von Hanna Vock

 

Am Anfang stehen hier zwei Zitate, stellvertretend für viele andere interessante und einfühlsame Äußerungen von Absolventinnen der IHVO-Zertifikatskurse.
(Siehe: IHVO-Zertifikatskurse.)

Auf die am Ende des Zertifikatskurses noch einmal gestellte Frage: „Wie sind hoch begabte Kinder?“ antwortete Monika Milinski:

„…toll!

Sie sind eine Bereicherung für alle diejenigen, die ihre Hochbegabung zu schätzen wissen.

Hoch begabte Kinder erlebe ich als neugierig, wissbegierig, zielstrebig, kreativ, auf ihre Weise anspruchsvoll, mutig, erfrischend humorvoll, sensibel und manchmal besonders vielseitig.

Sie können aber auch eigenwillig und stur sein, manchmal schwierig und launisch.

Hoch begabte Kinder sind mit all ihren Eigenschaften … immer eine Herausforderung. Das macht sie und ihre Begabungen so interessant.“

Und ergänzend das zweite Zitat. Es stammt von Kirsten Holzmeier, die ihren Kurs absolvierte, als ihre Kita in Gütersloh bereits als “Integrativer Schwerpunktkindergarten für Hochbegabtenförderung (IHVO)” zertifiziert war:

“Die Kinder kommen in unsere Kita und haben häufig schon ihr Päckchen zu tragen. Mit Päckchen meine ich Verhaltensweisen, die das besonders begabte Kind in der Interaktion mit seiner Umwelt erlernt hat und die es in seiner weiteren Entwicklung blockieren.

In diesem Päckchen können sich zahlreiche Erfahrungen gesammelt haben, die zu Angst, Unsicherheit, Misstrauen und Wut führen.

Für uns bedeutet dies, den Inhalt dieses Päckchens je nach Bedarf auszutauschen, es neu zu bestücken, es zu füllen mit kindlichen Erfahrungen, die dem Kind auf seinem weiteren Lebensweg behilflich sein können.”

Hoch begabte Kinder sind also faszinierend, aber auch bedroht von negativen Erfahrungen.

… kurz gefasst…

In diesem Beitrag geht es darum, welche Kindergarten-Erfahrungen dazu beitragen, dass gar nicht so selten aus einem aktiven, überwiegend frohen, wissbegierigen hoch begabten Kleinkind ein eigenbrötlerisches oder zurückhaltendes oder wütendes Vorschulkind wird.

Keine Frage ist, dass mancher Kindergarten mehr negative Erfahrungen für ein hoch begabtes Kind bereit hält als mancher andere. Dies kann jedes Kita-Team für sich selbst einschätzen, zum Beispiel an Hand der Gütekriterien.

Auch ist es natürlich wichtig, wie die Eltern und die übrige soziale Umwelt mit dem Kind und seinen Begabungen umgehen. Aber auch die Kita hat wesentliche Einflüsse, und darauf konzentriert sich dieser Beitrag.

Im Folgenden sind Probleme beschrieben, die ein hoch begabtes Kind in der Kita haben kann.

Manche Problembeschreibungen lassen sich ohne weiteres auch auf andere Lebensumwelten des Kindes übertragen.

Lösungsansätze für die Behebung oder Vermeidung solcher Probleme finden Sie in den Beiträgen, auf die per Link hingewiesen wird.

1. Problem: Dauerhafte geistige Unterforderung, häufige Langeweile.

Aus Langeweile können durchaus kreative Spiele und Dinge entstehen. Sich ausruhen, entspannen, träumen, nachdenken, sogar planen – das alles braucht Platz in einem Kinderleben und kann von außen so aussehen wie Langeweile.

„Es ist mir oft langweilig!“ kann aber auch bedeuten: Die Spiele, die Gespräche, die Angebote, die Rätsel, die Geschichten, die Bilderbücher, die Gruppenaktivitäten, die Ausflüge, die Spielsachen – das alles fordert mich nicht geistig heraus, das ist mir längst bekannt. Oder es ist zu einfach und darum langweilig.

