Alltagsgegenstände als Spielmaterial

 

Empfohlen und kommentiert von Teilnehmerinnen der IHVO-Kurse

Hier finden Sie Erfahrungen, wie Alltagsgegenstände zu interessantem Material für hoch und besonders begabte Kinder wurden.

Die Liste ist wird immer wieder erweitert.

Über jedem Beitrag steht das Datum, an dem die Empfehlung in die Liste aufgenommen wurde. Die neuesten Empfehlungen stehen oben. So können Sie leicht feststellen, ob für Sie etwas Neues dabei ist.

Lesen Sie auch: Welches Spielmaterial brauchen hoch begabte Kinder?

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10. 1. 08

Bauanleitung für eine Wasser-Uhr

Material:

1 dicker Pfeifenputzer, etwas Knetgummi

1 (kleine) Gießkanne

1 Glas mit kleinem Durchmesser

feste Schnur, wasserfester Stift

Uhr mit Sekundenanzeige

Anleitung:

Den Pfeifenputzer in die Tülle der Gießkanne stecken und so mit Knete befestigen, dass nur ganz wenig Wasser aus der Kanne ausfließen kann.

Die Gießkanne an einer Schnur aufhängen und mit Wasser füllen. Das Wasser rinnt an dem Pfeifenputzer herunter und tropft in ein darunter gestelltes Glas mit nicht zu großem Durchmesser.

Jetzt kann die Uhr geeicht werden: zum Beispiel kann man abwarten, wie viel Wasser in 1 Minute (oder bei größeren Gläsern in 5 Minuten) in das Glas tropft. Entsprechend dem Wasserstand einen Eichstrich am Glas anbringen. Darüber in gleichen Abständen weitere Markierungen anzeichnen.

Hanna Vock, Bonn

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10. 1. 08

Buchkalender

Material:

Handelsüblicher Jahreskalender in DIN A5 (1 Seite = 1 Tag).

Mit perforierten Ecken zum Abreißen.

Verwendung:

Als Gruppentagebuch verwenden. Jeden (?) Tag, also immer wenn man es schafft, etwas Wichtiges, Spannendes, Witziges in dieses Buch eintragen (geschrieben, gemalt, Foto eingeklebt). Damit kann (unter Anleitung einer Erzieherin) eine Kleingruppe interessierter Kinder betraut werden.

Dieses Buch hat in der Gruppe einen besonderen Platz. Es wird genutzt, um zu reflektieren und um sich zu erinnern. Immer wieder mal kann/sollte es in Stuhlkreisen/Kinderversammlungen eine Rolle spielen.

Wichtige Termine, bevorstehende Feste und Ereignisse können im Voraus eingetragen werden.

Lernmöglichkeiten (neben anderen Aspekten):

Die betraute Kleingruppe entwickelt ihre Lese-, Schreib-, Skizzier- und Dokumentierfähigkeiten weiter. Sie können vor- und zurückblättern.

Sie entwickeln ihre Fähigkeit, sich anhand von Zahlen und Wörtern im Kalender zu orientieren.

Die Kinder erfassen den Verlauf der Zeit bewusster und erhalten genauere Vorstellungen über Zeitspannen.

Hanna Vock, Bonn

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10. 1. 08

Wasser-Experimentierspiel mit der Pipette

Zu Beginn des neuen Kiga-Jahres haben wir uns in Farb-Mischversuche gestürzt. Die Kinder haben zum Beispiel rote und blaue Wasserfarbe mit der Pipette gemischt.

“Pipette” ist nicht nur ein schwieriges Wort, sondern das kleine Gerät ist auch gar nicht so leicht in der Handhabung. Man muss die Luft herausdrücken, das Röhrchen dann ins Wasser halten, den Gummipfropfen loslassen, damit sich das Wasser hochzieht.

Dann die Pipette transportieren – ohne Wasserverlust – um das Wasser schließlich über einem Gefäß herauszudrücken.

Die Kinder waren hiervon fasziniert, so dass mir die Idee kam, ein kleines Spiel zu bauen.

Spielbeschreibung:

Auf einem Holzbrett mit niedrigem Rand, habe ich kleine Gefäße (Schraubdeckel in unterschiedlicher Größe) befestigt. Eine kleine Flasche mit Schraubverschluss steht bereit, diese wird von den Kindern am Wasserhahn gefüllt. Nun wird das Wasser in ein etwas größeres Gefäß gegossen und von dort mit der Pipette entnommen. Die kleinen Deckel werden gefüllt, wobei man die Tropfen zählen kann. Dieser Vorgang kann auch rückwärts erfolgen, bis die Gefäße wieder leer sind.

Ein Schwämmchen liegt bereit, für eventuelle Überschwemmungen.

Praxiserfahrung:

Ich war gespannt auf die Reaktion der Kinder und freute mich dann über ihr Interesse. Wasser übt eine große Faszination aus.

Für die Kleinsten ist es schon schwierig, das Fläschchen mit Wasser zu befüllen, die Größeren können hier helfen. Ansonsten arbeitet ein Kind konzentriert für sich. Eine Übung zur Feinmotorik, die offensichtlich eine kleine Herausforderung für die Kinder ist.

Verbesserungen:

Öfter kommt es zu kleinen Überschwemmungen, was zur Folge hatte, dass sich die Deckelchen lösten.

Nun bin ich auf der Suche nach einer flachen Plastikschale, da das Holz dem Ganzen auf Dauer nicht gewachsen sein wird. Außerdem ist es günstig, noch ein Handtuch in die Nähe zu legen.

Bärbel Hambloch, Köln

Quizfragen zu Rotkäppchen

erarbeitet im IHVO-Zertifikatskurs Köln 3

 

Zu den Spielregeln siehe: Quiz-Spiel

Wen geht Rotkäppchen besuchen?

  1. – den Kasper?
  2. die Oma?
  3. – ihre Tante?

Warum geht Rotkäppchen die Oma besuchen? Darf sie es alleine?

Was hat Rotkäppchen bei sich?

  1. – einen Koffer?
  2. – ihre Schultasche?
  3. einen Korb?

Was ist in dem Korb? Warum trinkt die Oma Wein, wenn sie krank ist?

Was pflückt Rotkäppchen im Wald?

  1. Blumen?
  2. – Kartoffeln?
  3. – Beeren?

Wieso pflückt sie die Blumen?

Wer kennt einen Kartoffelbaum?

Wen trifft Rotkäppchen im Wald?

  1. – Sponge Bob?
  2. den Wolf?
  3. – eine Freundin?

Was will der Wolf von Rotkäppchen? Wieso kann der Wolf reden?

Was macht der Wolf, nachdem Rotkäppchen weiter gegangen ist?

  1. – er geht zu McDonald’s
  2. – er pflückt sich auch ein paar Blumen
  3. er läuft vor zur Oma

Warum läuft der Wolf vor? Wieso gehen sie nicht gemeinsam?

Warum frisst er Rotkäppchen nicht sofort?

Was fällt Rotkäppchen an der Oma auf?

  1. große Augen, große Ohren, großer Mund und große Hände?
  2. – ihre neue Frisur?
  3. – die großen Füße?

Warum hat der Wolf das Nachthemd von der Oma angezogen?

Warum trug die Oma eine Haube?

Wer rettet Rotkäppchen und ihre Großmutter?

  1. – der Förster?
  2. – die Mutter?
  3. der Jäger?

Warum geht der Jäger in das Haus?

Wieso ist Rotkäppchen und der Großmutter nichts passiert? (Warum leben sie noch?)

 

Datum der Veröffentlichung: November 2013
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

Quizfragen zu Hänsel und Gretel

von Hanna Vock

 

Zu den Spielregeln siehe: Quiz-Spiel.

 

Wo lassen die Eltern Hänsel und Gretel allein?

  1. – auf dem Spielplatz?
  2. im Wald?
  3. – bei der Oma?

Warum lassen die Eltern Hänsel und Gretel im Wald allein?

Dürfen die Eltern das denn?

Hänsel schleicht sich nachts aus dem Haus.
Was sammelt er draußen auf und steckt es in seine Hosentasche?

  1. – Tannenzapfen?
  2. – Stöckchen?
  3. Kieselsteine?

Ist es draußen hell oder dunkel, als Hänsel Kieselsteine sammelt?

Warum sammelt er die Kieselsteine? Wozu braucht er sie?

Was hat Hänsel mit den Kieselsteinen vor?

Was versteckt die böse Stiefmutter, als Hänsel und Gretel wieder nach Hause zurück gefunden haben?

  1. den Schlüssel?
  2. – den Kuchen?
  3. – Ostereier?

Warum versteckt die Stiefmutter den Schlüssel?

Wieso klettert Hänsel nicht einfach aus dem Fenster?

Was fehlt dem Vater von Hänsel und Gretel?

  1. Geld?
  2. – der rechte Schuh?
  3. Mut?

Was könnte der Vater machen, wenn er Geld hätte?

Wer pickt die Brotkrumen auf, die Hänsel und Gretel
auf den Weg gestreut haben?

  1. – die schwarze Katze?
  2. – ein Drache?
  3. die Vögel?

Was für ein Haus finden Hänsel und Gretel im Wald?

Was antworten Hänsel und Gretel, als die Hexe „Knusper, knusper knäuschen…“ ruft?

  1. „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind“?
  2. – „Die Eule, die Eule, die machte viel Geheule“?
  3. – „Der Hund, der Hund, der stopft sich voll den Mund“?

Was passiert danach?

Wie schmecken Lebkuchen?

  1. – sauer?
  2. süß?
  3. – bitter?

Kennst du etwas, das sauer schmeckt?

Kennst du etwas, das bitter schmeckt?

Einmal konnten Hänsel und Gretel wieder nach Hause finden,
weil die Kieselsteine ihnen den Weg zeigten.
Warum fanden sie beim zweiten Mal nicht nach Hause?

  1. weil sie die Brotkrumen nicht finden konnten?
  2. – weil sie ihre Brille vergessen hatten?
  3. weil die böse Stiefmutter die Tür abgeschlossen hatte und Hänsel deshalb keine Kieselsteine sammeln konnte?

Hast du eine Idee, wie man wieder nach Hause finden kann, wenn
man sich verlaufen hat?

 

Datum der Veröffentlichung: November 2013
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

Quizfragen zu Dornröschen

Erarbeitet im IHVO-Projekt Köln 1

 

Zu den Spielregeln siehe: Quiz-Spiel

Wer waren die Eltern von Dornröschen?

  1. – Müllersleute?
  2. ein Königspaar?
  3. – ein Bauernehepaar?

Was ist ein König?

Wie viele Feen wurden zur Taufe eingeladen?

  1. – elf?
  2. – dreizehn?
  3. zwölf?

Was haben die Feen Dornröschen gewünscht?

Was hätten sie anders machen können, damit die dreizehnte Fee nicht beleidigt ist?

Zeigt mal 12 Finger!

Woran hat Dornröschen sich gestochen?

  1. – an einem Igel?
  2. an einer Spindel?
  3. – an einem Dornbusch?

Was wird mit einem Spinnrad hergestellt?

Für wie lange fällt Dornröschen in tiefen Schlaf?

  1. 100 Jahre?
  2. – 10 Jahre?
  3. – 1000 Jahre?

Wer schlief außerdem noch 100 Jahre lang?

Wer von Euch hat schon mal 100 Jahre geschlafen?

Wie lange schläfst Du denn so?

Warum verfluchte die 13. Fee Dornröschen?

  1. – Weil Dornröschen ihr auf den Fuß getreten hatte?
  2. Weil sie nicht zur Feier eingeladen war?
  3. – Weil sie keinen Kuchen abbekommen hat?

Was ist ein Fluch?

Wo schlafen die Leute am Königshof nach dem Fluch alle ein?

  1. – in ihren Betten?
  2. – auf dem Klo?
  3. da, wo sie gerade sind?

Warum muss man schlafen?

Was passiert, wenn man lange nicht schläft?

Was passierte im Märchen, als sie alle schliefen?

  1. – Sie wurden immer dünner?
  2. Die Rosenhecke wuchs?
  3. Einige schnarchten?

Was sollte die Dornenhecke verhindern?

Wer zerschlug die Hecke und schaffte es, ins Schloss zu gelangen?

  1. – Die 13. Fee?
  2. Ein junger, schöner Prinz?
  3. – Der Osterhase?

Warum konnte er die Hecke zerschlagen?

Wodurch wurde Dornröschen geweckt?

– Durch Kitzeln an den Füßen?

– Durch Stechen an einer Spindel?

Durch einen Kuss?

Was passierte, als Dornröschen erwacht war?

 

Datum der Veröffentlichung: November 2013
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

Schule und Hochbegabung

– Zur veränderten Rolle der Lehrer / Lehrerinnen –

von Barbara Teeke

 

„Wenn wir für die Einzigartigkeit jedes Kindes offen sein wollen, müssen wir uns selbst das Recht zugestehen und den Mut haben, einzigartig zu sein.

Wenn wir besonders begabte Kinder erkennen wollen, müssen wir etwas über “Begabungssignale” positiver und negativer Art wissen.

Wenn wir besonders begabte Kinder fördern wollen, müssen wir unsere eigenen kreativ-produktiven Kräfte wecken.

Wenn wir besonders begabte Kinder besser verstehen wollen, sollten wir unsere eigenen Begabungen kennen und uns um deren Entwicklung und Vervollkommnung bemüht haben, sollten unsere Möglichkeiten und Grenzen kennen.

Wenn wir besonders begabte Kinder unterstützen wollen, müssen wir uns fragen, ob wir sicher und stark genug sind, es zuzulassen und zu akzeptieren, dass Kinder z.B. intelligenter und aufnahmefähiger sind, schneller lernen als wir oder in bestimmten Bereichen über erheblich mehr Expertenwissen verfügen, als wir es je vermöchten.“

Quelle: Klaus K. Urban: Methodisch-didaktische Möglichkeiten der (integrativen) schulischen Förderung von besonders begabten Kindern – erschienen in Beispiele, 14 (H. 1) 1996, S. 29-35.

…kurz gefasst…

Dieser Beitrag befasst sich mit Fragen zur rechtzeitigen Einschulung und mit dem geeigneten Zeitpunkt einer Einschulung, mit der Frage, ob ein hoch begabtes Kind auf jeden Fall vorzeitig eingeschult werden soll und ob und wie das Gespräch über eine Hochbegabung mit der Schule gesucht werden sollte.

Es werden einige Maßnahmen zur individuellen Förderung genannt, Qualitätskriterien eines begabungsentwickelten offenen Unterrichts aufgeführt sowie ein eindringlicher Wunsch an Lehrkräfte gerichtet.

Wichtig bei allen Maßnahmen, allen unterstützenden und begleitenden Angeboten ist, die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes in Überlegungen und Planungen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen. Dabei ist zu beachten, dass keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden, sondern dass sich vielmehr Überlegungen und Entscheidungen immer auf das einzelne Kind beziehen.

Jedes Kind ist einzigartig und sollte in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen und angenommen werden.

Wenn Kinder etwa fünf Jahre alt sind, beginnen Eltern, sich Gedanken um die Einschulung und die Auswahl einer geeigneten Schule für sie zu machen.

Für Eltern hoch begabter Kinder stellt sich diese Frage mitunter noch etwas eher und/oder die Überlegungen, die sie sich machen, gehen in andere Richtungen.

Nach dem Kindergarten ist die Schule ein weiterer Ort, in dem Kinder über mehrere Stunden hinweg mit zunächst fremden Personen zusammen treffen, sich auf diese einstellen müssen und sie näher kennen lernen, von diesen Personen begleitet und ein Stück weit geprägt werden. Dabei kommt meiner Meinung nach der Grundschule eine ganz besondere Rolle und Verantwortung zu. In der Grundschule wird der Grund-Stein für die weitere Schulzeit gelegt. Schon hier werden Weichen dafür gestellt, ob Kinder die Schule, das Lernen auch im Zusammensein mit anderen Kindern als positiv, gewinnbringend, Freude bereitend erleben.

Um einige Gedanken von Eltern aufzugreifen, um Anregungen und Gedankenanstöße für Eltern, aber auch für pädagogische Fachkräfte zu geben, ist in diesem Handbuch ein Kapitel dem Thema Schule gewidmet.

Früheinschulung / rechtzeitige Einschulung

Meiner langjährigen Erfahrung nach machen sich Eltern die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt der Einschulung und der Auswahl der geeigneten Schule nicht leicht.

Im Gegenteil erlebe ich eine zunehmende Verunsicherung, auch im Hinblick auf die Auswahl der Grundschule und dann der weiterführenden Schule, die ich sehr gut nachvollziehen kann, werden hier doch nachhaltige Entscheidungen getroffen, die sehr wichtig für die spätere Zukunft des Kindes sind. Erschwert werden die Schulwahl-Überlegungen der Eltern, weil sie die immer schwierigere Situation des Arbeitsmarktes, die in vielen Familien zu bereits erfahrbarer Belastung geführt hat, zusätzlich unter Druck setzt.

Hinzu kommt noch die nicht zu unterschätzende Frage nach dem sozialen Umfeld, in dem das Kind aufwächst, in dem das Kind möglichst seine weitere Zeit verbringen soll, sowie die Entscheidungen der Freunde und Spielpartner, die die eigene Entscheidung des Kindes mit beeinflusst.

Nicht stets nur an morgen denken – Es gilt, den heutigen Tag gut zu erleben, zu nutzen und zu genießen.

Die Überlegung, ob ein Kind möglicherweise zu einem früheren als dem regulären Termin eingeschult werden soll, ergibt sich häufig dann, wenn

  • das Kind häufig und vehement den Wunsch äußert, nun doch unbedingt in die Schule gehen zu wollen und nicht noch weiter in den Kindergarten.
  • das Kind eine länger anhaltende starke Unlust oder sogar Verweigerungshaltung dem Kindergarten gegenüber zeigt.
  • die Eltern bemerken, dass ihr Kind über höhere und umfangreichere Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügt als andere gleichaltrige Kinder.
  • das eigene Kind bereits ein großes Interesse für Buchstaben und Zahlen entwickelt hat und darin über ein gewisses Maß an Kompetenz verfügt.
  • das Kind bereits lesen kann und/oder über eine auffallende mathematische Denkfähigkeit verfügt.
  • das Kind bei einer pädagogisch- psychologisch durchgeführten Testung sehr hohe Werte erzielte und die begleitenden Beobachtungen den Schluss zulassen, dass eine Einschulung für das Kind genau das Richtige ist, damit es seine Freude an Herausforderungen und am Lernen-wollen aufrecht erhalten kann.
  • die pädagogischen Fachkräfte des Kindergartens, den das Kind besucht, zu der Überzeugung gelangt sind, dass die Förderung von Seiten des Kindergartens für dieses Kind nicht mehr ausreicht.
  • die pädagogischen Fachkräfte des Kindergartens den Eltern im Gespräch mitteilen, dass sie der Meinung sind, dass eine Einschulung zum nächstmöglichen Termin für die weitere Entwicklung des Kindes sinnvoll sei.
  • alle bisherigen Kontakt- und Spielpartner des Kindes in die Schule gehen UND das Kind absehbar keine neuen adäquaten Kontakte im Kindergarten aufbauen kann UND wenn es über die Schulreife verfügt.

Hochbegabt = Einschulung???

Sollte ein Kind im Alter von 4 oder 5 Jahren getestet worden sein und bei dieser Testung hohe Werte erzielt haben, ergibt sich daraus nicht zwangsläufig die Konsequenz einer schnellstmöglichen Einschulung. Hier muss vielmehr ganz individuell für dieses einzelne Kind überlegt werden, welche Maßnahme für es die geeignete ist.

Dies möchte ich hier anhand eines Beispiels erläutern:

Paul (Name wurde geändert) wurde im Oktober geboren und kam mit 3;10 Jahren in den Kindergarten. Seine reguläre Kindergartenzeit betrug zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich drei Jahre, wenn er mit 6;9 Jahren die Schule besuchen würde.

In den ersten beiden Kindergartenjahren hatte Paul keinen Freund und keine Freundin in seinem Kindergarten. Er wurde während dieser Zeit niemals zu Geburtstagen eingeladen. Mit gleichaltrigen oder jüngeren Kindern gestaltete sich der Umgang eher schwierig.

Völlig unproblematische und sehr positive Kontakte hatte er dagegen zu Kindern, die zwei bis vier Jahre älter waren. Zu den Kindern im Kindergarten wollte Paul schon ganz gerne Kontakte haben. Diese suchte – und fand er, indem er sie ärgerte und verbal provozierte. Dies machte er so lange, bis es den Kindern reichte, sie sich körperlich gegen ihn zu Wehr setzten und manchmal zu dritt auf ihn einschlugen.

Dennoch ging Paul nicht ungern in den Kindergarten, wobei ihm seine Eltern zwischendurch auch “Auszeittage“ zubilligten.

Paul hatte einen sehr guten Kontakt zu seiner Gruppenleiterin im Kindergarten. Diese setzte sich mit ihm zusammen, las ihm vor, machte schwierige Puzzles oder spielte Schach mit ihm.

Für Paul stand fest, dass er erst mit fast 7 Jahren in die Schule gehen würde. Da ließ er sich auch auf keine Diskussion ein.

Im letzten Drittel des zweiten Kindergartenjahres fand Paul nach und nach einen ständig wachsenden und sich vertiefenden Kontakt zu zwei Jungen aus seiner Gruppe. Von da an traf er sich mit ihnen nachmittags zum Spielen, wurde zu Geburtstagsfeiern eingeladen und feierte erstmalig mit Kindern seinen eigenen Geburtstag. Einer der beiden Jungen war älter und verließ den Kindergarten zur Einschulung. Der andere Junge war im gleichen Alter wie Paul und blieb folglich noch das letzte Kindergartenjahr mit ihm zusammen.

Für Paul war es sehr wichtig, dass er dieses letzte Jahr noch im Kindergarten verblieb, obwohl er bei der Testung mit 5 ½ Jahren einen IQ-Wert von 145 erlangte.

Er machte in diesem letzten Kindergartenjahr die Erfahrung, was es heißt, einen Freund zu haben, mit dem er im Kindergarten spielen und sich nachmittags verabreden konnte. Eine Einschulung vor dem regulären Termin hätte ihm diese wichtige Erfahrung genommen.

Dies ist nur ein Beispiel dafür, genau hinzuschauen und die Wünsche des Kindes zu ermitteln – wie auch seine tatsächlichen Bedürfnisse.

An dieser Stelle sei aber ausdrücklich davor gewarnt, eine vordergründig mangelhafte Sozialkompetenz als alleinigen Grund gegen eine Einschulung anzuführen.

