Was ist in Grundschulen möglich?

von Hanna Vock

 

Grundschulen haben verschiedene Möglichkeiten, hoch begabte Kinder zu fördern:

 

    • Einschulung mitten im Schuljahr.
      Dass dies möglich ist, wissen viele Eltern, Lehrerinnen und Erzieherinnen nicht. Oft ist es aber ein guter Weg für ein Kind, wenn sich die Unterforderung im Kindergarten erst nach der Einschulung der „Großen“ deutlich zeigt.
    • Flexible Eingangsphase (die auch wirklich genutzt wird!).
      In Schulen mit flexibler Eingangsphase wird oft nur die Verlängerung der Grundschulzeit genutzt, nicht aber die Verkürzung auf drei Jahre.
      Eltern sollten sich, wenn nötig, aufs Gesetz berufen.
      Für das Land NRW finden Sie hier einen Auszug aus dem Schulgesetz.
    • Schnupperunterricht in der nächsthöheren Klasse.
      Dadurch können vom Kind, den Lehrerinnen und den Eltern Erfahrungen gesammelt werden, die ein Klassenüberspringen im Voraus besser abschätzbar machen.
    • Unterricht in einer höheren Klasse in einem Fach.
      Wenn ein Kind in einem Fach seinen Klassenkameraden sehr weit voraus ist, sollte man ihm diese Möglichkeit eröffnen.
    • Arbeitsgemeinschaften mit kognitiv anspruchsvollen Inhalten.
    • Ermutigung zur Teilnahme an Wettbewerben und, wo möglich, an einer Kinder-Uni.

Dies alles können sinnvolle Maßnahmen sein und müssten viel häufiger genutzt werden.

Das A und O sind aber Lehrerinnen, die aufgeschlossen für das Phänomen Hochbegabung sind und bestenfalls auch eine einschlägige Weiterbildung genossen haben.

Es gilt, die Besonderheiten der Kinder zu erkennen, zu verstehen und die Erkenntnisse in kreatives pädagogisches Handeln umzusetzen: Schwierigere Aufgaben, besondere kognitive Herausforderungen, bei denen die Kinder unterstützt werden müssen. Es ist nicht ausreichend, einem siebenjährigen Kind zu sagen, es möchte doch vor der Klasse mal einen Vortrag halten, zu einem selbstgewählten Thema. Natürlich braucht das Kind hierzu methodische Anleitung.

Es gilt für die Lehrerin, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen, damit es sich auf von der Klasse abweichende Lernwege einlassen kann.

Ein mutiges und sehr erfolgreiches Modell der Begabtenförderung wurde schon vor über 10 Jahren an einer Grundschule eingeführt: Die Kinder, die als besonders begabt und lernmotiviert eingeschätzt wurden, erhielten einen besonderen Stundenplan:

Für diese Stunden wurde ein besonderer Raum bereit gestellt; Die Lerngruppen wurden von Lehrern, aber auch von externen Experten geleitet.

Es war für hoch begabte Kinder mit unterschiedlichen Interessen und Begabungsschwerpunkten etwas dabei:

Für die besonders wissenshungrigen: Weltwissen.
Für die mathematisch begabten: Mathematik / Geometrie.
Für die sprachlich/literarisch begabten: Literatur.
Außerdem konnten die Kinder von früh an methodische Fähigkeiten erwerben und ausbauen, zum Beispiel: Internet-Recherche und Forschen in eigenen Projekten.

Bitte lesen Sie auch:

Wie finden Eltern eine passende Grundschule?

 

Datum der Veröffentlichung: Februar 2017
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

 

 

Hoch begabte Kinder und besondere emotionale Sensibilität

von Elke Keuler

 

– in Auseinandersetzung mit Darstellungen zur „Phänomenologie der Hochbegabung“ in Webb, Meckstroth, Tolan: Hochbegabte Kinder, ihre Eltern, ihre Lehrer – ein Ratgeber, Bern/Göttingen/Toronto/Seattle 2002 (3.Aufl.), Seite 21 -41. (Siehe Literaturverzeichnis.)

Leistungen und Talente sind nur eine Seite von Hochbegabung. Oft sind hoch begabte Kinder auch emotional besonders sensibel. Das betont auch der polnische Psychiater und Psychologe Kasimierz Dabrowski (1902 – 1980), dessen Theorie im ersten Teil des Buches von Webb und anderen vorgestellt wird.

Besonders interessant finde ich, wie Dabrowski bestimmte Verhaltensweisen und besondere Sensibilitäten (hohe Empfindsamkeiten der Sinne) hoch begabter Kinder einordnet, die ich selber bereits beobachten konnte.
Er unterscheidet fünf angeborene besondere Sensibilitäten („overexcitabilitis“ – abgekürzt OE), die bei hoch begabten Kindern in unterschiedlicher Mischung und Intensität vorkommen und ihre Persönlichkeit stark bestimmen:

– psychomotorische
– sensorische
– intellektuelle
– imaginäre und
– emotionale OE.

… kurz gefasst…

In ihrer dritten von drei geforderten Literatur-Aufgaben im IHVO-Zertifikatskurs setzt sich die Autorin mit der oft beobachteten besonderen Gefühlsintensität hoch begabter Kinder auseinander.