Der Grund:

Hoch begabte Kinder lernen Vieles früh und schnell, sie wollen/brauchen oft keine Wiederholungen. Sie wollen Neues erfahren und haben ein hohes Potenzial, Neues zu verarbeiten. In vielem sind sie geistig weiter und daher anspruchsvoller als Gleichaltrige.

Lösungsansätze:

* Schon beim Eintritt in die Kita mit den Eltern ins Gespräch gehen: Was spielt das Kind zuhause? Wofür interessiert es sich gerade?

* Mit dem Kind über das sprechen, was es geistig gerade besonders beschäftigt.

* Auf diese Interessen eingehen und mit Kleingruppen-Angeboten daran anknüpfen, so dass ein kontinuierlicher geistiger Austausch zwischen Kind und Erzieherin in Gang kommt.

Siehe: Elternfragebogen für neue Kinder und Elternfragebogen für 4- bis 6-Jährige

Siehe: Beispiele für provozierende Beobachtungen

2. Problem: Keine oder zu wenig Anregung in seinem/en Hochbegabungsbereich/en

Zu wenig Anregendes im Kindergartenalltag ist die eine Sache.

Die andere ist: Das Kind ist vielleicht mathematisch besonders oder hoch begabt. Hierzu gibt es in der Kita vermutlich gar nichts Passendes für dieses Kind. Wenn auch das Elternhaus hier kein Futter (Anregungen zur Betätigung, zum Lernen, zum Denken) bietet, hungert das Kind. Dasselbe gilt für alle anderen Begabungsbereiche.

Siehe: Bereiche hoher Begabungen .

Der Grund:

Hoch begabte Kinder haben in ihrem Hochbegabungsbereich (Domäne) eine sehr große intrinsische Lernmotivation (siehe: Begriffsbestimmung Hochbegabung ) und einen großen Wissenshunger. Sie wollen aus eigenem Antrieb und über lange Zeit in dieser Domäne intensiv tätig sein, ansonsten leidet ihre allgemeine Zufriedenheit.

Was hier die Kita nicht leisten kann, sollten die Eltern versuchen aufzufangen. Die Kita kann den Eltern behilflich sein, den Hunger des Kindes zu sehen und zu akzeptieren.

Lösungsansätze:

* Siehe: diverse Angebots- und Projektbeispiele in den Kapiteln 4.2 bis 4.8.

3. Problem: Die Spiele der anderen Kinder findet das Kind „doof“ oder „kindisch“.

Darin zeigt sich oft nicht Arroganz, sondern der schwierige Versuch, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden; dies geschieht zunächst durch innere Abgrenzung.

Ein Kind, das vor dem Eintritt in den Kindergarten mit 3 Jahren Puzzles mit 60 Teilen gelöst hat, ist über die beliebten Knopfpuzzles irritiert. Ein Kind, das zu Hause UNO spielt, kann sich mit „Tempo, kleine Schnecke“ nicht mehr anfreunden.

Ein Kind, das schon differenzierte Rollenvorbilder im Kopf hat und spielerisch umsetzen möchte, findet stereotype und sich wiederholende Rollenspiele der anderen Kinder uninteressant.

Der Grund:

Kinder lernen spielend. Sind die Spiele zu einfach, können sie nichts lernen. Zeitweilig und in einzelnen Situationen kann das hoch begabte Kind sich anpassen, weil es mitmachen, dabeisein und den Spaß der anderen Kinder teilen möchte. Damit verbunden sind häufig resignative Gefühle. Als Dauerstrategie ist die Anpassung deshalb nicht geeignet, sondern ungünstig.

Lösungsansätze:

* Ein hinreichendes Angebot an schwierigen Spielen bereit halten und sie den Kindern nahebringen. Insbesondere Strategiespiele halten länger vor. Ihre Spielidee erschöpft sich nicht so bald, die Möglichkeiten steigen mit der erreichten Spielbeherrschung, zum Beispiel bei Dame oder Schach. Dies funktioniert natürlich nur gut, wenn unter den Kindern geeignete Spielpartner gefunden und angeleitet werden.

Ähnliches gilt für anspruchsvolles Konstruktionsmaterial.