Ich erlebe immer wieder bei Familienwochenenden mit Eltern und ihren hoch begabten Kindern oder in Gruppen, in denen hoch begabte Kinder zusammen kommen, dass Sozialverhalten oder sogar ein schlechtes oder gar fehlendes Sozialverhalten auf einmal gar kein Thema mehr ist. Hier empfiehlt es sich sehr, genau hinzuschauen und die Gründe für dieses “mangelnde Sozialverhalten“ zu ergründen. Kommen hoch begabte Kinder in eine Gruppe älterer Kinder oder in eine Gruppe ähnlich befähigter Kinder, so ist ihr Sozialverhalten durchaus angemessen und bietet keinen Anlass mehr zur Beunruhigung oder Kritik.

Natürlich gibt es auch hoch begabte Kinder, die bis zur regulären Einschulung die Zeit im Kindergarten noch sehr gut nutzen können, um ihre Kompetenzen im sozialen, emotionalen oder auch in anderen Bereichen zu vertiefen – wie das geschilderte Beispiel von Paul ja auch zeigte. Voraussetzung dafür ist, dass die Fachkräfte im Kindergarten auch hinsichtlich der Begleitung und Förderung hoch begabter Kinder geschult und motiviert sind und sich das Kind dort angenommen und wohl fühlt.

Aber ich möchte nochmals darauf hinweisen wie wichtig es ist, genau hinzuschauen und nicht ein angeblich mangelhaftes Sozialverhalten als Indiz gegen eine Einschulung anzuführen.

Wann kann ein Kind eingeschult werden?

Lassen Sie uns an dieser Stelle zunächst einen Blick auf die Ausführungen des Schulministeriums werfen (www.schulministerium.nrw.de vom 17.12.07.)

„Nach dem Willen der Landesregierung sollen Kinder zukünftig früher eingeschult werden als das bisher der Fall ist. Eine Änderung des Einschulungsalters wird selbstverständlich behutsam – das heißt in mehreren Schritten, die über mehrere Jahre verteilt sind – erfolgen.

Die frühere Einschulung soll dazu beitragen, dass Lernbereitschaft und kindliche Neugier rechtzeitig für schulisches Lernen genutzt wird- gerade und zum Vorteil der Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern.“

An dieser Stelle möchte ich ergänzen, dass dieses rechtzeitige Nutzen der Lernbereitschaft und kindlichen Neugier gerade auch den hoch begabten Kindern zugutekommt und dieses Wort „rechtzeitig“ Eltern hoch begabter Kinder die Möglichkeit eröffnet, in einen offenen Dialog mit der zukünftigen Schule zu treten.

Weiter heißt es:

„Ziel ist, dass Kinder, die im Kalenderjahr das sechste Lebensjahr vollenden, im Sommer des Jahres eingeschult werden. Den Kindern, die noch nicht voll schulfähig sind, wird eine besondere Förderung ermöglicht. Weiterhin ist vorgesehen, dass Eltern, deren Kinder im letzten Quartal des Jahres geboren wurden, entscheiden können, ob ihr Kind erst ein Jahr später in die Schule gehen soll.

Das Schulgesetz sieht vor, dass der Stichtag für das Einschulungsalter in Monatsschritten innerhalb von sieben Jahren vom 30. Juni auf den 31. Dezember vorverlegt wird. Diese Vorverlegung begann mit dem Schuljahr 2007/2008.

In den folgenden Jahren gelten folgende Stichtage:

zum Schuljahr 2007/2008 und zum Schuljahr 2008/2009 der 31. Juli

zum Schuljahr 2009/2010 und zum Schuljahr 2010/2011 der 31. August

zum Schuljahr 2011/2012 der 30. September

zum Schuljahr 2012/2013 der 31. Oktober

zum Schuljahr 2013/2014 der 30. November

zum Schuljahr 2014/2015 der 31. Dezember

Achtung, dies sind Bestimmungen, die für Nordrhein-Westfalen gelten.In anderen Bundesländern kann es anders sein.

Die Anmeldung erfolgt formlos direkt in der jeweiligen Schule und zu den vom Schulträger festgesetzten Terminen. Diese können bei der Grundschule erfragt oder der örtlichen Presse entnommen werden.

Eine vorzeitige Einschulung ist auf Antrag der Eltern darüber hinaus auch für Kinder möglich, die ihr sechstes Lebensjahr später vollenden.

Eltern, die ihre Kinder vor Vollendung des sechsten Lebensjahres einschulen wollen, können einen formlosen Antrag an die Grundschule richten.

Die Schulleitung entscheidet nach eingehender Beratung mit den Eltern über die Aufnahme des Kindes. Als Entscheidungshilfe kann die Schulleitung ein schulärztliches oder im Einzelfall auch ein schulpsychologisches Gutachten heranziehen. Als Orientierung kann auch das Schulfähigkeitsprofil dienen.

Eine Aufnahme ist immer dann möglich, wenn erwartet werden kann, dass das Kind erfolgreich in der Schule mitarbeiten wird. Eine Altersbegrenzung nach unten besteht dabei in Nordrhein-Westfalen nicht.“
(www.schulministerium.nrw.de /17.12.07)

Auch für Eltern von hoch begabten Kindern, die sich mit ebendiesem Gedanken einer – wie es hier heißt – vorzeitigen Einschulung tragen, sind in diesem letzten Absatz bedeutende Hinweise gegeben.

Zunächst einmal wird hier ganz klar auf die Möglichkeit einer früheren Einschulung hingewiesen.

Anstatt einen formlosen Antrag an die Schule zu stellen empfehle ich, einen Termin mit der Schulleitung zu einem persönlichen Gespräch zu vereinbaren. In einer Schule habe ich es in zwei Fällen erlebt, dass die Schulleitung zu diesem Gespräch ebenfalls die potenziellen zukünftigen Klassenlehrer und –lehrerinnen eingeladen hatte. Dies habe ich als besonders positiv empfunden, weil Eltern hier die Möglichkeit haben, alle möglichen Beteiligten, die mit ihrem Kind in Zukunft zusammenwirken werden, kennen zu lernen. Sie haben die Möglichkeit, den Lehrkräften ein entsprechendes Bild ihres Kindes zu vermitteln und gemeinsam mit ihnen Fördermaßnahmen zu überlegen.

Die Lehrkräfte haben ihrerseits die Möglichkeit, sich ein Bild von den Eltern und indirekt vom Kind zu machen, direkte Fragen an die Eltern zu stellen und abzuwägen, ob dieses Kind in ihrer Klasse gut aufgehoben sein wird.

Die Entscheidung, ob das Kind in die Schule aufgenommen wird, liegt im Grunde genommen einzig bei der Schulleitung. Alle anderen aufgeführten Mittel werden hinzu gezogen, letztendlich liegt die Entscheidung aber bei der Schulleitung. Auch eine ablehnende schulärztliche Bescheinigung muss für die Schulleitung nicht bindend sein. In der Regel (oder im besten Fall) macht sich die Schulleitung im Einzelkontakt ein eigenes Bild vom Kind.

Mir sind Kinder bekannt, die sich bei der schulärztlichen Untersuchung verweigerten, weil ihnen die Aufgaben zu “blöd und baby“ waren oder weil die Ärztin oder der Arzt in keiner Weise angemessen auf das Kind eingegangen ist. Diesen Kindern wird dann unkooperatives Verhalten bescheinigt, was gegen eine Einschulung und gegen einen guten Verlauf der Schulzeit spreche.

Im Einzelkontakt mit dem Kind hat die Schulleitung die Möglichkeit, sich ein eigenes und dem Einzelfall entsprechendes Bild von dem Kind zu machen und somit zu einer eigenen Entscheidung zu kommen.

Mitunter empfehlen Schulleiter Eltern die Durchführung einer entsprechenden Diagnostik. Eine fundiert durchgeführte, mehrdimensionale Förderdiagnostik hilft dann der Schulleitung und den Lehrkräften, sich ein Bild von den Stärken und den Noch-nicht-Stärken des Kindes zu machen und es sehr gezielt zu fördern und ihm entsprechend zu begegnen. Siehe hierzu auch

Begabungsdiagnostik – Was ist das?

Standards für die Durchführung diagnostischer Testverfahren

Mögliche Gründe für die Durchführung einer Begabungsdiagnostik

Gedanken, Sorgen, Ängste von Eltern und pädagogischen Fachkräften im Zusammenhang mit einer Testung

Wichtig ist ebenfalls der Hinweis, dass eine Altersbegrenzung nach unten in NRW nicht besteht. Mitunter erlebe ich, dass Eltern pauschal gesagt bekommen, dass Kinder unter 6 an dieser oder jener Schule nicht aufgenommen werden. Natürlich liegt es immer im Ermessen der Schulleitung und ist sicherlich auf deren Anschauung und gemachte Erfahrungen gegründet. Manchmal sind es aber auch ganz pragmatische Gründe – wie z.B. bereits ausgelastete Klassenstärken, keine vorhandene Lehrkraft, die sich mit dieser Thematik auskennt, oder schwierige Schülerkonstellationen -, die gegen eine Einschulung zu diesem frühen Zeitpunkt in dieser Schule sprechen.

In dem oben zitierten Text heißt es, dass eine Aufnahme immer dann möglich ist, wenn erwartet werden kann, dass das Kind in der Lage ist, erfolgreich mitzuarbeiten.

Aus dieser offenen Formulierung lässt sich der Schluss ziehen, dass eine Einschulung nicht nur nach den Sommerferien erfolgen kann, sondern dass es auch möglich ist, ein Kind im laufenden Schuljahr einzuschulen. Eine Vielzahl solch erfolgreicher Einschulungen konnte ich erleben.

Erfolgreich sind sie allerdings nur dann, wenn bestimmte Punkte berücksichtigt werden:

  • Es ist der ausdrückliche Wunsch des Kindes, die Schule zu besuchen.
  • Es erfolgt eine persönliche Kontaktaufnahme der Eltern zur Schulleitung.
  • Die Schulleitung macht sich ein umfassendes Bild von dem Kind und gelangt zu der Überzeugung, dass das Kind für eine Einschulung geeignet und in ihrer Schule gut aufgehoben ist und entsprechend gefördert werden kann.
  • In einem ersten Gespräch zwischen Eltern und Schulleitung werden Fragen, Wünsche, Stärken und Noch-nicht-Stärken, Bedürfnisse des Kindes, aber auch die Erwartungen und Wünsche der Schulleitung sowie der Eltern abgeklärt.
  • Dieses Gespräch wird ebenfalls unter Hinzuziehung der Klassenlehrerin/des Klassenlehrers sowie der pädagogischen Fachkräfte des Kindergartens, den das Kind noch besucht, geführt.
  • Im besten Fall arbeiten Kindergarten und Grundschule zusammen, um einen optimalen Übergang für das Kind zu gewährleisten.
  • Das Kind darf eine gewisse Zeit die Schule besuchen, um zu sehen, ob die Vorstellungen, die es über Schule hat, auch der Realität entsprechen, um die Klasse kennen zu lernen und zu erfahren, ob es sich dort wohl fühlt. Gleichzeitig haben die Lehrkräfte somit die Möglichkeit, das Kind näher kennen zu lernen und abzuschätzen, ob es in ihrer Klasse gut aufgehoben ist. Sein Platz ist nach wie vor zunächst noch der Kindergarten.
  • Dies ist wichtig, damit das Kind weiß, dass es jederzeit einen Ort vorfindet, an dem es bleiben kann.
  • Die Dauer der Hospitation wurde mit allen Beteiligten und somit auch mit dem Kind vereinbart.
  • Mit dem Kind wurde im Vorfeld abgesprochen, dass es jederzeit sagen kann, dass es doch lieber im Kindergarten bleiben möchte. Eine Entscheidung für den Kindergarten und gegen die Einschulung wird nicht als Misslingen gewertet.
  • Die Kinder der aufnehmenden Schule werden auf das neue Kind vorbereitet. Ein oder zwei Schulkinder erklären sich freiwillig bereit, das Kind als Paten zu begleiten.
  • Schule, Kindergarten und Eltern stehen im ständigen Kontakt.
  • Nach der Hospitation setzen sich alle Beteiligten zusammen und tauschen sich über die Hospitation sowie über den weiteren Verlauf aus.
  • Fällt die Entscheidung für die Schule, dann ist es empfehlenswert, den Schulbesuch sogleich fortzusetzen. Überlegt werden sollte, ob das Kind noch in seiner Kindergartengruppe Abschied feiern möchte. Dies ist sicherlich von der Qualität der Kontakte des Kindes zu dem Kindergarten sowie von seiner Haltung dem Kindergarten gegenüber abhängig. Auch der erste offizielle Schultag kann mit einer kleinen Feierlichkeit und einer Schultüte begangen werden – vorausgesetzt, dass dies von dem Kind gewünscht ist.

Sage ich es der Schule – und wie?

Die Frage, ob Eltern eine erkannte Hochbegabung an die Lehrkräfte herantragen sollten, wird sehr häufig von Eltern gestellt.

Auch hierfür gibt es kein Rezept, gibt es keine allgemeingültige Antwort. Ausschlaggebend hierfür ist die Einstellung und Haltung der Eltern zu diesem Thema. Ich halte es für fatal, Eltern, die noch sehr unsicher dem Thema Hochbegabung gegenüberstehen, die unsicher und zweifelnd sind, ob sie es denn nun den Lehrkräften in der Schule mitteilen sollen, aufzuerlegen, unbedingt die Hochbegabung ihres Kindes anzusprechen. Dies wäre aufgezwungen und wäre in der Durchführung eher kontraproduktiv.

Zwei Aussagen möchte ich allerdings zur Überlegung anbieten:

1.

Eine Schule, die das Thema Hochbegabung abblockt, ist nicht die geeignete Schule für mein Kind.

Damit ich herausfinde, welche Haltung die Schulleitung – und im besten Fall auch die Lehrkräfte haben – muss ich das Gespräch suchen. Hier ist es aus meiner Sicht empfehlenswert, Gesprächstermine mit den in Frage kommenden Schulen zu vereinbaren, um zu erfahren, wie diese Schule dem Thema gegenüber steht, welche Angebote es in der Begabtenförderung gibt und welches die Konzeption auch für diese Kinder ist.

Von Vorteil ist dabei, wenn mehrere Schulen zur Auswahl stehen. Nehmen Sie – wenn es ihre häusliche, familiäre und berufliche Situation zulässt – nicht immer und unbedingt die ortsnahe Schule.

Das Argument, dass das Kind ja dadurch seine Kontakte aus dem Kindergarten fortführen kann, zählt nur dann, wenn das Kind wichtige und beständige Freundschaften aufgebaut hat, die es selbst unbedingt weiter in der Schule fortsetzen möchte. Mitunter kann es aber auch von großem Vorteil sein, einen Neuanfang zu starten in einer Klasse, in der das Kind noch niemanden kennt – und in der es von niemandem gekannt wird.

Darüber hinaus schließen Kinder sehr rasch neue Kontakte und eine positiv erlebte Schulzeit wird eher in einer förderlichen Umgebung erlebt.

2.

Ich möchte Lehrkräften die Gelegenheit geben, meinem Kind entsprechend zu begegnen.

Dazu ist es erforderlich, dass die Lehrkraft über die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Kindes informiert ist. Es ist kein fairer Zug, wenn ich erst einmal zuwarte, ob die Lehrkraft es vielleicht selbst herausfindet und wenn sie es dann nicht tut, kann ich ja immer noch mit ihr sprechen. Die Krux an dieser Sache ist, dass dann das Gespräch gesucht wird, wenn schon einiges schief gelaufen ist. Dann müssen Meinungen revidiert, Vorurteile und Missverständnisse abgebaut werden, was mitunter viel schwieriger sein kann als ein offenes Gespräch zu Beginn.

Mitunter erlebe ich Fachkräfte aus Kindertageseinrichtungen oder Schulen, die sagen, dass sie ja ganz anders auf dieses Kind hätten eingehen können, dass sie sich informiert und weiter gebildet hätten, wenn sie etwas von seiner Hochbegabung gewusst hätten. Diese Gelegenheit möchte ich den Lehrkräften geben, was darüber hinaus beinhaltet, dass von Anfang an ein offener Dialog gestartet werden kann.

Beispiel Paul – Fortsetzung

Paul (siehe oben) kam in die Grundschule. Im Vorfeld gab es zwei Gespräche mit der Schulleitung und seinem zukünftigen Klassenlehrer. Beide waren vor der Einschulung über Pauls Hochbegabung informiert und zeigten sich sehr interessiert und offen. Paul entwickelte dann auch eine sehr gute Beziehung zu seinem Klassenlehrer, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Einzig schwierig gestaltete sich der Umgang mit den übrigen Kindern in seiner Klasse sowie in der Schule. Hier gab es sehr viele verbale Auseinandersetzungen, die mitunter auch in Handgreiflichkeiten endeten. In der vierten Klasse kam ein Junge neu dazu, der ebenfalls als hoch begabt getestet worden war. Dieser Junge zeigte ein sehr negativ auffallendes Sozialverhalten und hatte massive und zunehmende Auseinandersetzungen mit seinen Mitschülern und auch mit den Lehrkräften.

Besonders mit Paul rasselte dieser Junge immer wieder zusammen. Paul ging seinerseits keiner Auseinandersetzung aus dem Weg. Paul sagte, dass er niemals feige weglaufen würde. So ließ sich Paul auf jede Diskussion ein, auf jede verbale und auf jede körperliche Auseinandersetzung mit diesem Jungen und mit jedem anderen Kind, bei dem sich die Gelegenheit bot. Dennoch waren alle Lehrer und auch die Schulleitung Paul gegenüber sehr wohlgesonnen, weil er auch mit ihnen in eine angeregte Diskussion ging, sein Verhalten begründete und weil er sehr offen, ehrlich und “klar“ war. In seiner Klasse hatte er von Anfang an zwei sehr gute Freunde, mit denen er sich auch nachmittags traf, von denen der Eine ebenfalls hoch begabt ist und der Andere über besonders hohe Fähigkeiten im mathematischen Bereich verfügt.

Paul wurde von den Lehrkräften aus der Grundschule entlassen in der Hoffnung, dass er einen guten Weg einschlagen und gehen kann.

Paul suchte sich als weiterführende Schule ein bestimmtes Gymnasium aus, in das er mit seinen beiden Freunden aus der Grundschule wechselte.

Hier kam er in eine Klasse mit überdurchschnittlich vielen hoch begabten und leistungsstarken und –willigen Kindern (bei einer Klassenstärke von 26 Kindern waren der Mutter 5 hoch begabte Jungen sowie zwei Mädchen bekannt). Wichtig ist hier zu erwähnen, dass diese Klasse zufällig zusammengesetzt wurde und keine Klasse mit dem Schwerpunkt Hochbegabung war.

Von der ersten Woche an war Paul in dieser Klasse voll integriert, hatte gleich eine Gruppe von acht engeren Freunden und weiteren lockeren Kontakten. Ein auffälliges negatives oder problematisches Sozialverhalten war zu keinem Zeitpunkt mehr Thema.

Pauls Mutter hatte bezüglich seiner Hochbegabung kein erklärendes Gespräch mit der Schulleitung und den Lehrkräften des Gymnasiums gesucht.

Erweist sich das Führen eines Gespräches im Kindergarten und in der Grundschule als sehr sinnvoll, (immer vorausgesetzt, dass die Rahmenbedingungen zur Führung eines offenen und konstruktiven Gesprächs gegeben sind) so zeigt die Erfahrung, dass in den weiterführenden Schulen das Führen eines solchen Gesprächs von der Bedeutung her eher abnimmt. Ob in weiterführenden Schulen solch ein Gespräch geführt wird, ist sicherlich von der Disposition des Kindes sowie von der Konzeption und den Fördermaßnahmen der Schule abhängig. Suchen sich Eltern beispielsweise eine Schule mit einem ganz speziellen Angebot für hoch begabte Kinder aus, werden sie sicherlich das Gespräch mit der Schulleitung suchen, zumal dann, wenn eine besondere Begabung zu den Aufnahmekriterien der Schule gehört.

In Regelschulen sollten Eltern eher individuell entscheiden, ob sie das Gespräch mit der Schulleitung oder dem Klassenlehrer/der Klassenlehrerin suchen. Oftmals zeigt es sich, dass Kinder, die, wie am Beispiel Paul gezeigt, in eine sehr leistungsstarke Klasse kommen, Herausforderungen sowie adäquate Kontakte erfahren, so dass es keinen Handlungsbedarf gibt und somit kein Gespräch nötig ist. Aber auch dies kann nicht allgemeingültig gesagt, sondern muss von Kind zu Kind abgewogen werden.

Ein Wunsch/eine Bitte an die Lehrkräfte in Grundschulen

Mit wenigen Ausnahmen freut sich jedes Kind auf die Schule.

Es hat in der Regel mehrere Jahre im Kindergarten verbracht, hat dort einen Spannungsbogen erlebt und wurde auf den Abschied und den Neustart in der Schule vorbereitet. Auch in seiner Familie erlebt es, dass seine Eltern der Einschulung schon gespannt entgegen sehen. Es hat Erwartungen und Vorstellungen an die Schule und fiebert dem ersten Schultag ebenfalls entgegen.

Dann ist es soweit. Es kommt in die Schule und erlebt dort –

die Fortsetzung des Kindergartens. Es wird auch hier „mein rechter, rechter Platz ist frei“ gespielt. Es wird gesungen, vorgelesen, es werden Bilder und Mandalas gemalt – und das Kind bemerkt, dass es sich unter Schule etwas ganz anderes vorgestellt hatte.

Beispiel „Ich kündige!“

Ein hoch begabter Junge kommt endlich in die Schule. Er hatte sich im Kindergarten viel gelangweilt, nun rennt er in die Schule – mit großen Erwartungen, was das Lernen betrifft. Er ist bei der Einschulung 5 Jahre und 9 Monate alt.

Er kann fließend Bücher lesen und rechnet wie ein Drittklässler. Nach dem ersten Schultag fragt ihn die Mutter: „Wie war´s, was habt ihr gemacht?“ Der Fünfjährige erzählt: „Wir haben das O gelernt und dann haben wir noch ein schönes Blatt zum Ausmalen bekommen. Und dann habe ich die Lehrerin gefragt, was wir dann morgen machen. Ja, morgen würden wir dann überlegen, welche Wörter mit O anfangen. Und sie hätte auch noch ein schönes Blatt zum Ausmalen. Da habe ich dann gesagt: Ich kündige.“

Der Fünfjährige überblickt die Situation: er passt auch da nicht hin, für ihn gibt es wieder nichts zu Lernen. Nur leider, die Freiheit zu kündigen, hat er nicht. Statt dessen liegt eine lange Zeit der Frustration vor ihm.

(aufgeschrieben von Hanna Vock)

Daher meine große Bitte an die Lehrkräfte in Grundschulen:

Nutzen Sie die Freude, die Begeisterung, die Neugier der Kinder auf die Schule, nutzen Sie den Lerneifer aus. Machen Sie sich auf die Suche nach Kennenlernspielen, die das Kind noch nicht im Kindergarten gespielt hat. Geben Sie vom allerersten Schultag an Hausaufgaben auf, die nicht aus einem “Bildchenmalen“ bestehen sondern auf die Erwartungen der Kinder bezüglich Schule eingehen. Kinder erwarten, dass sie in der Schule lesen, schreiben und rechnen lernen.

