Prinzen.

Das Pferd hopst und wiehert.

Kuno zieht wütend fuchtelnd von dannen.

VORHANG.

10. Bild

Prinzessin, Königspaar, Prinz Adelbert, Vogel.

Thronsaal. Rosenstrauß.
Das Königspaar sitzt auf dem Thron.

VL:

Nicht lange, da kam der nächste Prinz, der es auf die Prinzessin und das Königreich abgesehen hatte.

Er hieß Adelbert, er war gelehrt und wollte schnell heiraten, denn er hatte sich gleich auf den ersten Blick in die schöne und kluge Prinzessin verliebt.

Die Prinzessin wird gerufen. Sie erscheint.

VL:

Der König sprach sehr ernst zur Prinzessin:

„Gleich kommt Prinz Adelbert. Er ist gelehrt und sehr in dich verliebt. Du wirst ihn heiraten.“

Prinz Adelbert erscheint,

überreicht der Prinzessin einen Rosenstrauß und will sie küssen.

Die Prinzessin wehrt ihn ab und spricht:

VL:

„Immer mit der Ruhe, erst musst du mir eine Frage beantworten:

„Stell dir vor, du hast eine Frau, die oft bessere Ideen hat als du. Könntest du das ertragen?“

Adelbert wollte alles richtig machen, denn er wollte doch so gerne, dass die Prinzessin ihn heiratete.

Also dachte er angestrengt nach und dachte nach und dachte nach…

Die Prinzessin wippte ungeduldig mit dem Fuß und ging auf und ab.

Der kluge Vogel kommt und flattert um Adelbert herum:

Der kluge Vogel:

„Na, was ist? Na, was ist, weißt du´s nicht?“

VL:

Adalbert dachte: <Ich bin der Mann und will natürlich der Klügere sein.>

Aber er wollte auch die Prinzessin nicht kränken.

Schließlich hatte er seine Antwort gefunden und ging zur Prinzessin hin.

Der Prinz geht zur Prinzessin und sagt ihr seine Antwort:

„Prinzessin, es macht mir nichts aus, wenn meine Frau gute Ideen hat. Sie braucht sie ja nicht zu sagen. Wenn sie ihre guten Ideen nicht ausspricht, können sie ja kein Unheil anrichten.“

Traurig schüttelte die Prinzessin den Kopf.

Prinzessin:

„Das reicht mir nicht, Prinz Adelbert.“

VL:

Auch diesen Prinzen wollte sie nicht heiraten, aber der König hatte keine Geduld mehr mir seiner Tochter. Er verkündet:

König:

„Schluss jetzt. Morgen wird Hochzeit gefeiert!“

Der kluge Vogel kreischt auf und flattert weg.

Die Prinzessin steht starr da, mit weit aufgerissenen Augen.

VORHANG

11. Bild

Prinzessin, Vogel, Kasimir, Pferd

Zimmer der Prinzessin.
Schatzkiste oder Sparschwein mit Goldtalern und Schmuck. Brief+ Stift.
Tasche. Lieblingssachen. 2 Bücher.

Die Prinzessin sitzt da und ist traurig. Der kluge Vogel hockt bei ihr und streichelt sie und piepst leise.

VL:

Was sollte die Prinzessin nun tun? Traurig saß sie in ihrem Zimmer.

Ein paar Sekunden vergehen lassen.

VL:

Plötzlich stand die Prinzessin auf sagte zu sich selbst:

„Nein, ich will meine guten Ideen nicht verschweigen. Ich will sie laut sagen. Und niemand soll mich komisch finden, weil ich gerne lese und gerne denke.

Ich will auf die Suche gehen und Freunde finden, die so sind wie ich.“

Und da die Prinzessin nun gar nicht mehr klein war, nahm sie alles Gold aus ihrer Schatztruhe und packte ihre Lieblingssachen in eine große Tasche.

Prinzessin holt ihre Schatzkiste und packt die Goldtaler und den Schmuck in eine Umhängetasche.

Der Vogel bringt ihr noch zwei Bücher, die sie einpackt.

Dann steckt sie noch ein paar Lieblingssachen ein.

Sie setzt sich hin und schreibt einen Brief.

VL:

Für ihre Eltern schrieb sie einen Brief, darin stand:

„Liebe Mutter, lieber Vater, ich ziehe in die Welt und suche mein Glück. Drückt mir bitte die Daumen, dass ich es finde.“

Sie legt den Brief auf den Stuhl.

VL:

Dann ließ die Prinzessin ihren alten Freund Kasimir holen.

Prinzessin sagt zum Vogel:

„Hole Kasimir.“

Der Vogel flattert davon und kommt mit Kasimir zurück.

Prinzessin zu Kasimir:

„Bring mir bitte das schnellste Pferd. Ich will in die Welt ziehen und mein Glück suchen.“

Kasimir bringt das Pferd, die Prinzessin nimmt die Zügel. Sie hängt sich ihre Tasche um.

Sie umarmt Kasimir und geht mit dem Pferd weg.

Der kluge Vogel fliegt mit.

Die Prinzessin winkt und lacht.

VL:

Und dann zog die Prinzessin, ein bisschen bange und doch ganz voll Freude, in die weite Welt –

und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie noch heute.

Als Anregung liste ich hier die Kostüme und Requisiten auf, die ich bei meinen Theaterprojekten mit hoch begabten Vor- und Grundschulkindern für dieses Märchen verwendet habe. Aber die Kreativität von uns Erzieherinnen ist ja nicht zu stoppen…

Kostüme:

Prinzessin:

1) weißes T-Shirt, blauer Unterrock, gelber Überrock, Gürtel aus Perlen, Krone aus weißer Tortenspitze mit gelben Seidenrosen

2) weißes T-Shirt, blauer Unterrock, weißer Überrock aus Gardinenspitze, Gürtel aus Perlen, Krone aus blauer Kette und rosa Rosen

3) Reitdress: Leggins, Krone aus schmaler Spitze, buntes Umschlagtuch

Kinderfrau:

langer Rock, buntes Tuch

König:

goldene Pappkrone, Umhang aus blauer Gardinenseide, Überwurf aus Goldnetz (Gardinenstoff) mit blaugoldener Borte beklebt

Königin:

goldene Pappkrone, elegantes Kleid, weiße Spitzenstola, weiße Perlenkette

Der kluge Vogel:

altes langärmeliges T-Shirt, mit bunten Bastelfedern beklebt

Stallknecht Kasimir:

derbe Hose, Holzfällerweste, Nikituch

1-2 Pferde:

Pappköpfe, brauner / schwarzer Umhang

Erster Lehrer:

schwarze Weste

Lehrer Alexander:

grüne Weste

2 Minister:

schwarze Leggins, schwarze T-Shirts, schwarze Kappen

Prinz Heinrich:

goldene Papp-Krone, roter Umhang mit Goldborte, türkisfarbener (Stoff-) Gürtel, Schwert

Prinz Kuno:

goldene Papp-Krone, blauer Umhang mit Goldborte, schwarzer Gürtel, Schwert

Prinz Adelbert:

goldene Papp-Krone, grauer Umhang mit rotgoldener Borte, schwarzer Gürtel, Schwert, Rosenstrauß

Requisiten:

Thron für König und Königin, Tisch + 3 Stühle, Tafeltuch,

3 silberne Teller, 3 silberne Becher, silberner Krug (Alufolie),

Kasimirs Buch und Bücherstapel, Stickerei der Kinderfrau, Taschentuch

Stoff-Kulisse Zimmer der Prinzessin mit Fenster, Himmelbett und Vogelbauer

Stoff-Kulisse Pferdestall

Topf und Hammer für 12 Uhr-Schläge aus dem Off

2 Sitzkissen für die Minister, aufgerollte Landkarte

Sparschwein mit Schokoladen-Goldtalern


Siehe auch:

Märchen von der Prinzessin, die fast allen zu schlau war (Text ohne Regiehinweise)

Theaterspiel im Kindergarten

Theaterspiel mit hoch begabten Kindern

Verbergen von Fähigkeiten und Interessen

 

Theaterspiel: Hänsel und Gretel

von Hanna Vock

 

Vorbemerkung:

Das Märchen „Hänsel und Gretel“ ist für viele Kinder faszinierend, da die Helden der Geschichte Kinder sind, die zusammenhalten und sich erfolgreich gegen das Böse behaupten.

Um es mit Kindergartenkindern zu spielen, habe ich das Märchen verändert:

Die grausamen Anteile wurden aus dem Märchen heraus genommen, und zwar sowohl die Absicht der Hexe, Hänsel fett zu füttern und zu braten, als auch das Verbrennen der Hexe zum Schluß.
Diese Teile sind nicht wesentlich für die Geschichte und können problemlos durch Gemeinheiten ersetzt werden, die den Kindern näher und weniger grausam sind…

Ich finde, es ist noch einmal ein Unterschied, ob Kinder das Märchen in der eigentlichen (grausamen) Form hören oder lesen – oder ob sie es immer und immer wieder spielen.
Mehr dazu, wie das Theaterspiel mit diesem Märchen erstmalig entwickelte, siehe in: Theaterspiel im Kindergarten.

Den Kindern zu erklären, warum die Veränderungen vorgenommen wurden, und dies mit ihnen zu diskutieren, ist wichtig und ist auch eine gute Gelegenheit kognitiver Förderung.

Dieses Märchenspiel habe ich mehrfach mit Kindergarten- und Grundschulkindern erarbeitet, darunter auch mit hoch begabten Kindern.

Interessant war für mich, dass hoch begabte Kinder im Vor- und Grundschulalter die Struktur und die Details des Theaterstücks deutlich schneller begriffen und speicherten als andere Kinder. Sie waren auch öfter daran interessiert, die Inhalte zu diskutieren.

Bei ähnlicher Anfangslust blieben sie wesentlich ausdauernder bei der Sache und zeigten einen hohen Anspruch an die Stimmigkeit aller Einzelheiten. Bei Unaufmerksamkeit Einzelner reagierten sie leicht unduldsam und ärgerlich.

Die Hauptrollen übernahmen die hoch begabten Kinder, die auch schauspielerisches Talent bewiesen. Die Kinder, die die Nebenrollen spielten, mussten nicht annähernd so ausdauernd und konzentriert agieren, trugen aber ebenfalls wesentlich zum Gelingen des Spiels bei und hatten auch entsprechende Erfolgserlebnisse.

Achtung:
Es kann passieren, dass keines der Kinder die böse Hexe spielen will. In diesen Fällen musste eine Kollegin diese Rolle übernehmen.

Die Geschichte wurde Bild für Bild erarbeitet, manche Kinder probierten mehrere Rollen nacheinander aus und manche Rollen waren doppelt und dreifach besetzt.

Das folgende „Drehbuch“ entwickelte ich während der Arbeit mit den Kindern, eine Kollegin übernahm die Rolle der Erzählerin. Ich führte die Regie, konnte diese Aufgabe aber zunehmend an hoch begabte Kinder abgeben, die durch organisatorisches Talent auffielen.

Zur Methodik siehe auch: Theaterspiel im Kindergarten und
Theaterspiel mit hoch begabten Kindern.

Hänsel und Gretel

Rollen:

Erzählerin
Stiefmutter
Vater
Hänsel
Gretel
Hexe

Eichhörnchen
Mond
mehrere Vögelchen
Uhu
Sonne
Angsthase
schwarze Katze
Schneeflocken

Kulissen / Requisiten:

1. Bild:

Wald-Kulisse, Bäume im Raum
Tisch, 4 Stühle, Kanne mit Wasser, 4 Gläser
Kieselsteine auf dem Boden,
Bettstellen für Hänsel und Gretel

2. Bild:

Haustür

3. Bild

Schlüssel und Brot

4. Bild

genauso

5. Bild

Hexenhaus: Fensterscheibe aus Transparentpapier
zwei echte Lebkuchen / Kekse für Hänsel und Gretel
Licht aus dem Hexenhaus (Taschenlampe)

6. Bild

Käfig
Tisch + Töpfe, Zaubertopf mit Deckel, Bürste
„Scheinwerfer“ (z.B. starke Stehlampen)
Musikinstrumente Trommel und Becken

Kostüme:

Uhu: Schnabel + Flügel
Mond: gelbe Kleidung und Pappkreise vorn und hinten
Vögel: einfarbige Kleidung + Flügel + Schnabel
Angsthase: braune Fellkleidung + Ohren
Sonne: helle Kleidung + zwei Pappkreise mit Strahlen
Schneeflocken: weiße Kleidung und Wattekränze

Erzähler

Regie

1.Bild

Es lebten einmal vor langer Zeit ein Junge und ein Mädchen. Das Mädchen hieß Gretel, und der Junge hieß Hänsel. Sie wohnten mit ihrem Vater und der bösen Stiefmutter in einer Hütte am Waldesrand.

Die Stiefmutter hatte die Kinder gar nicht lieb, und der Vater war ohne Mut.

Sie waren sehr arm, oft hatten sie nicht genug zu essen und mussten hungrig bleiben.

Heute können sie sich wieder nicht satt essen, der Bauch tut ihnen weh. Die Stiefmutter schickt die Kinder ins Bett.

Alle vier sitzen vor der Höhle an einem Tisch, auf dem nur eine Kanne mit Wasser und 4 Gläser stehen.

Die Kinder gucken traurig. Die Stiefmutter gießt Wasser in die Gläser.

Sie trinken ein bisschen Wasser und werden hungrig ins Bett geschickt.

Gretel schläft ein, Hänsel hört, wie die Eltern reden. Er hockt sich an die Tür, um alles besser mitzukriegen.

Der Vater sagt: „Unsere armen Kinder haben so schlimmen Hunger.“

Und die böse Stiefmutter antwortet:

„Es ist nichts mehr zu essen im Haus, alles ist aufgebraucht. Das wenige, was wir noch kaufen können, reicht nur für mich und für dich, aber nicht noch für die Kinder. Morgen bringen wir sie in den Wald und lassen sie allein.“

Der Vater erschrickt und jammert: „Oje oje oje oje“.

Die Kinder wälzen sich eine Weile im Bett herum, und Gretel schläft ein.

Hänsel setzt sich langsam auf und lauscht heimlich.

Die Stiefmutter guckt die ganze Zeit böse.