Siehe: Schachspiel

Siehe: Beispiel von Heike Brandt in:

Beispiele zu: Schnelles Auffassungsvermögen

* Im Rollenspielbereich geht der Weg nicht über das Material, sondern über das genaue Beobachten, welche Vorstellungen die Kinder im Spiel umsetzen. Sind die Ideen eher stereotyp (also für das hoch begabte Kind nicht reizvoll) oder sind sie differenziert und kann auch das hoch begabte Kind immer neue Vorstellungen einbringen – und werden sie von den anderen Kindern angenommen?

Siehe: Kinder-Fragebogen Kommunikation

4. Problem: Zu wenig Anschluss an ältere Kinder. Keine Spielpartner, die die Interessen des hoch begabten Kindes teilen.

Schwierig ist es, wenn keine älteren Kinder in der Umgebung vorhanden sind oder wenn das hoch begabte Kind bei den älteren Kindern – aus welchen Gründen auch immer – nicht mitmachen darf.

Das Kind interessiert sich für Dinge und Themen, die man ihm zunächst nicht zutraut. Aber selbst wenn das hoch begabte Kind Anschluss an ältere Kinder findet, sind deren Interessen oft nicht die gleichen – und die Denk- und Sprechweisen unterscheiden sich unter Umständen sehr stark, was für das hoch begabte Kind wiederum frustrierend ist. Es findet keine adäquaten Spiel- und Gesprächspartner.

Der Grund:

Jedes hoch begabte Kind sehnt sich mehr oder weniger bewusst danach, andere Hochbegabte zu treffen. Da Hochbegabung selten auftritt (bei 2 bis 3 von 100 Menschen) sind Enttäuschungen vorprogrammiert. Besonders begabte Kinder sind dagegen in jedem Kindergarten zu finden. (Besonders begabt nennen wir Kinder, deren IQ etwa bei 115 bis 129 Punkten liegt. Ungefähr jedes 7. Kind ist besonders begabt.

Siehe auch: Normalverteilung der Intelligenz

Lösungsansätze:

* Das Kind sollte darin unterstützt werden, diese Kinder zu finden, sich mit ihnen zu vernetzen. Im Kindergarten kann Vernetzung durch gruppenübergreifende Kleingruppenarbeit ermöglicht und gefördert werden.

* Die Schaffung von integrativen Schwerpunktkindergärten greift das Problem an der Wurzel an.

Siehe: Spielgefährten und Freunde hoch begabter Kinder 

Siehe: Integrative Schwerpunktkindergärten

Siehe: Eine Vision.

5. Problem: Freunde fehlen.

Hoch begabte Kinder unterscheiden oft (in ihrem Empfinden oder sogar schon begrifflich) zwischen Spielfreunden und „richtigen“ Freunden.

Der gerade fünf Jahre alt gewordene Sven formulierte es so:

„Ein richtiger Freund ist doch einer, mit dem man über das sprechen kann, was einen am meisten bewegt.“

(Mehr dazu siehe hier: Beispiele zu: Komplexe Gedankengänge .)

Wird ein solcher Freund, eine solche Freundin gefunden, wird diese Freundschaft meistens sorgfältig gepflegt und hält oft über lange Zeit.

Der Grund:

Die Sehnsucht, „richtige Freunde“ zu haben, entsteht früh, weil der Austausch über komplexe Gedanken als ein Grundbedürfnis von hoch begabten Menschen gelten kann. Sie erleben oft, dass sie mit ihren Ideen isoliert sind, dass sie ihre Interessen nicht mit anderen teilen können.

Diese Sehnsucht bleibt so lange diffus und wenig bewusst, bis das positive Erlebnis „richtiger Freund/richtige Freundin“ tatsächlich eintritt. Dann wird erlebt, was möglich ist und das Bedürfnis wird konkreter: Diesen Freund möchte ich behalten / einen solchen Freund will ich wieder finden / von solchen Freunden möchte ich noch mehr haben.