Lernen Sie am ersten Schultag bereits einen Buchstaben mit dem Kind und geben Sie dazu etwas als Hausaufgabe auf. Sie werden erleben, dass das Kind stolz zu seinen Eltern läuft und ihnen berichtet, was es nun tun muss.

Dies funktioniert allerdings nur bei den Kindern, die noch nicht lesen oder schreiben können. Versuchen Sie, wenn möglich bereits im Vorfeld, zu ergründen, welche Kinder schon über diese Kompetenzen verfügen. Halten Sie für diese Kinder ein Blatt bereit, dass für sie eine Herausforderung darstellt und an die bereits vorhandenen Fähigkeiten anknüpft. Haben Sie keine Angst davor, möglicherweise doch nicht das Richtige für dieses einzelne Kind ausgewählt zu haben. Für dieses Kind ist alles besser als das Malen eines Bildchens.

ABER: sprechen Sie ganz offen mit diesem Kind. Sagen Sie ihm, dass es ja schon lesen oder schreiben kann (oder dass es ja schon einige Buchstaben kennt) und dass in ihrer Klasse jedes Kind seine zu ihm passenden Aufgaben bekommt. Da sie dieses Kind aber noch nicht kennen, müssen Sie sich nun erst einmal einander annähern. Daher soll es einmal diese Aufgaben versuchen und Ihnen dann am morgigen Tag mitteilen, wie es damit zurande kam.

Sie werden erleben, dass sie die geballte Aufmerksamkeit des Kindes erzielen, dass dieses Kind in einen offenen Dialog mit Ihnen treten wird und Sie eine spannende und interessante Schulzeit gemeinsam verbringen werden.

Grundlage dafür ist eine offene, annehmende und wertschätzende Atmosphäre in der Klasse, in der jedes Kind zu seinen Stärken und Noch-nicht-Stärken stehen kann, in der jedes Kind seinen Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten entsprechend wahrgenommen und gefördert wird.

Und jetzt kommt bestimmt noch der Anspruch an einen differenzierten Unterricht. Wie soll ich denn das Alles schaffen???

Probieren Sie es aus. Sie werden (hoffentlich) erleben, dass es gar nicht so viel Mühe macht, wie Sie vielleicht zunächst denken. Sie brauchen nur: Phantasie und Kreativität.

Lassen sie mich hier ein Beispiel schildern, das ich selbst erfahren durfte:

Irgendwann stand in der Grundschule, in der ich dies erlebt habe, das Thema „Zeit“ auf dem Lehrplan.

Da gab es Kinder in der Klasse, denen die Handhabung einer Uhr noch gänzlich unbekannt war. Diese Kinder haben damit begonnen, sich in Kleingruppen eine Uhr anzuschauen. Wie ist so eine Uhr aufgebaut, was gehört zu einer Uhr, usw.

Dann gab es Kinder, die diese Kompetenzen bereits hatten, die wussten, dass anhand eines großen und eines kleinen Zeigers die Uhrzeit abgelesen werden kann und dass Zahlen und Unterteilungen das Ablesen vereinfachen. Sie wussten auch, wie spät es ist, wenn der große Zeigen auf der 12 und der kleine Zeiger auf der 9 stehen. Aber die Zwischenschritte beherrschten sie noch nicht, so dass für diese Kinder – wiederum in einer Kleingruppe – hier das Lernen begann.

Und es gab Kinder, die das Ablesen der Uhr sicher beherrschten. Diese Kinder bekamen die Aufgabe, in Büchern und im Internet nachzusehen, welche Uhren es denn noch gibt. Da gibt es beispielsweise Sonnenuhren, Sanduhren, Wasseruhren oder Feueruhren. Hierzu sollten die Kinder eine Mappe anfertigen und in einer der nächsten Stunden über diese Uhren berichten.

Somit hatte der Lehrer es geschafft, alle Kinder an diesem Thema zu beteiligen, ohne dass sich Kinder überfordert fühlten und abschalteten oder störten und andere Kinder das gleiche Verhalten an den Tag legten, weil sie sich schrecklich langweilten. Das Einzige, was dieser Lehrer tun musste war, das Thema im Vorfeld aufzubereiten, Material zu besorgen und bereit zu halten, Lerngruppen einzuteilen und als Ansprechpartner zu fungieren.

Dies ist nur ein Beispiel für unzählig viele weitere Themen und Lerninhalte, die alle in einer ähnlichen Form durchgeführt werden können.

Ergänzend vielleicht: Es handelte sich bei dieser Schule um eine Schule mit einem problematischen Einzugsgebiet und einem mittelhohen Ausländeranteil.

Weitere Maßnahmen zur individuellen Förderung

Verkürzen der Schulzeit

Das NRW-Schulministerium erklärt dazu unter www.chancen-nrw.de (März 2006):

„Die Rahmenbedingungen der Schule ermöglichen Kindern ihrer Auffassungsgabe und ihrem Lerntempo folgend die Schule früher zu beginnen oder die Schulzeit verkürzen, indem Klassen übersprungen werden.“

Manchmal kann das Überspringen eine sinnvolle Hilfe für ein Kind sein. Aber Sie sehen auch schon an dieser Formulierung, dass hier wieder individuell für das einzelne Kind entschieden werden muss.

In vielen Schulen wird bereits jahrgangsübergreifend unterrichtet. Hier werden die erste und die zweite Klasse, in manchen Schulen bereits alle vier Grundschulklassen zusammengeführt und gemeinsam unterrichtet. Dies kann Kindern auch ermöglichen, die Grundschule schneller zu durchlaufen.

In den Schulen, in denen dies noch nicht der Fall ist, sollten die vorhandenen Kompetenzen des Kindes genau berücksichtigt werden. Nichts ist schlimmer für ein Kind, als sich jeden Vormittag in der Schule zu langweilen, weil ihm die Inhalte bereits bekannt sind, weil Unterrichtsstoff häufig wiederholt und mehrfach erklärt wird.

Erfahrungen zeigen, dass hoch begabte Kinder sehr rasch die noch fehlenden Unterrichtsinhalte aufholen können, nachdem sie eine Klasse übersprungen haben. Voraussetzung hierfür ist, dass

  • es der Wunsch des Kindes ist, die Klasse zu überspringen,
  • sich das Kind mit seinen intellektuellen Voraussetzungen im oberen Bereich der aufnehmenden Klasse befindet,
  • es die Kinder der neuen Klasse zur Probe kennen lernen kann,
  • das Überspringen von der Schulleitung und der aufnehmenden Lehrkraft sowie den Eltern selbst als positiv gesehen und mitgetragen wird,
  • das Kind intrinsisch motiviert, lernfreudig und lernbereit ist.

Auch der Zeitpunkt für ein Springen sollte nicht allgemeingültig festgelegt werden, sondern vom Kind abhängig sein in Absprache mit den Lehrkräften.

Die Erfahrung zeigt, dass ein Überspringen nicht die Lösung aller vorhandenen Probleme darstellt. Mitunter bedeutet es lediglich einen Aufschub, bis das Kind auch in der neuen Klasse wiederum Anzeichen von Unterforderung zeigt. Daher ist eine individuelle, differenzierte und herausfordernde Förderung in der ursprünglichen Klasse immer vorzuziehen.

Anreicherung der Lernumwelt (Enrichment)

Das NRW-Schulministerium erklärt dazu unter www.chancen-nrw.de (März 2006):

„Um individuellen Lernfortschritt besser anregen und unterstützen zu können, werden in Unterricht und Schulleben ergänzende, erweiternde Angebote gemacht, die bei individuellen Aufgabenstellungen beginnen und bis zu schulischen Förderangeboten reichen, die im Schulprogramm verankert sind. Dazu zählen insbesondere auch Schüleruniversitäten und z.B. Austauschprogramme.“

(März 2006)

Als Beispiele für eine Anreicherung seien hier genannt

  • die Anregung des Kindes, Aufgaben mit einem erhöhten Schwierigkeitsgrad zu bearbeiten – bei gleichzeitigem Wegfall mechanischer Übungen (immer vorausgesetzt, dass das Kind über diese Kompetenzen verfügt),
  • die Betreuung von Langzeit-Beobachtungen und -Tätigkeiten (beispielsweise Experimente, Wetterbeobachtung, Geschichtenbuch, …),
  • die Übernahme von Verantwortung und Führungsaufgaben,
  • die zeitweilige Teilnahme am Unterricht in höheren Klassen in ausgewählten Fächern oder
  • die Teilnahme an Förderkursen.

Dies sind nur wenige Beispiele, die jedoch zeigen, dass mit einem geringen Aufwand, jedoch mit Phantasie und Kreativität der Lehrkräfte, das Lernen für besonders begabte und motivierte Schüler so angereichert werden kann, dass der Unterricht für auch für sie einen Gewinn bedeutet.

Wichtig hierbei ist jedoch, dass nicht nur ein einzelnes Kind hervorgehoben wird, dass nicht nur ein Kind besondere Aufgaben erhält. Dies würden die Kinder sehr schnell bemerken und sich dann eher zurückziehen, weil sie oftmals gerade nicht auffallen möchten, ihre besonderen Fähigkeiten gerade nicht noch mehr im Vordergrund stehen sollen.

Daher ist es sinnvoll, innerhalb der Klasse homogene Lerngruppen einzurichten, in denen die Kinder sich ihren Fähigkeiten entsprechend einbringen können.

An dieser Stelle mag vielleicht der Eine oder Andere einwerfen, dass es doch besser sei, die Kinder lieber nicht in homogene Gruppen einzuteilen, sondern eher leistungsschwache mit leistungsstarken Kinder zusammen zu bringen, damit sie sich gegenseitig helfen und unterstützen. Das mag hin und wieder auch zutreffen, sollte aber auf gar keinen Fall ein Dauerzustand sein. Kein Kind sollte immerzu als “Hilfslehrer” eingesetzt werden. Geschieht dies hin und wieder, kann es die Sozialkompetenz des Kindes fördern. Allerdings möchten auch die hoch begabten Kinder Anregungen und Herausforderungen erhalten, die sie weiterbringen, möchten schneller vorwärts gehen und nicht immer Rücksicht nehmen und warten, bis die anderen Kinder so weit sind. Außerdem haben sie einen anderen Anspruch an Arbeiten und deren Inhalte, die sie in einer homogenen Gruppe besser einbringen können.

Die Teilnahme an Kursen in Universitäten ist für manche Schüler und Schülerinnen eine sinnvolle Ergänzung zum Regelschulbesuch. Der Schüler/die Schülerin wird dazu in Absprache mit der Schulleitung für einige Stunden vom Besuch in seiner/ihrer Schule befreit und besucht dann ausgesuchte Kurse an der Universität.

Eine 15jährige Schülerin (höchstbegabt) eines Gymnasiums berichtet, dass sie während des Besuchs der ersten Klassen auf der weiterführenden Schule oft gehänselt und ausgegrenzt wurde, weil sie immer Klassenbeste war und bereits zwei Schuljahre übersprungen hatte. Nun besucht sie parallel zum Gymnasium die Universität und hat dort den Kurs Wirtschaftsenglisch belegt. Sie berichtet, dass sie sich vom ersten Tag an in der Universität wohl fühlte, von allen Kommilitonen/-innen sogleich angenommen wurde und ihre “Andersartigkeit”, ihre Art zu sprechen und zu denken, dort überhaupt nicht mehr von Belang sind.

Individualisierender Unterricht ist nicht isolierender Unterricht!

Urban nennt 10 Qualitätskriterien eines begabungsentwickelnden Offenen Unterrichts:

„1. Methodenvielfalt

Gibt es (in welchem Umfang) mehrere unterschiedliche Methoden wie freie Arbeit, Projekte, Kreisgespräche, Kleingruppenarbeit, Partner- und Gruppenarbeit, (längerfristige) Einzelprojekte, Berichte, Ausstellungen oder Vorführungen von SchülerInnen? Wieweit werden diese Methoden zur Lehr- Lernorganisation von Kindern als hilfreich, vielfältig und transparent erfahren?

2. Freiräume

Gibt die Klasse/Schule den Kindern definitiv in ihrem Organisationsrahmen Freiräume zum vertiefenden, spielerischen, selbständigen, entdeckenden Lernen? Wochenplanarbeit, Freie Arbeitszeit, Projekte, Projektwochen, -tage?

Teilbefreiung vom obligatorischen Unterricht zugunsten spezifischer Tätigkeiten im Interessen- bzw. Fähigkeitsbereich? Wie groß sind die inhaltlichen Freiräume? Gibt es Möglichkeiten, an anderen “Lernorten” zu arbeiten? Wie groß ist die unterrichtsorganisatorische Flexibilität?

3. Umgangsformen

Gibt es klare, gemeinsam ausgehandelte Regeln, die von beiden Seiten eingehalten werden? Wieweit sind Lehrerinnen und Lehrer bereit, Kinder in ihrer emotionalen Befindlichkeit und in ihrer Abweichungen von (imaginären) Durchschnittserwartungen anzunehmen? Werden Konflikte gemeinsam bearbeitet? Gibt es eindeutige Interpunktionen (Gewichtungen) im Sinne sozialen Lernens? Toleranz und Akzeptanz des Andersseins? Lob? Ermutigung? Humor?

4. Selbständigkeit und Inhalt

Werden Kindern/SchülerInnen aktive Rollen bei der Steuerung von Lernprozessen ermöglicht? Welche Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten haben die Kinder, z.B. bezüglich Inhalts- oder Zeitgestaltung? Gehen die Kinder wirklich ihren eigenen, auch extra-curricularen Fragen nach? Gibt es ein Helfersystem?

5. Lernberatung

Gibt es Beratungssituationen im/neben dem Unterricht? Ist der Unterricht (begabungs)förderungsorientiert? Werden Umwege, Irrwege, Fehler als notwendige Bestandteile des Lernprozesses akzeptiert, und wird entsprechend beraten? Werden eigenständige, abweichende Lösungswege aufgegriffen und unterstützt?

Beschäftigung mit leistungsschwachen und hochleistungsfähigen SchülerInnen? Diagnosekompetenz für Leistungsversagen und für besondere Begabungen? Schulische BeratungslehrerInnen für Fragen besonderer Begabung?

6. Öffnung zur Umwelt

Bietet der Unterricht/die Schule neue Erfahrungen in direkter Begegnung mit der Umwelt? Erkundungsgänge? Exkursionen? Experten in der Klasse? Tutoren oder Mentoren für einzelne Kinder mit spezifischen Interessen und Fähigkeiten? Ständige oder projektbezogene Kooperation mit außerschulischen “Lernorten”?

7. Sprachkultur

Bietet der Unterricht Möglichkeiten zur direkten Koppelung von Sprache an sinnlich-konkrete Erfahrungen? Gesprächskultur? Schriftkultur? Freier Ausdruck in Texten? Sprachspiele? Narrative Kultur? Kreisgespräche? Drucken und Gestalten? Zusammenhang von Sprache und Sache (Kulturtechniken-Sachunterricht)? Kreatives Schreiben?

8. Lehrerrolle

Wird der Beziehungsarbeit Raum gegeben? Verständnis für die Vielfältigkeit der “Lehrerrolle” (nicht nur be-lehren, sondern anregen, moderieren, initiieren, teilnehmen, beobachten, instruieren, stabilisieren, herausfordern, helfen, vermitteln, be-raten, organisieren, Experte, Vorbild und Freund sein u.a.m.)? Geduld, Gelassenheit und Toleranz für langsame Schüler? Keine Angst und Verunsicherung bei intellektuell hochbefähigten SchülerInnen? Sind Lehrerfragen anspruchsvoll (problemlösungsorientiert und anwendungs-orientiert)? Verfügbarkeit über Bearbeitungsinstrumente zur Klärung von Störungen und Konflikten? Umgang mit pädagogischen “Imperativen” (Bewusstsein über die eigene Rolle, Umgang mit den Zwängen, “guten” Unterricht zu machen)? Teamarbeit oder Supervision mit Kollegen?

9. Akzeptanz des Unterrichts

Wieweit wird der Unterricht als gemeinsame Arbeit verstanden? Wie gut wird die Unterrichtszeit genutzt? Stoffbewältigung im Unterricht und nicht über Hausarbeiten? Erfahrbarkeit von Person und Unterricht als positiver Zusammenhang? Akzeptanz durch die Eltern, Mitarbeit von Eltern?

10. Lernumgebung

Gibt es handlungsorientierte Materialien? Offene Lernflächen? Variable und lernfunktionelle Raumaufgliederung? Karteien, Differenzierungsmaterial, Spiele, Bücher, Druckerei, Computer, Experimentierecke, Leseecke usw. ? Hat die Schule eine Bücherei, einen Werkraum, Lerngarten oder eine Lernwerkstatt, >Forschungskabinett< (resource-room)? Austausch von Spiel- und Lernmaterialien? Zusammenarbeit mit anderen Schulen oder Institutionen? Offene Klassentür?“

(Urban, S. 146 ff.)

Mobbing

Sicherlich werden Sie nun irritiert die Stirn runzeln, weil Sie sich fragen, warum dieser Punkt hier aufgeführt wird, wo es doch klar ist, dass Mobbing nicht toleriert werden kann. Und wenn dies so ist, freut es mich sehr.

Immer wieder erfahre ich jedoch von Kindern und Jugendlichen, dass sie mitunter sehr massiv in der Schule gemobbt werden oder wurden.

Da ist beispielsweise das 12jährige Mädchen, das in der sechsten Klasse jede Pause nur noch alleine verbringen musste, weil seine Klassenkameraden diese Zeit nicht mit ihm verbringen, sondern lieber mit ihrem Handy SMS versenden oder sich über Jungen und ihre Erlebnisse mit diesen unterhalten, was allerdings nicht zu den Themen und Beschäftigungen des betreffenden Mädchens gehörte. In der Klasse wurde dieses sehr eifrige, sehr lernmotivierte und sozial sehr kompetente Mädchen als Angeberin, Streberin und Besserwisserin gehänselt.

Im Gespräch mit einigen Lehrkräften und der Klassenlehrerin wurde deutlich, dass dies diesen Lehrkräften überhaupt nicht aufgefallen war. Natürlich hätten sie, wenn sie jetzt darüber nachdächten, bemerkt, dass korrekte Aussagen des Mädchens während des Unterrichts manchmal belächelt oder negiert wurden. Aber man habe sich nichts dabei gedacht.

Ein 13jähriges Mädchen beschrieb in einem Gespräch ähnliches. Auf meine Frage, ob sie denn glaube, dass es die sie begleitenden Lehrkräfte mitbekommen hätten, meinte sie, dass für die Lehrer nur ihre sehr guten Leistungen und Zensuren gezählt hätten. Etwas anderes habe sie gar nicht interessiert, weil ja alles gut lief.

Erst dann, als das Mädchen seine sehr guten Leistungen verweigert hätte, seien die Lehrer aufmerksam geworden, hätten das Gespräch mit ihr und ihren Eltern gesucht. Schade war, dass dieses Gespräch mit vielen Vorhaltungen und Appellen von Seiten der Lehrkräfte geführt wurde.

Meine große Bitte an Lehrkräfte:

Lassen Sie es nicht so weit kommen, dass Kinder den Weg, um auf ihre Nöte aufmerksam zu machen, nur noch in der Verweigerung und Einstellung von Leistungen sehen. Natürlich werden Sie nicht jeden Mobbingversuch mitbekommen. Aber wenn es Ihnen gelingt, in Ihrer Klasse ein Klima zu schaffen, in dem sich jeder Schüler/jede Schülerin so einbringen kann, wie es ihm/ihr entspricht, wird es eine Bereicherung für jeden Schüler/jede Schülerin und letztlich auch für die Lehrkräfte darstellen. Dazu gehört unbedingt, dass das Einbringen gewünscht ist und dass jedem Schüler und jeder Schülerin von Anfang an klar ist, dass jeglicher Versuch von Mobbing keinesfalls akzeptiert wird und ernsthafte Gespräche mit demjenigen, der mobbt, zur Folge hat.

Seien Sie darüber hinaus aufmerksam für die Atmosphäre und für Stimmungen, für Äußerungen und “Frotzeleien“ in Ihrer Klasse. Machen sie Mobbing regelmäßig zum Thema. Vielleicht kann es hilfreich sein, wenn dieses Thema von einem Vertrauenslehrer geführt wird. Darüber hinaus haben manche Jugendämter Stellen eingerichtet, die sich speziell mit dem Thema Mobbing beschäftigen und vor Ort in den Klassen ihre Unterstützung anbieten

Literatur

Urban, Klaus K.
Hochbegabung. Aufgaben und Chancen für Erziehung, Schule und Gesellschaft
Münster 2004

www.schulministerium.nrw.de www.chancen-nrw.de

Akzeleration und Enrichment

 

Barbara Teeke
ist Erzieherin und Diplom-Sozialpädagogin mit Ausbildung in pädagogisch-psychologischen Testverfahren.
Sie führt Förderdiagnostik durch (in einer Praxis in Witten www.ppos.de und arbeitet als freie Mitarbeiterin, Kursleiterin und Referentin am IHVO

IHVO-Master-Zertifikat 2005
E-Mail: barbara.teeke@gmx.de

Kontakt zu Grundschulen – den Übergang gemeinsam gestalten

Vortrag bei der 4. IHVO-Fachtagung am 5.5.07

von Elke Keuler

 

In den letzten Jahren hatten wir immer wieder hoch begabte Kinder in unserem Städtischen Kindergarten. Neben der Förderung dieser Kinder war und ist es uns aus der Erfahrung heraus auch wichtig, den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule für die Kinder und deren Eltern sinnvoll zu gestalten und auch über den Kindergarten hinaus weiter zu begleiten.

(Sie können die Folien vergrößern, indem Sie darauf klicken.)

1.
Im Sinne der kognitiven und emotionalen Förderung hoch begabter Kinder ist auch eine positive Gestaltung des Überganges vom Kindergarten zur Grundschule wichtig.

Dazu ist es notwendig, dass Eltern, Kindergarten und Schule konstruktiv zusammenarbeiten. Die Sorgen, Bedenken, aber auch die Möglichkeiten in Hinblick auf die Förderung der intellektuellen, sozialen und emotionalen Fähigkeiten, müssen bedacht werden.

2.
Es gibt Faktoren, die es den Eltern unter Umständen erschweren, offen mit der Thematik Hochbegabung umzugehen und die dann zwangsläufig die Kommunikation und damit auch den Übergang zur Grundschule beeinflussen. Nicht selten haben die Eltern, schon bevor sie mit ihrem Kind im Kindergarten aufgenommen wurden, zahlreiche, oft verunsichernde Erfahrungen, in ihrem Umfeld machen müssen. Der Neid anderer Eltern oder auch entgegengebrachte Vorurteile wie z. B. „begabte Kinder sind nur ein Resultat übereifriger Eltern“ erschweren nicht nur den Umgang mit anderen Familien, sondern verunsichern auch, inwieweit sie offen diesem Thema umgehen dürfen. Möglicherweise geht die Verunsicherung so weit, dass sie aus der Angst heraus, dass das Kind isoliert wird, die Förderung des Kindes einschränken oder denken, sich dafür rechtfertigen zu müssen.

