von Stefanie Müller

 

Das Corona Virus zieht weiter Kreise und es erfordert viel Kraft, um unter den gegeben Umständen und in der Notbetreuung einen neuen Kita-Alltag zu entwickeln.

Die Rahmenbedingungen sind nicht immer ideal und an vielen Stellen fern von pädagogischen Vorstellungen, Zielen und freier Entwicklung.

Die Möglichkeiten für die Kinder sind begrenzt, da sie die sonst in allen Gruppen offene Funktionsbereiche- oder räume, die Werkbank, das Musikzimmer, die Puppenecke, den Sinnesraum, den Aktivraum nutzen können, die ihnen jetzt nicht frei zur Verfügung stehen.

Hygienebestimmungen schränken uns ein und haben uns nun mal einen Gruppen-Stubenarrest beschert. Aber wir sind guter Dinge und nehmen die Situation an und arbeiten damit. Kurzum…..wir machen das Beste daraus und es gelingt uns ganz gut.

Und ich stelle auch fest, dass ich der Situation an einigen Stellen durchaus etwas Positives abgewinnen kann. Denn ich sehe die Entwicklung mancher in der Notbetreuung anwesenden Kinder genauer, erlebe vor allem mein Beobachtungskind viel intensiver, da wir Beide an den Nachmittagen oft allein sind und es einfach auch zusammen genießen und Zeit haben, tolle Erfahrungen zu machen.

Momentan ist es nicht möglich, wie ich es geplant habe, in Projektarbeit und gruppenübergreifend, interessengeleitet und entwicklungsorientiert mit meinem Beobachtungskind zu arbeiten.
Unser Projekt „Der Wasserkönig und der Stromkönig“ kann leider vorerst nicht weiterlaufen, später – vermutlich erst nach der Pandemie – will ich daran anknüpfen.

Dennoch gibt es jetzt viele sehr schöne Situationen und Gespräche mit und zwischen den Kindern, die wir aufgreifen und in unserem Gruppenalltag bearbeiten.

Einige davon werde ich nun in meiner Praxisaufgabe beschreiben.

… kurz gefasst …

Ausgebremst durch die Corona-Pandemie war es zunächst noch möglich, mit kleinen Kindergruppen thematisch zu arbeiten: Die beobachtete Zurückhaltung der Mädchen, zum Beispiel bei der Besetzung von Spielräumen, brachte die Autorin darauf, die Jungen und Mädchen für ein paar Tage zu trennen und damit Erfahrungen zu sammeln.

Als dann noch weniger Kinder in die Kita kamen, nutzte die Autorin die Chance, mit ihrem Beobachtungskind Jens nachmittags quasi in eine Einzelförderung zu gehen.
Für Kind und Erzieherin eine interessante Zeit. Jens fand Mut, seine Ängste abzubauen, etwas nicht perfekt zu hinzukriegen.

Mädchen-Tag und Jungen-Tag

Zu Beginn des neuen Kindergartenjahres, wenn sich alles in der Gruppe neu sortiert und die Kinder sich neu orientieren, habe ich die Beobachtung gemacht, wie raumgreifend sich meine Jungs (Verhältnis 13 Jungen zu 11 Mädchen) in der Gruppe verhalten, egal ob groß oder klein.

Wie kleine Platzhirsche fielen sie manchmal in die Spielbereiche ein. Die Mädchen fügten sich oft ihrem “Schicksal“, räumten das Feld oder ordneten sich irgendwo ein und liefen so im Gruppenalltag mit. Beschwert haben sie sich äußerst selten.

Zunächst versuchten wir die Jungenbande in den unterschiedlichsten Situationen zu sensibilisieren, die Mädchen dafür stark zu machen, ihr Recht und ihr Bedürfnis einzufordern.

