von Christa Ploth

 

Konstantin war im ersten Jahr meines IHVO-Zertifikatskurses mein „Beobachtungskind“. Da ich in unserer 5-gruppigen Kita gruppenübergreifend arbeitete, kannte ich Konstantin noch nicht intensiv, aber er war mir in einer Nachmittagsspielgruppe unserer Kita in mehreren Spielsituationen aufgefallen. Er war damals 3;9 Jahre alt.

Erster „Kontakt“ mit Konstantin

Konstantin interessiert sich im Alter von 3;9 Jahren für Spiele wie „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Junior Monopoly“ und spielt sie genau nach Spielregel von Anfang bis Ende durch. Seine Ausdauer und Genauigkeit fallen mir besonders auf, denn gleichaltrige Kinder, die auch in dieser Spielgruppe sind, zeigen nur selten Interesse an diesen Spielen und verlassen dann den Spieltisch auch schnell wieder.

Es ist ja für diese Altersgruppe auch angemessen, dass die Ausdauer nicht so groß und das Spielverhalten wechselnd ist.
Konstantin jedoch schafft es mühelos und ohne eine Spur von Unkonzentriertheit, über eine Spieldauer von 40 Minuten an einem Spiel zu bleiben. Ich legte mit ihm zum Beispiel ein Puzzle mit 40 Teilen, was er ohne Pause bis zum Ende spielte. Auch auf meine Frage zwischendurch: „Sollen wir vielleicht eine Pause machen?“ schaute er mich ungläubig an und meinte: „Wir sind doch gar nicht fertig.“

Mich erstaunte diese Antwort sehr und festigte meinen Entschluss, Konstantin im Hinblick auf besondere Begabung genauer zu beobachten. Durch häufige und längere Beobachtungen will ich meinen ersten Eindruck überprüfen, gegebenenfalls korrigieren oder bei Bestätigung in die gezielte Förderung einsteigen.

 

… kurz gefasst …

Über längere Zeit setzte sich die Autorin, die in der Kita gruppenübergreifend arbeitete, mit den Fähigkeiten und Problemen des kleinen Konstantin auseinander. Schon mit 3 Jahren zeigte er Interesse an Zahlen, später hatte die Autorin die Gelegenheit, dieses Interesse gezielt aufzugreifen und zu fördern.

Dadurch konnte eine depressive Verstimmtheit, die durch die Geburt eines Geschwisters begünstigt wurde, aber ihre Ursachen auch in der Unterforderung und teilweisen Isolation des Jungen in der Gruppe hatte, überwunden werden.

Erste gezielte Beobachtung

Die Spielsituation: Eine Kollegin spielt mit einem 6-jährigen Kind das Spiel „Junior Vita“. (Es ist ein Zuordnungsspiel, bei dem es um Nahrungsmittel, ihre Herkunft und anderes geht.)
Konstantin schaut recht interessiert zu. Er gibt Kommentare ab, zum Beispiel: „Mais, den hab ich schon mal gegessen, im Allgäu. Der wächst auf dem Feld. Die Pflanze ist groß, viel größer als ich.“

Er schaut etwa 10 Minuten lang zu, bekommt aber leider keinerlei Zuspruch von der Erzieherin und dem spielenden Kind und geht schließlich vom Spiel weg.

Konstantin zeigt ein reges Interesse an neuen und für sein Alter nach herkömmlicher Einschätzung eigentlich zu schwierigen Spielen. Er zeigt dabei eine schnelle Auffassungsgabe, was die Spielregeln und die Spielinhalte angeht. Das wurde durch seine Kommentare (siehe oben) nochmal deutlich.

Im Beobachtungsbogen nach Huser wird dies im Punkt A 2 angesprochen.
Auch sichtbar wurde das Orientieren an älteren Kindern oder Erwachsenen (Punkt A 3).