3.
Die Folgen der o. g. Vorerfahrungen können sich dann in der Form zeigen, dass die Eltern zunächst zurückhaltend in der Kontaktaufnahme mit dem pädagogischen Personal des Kindergartens sind. Von daher ist es notwendig, dass Erzieher mit dieser Thematik und den damit oftmals verbundenen Schwierigkeiten, vertraut sind. Dies ermöglicht ihnen, nicht nur sensibel auf die Kinder, sondern auch auf die Eltern zu- und eingehen zu können.

4.
Für die Gestaltung einer positiven Kommunikation aller Beteiligten ist es wichtig zu wissen, welche Fragen die Eltern beschäftigen, oder auch welche Ängste mit dem Übergang zur Schule verbunden sind. Damit die Lehrer das Kind entsprechend fördern können, ist es notwendig, dass die Eltern die Hochbegabung des Kindes in der Schule mitteilen. In dem Gespräch mit den Lehrern stellt sich dann auch heraus, welche Vorerfahrungen und Ansichten bei den Lehrern vorhanden sind. Grundsätzlich können Ängste, Bedenken und Unsicherheiten der Eltern durch gegenseitige Offenheit und durch eine gute Informationsweitergabe minimiert werden. So sollten beispielsweise, im Rahmen der Bildungsdokumentationsgespräche, die Fähigkeiten und Sensibilitäten der Kinder klar benannt und die Bedenken der Eltern in Bezug auf Überforderung nach vorzeitiger Einschulung, thematisiert und minimiert werden. Grundsätzlich kann es bei jedem Kind, also auch bei hoch begabten Kindern, zu einer Überforderung kommen. Dabei ist es wichtig herauszufinden, ob es sich um eine körperliche, geistige oder emotionale Überforderung handelt. Dementsprechend müssen dann gemeinsam mit den Eltern Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden.Durch die Bildungsdokumentation, die mit Einwilligung der Eltern schriftlich niedergelegt und die den Eltern mit dem Ende der Kindergartenzeit ausgehändigt wird, haben die Eltern eine weitere Möglichkeit, die Lehrer zu informieren. Darüber hinaus kann durch eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule die Klassenzusammensetzung im Hinblick auf die Kinder, die gemeinsam in eine Klasse gehen, positiv beeinflusst werden. Dadurch besteht auch für das hoch begabte Kind die Möglichkeit, mit Kindern in eine Klasse zu kommen, die ihm vertraut sind.

5.
Grundsätzlich ist eine vorzeitige Einschulung immer eine Einzelfallentscheidung und von mehreren Faktoren abhängig. Eine entsprechende individuelle Förderung der Kinder im Kindergarten z. B. durch spezielle Angebote und Materialien sowie auch die Stärkung des sozial-emotionalen Bereiches kann die Entscheidung, ob ein Kind vorzeitig eingeschult werden soll, vereinfachen. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn sich die Beteiligten (Kind, Eltern, Erzieher und Lehrer) im Hinblick auf den Einschulungszeitpunkt nicht sicher sind.

Es gibt Gründe, die es trotz optimaler Förderung im Kindergarten sinnvoll machen, ein hoch begabtes Kind früher einzuschulen, z.B. wenn alle mit ihm befreundeten Kinder ebenfalls in die Schule gehen und in Zukunft für das Kind keine adäquaten Spielpartner im Kindergarten zur Verfügung stehen.

Im Sinne und in der Verantwortung gemeinschaftlicher Förderung der Kinder ist es grundsätzlich immer wichtig, dass sich Schulen und Kindergärten gegenseitig darüber informieren, wie die pädagogisch-inhaltliche Arbeit aussieht. Optimal wäre natürlich, wenn Arbeitsmaterialien des Kindergartens und der Schule aufeinander abgestimmt und in Teilbereichen gleich sind oder auch aufeinander aufbauen.

Auch im Hinblick auf die Beratung der Eltern ist es für Erzieher hilfreich zu wissen, auf welche Weise die Lehrer arbeiten und wie sich der Unterricht in der Schule gestaltet.

6.
Problematisch wird es, wenn für die Beurteilung der Schulreife ausschließlich die Kriterien des Schulfähigkeitsprofils zu Grunde gelegt und dabei nicht die Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung bedacht werden.

 

 

7.
Für die Entscheidungsfindung pro oder contra „Vorzeitiger Einschulung“ ist es ausschlaggebend, ob und in wieweit das Kind durch die hier aufgeführten Stolpersteine in seiner Gesamtentwicklung beeinträchtigt ist. Im Gegenzug muss natürlich auch immer überlegt werden, ob das Kind nicht mehr „leidet“, wenn es noch ein Jahr im Kindergarten verbleibt. Fraglich ist, ob ein hoch begabtes Kind, welches aufgrund einiger fehlender personalen oder sozialen Kompetenzen nicht vorzeitig eingeschult wird, ein Jahr später über genau diese Fähigkeiten verfügt. Inwieweit diese Stolpersteine auf die hoch begabten Kinder zutreffen, hängt davon ab, welche Erfahrungen das Kind bereits gemacht hat und ob es in seinem Erziehungsfeld Personen gibt, die es emotional und unterstützend begleiten.

Grundsätzlich sollten Erzieher, mit dem Wissen um diese Stolpersteine, schon vorausschauend an diesen Kompetenzen mit den Kindern pädagogisch arbeiten. Günstigerweise sollte dies dann später in der Schule weiter fortgesetzt werden.

8.
Für hoch begabte Kinder kann es manchmal problematisch sein, sich auf neue Situationen einzulassen, besonders dann, wenn sie nicht ab- oder einschätzen können, was sie erwartet:

-Welche Lehrerin/welchen Lehrer bekomme ich? Optimal wäre natürlich, wenn das Kind dann die Möglichkeit hätte, bei der Lehrerin/dem Lehrer, der dann auch später Klassenlehrer wäre, zu hospitieren.

  • Welche Kinder gehen mit mir in eine Klasse?
  • Welche Regeln oder Strukturen finde ich vor, zum Beispiel was geschieht in der Pause?
  • Werde ich den Erwartungen der Lehrer gerecht?

Durch die Möglichkeit der Kinder, in der Schule hospitieren zu können, besteht die Chance, viele dieser Fragen und Unsicherheiten beantworten und klären zu können.

Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Erzieher die Sorgen und Ängste der Kinder und die oft unausgesprochenen Fragen wahrnehmen und sensibel thematisieren.

9.
Eine konstruktive Kooperation zwischen Kindergärten und Schulen ist nicht nur bildungspolitisch gefordert, sondern auch im Hinblick auf die ganzheitliche und kontinuierliche Förderung aller Kinder notwendig. Für sensible, ängstliche Kinder, aber auch für Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf aufgrund besonders hoher Begabung, ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule sinnvoll.

10.
Für alle Kinder, besonders aber auch für hoch begabte Kinder, gibt es Faktoren und Voraussetzungen, die eine optimale Förderung der Kinder in der Schule positiv beeinflussen.Lehrer und Erzieher sollten gemeinsam planen, wie sie organisatorisch und auch inhaltlich den Übergang hoch begabter Kinder vom Kindergarten zur Grundschule gestalten können.

Bezüglich der Hospitation der Kinder in der Schule, könnte z. B. gemeinsam mit allen Beteiligten, Eltern, Lehrern, Erziehern, überlegt werden, wie lange und wie viele Stunden das Kind in der Schule bleibt. Bei diesen Überlegungen ist es wichtig, dass sie individuell auf das Kind abgestimmt sind und das Kind ebenfalls mit in die Entscheidung einbezogen wird. Wichtig ist natürlich auch, das Kind während der Hospitationszeit „zu begleiten“ und als Ansprechpartner für Fragen und Ängste anwesend zu sein.

Die Möglichkeit der Hospitation in der Schule ist auch für die Kinder eine Chance, bei denen eine vorzeitige Einschulung angedacht ist. Nach der Hospitationszeit sollten sich alle Beteiligten zusammenfinden, um eine Entscheidung zu treffen. Dabei sollten sich alle offen dazu äußern können und das Ergebnis sollte nicht schon von vornherein feststehen. Schulkonzepte, die offene Unterrichtsformen beinhalten, kommen gerade auch hoch begabten Kindern mit ihren besonderen Fähigkeiten und auch manchmal eigenwilligen Lernstrategien zugute. Unterrichtsformen, die individuelles Lernen ermöglichen, sind z. B. das Stationenlernen oder auch die Projektarbeit. Der Vorteil dieser Methoden liegt u.a. darin, dass die Kinder, entsprechend ihrem individuellen Arbeitstempo, lernen können. Darüber hinaus bietet die inhaltliche Differenzierung (nicht jeder erhält das gleiche Material), die Chance, über verschiedene Fähigkeiten/ Sinne, zu lernen und auch den individuellen Lernstrategien der Kinder entgegen zu kommen.

11.
Viele der hoch begabten Kinder benötigen keine therapeutische Beratung oder Unterstützung. Ist ein Kind aber in Therapie, macht es unter Umständen Sinn, die Sichtweise des Therapeuten, zum Beispiel bei vorzeitiger Einschulung, mit einzubeziehen.

 

 

12.
Grundsätzlich ist es wichtig, Kindergarten und Schule nicht isoliert zu betrachten. Mit der Einwilligung der Eltern, dass Erzieher und Lehrer sich austauschen dürfen, können wertvolle Hinweise für alle Beteiligten, zugunsten des Kindes, weitergegeben werden.

Im Sinne aller Kinder, auch der hoch begabten Kinder, ist eine enge Vernetzung aller Institutionen mehr als notwendig. Mein persönliches Anliegen ist es, eine Info-Broschüre zu erstellen, in der Kindergärten, Schulen, diagnostische und therapeutische Einrichtungen, wie auch Institutionen aufgeführt sind, die hb Kinder, Jugendliche und Erwachsene fördern und beraten. Eine solche Broschüre ermöglicht auch den Eltern dieser Kinder, Ansprechpartner zu finden.

Wer also Adressen und Infos zu Einrichtungen im Köln-Bonner- Raum hat, kann mir diese gerne unter folgender Mail-Adresse mitteilen: ekeuler@web.de. Ich freue mich über jede Information!

 

Copyright © Elke Keuler 2007, siehe Impressum.
Datum der Veröffentlichung 5.5.07

Es braucht Mut, um die Ängste zu überwinden

von Hanna Vock

Vortrag „Mut zum freien Lernen und Lehren“ (leicht gekürzt),
gehalten beim Symposium „Kompetente Erziehung für kompetente Kinder“
am 8.11.03 in Düsseldorf.

Veranstalter war u.a. die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) Rhein-Ruhr.

 

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer,

was ist hiervon zu halten? Originalton eines hoch begabten Mädchens, 11 Jahre, 7. Klasse eines Gymnasiums, am frühen Nachmittag gerade aus der Schule zurück:

„Kannst du mir mal sagen, warum ich da heute hin gegangen bin???

Kannst du mir mal sagen, warum ich da heute 6 Stunden gesessen habe??? – Soll ich dir mal sagen, was ich da heute gelernt habe??? Nichts!!! Wieder mal: Nichts!!!“

Dauer-Frustration, die sich in Wut äußert. Wut auf die Schule, die Lernbedürfnisse nicht erfüllt, die zum Absitzen des Unterrichts und zu viel zu viel Anpassung zwingt. Gut, wenn die Wut so klar gefühlt und geäußert wird.

Gut, wenn die Wut sich konstruktive Bahnen sucht und zu Mut wird: Mut, mit 11 Jahren Sprachkurse an der Volkshochschule zu besuchen, später ins Internat zu ziehen, um bessere Lernbedingungen zu finden, und noch später ins Ausland zu gehen, um zu lernen.

Aber wie viel besser erscheint es mir, wenn die Schule sich ändert, wenn die Schule auch hoch begabten Schülerinnen und Schülern vor Ort so viele Anregungen und geistige Herausforderungen bietet, dass die Kinder und Jugendlichen sich dort wohl fühlen und ihre Kräfte effektiv fürs Lernen in ihrer Schule verwenden können.

Wie das gehen kann, habe ich von 1992 bis 1995 an der Braunschweiger Christophorusschule gesehen. Aber solche Schulen sind die großen Ausnahmen.

Warum heißt mein Vortrag „Mut zum freien Lernen und Lehren“?

Weil Lehrer und Schüler Mut brauchen, um vom Üblichen abzuweichen und ungewohnte Wege zu gehen.

Aber auch, weil es verschiedene Ängste gibt, die die Lernprozesse hoch begabter Kinder hemmen und behindern können. Zur Überwindung dieser Ängste brauchen die Kinder eigenen Mut und beständige Ermutigung durch Eltern und Lehrer.

1)
Da ist zunächst die Angst vor dem Anderssein; die Angst vor Ausgrenzung, vor Ablehnung; die Angst davor, als überheblich zu gelten, nicht verstanden zu werden.

Ja, hoch begabte Kinder sind anders; sie haben von klein auf andere Spiel- und Lernbedürfnisse als durchschnittlich begabte Kinder, und zwar vor allem in den Bereichen, in denen ihre Hochbegabung liegt. Manche Tätigkeiten, die anderen Kindern viel Spaß machen, reizen sie nicht. Andererseits fühlen sie sich zu Tätigkeiten hingezogen, die Andere noch nicht oder überhaupt nie interessieren.

Was hilft gegen diese Angst?

Der Mut von Erwachsenen, mit diesen Unterschieden offen und klar umzugehen. Die Ermutigung, auch intellektuelle Stärken bei sich selbst und bei Anderen wertzuschätzen und frei zu entwickeln.

Damit hoch begabte Kinder zu ihren oft ungewöhnlichen Interessen und Gedanken stehen können, ohne sie zu verbergen oder zu verleugnen, brauchen sie eine Schule, die Begabungsunterschiede, unterschiedliche Lernwege und ungleiches Lerntempo als Tatsachen begreift und damit gut umgehen kann.

Dies gelingt umso leichter, wenn nicht nur ein einziges hoch begabtes Kind einsam in der Klasse sitzt, sondern wenn mehrere ähnliche Kinder das Lernklima mitbestimmen.
Siehe auch: Verbergen von Fähigkeiten und Interessen.

2)
Da ist weiter die Angst vor negativen Reaktionen aus der Umwelt. Die Angst vor Unverständnis und Isolation. In vielen sozialen Umwelten kommt das Benennen von besonderen Fähigkeiten und Lernbedürfnissen des Kindes einem Outing gleich, mit allen möglichen unsicheren und belastenden Reaktionen aus Verwandtschaft und Bekanntschaft.

Das Kind auf eine besondere Schule zu schicken, es früh einzuschulen, es eine Klasse überspringen zu lassen, schafft Erklärungsbedarf, und längst nicht alle werden es verstehen.

Andererseits kann das bloße Vorhandensein von Schulen, die erklärtermaßen die Bedürfnisse hoch begabter Kinder ernst nehmen, dazu beitragen, die Situation mittelfristig selbstverständlicher erscheinen zu lassen. Die Schule ermöglicht Kontakt und Austausch zu anderen „Betroffenen“, was auf Kinder und Eltern unmittelbar entlastend wirkt.

Etliche Eltern würden ihr Kind gerne auf eine solche Schule wechseln lassen, weil sie erfahren haben, wie kraftraubend es ist und wie viel Mut immer wieder aufgebracht werden muss, um sich mit einer Schule auseinander zu setzen – oft auch noch erfolglos auseinander zu setzen -, die Hochbegabtenförderung gar nicht oder nur halbherzig in ihrem Programm hat.

3)
Da ist die Angst von Eltern, ihr hoch begabtes Kind könnte zum Außenseiter und Eigenbrötler werden, es könnte keine Freunde finden.

Dieser Angst ist nicht beizukommen, indem das Kind zur Anpassung gedrängt wird. Ermutigend sind positive Gruppenerfahrungen, das Suchen nach „wirklichen“ Freunden, das erfolgreiche Zusammenarbeiten auch mit ähnlich Begabten und Interessierten.

Die hoch begabten Kinder brauchen – außer den vielen anderen Kindern – auch andere Hochbegabte, um genügend Anregungen zu erhalten und auch geben zu können.

In vielen Schulen – oder auch schon im Kindergarten – machen hoch begabte Kinder immer wieder die Erfahrung, dass sie besser davonkommen, wenn sie allein spielen oder arbeiten, weil sie nur so ihre Ideen bis zum Ende verfolgen können:

So wird die Grundlage für Eigenbrötlerei gelegt.

Ermutigend zur Zusammenarbeit ist für hoch begabte Kinder ein Unterricht, der auf einem hohen Niveau stattfindet und der ernsthafte fächerübergreifende Projektarbeit beinhaltet. Ermutigend ist auch die Möglichkeit zur selbstbewussten Präsentation der allein oder gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse.

So entstehen Erfolgserlebnisse, die hoch begabte Kinder zu Teamfähigkeit hinführen.

4)
Da ist die Angst der Lehrer und Eltern vor Ausnahmen von der Regel, vor der Eigenwilligkeit des Kindes. Auch das Kind, das schon das Pensum der 3. Klasse rechnen kann, muss zu Hause die Rechenkästchen der 1. Klasse machen, auch wenn dies sinnlos ist.

Ein Ernstnehmen der kindlichen Anstrengungsbereitschaft ist dies nicht.

Gelassenheit und Großzügigkeit gegenüber unterschiedlichen Begabungen können Erwachsene und Kinder entwickeln, wenn der individuelle Lernprozess jedes Kindes den Unterricht ausfüllt und bestimmt. Hier wird für Schüler und Lehrer die gut begründete Ausnahme, der eigene Lernweg, das eigene Lerntempo zur Regel.

5)
Da ist die Sorge, dass das hoch begabte Kind die so genannten Sekundärtugenden (Fleiß, Ausdauer, Sorgfalt, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten, usw.) nicht lernt, wenn es nicht zur Anpassung an das Durchschnittsniveau bereit ist.

Es soll Frustrationstoleranz erwerben und Ausdauer und Sorgfalt auch beim Erlernen von Dingen zeigen, die es längst kann.

Eine absurde Situation.

Die enorme Frustrationstoleranz, die das hoch begabte Kind schon aufbringt, indem es jeden Tag wieder in die Schule geht, die ihm wenig gibt, wird unterschätzt (siehe Beispiel am Anfang).

Und außerdem:

Ob das Kind über Ausdauer, Sorgfalt und gute Kommunikationsfähigkeiten verfügt, lässt sich dort beobachten, wo das Kind auf seinem Niveau lernen darf. Dies kann man gut bei Intelligenztests beobachten – oder auch, wie ich bei meiner eigenen praktischen Arbeit erfahren durfte, bei speziellen Gruppenangeboten für hoch begabte Kinder.

Die Sekundärtugenden oder wie sie heute oft genannt werden: die personalen Kompetenzen können nicht gelernt und verinnerlicht werden, so lange die Grundstimmung des Kindes depressiv oder aggressiv getönt ist, weil ihm Wichtiges vorenthalten und verweigert wird.

Wenn ein hoch begabtes Kind sich ausgiebig mit schwierigen Inhalten befassen will, die seiner hohen Begabung entsprechen, muss es dafür beständige Wertschätzung und emotionale Bestätigung erfahren. Da es sich hier um ein Grundbedürfnis handelt, darf seine Erfüllung grundsätzlich nicht abhängig gemacht werden vom Wohlverhalten des Kindes, nach der Art: „Erst machst du ordentlich deine Hausaufgaben – und dann kriegst du heute auch was zu trinken.“
Allerdings können Pflichten des Kindes (im Haushalt helfen, seine Sachen aufräumen, die Hausaufgaben machen) durchaus verlangt und auch bei einem 8-Jährigen zeitlich vorgeschaltet werden: „Ja, natürlich darfst du (am Computer) „Minecraft“ spielen; vorher musst du dein Zimmer in Ordnung bringen und einkaufen gehen.“

6)
Da ist weiter die Angst vor einseitiger Entwicklung und Defiziten in Lernbereichen, in denen das Kind nicht hoch begabt ist. So wird oft erst „das Andere“, was dem Kind schwerer fällt, gefordert, ehe es sich mit seiner Domäne beschäftigen darf. Eine pädagogische Methode, die nicht gut funktioniert.

Erst dann, wenn dem Bereich der Hochbegabung genügend Zeit, genügend Raum, genügend Anregung zu Teil geworden ist, ist das Kind entspannt genug, um sich auch den weniger befriedigenden Dingen zuzuwenden.

Die Frage ist:

Was ist genügend Zeit oder Anregung?
Schwer zu beantworten. Wahrscheinlich sehr viel mehr, als man denkt. Wenn hoch begabte Kinder ihre Ängste ablegen, Freunde (Kinder oder Erwachsene) mit derselben Wellenlänge finden, dann zeigen sie oft ein atemberaubendes Entwicklungstempo und eine zeitlich sehr umfangreiche Zuwendung zu ihrer Domäne oder zu spannenden Projekten, die zu ihrem Entwicklungsstand passen. Alles Andere wird zum Außerdemnoch und zum Nebenbei. Von spannenden, herausfordernden Projekten und fächerübergreifendem Unterricht wird in manchen Schulen viel geredet, und dann findet doch recht wenig statt.

7)
Da ist die Angst vor Überforderung – der Überforderung des Kindes und der Eltern und Pädagogen. Erfahrungen aus meinen Elternberatungen zeigen: Lehrer zeigen nach Gesprächen guten Willen, sie erhöhen den Schwierigkeitsgrad. Das sechsjährige Kind muss nicht mehr mit der Klasse mitrechnen: 7+5, sondern darf rechnen 17+15. Die Lehrerin hält das für sehr viel schwieriger, weil sie weiß, dass die Klasse dorthin erst Wochen später kommen wird.

Vielleicht kann das hoch begabte Kind aber auch Aufgaben dieses Typs schon lange lösen und möchte sich nun eher damit befassen, was 17 geteilt durch 15 ist und was das Komma im Ergebnis wirklich bedeutet. Der wohlmeinende Versuch der Lehrerin läuft ins Leere. Sie fühlt sich durch die weitere Unlust des Kindes bestätigt, dass nicht die zu leichten Aufgaben die Ursache waren – sondern vielleicht der Druck, den die Eltern auf ihr Kind ausüben – oder mangelnde Disziplin des Kindes. Was für ein fataler und trauriger Irrtum!

Um den Entwicklungsstand des Kindes auszuloten und daran anzuknüpfen, sind eine entsprechende Einstellung des Lehrers, aber auch kleine überschaubare Lerngruppen nötig. Dann kann auch die Angst vor dem ungewöhnlichen Lerntempo der Kinder abgebaut werden.