Hänsel horcht angespannt und macht ein erschrockenes Gesicht.

VORHANG

2.Bild:

Hänsel ist ganz erschrocken, über das, was er gehört hat. Was kann er tun? Er hat Angst, dass er und Gretel aus dem Wald nicht mehr nach Hause finden.

Plötzlich hat er eine Idee:

Er wartet, bis die Eltern schlafen gehen. Dann schleicht er sich ganz leise und heimlich aus der Hütte und sammelt draussen Kieselsteine.

Sein Freund, das Eichhörnchen, hilft ihm dabei.

Mit vollbepackten Hosentaschen schlüpft er wieder in sein Bett.

Alle Personen sind noch auf denselben Positionen.

Die Haustür hängt an Schnüren von der Decke herunter.

Die Eltern gehen schlafen.

Der Mond steht am Himmel.
Es ist dunkel.

Am nächsten Morgen geht der Mond unter, und die Sonne geht auf. Die Eltern gehen mit Hänsel und Gretel in den Wald. Die Stiefmutter sagt den Kindern, dass sie Holz fürs Feuer holen müssen.

Hänsel geht als letzter und lässt heimlich seine Kieselsteine fallen.

Mitten im Wald machen sie Rast. Die böse Stiefmutter sagt: „Ihr bleibt jetzt hier.“ Hänsel und Gretel setzen sich hin, und der Vater und die böse Stiefmutter gehen weg.

Es wird langsam dunkel, die Sonne geht unter.

Gretel bekommt Angst. „Wo bleiben unsere Eltern?“

Hänsel beruhigt seine Schwester: „Wir finden auch allein wieder nach Hause. Ich habe Kieselsteine auf den Weg gestreut. Wir warten, bis der Mond aufgeht. Im Mondschein werden wir die Kieselsteine blinken sehen.“

Und so kommt es auch. Der Mond geht auf, und die Kieselsteine zeigen ihnen den Weg. Unheimlich ist es doch im finstern Wald, darum stimmen beide ein Lied an und finden endlich nach Hause.

Scheinwerfer dimmen!

 

 

 

Lied:

1. Im Walde von Toulouse, da wohnt ein Räuberpack.

2. Es waren ihrer Fünfe, verborgen im Gebüsch.

3. Mein Herr, bleibt bitte stehen, wo habt Ihr Euer Geld?

4. Im selben Augenblicke, da kam die Polizei.

5. Im Walde von Toulouse gibt´s keine Räuber mehr.

VORHANG

3. Bild

Die böse Stiefmutter ist wütend und jagt die Kinder sofort ins Bett.

Zum Vater sagt sie: „Morgen bringen wir die Kinder noch tiefer in den Wald hinein. Nochmal finden sie den Weg bestimmt nicht mehr zurück. Dafür werde ich sorgen.“

Sie schließt die Tür fest zu und versteckt den Schlüssel.

Diesmal hat Gretel alles gehört. Sie will auch heimlich Kieselsteine sammeln, aber sie kann nicht aus dem Haus.

Da fällt ihr ein, dass die böse Stiefmutter noch ein Stück Brot für sich versteckt hat. Das holt sich Gretel, steckt es in ihre Tasche und schleicht ins Bett zurück.

Schlüssel

Brot

VORHANG

4. Bild

Die Sonne geht auf.

Der Vater weckt die Kinder, und sie machen sich auf den Weg.

Gretel geht als Letzte hinterher und zerkrümelt das Brot. Sie denkt: „Die Brotkrumen werden uns den Weg nach Hause zeigen.“

Die Eltern lassen die Kinder im tiefen Wald allein.

Ein paar Vögelchen , die auch hungrig sind, kommen angeflattert und picken alle Brotkrumen auf.

Als die Eltern gar nicht wiederkommen, bekommt Hänsel Angst und weint. Gretel tröstet ihn: „Wir werden den Weg nach Hause finden, ich habe heimlich Brotkrumen gestreut.“

Da fasst auch Hänsel wieder Mut, und beide beginnen nach den Brotkrumen zu suchen.

Mond verschwindet, Sonne kommt.

Hänsel und Gretel werden in den Wald gebracht und lassen sich dort nieder.

VORHANG

5. Bild

O je, sie finden nichts und geraten immer tiefer in den Wald. Es wird schon wieder dunkel, und der Mond geht auf.

Ein Uhu fliegt mit unheimlichem Schrei durch den Wald.

Schließlich fängt es an zu schneien, die Schneeflocken tanzen.

Hänsel und Gretel ist es unheimlich zumute. Sie frieren und haben schrecklichen Hunger.

 

 

 

Ein kleiner Angsthase kommt herbeigehoppelt und will die Kinder aufhalten.

 

Die Kinder sehen aber in der Ferne ein Licht blinken. Dort wollen sie hin.

Sie gehen vorsichtig näher und finden ein wunderbares Häuschen.

Sie staunen und können kaum glauben, was sie sehen:

Das Häuschen ist über und über mit Lebkuchen behangen und die Fensterscheiben sind aus Zucker.

Sie fangen an zu knabbern und zu futtern.

Plötzlich springt eine schwarze Katze vom Dach.

Die Kinder weichen zurück, aber der Hunger treibt sie wieder zum Haus, sie essen weiter.

Dann ertönt aus dem Haus eine seltsame Stimme…

Die Kinder antworten:…

Sie knabbern weiter, plötzlich öffnet sich die Tür, und eine Hexe tritt heraus und lockt die Kinder ins Pfefferkuchenhaus.

Sonne weg.

Hexenhaus

Hexe im Hexenhaus

Alle Kinder singen

1. Schneeflöckchen, Weißröckchen“,
wann kommst du geschneit?
Du wohnst in den Wolken,
dein Weg ist so weit.

2. Komm setz dich ans Fenster,
du lieblicher Stern,
malst Blumen und Blätter,
wir haben dich gern.

3. Schneeflöckchen, Weißröckchen,
komm zu uns ins Tal,
dann baun wir den Schneemann
und werfen den Ball.

Die Schneeflocken setzen sich in den Hintergrund.

Der Hase ruft:
„Geht nicht weiter, geht nicht weiter!“

Hexe macht im Haus Licht an.

 

 

 

 

Hexe: „Knusper, knusper…“

Kinder: „Der Wind…“

„Der Wind, der Wind, das himmlische Kind.“

VORHANG

6. Bild

Als die Sonne wieder aufgeht, ist Hänsel im Käfig gefangen. Die Hexe ist zu den Kindern sehr böse. Gretel muss den ganzen Tag putzen, schrubben und die Hexe bedienen.

Gretel macht sich an die Arbeit. Die Hexe wird müde und legt sich schlafen. Gretel schleicht sich zu Hänsel und erzählt ihm von den Töpfen.

Ob sie den verbotenen Topf doch mal anfassen soll? Vielleicht hat der Topf Zauberkräfte und hilft die Hexe zu besiegen.

Die schwarze Katze sieht Gretel bei Hänsel stehen und weckt die Hexe.

Gretel putzt weiter. Die Hexe krault die Katze und passt nicht auf.

Gretel schaut sich vorsichtig um, greift nach dem verbotenen Topf. Sie hebt den Deckel und sieht hinein.

Die Hexe verschwindet mit einem fürchterlichen Geheul und ist für immer verschwunden.

Gretel befreit ihren Bruder, sie tanzen vor Freude und beschließen, im Hexenhaus zu wohnen.

Sie laden alle ihre Freunde ein und feiern ein Fest.

Tisch mit Töpfen und Bürste.

Matte und großes lila Tuch für die Hexe.

Hexe wütet herum.

„Du schlechtes Mädchen, putz diesen Topf, dass er blinkt – aber diesen Topf nicht! Wehe, du fasst diesen Topf auch nur einmal an!

Murmelt zur Seite: „Wenn das Mädchen diesen Topf anfasst, dann bin ich verloren! Dann darf ich nicht mehr im Menschenreich bleiben!““

Die Hexe schnarcht.

Die Hexe humpelt zum Käfig und zerrt Gretel von ihrem Bruder weg und zetert:

„Du undankbares Ding, putz endlich die Töpfe“!“

Blitz-Effekt, Lärm von Trommel + Becken

Die Hexe zittert und ächzt, nimmt das lila Tuch auf, schwingt es vor sich, so dass sie für die Zuschauer verborgen ist und verschwindet unter lautem Geheul von der Bühne.

Alle Kinder laufen auf die Bühne. Sie fassen sich an den Händen und tanzen im Kreis und singen / rufen:

„Juchhu, die Hexe ist weg! Die Hexe ist weg!“

Alle lassen die Hände los und stellen sich mit Gesicht zum Publikum und singen:
„Hänsel und Gretel“

SCHLUSSVORHANG

Lied
Hänsel und Gretel

1.
Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald.
Es war so finster und auch so bitter kalt.
Sie kamen an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein,
Wer mag der Herr wohl von diesem Häuschen sein?

2.
Huhu, da schaut eine alte Hexe raus.
Sie lockt die Kinder ins Pfefferkuchenhaus.
Sie stellte sich gar freundlich. O Kinder, welche Not!
Sie ist so böse, die Kinder leiden Not.

3.
Doch als dann Gretel zum Topfe schaut hinein,
gibt es viel Donner und auch viel hellen Schein.
Die Hexe ist verschwunden, die Kinder ziehn ins Haus.
Nun ist das Märchen von Hans und Gretel aus.

 

Datum der Veröffentlichung: Februar 2017
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

Theaterspiel im Kindergarten

von Hanna Vock

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich vermute, dass Sie im Kindergarten arbeiten, also eine Kollegin oder ein Kollege von mir sind. Deshalb möchte ich gern gleich am Anfang zum kollegialen Du übergehen. Alle Männer und Frauen aus anderen Berufen mögen mir das verzeihen.

Mir macht das Theaterspielen mit Kindergartenkindern inzwischen großen Spaß. Früher war es eher mit gemischten Gefühlen besetzt. Und es klappte nie so ganz zu meiner und einiger Kinder Zufriedenheit.

 

…kurz gefasst…

Diesen Beitrag habe ich 1998 in meiner 10 Jahre währenden aktiven Zeit als Kita-Erzieherin geschrieben, daher erklärt sich der vom sonstigen Handbuch abweichende Stil.

Der Beitrag gliedert sich in folgende Abschnitte:

    • Der Entschluss, Theater zu spielen.
    • Die Geschichte auswählen.
    • Das Drehbuch entwerfen.
    • Theaterspielen ohne Sprechen – der Trick mit der  Erzähler-Rolle.
    • Und dann einfach anfangen!
    • Die Rollenverteilung.
    • Das Projekt entwickelt sich.
    • Und hinterher?

Da es hier nicht direkt um Hochbegabtenförderung geht,
lesen Sie bitte auch:
Theaterspiel mit hoch begabten Kindern

Inzwischen bin ich „im Beruf ergraut“, arbeite aber noch voller Lust in einer kleinen Kindertagesstätte.

Zu meiner Arbeitsweise im Kindergarten siehe auch:
Eine “ alte“ Konzeption in vollständiger Länge.

Vielleicht helfen Dir meine Erfahrungen, den Spaß am Theaterspielen früher zu entdecken. Vielleicht hast Du aber selber viel Erfahrung, an der ich sehr interessiert wäre…

Der Entschluss, Theater zu spielen

Wenn Du den Entschluss fassen willst, mit den Kindern (erstmalig?) ein Theaterprojekt zu beginnen, sind ein paar Vorüberlegungen hilfreich:

Spiele ich selbst gern Theater?

Wenn Du öfter mal sowas wie spontane Rollenspiel-Lust empfindest, ist schon eine wesentliche Voraussetzung erfüllt.
Fühlst Du aber eher Abwehr, Verlegenheit, Unlust, wenn zum Beispiel in einer netten Runde vorgeschlagen wird, Scharade zu spielen, oder wenn Du bei einer Fortbildung bei einem Rollenspiel mitmachen sollst, dann lass lieber die Finger davon. Die Kinder würden Deine Blockaden schnell spüren und sich auch selbst zurücknehmen.

Eigene (Theater-) Spiel-Lust ist auch deshalb eine notwendige Voraussetzung, weil es nach meiner Erfahrung wichtig ist, dass Du im Laufe des Projekts immer wieder selber mitspielst.

Welche Kollegin macht mit?

Günstig ist, wenn Du eine Kollegin hast, die das gesamte Projekt mit Dir zusammen durchführt und mit der Du Deine Beobachtungen und Gedanken austauschen kannst.

Ihr müsst nicht durchgängig zu zweit bei den Proben dabei sein, aber in manchen Phasen ist es hilfreich.

Toll, wenn Ihr beide spiellustig seid, das ist aber nicht unbedingt nötig, denn eine von Euch sollte die Rolle der Erzählerin (siehe unten) übernehmen. Die Erzählerin sollte natürlich gut vorlesen können.

Was soll das Theaterprojekt den Kindern bringen?

Ein Theaterprojekt über mehrere Wochen kann ein richtiges Abenteuer für Alle werden.

    • Die Kinder haben die (selten gewordene) Gelegenheit, sich mit einer Geschichte wirklich ganz gründlich auseinander zu setzen, immer neue Zusammenhänge und Einzelheiten zu entdecken. Die Eindrücke huschen nicht nur  eben so an der Oberfläche vorüber, sondern können „bis in die Tiefe des Gemüts sinken“.
    • Die Kinder erleben, wie aus einfachen, improvisierten Anfängen ein komplexes Geschehen (ein Kunstwerk) wird, weil Alle zusammenwirken und Jeder seine Rolle dabei verlässlich spielt. So erleben sie den Sinn disziplinierter, aufeinander abgestimmter Zusammenarbeit. Auch die kleinste Rolle ist wichtig, weil sie zum Ganzen dazugehört.
    • Sie erfahren genauer und tiefer, was Theater ist, als wenn sie nur als Zuschauer Theater konsumieren.
    • Vor allem die Kinder, die eine Hauptrolle spielen, erarbeiten sich ein Erfolgserlebnis, das ihr Selbstbewusstsein stärkt.
    • Die jüngeren Kinder und die Kinder, die kleine Nebenrollen spielen, kommen bei jeder Probe als Zuschauer in den Theatergenuss. Die Faszination und die Konzentration nehmen dabei nicht etwa von Mal zu Mal ab, sondern eher zu, wenn die Erzieherin es als Regisseurin versteht, Anforderungen und Fortschritte klar zu benennen.
      Es ist immer dieselbe Geschichte, aber das Projekt entwickelt sich von Probe zu Probe weiter, also gibt es für die jeweiligen Zuschauer auch immer Neues zu beobachten.
    • Wenn gut improvisiert wird, das heißt, wenn sich Niemand daran stört, dass die Kostüme oder die Kulissen noch längst nicht fertig sind, ist das eine wichtige Erfahrung für die Kinder. Ebenso wenn eben mal schnell ein Baustein ein Stück Brot ersetzen muss.
    • Und nicht zuletzt haben die Kinder die Chance, beim Theaterspiel ihre Ausdrucksfähigkeiten zu entdecken und zu entfalten.