Nachdem er den Spieltisch verlassen hat, sucht er sich ein eigenes Spiel, kommt damit zu mir und fragt, ob ich es mit ihm spielen kann. Das Spiel heißt „Plopp“, es ist ein Zuordnungs- und Reaktionsspiel:

Jeder Spieler erhält 15 Karten. Konstantin zählt die Karten mühelos ab.
Alle (in unserem Fall: alle beide) Spieler decken nun gleichzeitig ihre erste Karte auf. Haben sie beide die gleiche Karte aufgedeckt, geht es darum, schneller zu sein als der andere. Mit einem Saugnapf, den jeder Spieler in der Hand hat, muss er versuchen als erster auf das Symbol zu ploppen, das der Karte entspricht. (Alle Symbole liegen offen in der Mitte.) Wer auf diese Weise zuerst 5 richtige Symbole erwischt hat, ist Sieger.

Konstantin zeigt bei diesem Spiel eine schnelle Reaktion, so dass ich mich wirklich anstrengen muss, auch mal ein Symbol zu erwischen. Während wir spielen, schaue ich hin und wieder auch zu anderen Kindern, die Hilfe oder eine Antwort brauchen. Konstantin „ruft“ mich dann immer wieder ins Spiel zurück: „Du guckst ja gar nicht!“.

Als Konstantin in einer solchen Situation ein Symbol erwischt und gemerkt hat, dass ich nicht richtig aufgepasst habe, nimmt er sich das Symbol nicht und sagt: „Das gilt nicht. Du hast gar nicht aufgepasst.“

Das zeigt mir, dass Konstantin auf Chancengleichheit bedacht ist und sich selber keinen Vorteil verschaffen möchte. Nur durch die Gleichberechtigung  kann er sich selbst überprüfen und bestätigen. (Punkt A 6 des Beobachtungsbogens trifft hier sicherlich zu.)

Konstantin gewinnt diese Runde trotzdem. Danach kommt ein 6-jähriges Kind zu uns und spielt eine Runde mit. Konstantin ist wieder äußerst konzentriert. Diese Spielrunde dauert 35 Minuten. Selbst gegen uns „große“ Spieler gewinnt Konstantin.

Zweite gezielte Beobachtung

Konstantin: „Bleibst du jetzt hier bei uns?“
Ich: „Ja, ein bisschen.“
Konstantin: „Wie viel bisschen?“
Ich: „Vielleicht so lange, bis ihr nach draußen geht.“
Konstantin: „Das dauert nicht mehr so lange, weil der große Zeiger schon auf der 12 ist und der kleine Zeiger auf der 11.“

Konstantin hat, obwohl er noch nicht 4 ist, das Zifferblatt der Uhr schon verinnerlicht, was andere Kinder erst mit 5 bis 6 Jahren gelingt. Andere Kinder mit 3 1/2 Jahren  können allenfalls erkennen, ob der Zeiger oben oder unten ist.

Konstantin holt das Spiel „Tempo, kleine Schnecke“ aus dem Schrank, um es mit Mats (4;7) zu spielen. Er stellt die Schnecken auf den Spielplan und benennt dabei jede Farbe der Schnecken.

Das Spiel beginnt, sie würfeln abwechselnd und setzen ihre Schnecken vorwärts. Nach etwa 6 Minuten erscheint Mats gelangweilt und schaut, was die anderen Kindern neben ihm spielen.
Konstantin lässt sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen, er würfelt einfach für Mats und setzt auch dessen Schnecke weiter. Kurz vor Spielende fordert die Erzieherin alle Kinder zum Aufräumen auf.

Konstantin wirkt missmutig und sagt: „Ich bin aber noch nicht fertig“ und spielt weiter.
Mats verlässt ihn. Konstantin spielt weiter. Um ihn herum herrscht reges Aufräumen, aber er spielt sein Spiel zu Ende.
Da die Kinder in der Puppenecke länger brauchen, ist Konstantin nicht das letzte Kind beim Aufräumen.

Für Konstantin ist es offenbar wichtig, korrekt zu Ende zu spielen. Das Wort „perfekt“ möchte ich hier noch nicht benutzen, dafür muss ich noch länger beobachten.

Punkt A 5 im Beobachtungsbogen spricht die Eigenmotivation an, die ich hier bei Konstantin deutlich erkennen kann.