8)
Und dann ist da noch die Angst vor dem Loslassen. Etliche hoch begabte Kinder zeigen ein frühes komplexes Urteilsvermögen über die Situationen, in denen sie sich befinden. Dieses Urteilsvermögen und der Drang nach Selbstbestimmung wollen anerkannt sein.

Eine Bitte an die Eltern: Halten Sie Ihr Kind nicht zurück, wenn es die Welt erkunden und sein Glück suchen will. Lassen Sie die Kinder (bei aller nötigen Sorgfalt) in die nahe und ferne Welt gehen.

Das bringt auf lange Sicht die größte Nähe zwischen Kindern und Eltern.

9)
Viele psychische Schwierigkeiten und Blockaden, mit denen sich hoch begabte Kinder plagen, haben ihren Ursprung in einer langen Erfahrung von Verwirrung und Frustration. Manchmal läuft schon im Kleinkindalter oder im Vorschulalter etwas gründlich schief.

Deshalb setze ich mich dafür ein, dass Hochbegabung schon im Kindergarten erkannt wird und Erzieherinnen lernen dürfen, hoch begabte Kinder im Kindergarten angemessen zu fördern.

Es ist wichtig für hoch begabte Kinder und ihre Eltern, dass es immer mehr kompetente Schulen und Kindergärten gibt, die sich ernsthaft um Hochbegabtenförderung bemühen, wobei Kindergärten auf jeden Fall integrativ arbeiten sollten.

Kinder, die mit anderen hoch begabten Kindern zusammen lernen können, haben es leichter, ihre Lernbedürfnisse anzumelden und durchzusetzen. Ihren Mut können die Kinder in einer Schule, in der frei gelernt werden kann, besser und effektiver einsetzen. Sie müssen sich nicht in (oft erfolglosen) Kämpfen um das Allerselbstverständlichste verschleißen, sondern können ihre geistigen Kräfte an interessanten Fragen erproben.

Eltern können ihre Fragen und Gedanken in einem hochbegabungsfreundlichen Schulklima unbedrängt und auf einem hohen Niveau einbringen.

Ich wünsche den (hoch begabten und allen anderen) Kindern, dass ihre Lehrerinnen und Lehrer in der Klasse und im Lehrer-Team effektive und befriedigende Arbeit leisten können, ohne als Einzelkämpfer jeden Tag gegen Schema F, Pausenklingel, Fächergrenzen, zu große Klassen und Vorurteile gegenüber eigenwilligen Kindern anzukämpfen.

Siehe auch:
Dauerfrustration wegen Unterforderung und Unverständnis

Mein erstes Schuljahr – Gespräche mit Kindern

Ist es für hoch begabte Grundschüler heute besser?

 

Projekt: Schulecke … und die Gefühle

von Klaudia Kruszynski

Kurz von den Sommerferien ist bei den Kindern das Thema „Schule“ sehr wichtig. Nicht nur die Vorschulkinder, auch die jüngeren Kinder spielen gerne Schule.

Vor einer Woche nahmen die Großen an einem echten Schulunterricht teil. Sie waren in einer ersten Klasse zu Gast. Dort durften sie die gleichen Aufgaben lösen, die ihre ehemaligen Kindergartenfreunde von ihrer Klassenlehrerin bekamen. Natürlich erzählten sie im Kindergarten aufgeregt von ihren Erfahrungen, und viele jüngere Kinder haben sehr aufmerksam zugehört.

… kurz gefasst …

Vier- bis fünfjährige Kinder richten im Nebenraum des Gruppenraums eine „Schule“ ein und überraschen die älteren Kinder damit. Sowohl die jüngeren wie die älteren Kinder spielen nun ganz viel Schule und setzen sich damit auseinander „wie Schule ist“.

Daraus ergibt sich ein weiteres Projekt: Die Kinder befassen sich mit ihren Gefühlen und damit, wie man sie körpersprachlich ausdrücken kann.

Beide Projekte laufen gleichzeitig und verflechten sich miteinander.

Schon oft habe ich von jüngeren Kindern gehört, dass sie auch in die Schule gehen möchten. Nun wollte ich von ihnen erfahren, was sie schon über die Schule wissen. Danach könnten wir gemeinsam eine Schulklasse in unserem Nebenraum einrichten.

Aber zuerst musste ich mich vergewissern, dass sie sich wirklich schon für dieses Thema interessieren, obwohl sie noch nicht zu den Vorschulkindern gehören.

Tag 1 (Dienstag, der 13. Juli):

Ich verabredete mich mit acht Kindern im Nebenraum. Es waren: Linea (4;8), Mandy (4;6), Tim (4;4), Jan (4;4), Tobi (5;3), Selma (5;1), Andreas (4;9) und Mark (3;11).

Am Anfang erzählte ich den Kindern, dass wir an einem Geheimnis arbeiten wollen. Sie haben sofort einen Namen für die Gruppe gefunden, und so hießen wir ab sofort „Geheime Gruppe Kira“. Der Nebenraum, in dem eigentlich unsere Puppenecke untergebracht ist, wurde zu einem Geheimraum und die Tür wurde mit dem Geheimschlüssel zugemacht.

In einem Gespräch überlegten wir, was sich bald im Kindergarten verändern würde:

Der Sommer kommt, die Ferien beginnen. Unter den Antworten waren auch einige alberne dabei.

Und dann sagte Mark: „Die neuen Kinder kommen“.

„Wie, die Gruppe ist doch schon voll, wir haben keinen Platz mehr.“

„Nee, die Großen gehen in die Schule und dann kommen die Neuen.“

Tim sagte: „Mein Freund Alex kommt auch!“

„Wisst ihr, wie viele Vorschulkinder wir in der Gruppe haben?“

Die Antworten waren unterschiedlich, von 10 bis 20. Dann haben wir uns überlegt, wie die Kinder heißen, und da kamen wir auf acht Vorschulkinder. Kevin, Harry, Barbara, Josefine, Katja, Kristin, Alice und Mira.

Ich fragte, ob sie Lust hätten, die Vorschulkinder zu überraschen. Was wäre, wenn wir bei uns eine Schulecke einrichten würden?

„Oh ja!“ – alle waren dafür.

Danach kamen die Überlegungen zur Umsetzung.

„Was brauchen wir für unsere Schulecke?“

„Tische!“

„Wie viele?“

„Zwei, drei, hundert!“

Wir einigten uns auf drei bis acht kleine Tische. Und sowieso müssen wir erst gucken, wie viele in den Raum passen.

Selma: „Eine Uhr!“

„Wozu?“

„Damit wir wissen, wie spät es ist!“

„Aber wozu müssen wir das wissen?“

Tobi: „Wann wir Pause machen oder nach Hause gehen!“

„Was noch?“

Mark: „Knete“.

Tim: „Schultornister“.

Selma: „Stühle“.

Mark: „Lehrer“.

Selma: „Bücher“.

Mark: „Pausenbrot, Gardine, Fenster…“

Die Kinder waren zwischendurch immer wieder albern. Mandy erzählte Linea etwas, Andreas gähnte und drehte sich um.

Einer schreit: „Spielzeug!“

Manche Kinder finden das gut und wiederholen es.

Jan schreit entsetzt: „Nein!“

Die Kinder streiten.

Mark sagt: „Die Kinder können spielen, wenn sie Lust dazu haben.“

Tobi meint: „Nur in den Pausen darf man spielen.“

„Tisch für die Lehrerin!“, schreit einer.

Selma: „Eigentlich steht die immer.“

Linea: „Herzchen!“

„Herzchen ?“

„Ja, auf der Wand.“

„Wozu?“

„Damit es schön ist.“

Für Andreas ist es langweilig geworden, er verwickelt Mark in ein Gespräch, streitet. Ich schlage ihm vor, dass er wieder zu den anderen Kindern gehen darf, wenn er nicht mehr mitmachen will. Mark will mit seinem Freund raus gehen, aber dann überlegt er es sich noch mal und bleibt.

Selma: „Turnbeutel, Füller und dieses, wo die Zahlen drauf sind“ – sie breitet ihre Hände aus.

„Ein Lineal?“

„Ja! Die Mama hat es mir gesagt, und Stifte, Buch“.

„Ihr wisst schon so viel von der Schule. Habt ihr schon eine Schulklasse gesehen?“

„Im Buch, im Fernsehen.“

„Wo gibt es Schulklassen?“

„Da, wo die große Turnhalle ist!“

„Kann man sich die Klasse ansehen?“

Die Kinder wollen wissen, wie eine echte Klasse aussieht. Sie möchten hingehen.

„Wie organisiert man es?“, will ich wissen.

„Die Schule ist genauso auf (offen) wie der Kindergarten.“
„Dann können wir mit dir hingehen!“
„Man muss klopfen oder klingeln und fragen, ob man rein gehen darf.“
„Und dann: Guten Tag. Wir sind vom Kindergarten. Wir möchten uns eine Klasse angucken.“

„Und wenn einer Euch fragt, wieso?“

„Weil wir noch nicht so viel über die Schule wissen, was es alles in der Schule gibt.“

„Wer möchte mitgehen?“

Selma, Tim, Jan, Mandy, Linea möchten, Mark und Tobi – nicht !

Mir ist aufgefallen, dass Selma sich sehr oft an unserem Gespräch beteiligt hat. Sie hat konzentriert zugehört und korrekte Antworten gegeben. Als ich ihr gesagt habe, dass ich mich gewundert habe, dass sie schon so viel über die Schule weiß, meinte sie:

„Ich weiß nicht, woher ich das alles weiß. Ich war noch gar nicht in der Schule. Vielleicht ist das in meinem Kopf geschrieben, mit einem Zauberstift.“
Und nach einer Weile:
„Ach, ich weiß, der Sebastian kommt mit seinem Tornister zu uns und macht die Hausaufgaben, und manchmal darf ich mit seinen Stiften malen.“

„Aber woher weißt du, wie es in der Schule aussieht, du wusstest doch, dass die Lehrerin steht und nicht sitzt?“

„Ja, das wusste ich schon ein paar Jahre…“

Tag 2, Dienstag, der 20. Juli

Erst sieben Tage später konnten wir uns wieder zusammensetzen: Die Geheime Gruppe Kira, ich und die Praktikantin.
Zum ersten Mal sind Sophie und Marius dabei. Jan und Andreas sind krank.

Alle können sich gut daran erinnern, was wir uns vorgenommen haben. Ich habe laut vorgelesen, was wir schon über eine Schulklasse gesprochen haben.

Leider bekamen wir keine Zusage, die Schule zu besuchen. Ich habe es den Kindern so erklärt, dass die Ferien bald anfangen und die Lehrer mit dem Schreiben der Zeugnisse sehr beschäftigt sind. Sie hätten leider keine Zeit.

„Aber ich habe ein Bild von einer Schulklasse mitgebracht, aus früheren Zeiten.“

Alle haben sich das Foto angeschaut. Dann erzählten einige Kinder, was sie darauf sehen konnten:
Sie haben die Tafel entdeckt. Und noch einen Globus, ein Klavier, ein Kreuz und Bilder an der Wand.

Anschließend haben wir Bilder von einer modernen Schulklasse betrachtet. Die Kinder entdeckten die Unterschiede: die Tische sind kleiner, Alles ist heller. Die Tafel ist viel breiter, und in einer Ecke stehen Computer. Die Kinder wissen auch, wozu es Computer in der Schule gibt: zum Schreiben, zum Lernen und auch zum Spielen.

Danach habe ich das Bilderbuch: „Ich gehe in die Schule“ auf den Tisch gelegt. Auf der ersten Seite sieht man ein Mädchen, das zum ersten Mal in die Schule geht.

Die Kinder entdecken die Schultüte und einen Tornister. Ich frage sie, ob sie wissen, was in einer Schultüte drin ist. Das wüssten sie so genau nicht.

Vielleicht könnte man jemanden fragen.
Ich soll Katja rufen. Sie ist ein Vorschulkind und sie muss es wissen. Ich ermutige die Kinder, Katja Fragen zu stellen. Leider weiß sie nicht, was sich in der Tüte befindet.

Dann schlage ich Barbara vor, denn sie hat eine ältere Schwester. Ja, sie kann die Frage beantworten: In der Schultüte sind Stifte, Bücher, Geschenke und Süßigkeiten für die Pause.

Dann haben wir Barbara wieder rausgeschickt. (Sie darf das Geheimnis doch nicht erfahren!)

In dem Bilderbuch haben die Kinder noch andere Gegenstände gefunden: einen Backofen zum Backen, ein Aquarium zum Fische angucken, große Buchstaben zum Nachschreiben. Sie erfuhren aus dem Buch auch, dass es verschiedene Fächer gibt: Sprache, Mathematik, Sachunterricht, Kunst und Sport. In den Pausen darf man draußen spielen. Es gibt noch eine Bibliothek, wo man verschiedene Bücher ausleihen kann. Es gibt auch eine Toilette und einen Waschraum.

Wir beschlossen, dass wir übermorgen den Klassenraum einrichten werden.

Aber am Nachmittag haben wir
doch schon angefangen.

Mark, Selma und Sophie haben die Tische geschoben, die Stühle getragen, den Globus und den Regenmacher abgestaubt.

Wir haben einen Tisch für den Sachunterricht vorbereitet und eine Musikecke mit einem Keyboard, Regenmacher und Mikrofon ausgestattet.

Natürlich haben die Kinder alles ausprobiert, auch die Dosenlupe und die Magnetbuchstaben.

Danach haben wir acht Hefte gemacht.

Unser Nebenraum hat sich sehr verändert. Die alte Wand-Dekoration wurde gemeinsam abgemacht.

Wir sind sehr gespannt, ob es den Großen gefällt.

Tag 3, Mittwoch, der 21. Juli:

Die Tür zu unserem Nebenraum war bis fast halb zehn geschlossen.

Irgendwie haben die Kinder den Raum ständig bewacht, immer wieder warnte Jemand: „Die Tür muss geschlossen bleiben, wir dürfen nicht rein!“

Inzwischen hatte ich noch „Schulmappen“ vorbereitet: Schnellhefter mit einigen Arbeitsblättern und ein paar linierten und karierten Blättern.

Ich konnte die Spannung kaum aushalten. Wie nehmen die Großen das Angebot an?

Zuerst ist die Geheime Gruppe Kira in den Nebenraum gegangen. Selma und Mark zeigten den anderen Gruppenmitgliedern, was wir am Vortag gemacht hatten.

Andreas und Mark stürzten sich auf die Musikinstrumente, Tim entdeckte das Zahlen-Puzzle und fragte: „Was steht unter den Puzzle-Teilen?“ –  „Das sind englische Wörter für die Zahlen“, habe ich ihm gesagt: „One, two, three, four, five…“

Linea hatte doch keine Lust mehr, die Herzchen zu basteln, deshalb haben wir gemeinsam beschlossen, dass die „Schule“ fertig ist.

Ich habe bemerkt, dass diese Kinder am liebsten selber drin spielen würden.

„Es ist gut so“, habe ich gedacht und laut sagte ich: „Jetzt könnt ihr vier Schulkinder in den Raum holen.“

Die Großen haben natürlich gespürt, dass sie dort etwas Besonderes erwartete. „Na, endlich“ – konnte man in ihren Gesichtern entdecken.

Ich habe abgewartet, bis sich die erste Aufregung gelegt hat. Dann habe ich die Geheime Gruppe Kira angesprochen, dass sie den Großen erklärt, was wir hier vorbereitet haben.

Danach wurden die Hefte verteilt. Während die Großen ihre Namen auf die Hefte geschrieben haben, setzten sich die Kira-Mitglieder auf den Teppich.

Ich zeigte ihnen die Schnellhefter. Gemeinsam haben wir uns überlegt, was es für Aufgaben sind. Die Kinder sollten herausfinden, was zu tun ist, wie man es erklären kann und welche Lösung es gibt.

Zu meinem Erstaunen war Mark bei einigen Aufgaben viel schneller im Begreifen und Lösen als Tim.

Dafür wollte Tim der Lehrer sein. Er hat den Vorschulkindern die Aufgabe korrekt erklärt. In einem Gewirr von Linien sollten die Kinder Tiere finden und sie bunt ausmalen. Danach haben die Kira-Kinder die Blätter kontrolliert und „Einsen“ darauf geschrieben.

Ich glaube, mit diesem Projekt haben wir gemeinsam etwas Besonderes geschaffen:

Die Vorschulkinder können sich als Schüler „ausprobieren“. Mit allem Ernst erledigen sie die Aufgaben. Sie erleben, dass sie schon in einem anderen Lebensabschnitt sind als die übrigen Kindergartenkinder.

Für die jüngeren Kinder bedeutet dieses Projekt auch sehr viel: Sie sind doch gar nicht so klein, sie haben etwas für die Großen vorbereitet, wobei sie sogar die „Erklärer“ und „Lehrer“ sind.
Sie haben sich zuerst mit den Aufgaben befasst, um sie später den Großen zu erklären.
Sie haben den Klassenraum gestaltet. Sie haben schon so viel über die Schule gewusst.

Und natürlich können sie selber Schule spielen. Sie fangen an, für sich selber Hefte zu basteln.

Ich möchte dazu noch einen zeitlichen Rahmen einführen (eine Glocke, die nach 15 Minuten Beschäftigung erklingt). Und die Fächer.

Ich bin überzeugt, ich kann den Kindern den Raum überlassen. Ich muss sie nicht mehr ständig begleiten.

Die Musikinstrumente haben wir erst heraus genommen. Wir machen lieber einen Musikunterricht mit der Begleitung einer „Lehrerin“, so wie in der echten Schule.

Die Schulecke wird ständig bespielt

Bis zu den Sommerferien, also bis zum 29. Juli, haben die Kinder „Schule“ gespielt.

Sie beeilten sich mit dem Frühstück, um weiter spielen zu können. Kristin sagte: „Ich will keine Pause machen, ich will zuerst alle meine Blätter fertig machen.“

Barbara meinte: „Mir gefällt die Schule sehr, ich könnte da bis 12 Uhr spielen, nein, bis 6 Uhr nachts!“

Auch das schöne Wetter konnte die Kinder nicht davon abhalten. Immer wieder holten sie sich ihre Mappen und lösten Aufgaben. Bald waren sie fertig und wollten neue Arbeitsblätter. Ich habe natürlich weitere Aufgaben vorbereitet.

 

 

Um sich zu beraten, haben die Kinder sich oft auf den Boden gesetzt – ob sie das in der Schule dann auch dürfen?

 

 

 

 

 

 

Dann musste ich neue Mappen vorbereiten. Die jüngsten Kinder wollten auch in der Schule spielen. Am Anfang haben sie nur beobachtet, aber so bald ein Sitzplatz frei war, setzten sie sich an den „Schultisch“. Diese Kinder brachten einfache Malblätter mit. Sie schrieben Buchstaben oder Zahlen von der Magnet-Tafel ab. Dann wollten sie auch Arbeitsblätter und Mappen haben.

Nachmittags wurde auch in der Schule gespielt. Dazu sind Kinder aus anderen Gruppen gekommen. Auch diese Kinder bekamen die Arbeitsblätter.

Auseinandersetzung mit der Lehrer-Rolle

Bei vier Kindern war in diesem Spiel die Rolle des Lehrers /der Lehrerin sehr beliebt.

Zunächst waren Selma und Tim die Lehrer.

Katja sagte: „Selma ist eine gute Lehrerin, von ihr kriegt man immer eine Eins.“

„Der olle Tim gibt nur die schlechten Noten“, klagte Harry.

Selma lachte: „Klaudia, Harry hat eine Zwei gekriegt, ha, ha, ha!“

„Du bist auch voll die blöde Lehrerin“, schrie der genervte Harry.

Ich meinte, Tim hat ihm zu Recht eine Zwei gegeben, Harry hätte sich mehr bemühen sollen und ordentlicher seine Aufgabe lösen. Die anderen Kinder bestätigen, dass die Lehrerin in der Schule darauf achtet.

„Ich will auch eine Lehrerin sein!“, sagt Barbara, 6 Jahre alt,  plötzlich.

„Was willst du tun?“

„Rechnen!“

„Gut, dann musst du dir eine Aufgabe überlegen.“

Sie legt dreistellige Zahlen auf die Magnet-Tafel. Aber die Kinder interessieren sich gar nicht dafür. Dann legt sie Buchstaben drauf, die Kinder schreiben ab. Barbara geht durch die Klasse und schreibt die Noten: alle bekommen eine Eins.

Kristin sagt laut: „Barbara ist eine gute Lehrerin, sie soll immer die Lehrerin sein!“

Barbara ist sehr aufgeregt, glücklich und stolz.

Nach einer Weile höre ich ein „Gerappel“ aus der Schule. Barbara hält die Becherlupe in der Hand und rappelt damit. Sie fragt: „Was soll ich machen, wenn sie so laut sind?“

„Nicht die Becherlupe dafür nehmen, sie bekommt Kratzer und dann kann man sie nicht mehr benutzen. Wir nehmen ein Glöckchen am Band.“ Barbara ist begeistert. Jetzt steht sie vor der Tafel und rappelt mit dem Glöckchen. Die Kinder meckern.

Vor dem Stuhlkreis ist Kristin (4;11) zu mir gekommen. Sie sagte, sie möchte auch Lehrerin sein.
„Gut, dann musst du Aufgaben für die Kinder haben“

„Was für Aufgaben?“

„Du könntest Arbeitsblätter vorbereiten, ich kann dir dafür Papier geben.“

Das hat ihr sehr gefallen. Kurz vor dem Abholen bekam sie leere Blätter. Weil ihre Mutter noch nicht da war, holte sich Kristin einen Stift und fing an, die Arbeitsblätter zu fertigen.

Um 14 Uhr sind die Vorschulkinder wieder gekommen. Sie sind sofort in die Schule gegangen. Barbara schnappt sich das Glöckchen und will wieder die Lehrerin sein. Aber Kristin schreit laut: „Ich bin die Lehrerin, ich habe Aufgaben für euch, Klaudia hat es mir versprochen!“

Ich bestätige es, Barbara wird wütend und schreit laut: „Ich will nicht mehr Schule spielen!“ Sie hält sich sofort die Ohren zu, ich lasse sie alleine am Tisch. Dann gehe ich zu den anderen Kindern und sage: „Wer der Lehrer sein will, muss sich die Aufgaben überlegen.“

Kristin verteilt ihre Arbeitsblätter, die Kinder fangen an zu rechnen, Barbara rebelliert weiter. Alle sind entsetzt und Kristin wendet sich wieder an mich, sie braucht Hilfe.

„Du bist die Lehrerin, sie muss auf dich hören, du kannst ihr auch eine Sechs geben, wenn du willst.“

„Wo?“, fragte Kristin.