Ich stellte immer wieder fest, wie unterschiedlich das Spielverhalten momentan zwischen den Geschlechtern war. Während die Jungs, – bei egal welchem Spiel – sehr körperlich, laut und impulsiv agierten und sehr darauf aus waren ihre Kräfte zu messen, spielten die Mädchen meist ruhig, bedacht, oft zurückhaltend, obwohl es manchmal ähnliche Spiele waren.

Wir thematisierten das im Morgenkreis und machten den Kindern den Vorschlag eines Jungen- und Mädchen-Tags, um jedem gerecht zu werden. Wir besprachen dann die jeweiligen Tage und Wünsche mit den Jungs und den Mädchen in getrennten Gesprächskreisen.
Ich übernahm die Jungengruppe, meine Kollegin die Mädchengruppe.

Die Jungs sprachen sich fürs Turnen, Kämpfen und Bewegen aus. Ihre Aussage: Jungs sind stark!!!

Die Mädels wollten schminken, verkleiden, tanzen und den Bauteppich mal allein bespielen.

Der Tag wurde geplant, die Turnhalle, Schminke, Verkleidung und Tanzmusik organisiert, Eltern über unsere Aktionen und Ziele informiert.

Als der besagte Tag da war, waren alle sehr aufgeregt und freuten sich. Nach einem gemeinsamen Morgenkreis gingen wir mit unseren jeweiligen Gruppen in Aktion im Jungen-/ Mädchen-Tag. Meine Kollegin und ich tauschten uns anschließend über die gemachten Erfahrungen aus und schilderten, wie die Kinder es erlebten.

Erfahrungen Mädchen:

Die sonst ruhigen und bedachten Mädchen genossen das „frei Feld“, waren zum Teil sehr aufgedreht, laut ausgelassen und völlig frei in Ihrem Tun.

Sie tobten durch die Gruppe und wirkten sehr aktiv in Ihrem Geschehen, teilweise wie befreit. Sie eroberten sich den Bauteppich zu einem ruhigen Zoo Spiel mit aufgebauten Gehegen aus Bausteinen. Die Mädchen agierten miteinander, es gab kaum Unstimmigkeiten, Konflikte. Wenn doch, regelten sie es größtenteils selber.

Irgendwann kam von dem einen oder anderen Mädchen die Frage nach den Jungs und danach, was sie machen und wann sie wiederkommen. Auf Nachfragen meiner Kollegin kam die Aussage: Jungen-/ Mädchen-Tag ist schön, aber nicht immer, die Freunde fehlten manchen. Außerdem wurde der Wunsch geäußert, auch einen Turntag zu machen.

Resümee meiner Kollegin:
Ein sehr schöner Tag für die Mädels, sie war positiv überrascht, wie die Mädchen agierten und reagierten. Sie fand es sehr zufriedenstellend, weil die Mädchen sich in keiner Weise zurückgenommen haben. Schön war’s.

Erfahrungen betr. Jungen:

Lautstark fielen wir in die Turnhalle ein, machten ein paar Aufwärmspiele, in denen sich die Jungs schon auslassen konnten. Es war sehr viel Spannung und Energie im Spiel, und es war manchmal sehr anstrengend, die wilde Truppe zu begleiten. Ich beobachtete, dass die meisten schnell an ihre körperliche Grenzen kamen, sie aber an Ihrem Standpunkt fest hielten: Wir sind die Stärksten! Im Stillen amüsierte ich mich etwas darüber, wie sie sich zum Teil zunächst „aufplusterten“ und es in der Umsetzung dann weniger überzeugend aussah.

Gemeinsam bauten wir einen Parcours mit unterschiedlichen Stationen auf, wo die Jungen ihre ganze Kraft und Körperlichkeit auslassen konnten. Die Grenzen waren für den einen oder anderen recht eng, die Willenskraft manchmal nicht ausreichend. Es gab zum Beispiel ein etwas höher hängendes Schaukelelement, was es zu erklimmen galt. Ich musste bei manchen alle Motivationskünste anwenden, um sie in ihrem Tun zu bestärken.