Ihre Erfahrungen in der Kita verbindet sie mit den Erkenntnissen aus der oben genannten Fachliteratur.

Besondere Gefühle schätzen lernen

Vor allem die letztgenannte, die besondere emotionale Sensibilität hoch begabter Kinder, beschäftigt mich. Hoch begabte Kinder erleben sich selber oft als „nicht in Ordnung“, weil sie sich in Situationen betroffen fühlen, über die Andere hinwegsehen. Solche Kinder brauchen Hilfe, um ihre besonderen Gefühle annehmen und schätzen zu können. Sonst besteht die Gefahr, dass ihre emotionalen Anspannungen zu körperlichen Symptomen, zum Beispiel Kopfschmerzen oder Reizmagen, führen.

Dabrowski schildert, dass hoch begabte Kinder vermehrt Reize wahrnehmen können – was ich auch beobachtet habe. Zugleich sind diese Kinder aber oft noch nicht fähig, ihre vielen Wahrnehmungen zu „sortieren“. Da Reizüberflutung zu einem „inneren Chaos“ führen kann, müssen alle Kinder lernen, Reize zu kanalisieren und dabei auch Prioritäten zu setzen. Dazu benötigt meiner Meinung nach auch das hoch begabte Kind die Unterstützung Erwachsener.
Für die Arbeit in der Kita ist es erforderlich, dass Erzieherinnen und Eltern um diese Sensibilitäten wissen, sie richtig verstehen und dem Kind die notwendige Hilfe anbieten können.

Hohe Sensibilität als Chance

Positiv finde ich, dass Dabrowski die besonders ausgeprägten Sensibilitäten hoch begabter Kinder nicht nur als belastend einschätzt. Er sieht für die Kinder auch die Chance, auf Grundlage dieser Sensibilitäten – wenn es optimal läuft – zu einem individuellen Persönlichkeitskonzept auf höchster Stufe gelangen zu können. Das ist auch abhängig von den Reaktionen der Personen, die mit diesen Kindern täglich umgehen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass hoch begabte Kinder auf zwischenmenschliche Interaktionen besonders sensibel reagieren. Eine Veränderung der Stimmlage oder auch im Verhalten wird direkt wahrgenommen. Sie fühlen besonders intensiv und leiden unter Umständen mehr – auch in schwierigen Situationen, die sie persönlich gar nicht betreffen.

Der Durchschnitt gilt als Norm

Der Prozess der emotionalen Entwicklung ist Teil der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit. Oft habe ich den Eindruck, dass wir in unserer Gesellschaft kaum Raum für Individualität bieten. Eine Tendenz zur Norm, zur Mitte hin, ist deutlich erkennbar. Der Durchschnitt ist die Messlatte für „normale“ Leistungen.
Klar ist dann auch, unter welchem Druck hoch begabte Kinder stehen, die sich selbst nicht selten als „anders“ erleben.

Unkonventionelle Strategien fördern

Im Gegensatz zu durchschnittlich Begabten liegt eine Stärke Hochbegabter darin, Ziele über andere, manchmal unkonventionelle Wege zu erreichen. Weil Erzieherinnen und Lehrerinnen oft nur vorgefertigte Vorgehensweisen und Lösungswege kennen oder akzeptieren, wird Hochbegabten das Leben und Lernen schwer gemacht. Ihnen bleibt zu wenig Raum für Individualität und Kreativität.
Wünschenswert wäre, dass Erzieherinnen und Lehrerinnen unkonventionelle Strategien nicht nur tolerieren, sondern individuelle Lösungswege auch mit den Kindern be- und erarbeiten, sie darin unterstützen und bestärken.

Hohe Anforderungen an Pädagogen

Erstaunlich finde ich, dass selbst dort, wo es Schulprogramme für Hochbegabte gibt, das Wiederholen von Fakten im Mittelpunkt steht und damit zwangsläufig der Anteil individueller, kreativer Arbeiten geringer ist als möglich.

Arbeit mit hoch begabten Kindern und Jugendlichen ist ein sehr anspruchsvolles Gebiet. Es fordert vom Pädagogen nicht nur hohe Einsatzbereitschaft, sondern auch innovatives und flexibles Denken.
Wenn Stärken des Kindes, sein divergentes Denken und die unkonventionelle Weltsicht nicht erkannt und gefördert werden, entstehen Selbstwertzweifel, innere Leere, Langeweile und – was ich besonders schlimm finde – es wächst die Einsamkeit.

Im Feld der Hochbegabung nicht ausgebildete Lehrerinnen und Erzieherinnen entwickeln häufig das Gefühl, von den Kindern in ihrer Autorität in Frage gestellt zu werden. Das zeigt, welche persönlichen Voraussetzungen Pädagogen mitbringen müssen, um hoch begabte Kinder verstehen und angemessen fördern zu können – und dies nicht nur intellektuell, sondern auch emotional. In der Ausbildung von Erzieherinnen und Lehrerinnen sollten diese Fragen eine größere Rolle spielen.

Hochbegabte integrieren

Hoch begabte Kinder müssen integriert werden, ohne sie mit Druck der durchschnittlichen Norm anzupassen. Hoch begabte Kinder und zumeist auch ihre Eltern benötigen immer wieder „Rückenstärkung“.
Eine individuelle Förderung hoch begabter Kinder ist nur dann möglich, wenn man sich von manchen vorgegebenen Strukturen verabschiedet und damit Raum für neue Strukturen bietet.