Lösungsansätze:

* Siehe Problem Nr. 4

* Die Eltern sollten ermutigt werden, auf die Suche nach hoch begabten Freunden für ihr Kind zu gehen. Die Kinder „entdecken“ sich dann erfahrungsgemäß schnell, finden sich gegenseitig interessant – müssen sich aber natürlich nicht automatisch sympathisch sein. Oft entstehen allerdings wichtige Freundschaften dadurch, dass die Erwachsenen Kontakte ermöglichen.

Siehe hierzu: Kontaktbörse „Kind sucht Kind“.

6. Problem: Zurückhaltung ist gefordert.

Immer wieder muss sich das hoch begabte Kind im Kindergarten stark zurücknehmen.

Es kann nicht so viel und so diffenrenziert berichten, wie es möchte. Es kann auch nicht alle seine Fragen und Nachfragen anbringen, wenn es etwas gern noch genauer oder gründlicher wissen möchte.

Das Kind versteht oft sogar schon, dass im Kindergarten häufig keine Zeit und kein Raum für ausgiebige Gespräche (oder auch, wie es die Mutter eines Vierjährigen formulierte: für seine Fragenkaskaden) vorhanden sind.

Das hoch begabte Kind überblickt das System Kindergartengruppe mit all seinen Anforderungen an die Erzieherinnen manchmal schon erstaunlich gut und sieht daher ein, dass es sich zurückhalten muss. In diesen Fällen wird dann das Bedürfnis des Kindes gar nicht mehr nach außen sichtbar.

Andere hoch begabte Kinder wiederum „nerven“, weil sie den Drang zu fragen / zu erzählen noch nicht steuern können. Die Reaktionen der sozialen Umwelt lassen sie erkennen, dass sie „nerven“. Das macht nicht froh.

Der Grund:

Das Kind braucht ein Gegenüber für seine Ideen und Fragen. Es hat ein Bedürfnis nach Austausch über seine Themen. Das Fehlen eines solchen Gegenübers ist schmerzlich. Ähnlich schmerzlich für das Kind ist, wenn eine Erzieherin als mögliche Austauschpartnerin erkannt und erprobt wurde, aber nur sehr selten Zeit hat.

Lösungsansätze:

* Es ist – bei aller Arbeitsbelastung – wichtig, dem hoch begabten Kind zu signalisieren, dass seine Fragen und Ideen wahr genommen werden und dass seine Fragelust positiv gewertet wird.

* Die Erzieherin sollte dem Kind in ruhigen und grundsätzlichen Gesprächen erklären, dass sie leider auf Grund ihrer Arbeitsbelastung nicht hinreichend auf seine spannenden Fragen eingehen kann. Gut ist, wenn dabei für das Kind deutlich wird, dass sie das selber schade findet und sich deshalb auch Mühe geben wird.

Siehe: Kommunikation im Kindergarten

7. Problem: Hoher Anspruch an Tätigkeiten und an ihr Ergebnis

Oft wird im Zusammenhang mit hoch begabten Kindern von Perfektionismus gesprochen und das hat dann eine eher negative Anmutung.

Sieht man näher hin, kann man erkennen, dass das Kind sich höhere Ziele steckt als die Gleichaltrigen. Das kann beim Theaterspielen sein, beim gegenständlichen Zeichnen, beim Formulieren, beim Herstellen eines Bilderbuchs und in vielen anderen Zusammenhängen.

Manchmal kann es diese hohen Ziele alleine verwirklichen, machmal braucht es dazu Spielpartner mit ähnlich großen Zielen, und ziemlich oft braucht es Unterstützung durch Erwachsene. Das ist der Fall, wenn das Kind genaue Vorstellungen hat und verfolgen will, sie aber ohne Hilfe noch nicht realisieren kann. Dieses Hilfe-Heischen ist dann nicht Bequemlichkeit (Mach es für mich, ich kann es nicht), sondern Bitte um Anleitung zum Lernen und Selbermachen.

Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür findet sich in: Zeichenkurs mit Linda .