Schön war es, ihre Erfolgserlebnisse zu beobachten und wie sie daran wuchsen.

An den Stationen gab es häufiger Konflikte, die meistens meine Begleitung erforderten. Es fiel den Jungs schwer, selbst eine Lösung zu finden. Oft gingen sie dabei körperlich vor. In der Aufräumsituation agierten sie sehr gut gemeinsam, als es darum ging, zusammen und mit aller Kraft ein Ziel zu erreichen, besonders als es ans Matten wegräumen ging. Jeder stand für den anderen ein.

Auf meine Nachfragen kamen die Aussagen: Das wollen wir immer machen, das war so cool. Es gab kein Vermissen der Mädchen, kein Nachfragen.

Im gemeinsamen Gesprächskreis teilten sich die Kinder danach ihre Erfahrungen mit.
Es war schön zu beobachten, wie sich beide Seiten zuhörten und Nachfragen stellten. Das Interesse aneinander war groß. Die Sicht für die jeweils andere Seite war anscheinend ein wenig sensibilisiert. Das Miteinander hat sich in der Gruppe dahin gehend verändert, dass beide Seiten bemüht sind, achtsamer zu reagieren. Die Kinder wünschten sich eine Wiederholung des Jungs-/Mädchen-Tages.

Jungs-/ Mädchen-Tag Teil 2:

Am nächsten Tag tauschten wir dann die Aktionsorte, die Mädchen gingen in die Turnhalle und die Jungs blieben in der Gruppe.

Nach einem gemeinsamen Morgenkreis, in dem sich jede Gruppe erzählte, wie der heutige Tag aussehen sollte, gingen wir auseinander.

Erfahrungen Mädchen:

Die Bewegungsstunde war belebt, aktiv und harmonisch. Nach gemeinsamen Tanzspielen, die sich die Mädchen zum Aufwärmen wünschten, bauten sie ebenfalls einen Bewegungs-Parcours auf. Manchmal gingen sie an den Stationen auch ins Rollenspiel. Kamen Konfliktsituationen an den Stationen auf, wurden sie von den Mädchen meist allein und verbal, manchmal mit viel Diskussion oder auch schon mal mit “Angezicke“ geklärt.

Meine Kollegin musste wenig agieren und begleiten, da die Mädchen selber klar kamen und sich bedacht miteinander auseinandersetzten.

Erfahrungen Jungen:

Auf Wunsch der Jungs bauten wir heute in der Gruppe verschiedene Aktionstische auf: Es entstanden ein Lego-Tisch (wir arbeiten spielzeugreduziert und Lego ist bei uns kein alltägliches Spielmaterial) und eine Forscher- und Entdecker-Ecke mit Lupen, Pinzetten, verschiedenen Werkzeugen, Materialien und Naturmaterialien. Einiges davon hatte einer der Jungs nach Absprache mitgebracht: unterschiedliche Kastanien und Hülsen, die er in seinem Hof sammelte. Die Jungs verteilten sich auf die Aktionsbereiche und in unseren Bauraum. Vier der Jungs (alle 4 bis 5 Jahre alt), u.a. mein Beobachtungskind Jens (4;11 Jahre),  hatten schon die gezielte Vorstellung, die Kastanien in allen Schichten zu untersuchen.

Ich ließ die Jungs zusammen agieren und hielt mich zunächst zurück. Wenn ich merkte, dass die Aktion ins Stocken kam und die Jungs allein nicht weiter wussten, brachte ich hin und wieder mal kleine Fragen, Tipps und Impulse ein. Zum Beispiel regte ich an, ein Untersuchungsprotokoll zu erstellen, mit gesammelten Beobachtungen und von ihnen gemalten Skizzen des Untersuchungsmaterials. Die Jungs arbeiteten hochkonzentriert an ihrer “Forschung“. Der Umgang und die Gespräche miteinander waren sehr konstruktiv, sie teilten sich gegenseitig ihre Einfälle und Ideen mit und bekamen es gut und ohne Konflikte geregelt, sich mit den Werkzeugen und Materialien zu arrangieren.