Balance zwischen Spaß und Ernst

Beim Theaterspielen mit jungen Kindern gibt es einen Drahtseilakt: die Balance zwischen Spaß und Ernst.

Beides ist wichtig: Ohne Spaß, naja macht’s eben keinen Spaß – und wer will das schon? Die Kinder würden das Projekt irgendwann platzen lassen, wenn Du das Theaterspielen zu ernsthaft und trocken angehst.

Trotzdem ist ein befriedigendes Ergebnis wichtig, sonst ist es nicht Theater, sondern Karneval.
Das Ergebnis muss keine endgültige Aufführung vor Publikum sein. Die Entscheidung, ob es überhaupt eine „offizielle“ Schluss-Aufführung geben wird, sollte nicht am Anfang des Projekts getroffen werden. Diese Frage bleibt erst mal offen.
Mehr dazu weiter unten im Absatz: Aufführung Ja oder Nein?

Wie weit will ich störendes Verhalten dulden?

Wichtig erscheint mir, mit einer Kleingruppe von drei bis vier Kindern zu beginnen. Dies ist besonders wichtig, wenn Ihr das Theaterspielen neu in Eure Methodik aufnehmt und selbst erste Erfahrungen damit sammeln wollt.
Diese Kinder sollen besonders motiviert und vielleicht auch talentiert sein, denn sie „spuren“ für die nachfolgenden Kinder.

Störendes Verhalten einzelner Kinder ist kaum zu vermeiden, wenn die Gruppe schon am Anfang zu groß ist und für die Einzelnen Wartezeiten entstehen – oder wenn jetzt schon Kinder dabei sind, die nicht von vornherein motiviert sind.

Am Anfang geht es darum, störendes Verhalten von Kindern konsequent zu beantworten. Das könnte so aussehen, dass sie ermahnt werden, die anderen Kinder nicht zu stören, und dass sie im (ersten!) Wiederholungsfall den Platz des Geschehens verlassen müssen. Dies zu verwirklichen, ist in einer Kleingruppe wesentlich leichter.
Es ist erstaunlich, wie schnell die motivierten Kinder die Regel „Stören führt zum Ausschluss“ übernehmen und mittragen. Dabei ist das Motiv nicht, ein Kind auszugrenzen oder zu bestrafen, sondern selber in Ruhe arbeiten zu können.

Wenn die Entscheidung getroffen wird, dass störendes Verhalten nicht geduldet werden soll, ist es wichtig, dass das Team hinter dieser Entscheidung und überhaupt hinter dem Theaterprojekt steht. Dann werdet Ihr für aktuell störende Kinder eine Abnehmerin finden.

(Gefahr: Die Kolleginnen könnten eine solche Arbeitsweise als Dein Privileg empfinden; dies ist bei unzureichendem Personalschlüssel sogar recht wahrscheinlich, wenn in Eurer Kita die Kleingruppenarbeit als Methode nicht fest verankert ist.

In einer größeren Kita mit mehreren Gruppen und vielleicht sogar offener Arbeitsweise wird das ganz gut möglich sein. Ich arbeite in einer kleinen eingruppigen Tagesstätte, und unsere Ergänzungskraft hat die „Restgruppe“ während der ersten Proben übernommen.
Wie immer hat sich auch hier beim „Wegschicken“ bewährt, wenn es ganz selbstverständlich geschah, bevor unser Stressspiegel zu sehr gestiegen war – und wenn es mit einer knappen Erklärung versehen wurde, die ungefähr so aussah: „Was Du machst, stört hier zu sehr, geh bitte rüber zu Sandra.“

Unser erstes Theaterprojekt („Hänsel und Gretel“) gewann auf diese Weise Faszination für alle Kinder, so dass Störungen später so gut wie gar nicht mehr vorkamen. Auch eine tolle Erfahrung!

Die Geschichte auswählen

Es gibt viele Geschichten, die sich gut spielen lassen. Es lohnt sich, die vorhandenen Bilderbücher daraufhin durchzusehen.

Einfach umzusetzen – und daher für die ersten Versuche gut geeignet – sind Geschichten, die von Anfang bis Ende am selben Ort spielen, einen klaren Handlungsaufbau haben und ohne Verschachtelungen und Rückblenden auskommen.

So einfache Geschichten sind zum Beispiel „Die Raupe Nimmersatt“ oder „Der Regenbogenfisch“ oder auch „Die Vogelhochzeit“.

Die Raupe-Nimmersatt-Geschichte ist einfach aufgebaut und kann optisch wirkungsvoll in Szene gesetzt werden, wenn Erzieherinnen und Kinder einige Mühe auf ein fantasievolle Bühnenbild und die Gestaltung der Esswaren verwenden. Mit der Musik dazu kann ein rundum stimmungsvolles Theater mit den Kindern erschaffen werden.

Das eigentliche Theaterspielen besteht dann daraus, dass die Kinder zur rechten Zeit mit dem richtigen „Futter“ (Erdbeere, Törtchen usw. aus Pappe, jeweils mit einem Loch zum Durchschlüpfen) auftreten und von der Raupe durchkrabbeln lassen. Dies ist eine auch für Theateranfänger und kleinere Kinder zu bewältigende Aufgabe.

An die mimische Ausdruckskraft der Kindeer werden dabei keine Anforderungen gestellt. Nur die Raupe kann mimisch oder auch sprachlich ausdrücken, dass sie Hunger hat und „immer noch nicht satt“ ist.
Hier gibt es eine eindeutige Hauptrolle und einige Statisten-Nebenrollen.
Die Hauptrolle (Raupe) können sich zwei Kinder teilen: Ein Kind krabbelt aus dem Ei, frisst sich durch und verschwindet dann im Kokon. Das andere Kind sitzt von Anfang an (verborgen) im Kokon, erscheint dann zur rechten Zeit als schöner Schmetterling und spielt den Rest der Rolle.

Wenn Du und Deine Gruppe noch keine Erfahrung mit dem Theaterspiel habt, empfiehlt sich so eine vergleichsweise einfache Geschichte.

Wenn Du etwas Komplizierteres angehen willst – wie wär’s mit „Hänsel und Gretel“?
Was ich beim Theaterspielen im Kindergarten gelernt habe, will ich am Beispiel dieses Märchens zeigen. Die Erfahrungen lassen sich auf andere Geschichten übertragen.

Die Geschichte muss stimmen.

Zuerst überlegte ich: Warum gerade dieses Märchen? Es war schon lange eins meiner Lieblingsmärchen. Bevor ich es den Kindern zum Theaterspiel anbieten wollte, musste ich mir darüber klar werden, was ich an dem Märchen gut fand. Meine Kollegin fand es nicht so toll, vor allem zu grausam.

Es war aber wichtig, dass die Geschichte für uns beide richtig und stimmig war. Also beschäftigte ich mich näher mit den Inhalten und den Botschaften des Märchens.

Die starken Seiten der Geschichte:

    • Zwei Kinder halten zusammen, trösten und helfen sich gegenseitig.
      Sie erleben Angst und Bedrohung, aber sie sind stark und haben gute Ideen.
    • Sie werden konfrontiert mit dem Bösen in der Welt, zuerst in Gestalt der bösen Stiefmutter, die sie kalt und herzlos im Wald aussetzt.
      Sie erleben Feigheit und Schwäche in der Gestalt des Vaters, der seine Kinder nicht beschützt.
    • Und als Hänsel und Gretel schon Angst, Hunger und Verlassenheit erlitten haben, erscheint ihnen das Hexenhaus als Rettung aus aller Not. Die Hexe gibt sich freundlich – und jetzt erleben sie das Böse in seiner ganz gemeinen Form. Aber auch jetzt zeigen sie Stärke und Mut und besiegen das Böse.

Die schwachen Seiten der Geschichte:

    • Die Kinder kehren zum Vater zurück, obwohl der sie, als es um Leben und Tod ging, im Stich gelassen hat.
    • Die Vorstellung, dass Hänsel gebraten und von der Hexe gegessen werden sollte, zeigt das Böse zwar überdeutlich und ist eine dramatische Steigerung zur Aktion der bösen Stiefmutter, erschien uns aber für unsere heutigen Kinder und für unser eigenes Empfinden zu grauenvoll.
    • Als Gegnerinnen der Todesstrafe konnten wir uns auch nicht mit dem Ende der Hexe anfreunden. Gretel handelt zwar in höchster Notwehr, wenn sie die Hexe in den heißen Backofen sperrt – aber wir wollten das dann doch nicht so erzählen und spielen.
    • Die Rolle von Mädchen und Junge sind traditionell so gezeichnet, dass Hänsel beide Male nachts vors Haus schleicht und auf Rettung sinnt. Gretel ist beide Male die Ahnungslose und Passive. Das wollten wir so auch nicht stehen lassen.

Geschichten dürfen verändert werden.

Nirgends steht geschrieben, dass alles so bleiben muss, wie es ist. Auch die Märchen haben sich, bevor sie aufgeschrieben wurden und auch danach, immer wieder verändert. Sie wurden den sich wandelnden Lebensverhältnissen, dem Zeitgeist und der jeweils modernen Sprache angepasst.

Sicher gab es Erzählerinnen und Erzähler, die sich möglichst getreu an die Vorgaben gehalten haben, aber genauso sicher gab es immer wieder welche, die mit den Geschichten gespielt und neue Versionen erfunden haben. Und manchmal hat sich dann eine neue Version in einer Gegend durchgesetzt, weil sie den Leuten besser gefiel.

Wir haben in unserem Kindergarten schon eine längere Tradition im Umtexten von Liedern – warum also sollten wir nicht auch „Hänsel und Gretel“ in unserem Sinne umdichten? Und das haben wir dann gemacht.

Zunächst wurde Gretels Rolle aufgewertet: Als die Kinder mit Hilfe der leuchtenden Kieselsteine nach Hause zurück gefunden hatten, beschließen die Eltern zum zweiten Mal, die Kinder im Wald auszusetzen. Dieses Mal ist in unserer Version Gretel wach, hört alles und will mutig aus dem Haus schleichen.
Als sie die Tür verschlossen findet, verzweifelt sie nicht, sondern hat eine eigene Idee und nimmt den Brotrest an sich. Sie hatte bemerkt, wo die Stiefmutter das Brot versteckt hatte.

Dann beschlossen wir, dass Hänsel und Gretel nach überstandenen Gefahren und so viel bewiesener Selbstständigkeit nicht nach Hause zurückkehren, sondern vergnügt im Hexenhaus bleiben, wo es noch viele Lebkuchen zu knabbern gibt und die Hexe ihre Schätze aufgehäuft hat. Später entstand dann bei den Kindern noch die Idee, dass sie zum Schluss ihre Freunde einladen könnten zu einem großen Freudenfest.

Die Sache mit dem Fettfüttern und dem Gebratenwerden haben wir gestrichen. Hänsel wird von der Hexe in einen Käfig gesperrt, damit die Kinder nicht zusammen spielen können. Gretel muss den ganzen Tag arbeiten, und die Hexe ist unfreundlich und schimpft und schreit mit ihr. Hänsel muss das mitansehen und kann seiner Schwester nicht helfen. Das alles zusammen erschien uns schlimm genug und der Vorstellungswelt unserer heutigen Kinder näher.

Die Hexe wird am Ende nicht getötet, sondern sie verschwindet für immer mit Geheul und Blitz und Donner. Gretel führt dieses Verschwinden herbei, indem sie in einen verbotenen Topf guckt. Sie muss auch dabei all ihren Mut zusammennehmen, weil die böse Hexe ihr streng verboten hat, den Topf zu berühren. Um sich und ihren Bruder zu retten, muss Gretel also den verwundbaren Punkt der Hexe erahnen. Sie muss, obwohl die Hexe in der Nähe ist, ein Verbot übertreten und ein Tabu brechen, um das Böse zu besiegen. Uns erinnerte das an den Begriff der Zivilcourage…

Die Kinder mit der Geschichte bekannt machen.

Zunächst haben wir, vor allem mit den jüngeren Kindern, ausgiebig ein Hänsel-und-Gretel-Bilderbuch betrachtet und sie mit der Geschichte bekannt gemacht, wie sie im Bilderbuch erzählt wird. Die älteren Kinder kannten das Märchen, es reichte, es ihnen noch einmal zu erzählen. Dann konnten wir in die inhaltliche Diskussion über unsere Veränderungen einsteigen. Wir hatten dabei den Eindruck, dass einige Kinder den Sinn der Änderungen sofort erfassten und damit einverstanden waren.
Andere hielten sich mit Meinungsäußerungen zurück. Wir deuteten das so, dass diese Kinder sich die neue Version nicht wirklich vorstellen konnten. Sie hatten die Geschichte noch nicht so weit verinnerlicht, vielleicht hatten sie auch noch nicht die geistige Beweglichkeit und Reife, in einer Geschichte im Geiste Veränderungen vorzunehmen.
Wir hofften darauf, dass sich ihnen – wie auch den jüngeren Kindern – der Inhalt mit seinen Facetten im Verlaufe des Theaterspiels immer besser erschließen würde. Und so kam es auch: Am Ende des Projekts konnten die meisten der vier- bis sechsjährigen Kinder gedanklich in der Geschichte hin und her springen. Wir halten es aus dieser Erfahrung heraus auch für ein gutes geistiges Training. Unsere sechs Dreijährigen konnten das natürlich nicht in dem Maße, aber sie haben auf andere Weise profitiert.