Im Anschluss an das Aufräumen sitzen die Kinder im Kreis auf dem Teppich. Konstantin wirkt sehr ungeduldig. Er steht öfter auf und setzt sich wieder hin, spielt mit seinem selbst gebastelten Papierflieger. Er fragt die Erzieherin: „Darf ich den Flieger mit raus nehmen?“
Erzieherin: „Ja, aber setz dich bitte erst einmal hin und versuche leise zu sein.“ Konstantin setzt sich und ist leise. Er zieht den Kopf zwischen die Schultern und scheint sich zu verstecken. Den Flieger in der Hand, macht er leise Fluggeräusche. Dann springt er wieder auf und saust durch die Gruppe. Die Erzieherin fordert ihn auf, sich hin zu setzen, worauf Konstantin sagt: „Aber mein Flugzeug ist gerade gestartet und kann jetzt nicht mehr landen, weil auf der Landebahn schon eine neues Flugzeug zum Abflug bereit steht. Weißt du, auf dem Flugplatz starten die Flugzeuge alle 3 Minuten.“
Darauf erwidert die Erzieherin: „Na, dann nimm doch alle Passagiere mit (sie deutet auf die Kinder) und fliegt nach draußen.“ Konstantin fliegt eine Runde über die Köpfe der Kinder, alle gehen raus.

Ich frage bei der Erzieherin nach, sie erzählt mir, dass Konstantin vor einigen Tagen am Frankfurter Flughafen war, um Freunde abzuholen. Sein Erlebnis bringt Konstantin in den Kita-Alltag ein, was viele Kinder tun.

Aber Konstantin hat ein genaues Erinnerungsvermögen; die Tatsache, dass die Flugzeuge im Drei-Minuten-Takt starten, wäre für andere gleichaltrige Kinder nicht so wichtig und sie würden es nicht erinnern und mitteilen. Ebenso sehe ich es bei dem logischen Zusammenhang, dass die Start- und Landebahn besetzt ist und kein anderes Flugzeug landen kann, wenn ein Flugzeug auf der Bahn steht. Das zeigt doch ein ausgeprägtes logisches Denken.

Konstantin hätte in dieser Situation aber auch als Störenfried angesehen werden können, da für ihn das Fliegen und sein Flieger wichtiger waren als das gemeinsame Sitzen auf dem Teppich.

Dritte gezielte Beobachtung

Konstantin spielt ein Zahlen-Puzzle. Hierbei werden kleine Rechenaufgaben gestellt, zum Beispiel 3+2=5, die bei richtiger Lösung das Zusammensetzen des Puzzles erleichtern. Konstantin kennt die Zahlenbilder bis 10, in diesem Zahlenraum bewegt sich das Puzzle.

Als ich ihn frage: „Was ist denn 4-3?“ antwortet er: „Das kannst du doch selber sehen, da kommt die 1 hin und bei der nächsten Aufgabe kommt die 4 hin.“ So löst er alle Aufgaben und ist schnell mit dem Puzzle fertig.

Mir wird deutlich, dass Konstantin schon ein gutes Zahlenverständnis hat. Meine Zwischenfragen waren für ihn eher eine Störung als eine Hilfe. Ich sehe hier einen deutlichen Entwicklungsvorsprung, der im Punkt A 1 des Beobachtungsbogens angesprochen wird.

Vierte gezielte Beobachtung – Auszug –

Konstantin (gerade 4 geworden) spielt mit Benedict (4) und Finn (5) das Spiel „Ratzolino“. Bei diesem Spiel werden verschiedene Gegenstände aus dem Spielkarton auf den Tisch gelegt. Nun wird eine Geschichte erzählt; sobald einer der Gegenstände in der Geschichte erwähnt wird, müssen die Spieler versuchen, den Gegenstand schnell zu greifen und an sich zu bringen. Wer am Ende die meisten Gegenstände erhascht hat, ist Sieger.

Konstantin ist über die Spieldauer von 12 Minuten sehr aufmerksam und hat auch oft Erfolg. Während der Geschichte schaut er die Gegenstände an und lässt seinen Blick nicht abweichen.
Sein Blick geht vorausschauend zu den Gegenständen, die nun vielleicht genannt werden könnten. Beispiel: „Der Hase geht auf die Wiese.“ Konstantin schaut in Richtung Möhre und tatsächlich kommt die Möhre als nächstes in der Geschichte vor.
Konstantin wird eindeutiger Sieger.