Auch Jens brachte immer wieder neue Vorschläge ein, wie man an das Innerste der Kastanie kommen könnte. Er fing an, in der Gruppe nach anderen Dingen zu suchen, die er ebenfalls erforschen könnte, bis hin zu einer gemeinsamen Idee der kleinen Forscher, eine Eichhörnchen-Falle mit Nüssen zu bauen. Sie wollten gern ein Eichhörnchen einfangen, um es zu beobachten. Dabei entfachten sie immer mehr auch das Interesse der anderen Jungs, die sich aus ihrem eigenen Spiel immer mal wieder heraus zogen, um zu schauen, was die anderen machten.

Es war an diesem Tag auch bei den Jungs ein sehr harmonisches Miteinander zu beobachten.

Das an diesem Tag entstandene Untersuchungsprotokoll stellten die Jungs im Kreis den Mädchen vor und im Anschluss daran hängten wir es für die Eltern aus.

Eine neue Struktur ist entstanden

Wir wiederholten diese Tage auf Wunsch und Bedürfnis der Kinder nochmal mit zum Teil anderen Impulsen. Zum Beispiel gab es für die immer Kraft geladenen Jungs, die sich immer und überall aufeinander werfen und ihre Kräfte messen, ein Zirkeltraining, um ihre Kräfte kontaktlos umzuleiten und herauszulassen, ohne dass es immer gleich eskaliert.

Für die Mädchen gab es einen Verkleidungstag, an dem sie sich ausgelassenen und nach Wunsch ihren Lieblingsrollen hingeben konnten.

Weitere Ergebnisse für die Gesamtgruppe:

Die Kinder profitierten gegenseitig von ihren Fähigkeiten und Erfahrungen, trugen sie in die Gruppe und weckten Interesse bei anderen Kindern.

In den folgenden Tagen nach den Jungen-/Mädchen Tagen teilten uns die Kinder viele Wünsche und Bedürfnisse mit, die wir in unsere Gruppenprozesse mit aufnahmen.

Wir richteten verschiedene Schubladen ein: Forscher-Schublade, Friseur-Schublade, Spiele-Tausch-Schublade, Massage-Wellness-Schublade, außerdem eine kleine mit wenig Material bestückte Rollenspiel-Ecke an unserer Couch. Der Forscherdrang war so groß, dass wir uns ein Krabbeltier-Terrarium mit Spinnen, Käfern, Wanzen … einrichteten, um das sich die Kinder täglich kümmerten und wo sie gerne davorstanden und beobachteten.

Gemeinsam schufen wir so neue Strukturen,
die uns den Kita-Alltag unter Corona
mit neuen Anreizen und Impulsen wieder belebten
und noch wertvoller machten.

Ich kann mir viel Zeit für Jens nehmen

Wie schon erwähnt, entstehen in dieser Zeit der Notbetreuung häufig intensive Einzelsituationen mit Jens, in denen er und auch ich es genießen, diese Zeit zu nutzen und uns mit dem auseinanderzusetzen, was ihn interessiert, was ihn beschäftigt oder auch was ihm Sorge bereitet.

Er fordert diese Zeit für sich gern ein und sorgt sehr gut für sich und seine Bedürfnisse, zum Beispiel wenn er einen kuscheligen Rahmen braucht, wenn er sein Wissen mit Sachbüchern erweitern möchte oder wenn er einfach nur ausgelassen herum albern und Späße machen möchte.

Er bereichert mich immer wieder mit seinem Wissen über die unterschiedlichsten Themen, die ihn in seiner Persönlichkeit wachsen lassen.