Es gibt noch einen anderen, vielleicht besseren Weg, den wir aber in diesem Projekt nicht gegangen sind, weil wir schnell ans Spielen kommen wollten: Ihr könnt natürlich auch mit den Kindern zusammen nach inhaltlichen Veränderungen suchen. Dann stellt Ihr den älteren Kindern nur die Fragen, die Ihr selbst an den Inhalt habt, also zum Beispiel: „Ist der Vater eigentlich ein guter Vater? – Sollen Hänsel und Gretel zu ihm zurück gehen oder lieber im Hexenhaus bleiben?

Vielleicht kommt ein ganz anderes Ende als das von uns entworfene heraus, wenn die Kinder über die Frage nachdenken: „Wie können Hänsel und Gretel die Hexe besiegen, ohne dass sie sterben muss?“

Das Drehbuch

Nachdem die Geschichte nun klar war, ging ich daran, die Geschichte in den Computer zu tippen.
Die ganze Projektzeit über wurde am Drehbuch gebastelt. Es war erst fertig, als auch das Projekt fast beendet war. Beim Ausprobieren kamen neue Ideen hinzu, die eingefügt wurden. Manche erste Idee hat sich in der Praxis nicht bewährt und wurde verworfen.
Das Ergebnis könnt Ihr hier sehen: Theaterspiel „Hänsel und Gretel“.

Es enthält die Aufteilung in Bilder (Szenen), den Wortlaut der Geschichte und die Regieanweisungen.

Da unsere Kinder bereits über Basiserfahrungen mit Theaterspiel verfügten, konnten wir nach und nach die ganze Gruppe von 20 Kindern einbeziehen. Zu den aus dem Märchen bekannten Hauptrollen (Hänsel, Gretel, Vater, Stiefmutter und Hexe) wurden noch weitere Rollen erfunden: Sonne, Mond, schwarze Katze, Uhu, Eichhörnchen, mehrere Vögelchen, ein Angsthase und Schneeflocken.
Diese Rollen waren unterschiedlich umfangreich. Der Uhu, zum Beispiel, flatterte nur einmal durchs Bild und gab dabei Uhu-Laute von sich. Dem kleinen Jungen, für den wir die Rolle erfunden haben, war sie sehr wichtig und sie war sein persönlicher Zugang zum Theaterspiel.

Eine wichtige Rolle haben die Zuschauer. Alle Kinder der Gruppe, die in dem aktuellen Bild gerade nicht auftreten oder noch gar keine Rolle haben, sind Zuschauer, wenn sie es möchten. Für die agierenden Kinder ist es wichtig, dass sie ein Gegenüber haben und die Reaktionen des Publikums erfahren können.

Theaterspielen ohne Sprechen – der Trick mit der Erzählerrolle

Für kleine Kinder ist es schwierig, alle Ebenen des Spiels gleichzeitig zu beachten: Im richtigen Moment auftreten, sich auf der Bühne sinnvoll bewegen, die Mimik an das Geschehen anpassen, auf die Mitspieler achten – und dann auch noch Text behalten und sprechen?
Am einfachsten ist es, auf das Sprechen zu verzichten. Das kann sich, muss sich aber nicht im Verlaufe der Proben entwickeln. Kinder, die es sich zutrauen, können dann einzelne Sätze sprechen.

Ansonsten ist das Sprechen die Aufgabe der Erzählerin. Der Trick mit der Erzähler-Rolle ist: Sie erzählt die Geschichte, übernimmt das Sprechen und gibt den Kindern gleichzeitig Orientierung in der Geschichte: Die Kinder spielen, was sie hören.

Und dann einfach anfangen

Jetzt könnt Ihr mit der Probe der ersten Szene beginnen.
Hierfür braucht Ihr, wenn Ihr meinem Drehbuch folgen wollt, erstmal nur einen Tisch, 4 Stühle, 1 Kanne Wasser, 4 Gläser und die Bettstellen für Hänsel und Gretel.

Vier Kinder können mitspielen (Hänsel, Gretel, Stiefmutter, Vater). Lasst alle vier Kinder alle vier Rollen probieren, Nehmt Euch Zeit und beobachtet, wie die Kindeer agieren. Probiert hier schon aus, wie die Kinder sich zueinander und in Bezug auf das Publikum bewegen. Können die Zuschauer alles gut erkennen?

Kinder, die gerne zugucken möchten, übernehmen die wichtige Rolle des Publikums.
Am Ende dieser Proben der ersten Szene ist es sinnvoll, den Vorhang einzuführen. Er grenzt die Bühne klar vom Zuschauerraum ab und markiert den Beginn und das Ende der Szene. Erst wenn er geschlossen ist, gehen die Schauspieler von der Bühne, und es wird umgebaut.

Schön ist natürlich ein Vorhang aus Stoff, der auf- und zugezogen werden kann. Solange der nicht da ist, kann improvisiert werden.

Es könnten zum Beispiel vier Kinder die Verantwortung für das Öffnen und Schließen des Vorhangs übernehmen. Sie tragen von den beiden Bühnenseiten zwei Decken oder Laken auf die Vorhanglinie, die man schon vorher mit Kreide oder Klebeband markieren kann.
Auch sie brauchen ihre Probe, damit sie üben, den Vorhang schön gleichmäßig auf- und zuzuziehen.

Einmal waren keine geeigneten Decken zur Verfügung. (Ich befand mich mit einem Kinder-Theaterkurs in einem Raum der Volkshochschule.) Da fischten wir eine Tageszeitung aus dem Papierkorb und hielten die auseinandergefalteten Zeitungsseiten als Vorhang vor die Bühne. Das sah gar nicht schlecht aus!

Selber mitspielen

Am Anfang und auch später bei komplizierteren Stellen kann es hilfreich sein, wenn Du (die Regisseurin) immer mal wieder eine der Rollen übernimmst. Das hat zwei Vorteile: Erstens kannst Du ein Beispiel geben, wie die Rolle gestaltet werden kann (als Anregung, nicht als Schablone!). Dabei kannst Du gute Elemente, die die Kinder schon gezeigt haben, aufnehmen und damit bestärken.
Zweitens hilft es den Kindern bei ihrem Spiel, wenn schon mal Eine mitmacht, die im Ablauf der Szene sicher ist.

Die Rollenverteilung

Ziel sollte sein, dass alle interessierten und dazu fähigen Kinder am Ende alle Rollen, die sie spielen möchten, auch spielen können, also beherrschen.

Das setzt voraus, dass genügend Zeit dafür da ist, dass munter in allen möglichen Konstellationen geprobt wird.
Die Zuschauerrolle wird dadurch interessanter, wenn zu beobachten ist, wie verschiedene Kinder die Aufgaben lösen und die Rollen ausfüllen.

Je länger gespielt (im Sinne von geprobt) wird, desto mehr Kinder trauen sich, auch einmal etwas zu versuchen. Manche sind aber mit der Zuschauerrolle total zufrieden, und anderen ist der ganze Theaterkram suspekt und sie halten sich ganz raus. Sie werden ihre guten Gründe haben und dann ist das auch zu respektieren.

Auch der Austausch unter den Kindern, was wie am besten gemacht werden kann, wird durch den häufigen Wechsel der Rollenbesetzungen befördert. Nach meiner Erfahrung erkennt die Theatergruppe bei so einer Arbeitsweise auch mit der Zeit von selbst, wer welche Rolle besonders gut spielt.

Das heißt nicht, dass auch jedes einzelne Kind erkennt, dass ein anderes die Rolle besser spielt als es selbst, aber die Gruppe wirkt da doch regulierend.

Schwierig wird es, wenn am Ende eine Aufführung geplant ist. Denn dann muss ja eine Entscheidung getroffen werden. Die Rollen müssen verteilt werden, und das geht nicht ohne Frust ab – wie im richtigen Theaterleben auch.
Möglich sind eine Doppelbesetzung und zwei Aufführungen, aber das ist nicht immer eine alle befriedigende Lösung, wenn drei oder vier tolle Gretels gerne auch bei einer Aufführung dabeisein wollen.

Wenn also Theater in der Kita nicht so oft vorkommt und man die Enttäuschten nicht auf eine baldige neue Hauptrolle vertrösten kann, ist wirklich zu überlegen, ob man überhaupt eine Aufführung planen soll…

Das Problem der „bösen“ Rollen und der Verliererrollen

Bei einem Hänsel- und Gretel-Projekt wollte kein einziges Kind die Hexe spielen, auch überhaupt nicht nur mal ein bisschen. Alle wollten, dass es die Hexe gibt und dass sie böse sein musste – aber kein Kind wollte in diese Rolle schlüpfen.

Also konnte ich selber mich richtig austoben. Alle Kinder fanden es schaurig-schön, wenn die Hexe agierte, aber zwei Dreijährige hielten in der Stunde nach der ersten Probe mit Hexe vorsichtig Abstand zu mir, bis sie ganz sicher waren, dass ich mich nun wieder wie Hanna verhielt. Das passierte später nochmal, als wir mit Kostümen und Schminke probten.

Bei „Rotkäppchen“ wollten zwar drei sechsjährige Jungen der Wolf sein, sie konkurrierten um die Rolle – aber dass er am Ende in den Brunnen stürzen sollte, hielten sie zwar für den Wolf in seiner Rolle richtig und stimmig, aber für sie persönlich wurde die Rolle damit unbehaglich. Es ist eben letztlich eine Verliererrolle. Zwei der Drei überlegten dann, ob sie nicht doch lieber der Jäger sein wollten, überließen es dann aber doch Jüngeren. Sie fanden eine Lösung für sich: Sie gestalteten das In-den-Brunnen-Stürzen immer akrobatischer.

Das Hänsel-und-Gretel-Projekt entwickelt sich

Je mehr die Kinder in die Geschichte und die Rollen hineinwuchsen, desto mehr eigene Ideen brachten sie ein.
Nach und nach wurden die Nebenrollen ausführlicher geprobt, dadurch stiegen jüngere Kinder stärker ein und auch Kinder, die anfangs schüchtern wirkten, tauten auf. Die Nebenrollen waren: Sonne, Mond, schwarze Katze, Uhu, Eichhörnchen, mehrere Vögelchen, ein Angsthase und Schneeflocken.

Es entstanden Arbeitsgruppen für die Kulissen, die Kostüm- und Requisitenbeschaffung weitete sich aus, sodass ein Requisitenmeister gebraucht wurde, ebenso ein Beleuchter, der die Stehlampen entsprechend der Szene dimmte.
Alle Kinder waren vom Theaterfieber gepackt.

Es ergab sich glücklicherweise, dass die Kinder sich gegen Ende des Projekts friedlich auf eine feste Rollenverteilung einigten. So konnten wir die vielen Proben tatsächlich mit zwei Aufführunge krönen: die erste für die Eltern und Geschwister, und die zweite für Großeltern, die reichlich teilnahmen.

Und hinterher?

Es wäre schade gewesen, die Erfahrungen hier abzuschneiden. Beim nächsten Projekt konnten die Kinder darauf aufbauen. Die Arbeitweise war ihnen vertraut und es hatte ihnen so viel Spaß gemacht! Sie hatten auch viel Anerkennung erlebt.

Also war klar, es muss weitergehen. Die besonderen schauspielerischen Talente konnten sich bei weiteren „Produktionen“ entfalten. Aber auch technische Begabungen und Talente für die Regie-Arbeit zeigten sich.

 

Drei Drehbücher habe ich noch und stelle sie gerne zur Verfügung:

Theaterspiel „Hänsel und Gretel“

Theaterspiel „Rotkäppchen“

Das Märchen von der Prinzession, die allen zu schlau war (Theaterfassung)

Bitte beachte auch die Quizfragen zu Hänsel und Gretel
und die Quizfragen zu Rotkäppchen.

 

Es gibt selbstverständlich auch andere gute Zugänge zum Theaterspiel, siehe unter:

Beispiele für Theaterspiel im Kindergarten.

 

Datum der Veröffentlichung: April 2017
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

Kölsche Tön im Kindergarten

 von Beate Kroeger-Müller

 

Im Rheinland ist Karneval eine wichtige Zeit, viele bezeichnen sie als die 5. Jahreszeit. In unserem Kindergarten sangen einzelne Kinder, die das von zuhause kannten, kölsche Karnevalslieder. Manche Kinder staunten, weil sie nichts verstanden. Sie wollten aber gerne mitsingen, weil die Rhythmen so schnell ins Blut gehen.

Seitdem gab es ein neues Thema in unserem Kindergarten:

Was ist Kölsch?

 

So diskutierten die Kinder, kamen aber nicht recht zu einem Ergebnis. Kölsch ist offenbar nicht Deutsch, aber Englisch ist es auch nicht; was für eine Sprache ist das denn und wer kann sie übersetzen? Meine Kollegin als echte Kölnerin konnte weiterhelfen.

Kölsch ist eine Mundart und sogar eine Sprache, da sie über eigene Vokabeln verfügt. Es ist eine Regionalkultur und auch ein Lebensgefühl.

So entstand eine Atmosphäre von Humor und ein bisschen Verrücktheit – aber mit großem Lerneffekt.

 

Im Schnellkurs haben die Kinder mit Begeisterung eineinhalb Stunden lang „Vokabeln“ gelernt und Liedtexte geübt. Die Kinder waren alle mit Neugier und Freude dabei, was auch wieder auf die Eltern zurückstrahlte.

Auch so können Kinder erfassen, dass es Sprachen gibt, die sie zunächst nicht wirklich verstehen, aber lernen können. In diesem Fall war es für die Kinder relativ leicht, da Deutsch und Kölsch ja nahe beieinander liegen, wobei die Sprachmelodie auch ganz anders klingt. Auch an dieser lustigen Singsang-Sprachmelodie der kölschen Mundart hatten die Kinder großen Spaß.

So hat unsere Elterninitiative wieder eine große Bereicherung erfahren, auf die sie in der nächsten Session (Karnevalszeit) mit Sicherheit zurückgreifen kann.

Wie es in einem der bekanntesten kölschen Karnevalslieder heißt:

„Denn wenn et Trömmelche jeht, dann stonn mer all parat…“
〈etwa: Wenn die kleine Trommel erklingt, dann stehen wir alle bereit…〉

 

Datum der Veröffentlichung: Dezember 2011
Copyright © Beate Kroeger-Müller, siehe Impressum.