„In deinem Klassenbuch!“

Katja sagt zu Barbara: „Du warst schon heute Lehrerin, wir haben alles gemacht, was du gesagt hast!“

Barbara schreit: „Ich werde nie wieder Schule spielen!“

Ich muss zu den anderen Kindern in den Gruppenraum gehen. Als ich wieder in der Schule nachschaue, stelle ich fest, dass Kristin Barbara als Helferin genommen hat.

Später haben wir über das Geschehene gesprochen. Ich sagte den Kindern, dass ich es toll finde, dass sie die Lehrerinnen sein wollen. Natürlich können sie beide es sein und auch die anderen: Es gibt nämlich viele verschiedene Lehrer und sie unterrichten in verschiedenen Fächern. Nur sie müssen sich abwechseln und sich vorher etwas überlegen.

Diesmal haben alle zugehört, Barbara wurde überzeugt, eigentlich wusste sie das Ganze von ihrer älteren Schwester.

Am nächsten Tag brachte Katja Arbeitsblätter mit. Es waren mit dem Computer ausgedruckte Bilder mit einem Pferd und einem Reiter.

Ein paar Tage später brachte Kristin eine Glockenblume mit, die Kinder sollten sie genau abmalen.

Mit der Zeit ist der Streit um die Rolle der Lehrerin ganz verschwunden, die anderen Kinder beanspruchten es gar nicht.

Ich glaube, sie haben verstanden, was zu den Aufgaben der Lehrerin gehört. Und dass man in dieser Position eine andere Art Arbeit hat, aber auch die Verantwortung. Nicht nur die Macht, die Noten zu geben, sondern die Pflicht, sich vorzubereiten. Und das wollen sie doch nicht, das würde sie vielleicht auch überfordern. Sie wollen doch erst nur lernen, sie sind auf die Aufgaben gespannt, sie wollen ihre Arbeitsblätter haben. Die haben sie bekommen und nach dem Lösen hefteten sie in ihre Schnellhefter.

Die jüngsten Kinder

Die jüngsten Kinder wussten nicht so viel über die Schule. Sie ordneten sich unter und „bearbeiteten“ ihre Aufgaben. Dabei orientierten sie sich an den älteren Kindern, ließen sich etwas erklären oder guckten einfach ab.

Aber unbeobachtet, nur unter sich, versuchten auch sie sich in der Rolle des Lehrers, der mit dem Glöckchen die Macht im Klassenzimmer hat. Sie konnten sich auch nicht so lange konzentrieren wie die „Großen“, deshalb wurden ihre Arbeitsblätter nicht fertig. Allerdings brachten Linea, Jan und Selma meistens die Aufgaben zu Ende.

Tim hatte keinen Spaß an den Ausmalbildern, weil es zu lange gedauert hat oder weil er – auch ohne auszumalen – die Lösung erkennen konnte.

Mark (3;11)

Mark löste die Aufgaben korrekt, war aber nicht ausdauernd dabei, eher sprunghaft. Sehr oft brach er überraschend seine Arbeit ab. Er meinte, er könnte es nicht. Dabei schaute er mich auf so eine Weise an, dass ich es riskierte und versuchte ihn zu überreden. Und meistens machte er weiter.

Diese Verhaltensweise beobachtete ich bei ihm mehrmals. Wieso sagt er, er kann es nicht lösen, wo er gleich weiter korrekt arbeitet? Ist das eine Art von Machtspiel? Will er testen, wie wichtig das für mich ist? Oder vielleicht weiß er selber nicht mehr, ob er etwas machen will oder doch nicht. Gewiss versteckt sich etwas hinter diesem Verhalten.

Ich fing an, ihn intensiver zu beobachten und über ihn nachzudenken. Am wahrscheinlichsten erschien mir, dass ihn irgendeine Angst plagt.

Zunächst konnte ich zu Mark in dieser Frage keinen Zugang finden. Er mag mich, vertraut mir, spielt sehr viel mit mir. Er sucht meine Nähe. Er vergewissert sich oft, dass ich in seiner Nähe bin. Er fragt mich, was ich tue, was ich vorhabe, wohin ich gehe. Er kriegt oft unerwartet Angst. Er geht ungern in andere Gruppen, wenn die Gruppen nachmittags zusammen gelegt werden. Meistens weint er dann und bekommt Bauchschmerzen. Wenn man sein Unwohlsein nicht angemessen beachtet, fängt er an zu weinen, dann würgt er und es ist schon vorgekommen, dass er erbricht. Wenn man ihm vermittelt, dass man ihn versteht, aber das Geschehene nicht beeinflussen kann, reagiert er trotzdem genauso heftig.

Als ich seine Mutter darauf ansprach, erzählte sie mir, dass er sich zu Hause oft ängstlich verhält. Er bekommt von ihr Erklärungen auf beängstigende Fragen, die er stellt. Dann will er noch mehr wissen und dadurch bekommt er noch mehr Angst. Das wiederum verunsichert die Mutter, dann gibt sie lieber wenige Erklärungen, um den Jungen vor so viel Angst zu schützen. Aber dann bekommt er Angst, weil er zu wenig weiß (versteht). In Verzweiflung lässt sie ihn so stehen, aber bald muss sie wieder zu ihm, weil er sich erbricht.

Da die vielen Erklärungen bei ihm eher negative Auswirkungen verursachen, habe ich es mit einer anderen Methode versucht. Ich wollte erreichen, dass er lernt, seine Gefühle zu erkennen und sich selbst von seinem Unbehagen abzulenken. 

An einem Nachmittag musste er in eine andere Gruppe gehen, weil ich schon Feierabend hatte. Er wusste es schon vorher. Er hat immer wieder auf die Uhr geguckt und kurz bevor ich gehen sollte, hat er zu mir gesagt, er will nicht in die andere Gruppe gehen.

„Das kann ich nicht ändern, ich muss nach Hause gehen, alle gehen in die andere Gruppe.“ Er weinte. Ich habe ihm beim Anziehen geholfen und zusammen sind wir nach draußen gegangen, wo schon die Kollegin und andere Kinder waren. Auch sein bester Freund wartete auf ihn. So blieb Mark draußen und ich habe den Gruppenraum aufgeräumt. Dann hörte ich, wie der Junge weinte, immer lauter. Er sah mich durch das Fenster und kam zu mir. Wir gingen in den Waschraum sein Gesicht waschen. Ich beruhigte ihn, trocknete ihn ab und wiederholte, dass ich nach Hause gehe.

Darauf fing er an zu husten und beugte sich schon über das Waschbecken – im Begriff zu erbrechen. Ich unterdrückte den Ärger und das in mir aufkommende Entsetzen. Ich sagte ihm, dass ich weiß, dass er sich nicht wohl fühlt und Angst hat. Er muss mir das nicht zeigen. Ich kann die Situation nicht ändern. Am besten wäre, wenn es ihm gelingt, an etwas anderes zu denken oder mit jemandem zu spielen. So vergeht die Zeit viel schneller. Wenn man spielt, vergisst man die Angst.

Mit diesen Worten und einem Lächeln brachte ich ihn wieder zu den anderen Kindern. Er suchte seinen Freund und spielte mit ihm.

Einige Tage später wartete Mark auf seine Mutter. Viele Kinder waren schon abgeholt. Ich beobachtete, dass er immer unruhiger wurde. Dann kam er zu mir und fragte, ob er spielen darf. Ich habe verstanden, was er mit dieser Frage meinte. Der Begriff „spielen“ bedeutete für ihn in diesem Moment auch: sich besser fühlen, die Angst vergessen.

So sagte ich zu ihm: „Das ist eine sehr gute Idee, so vergeht die Zeit, bis Mama kommt, viel schneller“.

Er lächelte mich an. Er hat dann meinen Rat, sich durch das Spielen abzulenken, angenommen, umgesetzt und auf die Wirkung überprüft. Und ich freute mich, dass Mark auf dem besten Wege ist, bei der Bewältigung seiner Ängste selbst aktiv zu sein.

Das Verhalten von Mark hat mich sehr beunruhigt. Ich spürte, dass ich etwas machen muss, was ihm helfen kann. In den Gesprächen mit ihm habe ich erfahren, dass er seine seelischen Zustände nicht einordnen kann. Er klagte über Bauchschmerzen, wurde unruhig, aber wusste nicht, was es war, was er fühlte. Andererseits konnte er sagen, dass er Angst vor Feuer hat.

Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass er weiß, dass er Angst hat, aber zugleich Angst hat, es zu zugeben, weil eigentlich „kein Grund besteht, Angst zu haben“.

So oder so ist es wichtig, dass er lernt, dass ein Gefühl etwas ist, was von alleine kommt. Man muss es erkennen und lernen damit umzugehen.

 

Und deshalb entwickelte ich zusammen mit meiner Kollegin das Projekt: Gefühle.

Projekt: Gefühle

Im Hinblick auf die Schule haben die Vorschulkinder auch verschiedene Gefühle. Es ist wichtig, dass sie sie bewusst erleben, auch wenn sie ambivalent sind.

Die jüngeren Kinder sind traurig, dass sie ihre großen Spielkameraden verlieren, aber gleichzeitig sind sie auf die neuen Kinder gespannt. Manche sind traurig, dass sie noch lange auf die Schule warten müssen.

Auch der Alltag bringt so viele Situationen, in denen Gefühle eine Rolle spielen.

Beim Umgang miteinander ist es wichtig, die Gefühle meines Gegenübers zu erkennen, den Gesichtsausdruck richtig zu interpretieren, die Körpersprache zu verstehen. Erst dann kann man sich angemessen verhalten.

Man kann auch Gefühle vortäuschen, um etwas zu erreichen.

Das Projekt „Schule“ wurde von den Kindern sehr gut angenommen. Wie tief sie die Inhalte aufgenommen haben, hat sich durch sehr intensive Gefühle geäußert. So haben wir, meine Kollegin und ich, uns entschlossen, die Projekte „Gefühle“ und „Schulecke“ gleichzeitig durchzuführen.

Beim Projekt: Gefühle ging es darum, Gefühle am Gesichtsausdruck zu erkennen und Gefühle mimisch und gestisch auszudrücken.

So versuchten die Kinder in der Turnstunde, Gefühle in verschiedenen Musikstücken zu erkennen und sie dann körperlich zu zeigen. Dazu benutzten sie bunte Tücher, denen sie Gefühle zugeordnet haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir haben aus Zeitschriften Gesichter ausgeschnitten, die unterschiedliche Gefühle ausdrücken. Daraus haben wir gemeinsam ein Spiel gebastelt. Ziel davon ist es, dass Gefühl zu erkennen, zu überlegen, in welcher Situation man dieses Gefühl haben könnte und dann mit der Hilfe eines Spiegels den Gesichtsausdruck nachzuahmen.

Wir hörten eine Geschichte von einem traurigen Clown. Dabei konnten wir erfahren, wie man den Clown wieder aufmuntern kann.

Wir spielten Situationen aus dem Leben nach, die die Kinder öfters erleben, zum Beispiel: Ein Kind wird aus dem Spiel ausgegrenzt, ist sehr traurig, weint. Was macht man, wenn man so was sieht?

Oder: zwei große ärgern ein jüngeres Kind. Wie reagiert man?

Da durften die Kinder ruhig schimpfen, ihre Meinung mit fester Stimme sagen. Und sich dann liebevoll um das traurige Kind kümmern.

Wir lernten ein neues Lied: „Siehst du, wie ich lachen (weinen, schimpfen) kann“.

So liefen die beiden Projekte nebeneinander. Die vielen Aktivitäten gehörten zu zwei unterschiedlichen Themenbereichen, aber irgendwie bildeten sie eine Einheit. Deshalb wurden die Kinder nicht überfordert.

Eines Tages rief Alice: „Klaudia, ich liebe das Leben, es ist so schön!“

In dieser Zeit übernachteten die Vorschulkinder im Kindergarten. Zusammen mit meiner Kollegin bemühte ich mich um eine schöne Atmosphäre: Wir haben den Gruppenraum geschmückt, die Stimmungslampen aufgestellt, usw. Da waren wieder intensive Gefühle im Spiel.

Und dann, am letzten Kindergartentag, setzte ich mich mit allen Vorschulkindern in unsere „Schule“. Es war ein besonderer Tag mit starken Gefühlen. Wir haben uns das Buch „Der Ernst des Lebens“ angeschaut, die Geschichte angehört.

Die Kinder erzählten viel. Danach habe ich sie gefragt, was sie fühlen.

Sie sprachen von Freude und Trauer, von Stolz und Angst. Ein Mädchen machte ein „Schweeps- Gesicht“.

Auch ich habe von meinen Gefühlen beim Abschied erzählt, dabei zitterte meine Stimme. Die Kinder haben es wahrgenommen. Sie haben mich sehr ernst angeschaut. Ich merkte, dass sie mitfühlen.

Dann sagte ich, dass ich mich gleichzeitig sehr freue, dass sie es geschafft haben und in die Schule gehen. Ich bin stolz auf sie, weil sie in den Kindergartenjahren so viel gelernt haben. Es war ein wunderschöner Augenblick.

 

Die beiden Projekte haben sich vereinigt.

 

Auswertung des Projekts: Schulecke

Alle Kinder aus unserer Gruppe konnten in der „Schule“ spielen. Manchmal mussten wir zusätzliche Stühle hinstellen. Es gab aber auch Kinder, die nie in der Schule spielten. Sie wussten genau, was man da machen konnte, es reizte sie aber nicht. Es waren diejenigen Kinder, die sich auch sonst ungern auf neue Angebote einlassen. Das war nicht weiter schlimm, es gab natürlich keinen Zwang. Diese Kinder haben andere Interessen gehabt und diese auch verfolgt.

Einige Kinder haben sich bei den Projekten auf eine besondere Weise beteiligt.

Selma (5;1)

Selma hat sich sehr intensiv bei der Vorbereitung der Schule beteiligt. Sie bereicherte die Planung mit ihrem breiten Wissen über die Schule und das Lernen. Mit ihrem freundlichen Wesen wurde sie als Lehrerin gut von den Kindern angenommen.

Sehr schnell hat sie aber diese Rolle aufgegeben, um selbst ein „Schulkind“ zu sein. Sie löste die Aufgaben genauso gut wie die Sechsjährigen. Ihre Bilder beeindruckten mit kreativen Ideen und sehr ästhetischen Ausführungen. Sie war zielstrebig, von ihren Überlegungen ließ sie sich nicht abbringen.

Tim (4;4)

Er wünscht sich, bald in die Schule gehen zu dürfen. Er besitzt sehr detailliertes Wissen in vielen Bereichen, kennt schon Buchstaben und versucht zu lesen und zu schreiben.

Bei den Arbeitsblättern konnte er schnell erkennen, worum es in den Aufgaben geht.

Als „Lehrer“ hat er die Aufgaben den anderen Kindern verständlich erklärt.

Als „Schüler“ füllte er die Arbeitsblätter sehr schnell aus, er hatte keine Lust ordentlich und zu Ende auszumalen. Er konzentrierte sich nur auf den intellektuellen Teil der Aufgabe, der für ihn wesentlich war, und sah nicht ein, dass die ordentliche Ausführung wichtig ist.

Kristin (4;11)

Kristin ist ein Jahr jünger als die anderen Vorschulkinder. Sehr spät, erst im Frühling vor der Einschulung, haben ihre Eltern sie in der Schule angemeldet. Bis dahin bemühten sie sich, ihre Tochter von „schulischen“ Themen fern zu halten. Kristin zeigte eine große Begeisterung für mathematische Aufgaben. Ähnlich wie Tim legte sie nicht so viel Wert auf das ordentliche Ausmalen. Sie löste die Aufgaben sehr schnell und verlangte sofort neue Arbeitsblätter.

Sie übernahm die Verantwortung für das Geschehen, beobachtete die Kinder, versuchte selber Konflikte zu lösen. Als erstes Kind setzte sie sich mit der Rolle des Lehrers auseinander. Sie hat Arbeitsblätter mit Rechenaufgaben vorbereitet. Es ging dabei um Addition (Plus-Aufgaben) und Subtraktion (Minus-Aufgaben). Kristin hatte die einstelligen Zahlen zufällig ausgewählt. Bei der Addition spielte es keine Rolle, welche Zahl als erste stand. Aber beim Subtrahieren machte Kristin dann die Entdeckung: Wenn die erste Zahl kleiner ist als die zweite, kann sie die Aufgabe nicht lösen. Sie änderte daraufhin die Arbeitsblätter, damit ihre „Schulkinder“ ein Ergebnis finden konnten.

Dann sagte sie: „Man muss genau wissen, was man schreibt. Als Lehrerin muss man selbst die Lösung wissen, bevor man die Kinder fragt.“

Beim Schule-Spielen glaubte Kristin, dass die anderen Kinder schon viel mehr über die Schule wüssten und viel mehr könnten als sie selbst. Deshalb arbeitete sie fleißig, um besser zu werden.

Dass sie sich öfter mit ungewöhnlichen Fragen beschäftigt, zeigt diese kleine Geschichte:

Eines Abends lag Kristin schon im Bett. Ihre Mutter wollte nach ihr schauen. Kristin schlief noch nicht, sie war sehr aufgeregt. Sie erzählte stolz, dass sie schon weiß, wie viel 4 mal 4 ist. „16“ sagte sie, und die Mutter fragte, woher sie das wüsste.

„Das Zimmer hat 4 Wände und jede Wand hat 4 Ecken. Wenn man sie zusammen zählt, ist das 16.“

Jan (4;4)

Er interessierte sich sehr für die „Schule“. Er ist immer wieder mal reingegangen, um zu gucken, was gerade los war. Er sah sich die Arbeitsblätter der Kinder an, stellte Fragen, hatte eigene Ideen. Er widmete sich dem Arbeitsmaterial, was den Kindern zur Verfügung stand.

Aber sein Interesse war nicht von Dauer. Er wollte keine eigene Schulmappe haben und keine Aufgaben selbst lösen. Als ich gefragt habe, wieso, sagte er mir, er wäre dafür noch zu klein.

Dann sagte ich ihm, dass die anderen Kinder, die genauso alt sind wie er, auch Schule spielen und die Arbeitsblätter machen. Er wollte trotzdem nicht.

„Du kennst doch schon die Buchstaben, das verstehe ich nicht“, versuchte ich es noch mal.

„Ich will es erst lernen, wenn ich in die Schule gehe.“

„Wer sagt das?“

„Meine Mama.“

Eines Tages sagte er zu mir, dass er die Schule doof findet. „Wieso?“, fragte ich.

„Weil man nicht mehr in der Puppenecke spielen kann.“

Nur er und die kleine Mandy vermissten in dieser Zeit die Puppenecke. Bei Mandy war dies für mich sehr verständlich, sie war gerade erst vier geworden. Für sie ist die Puppenecke der Kindergarten. Für andere Sachen interessiert sie sich noch gar nicht.

Aber nicht Jan. Er interessiert sich für alles. Sehr typisch für ihn ist es aber, dass er bei keiner Beschäftigung länger verweilt.

Er ist sehr drängend, wenn er eine Erklärung braucht. Kaum hat er verstanden, entfernt er sich ganz schnell von der Stelle. Bei neuen Spielen will er auch mitmachen, aber nach kurzer Zeit hört er auf, legt sich auf den Tisch, spielt mit den Spielfiguren selbst ausgedachte Spiele.

Umgang mit Fehlern

Manche Kinder machten beim Lösen der Aufgaben Fehler: die Fehler gehören zum Lernen.

Ich habe sie ermutigt, es noch mal zu versuchen und zum Beispiel mit einem Stift in einer anderen Farbe noch mal zu schreiben oder zu malen. Wichtig war dabei, richtig zu gucken, noch mal zu zählen oder es sich erklären zu lassen. Wir nannten es „Selbstkorrigieren“.

Fazit

Im Kindergartenalltag ist immer Platz für verschiedene Projekte, bei denen hoch begabte Kinder angesprochen werden.

Es sind Projekte, die auf den Interessen der Kinder basieren und ihren Bedürfnissen entsprechen. Man kann sie so gestalten, dass alle Kinder davon profitieren. Sie nehmen so viel mit, wie sie gerade für ihre Entwicklung brauchen.

Diese Projekte werden rechtzeitig geplant. Der Raum wird bewusst umgestaltet, das Material wird gesammelt.

Wenn man bei der Beobachtung der Kinder zu den richtigen Erkenntnissen gekommen ist, sind die Kinder wahrhaftig motiviert mitzumachen und die aktive Phase kann länger andauern.

Es gibt auch Projekte, die spontan entstehen. Durch die ständige Beobachtung der Kinder nimmt man wahr, was sie gerade beschäftigt. Gemeinsam werden Ideen entwickelt. Diese Projekte dauern so lange, wie die Kinder sie brauchen.

Man sagt: „Das habe ich nicht geplant, es hat sich spontan entwickelt.“ Solche Projekte sind genauso wichtig. Dabei ist es aber notwendig, das Geschehene zu reflektieren und nach ergänzenden Angeboten zu suchen.

Nach meinen bisherigen Erfahrungen sind es sehr oft die hoch oder besonders begabten Kinder, die neue Ideen in den Kindergartenalltag einbringen. Die übrigen Kinder sind dem gegenüber offen, weil diese Ideen von Kindern kommen und nicht von den Erwachsenen herangetragen werden.

Wir Erzieherinnen im Kindergarten sollten dies als Chance für die ganze Gruppe sehen und die pfiffigen Kinder nicht immer wieder auf später vertrösten!

Und das ist, meiner Meinung nach, sehr wichtig für die weitere Schullaufbahn dieser Kinder.

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2012
Copyright © Klaudia Kruszynski, siehe Impressum.

 

Wie können wir die Kinder auf die Schule gut vorbereiten?

von Hanna Vock

 

Lesen Sie zu diesem Thema bitte auch:

Wir schaffen uns ein „Klassenzimmer“ und

Projekt: Schulecke.

Eltern und Schule erwarten von uns Erzieherinnen, dass wir die Kinder auf die Schule vorbereiten. Wie ist das zu verstehen? Ich begegne zwei Auffassungen, die im Kern sehr verschieden sind.

Manche Eltern fassen es eher so auf, dass wir die Kinder dahingehend fördern müssen, dass sie mit sechs Jahren für das Schulsystem passend sind. Sie sollen schulfähig werden. Wäre das Schulsystem richtig gut, das heißt kind- und lerngerecht, könnte man gar nichts dagegen haben… Aber das Schulsystem ist dies in weiten Bereichen nicht, und dies trifft leider auch auf viele Grundschulen zu.

Ein Interview der Zeitschrift „Standard“ mit dem Hirnforscher Gerald Hüther können Sie hier lesen:

http://derstandard.at/1334368981969/Hirnforscher-Schule-produziert-lustlose-Pflichterfueller

 

…. kurz gefasst …

Vorschulerziehung im letzten Jahr vor der Schule war früher mal ganz groß in, dann wieder sehr out. Wie kann man es differenziert sehen? Der Beitrag ist ein Versuch dazu.