Er hat eine sehr offene und vor allem vorausschauende Art. Er macht sich jetzt schon Gedanken darum, dass wir jetzt (im Frühjahr!) seine Geburtstagskrone langsam basteln müssen, damit sie im Dezember auch wirklich fertig ist. Er hat schon eine konkrete Vorstellung darüber, wie sie aussehen soll und wie sein Geburtstagskreis dekoriert wird.

Dabei wird immer wieder deutlich, dass ihm die feinmotorische Umsetzung solcher Aufgaben etwas Sorge und Schwierigkeiten bereitet und er sich das selber nicht zutraut.

Das sind auch Beobachtungen, die ich immer wieder in unterschiedlichen Situationen mache. Er möchte etwas basteln, egal ob angeleitet oder frei, und hat eine sehr gute Vorstellung davon, wie es aussehen soll.

Bei der Umsetzung kommt dann meist als erste Reaktion: „Ich weiß aber nicht wie“ oder „Ich kann das aber nicht.“ Glücklicherweise ist sein Frust nicht so groß, dass er sich verweigert oder ganz entmutigt ist. Vielmehr wirkt der sonst sehr selbstbewusste und sicher auftretende Jens unsicher und manchmal zerbrechlich.

In den Nachmittagssituationen konnten wir schon gut daran arbeiten und ihm Erfolgserlebnisse verschaffen, die ihn stärkten.

An einem Nachmittag waren nur noch Jens und zwei weitere Kinder da. Die beiden Mädchen spielten ihr Rollenspiel und Jens hörte ein Hörspiel, in dem auch eine Weltraumfahrt mit einer Rakete vorkam.

Kurz danach kam er zu mir und erzählte mir, dass er eine Rakete basteln möchte, er aber nicht weiß wie. In der Zwischenzeit wurden die beiden anderen Kinder abgeholt, so dass ich mich voll und ganz Jens widmen konnte. Wir setzen uns an den Maltisch und ich befragte ihn ein wenig zu seiner Idee. Jens hatte eine sehr konkrete Vorstellung und konnte sie mir sehr gut mitteilen. Ich merkte, wie unsicher er wurde, als ich nachfragte, wie wir dann am besten starten. Bis er mich fragte: „Kannst Du mir nicht eine basteln?“

Ich erklärte ihm, dass ich das schon machen könnte, aber er mal überlegen sollte, ob es für ihn nicht schöner ist eine Rakete zu haben, die er selbst gemacht hat, in der seine Arbeit drin steckt und wo er am Ende stolz sein kann, dass er es geschafft hat. Er verstand sehr gut, worauf ich hinaus wollte, und sagte nur. “Ja schon, aber ich kann das ja leider nicht.“

Ich sagte ihm, dass das nicht schlimm ist, dass man es lernen kann, wenn man möchte. Ich sicherte ihm meine Hilfe nochmals zu und fragte ihn, ob wir es probieren wollten. Er ließ sich darauf ein und erzählte mir von Bauplänen, die man ja macht oder hat, wenn man etwas baut. Also überlegte er, zuerst einen Bauplan zu zeichnen.

Er suchte sich ein großes weißes Papier und einen Bleistift. Er war unsicher und traute sich nicht so recht, einen Anfang zu machen. Ich sprach ihm weiter zu, dass man mit einem Radiergummi ausradieren kann, wenn es einem nicht gefällt.

Jens fragte mich, was ein Radiergummi ist. Ich holte eines und demonstrierte ihm, wie man es benutzen kann, und bestärkte ihn immer weiter, sich zu trauen und mit dem Zeichnen anzufangen. Gemeinsam suchten wir auf seinen Wunsch hin noch ein Bild von einer Rakete. Dann war es soweit. Er fragte mich, wo er wohl am besten anfangen kann, ob oben oder unten. Ich sagte ihm, wie ich es machen würde, weil ich es für mich einfacher finde.