Fremdsprachen im Kindergarten

von Hanna Vock

 

Viele Eltern wünschen sich, dass ihr Kind schon im Kindergarten Englisch lernt. Dafür bestehen zwei Möglichkeiten:
1. das Kind besucht einen bilingualen Kindergarten – von denen gibt es nicht besonders viele – oder 2. im „normalen“ Kindergarten wird Englisch „angeboten“. (Alles, was hier ausgeführt wird, gilt sinngemäß auch für andere Fremdsprachen.)

1. Bilingualer Kindergarten

Für Kinder, die zuhause zweisprachig aufwachsen, kann ein bilingualer Kindergarten eine gute Ergänzung zur häuslichen bilingualen Welt sein. Es ist dabei unerheblich, ob die Zweisprachigkeit sich ergeben hat, weil eine Familie eingewandert ist und nun zur neuen deutschen Umgangssprache des Kindes auch die Herkunftssprache pflegen will, oder ob das Kind in einer Familie aufwächst, in der Vater und Mutter unterschiedliche Muttersprachen sprechen. In jedem Fall erhält das Kind dann sowohl zuhause als auch im Kindergarten viel Input in beiden Sprachen und kann beide Sprachen täglich üben.

Außerdem spricht es in beiden Sprachen mit Menschen, die ihm nahe stehen
und die für das Kind emotional bedeutsam sind.

Besucht ein Kind, etwa ab drei Jahren, einen bilingualen Kindergarten, ohne die zweite Sprache bisher erlernt zu haben, ist es in einer schwierigeren Situation, da es immer wieder in die Lage kommen wird, emotional Bedeutsames (im Unterschied zu anderen Kindern der Gruppe) nicht spontan äußern oder auch nur verstehen zu können.

Hier ist aufmerksame und sorgfältige pädagogische Arbeit, die das berücksichtigt, umso wichtiger. Es eröffnet sich aber auch ein weites Feld für soziales Lernen der Kinder untereinander, die für die Nöte der Kinder, die noch im Sprachrückstand sind, sensibilisiert werden und in akuten Situationen Hilfestellung leisten können.

Entschärft wird dieses Problem, wenn weitgehend sicher gestellt ist, dass stets eine Erzieherin jeder Sprache für die Kinder ansprechbar ist.

Für hoch begabte Kinder und ganz besonders für sprachlich hoch begabte Kinder kann der Besuch eines bilingualen Kindergartens eine passende kognitive und sprachliche Herausforderung sein.

Dabei ist immer zu prüfen, ob der Kindergarten nur mit Bilingualität punktet, oder ob auch andere Spiel- und Lern-Bereiche auf hohem Niveau vertreten sind. Vor allem: Ist es ein Ort für Kinder, an dem sie alle wichtigen kindlichen Bedürfnisse ausleben können?

Siehe auch: Gütekriterien für Hochbegabtenförderung

2. Angebote im Regelkindergarten

Erzieherinnen sehen sich auch in ganz normalen Regelkindergärten mit dem Anspruch von Eltern konfrontiert, zum Beispiel Englisch anzubieten.

Ist eine englische Muttersprachlerin unter den Erzieherinnen oder eine Erzieherin, die die Sprache aus anderen Gründen sehr gut beherrscht, dann kann sie im Rahmen ihrer normalen Arbeit immer wieder spielerisch Englisch einfließen lassen.

Manche Eltern stellen sich aber etwas anderes vor. Sie wünschen einen regelmäßigen Kurs innerhalb des Kindergartentages, der systematisch Sprachkenntnisse vermittelt.

Als ich Leiterin eines Elterninitiativkindergartens war, wurde ich mit genau diesem Wunsch immer mal wieder bestürmt, mit Hinweis auf die unwiderbringlichen Sprachlernmöglichkeiten im Kindergartenalter.

Und das waren die Überlegungen, die ich dann auf Elternabenden in die Debatte geworfen habe:

1.
Als unsere Aufgabe im Kindergarten sehen wir an,
– erstens die Kinder erleben zu lassen, dass es unterschiedliche Sprachen gibt,
– zweitens den Klang anderer Sprachen anzuhören und auszuprobieren,
– drittens zu sehen, dass manche Sprachen ganz andere Schriftzeichen verwenden, und
– viertens es für sie deutlich zu machen, dass Kinder, die sich mit der deutschen Sprache (noch) schwer tun, oft eine andere Sprache schon prima beherrschen (was diesen Kindern in der Gruppe einen besseren Stand einbringt).

2.
Man muss sich darüber im Klaren sein – und sollte es den Eltern sagen, dass gelegentlicher spielerischer Kontakt zur englischen (oder einer anderen) Sprache nicht zu deutlichem Spracherwerb führt. Brocken, die so gelernt wurden, werden fast immer wieder vergessen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn
– nach dem Kindergartenbesuch eine zeitliche Lücke von zwei oder mehr Jahren entsteht, also erst in der 3. Klasse oder noch später wieder Englischunterricht stattfindet, oder wenn
– im häuslichen Umfeld nicht Englisch gesprochen wird.

3.
Kinder, die nicht ausgesprochen sprachbegabt sind, wären von einem intensiven Lernprogramm überfordert, vor allem dann, wenn weder Deutsch noch Englisch ihre Muttersprache ist. (Besonders sprachbegabte Kinder könnten ein solches Programm allerdings gut bewältigen.)

4.
Das oft von den Eltern angestrebte akzentfreie Erlernen einer anderen Sprache gelingt nur dann, wenn das Kind dafür begabt ist und / oder früh von der Sprache umgeben ist.
Es wird dann noch von Bedeutung sein, mit welchem Englisch das Kind in Kontakt kommt (britisches, amerikanisches, australisches, kanadisches … Englisch). Dieses „akzentfreie“ Englisch wird es erlernen.
Hier stellt sich mir auch die Frage: Wie wichtig ist es, eine Fremdsprache akzentfrei zu beherrschen?

5.
Wenn wir eine Muttersprachlerin auf Dauer beschäftigen wollen, ist das ein Kostenfaktor. Auf keinen Fall darf es unsozialerweise darauf hinauslaufen, dass nur die Kinder teilnehmen können, deren Eltern in der Lage sind, es zu bezahlen.

6.
Wenn wir Jemanden von außerhalb mit dem Englischkurs betrauen, müssen wir zeitliche Einschränkungen für unsere ureigene pädagogische Arbeit in Kauf nehmen: Projekte müssen dafür unterbrochen werden und wir müssen die Kinder dafür aus dem Spiel herausholen. Das ist nicht im Sinne unserer pädagogischen Konzeption. (Siehe: Eine „alte“ Konzeption in vollständiger Länge.)

Die Wissenschaft hat in Auswertung zahlreicher Studien festgestellt

– wer hätte das gedacht –

dass in bilingualen Kindergärten „…intensives spielerisches inhaltliches Lernen in der Fremdsprache, beträchtlicher Fremdsprachenerwerb als auch der altersgemäße Erwerb der Muttersprache stattfindet, …, wenn das Programm ein geeignetes Umfeld dafür bietet und ganz bestimmte pädagogische Prinzipien umsetzt.“
(aus: Kristin Kersten, Frühes Fremdsprachenlernen in bilingualen Kindertagesstätten (Forschungsprojekt ELIAS), in: news & science. Begabtenförderung und Begabungsforschung, herausgegeben von: Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF), Ausgabe 1, 2012, S. 15.)

Im Weiteren werden dort als für den Erfolg bedeutsame Faktoren genannt:
„ein möglichst früher Beginn, eine lange Dauer des Programms, eine hohe Intensität im Kontakt zur Fremdsprache und ein qualitativ hochwertiger Input“.

Dies alles ist unter den normalen Arbeitsbedingungen eines Regelkindergartens kaum sicher zu stellen, es sei denn unter Vernachlässigung anderer wichtiger Bereiche.

Siehe auch: Rahmenbedingungen verbessern!

Für Englischkurse außerhalb des Kindergartens, also kommerzielle Angebote, gelten meines Erachtens ähnliche Vorbehalte, wie unter 2. bis 4. aufgeführt.

Sprachbegabte und hoch begabte Kinder kommen hier erfahrungsgemäß selten auf ihre Kosten, weil das Lerntempo für sie (unter Umständen viel) zu gering ist.

3. Was dagegen möglich und sinnvoll ist – und in vielen Kitas auch gemacht wird

Durch die Internationalität vieler Kitas und interkulturelle Projekte erfahren die Kinder in ihrem Kindergartenalltag, dass es verschiedene Sprachen gibt, zum Beispiel wenn sie Mutter und Kind beim Abholen Spanisch sprechen hören.
Sprachbegabte – und damit an Sprachen besonders interessierte – Kinder hören hier genauer hin.

In vielen Morgenkreisen begrüßen sich die Kinder gegenseitig mehrsprachig. Wichtige Wörter wie zum Beispiel „raus gehen“ oder „Mittagessen“ können in mehreren Sprachen benutzt werden. Kreativen Erzieherinnen, die selber Spaß an Fremdsprachen haben, fallen da noch viele andere Schlüsselwörter für den Kindergartenalltag ein…

Eine AG, wie zum Beispiel „Wir singen Lieder in drei Sprachen“, kann den Kindergartenalltag bereichern und sprachinteressierte Kinder begeistern.

Eine Erzieherin machte ihre Begeisterung für das britische Königshaus zu einer AG, wobei naturgemäß etliche englische Ausdrücke vorkamen.

Solche Aktivitäten liegen im Rahmen der oben genannten Aufgaben des Kindergartens in Bezug auf Fremdsprachen.

Drei ganz verschiedene Projekte mit besonders und hoch begabten Kindern finden Sie hier:

Murat will lernen: Minus-Aufgaben und Englisch

Kölsche Tön im Kindergarten

Hast du heute schon einen Eimer gefüllt?

 

Literaturempfehlung:

Elke Burkhardt Montanari, Wie Kinder zweisprachig aufwachsen. Ein Ratgeber. Hrsg. vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften.

Colin Baker, Zweisprachigkeit zu Hause und in der Schule. Ein Handbuch für Erziehende. (Auch in türkischer Sprache erhältlich.)

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2017
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

Bilderbuch zu den Perchten

 von Anke Cadoni

 

Am Ende des Beitrags können Sie sich das komplette Bilderbuch ansehen.

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In einem vorangegangenen Kunstprojekt hatte sich eine Freundschaft zwischen Jonas und David gebildet. Die beiden treffen sich auch privat immer noch sehr häufig. So hat die Familie von Jonas auch den Nikolausabend gemeinsam mit Davids Familie verbracht.

 

… kurz gefasst …

Als klar wird, dass Jonas sich über Wochen mit Gruselgestalten befasst, Ängste entwickelt und sich für andere Themen kaum noch interessiert, beschließt seine Erzieherin, das Thema mit ihm zu bearbeiten – in einer Form, die er schon aus einem anderen Projekt kennt: Erstellung eines Bilderbuchs.

Über diesen Weg kann Jonas mit dem Thema Perchten (Gruselgestalten) auch seine Mutter erreichen, die nicht wollte, dass er sich damit beschäftigt.

Mehr zu Jonas:

Jonas, 4;2.

Jonas faltet doch Papierflieger.

Jonas (5;3) macht noch ein Bilderbuch und schöpft Papier.

Fußball und Zeitung.

 

Am späteren Abend hat Davids Mutter Jonas und David eine Geschichte von den „Perchten“ erzählt. Was sind Perchten? Das habe ich mich auch gefragt, als Jonas‘ Mutter mir diesen Hergang am Elternsprechtag erzählte. Es sind Gruselgestalten, die den Wintern vertreiben sollen, in manchen Gegenden haben sie auch so eine Rolle wie bei uns Knecht Rupprecht an Nikolaus. Um Genaueres über sie zu erfahren, habe ich auch erst mal im Internet gesurft. (Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Perchten.)

Auf jeden Fall hatte Jonas in den ersten Nächten nach diesem Abend große Ängste in der Dunkelheit, er wollte nicht alleine in seinem Zimmer bleiben und dort auch nicht schlafen. Die Mutter sagte: „Er gibt das zwar nicht richtig zu, aber man merkt es an seinem Verhalten.“ Nun hat die Mutter Sorge, dass Jonas sich da hineinsteigert! Sie weiß auch nicht so Recht, wie sie mit diesem Thema umgehen soll.

Im Kindergarten hatte ich beobachtet, dass Jonas und David in letzter Zeit häufig Gespenster und Teufel spielen.

Kommentar Hanna Vock:

Das heißt, sie setzen sich – vielleicht auch zum allerersten Mal in ihrem Leben – mit dem Schrecklichen und vielleicht auch Bösen in der Welt auseinander. Und dazu haben Märchen und Sagen den Kindern ja immer gedient. Das ist dann auch gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit der eigenen Angst vor dem Unheimlichen und Schrecklichen. Je fantasiebegabter, denkfreudiger und sensibler ein Kind ist, desto intensiver wird diese Auseinandersetzung auch schon beim ersten Mal im Leben sein.

Jonas hat Probleme

Jonas ist nun schon 5;0 Jahre alt. Er steckt momentan in einer schwierigen Phase. In letzter Zeit fällt er häufiger durch negatives Verhalten auf: Er stört im Stuhlkreis, hält sich öfter nicht an Regeln, und dies macht er meines Erachtens auch ganz bewusst.

Letzte Woche, zum Beispiel, gab es im Stuhlkreis für alle Kinder Gummibärchen, jedoch blieben zwei übrig, diese stellte ich dann auf den Küchenschrank. Nachdem die meisten Kinder abgeholt waren und ich aus dem Flur wieder in die Gruppe kam, beobachtete ich, wie Jonas die Gummibärchen klaute. Dies ist ein Verhalten, was ich so gar nicht von ihm kenne. Er ist eigentlich immer sehr sozial gewesen und hat sich auch ganz oft für gerechtes Verhalten eingesetzt.