Immer wieder bin ich den Vorurteilen und Mythen um hoch begabte Kinder begegnet, die auch im Buch von Webb und anderen angesprochen werden. Und zwar nicht nur in meiner Kita, sondern mir wurde auch häufig in unserem Beratungsnetzwerk darüber berichtet.
Für das hoch begabte Kind kann es fatale Auswirkungen haben, wenn es etwa irrtümlich als „hyperaktiv“ diagnostiziert wird. Daran wird deutlich, wie wenig oft auch Ärzte über das Thema Hochbegabung wissen.
Wenn ich mir überlege, wie vielen Irrtümern ein hoch begabtes Kind ausgeliefert sein kann und wie schwerwiegend die Folgen sein können, dann sehe ich, wie wichtig weitere Aufklärung zum Phänomen Hochbegabung ist.

Kinder vor Isolierung bewahren

Hoch begabte Kinder sind in ihrem Sprachgebrauch Gleichaltrigen oft weit voraus, was zu Kommunikationsschwierigkeiten führt. Deshalb suchen sie sich häufig ältere Kinder oder auch Erwachsene als Gesprächspartner. Dies kann dazu führen, dass in der Gruppe der Gleichaltrigen kaum oder keine Kontakte mehr zustande kommen.
Auch in diesem Zusammenhang sind die Einstellungen und das Vorgehen der Erwachsenen wichtig, die mit dem Kind umgehen. Wenn Eltern etwa stolz darauf sind, dass sich das Kind vor allem mit Erwachsenen austauscht, werden sie kaum initiativ werden, dem Kind Chancen zu eröffnen, andere Beziehungen zu knüpfen. Das Kind droht sich zu isolieren. Dieses Problem sollte durch gezielte Hilfestellungen der beteiligten Erwachsenen (Eltern, Erzieherinnen, Lehrerinnen) frühzeitig angegangen werden, um das Kind zu unterstützen, ein positives Lebensgefühl zu ermöglichen, es vor Isolierung und Einsamkeit zu bewahren.

Überforderung vermeiden

Aufklärung ist auch nötig, wenn Erwachsene – ausgehend von der intellektuellen Reife des Kindes – fordern, dass es sich auch sonst immer entsprechend reif verhält. Dabei ist sein Verhalten altersentsprechend: Es kann sich mit Geschwistern um Spielzeug streiten, auch wenn es sich vielleicht kurz vorher noch mit Atomenergie beschäftigt hat… Für viele Eltern und andere beteiligte Erwachsene ist diese Diskrepanz schwer zu verstehen.

Erschreckend finde ich den Gedanken, dass es so etwas wie eine „optimale Intelligenz“ geben soll. Heißt das, intelligent sein sei ja schön und gut, aber bitte nur so lange, wie dies für Andere nicht unbequem ist oder eine Herausforderung darstellt?

Anmerkung der Kursleitung:
Dieser bei Hollingworth schon in den 1940er Jahren auftauchende Begriff der optimalen Intelligenz meint, dass sehr hoch begabte Menschen oft zu entrückt sind, um Bedeutendes zu leisten und von ihrer Umwelt anerkannt zu werden.
Dies beides hängt natürlich zusammen, wie Du auch in Deiner kritischen Frage andeutest: Findet der sehr hoch begabte Mensch nicht rechtzeitig Zugang zu ähnlich Befähigten, dann kann er daran gehindert sein, sozial angenommen zu werden und Großes zu leisten. Hieraus ergibt sich – unserer Ansicht nach schon im Kindergarten – die pädagogische Aufgabe, hoch begabte Kinder auch mit anderen Hochbegabten zusammen zu bringen. So können die Weichen in Richtung Verständnis durch Andere und sozial anerkannte Leistungen gestellt werden.

Einerseits werden (intellektuell) hoch begabte Kinder in und von unserer Gesellschaft vernachlässigt: ihre Fähigkeiten werden nicht gesehen, eine angemessene Förderung wird ihnen oft verweigert. Andererseits wird versucht, sie in irgendwelche Normen zu pressen. Die dafür verwendete Energie sollte besser in Anstrengungen umgesetzt werden, die Kinder zu fördern und vor allem sie zu verstehen!

Anmerkung der Kursleitung:
Ja, und eben auch die außergewöhnlich hoch begabten – was unseres Erachtens nur durch intensives Mentoring zu erreichen ist.

Neben emotionaler Überforderung leiden hoch begabte Kinder aber immer noch vor allem unter intellektueller Unterforderung: Sie verbringen viel Zeit mit warten: warten darauf, dass sie etwas Neues lernen dürfen; warten, dass die Anderen hinterher kommen, obwohl ihnen die Lösung längst klar ist. Das erzeugt mit Sicherheit viel Frustration.

Drang nach Selbstbestimmung und Perfektion

Hoch begabte Kinder streben in besonderem Maße nach Selbstbestimmung und Perfektion – wie auch Dabrowski betont. Viele fordern die gleichen Rechte wie Ältere, haben oft einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.
In der Praxis sollte der Drang nach Selbstbestimmung in Situationen, in denen sie möglich ist, auch zugelassen werden. Wenn ihre Vorstellungen jedoch im Moment nicht umzusetzen sind, muss man mit den Kindern darüber sprechen.