Nach einem anderen Spiel mit dem 5-jährigen Finn (das 18 Minuten dauert), räumen die Kinder auf. Dann kommt die 6-jährige Leyla mit einem LÜK-Kasten an den Tisch. Konstantin sagt: „Das möchte ich auch!“ und holt sich einen zweiten LÜK-Kasten.

Er nimmt das Vorschulheft Nr. 4: „Dasselbe Wort, aber ein anderes Ding“.
Konstantin kennt alle Begriffe und ordnet sie richtig zu. Er versteht schnell, wie die Fehlerkontrolle bei LÜK funktioniert, und stellt fest, dass er alles richtig hat. (Stimmt!) Er spielt das gleiche Spiel noch einmal mit einem anderen Arbeitsblatt. Begriffs-Beispiele: Schale (Apfelschale) – Schale (Schüssel), oder Flügel (des Vogels) – Flügel (Musikinstrument).

An einer Stelle kommt Leyla mit ihrem Spiel nicht weiter. Der knapp Vierjährige gibt der Sechsjährigen kurz – und beiläufig – eine Hilfestellung (er gibt die Antwort vor) und spielt dann weiter, insgesamt beschäftigt er sich damit 30 Minuten.

Kurze Einschätzung der Beobachtungen

Konstantin ist in manchen Bereichen für sein Alter überdurchschnittlich weit entwickelt.

Er zeigt Interesse an Dingen und Spielen, die eigentlich für Kinder gedacht sind, die 1 1/2 bis 2 Jahre älter sind (Punkt A 10 im Beobachtungsbogen).

Er zeigt große Ausdauer und Genauigkeit bei den Spielen und spielt immer bis zum Ende durch. Er kann, sobald er ein Spiel beendet hat, gezielt eine neue Aufgabe ansteuern. Dies tut er ohne Pause zwischen den Spielen. Andere Gleichaltrige gehen dann schon mal eher ziellos durch den Gruppenraum, schauen, was die anderen Kinder spielen, oder warten auf eine Aufforderung oder Motivation durch die Erzieherin. Dies braucht Konstantin nicht.

Er konzentriert sich sehr gut auf sein Spiel, was aber nicht heißt, dass er um sich herum nichts wahrnimmt. Er ist umsichtig und bekommt Dinge mit, die ihn eigentlich gar nicht tangieren. Beispiel: Ein Kind hatte den Gruppenraum verlassen, ein anderes fragte, wo es denn sei. Die Erzieherin wusste es nicht, Konstantin gab dem Kind die richtige Antwort.

Beim Spiel „Ratzolino“ hat er gezeigt, dass er schon gut logisch denken und kombinieren kann, er kennt das Schriftbild von Zahlen (mindestens bis 12) und von etlichen Buchstaben.

Konstantin und die Zahlen

Jetzt ist Konstantin 4;2 Jahre alt, und Zahlen sind für ihn klar erkennbar ein interessantes und bedeutsames Thema. Deshalb will ich ihn spielerisch unterstützen, sich mit Zahlen zu befassen.

Dabei möchte ich nicht dieselbe Ungeschicklichkeit begehen, die ich neulich bei seinem Vater beobachtet habe. Er holte seinen Sohn ab und stellte ihm unvermittelt eine Rechenaufgabe: „Konstantin, weißt du noch, was 3+7 ist?“
Konstantin antwortete: „Das weißt du doch selber, ich will jetzt meine Schuhe anziehen.“ Vater: „Ja, ich weiß es, aber ich will es jetzt von dir hören; du kannst das, Konstantin!“

Konstantin: „Ich will jetzt aber nicht. Du bist auch gar nicht mein Schullehrer“ und er fing an zu weinen. Sein Vater nahm ihn in den Arm und tröstete ihn. Beim Verabschieden sagte Konstantin zur Erzieherin: „Weißt du, mein Papa spielt mit mir immer Schule, aber ich will jetzt nicht. Aber dir sage ich jetzt: 3+7 ist 10, ist doch logisch?“

Diese Beobachtung lässt mich vermuten, dass Konstantin hoch sensibel reagiert, wenn er aus dem Zusammenhang gerissen „vorgeführt“ werden soll. Ein Elterngespräch zu diesem Punkt anzuregen, erscheint mir jetzt noch verfrüht; ich möchte erst noch mehr mit Konstantin arbeiten und so eine gute Grundlage und treffende Beobachtungen für das Gespräch erlangen.
Mit der Gruppenerzieherin habe ich mich aber schon zu diesem Punkt ausgetauscht und wir bleiben dran.