Die oft früh einsetzende Erkenntnis, dass andere mit weniger zufrieden sind, setzt sich später in der Schule fort, wenn zum Beispiel Gruppenreferate vorzubereiten sind. Alle anderen in der Gruppe finden, das Referat ist schon fertig und gut genug; die hoch begabte Jungendliche wollte gerade erst richtig loslegen, das Thema entfalten und recherchieren… und steht wieder dumm da (als „Streberin“ womöglich).

Es ist nicht verwunderlich, dass schon so manches hoch begabte Kindergartenkind zu der Schlussfolgerung kommt, dass es seine Ziele am besten allein verfolgen kann und es keinen Sinn macht, sich dafür mit anderen zusammen zu tun.

Der Grund:

Es ist schwer erträglich, immer wieder zu versuchen; sich mit seinen Zielen und Ideen verständlich machen zu wollen und dabei auch immer wieder auf Unverständnis oder Ablehnung zu stoßen. Manche Kinder empfinden das dann bald als verlorene Zeit und Mühe.

Lösungsansätze:

* Sich für die Ziele, die sich das Kind setzt, interessieren.

Ist es einfach ein unrealistisch hohes Ziel, oder zeigt sich hier ein Lernwunsch?

* Sich darin üben, Lernwünsche zu erkennen und dem Kind durch Anleitung zum Lernen zu helfen.

* Das Kind mit Kindern in Kontakt bringen, die ähnlich hohe Ziele verfolgen oder zumindest mithalten wollen und können.

Siehe: Interessen-Fragebogen für den Kindergarten

Siehe: Zeichenkurs mit Linda

8. Problem: Befangenheit auf Grund von Problemwahrnehmung

Manche hoch begabte Kinder scheinen sich erstaunlich wenig zuzutrauen. Sie verhalten sich in neuen Situationen abwartend und beobachtend und können sich nicht oder nur schwer entschließen, anzufangen, eine Aufgabe in Angriff zu nehmen oder einfach mitzumachen.

Sie spüren, dass sie gegenüber zupackenden, unbefangenen Kindern im Nachteil sind, können sich aber nicht überwinden, ebenso „draufgängerisch“ zu agieren, was ihnen dann leicht als Defizit ausgelegt wird.

Der Grund:

Wenn ein Kind einen hohen Anspruch an das Ergebnis seiner Tätigkeit hat und seine eigenen Fähigkeiten bereits differenziert reflektiert und beides bereits gedanklich zueinander in Beziehung setzen kann, dann geht es an Aufgaben nicht mehr kleinkindlich unbefangen heran. Es versucht bereits gewohnheitsmäßig, zunächst die Situation einzuschätzen.

Das gleiche gilt, wenn ein Kind beispielsweise schon mit drei Jahren weit mehr und differenzierter in die Zukunft denkt als die Gleichaltrigen. Es versucht sich dann Prozesse und Ergebnisse bereits vorab vorzustellen und Risiken abzuwägen.

Fällt seine Abwägung eher ungewiss oder negativ aus, kann der Eindruck entstehen, dass es sich vor bestimmten Aufgaben „drückt“.

Lösungsansätze:

* Dem Kind die Zeit geben, die es braucht, um sich mit der neuen Situation anzufreunden und sich darauf einzulassen.

* Im Gespräch mit dem Kind herausfinden – sofern die Beziehung bereits vertrauensvoll genug ist – welche Probleme es sieht und welche Fragen es an die Situation hat.

Siehe hierzu den Beitrag: Ängstlichkeit und Vor-Sicht bei hoch begabten Kindern .

9. Problem: Ablehnung körperlicher Auseinandersetzung

Im Kindergartenalter werden Konflikte zwischen den Kindern noch zu einem großen Teil mehr oder weniger gewaltsam ausgetragen. Da wird geschubst, Dinge werden durch Ziehen in die eigene Gewalt gebracht; es wird auch immer mal wieder geschlagen, getreten, gedrängelt, gekniffen oder an den Haaren gezogen. Auch Drohgebärden werden eingesetzt.