Strebt das Kind stark nach Perfektion, sollte man ihm einerseits helfen, die Vorstellungen umsetzen zu können, aber andererseits auch bewusst machen, dass manche Fähigkeiten Zeit brauchen, um sich entwickeln zu können – auch wenn „der Kopf schon weiter ist“. Das gilt zum Beispiel für fein- oder grobmotorische Fähigkeiten.

Hilfen bei asynchroner Entwicklung

Unter dem Titel „Hochbegabung: Fluch und Segen“ beschreiben Webb und andere Schwierigkeiten, die sich aus asynchronen (zeitlich auseinander fallenden) Entwicklungen etwa im kognitiven, emotionalen und körperlichen Bereich ergeben. Als Folgen werden innere Spannungen und Frustrationen genannt, was wiederum dazu führen kann, dass bestimmte Aufgaben oder Vorhaben aufgegeben oder erst gar nicht angegangen werden.

Erzieherinnen sind dann besonders gefordert, das Kind in seiner Gesamtentwicklung mit einem hohen Maß an Sensibilität zu begleiten.

Hoch begabte Kinder sind Gleichaltrigen weit voraus. Das bezieht sich nicht unbedingt auf alle Interessen und Fähigkeiten. In der Kita haben Hochbegabte leichter die Möglichkeit, für ihre verschiedenen Interessen auch passende Kinder zu finden. Wenn die Erzieherin merkt, dass das Kind hier Schwierigkeiten hat, kann sie bei der Kontaktaufnahme helfen oder auch gezielt Interessengruppen bilden.
Siehe auch: Kleingruppenarbeit.

Gerade bei jüngeren Kindern ist eine solche Vermittlung hilfreich, da sich die älteren Kinder nicht immer von sich aus mit jüngeren beschäftigen wollen.

Sich selber verstehen lernen

Eine wichtige Erziehungsaufgabe bei hoch begabten Kindern besteht darin, ihnen zu helfen, ein Verständnis für sich selbst und ihre Hochbegabung zu entwickeln.
Das wird deutlich, wenn ein hoch begabtes Kind zunächst nicht versteht, dass andere Kinder sich nicht mit der gleichen Intensität für außergewöhnliche Themen interessieren. Es geht also nicht nur darum, das Kind in seinen Interessenbereichen, in seiner Neugier zu unterstützen und weiter zu fördern. Gespräche helfen dem Kind, sich selbst besser zu verstehen und zu erfahren, dass es so, wie es ist, OK ist.

Hoch begabte Kinder setzen sich zuweilen mit Themen wie Weltfrieden oder moralischen Kernfragen auseinander. Sie stehen der Tatsache fassungslos gegenüber, dass Andere ihre diesbezügliche Neugier nicht teilen und Inhalte ganz anders sehen. Auch wenn sie aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeit die Inhalte verstehen, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie diese auch emotional verarbeiten oder nachvollziehen können. So müssen sie beispielsweise noch lernen, dass Menschen auch Fehler machen und Lösungen eben nicht immer direkt „auf der Hand liegen“.

Verwirrend und zugleich enorm belastend kann für diese Kinder auch sein: Einerseits können Erwachsene nicht nachvollziehen, warum das Kind sich mit Themen wie Atomenergie und Umweltschutz auseinandersetzt, und andererseits erwarten die gleichen Personen, dass es sich später als Erwachsener für diese Themen verantwortlich fühlt.

Die Kinder benötigen die Unterstützung Erwachsener, die ihnen Inhalte erklären und helfen, ihre Gefühle zu verarbeiten und zu verstehen.

Schwieriger Umgang mit Doppelbotschaften

Zum Thema Hochbegabung werden in unserer Gesellschaft häufig in sich widersprüchliche Doppelbotschaften ausgesendet: Einerseits werden junge Talente und Begabungen hoch geschätzt und auch belohnt. Andererseits versuchen Erwachsene immer wieder, hoch begabte Kinder in eine „normale Form“ zu pressen. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie sehr die Kinder unter dieser Ambivalenz leiden. Das nicht eindeutige Verhalten von Erwachsenen beeinträchtigt die Beziehung und das Vertrauen zu ihnen.

Wie alle Kinder wollen auch die hoch begabten dazugehören. Das kann dazu führen, dass sie sich darüber definieren, was sie am Besten können und dies dann auch nach außen hin zeigen. Wenn es dabei jedoch um intellektuelle Leistungen geht, löst das bei den Anderen oft die bekannten (negativen) Reaktionen aus.

Manche Kinder ändern daraufhin ihre Strategie: Um nicht aufzufallen, halten sie mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten „hinter dem Berg“. Das zeigt erneut das Dilemma, in dem hoch begabte Kinder stecken.

Es kommt auch vor, dass Eltern ihr hoch begabtes Kind hauptsächlich über die von ihm erbrachte Leistung definieren und das Kind seinen eigenen Wert infolgedessen auch nur an den Leistungen festmacht. Ich kann mir sehr gut vorstellen, was bei diesem Kind emotional ausgelöst wird, wenn es Sorge hat, den eigenen oder auch den Vorstellungen der Eltern nicht gerecht werden zu können.