Ich vermute, er testet momentan ganz extrem seine Grenzen und versucht somit vielleicht auch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Manchmal denke ich auch, er zeigt dieses Verhalten, um genau so zu sein wie seine Freunde, die oft auch sehr viel Schabernack im Kopf haben (Anpassungsverhalten). Dann verstehe ich auch, dass er jetzt häufiger mit mir alleine arbeiten möchte, so kann er seine besonderen Fähigkeiten und seine manchmal außergewöhnlichen Ideen und Phantasien eher vor den anderen Kindern verstecken.

Siehe auch: Verbergen von Fähigkeiten.

Diese Aussetzer von Jonas machen mich nachdenklich. Für mich stellt sich die Frage, warum er auf einmal so ein für ihn untypisches Verhalten zeigt. In unserem letzten Projekt (Kunst) war er sehr sauer auf seinen Vater, weil der bei der Vernissage, die für Jonas doch so wichtig war, kein Bild gekauft hat. Und zusätzlich war er, glaube ich, verärgert, dass seine Mutter zu der Vernissage nicht kommen konnte. Möglicherweise fühlte er sich von seinen wichtigsten Menschen unverstanden.

Es sollte jetzt etwas passieren, das ihn ernsthaft herausfordert, das rundum gelingt und von mir gut begleitet und von den Eltern angemessen gewürdigt wird.

Und nun interessiert er sich auch noch für ein Thema (Perchten), dem seine Mutter sehr skeptisch und eher ablehnend entgegen tritt. Sein Problem ist jetzt, dass seine Mutter ihm verbietet, Perchten zu spielen. Sie erhofft sich so vielleicht das Thema auszulöschen.

Kommentar Hanna Vock:

Das funktioniert bei sehr begabten Kindern nicht, es besteht eher die Gefahr, dass sie sich innerlich von ihren Eltern entfernen.

Ich habe den Eindruck, dass dieses Verbot das Thema im Kindergarten noch viel interessanter macht. Jonas erzählt mir sehr viel von den Perchten, erklärt mir, wer sie sind, wie sie aussehen und was sie machen. Er ist davon überzeugt, dass es diese Perchten gibt, seine Mutter hingegen sagt immer, dass es die nicht in Wirklichkeit gibt.

Jonas hat auch schon differenzierte Vorstellungen von diesen Gestalten. Einiges weiß er, vermute ich, durch Davids Mutter und anderes hat er dazu fantasiert, und ich vermute, dass da auch manchmal seine Fantasie mit ihm durchgeht.

Jonas spielt nach wie vor gerne mit David. Dies wird natürlich momentan verstärkt, weil nur die beiden über die Perchten Bescheid wissen. Sie bauen im Rollenspiel häufig Fallen für die Perchten, beziehen hierbei aber auch andere Kinder mit ein, wie zum Beispiel Felix oder Sven.

Ansonsten lässt Jonas momentan nicht so viele andere Themen an sich ran.

Zur Zeit befassen wir uns in unserer Gruppe verstärkt mit dem Thema „Luft“. Jonas hat auch an einigen Experimenten teilgenommen und dort oft gute Beiträge gegeben, doch er stellt keine zusätzlichen Fragen, was eigentlich ungewöhnlich für ihn ist.

Anscheinend ist für Jonas das Thema Perchten noch nicht bewältigt, und deshalb beherrscht es ihn noch stark.

 

Vorüberlegungen und Ziele

Ich möchte gemeinsam mit Jonas ein Bilderbuch über die Perchten erstellen. Nun möchte ich mit ihm etwas professioneller an die Sache heran gehen, das Buch soll am Ende so aufgebaut sein wie ein echtes Bilderbuch.

Ich habe Jonas auch versprochen, mir mehr Zeit für ihn zu nehmen und deshalb bevorzuge ich diesmal auch eine eins zu eins Zuwendung, damit ich auch wirklich seinen Vorstellungen und Wünschen gerecht werden kann und dies ohne Kompromisse.

Siehe: Einzelförderung, Mentoring

Ebenso erhoffe ich mir von dieser Aktion, mehr über die Perchten zu erfahren. Ich möchte herausfinden, was Jonas so fasziniert. Und vielleicht gelingt es auch durch sachliche Aufklärung, zum Beispiel durch Informationen aus dem Internet, Ängste abzubauen.

Beschäftigt man sich erst mal näher mit diesem Thema, wird es auf einmal richtig interessant, denn man entdeckt ein Stück weit deutsches Brauchtum. Für Jonas könnten dies wichtige Erkenntnisse sein, um dieses Thema dann irgendwann für sich positiv abzuschließen.

Ich möchte erreichen,

  • dass Jonas seinen guten Wortschatz und seine schöne Ausdrucksweise dazu nutzt, eine gute Geschichte über seine Perchten zu erzählen, die ich dann für ihn verschriftlichen werde,
  • dass er später sein fertiges Bilderbuch ohne Hemmungen den anderen Kindern zeigt,
  • dass Jonas stolz auf seine guten Ideen und Fähigkeiten ist und lernt, diese nicht zu verstecken,
  • dass Jonas mehr über die Perchten erfährt und somit Ängste abbauen und seine ausschweifenden Fantasien über die Perchten stoppen kann,
  • dass Jonas sich ernst genommen fühlt, sowohl von mir als auch von seinen Eltern.

Ich versuche mich ab sofort täglich (je nach Alltagsituation vielleicht nicht immer möglich) für etwa eine viertel bis halbe Stunde mit Jonas in den Trauminsel- oder Nebenraum der Gruppe zurück zu ziehen, sodass wir immer ungestört arbeiten können.

Zu Beginn steht natürlich ein Gespräch an, in dem ich mit Jonas klären muss, ob meine Idee ihm überhaupt zusagt und er sich vorstellen könnte, dies zu machen. Vielleicht hat er auch noch ganz andere Ideen und Wünsche, die ich dann auf jeden Fall versuche aufzugreifen. Dem entsprechend muss ich mich dann umorientieren. Erst dann plane ich die weiteren Schritte.

 

Durchführung

Ich habe mich mit Jonas in unseren Trauminselraum zurück gezogen, weil dieser etwas abseits von der Gruppe liegt und wir somit dort ungestörter arbeiten können. Motiviert habe ich Jonas, indem ich ihm im Vorhinein erzählt habe, dass ich heute mein Bilderbuch mitgebracht habe, das ich während meiner Erzieherausbildung einmal gemalt und geschrieben habe. Jonas war ganz erstaunt, das zu hören, und war gleich sehr neugierig.

Er schaute sich alles sehr genau an; so erkannte er zum Beispiel, dass am Anfang des Bilderbuches auch leere Seiten sind. Hierzu forderte er den Vergleich mit einem echten Bilderbuch ein. Diese Idee fand ich auch echt gut und sehr hilfreich. Er fand auch heraus, dass nicht sofort mit der Geschichte begonnen wird, sondern zuerst noch mal der Titel und der Verfasser genannt werden.

Der eigentliche Inhalt meiner Geschichte war ihm eher unwichtig, die äußeren Gegebenheiten und die Art und Weise der Gestaltung waren für ihn viel interessanter.

Am Ende meines Buches steht noch eine Widmung. Ich sollte Jonas vorlesen, was darauf steht, und dann musste ich ihm erklären, wozu das gut ist.

Dann sagte er nur noch:

„Wann geht es denn jetzt los?“

Ich sagte nur: „Was meinst du denn jetzt genau?“

Jonas:

„Du sollst doch meine Geschichte aufschreiben!“

Ich hatte im Vorhinein schon mal angetestet, ob meine Idee auch bei Jonas landen könnte, und ihm meinen Vorschlag so nebenbei schon mal unterbreitet, habe aber nicht damit gerechnet, dass er das gleich so akzeptiert, weil er ja bekanntlich seinen eigenen Willen hat.

Jonas:

„Weißt du überhaupt, wer die Perchten sind? Ich erzähl dir das jetzt mal, und du schreibst auf!“

Ich hatte bereits Stift und Papier zurecht liegen und startete sofort. Es sprudelte nur so aus ihm heraus, aber plötzlich stockte er und sagte:

„Aber Mama will eigentlich nicht mehr, dass ich von den Perchten rede!“

 

Kommentar Hanna Vock:

Hier zeigt sich der innere Konflikt, der durch die Abwehr des Themas durch die geliebte Mutter in ihm entstanden ist: Ich darf mich mit dem, was mich schon seit langem am meisten interessiert, nicht befassen.

Darauf antwortete ich: „Sie möchte nur, dass du keine Angst mehr vor diesen Gestalten hast, aber vielleicht hilft das Erzählen dir ja, diese Angst zu verlieren!“

Jonas erwiderte:

„Ich habe keine Angst vor ihnen, ich lache die immer aus, wenn ich sie sehe!“

Schließlich berichtete er mir über Abenteuer, die er mit ihnen erlebt hat, wie sie aussehen, wo sie leben und was sie machen, usw. Plötzlich wird seine Stimme wieder etwas leiser:

„Je mehr ich über die Perchten nachdenke, da bekomme ich schon ein bisschen Angst!“

Ich habe Jonas gebeten, er möchte versuchen zu erklären, warum er Angst hat, und er sagte mir, dass die Perchten ihn fangen wollen und dass sie nur bei Dunkelheit kommen.

Für dieses mutmaßliche Verhalten der Perchten versuchte ich ihm eine möglichst positive Erklärung anzubieten:

„Vielleicht möchten sie so nur Kontakt zu dir aufnehmen und suchen einen Freund, der mit ihnen spielt!“ Wirklich überzeugt war er nicht von meiner Antwort, aber er hielt es schon für möglich, dass sie nicht unbedingt böse sind.

Jonas erzählte mir daraufhin eine Geschichte der Perchten mit einem guten Ende, worüber ich sehr froh war. Gleichzeitig habe ich Jonas versprochen, mich mal zu informieren, wer oder was die Perchten wirklich sind, denn Jonas ist der festen Überzeugung, dass es sie wirklich gibt – und damit hatte er, im Nachhinein betrachtet, ja auch irgendwie Recht.

Schlimm, glaube ich, ist für Jonas, dass seine Mutter nicht an die Perchten glaubt. Er äußerte ein anderes Mal, als ich mit ihm am Bilderbuch arbeitete:

„Mama sagt, es gibt keine Perchten!“

Kommentar Hanna Vock:

Die Ansicht der Mutter wiegt natürlich sehr viel, aber Jonas ist geistig schon so weit entwickelt, dass er nicht mehr bedingungslos „muttergläubig“ ist, wie das junge Kinder oft lange sind. In seiner geistigen Entwicklung hat die tatsächliche Wahrheit, unabhängig von wichtigen Erwachsenen schon einen eignenen Stellenwert gewonnen.

Siehe auch: Hinweise auf eine mögliche intellektuelle Hochbegabung und

Beispiele zu: Kritische Gedanken.

Daraufhin habe ich ihm erzählt, dass es sie schon gibt und dass es Menschen seien, die sich verkleiden und abends im Dunkeln um ein Feuer tanzen, um den Winter zu vertreiben. Diese Menschen verkleiden sich, wie wir an Karneval, so ist dies in anderen Regionen ein alter Brauch, den manche heute noch fortführen.

Die Wikipedia-Internetseite wollte ich ihm nicht zeigen, da die Fotos dort schon ziemlich gruselig und furchteinflößend sind und ich unsicher war, ob diese Bilder ihn noch mehr ängstigen würden. Ich vermute aber, dass er schon mal ein Bild von ihnen gesehen hat, weil er einige Details der Masken bereits gemalt und sehr genau über ihr Aussehen berichtet hat.

Jonas war auf jeden Fall, wie es scheint, sehr begeistert und angetan von meiner Idee. Er genoss auch die Zeit, die er jetzt immer mit mir alleine war: Wenn schon mal andere Kinder zufällig in den Raum kamen, wurden sie von Jonas sofort wieder raus geschickt.

„Ich brauche Ruhe und muss hier arbeiten.“

 

Einigen Kindern erklärte ich dann, was ich mit Jonas mache, darauf reagierte er nicht ablehnend, was ich sehr wichtig fand.

Morgens habe ich Jonas immer erst eine Weile mit seinen Freunden spielen lassen oder ihm Zeit gegeben, etwas anderes zu tun. Dies finde ich ganz wichtig, denn er soll durch die spezielle Förderung nicht von anderen wichtigen Aktionen im Kindergartenalltag ausgeschlossen werden. An manchen Tagen kam er dann schon irgendwann zu mir und fragte ganz motiviert:

„Frau Cadoni, wann treffen wir uns denn heute?“

oder

„Können wir jetzt das nächste Bild malen?“

In der Woche, als wir unsere Vernissage (zum Kunstprojekt) hatten, wollte er ganz besonders viel arbeiten. Da sagte ich zu ihm: „So ein Bilderbuch herzustellen, ist schon ganz schön viel Arbeit, wie du siehst, das braucht seine Zeit!“

Jonas:

„Ja, aber morgen ist doch die Vernissage, da will ich doch mein Buch den Leuten zeigen!“

Mit dieser Aussage hatte ich echt nicht gerechnet, doch leider musste ich ihn vertrösten, dass wir dies wohl nicht schaffen würden. Ich machte ihm aber verständlich, dass er trotzdem eine gute Gelegenheit haben wird, um sein Buch den Kindern und Eltern zeigen zu können.

Jonas malte jetzt fast täglich ein bis zwei Bilder für das Bilderbuch. Hierbei zeigte er immer viel Ausdauer und Konzentration. Er achtete besonders darauf, dass die Figuren immer ähnlich aussahen und die wiederkehrenden Orte und Häuser aufeinander abgestimmt waren. Immer wieder holte er sich bereits gemalte Bilder hinzu, um zu schauen, ob dies auch möglichst überein stimmte.

Er wusste immer ganz genau, welchen Teil der Geschichte er gerade im Bild darstellen wollte. Ich musste ihm zwischendurch nur die aufgeschriebene Geschichte noch mal vorlesen, denn er hatte sehr viele verschiedene Geschichten im Kopf und wusste manchmal nicht mehr ganz genau, was wir jetzt notiert hatten. Manchmal brachte er auch noch neue Erkenntnisse mit in die Geschichte ein, die ich dann sofort notierte und mit in die Geschichte aufnahm.

Schwierig war für mich noch, dass Jonas nicht wollte, dass seine Mutter etwas von diesem Buch erfuhr. Da ich auf keinen Fall das Vertrauen von Jonas verlieren wollte, behielt ich es auch erst mal für mich.