Ein Dreijähriger, der gerade zwei Tage vorher den Kindergarten gewechselt hatte, antwortete mir auf meine Frage: „Hat dich hier schon mal wer gehauen?“ mit großem Nachdruck: „Hier in meinem neuen Kindergarten hat mir überhaupt noch keiner weh getan!“

Ein Erziehungsziel im Kindergarten ist es, den Kindern die Gewaltanwendung abzugewöhnen und ihnen Konfliktlösungsstrategien beizubringen, die frei von körperlicher Gewalt sind. Dies ist bei manchen Kindern ein hartes Stück Arbeit – und nicht bei allen gelingt dieser Lernprozess bis zur Einschulung wirklich zuverlässig. Sicherlich ist der Erfolg dieses Lernens auch von den Erfahrungen abhängig, die das Kind in der Familie macht.

Auch möchten wir durch unsere Erziehung dazu beitragen, dass die Kinder nicht „gemein“ zueinander sind, dass sie kein anderes Kind ausgrenzen oder auslachen, übervorteilen oder betrügen.

Auch dies zu erreichen, bedeutet für manche – auch hoch begabte – Kinder diffenzierte und langwierige Lernprozesse.

Was aber, wenn das hoch begabte Kind in seiner Entwicklung da schon angekommen ist? Dann erlebt es beim Eintritt in den Kindergarten eine verwirrende Welt, in der es sich zurechtfinden muss und ohne Hilfestellung ziemlich arm dran ist.

Der Grund:

Hoch begabte Vorschulkinder lehnen oft schon früh den Gewalteinsatz zur Durchsetzung eigener Interessen ab, sie haben die moralische Kategorie der Gewaltfreiheit bereits in ihre Vorstellungswelt eingebaut.

Sie können bereits gut sprachlich formulieren, denken über Konflikte nach, bewerten sie und möchten sich verbal auseinandersetzen. Wenn sie merken, dass sie damit in vielen Situationen nicht weit kommen, sondern im Kindergartenalltag mit ihrem Herangehen oft unterliegen, beginnen sie Konfliktsituationen zu (ver)meiden oder sie passen sich an und lernen, Gewalt auszuüben (möglicherweise dann sogar raffinierter als die Gleichaltrigen). Beides ist unbefriedigend.

Lösungsansätze:

* Lesen Sie weiter bei: Problematisches Sozialverhalten .

10. Problem: Zurückweisung durch Kinder und Erwachsene

Das hoch begabte Kind fühlt sich oft unverstanden und von der sozialen Umwelt nicht rückhaltlos akzeptiert. Es erlebt immer wieder Situationen der Zurückweisung, vielleicht auch der Ausgrenzung. Beispiel: Es will im Rollenspiel ständig neue Ideen einbringen; den mitspielenden Kindern ist das aber zu anstrengend, sie fühlen sich gestört. Manchmal kriegt das hoch begabte Kind dann zu hören: „Sie will immer bestimmen, und das wollen wir nicht.“

Auch der Erzieherin sind die vielen „Wortmeldungen“ oder die langen Ausführungen, zum Beispiel im Morgenkreis, zu viel, sie sieht das Recht der anderen Kinder, genauso viel „Redezeit“ zu beanspruchen wie das hoch begabte Kind. Selbst wenn das Kind diesen Umstand einsieht, lernt es doch, dass ein sehr wacher Geist nicht unbedingt beliebt macht.

Der Grund:

Das Kind lernt: Beliebt macht das Mittelmaß: Nicht zu viel reden, aber auch nicht zu wenig. Nicht zu viel wissen, aber auch nicht zu wenig. Das Kind besitzt aber keinen Stellknopf, mit dem es die Menge seiner Ideen und Fragen herunterregeln könnte. Es empfindet immer aufs neue den Impuls, Ideen und Fragen hervor zu bringen. Dass dies offenbar von der Umwelt nicht gewünscht ist, wird als Zurückweisung erfahren.

Lösungsansätze:

* Sich klar machen, dass besondere geistige Regsamkeit zur Natur des hoch begabten Kindes gehört.

* Sich ins Gedächtnis rufen, dass Kinder, die als anders wahrgenommen werden, von Zurückweisung bedroht sind. Erkennen, dass dies auch auf hoch begabte Kinder zutreffen kann.