Tragische Zuflucht in der Einsamkeit

Problematisch und vor allem tragisch finde ich es, wenn sich hoch begabte Kinder von Gleichaltrigen bewusst zurückziehen. Aus Angst vor Ablehnung wird erst gar kein Versuch mehr gestartet, Kontakte zu knüpfen. Webb und andere schreiben in diesem Zusammenhang von der „Einsamkeit als Zuflucht“, die auch zu einem „Gefängnis“ werden könne.
Das kann für mich nur heißen, dass solche Kinder unglücklich sind, wenn sie gar keine Freunde haben.

Zwar suchten Hochbegabte auch die Einsamkeit, um etwa ihre kreativen Fähigkeiten ungestört ausleben zu können, schreiben Webb und andere weiter. Es macht keinen Sinn, sie zu Gruppenaktivitäten zu zwingen.

Anmerkung der Kursleitung:
Statt Einsamkeit würden wir hier den Begriff „zeitweises Alleinsein“ vorziehen.
Einsamkeit verstehen wir als das Fehlen von anderen Menschen, zu denen das Individuum gute Bindungen hat. Diesen Zustand suchen auch Hochbegabte nicht wirklich. Das passt ja auch zu Deinen nächsten Sätzen.

Für mich ist die logische Schlussfolgerung, dass die Erwachsenen erst einmal herausfinden müssen, was die Kinder interessiert. Dann können Projekte oder Aktivitäten angeboten werden, in denen die Hochbegabten andere Kinder finden, die ihre Interessen teilen.

Gegen unverständliche Regeln

Hoch begabte Kinder stellen gern Regeln, Bräuche und Traditionen in Frage. Wenn sie nicht logisch zu erklären oder schlicht irrational sind, fällt es ihnen aufgrund ihres logischen Denkens schwer, diese Grenzen oder Regeln zu akzeptieren.

Besonders kritisch wird es dann, wenn Erwachsene, die doch (in den Augen der Kinder) so viel Macht besitzen, sich in ihren Meinungen und Haltungen widersprüchlich verhalten. Ebenso unverständlich erscheint es, wenn Erwachsene nicht in der Lage sind, Probleme zu bewältigen, deren Lösungen doch so offensichtlich scheinen.

Noch schwieriger ist es für die Hochbegabten zu begreifen, dass offenbar außer ihnen kaum jemand diese Inkompetenz bemerkt. Ich denke, diese Kinder zweifeln nicht nur an den Erwachsenen, sondern manchmal auch an sich selbst – abhängig von ihrem Selbstwertgefühl. Verständlich, dass es bei solchen Erfahrungen früh zu existenziellen Krisen kommen kann.

Siehe auch:
Verstörende Dummheit von Erwachsenen.

Ein außergewöhnliches kleines Mädchen, dort besonders die Abschnitte: 6. Gefühle / Empfinden und 10. Tod und Trauer.

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2017
Copyright © Elke Keuler, siehe Impressum

Kevin, 5;8 Jahre

von Elke Keuler

 

Kevin ist zwar nicht in meiner Gruppe, aber er wurde auf unser Anraten getestet, was seine vermutete Hochbegabung bestätigt hat. Es interessiert mich als Leiterin, ihn jetzt noch einmal in verschiedenen Situationen gezielt zu beobachten, um mich auch mit dem Team besser beraten zu können.
Ich habe vorher den Fragebogen von Joelle Huser durchgearbeitet und achte besonders auf die darin aufgeführten Merkmale.

Beobachtung 1

Ich bitte Kevin zu mir in die Gruppe, mit der Begründung, dass ich etwas mit ihm spielen möchte.
Grundsätzlich geht er mit Situationen, in denen nicht direkt klar ist, was ihn erwartet, etwas vorsichtig um. Wir arbeiten teil-offen, aber er hält sich eher selten in unserer Gruppe auf.
Aber er kommt, sein Gang ist eher zögerlich und „in den Augen sieht man Fragezeichen stehen“.

Als ich ihm sage, dass wir etwas mit Zahlen machen wollen,
lacht er und holt sich einen Spielteppich. Zahlen und der Umgang mit ihnen machen ihm schon seit längerem Spaß, vermitteln ihm offenbar ein Gefühl von Sicherheit und entsprechen seiner Vorliebe für ordnende Tätigkeiten.

Gemeinsam holen wir das Goldene Perlenmaterial (Montessori-Material zur Einführung in das Dezimalsystem). Direkt auf den ersten Blick erfasst er die Einer, Zehner, Hunderter und Tausender. Meine Frage, ob er das Spiel schon mal gespielt habe, verneint er und sagt: „Ich weiß das eben, ich sehe das.“ Das spricht für eine rasche Auffassungsgabe.

Wir holen dann den Kartensatz dazu und er legt ihn aus, entsprechend meiner Vorgabe, die Karten offen und untereinander zu legen.
Zuerst legt er die Karten von Eins bis Neun untereinander und sagt dann: „Ich weiß, wohin die Zehn gehört“, und legt sie links neben die Eins. Ohne mein Zutun hat er sich selbst schon eine Ordnung geschaffen und die Zusammenhänge erfasst.