Eins-zu-eins-Förderung.
Wiederbelebung unseres Montessori-Materials

Das Montessori-Material ist in unserer Kita vorhanden, jedoch zur Zeit kaum in Gebrauch in den Gruppen. Ich werde es mit in Konstantins Gruppe nehmen; denn ich glaube, dass es Konstantin gefallen wird, sich damit zu beschäftigen.

1.
Zuerst habe ich die Spindelkästen ausgewählt, damit Konstantin das Material auf einfache Art kennen lernen kann. Es umfasst den Zahlenraum von 0 bis 9, was für Konstantin keine Herausforderung bietet. Dennoch zählt er mit viel Interesse die Spindeln einzeln in die Fächer; schon bald entwickelt er eine schwierigere Variante: Er spielt das Spiel nach einiger Zeit rückwärts.

Er sucht sich selbst eine höhere Herausforderung!

Auch die roten Zahlen mit Chips sind ihm für eine Herausforderung gut, er legt hier die Zahlen absichtlich spiegelbildlich und erkennt sie richtig. Bei diesem Spiel lernt er die Rechenzeichen „plus“ und „minus“. Damit rechnen wir dann, zuerst noch im Zahlenraum bis 10, aber nach einiger Zeit auch bis 20.

2.
Konstantin bezieht mich in seine Gedanken mit ein, so dass ich direkt auf seine Impulse reagieren kann. Zum Beispiel fragt er mich, während wir mit den roten Zahlen rechnen: „Gibts da noch mehr davon?“ Ich: „Ja, wir können im Keller mal nachsehen, wo sie sind, und dann nehmen wir sie mit in die Gruppe.“

Als wir jedoch einen weiteren Satz der gleichen roten Zahlen finden, sagt er: „Nein, das meine ich nicht. Ich meine mehr!“ Ich: „Du meinst, wo man weiter zählen kann als bis 20?“
Konstantin: „Ja, diese hier kenne ich doch schon.“

Also suchen wir das „Goldene Perlen-Material“ heraus, bei dem der Zahlenraum bis 100 erfasst wird. Das beschäftigt uns nun lange Zeit. Dabei kann der mal gerade 4-jährige Konstantin seine Begeisterung für das Zählen ausleben. Er denkt sich selber verschiedene Systeme aus, um die Perlen immer neu zu ordnen , so dass es für ihn übersichtlich und logisch erscheint. Am Ende seiner Experimentierphase hat er Zehnerblöcke vor sich liegen, mit denen er dann zu rechnen anfängt.

3.
Eines Morgens kommt Konstantin zu mir, gibt mir eine Tüte und sagt: „Hier hast du 100 Steine!“ Ich: „Da hast du aber lange gesammelt und gezählt!“ Konstantin: „Ja. Sollen wir das auch zusammen machen?“
Nichts lieber als das; weiß ich doch, dass Konstantin hier seine selbst entwickelte Zählmethode einbringen kann. Wir zählen also immer 10 Steine ab und legen sie in eine Reihe. Nach 10 Reihen sagt Konstantin: „So, jetzt haben wir 100. Denn 10 mal 10 ist 100!“

4.
Diese Methode wendet Konstantin in verschiedenen Alltagssituationen an, er zählt auf diese Weise Bausteine oder die Buntstifte, die in der Gruppe immer zu 10 Stiften in einem Glas stehen. Er bewegt sich zwischen den Zahlen so sicher, dass ich überlege, ihn in Absprache mit meinen Kolleginnen in die Zahlen-Maxi-Gruppe mitzunehmen.

Konstantin kommt in die Maxi-Gruppe Zahlen.

Unsere Maxi-Gruppen bestehen aus Kindern, die im kommenden Sommer in die Schule gehen werden. Sie treffen sich einmal in der Woche zu bestimmten Themengruppen – und eben auch zu einer Zahlen-Gruppe.