Die Mutter wusste durch ein Gespräch, dass ich zur Zeit intensiver mit Jonas arbeite und ich auch über die Problematik der Perchten Bescheid weiß, und ich hoffte jetzt einfach darauf, dass sie mir vertraut und sich später darüber im Klaren sein würde, wenn sie von diesem Buch etwas erfährt, dass dies eine positiv beabsichtigte, pädagogische Maßnahme von mir ist.

Nach ungefähr zwei Wochen Arbeit an diesem Buch war es dann auch so weit. Ich bekam ein Gespräch zwischen Jonas und seiner Mutter mit. Er erzählte ihr, dass wir morgen das letzte Bild für das Bilderbuch malen werden. Daraufhin fragte die Mutter, um was für ein Bilderbuch es denn gehen würde. Jonas sagt nur:

„Ich mache mit der Frau Cadoni ein Bilderbuch über die Perchten“.

Jonas‘ Mutter sagte darauf nur: „Aha!“

In dieser Situation wollte ich nicht sofort eingreifen, ich wusste nicht, ob dies vielleicht unangenehm für Jonas werden könnte. Somit sprach ich Jonas‘  Mutter am nächsten Tag an und erzählte ihr alles über mein Vorhaben und meine Absichten. Meine pädagogischen Ansätze konnte sie gut nachvollziehen, und sie war auch eigentlich froh, dass ich so reagiert habe; denn sie merkte zu Hause auch, dass es nichts brachte Jonas zu sagen, dass es die Perchten nicht gibt. Im Gegenteil, sie hatte das Gefühl gehabt, dass er sich seit dem noch mehr in die Sache vertieft hat.

Sie möchte jetzt noch mal mit Jonas intensiv über dieses Thema sprechen und von ihrer Seite Interesse für dieses Thema zeigen, sodass er sich auch ihr gegenüber noch mal mehr zu diesem Thema öffnen kann, um so vielleicht noch bestehende Ängste und Unsicherheiten abzubauen.

Es ist ganz wichtig für Jonas, dass seine Gedanken und Ideen erst genommen werden und dies natürlich auch im Elternhaus. Gerade die Eltern können ihm den nötigen Rückhalt geben und ihn in seinen Vorhaben unterstützen. Verdrängen oder Vertuschen ist in diesem Falle der falsche Ansatz.

Diese Mitteilung an die Mutter war ein ganz wichtiger Schritt für ihn und auch für meine Arbeit, denn so konnte ich die Eltern endlich mit ins Boot nehmen, und genau dies war im Nachhinein der richtige Weg. Jonas ging nun viel lockerer und unbefangener mit dem Thema um und er konnte sich so richtig auf die Fertigstellung des Bilderbuches freuen.

Jonas sagte dann irgendwann zu mir:

„Weißt du was, Mama glaubt jetzt auch, dass es die Perchten gibt, wir haben sie im Internet gefunden und vieles, was ich Mama erzählt habe, steht auch so im Internet geschrieben. Ich hatte also Recht!“

Dass die Mutter ihn jetzt versteht, ist glaube ich, die wichtigste Erkenntnis für Jonas gewesen.

Nachdem Jonas dann alle Bilder gemalt hatte, bin ich mit ihm ins Büro an den Computer gegangen und habe gemeinsam mit ihm den Text geschrieben und ihn anschließend drucken lassen.

Am nächsten Tag habe ich dann ein Laminiergerät mit in den Kindergarten gebracht. Zunächst habe ich gemeinsam mit Jonas die einzelnen Bilderbuchseiten laminiert. Das war gar nicht so einfach, da musste zuerst einmal gut überlegt werden, welche Blätter jetzt zusammen laminiert werden müssen, damit später die Reihenfolge auch stimmt.

Doch Jonas hat diese Situation mit Bravour gemeistert. Er fand es total spannend, die Technik des Gerätes zu beobachten und untersuchte alles sehr genau. Er hätte echt nicht gedacht, dass dies so einfach geht.

Jetzt musste das Bilderbuch nur noch gebunden werden. Leider konnte ich ein Bindegerät nicht organisieren, aber ich hatte eine Kindergartenmutter angesprochen, die auf ihrer Arbeit ein solches Gerät besitzt. Sie bot mir dann auch an, das Bilderbuch mitzunehmen und es auf der Arbeit zu binden. Darüber war ich sehr froh, doch Jonas fand diese Idee nicht ganz so toll, weil er jetzt noch einen Tag warten musste, bis das Buch endlich fertig war. Er wurde schon richtig zickig und stur:

„Ich will aber Mama heute das Buch zeigen!“

Ich sagte dann: „Das könntest du auch machen, aber dann kann es nicht gebunden werden, denn die Frau Soundso hat nicht jeden Tag Zeit, dies auf der Arbeit zu machen!“

Jonas:

„Na gut, aber morgen ist es dann fertig, oder?“

Ich versicherte ihm noch mal, dass er es morgen Mittag dann auf jeden Fall seiner Mutter zeigen kann, das war für ihn dann so auch in Ordnung.

Es wurde überdeutlich, dass er jetzt richtig stolz auf sein Werk war und er es gar nicht mehr erwarten konnte, bis er es seinen Eltern zeigen kann.

Als Jonas am nächsten Tag nach dem Mittagessen von seiner Mutter abgeholt wurde, war es dann endlich soweit, er konnte ihr das Buch überreichen. Jonas bestand darauf, dass seine Mutter jetzt sofort das Buch mit ihm gemeinsam in der Gruppe las. Dies tat sie dann auch sofort. Sie nahm sich richtig viel Zeit und setzte sich mit Jonas an den Tisch.

Jonas sagte:

„Ich blättere um und du liest die Geschichte!“

Es dauerte nicht lange, da stand auch schon eine Traube anderer Kinder um den Tisch herum und hörte der Geschichte aufmerksam zu. Es war total schön, in dieser Runde dabei zu sein und zu spüren, wie glücklich Mutter und Sohn in diesem Moment waren. Jonas strahlte über beide Wangen und war froh darüber, dass seine Mutter ihn so lobte. Seine Mutter hingegen war, glaube ich, sehr stolz auf die Leistung ihres Sohnes und auch sehr froh darüber, dass ich dieses Thema so intensiv mit Jonas behandelt habe. Hierfür hat sie sich auch noch mehrmals bedankt!

Anschließend sagte Jonas:

„So, jetzt muss ich das Buch unbedingt noch Papa und den anderen zeigen!“

 

Reflexion

Im Großen und Ganzen bin ich schon der Meinung, dass ich meine Ziele erreicht habe. Zwischendurch habe ich auch schon mal gedacht: Hoffentlich nimmt das alles ein gutes Ende! Denn ich fand es für mich schon schwierig so zwischen Mutter und Kind zu agieren. Deshalb bin ich umso glücklicher, dass die Mutter im Nachhinein meiner Vorgehensweise sehr zugestimmt hat und froh darüber war, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.

Ich glaube, dass Jonas die Zeit gemeinsam mit mir genossen hat. Er hat unheimlich viel mit mir gesprochen und erzählt und mir letztlich Dinge anvertraut, die er sonst oft nur seinen Eltern erzählt. Ich glaube, dass er sehr froh war jemanden gefunden zu haben, der ihn in Sachen „Perchten“ ernst nimmt, seinen Geschichten zuhört und sich Gedanken darüber macht.

Jonas ist in seiner Art nicht immer einfach, da er einen sehr starken eigenen Willen hat und oft auch sehr stur ist. Doch ich glaube schon, dass er verstanden hat, dass ich es sehr ernst mit ihm meine, dass mir seine Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse immer sehr wichtig sind und ich mein Möglichstes gebe, diese auch im Alltag aufzugreifen.

Es gelingt mir leider nicht immer, aber ich denke Jonas merkt auch, wenn ich im Stress bin und mir die Arbeit bis zum Hals steht. Er hat auch schon mal Verständnis dafür, wenn es dann an einem Tag mal nicht so ganz funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben. Aber Jonas weiß auch, dass ich mein Wort halte und das bedeutet, wenn ich ihm etwas verspreche, dass ich dies dann auch einhalte. Ich denke, dass das gegenseitige Vertrauen schon da ist und damit auch eine wichtige Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit.

Jonas hat bewiesen, dass er durch seine gute Ausdrucksweise und Phantasie echt schöne Geschichten erzählen kann. Seine Bilder hat er auch immer sehr gut auf sein Erzähltes abgestimmt und wichtige Details aufgegriffen. Er war die gesamte Zeit mit einer großen Ausdauer und Konzentration dabei.

Dadurch, dass ich diesmal ja nur alleine mit ihm gearbeitet habe, konnte er das Arbeitstempo auch immer selbst bestimmen, und das war häufig sehr zügig. Ich habe festgestellt, dass Jonas sich gerne selber Ziele setzt, so wie er zum Beispiel gerne zum Zeitpunkt der Vernissage sein Bilderbuch fertig gehabt hätte. Während der Arbeit möchte Jonas in der Regel auch nicht von anderen gestört werden oder ihnen etwas von seinem Vorhaben mitteilen, aber am Ende ist es ihm wichtig, dass er sein Werk vorstellen kann.

Dieses Mal hat er sein Bilderbuch zunächst seiner Familie gezeigt, was hierbei ja auch sehr wichtig war. Doch in einem nächsten Schritt fände ich es noch toll, wenn er der Gruppe auch noch sein Buch vorstellen würde, weil mittlerweile viele Kinder die Perchten im Rollenspiel nachspielen, aber gar nicht so richtig wissen, wer oder was das eigentlich ist.

Außerdem haben einige Kinder ja auch mitbekommen, dass ich in letzter Zeit häufig mit Jonas zusammengesessen und gearbeitet habe, und einige Kinder waren auch schon ganz neugierig geworden, was wir da wohl die ganze Zeit machen.

Ich denke, dass Jonas auch noch vieles über die Perchten gelernt hat, was er vorher noch nicht wusste, und dass er jetzt auch erkennen kann, was Realität und was erfunden ist. Denn er hat von Beginn an immer viel Fantasie mit ins Spiel gebracht – und ich glaube, er wusste nachher gar nicht mehr, was jetzt wirklich echt und was erfunden ist. Und genau dies, vermute ich, hat bei ihm auch diese Ängste ausgelöst.

Jetzt hat er von mir und letztlich auch noch mal von seiner Mutter bestätigt bekommen, das die Perchten echte Menschen sind, die sich nur verkleiden (so wie wir an Karneval) und damit den Winter vertreiben wollen. Es sind im Grunde keine bösen Gestalten, die den Menschen etwas antun wollen. Das, denke ich, hat er jetzt verstanden, die Mutter sagte auch, dass er zu Hause jetzt keine Ängste mehr zeigt. Er schläft wieder in seinem eigenen Bett und hat auch keine Angst mehr, in sein Zimmer zu gehen, wenn es dort noch dunkel ist.

Dadurch, dass die Mutter ihre Meinung über die Perchten geändert hat und Jonas nun mit ihr darüber reden kann, fühlt er sich von ihr auch in diesem Bereich Ernst genommen Hinzu kommt, dass die Mutter richtig stolz auf sein Bilderbuch ist und ihn sehr gelobt hat. Ich glaube, jetzt ist er noch mal ein Stück gewachsen und hat noch etwas mehr an Selbstvertrauen dazu gewonnen.

Schön war, glaube ich, für ihn auch zu erfahren, dass die anderen Kinder sich für sein Buch interessieren und aufmerksam zugehört haben. Einige Kinder haben auch schon geäußert, dass sie auch so ein Buch machen möchten. Dies bedeutet ja, dass sie das Buch von Jonas richtig schön finden und für eine gute Idee halten. Hieran kann Jonas auch erfahren, dass seine Einfälle und Ideen auch von den Kindern geschätzt werden.

Schwierig finde ich es nach wie vor, mit Jonas‘ Sturheit umzugehen. Damit steht er sich selbst manchmal im Weg und macht sich vieles kaputt. Leider habe ich noch immer nicht genau herausgefunden, warum er dieses Verhalten manchmal so extrem zeigt. Ebenso sind die Ursachen für die zwei Aussetzer nicht wirklich greifbar, dies gilt sowohl für mich, als auch für die Eltern. Hier gilt es wohl weiter Jonas zu beobachten und nach möglichen Ursachen zu suchen.

 

Ideen

Momentan weiß ich noch nicht genau, wohin mich die Reise mit Jonas weiter führt.

Auf jeden Fall möchte ich spontane Einzeltreffen mit Jonas weiterführen, bei denen er Gelegenheit hat, mir von Dingen zu berichten oder aber auch mögliche Ideen und Wünsche umzusetzen. In der Einzelsituation öffnet sich Jonas einfach mehr und ist meistens auch engagierter und konzentrierter bei der Sache.

Jetzt werden wir erst mal Karneval feiern, dies ist etwas, was Jonas sehr gerne macht und womit er sich auch beginnt zu beschäftigen. Wir werden mit unserem Kindergarten gemeinsam als Clowns im Kinderkarnevalszug mitgehen. Wer weiß, vielleicht ergibt sich aus der einen oder anderen Situation wieder etwas Neues, was Jonas sehr fasziniert oder worüber er mehr wissen möchte. Ich lasse mich überraschen! Im Blick habe ich Jonas auf jeden Fall!

Das Bilderbuch:

Datum der Veröffentlichung: Januar 2012
Copyright© Hanna Vock 2012

Die Übersetzung dieses Beitrags ins Englische wurde geponsert von
Konny Eppmann und Maike Saidler, Köln.

 

Änne malt und schreibt ein Buch

 von Diana Verch

 

Näheres über Änne können Sie hier lesen:

Änne, 5;1 Jahre

Da Änne sehr fantasiereich ist und über einen großen Wortschatz verfügt, habe ich mir überlegt, mit ihr zusammen ein Buch zu schreiben.

Bei diesem Projekt will ich herausfinden:

  • Welche Buchstaben kann sie schon gut schreiben?
  • Kann sie den Laut mit dem richtigen Buchstaben in Verbindung setzen?
  • Wie lange arbeitet sie konzentriert an einer Aufgabe?
  • Möchte sie ihr Buch Anderen zeigen?
  • Wie fühlt sie sich dabei? Genießt sie es, oder ist es für sie nervig?