Auch die anderen Zehnerzahlen 20, 30, … benennt er und legt sie neben die entsprechende Einerzahl. Ebenso verfährt er mit den Hundertern und Tausendern. Während er die Karten auslegt, wird er sichtlich motorisch aktiver, seine innere Beteiligung ist an seiner Mimik zu erkennen. Das Auslegen der Karten, die immer größer werden, macht ihm Spaß.

Anschließend kombinieren wir den Kartensatz mit dem Goldenen Perlenmaterial, das heißt, neben jede Zahl kommt die entsprechende Menge.

Als er bei den Hundertern ankommt – neben die 100 kommt eine Hunderterplatte, neben die 200 zwei Hunderterplatten – entsteht eine Treppe. Kevin meint: „Das sieht aus wie die Treppe am „Bonner Loch“, da sind die Stufen auch so breit.“ Er überträgt also das Bild, das er im Augenblick sieht, auf eine ganz andere Situation.

Seine Stimmung verändert sich, er wirkt fast traurig, als er bei der 9000 ankommt. Er fragt: „Und wie geht es nun weiter?“ Hier zeigt sich seine Vorliebe für komplexe, schwierige Aufgaben, aber auch seine Neugier – und was gibt es dann noch?

Da der Kartensatz und das Perlenmaterial nur bis 9000 bzw. bis 9999 reichen, schlage ich ihm vor, „Bank“ zu spielen. Das geht so: Eine Auswahl von Karten stellt eine große Zahl dar, die dann mit Hilfe des Kartensatzes als Menge nachgebaut wird.
Nun lege ich mit den Karten die Zahl 5555 und zeige ihm, wie er mit dem  Perlenmaterial die Menge darstellen kann – also 5 Tausender, 5 Hunderter, … und frage ihn, wie die Zahl bzw. die Menge nun heißt.

Dann legt er mir mit dem Kartensatz die Zahl 3724 hin, also untereinander die Karten mit der 3000, der 700, der 20 und der 4.
Gemeinsam überlegen wir nun, welche Perlenkarten wir benötigen, um die Menge 3724 darzustellen.

Sehr schnell erfasst er dann auch, wie die Zahl heißt. Während er sich die benötigten Perlenkarten zusammensucht, hüpft er um den Teppich herum.

Wir spielen noch eine ganze Weile weiter und es macht ihm ungeheuren Spaß, immer höhere Zahlen zu legen und in die entsprechenden Mengen umzusetzen. Hier zeigen sich sein großes Interesse an Zahlen und an höheren Anforderungen, aber auch eine große Eigenmotivation und eine lange Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdauer.

Leider ist dann bei 9999 Schluss, was ihm gar nicht gefällt. Er fragt wieder: „Wie geht es dann jetzt weiter?“ Ich beantworte seine Frage und verspreche ihm, dass wir bei unserem nächsten Treffen den Kartensatz auf die Zehntausender zu erweitern.

Tatsächlich schreiben wir dann gemeinsam die Zahlen 10000, 20000,…, 90000 auf einzelne Karten.

Auswertung:
Zunächst war es wichtig, ihm direkt zu sagen, was ihn erwartet, wenn man sich mit ihm beschäftigen will. Andernfalls läuft man Gefahr, dass er nicht mitmacht. Weiterhin ist es ratsam, immer noch was „in der Hinterhand“ zu haben, das man ihm anbieten kann, denn er sucht nach größeren Herausforderungen.
Sehr schön fand ich seine große emotionale Beteiligung. Spannend ist, wo er zurzeit seine persönliche Grenze setzt, ob er mit den Zehntausendern dann zufrieden ist oder ob er noch mehr will.

Beobachtung 2

Kevin kommt strahlend in den Kindergarten und grüßt in die Runde: „Guten Morgen!“ Während er am Frühstückstisch sitzt und isst, schaut er sich nach allen Seiten um, ist ständig in Beobachtung.
Erin sagt: „Das Handtuch ist nass.“ Kevin meint dazu: „Das kommt durch die ganze Nassigkeit vom Frühstück.“ Es ist eine Eigenart von Kevin, dass er immer wieder eigene Wörter erfindet.

Als er sein Geschirr spült, beobachtet er die anderen Kinder im Raum. Er beugt sich zu dem kleineren Hannes hinunter und sagt zu ihm: „Heute dürfen nur Jungs auf den (begehrten) Bauteppich.“
Auf meine Frage, wer denn heute darf, liest er die Namen mühelos von der Liste ab. Er liest schon seit einem halben Jahr. Er entdeckt seinen eigenen Namen und freut sich.

Die Gruppenerzieherin erläutert mir, dass er jeden Morgen auf die Liste schaut und immer genau beobachtet, wer auf dem Bauteppich spielt und ob das mit der Liste übereinstimmt. Klare Regeln und Strukturen sind für Kevin besonders wichtig. Bei Sonderregelungen und Veränderungen im Tageslauf fragt er stets nach dem Warum.

Kevin baut ein Haus mit mehreren Etagen. Dazu braucht er viele Lego-Platten, es kommt zu einem Streit mit den beiden anderen Kindern (Hannes und Dominik), die auf dem Bauteppich spielen.
Kevin löst das Problem, indem er versucht, die anderen Beiden von seiner Idee, ein Hochhaus zu bauen, zu begeistern. Es gelingt ihm. Ganz klar versucht er hier, seine Idee durchzusetzen. Obwohl es so aussieht, als hätte er die Anderen als Mittel zum Zweck dazu genommen, liegt viel Euphorie in seiner Stimme. Von der Art, wie er spricht, hat man den Eindruck, als würde ein Erwachsener versuchen, ein Kind zu motivieren, etwas Bestimmtes zu tun.