Das Lernen in einem guten Kindergarten bereitet die ganze Zeit über gut auf das Leben und auf eine gute Schule vor. Trotzdem brauchen die Kinder im letzten Jahr noch besonders viel Input und Anregungen – und sie sollten sich auf den Wechsel in eine andere Institution mental vorbereiten können. Da liegt eine Aufgabe des Kindergartens.

Aber es kann auf keinen Fall darum gehen, die (hoch begabten) Kinder unkritisch an das schulische Lernen anzupassen…

Es gibt vorzügliche Grundschulen und außerordentlich gute Lehrerinnen und Lehrer. Aber sie werden durch das System Schule oft eher eingeschränkt als unterstützt. Die Auseinandersetzung um einen besseren Unterrricht verlangt ihnen manchmal große Anstrengung ab.

Gute Beispiele, die mir bekannt geworden sind, finden Sie in dem Beitrag:
Gute und schlechte Beispiele aus der Schule.

Die zweite Auffassung, die auch ich vertrete, besagt:
Jedes Kind hat seine eigenen Lernwege. Nur wer das einzelne Kind gut kennt, hat Einblick in das, was das Kind bereits gelernt hat (worauf es also zurück greifen und worauf es aufbauen kann), welche Lernprozesse zur Zeit in ihm ablaufen (was es also aktuell spannend findet) und welche Hilfestellungen und Impulse es gerade jetzt braucht, um auf seinen Lernwegen mit Freude, Erfolg und Stolz voran zu kommen.
Dies gilt für das Lernen in der Familie, in der Kita und in der Schule.

Wenn wir in der Kita also zwei, drei oder mehr Jahre die Lernwege des Kindes aufmerksam unterstützt haben,

haben wir das Beste für seine Entwicklung und sein Lernen getan

– und das ist das, was Schule und Eltern im besten Falle von uns erwarten können.

Weniger begabte Kinder leiden

Dieses ganze Handbuch ist darauf gegründet, dass es Begabungsunterschiede gibt. Diese Unterschiede bedeuten, dass man nicht von jedem Kind das Gleiche zur gleichen Zeit erwarten darf. Es ist gemein, von einem nicht so intelligenten Kind, das vielleicht auch noch ein schwaches Gedächtnis hat, zu verlangen, dass es sich in der Schule dem Durchschnitt anpasst. Das kann es nicht.

Wird diese Tatsache nicht beachtet, erlebt das Kind vom ersten Schultag an ein Misserfolgserlebnis nach dem anderen – mit all den verheerenden Folgen für sein Selbstwertgefühl und seine Lernmotivation.

Dann suggeriert die Schule als System diesem Kind Tag für Tag: Du bist gut, wenn du mindestens so gut bist wie der Durchschnitt, wenn du gut mithalten kannst, wenn du nicht ins Hintertreffen gerätst – wenn du das aber nicht schaffst, bist du schlecht oder wenigstens „schwach“. Dass die Schule so viel Lebens- (und damit Lern-) Zeit der Kinder besetzt, einen so großen Raum in ihrem emotionalen Erleben und eine so große Wichtigkeit bei den Eltern einnimmt, macht es nur schlimmer.

Auch wenn die Lehrer in den ersten Jahren keine Zensuren verteilen und öfter mal betonen, dass man auch langsamer lernen darf, bleibt beim Kind doch der Haupteindruck bestehen: Ich kann es nicht gut, ich bin nicht gut – da es ständig den direkten Vergleich mit den anderen Kindern hat. Druck und Enttäuschung von Seiten der Eltern verschärfen die prekäre Situation des Kindes. Wie grausam ist das eigentlich?

Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn etliche Kinder irgendwann beschließen, dass Schule für sie keine Bedeutung haben darf.

Individualisierter Unterricht?

Der in letzter Zeit propagierte „individualisierte Unterricht“ ist die Idee, diesem Missstand entgegen zu treten. In der Schulpraxis ist davon nach meiner Erfahrung, nach der Erfahrung vieler Eltern und der Erfahrung vieler unserer Absolventen bisher nur wenig und in vielen Klassen auch noch gar nichts angekommen. Natürlich liegt das auch an zu großen Klassen.

Es liegt aber auch daran, dass sich viele Lehrer in vielen Stunden immer noch an Schulbüchern oder vorbereiteten Materialien festhalten und von allen Kindern das Gleiche verlangen, das dann unterschiedlich bewertet wird: Sehr gut bis ungenügend.

Flexible Eingangsstufen, jahrgangsübergreifender oder fächerübergreifender Unterricht sowie Arbeit mit individuellen Wochenplänen sind Ansätze, die helfen können, Kindern die Lernfreude zu erhalten.

Wird die breite Bildung weiter geführt?

Schade ist, dass sich in der Grundschule der Fächerkanon drastisch reduziert auf Lesen, Schreiben, Rechnen, ein bisschen Sport, Musik und Sachkunde.

In einer guten Kita kann dagegen (im Freispiel, in Projekten und in der Arbeit mit Bilderbüchern) Alles vorkommen:
Astronomie, Medizin, Landwirtschaft, Archäologie, Technik, Wetterkunde, Elektronik, Handwerk, Jura, Wirtschaft, Soziologie, Psychologie, Biophysik, Tanz, u. v. a. m.

So ist eine vielgestaltige und ganzheitliche Bildungsarbeit gut zu verwirklichen. Schule kann diese Vielseitigkeit nur schwer aufgreifen und weiter führen, so dass viele Interessen der Kinder in der Schule keinen Raum mehr finden.

Siehe auch: Die Kita als guter Lernort.

Nach meinem Verständnis von Schule müssten die Kinder in all diesen „Fächern“ – und zwar am besten fächerübergreifend in Projekten – Basisinformationen und Basiskompetenzen erlernen können.

Stattdessen ist es immer noch Aufgabe der Schule, das genormte Lernen der Kinder zu bewerten und „Vergleichbarkeit“ herzustellen (die gleichen Tests für alle), auch aus dem Grund, dass es „gerecht zugehen“ soll. Aber so ist Gerechtigkeit nicht zu erreichen.

Zu viel Kritik?

Vielleicht wird diese Kritik an der beobachteten Schulwirklichkeit als unfair empfunden und dagegen gehalten, dass es auch viele schwache bis schlechte Kitas gibt. Das stimmt und wird von engagierten Erzieherinnen auch sehr kritisch gesehen.

Es sei deshalb hier ganz deutlich gesagt, dass hier die Sichtweise engagierter Erzieherinnen eingenommen wird, die gut gearbeitet haben und „ihre“ Kinder dann in eine frustrierende Schule abgeben müssen. Eine Kollegin hat es so formuliert:

„An dieser Stelle frage ich mich, ob ich mit meiner Arbeit überhaupt etwas erreiche, wenn das System Schule die Arbeit nicht fortführen kann.“ (Brigitte Gudat).

Und die hoch begabten Kinder?

Die hoch begabten Kinder dürften dagegen nun ja keine Schwierigkeiten mit der Schule  haben, oder?

Tatsache ist, dass es vielen hoch begabten Kindern ebenfalls schwer fällt und oft nicht gelingt, sich an die Schule anzupassen. Was in ihrer Klasse tagein tagaus im Unterricht geschieht, hat oft gar nichts mit ihrem Entwicklungs- und Kenntnisstand zu tun.

Siehe: Schreiben lernen ohne Schule.

Erfahrungsgemäß wird von den meisten Lehrern gar nicht oder nur in sehr ungenügendem Maße auf den Vorsprung und die eigenen Lernwege und die Interessen der hoch begabten Kinder eingegangen.

Auch werden die Kinder häufig nicht ausreichend sozialpädagogisch begleitet. Wer immer schon alles weiß und kann, was für die anderen neu und schwierig ist, wer von oben auf den Unterricht herab sieht oder immer nur Einsen schreibt, ist ständig und sehr stark in Gefahr, von den anderen Kindern nicht nur nicht verstanden, sondern emotional abgelehnt und ausgegrenzt zu werden.

Es ist für mich nicht verwunderlich, wenn viele engagierte Erzieherinnen einen inneren Widerstand verspüren, wenn von ihnen erwartet wird, die besonders begabten Kinder auf eine solche Schulpraxis vorzubereiten.

„Wir machen keine Vorschulblätter und Mappen.“

Oder: „Wir machen keine Vorschulerziehung.“ Diese Sätze höre ich häufig. Damit wird abgelehnt, die schulische „Arbeitsweise“ (am Tisch sitzen, einen Stift in der Hand halten und vorgefertigte Aufgaben auf einem Blatt Papier lösen) in den Kindergarten herüber zu holen.

Diese Auffassung entstand vor einigen Jahrzehnten, als die Elementarpädagogik (Pädagogik vor der Einschulung) sich rasant entwickelte und begann, bunt und vielfältig und theoretisch gut untermauert aufzutreten. Die Schulpädagogik – zumindest die Praxis – blieb dahinter zurück, zum Beispiel was das Arbeiten in Projekten angeht.

Heute wird dieselbe Widerstandshaltung von Erzieherinnen auch dafür genutzt, bestimmte aus pädagogischer Sicht unsinnige Elternansprüche abzuwehren: im Kindergarten Kurse anzubieten, die vermeintlich die Schullaufbahn der Kinder verbessern. Solche Wünsche (zum Beispiel Englischkurs im Kindergarten) werden von manchen Eltern aus Sorge vorgebracht. Sie befürchten, die beste Zeit zum Lernen der Fremdsprache könnte ungenutzt verstreichen oder ihr Kind könnte in der Schule ins Hintertreffen geraten, andere Eltern haben sehr früh die Karriereaussichten des Nachwuchses im Sinn.

Das mag verständlich sein, ist aber aus pädagogischer Sicht nicht zielführend.

Ein weiterer Punkt ist die verständliche Empörung vieler engagierter Erzieherinnen, wenn ihnen von Eltern und Lehrern die Ansicht entgegen weht, im letzten Jahr vor der Schule sollte der Kindergarten Vorschulerziehung machen.

Die Antwort lautet dann: „Wir machen die ganze Zeit Vorschulerziehung, die Kinder lernen im Kindergarten wichtige Kompetenzen und erfahren viele Bildungsinhalte.“ Natürlich gilt dies alles auch nur für gute und engagierte Erzieherinnen – leider gibt es auch in Wirklichkeit das Zerrbild der Erzieherin, die die meiste Zeit am Tisch sitzt und mit vier großen braven Mädchen bastelt, oder die draußen unbeweglich in Türnähe steht, „Aufsicht führt“ und hofft, dass die Zeit schnell vergeht.

Pfeffer in die Wunden engagierter Erzieherinnen war dann auch (in Nordrhein-Westfalen) das Konzept des Delfin-Tests, das faktisch den Erzieherinnen die Kompetenz abgesprochen hat, einzuschätzen, welche Kinder in ihrer Gruppe Sprachprobleme haben und Sprachförderung benötigen.

Trotz alledem: Die Einschulung ist der Übergang in eine andere Institution.

Und er ist für alle Kinder verpflichtend.

Gerade weil die Schule – für mich unverständlicherweise – so anders arbeitet als der Kindergarten, ist es wichtig, die Kinder darauf vorzubereiten.

Dabei geht es überhaupt nicht um das Nachholen bisher versäumter Bildungsprozesse, es geht darum, den Kindern zu helfen, sich in der Institution Schule von Anfang an gut zurecht zu finden.

In den zehn Jahren, die ich im Kindergarten gearbeitet habe, wurde immer wieder mal spontan von den Kindern Schule gespielt, was immer sehr aufschlussreich war. Denn in diesem Spiel zeigten sich die Vorstellungen über Schule, die die Kinder in ihren Köpfen hatten, und es wurden auch ansatzweise Empfindungen deutlich, die mit Schule verbunden waren.

Es schien mir immer sinnvoll, den Kindern ein Projekt dazu anzubieten.

Ziel war für mich nicht so sehr, dass alle Kinder Techniken einübten, die in der Schule nützlich sind. Das ergab sich eher nebenbei. Zum Beispiel legten die Kinder Mappen an, lochten ihre Arbeitsblätter und lernten sie in die Mappen einzufügen. Wenn man das kann, wird einen diese Anforderung in der Schule nicht mehr nervös machen oder in Verlegenheit bringen. Es geht dann schon „gut von der Hand“, und das ist ja durchaus nützlich. (Eine kleine Auswahl der Arbeitsblätter, die wir verwendeten, finden Sie in: Spielereien auf Papier.)

Das wichtigste Ziel aber war, mehr darüber zu erfahren, wie die Kinder sich den Schulalltag vorstellten und wie sie zur Einschulung eingestellt waren. Auf dieser Grundlage kamen wir dann immer in fruchtbare Gespräche.

So zeigte sich zum Beispiel, dass manche Kinder kaum wussten, wie Schule ist. Sie profitierten vom Wissen anderer Kinder, die viel wussten und klare Vorstellungen hatten.

Es zeigte sich aber auch, dass manche Kinder (vor allem Mädchen) glaubten, dass Schule dazu da wäre, zu zeigen, was man kann. Sie hatten schon eine ausgeprägte Angst vor Fehlern entwickelt und würden sich nur zu Wort melden, wenn sie sich ihrer Sache ganz sicher sind. Sehr ungünstig und überdies ein Kreativitätskiller!

Hier war es dann wichtig, eine andere Sichtweise anzubieten: Schule ist dazu da, das zu lernen, was man noch nicht weiß und kann, Fehler machen gehört zum Lernen dazu und ist nicht „schlimm“.

In der „Schulsituation“ zeigte sich auch bei manchen Kindern eine Verhaltensweise, die wir in der „Kindergartensituation“ kaum bei ihnen beobachten konnten: Sie warteten ab, wie die anderen es machten. Vermutlich war auch hier im Hintergrund bereits ein Gefühl dafür vorhanden, dass frisches Ausprobieren und Umsetzen der eigenen Ideen nicht so wichtig ist, sondern dass „Richtigmachen“ am meisten gilt.

Manchmal war es dann mühsam, die Kinder zur Unbefangenheit zurück zu führen und ihnen zu vermitteln, dass man hinterher, wenn alle fertig sind, die eigene Arbeit selbstbewusst begründen und vergleichen kann. Die Kinder spürten nach einiger Zeit, dass diese Arbeitsweise mehr Spaß macht. Sie lernten auch, dass es befreiend ist, wenn man (noch) nicht so Gelungenes mit Humor nimmt.

Einige Kinder konnten im Projekt den Unterschied von Spiel und Arbeit noch einmal ganz klar erkennen. Es war dabei nicht die Idee, dass mit der Schule der „Ernst des Lebens“ beginnt. Spiel und Arbeit sind lebenslang wichtig. Immer wieder zeigte sich allerdings, dass auch manche Sechsjährige überhaupt noch keinen Sinn für Arbeit entwickelt hatten. Das halte ich für ein schweres Versäumnis der Familie, das auch der beste Kindergarten nicht wirklich wett machen kann. Die Einstellung zu Arbeit und die Gewöhnung an verlässliches Arbeiten wird in der Familie geprägt – oder eben auch nicht, weil die Eltern glauben, Kinderzeit sei ausschließlich Spielzeit.

Aber genauso wenig, wie den Kindern das freie Spielen (in ihrer hoffentlich reichlich bemessenen Freizeit) durch den Eintritt in die Schule verloren geht, genauso wenig sollte das Arbeiten erst mit der Einschulung beginnen. Ein Haushalt macht Arbeit und die sollte geteilt werden. Im Kindergarten kann es Pflichten und „Ämter“ geben, aber wenn dieser Bereich in der Familie vernachlässigt wird, ist es mühsam und oft nicht von Erfolg gekrönt.

In den letzten Jahren meiner Arbeit im Kindergarten habe ich gute Erfahrungen damit gemacht, immer mal wieder einen Elternabend anzubieten: „Wie viel darf / muss Ihr Kind im Haushalt helfen? Und wie läuft das ab?“ Diese Elternabende waren durchaus wirksam, weil Eltern ihre Einstellungen und ihre Praxis überdenken konnten und wertvolle Hinweise erhielten, wie früh und was Kinder arbeiten können und wie man es erreichen kann, dass sie dabei immer verlässlicher werden. Wichtig für das Team ist, die pädagogische Begründung klar vorbringen zu können.

Ein weiterer wichtiger Punkt im Projekt Schule war, dass alle Kinder präzisere Vorstellungen von der Organisation der Schule gewinnen konnten. Kinder mit älteren Geschwistern sind hier oft im Vorteil, und es ging nun darum, diesen Vorteil auf alle Kinder auszuweiten. Gerade hoch begabte Kinder gehen mit weniger Bedenken und Sorgen in eine Situation, die sie vorab gut einschätzen können.

Ein nicht zu unterschätzender Aspekt war auch, dass es beruhigt, entspannt und Vorfreude weckt oder verstärkt, wenn es viele Gelegenheiten gibt, über den bevorstehenden Schritt zu reden, sich damit zu befassen. Allerdings kann der Schuss nach hinten los gehen, wenn die Erzieherin selbst eine negative oder ambivalente Haltung zur Schule einnimmt. Sie sollte dann diese Arbeit lieber einer Kollegin überlassen, die die Vorfreude der Kinder und ihre gespannte frohe Erwartung teilen und fördern kann.

Und hier noch einmal der Hinweis auf die Projektberichte:

Wir schaffen uns ein „Klassenzimmer“ und

Projekt: Schulecke.

Ein interessantes Angebot, das Kitas an Eltern und Lehrer weiter geben können:
Die „Infoline für Lehrkräfte“ (Beratungstelefon der DGhK – Deutsche Gesellschafdt für das hochbegabte Kind):

0700 / 234 228 64 (dienstags 20 – 21.30 Uhr).

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2012
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

Mein erstes Schuljahr – Gespräche mit Kindern

 von Beate Kroeger-Müller

 

Oft machen wir uns in unserer Kita Gedanken darüber, wie es für die von uns geförderten hoch begabten Kinder in der Grundschule weiter geht. Als Elterninitiative mit recht großem Einzugsgebiet haben wir es mit verschiedenen Grundschulen zu tun. Wir versuchen, den Übergang der Kinder vom Kindergarten in die Schule gut zu begleiten, durch Gespräche mit Eltern und Lehrern, und können den weiteren Weg mancher Kinder auch verfolgen.

Mit einigen dieser Kinder habe ich Gespräche geführt und sie über ihre Erfahrungen aus dem 1. Schuljahr befragt. Alle Kinder haben mir sehr offen geantwortet, wofür ich ihnen dankbar bin – und auch für die Zustimmung, ihre Aussagen anonymisiert zu veröffentlichen.

Ruben

Ruben, ein ehemaliges Kindergartenkind aus unserer Einrichtung, ist heute 14 Jahre alt und besucht die 10. Klasse einer Schule mit Hochbegabtenförderung. Da er als junges Kannkind eingeschult wurde und eine Grundschulklasse übersprungen hat, ist er fast zwei Jahre jünger als seine Mitschüler. Er ist der Erstgeborene von drei weiteren Geschwistern, von denen zwei auch seine Schule besuchen. Das jüngste Kind ist noch im Kindergarten.

Frage: Was waren deine Erwartungen im Hinblick auf Schule – wie hoch war deine Motivation?

Antwort:

„Meine Motivation war riesig! Nach einem letzten Kindergartenjahr, in dem ich Lesen und vor allen Dingen Rechnen lernte, hatte ich einen großen Spaß dabei, mein Wissen zu vergrößern, auch wenn ich mich nicht wirklich gefordert fühlte. Aber genau das erwartete ich von der Schule. Sie sollte mich fordern und mich neue Dinge lehren.
Ich hatte von vielen Seiten gehört, dass die Schule ein völlig neuer Lebensabschnitt sei, also war ich mir sicher, dass die Schule eine Herausforderung bieten würde, die ich in meinem bisherigen Leben noch nicht erlebt hatte.“

Frage: Wie erinnerst du dich an deine ersten Schultage (Freud + Leid)?

Antwort:

„Für mich war die Schule immer ein Ort, zu dem ich gerne ging, und zwar vom ersten Tag an. Also kann ich nicht viel von Leiden erzählen, außer vielleicht über die Feinmotorikübungen, die uns beim Aufschreiben von Zahlen und Texten unterstützen sollten. Dass eine Drachenleine gespannt ist, war mir klar, aber eine grade Linie als Schnur zu zeichnen, eine unglaubliche Herausforderung.

Weit mehr glückliche als traurige Momente hat es in meinen ersten Schultagen gegeben. Das „Eingeschultsein“ ist ein sehr erhebendes Gefühl und von überall wird einem klar gemacht, dass jetzt ein neues Level erreicht sei, eine neue Stufe mit ihren Eigenheiten.

Glück war für mich auch, dass sich meine Erwartungen bewahrheiteten. Meine Lehrerinnen in Mathe und Deutsch gaben mir schon nach den ersten Wochen Aufgaben, die über den normalen Unterricht hinausgingen. Ich kannte keine Langeweile, denn wenn die Aufgaben aus der zweiten Klasse schon fertig waren, habe ich mir eigene Rechenaufgaben gestellt und mich damit immer höheren Zahlenbereichen angenähert.“

Frage: Was für einen Eindruck hattest du von deiner Lehrerin?

Antwort:

„Ich hatte nicht nur eine Lehrerin, die über meinen Unterricht entschied, sondern meine Lehrerinnen in Mathe und Deutsch. Meine Klassenlehrerin im Fach Deutsch war sehr engagiert. Ich fand es toll von ihr, wie sehr sie auf die einzelnen Schüler einging. Nicht nur auf mich, sondern auch auf so viele andere in der Klasse, die nicht so schnell wie andere mitkamen. Ich war ihr sehr dankbar, dass sie mir, nachdem ich mich zum Schreiben bequemte und die Druckschrift lernte, das Schreibschriftheft aus der zweiten Klasse gab, um mich nicht zu langweilen.

In Mathe erging es mir ähnlich. Ich konnte rechnen, bevor ich in die Schule kam, und erhielt auch dort mehr. Allerdings hieß die Devise meiner Lehrerin: „Wenn du die Zahlen nicht ordentlicher schreiben kannst, bekommst du keine Extraaufgaben mehr!“ Das wirkte! Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Lehrerinnen um jeden Schüler einzeln kümmerten, was ich sehr gut fand, da ich dann in meiner Lerngeschwindigkeit nie gebremst wurde.“

Frage: Was hast du zu Beginn als Ungerechtigkeit gegen dich empfunden?

Antwort:

„Nichts! Was sollte auch ungerecht gewesen sein? Es war aus meiner Sicht ungerecht, dass ich tolle Extraaufgaben aus der zweiten Klasse bekommen habe und andere nicht, aber gegen mich gab es keine Ungerechtigkeiten.“

Frage: Was waren deine schönsten Momente in der ersten Klasse?