* Das Kind vor Zurückweisung schützen. In der Gruppe bei Gelegenheit thematisieren, dass alle Kinder unterschiedlich viel und schnell lernen und dass dies normal ist.

11. Problem: Bemerken des eigenen Andersseins – ohne hinreichende Erklärung

Hoch begabte Kinder bemerken früh, dass sie in in mancher Hinsicht anders sind als die anderen Kinder. Sie bemerken, dass ihnen andere Spiele Spaß machen, dass sie vieles sofort verstehen, andere Kinder aber nicht unbedingt; dass sie mehr wissen und mehr nachdenken; dass sie bestimmte Talente haben; dass sie sich in manchen Situationen anders verhalten.

Schwierig wird es für sie, wenn sie dafür keine übergreifende Erklärung erhalten.

Der Grund:

Mit zwei bis vier Jahren, früher als andere, beginnen hoch begabte Kinder, sich mit anderen zu vergleichen und die eigenen Fähigkeiten zu reflektieren. Ihr Selbstbild und ihr Selbstwertgefühl beginnen sich zu entwickeln. Sie möchten verstehen, warum sie einerseits doch so viel können, andererseits aber in der Kindergartengruppe nicht reibungslos klar kommen. Ein Erklärungsmuster dafür zu finden, können die Kinder in diesem Alter noch nicht allein leisten.

Lösungsansätze:

* Ähnlich wie körperbehinderte Kinder brauchen hoch begabte Kinder klare Informationen über ihr Anderssein. Einfache Sätze können sehr hilfreich sein, wie zum Beispiel diese: „Du kannst sehr gut denken/ willst sehr viel wissen, das können/wollen nicht alle Kinder so sehr. Es ist ganz normal und in Ordnung, dass die Menschen so verschieden sind. Sie müssen nur alle Geduld miteinander haben.“

* Auch bei den nicht hoch begabten Kindern muss um Verständnis für die Eigenheiten des hoch begabten Kindes geworben werden. Auch sie brauchen Erklärungen.

12. Problem: Besonders sensible Reaktion auf zwischenmenschliche Wechselwirkungen

Immer wieder wird berichtet, und zwar sowohl von Eltern wie auch von Erzieherinnen, dass manche hoch begabte Kinder sehr genau auf die Interaktionen in der Kindergartengruppe achten und sich ihre Gedanken dazu machen.

Nehmen sie Konflikte wahr, die nach ihrem Empfinden nicht gut gelöst werden, leiden sie unter der beobachteten Ungerechtigkeit und Gemeinheit, und die belastenden Emotionen halten unter Umständen lange an. Dabei ist es nebensächlich, ob das Kind direkt betroffen war oder nur beobachtet hat.

Der Grund:

Etliche hoch begabte Kinder sind auch hoch sensibel. Sie nehmen Spannungen und Konflikte deutlicher wahr als nicht so sensible Kinder und reagieren emotional stärker. Spannungen und Konflikte belasten sie besonders stark.

Lösungsansätze:

* Dem hoch begabten Kind hilft es, wenn es nicht in seinem Schrecken stecken bleibt, sondern aufgefordert wird, den weiteren Verlauf der Angelegenheit genauso konzentriert zu beobachten wie den Beginn und die Krise. Es wird entlastet, wenn es erkennt, dass die beteiligten Kinder schon nach kurzer Zeit wieder fröhlich miteinander spielen. Erklärung: Sie nehmen es nicht so tragisch, wie du gedacht hast.

* Sich für die Wahrnehmungen und Einschätzungen des Kindes interessieren; es bemerkt vielleicht manches, was ernst zu nehmen ist und was der Erzieherin im Trubel entgeht.

Wenn eins oder mehrere dieser Probleme bei einem Kind auftreten und längere Zeit anhalten, besteht die Gefahr einer Dauerfrustration mit all ihren negativen Folgen.

Siehe: Dauerfrustration.

Die Übersetzung dieses Beitrags ins Englische wurde gesponsert von Heike Miethig, Alsdorf.

 

Datum der Veröffentlichung: September 2011
Copyright © Hanna Vock 2011, siehe Impressum.

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