Kevin regelt nun, wer was baut und welche Bausteine dazu benötigt werden. Dominik ist unzufrieden, er braucht eine Platte: „Kevin, such mir eine.“ Kevin: „Ja, mach ich.“

Während Kevin danach sucht, erklärt er weitere Vorgehensschritte beim Bauen. Er bemerkt, dass ich die Situation auf dem Bauteppich beobachte, und beginnt die Kinder zu loben, wenn sie einen Baustein gefunden haben, den er benötigt.

Während er baut, summt er vor sich hin und ist sichtlich zufrieden. Das Haus bezeichnet er nun als mehrstöckiges Piratenschiff. Kevin: „Wir brauchen einen Ausgucksessel“.

Die Kinder lassen sich von ihm ins Spiel integrieren, wobei er die Rollen festlegt. Er zeigt hier Führungskompetenz.

Irgendwann baut sich Dominik ein eigenes Schiff. Dominik: „Hier bin ich der Kapitän.“ Offensichtlich ist für ihn jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo ihm Kevins Führungsanspruch zu viel wird.

Mir fällt auf, dass Kevin fantasievoll und planvoll konstruieren kann. Nicht ganz klar ist mir, ob es ihm Spaß macht, mit den beiden anderen Jungen zu spielen, oder ob er sie nur für seine Zwecke instrumentalisiert. Darin würde die Gefahr liegen, dass er irgendwann als Spielpartner nicht mehr so beliebt sein könnte.

Um hier noch einmal genauer zu beobachten, plane ich für ihn und ein paar andere Kinder eine Beschäftigung auf dem Bauteppich. Dabei will ich auch Kevins planvolles Vorgehen noch genauer beobachten.

Beobachtung 3

Kevin ist im Nebenraum und schlägt auf einer großen Matratze Purzelbäume. Als ich hereinkomme,hört er auf und schaut mich (verunsichert) an. Ich begrüße ihn und frage, wie es ihm geht.
Kevin: „Gut, aber ich wollte hier alleine sein.“
Ich: „Ich störe dich also.“
Kevin: „Ja, ich mache gerade Purzelbäume.“ Er hält kurz inne und fragt mich: „Wieso heißt das Purzelbäume? Was hat das mit Bäumen zu tun?“
Ich verspreche, es für ihn herauszufinden.

Beobachtung 4

Ich schlage den Kindern vor: Wir bauen auf dem Bauteppich einen Weihnachtsmarkt.
Zunächst überlegen die Kinder, was es auf einem Weihnachtsmarkt alles gibt. Dabei fällt auf, dass sich Kevin bei seiner Aufzählung vor allem an Fahrgeschäfte erinnert.

Die Kinder haben verschiedenes Baumaterial zur Verfügung. Kevin beginnt sofort, eine „Unterlage zum Riesenrad“ zu bauen. Er zeigt hier seine Vorliebe für technische Dinge, die ihn herausfordern.

Während die anderen Kinder auf dem großen Bauteppich eng beieinander sitzen, zieht sich Kevin mit seinem Bauwerk in die Ecke zurück. Er macht offensichtlich sein eigenes Ding.
Ziemlich rasch baut er mit Lasy (eltoys Lasy Konstruktionstechnik) ein Gestell mit einem sich drehenden Rad. Dabei geht er planvoll vor: Er betrachtet zunächst die Bausteine, die er zur Verfügung hat. Das eigentliche Zusammenbauen geht dann sehr schnell.

Kevin fragt mich: „Elke, ich weiß nicht, wie man das baut, wo die Leute drin sitzen.“
Ich frage ihn, ob er weiß, wie man das nennt. Kevin: Gordel oder so ähnlich“. Ich sage: „Du meinst die Gondel.“ Kevin: „Ach ja, danke.“

Gemeinsam überlegen wir, wie so eine Gondel wohl aussieht. Kevin erklärt Finn, dass man ein Rohr benötigt, damit es sich drehen kann. Mit einigen Steinen baut er dann Sitzflächen. Kevin: „Ich baue auf der anderen Seite noch einen Ständer, sonst kann das zur Seite kippen. Aber zuerst baue ich einen Bezahlstand. Hier stehen jetzt die, die immer das Geld kriegen.
Hier zeigt er seine sprachlichen Fähigkeiten.

„Ich bin jetzt fertig.“
Finn kommt zu ihm und bewundert das Riesenrad. Er macht den Vorschlag, daneben eine Mauer zu bauen. Kevin: „Das geht nicht, sonst stößt die Gondel daran… Finn, ich baue das Riesenrad noch höher. Das eine dreht sich in die eine und das andere in die andere Richtung.“ Hier zeigt sich seine Vorliebe für anspruchsvolle Aufgaben.
Kevin: „Manchmal bleiben die Gondeln auch oben stehen… Ich habe die tollsten Erfindungen.“

Er überlegt, wie er die Steine setzen muss, wobei er seine Fähigkeit zum vorausschauenden Denken beweist. Leider muss er feststellen, dass ihm zwei Steine fehlen. Er ist enttäuscht.
Ich versuche ihn zu trösten, sage, dass seine Idee total gut gewesen ist, dass ich es schade finde, dass er nun nicht weiter bauen kann und dass mir im Moment auch keine Lösung einfällt. Er akzeptiert die Tatsache, ohne weitere Frustration zu zeigen.