Er überlegte kurz und entschied sich, mit der Raketenspitze anzufangen. Ich unterstützte seinen Plan und forderte ihn auf einfach mal loszulegen. Dann fing er an zu malen, und ich motivierte ihn immer wieder mit ermutigenden Worten – zum Beispiel dass es schön ist zu sehen, wie er sich jetzt damit auseinander setzt und einfach los malt. Wenn er hin und wieder ins Stocken kam, hielt ich seine Hand kurz fest und führte für winzig kleine Augenblicke den Stift mit, um ihm ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Je mehr er auf das Papier brachte, desto sicherer wurde er in seinem Tun. Als seine Rakete fertig war, strahlte er und wollte sie unbedingt noch ausmalen. Ich ließ ihn entscheiden und einfach machen. Er war so stolz auf seine Rakete, dass er nun aus seinem Bauplan die eigentliche Rakete bastelte, die er unbedingt sofort mitnehmen wollte.

Mit Hingabe malte er seine Rakete aus. Ich lobte ihn für seine wirklich gelungene Arbeit und sagte ihm noch, dass er es jederzeit wieder schaffen wird, er muss erstmal nur anfangen, alles andere findet sich, es muss nicht gleich klappen, aber er soll sich einfach trauen, das ist das Allerwichtigste. Und er kann darauf stolz sein, dass er sich getraut hat und etwas sehr Schönes daraus entstanden ist. Jens schaute mich an und sagte: „Danke Steffi, dass Du mir geholfen hast.“ Ich erwiderte, dass ich das gern gemacht habe und dass er in erster Linie sich selber danken kann, weil er es einfach ausprobiert und geschafft hat.

Jens zeigte seiner Mama stolz seine Rakete beim Abholen. Die Mama ging sofort darauf ein, lobte ihn und überlegte beim Rausgehen mit Jens zusammen, wo sein Kunstwerk seinen Platz finden wird. Am nächsten Morgen erzählte mir Jens zuallererst, wo seine Rakete zu Hause hängt. Ich freute mich mit ihm und drückte ihn fest.

In den folgenden Tagen sah ich Jens häufiger am Maltisch, wie er sich einfach traute und Verschiedenes ausprobierte.

Meine Erfahrungen:

Mir ist auf jeden Fall nochmal bewusst geworden, wie wichtig es ist, sensibel auf Jens zu schauen, ihn an seinen Stärken weiter wachsen zu lassen, aber ihn auch in seinen Schwächen (die er gut in der Lage ist zu überspielen) aufzufangen und zu bestärken. Ich möchte ihn ermutigen, sich damit auseinanderzusetzen, ohne Druck und Zwang, ohne dass er sich verweigert und ohne es perfekt machen zu wollen, wie er es in anderen Bereichen macht und mit Leichtigkeit kann. Mir ist es wichtig, ihm immer wieder zu vermitteln, dass er nicht alles perfekt können muss, dass er Fehler machen darf und alles ausprobieren kann. Und das all das völlig in Ordnung ist.

Jens´ Erfahrungen:

Jens hat sich überwunden, an seine „Knackpunkte“ (Feinmotorik) zu gehen, sich einfach zu trauen und auszuprobieren, zu versuchen und zu erfahren, dass es in Ordnung ist, wenn man Fehler macht und dass man sie machen darf.

Er hat erfahren, dass wenn man ein Ziel hat (wie seine Rakete), es auch schaffen kann. Er hat für sich ein großes Erfolgserlebnis gehabt, was ihn bestärkt hat, sich an den Folgetagen weiter alleine damit auseinanderzusetzen.

Das sind Momente in den doch so bescheidenen Corona-Zeiten, die die Kinder und ich sehr genießen, weil Situationen entstehen, die im „normalen Alltag“ in der Intensität kaum stattfinden können.

Siehe hierzu: Rahmenbedingungen verbessern!

 

 

Datum der Veröffentlichung: Mai 2021
Copyright © Stefanie Müller