Antwort:

„Es gab zwei Momente, die für mich besonders waren und mir auch immer noch in guter Erinnerung sind. Zum Einen sind das die Besuche in der zweiten Klasse. Im zweiten Halbjahr bot meine Lehrerin mir an, dass ich ein paar Stunden pro Woche den Unterricht einer zweiten Klasse besuchen durfte. Ich empfand es als eine Ehre und war sehr glücklich, wie freundlich ich in der zweiten Klasse aufgenommen wurde. Es handelte sich um die Klasse, in die ich nach dem ersten Schuljahr wechselte. Das Lernen mit älteren Kindern zusammen war für mich sehr interessant, aber auch nicht nur einfach. Damit hatte ich eine neue Herausforderung gefunden und war noch glücklicher in der Schule als zuvor.

Der zweite Moment in meiner ersten Klasse war die Projektwoche. Es gab viele verschiedene Angebote, woraus ich das Projekt „Geisterbahn“ auswählte. Mich beschäftigten in dieser Zeit viele mystische Dinge, also war dieses Projekt genau das richtige für mich. Mir gefiel es, meiner Kreativität Raum zu geben und ich hatte großen Spaß in dieser Zeit.“

Frage: Wie geht es dir augenblicklich mit Schule?

Antwort:

„Ich gehe immer noch gerne in die Schule, allerdings war ich nicht auf die maximale Leistung aus. Ich sah es nicht als nötig an, groß dazuzulernen, denn ich wusste sehr viele Dinge. Das hieß, aus Einfachheit auf dem Stand der fünften Klasse stehen zu bleiben. Das ging auch ganz gut bis zur siebten Klasse, aber dann musste ich mich in der Acht vom Eins-Komma-Schnitt verabschieden und erlebte einen schnellen Abstieg. Viele Klassenkameraden fragten mich, warum sich mein Potenzial nicht in Noten ausdrückte, aber die Antwort war ganz einfach. Alle Noten, bei denen es ums Lernen ging, fielen bei mir miserabel aus. Das äußerte sich vor allen Dingen in Vokabeltests. In „meinen“ Fächern Mathe, Physik und Informatik reichte es aus, im Unterricht aufzupassen, um eine Eins auf dem Zeugnis zu sehen, aber in Fremdsprachen kann man ohne Vokabeln schlecht gute Arbeiten schreiben.

Jetzt bin ich in der Oberstufe und habe mich im Wesentlichen aufgerafft. Gute Arbeiten kann ich in jedem Fach abliefern, es fehlt nur noch an Routine. Die möchte ich jetzt in der zehnten Klasse aufbauen, um die Qualifikationsphase mit einem guten Abitur abschließen zu können.“

Maya

Maya war zum Zeitpunkt des Gesprächs 12 Jahre alt; sie war mit gerade sechs Jahren eingeschult worden, hat keine Klasse übersprungen und besucht jetzt die 7. Klasse eines Gymnasiums. Sie hat schon mit vier Jahren im Kindergarten eigenständig Lesen und Schreiben gelernt und hat seit ihrem fünften Lebensjahr Geigenunterricht genossen.

Frage: Was waren damals bei deiner Einschulung in die Grundschule deine Erwartungen im Hinblick auf die Schule, wie war deine Motivation für Schule?

Antwort:

Ich war im Vorfeld schon sehr aufgeregt, aber es war eine schöne Aufregung. Allein die Vorstellung: jetzt endlich Schule, jetzt alles lernen zu können, war schon berauschend und klang verlockend für mich.

Wenn ich im Kindergarten ein Buch gelesen habe, habe ich anschließend die Gefühle der Personen aufgeschrieben. So auch bei dem Buch >Connys erster Schultag<. Ich kannte somit schon Connys Gefühle, brauchte sie nur abzulesen und mich darauf einzustellen, nachzuspüren: Sind Connys und meine Gefühle vielleicht identisch? Also, ich war total motiviert.

Und dann, an meinem ersten Schultag, wollte ich sofort losstarten. Aber schon nach den ersten Wochen meiner nicht endenwollenden Unterforderung dachte ich jeden Morgen erneut: Schule, wann lerne ich endlich mal etwas von dir?

Frage: Wie waren deine ersten Schultage?

Antwort:

Ich weiß noch, an meinem ersten Schultag war ich total enttäuscht. Auf einen Zettel mit einem Bärchen drauf, den meine Lehrerin verteilte, sollte jeder seinen Namen schreiben, der das schon konnte. Ich dachte nur, das kann doch nicht wahr sein, das haben wir doch alle schon im Kindergarten gelernt. Als Hausaufgaben waren irgendwelche Blätter auszumalen.

Meine Enttäuschung war so groß, dass ich bei meiner Mama dann geweint habe, als ich abgeholt wurde. Das wurde von der Lehrerin als eine Überforderung interpretiert. Mein wahres Gefühl von Langeweile und Unterforderung wurde überhaupt nicht von ihr wahrgenommen, sondern total falsch interpretiert. Warum konnte meine Lehrerin das nicht nachvollziehen, wie es mir damals ging?

Frage: Was für einen Eindruck hattest du von deiner Lehrerin?
Antwort:

Die war überhaupt nicht authentisch. Sie tat immer total lieb, war jedoch gereizt und genervt, hat das Gesicht zu einem Lächeln verzerrt. Aufmerksamkeit bekam man, wenn man sagte, man fühle sich schlecht. Dafür gab es eine Kopfschmerzschachtel mit Cool-Kissen, eine Bauchschmerzschachtel mit Wärmekissen und meterweise Tröstepflaster für die kleinsten Wunden. Wenn ein Kind in der Klasse wegen einer Magen-Darm-Grippe nicht kam, wurde direkt die Desinfektionsmittelflasche ausgepackt und meine Lehrerin sagte, wir sollen uns alle gut die Hände waschen.

Frage: Erinnerst du dich an eine Ungerechtigkeit dir gegenüber, aus der Anfangszeit?

Antwort:

Im ersten Herbst sollten wir einen Igel basteln, nach einer Schablone. Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, ihn individuell gestaltet, nicht alles nur nach Anleitung und Schablone gemacht. Ich dachte mir, ich mach jetzt mal was Eigenes, das von der Norm abweicht und sich von den übrigen 27 langweiligen Igeln unterscheidet. Mit Stolz habe ich dann meinen Igel der Lehrerin gezeigt, sie aber sagte nur, dass er sich ja nicht drehen könne, weil ich etwas falsch gebastelt hätte. Meine anderen Mühen wurden gar nicht wahrgenommen.

Frage: Hat sich deine Lehrerin denn bemüht, dir ein paar schöne Momente zu schenken?

Antwort:

Das Bemühen war da, einmal als Charlotte und ich ihre Hilfslehrerinnen sein durften. Mit der Zeit fand ich das dann aber auch nicht mehr gerecht, weil sie ja das Geld verdient hat und wir die Arbeit machen mussten. Dann dachte meine Lehrerin mir einen großen Gefallen damit zu tun, dass ich freitags die letzte Stunde der Klasse vorlesen durfte. Dazu wurde ein besonderer Stuhl vor die Klasse gestellt. Bald hab ich gemerkt, dass viele Klassenkameraden sehr neidisch darauf waren, was ich schon konnte, und habe der Lehrerin auch gesagt, dass ich das nicht mehr machen wollte. Daraufhin gab sie meiner Mutter zu verstehen, dass sie sich große Mühe mit mir gab, aber ich ja alles ablehnen würde.

Ein liebloser Versuch wurde gestartet, mich und zwei andere eine Klasse überspringen zu lassen: Also nach den Osterferien sollten wir gleich in die zweite Klasse gehen. Jeder von uns kam in eine eigene Klasse. Weder die Schüler noch die Lehrer schienen auf uns vorbereitet zu sein. Ich sollte mitmachen, wenn ich es wollte.

Nach zwei Wochen meinte die Lehrerin, wenn ich wollte, könne ich jetzt in dieser Klasse bleiben. Meine beiden Freundinnen hatten das gleiche Angebot bekommen, aber wir wollten uns nicht trennen. Darum sind wir dann wieder zurück in unsere alte Klasse gegangen. Aber für uns hat sich damit natürlich nichts verändert. Ich bekam nur dauernd Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, und oft war es mir morgens so übel, dass ich nicht in die Schule gehen konnte.

Frage: Wann hat sich für dich denn etwas geändert?

Antwort:

Das war, als ich dann endlich die Schule gewechselt habe und aufs Gymnasium gehen konnte.

Ava

Sie wurde als „Kannkind“ früh eingeschult, hat keine Klasse übersprungen und besucht mit 11 Jahren die 6. Klasse eines Gymnasiums.

Mit knapp fünf Jahren hat sie sich das Lesen beigebracht. Auch hatte sie damals schon ein Jahr lang Geigenunterricht und begann mit sechs Jahren Geige zu spielen. Ihre Muttersprache ist Schwedisch, und sie hat auch zweimal wöchentlich – auch schon während der Kindergartenzeit – eine schwedische Nachmittagsschule besucht.

Frage: Was waren damals bei deiner Einschulung in die Grundschule deine Erwartungen im Hinblick auf die Schule, wie war deine Motivation für Schule?

Antwort:

Ich dachte: Schule ist jetzt perfekt, es ist genau die richtige Zeit für mich. Ich weiß schon recht viel, kann ganz gut lesen und schreiben, vielleicht schon bis 100 rechnen. (Ich fühle mich gut ausgerüstet.) Alle Kinder in der Klasse sind ähnlich groß und haben das gleiche Alter. Ich habe gleich mein Bestes gegeben, denn ich wollte keine Fehler machen. Ich hab auch immer sehr gut aufgepasst und immer schön aufgezeigt. Fast alle Fragen waren so leicht zu beantworten, ich hätte sie mit vier Jahren schon gewusst. (Beate, du hast uns so viel beigebracht, aber nie gesagt, du musst warten – und ich meine wirklich warten: den ganzen Morgen, die ganze Woche, die ganzen Monate).

Frage: Wie motiviert bist du in die Schule gegangen?

Antwort:

Ich weiß noch genau, was in meinem Kopf vorging: Schule – jetzt ist alles perfekt. Es ist die richtige Zeit. Auf dem Pausenhof war es schön zu sehen, dass alle im gleichen Alter sind, alle die gleiche Größe hatten. Ich wusste schon vorher, dass Melden wichtig ist. Ich war aufgeregt auf den nächsten Tag. Der Klassenraum roch auch ganz anders als der Kindergarten. Selbst die Lehrerin roch ein bisschen nach Klassenzimmer und Kreide.

Schwierig war es für mich, nicht zu verstehen, dass ich nicht immer drankommen konnte, wenn ich aufzeigte. Ich habe mich immer gemeldet und wusste, ich kann nur zwei-, dreimal drankommen. Mein Arm hat mir wehgetan, aber ich dachte, das gehört zu Schule dazu und ich muss lernen das auszuhalten. Ich wusste schon viel über Schule, aber habe nicht gedacht, immer warten zu müssen – und ich meine wirklich immer.

Frage: Hast du manchmal etwas extra bekommen?

Antwort:

Meine Lehrerin hat mir bei Mathe während der Freiarbeit ein graues Heft in die Hand gegeben – ich fand es sehr lieblos gestaltet, und die Aufgaben darin waren viel zu einfach oder bestanden aus Wiederholungen. Schön wäre es gewesen, hätte ich mir selbst Aufgaben ausdenken können, die meinem Denken angemessen waren. In Deutsch durfte ich meine eigenen Geschichten schreiben und diese vortragen. Nur das Abschreiben war blöd und langweilig.

Mit mir haben noch zwei andere Kinder etwas Zusätzliches bekommen, aber erst ab der 2. Klasse. In der ersten Klasse hat die Lehrerin nicht genau gewusst, wie viel wir eigentlich konnten. Gut für mich war jedoch, dass ich mit Timothy viel zusammenarbeiten konnte, denn wir konnten uns austauschen, uns schwierigere Aufgaben stellen. Sonst wäre die Grundschulzeit schon sehr langweilig geworden.

Frage: Gab es eine große Enttäuschung für dich in den ersten Jahren?

Antwort:

Ja, während des Kunstunterrichts. Wir hatten die Aufgabe, eine Rose in rosa-roten Farbtönen zu malen. Ich kenne genau die Rosen aus unserem Garten und ich denke, sie war mir sehr gut gelungen. Die Lehrerin hat nur gesagt: „Ava, das sind schlechte Kontraste“ und hat mir mein Blatt zurückgegeben. Sie hat uns dann gezeigt, wie man richtige Rosen malt. „So müsst ihr das malen, wenn ihr eine gute Note haben möchtet!“ Aber meine Rose war für mich die richtige und ich habe sie nicht mehr verändert.

Hausaufgaben waren für mich unnötige Zeitverschwendung, und viel lieber hätte ich mich mit meinen Freunden verabredet. Musik hat mich wirklich genervt, denn nur die Lehrerin hat die Lieder ausgesucht. So Babylieder wie „Bruder Jakob“. Auch haben wir keine Noten gelernt. Vielleicht dachte auch die Lehrerin, wir seien noch zu klein und deswegen könnte sie uns nicht mehr zumuten. Aber man muss ja viel früher anfangen Noten zu lernen, damit man Lieder spielen und singen kann. Die 4. Klasse war die beste, weil da haben wir dann viele Projekte gemacht mit Theaterspielen und Musik. Auch haben wir dann Klassenfahrten gemacht. Aber seitdem ich auf dem Gymnasium bin, habe ich wirklich etwas gelernt: Latein und auch im Deutschen bin ich nochmal viel besser geworden.

Kevin

Kevin ist 9 Jahre alt, er wurde als „Kannkind“ früh eingeschult und ist jetzt in der 4. Klasse.

Er kam mit fast vier Jahren in unsere Einrichtung, nachdem er seinen ersten Kindergarten nicht mehr besuchen wollte. Fragen, die Kevin mir an seinem ersten Kindergartentag gestellt hat:

„Darf man eigentlich mit Kindern arbeiten, auch wenn man sie überhaupt nicht mag oder sie sogar hasst?“

„Weißt du vielleicht, welche Nationalität der liebe Gott hat?“

Frage von mir: Welche Erwartungen hattest du an die Schule?

Seine Antwort:

Ich habe mich im Vorfeld nicht so sehr auf Schule konzentriert, eher an so praktische Dinge gedacht, wie man sich meldet, was geschieht, wenn die Antwort nicht richtig ist, wann und warum man drangenommen wird, um etwas sagen zu dürfen; darf ich auch zur Toilette, wenn der Unterricht beginnt; usw.

Ich dachte mir, Schule ist wie Kindergarten, nur dass wir hier noch mehr Lesen und Rechnen lernen werden.

Frage: Wie war dein erster Schultag?

Antwort:

Mein erster Schultag war wirklich ein großes Problem für mich. Vor mir stand ein Junge, der eine „Wilde-Kerle-Schultüte“ trug – und ich hatte eine selbstgemachte mit einer Micky Maus darauf. Das war mir schrecklich peinlich und am liebsten hätte ich die Tüte schnell weggeworfen, aber meine Mutter hatte sich so große Mühe damit gegeben.

Frage: Was erinnerst du, wenn du an die ersten Schultage zurückdenkst?

Antwort:

Die Art und Weise, wie mein Lehrer mit Handpuppen unterrichtete, war schon sehr befremdlich für mich. Es war eine große Überraschung für mich, dass uns unser Lehrer eine Puppe vorgestellt hat, eine kleine Handpuppe, einen Teufel. Ich dachte, ach so, Schule ist ein Puppentheater.

Wenige Tage später lernten wir auch den Freund vom Teufel kennen, das war ein Krokodil. Mein Lehrer hat zu Beginn der Stunde immer eine dieser Puppen über seine Hand gezogen und ließ die Aufgabenstellungen den Teufel oder das Krokodil sagen. Das war erst befremdlich für mich, denn ich hätte lieber mit meinem Lehrer direkt geredet, aber die anderen Kinder mochten lieber mit den Puppen sprechen, und ich hab das dann einfach auch so gemacht. Später konnten wir auch Briefe an die Handpuppen schreiben, das fand ich ganz in Ordnung, das hat mir auch Spaß gemacht.

Dann mussten wir aber auch Zahlen schreiben, das nannte sich Mathematik-Unterricht. Ich war glücklich, jetzt konnte ich zeigen, was in mir steckt. Aber wir mussten ca. 100-mal die 1 schreiben, oder 100-mal das U schreiben. Und ich dachte, oh je wie altmodisch – so hat man sicher vor 100 Jahren unterrichtet, aber so alt war mein Lehrer noch gar nicht.

Auch beim Zahlenraum bis 20 sollten wir mit Lernhilfen arbeiten und die Schritte aufschreiben. Für mich war das aber überhaupt keine Hilfe, also ließ ich sie weg. Das Problem war jedoch, wenn ich ohne Lernhilfe die Ergebnisse einfach hinschrieb, musste ich – wie zur Strafe – weitere Aufgaben rechnen, das fand ich eher ungerecht.

Die Tage in der Schule wurden immer langweiliger, ich fühlte mich nur müde und erschöpft und meine Leistungen wurden immer schlechter.

Frage: Was war denn in der ersten Schulzeit für dich ein großes Problem?

Antwort:

Die Pausen im ersten halben Jahr. In der Erinnerung verbinde ich damit große Schmerzen. Keiner spielt mit mir, ich weiß aber nicht warum, kann auch keine Antworten oder Lösungen finden.

An dieser Stelle möchte ich meinem Lehrer dafür danken, dass er mir dabei geholfen hat, mich in eine passende Spielgruppe zu integrieren. In diesem Augenblick, wo ich zwei neue Freunde hatte, wurde in der Schule für mich alles nur noch gut. Die Tage, wo ich vorher so müde und gelangweilt, erschöpft war und nur schlechte Leistungen gebracht habe, wurden immer weniger. Lesen, Mathe, Sachkunde oder Religion habe ich immer gerne gemocht, wobei Religion schon interessant für mich ist, aber leider so unglaublich leicht.

Ich bin auch bei allen Fächern immer ganz Ohr. Ich lasse mich auch nicht von meinem Nachbarn verleiten unkonzentriert zu sein, was mir nicht leicht fällt. Heute lese ich pro Tag 120 Seiten, also in der Woche 600 Seiten. Denn so dick sind die Bücher, die mich interessieren.

Frage: Hattest du einmal das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein?

Antwort:

Ja, wir mussten in der 1. Klasse ein Herbstbild malen. Der Baum ist mir gut gelungen, nur die obere kahle Baumkrone ist mir etwas verrutscht. Wirklich, alle Kinder fanden mein Bild schön, und das gab mir auch Kraft, damit zu meiner Lehrerin zu gehen. Die schaute nur abfällig darüber und sagte, das Bild ist eine Vier.

Pauline

Sie ist beim Gespräch 13 Jahre alt, wurde als „Kannkind“ früh eingeschult, besucht jetzt die 10. Klasse eines Gymnasiums. Mitten im 1. Schuljahr ist sie in die 2. Klasse gesprungen.

Frage:

Was waren damals bei deiner Einschulung in die Grundschule deine Erwartungen im Hinblick auf die Schule, wie war deine Motivation für Schule?

Antwort:

Lernen ist für mich keine Frage des Alters. Ich war gerade sechs Jahre alt, hätte auch mit fünf Jahren in die Schule gewollt, weil alle meine Freunde schon eingeschult wurden. Ich wollte jetzt schon am ersten Schultag sofort alles wissen, was meine großen Geschwister schon längst konnten. Ich wollte früh bewertet werden, wollte wissen, von 1 bis 6, wie gut ich wirklich bin.

Ich konnte damals ja schon recht gut lesen und fast fehlerfrei schreiben und somit habe ich in den ersten Wochen alles als eher leicht und lustig empfunden. Es hat mich nicht wirklich belastet. Gut, langweilig war es schon, aber ich habe mir dann selbst Aufgaben gestellt: Habe die Mädchen nach Haarlängen unterschieden, die Jungen nach Haarfarben. Man kann daraus auch Rechenaufgaben machen, und das fand ich spannend. Selbst meine Zähne mit der Zunge abzuzählen und auszurechnen, wie viele Zähne an unserem Vierertisch sind, war eine lustige Rechenaufgabe.

Nach den Herbstferien kamen fünf Kinder aus drei Klassen zusammen und bekamen bei unserer Direktorin Förderunterricht, drei Stunden die Woche. Wir wurden so behutsam auf den Wissensstand der 2. Klasse gebracht, wohin meine Freundin und ich ab dem neuen Jahr (Januar) wechseln durften. Erst hier habe ich gemerkt, welch eine Unterforderung die 1. Klasse für mich gewesen war.

Frage: Erinnerst du dich noch an deinen ersten Schultag, an deine Klassenlehrerin, an Klassenkameraden?

Antwort:

Ich wollte nicht zu der Lehrerin, die wir letztendlich bekommen haben. Sie hatte eine große Wutfalte zwischen den Augen, eine schlechte Ausstrahlung und wir wurden angemotzt wegen Kleinigkeiten. Zum Beispiel waren meine Blätter schlecht eingelocht, wirkten für sie wie ausgerissen und darum musste ich für sie einige neu machen. Das fand ich sehr ungerecht. Ich konnte damals schon recht gut lesen und schreiben und habe alles sehr leicht gefunden. Den Wochenplan hab ich gleich am ersten Tag schnell erledigt, sogar mit Zusatzaufgaben, damit ich genügend Zeit hatte mit meiner Freundin zu spielen, die auch heute noch mit mir die Klassenbeste ist. Wir konnten uns dann früh zum Spielen verabreden. Und auch in der Schule während der Freiarbeit waren wir viel zusammen.

Ich glaube, dass wir nach dem Klassenspringen schnell auch zu einem Teil der neuen Klasse geworden sind, weil uns die Rektorin gut vorbereitet hatte. Der Anfang in der neuen Klasse war etwas schwierig, aber es hat mir sehr viel Spaß gemacht, jetzt richtig gefordert zu werden. Denn erst hier habe ich gemerkt, dass die ersten vier Monate in der Schule eine große Unterforderung für mich gewesen waren.

Auch jetzt in der zehnten Klasse gehören meine Freundin und ich zu den Besten.

Frage: Siehst du denn auch Nachteile in deiner schulischen Karriere bisher?

Antwort:

Der einzige Nachteil ist mein Alter und darin erkenne ich auch durchaus ein Problem. Meine Freundinnen werden Ende des Jahre 16, aber mit meinen dann 14 Jahren darf ich zum Beispiel nicht in die Disco oder in Filme ab 16, ich darf auch noch nicht den Rollerführerschein machen. Obwohl ich mich emotional reifer empfinde als so manche 16-Jährige. Die Jungs sind zwar alle älter als ich, aber teilweise eine Klasse unter mir. Das ist schon verwirrend und oft problematisch. Mein Fazit daraus ist, dass ich mich nur für einen viel älteren Jungen interessieren kann, weil der dann auf meinem intellektuellen und emotionalen Niveau ist.

 

 Datum der Veröffentlichung: Dezember 2011
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