Beobachtung 5

Kevin ist mit drei anderen Kindern in der Turnhalle, ich setze mich dazu.
Kevin: „Erin, soll ich dir mal was zeigen? Jannis, du musst an die Seite gehen, ich will was zeigen.“ Dabei lächelt er das Kind an. Dann nimmt er zu mir Kontakt auf: „Schau mal, was ich kann!“
Er nimmt Anlauf und lässt sich mit einer Art „Schraube“ auf die dicke Matte fallen. „Das habe ich mal im Fernsehen gesehen. Da war ein Mann, der hat das an einer Stange gemacht und ich habe das jetzt so lange geübt, bis ich es kann.“ Er stellt hier einen hohen Anspruch an sich selbst.
Angesteckt durch Kevin, lassen sich jetzt auch die anderen Kinder auf die Matte fallen.

Bedia ist in der Krabbelrolle und fragt, wer sie drehen will. Kevin: „Ich.“
Danach springt er wieder auf die Matte. Dabei schaut er mich immer wieder an, ich vermute, dass er versucht, sich über diesen Weg Bestätigung zu holen. Er zeigt dabei ein Dauerlächeln.

Er krabbelt nun auch in die Rolle und lässt sich von Erin drehen. Kevin: „Ich bin ein Gepard! Elke, sollen wir ein Spieleland machen?“

Ich: „Was für ein Spieleland soll das sein?“
Kevin: „Du darfst dir aussuchen, wie es heißt und wo es ist.“
Ich: „Es soll ein Zauberwald in China sein.“

Kevin: „Immer wenn man hinfällt, fällt man so, deshalb heißt das Zauberwald.“ Er lässt sich auf den Po fallen.

Die anderen Kinder machen es nach.
Kevin zu den Kindern: „Richtig.“

Nun lässt er sich auf unterschiedliche Art auf die Matte fallen. Dabei versucht er immer die Mitte zu treffen und kommentiert seinen Sprung jedes Mal, zum Beispiel so: „Jan, willst du auch mal versuchen, die Mitte zu treffen? Da springt man und rutscht man so aus.“
Jan macht mit.

Kevin: „Am Rand ist es schwieriger, ich mache es jetzt mal schwieriger!“
Er kombiniert verschiedene Formen des Laufens mit verschiedenen Sprüngen. Dabei fordert er sich selbst zu immer neuen Leistungen heraus.

Die anderen Kinder schauen ihn staunend an und machen es nach. Kevin ruft „Gut!“ oder „Richtig!“ oder „So nicht!“. Wie ein Erwachsener bewertet er die anderen Kinder, was diese aber offenbar nicht stört. Das spricht für Ansätze von Führungskompetenz.

Beobachtung 6

Kevin kommt morgens freudestrahlend in den Kindergarten und erzählt mir von seinem Besuch im „Sealife“. Er hat dort Haie gesehen und weiß nun, dass es verschiedene Arten von Haien gibt, die sich der Größe, aber auch in der Gefährlichkeit unterscheiden.

Ich schlage ihm vor, dass er am Nachmittag mal nach unten in meine Gruppe kommen soll, wo wir dann im Internet nach Haien schauen können.

Tatsächlich kommt er nach dem Mittagessen von sich aus zu mir. Im Internet finden wir den größten aller Haie, den Walhai. Er kann 18 bis 20 Meter lang werden.

Um ihm eine Vorstellung davon zu ermöglichen, was 20 Meter sind, messen wir gemeinsam den Kita-Flur aus und müssen sogar noch die Eingangstür öffnen. Anfang und Ende der Strecke markieren wir mit Klebestreifen.

In der folgenden halben Stunde läuft er diese Strecke immer wieder ab. Er ist begeistert, wie groß ein Hai sein kann. Jedem, der rein kommt – die Abholzeit hat begonnen – erklärt er, was die beiden Markierungen zu bedeuten haben.

Am nächsten Tag kommt er noch einmal zu mir und sagt: Weißt du noch, wie wir gestern gemessen haben, wie lang der Hai ist? Ganz schön lang, oder?“

Fazit

Abschließend glaube ich sagen zu können, dass Kevin trotz seiner Hochbegabung und einigen Eigenheiten, wie zum Beispiel sein manchmal erwachsen anmutendes Verhalten, ein ausgeglichenes, fröhliches, wissbegieriges und von anderen Kindern akzeptiertes Kind ist.
Mein Eindruck ist, dass sowohl seine Familie wie auch der Kindergarten ihn in seiner Hochbegabung gut unterstützen: Anscheinend wurde das Maß gefunden, ihn hinreichend zu fördern, ohne ihn zu überfordern.
Er zeigt bisher keine Merkmale von chronisch unterforderten Kindern – was hoffentlich auch so bleibt, wenn er in der Schule ist.

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2017
Copyright © Elke Keuler, siehe Impressum.