Als Änne gerade mal wieder am Maltisch sitzt und Geschichten erzählt, frage ich sie, ob sie Lust hätte, ein Buch zu schreiben. Sie könnte es mit meiner Hilfe schreiben und, wenn sie möchte, auch mit Bildern versehen. Sie ist begeistert und fragt sofort, wann wir wohl damit beginnen können.

…kurz gefasst…

Ein fünfjähriges Mädchen setzt den Vorschlag der Erzieherin, ein Bilderbuch selber zu machen, zügig und freudig um. Sie arbeitet selbstständig und verlangt nach Hilfe, wenn sie es nötig findet. Sie präsentiert ihr Buch selbstsicher den anderen Kindern und empfängt Anerkennung.

1. Tag

Änne fragt mich, ob es heut los geht und meint, dass sie ja noch ein Buch braucht, in das sie hinein schreiben kann. Also basteln wir gemeinsam ein Buch aus Din A4-Blättern und mit einem bunten Blatt als Umschlag. Damit die Blätter nicht einfach so lose im Umschlag liegen, überlegen wir, sie mit Nadel und Faden fest einzunähen. Während ich den Faden vernähe, ist Änne ganz aufgeregt und klatscht aus Vorfreude in die Hände.

Nun ziehen wir uns in die Turnhalle zurück, damit wir ganz ungestört anfangen können. Ich frage Änne: „Womit möchtest du denn beginnen?“

Sie überlegt kurz und sagt dann:

„Ich male mich zuerst, damit jeder weiß, wem das Buch gehört.“

Beim Malen spricht und kommentiert sie:

„So, den Kopf male ich und ich lache, weil ich gute Laune habe. Noch blonde Haare, ich nehm gelb, aber es gibt keine gelben Haare. Das heißt blond, so wie du, Diana.

So, auf diesem Bild bin ich 5. Das schreib ich mal hin.“

Ich frage weiter: „Was soll denn noch auf deine erste Seite?“

Änne schaut sich um und da wir in der Turnhalle sind, sieht sie die Messlatte zum Ermitteln der Größe und unsere alte Personenwaage. Diese Dinge stehen hier noch von unserem Fest „Reise ins Zahlenland“.

Änne:

„Können wir das benutzen? Dann weiß ich, wie groß ich bin und wie schwer, und schreibe das einfach mit auf.“

Diana: „ Ja, na klar, finde ich eine tolle Idee. Komm wir schauen mal, wie groß du bist.“

Änne:

„Ja, ich muß aber meine Schuhe ausziehen, sonst bin ich noch größer.“

Ich lege die Messlatte an und zeige ihr, bis wo ihr Kopf reicht. Sie schaut sich die Zahlen an und sagt:

„So, das schreib ich mir auf mein Bild.“

Da es eine dreistellige Zahl ist, die 113, frage ich, ob sie diese Zahl kennt und sie erkennt die 13. Ich erkläre ihr kurz, dass sich die Zahl aus der 100 und der ihr bekannten Zahl 13 zusammensetzt.

Änne:

„Ja ja, das hast du mir jetzt gesagt. Komm, wir wiegen jetzt.“

Nach dem Wiegen schreibt sie die Zahlen gleich auf und ist noch immer ganz aufgeregt.

Änne:

„So, jetzt ist meine erste Seite fertig. Diana, können wir die zweite schon machen? Ich will unten ein Bild malen und oben die Geschichte schreiben.“

Diana: „Soll ich dann die Geschichte schreiben und du erzählst, oder wie möchtest du es gern?“

Änne:

„Ich versuch es erst allein. Es soll ja mein Buch werden.“

Änne malt ganz konzentriert zwei Menschen.

Änne:

„Du wunderst dich jetzt und fragst mich bestimmt, warum der Eine eine Hose, und der Andere einen Rock hat. Stimmts, das wolltest du mich fragen?“

Diana: „Stimmt genau, wer soll das sein?“

 

 

 

 

 

Änne:

„Das sind meine Mama und mein Papa, als ich ein Jahr alt war. So, jetzt mal ich noch mich.“

Nach dem Malen beginnt sie zu sagen, was sie schreiben möchte:

„Einmal am Tag war eine schöne Familie im Land.“

Ich lautiere dann ihren Satz, und sie beginnt in Großbuchstaben zu schreiben. Den Laut G kann sie schwer erkennen. Ich helfe ihr und zeige ihr, wie der Buchstabe G geschrieben wird. Beim W bittet sie erneut um Hilfe. Nachdem ich den Buchstaben auf einen Zettel geschrieben habe, sagt sie:

„Ah, das ist das M, nur andersrum.“

Beim „Sch“ kommt sie ins Stocken. Ich frage sie: „Was hörst du?“

Änne:

„Das hört sich an wie bei Charlaine. “

(Sie ist ihre Freundin.)

Ich bestätige die Aussage und erkläre ihr, dass Charlaine aus Marokko kommt und daher sicherlich die Schreibweise anders ist, oder auch die Art es auszusprechen und schreibe ihr das „sch“ auf.

Änne:

„Ah, da kommt noch ein s vorne hin. Hört sich doch aber gleich an, komisch.“

Wir beenden die Seite im gleichen Stil. Auf der nächsten Seite malt sie wieder zuerst und schreibt: DIE WAREN GLÜCKLICH.

Änne:

„Oh schau, wie viel ich geschrieben hab. In meinem Interessantenklub lese ich das vor. Die kriegen ein Zeichen und dann dürfen sie hören“

Ich frage sie, wer in ihrem Klub ist und sie meint, dass sie sich das gerade ausgedacht hat und sie wüßte es noch nicht. Beim Aufräumen schaue ich mir noch einmal ihr Buch an und sage ihr auch, dass ich es sehr gelungen finde und ich überrascht bin, dass sie wirklich alles allein schreibt.

Änne lächelt und sagt:

„Ach Diana, das tut mir richtig am Herzen gut.“

2. Tag

Nach dem Frühstück kommt Änne zu mir:

„Diana, machen wir gleich mein Buch weiter? Ich hab mir schon was Schönes überlegt.“

Wir gehen etwas später in die Turnhalle und sie beginnt eifrig zu malen.

Änne:

„Ich male ein Haus und eine Katze. Meine Schwester hat auch schon mal eine Katze gemalt. …Meine Katze find ich richtig schön, besser als die von Emmy.“

Diana: „Was gefällt dir denn besser?“

Änne:

„Meine Schwester malt nur eine Katze, die sitzt, aber meine kann sogar schon laufen. Ich mal jetzt noch ein schönes Haus. Es ist silber. Den Himmel mal ich überall, denn wenn du so guckst

(Änne zeigt mit dem Finger aus dem Fenster)

siehst du überall den Himmel da draussen.“

Als sie mit ihrem Bild fertig ist, sagt sie ohne Aufforderung, wie der Text lauten soll:

„Und sie hatten ein schönes Haus.“

Beim „sie“ sage ich: „Oh, das ist wieder ein langes i. Weißt du noch, was ich dir dazu gesagt habe?“

Änne:

„Ja, ich muss ein „i“ und „e“ schreiben. Das hast du mir schon gestern gesagt.“

Wenn Änne Buchstaben nicht genau erkennt, fragt sie, Beispiele hierfür sind:

„Ist das ein T wie Tisch oder wie Diana?“

oder

„Ich höre das nicht, ist das wie bei Himmel?“

Auf der nächsten Seite malt sie einen Spielplatz. Während des Malens sagt Änne:

„Ich liebe Büchermachen. Ich hab das noch nie gemacht, aber jetzt weiß ich, wie sich das anfühlt!“

Danach sagt sie wieder, was sie schreiben möchte:

„Hier ist mein Spielplatz.“

Auf der nächsten Seite möchte sie nur malen. Sie malt dicke Gewitterwolken und ein Boot mit einem Mädchen.

Sie kommentiert:

„Weißt du, jetzt male ich ein Boot. Es hat nämlich schon mal so geregnet, da konnte ich mit dem Boot in den Kindergarten kommen. Das hab ich mal geschenkt bekommen. Ich male auch Arme, da paddele ich.“

Ich frage Änne, ob sie schon mal gepaddelt ist, denn paddeln ist ein schwieriges Wort und ich bin erstaunt, dass sie es kennt. Sie meint:

„Na klar weiß ich das, hörst du mir nicht zu? Ich bin in den Kindergarten gepaddelt.“

Sie beendet ihre Zeichnung. Wir schauen uns gemeinsam das bisher Geschriebene an und wir stellen fest, dass sie sehr stolz sein kann.

3. Tag

Änne kommt im Laufe des Tages zu mir und sagt:

„Heute lese ich mein Buch mal vor. Es ist noch nicht fertig, aber die Kinder sind immer so neugierig.“

Ich schlage ihr vor, dass wir uns später auf dem Teppich treffen, und dann kann sie loslegen.

Gesagt, getan. Wir sitzen auf dem Teppich.

Änne grinst, sitzt in der Mitte, hält ihr Buch hoch und fragt ganz selbstbewusst und stolz:

„Soll ich ganz von Anfang lesen? Aber ihr müsst ganz still sein, sonst klapp ich mein Buch zu und lese nicht für euch.“

Lukas: „ Gut,ich schließe meinen Mund zu.“ Er bewegt die Hand, als würde er einen Schlüssel vor seinem Mund bewegen.

Änne:

„Ja, am besten alle, ich gucke zu. Den Schlüssel könnt ihr zum Gott hoch werfen.“

Änne beginnt ihr Buch vorzulesen und blättert bedächtig die Seiten um. Die Kinder beobachtet sie dabei genau.

 

 

 

 

 

Bei der letzten Seite hatte sie ja noch nichts geschrieben. Sie erklärt:

„Das Bild ist dafür, dass ich euch zeigen kann, wenn es mal doll regnet, dass ihr dann mit dem Boot kommt und rudert.“

Die Kinder kichern.

Änne:

„Wer hat denn alles ein Boot?“

Es melden sich 4 Kinder.

Änne:

„Aber bitte, ihr lügt mich jetzt nicht an!“

Charlaine: „Oh Änne, das ist ein tolles Buch!“

Jill: „Änne, kannst du das Buch nochmal vorzeigen?“

Sie zeigt allen Kindern das Buch.

Zum Schluss gibt sie das Buch aus der Hand, und jedes Kind darf es mal anfassen.

Sie sagt zu den Kindern:

„Aber macht es mir nicht kaputt. Dann bin ich stinksauer.“

Als Charlaine das Buch hält, kommt von Änne:

„Charlaine, nicht blättern, nur das 1. Blatt.“

Alex, ein Junge, der noch recht klein und relativ neu bei uns ist, möchte auch blättern.

Änne:

„Gut Alex, du darfst mal blättern, weil du noch klein bist.“

Die Kinder sind beeindruckt und loben Änne sehr dafür.

Jona fragt: „Änne, bastelst du mir auch so eins?“

Änne:

„Ich bereite es dir vor, lege dir alles zurecht, aber schreiben musst du.“

Am Ende, nachdem alle Kinder das Buch gesehen haben, sage ich ihnen, dass ich die Arbeit sehr gut finde und mich freue, dass es den Kindern ebenso ergangen ist. Abschließend werfe ich den Gedanken ein, dass es sehr gut möglich ist, dass Änne mal eine Schriftstellerin wird und wir ihre Bücher dann in einem Laden kaufen können.

Änne, ungeheuer gestärkt in ihrem Selbstbewusstsein, steht auf und wir gehen danach raus auf den Spielplatz.

Datum der Veröffentlichung: Januar 2012
Copyright © Hanna Vock 2012, siehe Impressum.

Kinder schreiben Bilderbücher

 

Mit Bilderbüchern sind Kindergartenkinder gut vertraut, sie sind Teil ihres Alltags, und vielen Kindern bedeuten sie viel.

Ein Bilderbuch selber gestalten und herstellen, das ist für Kinder ein spannender und komplexer Prozess: Bilder zu einer Geschichte malen, vielleicht die Geschichte selber ausdenken, einen Text selber schreiben, das Buch aus den einzelnen Seiten erstellen – und dann das Bilderbuch präsentieren.

Etliche Kinder, deren sprachliche Fähigkeiten weit entwickelt sind und die früh mit dem Schreiben beginnen, also eine besondere sprachliche Begabung zeigen, finden ein Projekt zur Bilderbuchherstellung reizvoll.

Jüngere hoch begabte Kinder finden sich gut in eine Kleingruppe mit älteren Kindern ein, ältere hoch begabte Kinder haben allerdings oft höhere Ansprüche an das Ergebnis als die Gleichaltrigen. Das gilt es zu beachten.

In den Praxisbeispielen wird deutlich, wie unterschiedlich die Kinder die Idee umsetzen, selber ein Bilderbuch herzustellen.

Praxisbeispiele:

 

Datum der Veröffentlichung: Januar 2012 / August 2021
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

Geschichten aus der Kita Kumulus

Geschichten von „Wortsteller“-Teams

Vorwörtchen
Kinder sind Dichter und Denker.
Solange sie noch nicht schreiben können, sind sie noch nicht Schriftsteller, können aber „Wortsteller“ sein. Vielleicht behalten sie auch später noch ihre Freude und ihre Lust am Fabulieren und schreiben ihre Einfälle dann selber auf. Das hoffen wir von Herzen.

In unserer Kita sind die Kinder schon geübt darin, ihre Texte den Erzieherinnen in die Federn, den Kugelschreiber oder den PC zu diktieren. Sie ergänzen und verbessern sich dabei gegenseitig und vergewissern sich genau, ob alle ihre Ideen und Satzstellungen wortgetreu übernommen wurden.

Die folgenden Geschichten wurden von Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren ersonnen und diktiert, sowohl von Dichterindividuen als auch von Wortsteller-Kollektiven.

Und hier sind die Geschichten:

 

Für die letzten drei Geschichten orientierten sich die Kinder beim Geschichtenerfinden an Gegenständen, die sie vorher ausgesucht und bereit gelegt hatten.
Diese Gegenstände sollten nur als Anregung dienen, sie wurden nicht immer alle untergebracht – und das war auch nicht die Aufgabe.

 

Datum der Veröffentlichung: Februar 2020
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