Zunächst fühlt sich Konstantin in der Maxi-Gruppe offenbar etwas fehl am Platze, da er dort ja mit Abstand das jüngste Kind ist. Über die Inhalte, das Zahlenthema, wird er aber schnell sicher und hat Freude an den Spielen mit Zahlen.

An diesem Nachmittag hat die Kollegin ein Zahlen-Lauf-Spiel vorbereitet: Auf dem Turnhallenboden sind große Zahlen von 1 bis 10 aufgemalt. Die Kinder laufen kreuz und quer durch die Halle; wird eine Zahl gerufen, dann laufen sie zu dieser Zahl.

Bei der nächsten, schwierigeren Spielvariante sollen sich nur so viele Kinder bei der Zahl versammeln, wie es dem Wert der Zahl entspricht. Dazu müssen sich die Kinder verständigen, ob noch jemand fehlt oder vielleicht auch schon zu viele Kinder bei der Zahl sind.
Konstantin durchschaut das Prinzip schnell und gliedert sich auch hier gut in die Gruppe ein. Er wird auch gut aufgenommen, als die anderen Kinder seine Fähigkeiten erkennen. Er wird nun nicht mehr skeptisch beäugt.

Als die Maxi-Stunde vorüber ist, fragt er, ob er beim nächsten Mal wieder mitmachen darf. Wir bejahen das natürlich und er besucht sie Woche für Woche mit Freude.

5.
Durch seine Übungen mit verschiedenen Gegenständen (Bauklötzen, Stiften, Steinen…) hat Konstantin die Mengen der Zahlen bis 100 schon gut verinnerlicht. Überall entdeckt er Mengen, die man zählen kann.
Eines Tages will er alle Fische in der Kita zählen. In jeder Gruppe gibt es ein Aquarium mit Fischen, und in seiner Gruppe wird gerade ein neuer Fisch eingesetzt. Das bringt Konstantin auf die Idee, in die anderen Gruppen zu gehen und dort auch die Fische zu zählen. Er fragt mich, ob ich ihm helfen könne, alle Fische im Kindergarten zu zählen.

Wir gehen von Gruppe zu Gruppe und ich schreibe die Zahl, die er mir nennt, in jeder Gruppe auf. Konstantin schaut auf meinen Zettel mit den fünf Zahlen und fragt: „Und wie soll ich die jetzt zählen?“

Mir wird klar: Die Mengen kann Konstantin addieren, mit den reinen Zahlen kann er bei einer Aufgabe aus fünf Bestandteilen noch nichts anfangen. Er sieht noch nicht automatisch die Menge dahinter. Also nehmen wir uns die roten Zahlen mit den Chips aus dem Montessori-Material. Konstantin legt für jede Zahl die entsprechende Anzahl Chips hin. Dann bildet er daraus eine Zehnerreihe und zählt sie ab. Er kommt auf das richtige Ergebnis 18.

7.
Jetzt erscheint mir der Zeitpunkt günstig, Konstantin an die Hunderter-Tafel heranzuführen. Diese Tafel besteht aus einem Brett mit hundert Kästchen und hundert Legeplättchen mit den Zahlen von 1 bis 100. Hier werden Zahl und Menge miteinander
verbunden.
Um Konstantin nicht gleich mit hundert Zahlen zu konfrontieren, lege ich beim ersten Mal nur die ersten fünfzig heraus, jedoch durcheinander. Konstantin: „Die reichen aber nicht, wenn das voll werden soll.“

Ich erkläre ihm, dass ich nur die Hälfte der Plättchen genommen habe, weil es sonst wohl zu lange dauern würde, bis wir fertig sind. Das akzeptiert Konstantin.
Nun sieht er sich die Zahlen genauer an.
Die Zahlen 1 bis 10 kennt er ja schon und sortiert sie richtig ein. Ich erkläre ihm, dass in die nächste Reihe alle die Zahlen gehören, die vorne eine 1 haben. Nach diesem Hinweis sucht Konstantin selbstständig alle Zahlen von 11 bis 19 raus und legt sie auf das Brett. Er zählt die Plättchen, vergleicht sie mit denen der ersten Reihe und stellt fest, dass sie immer dieselbe Endziffer haben. Er meint: „Da kann ich immer sehen, ob es richtig ist.“

8.
So legt er jede Reihe bis zur 50. Nun hat er keine Lust mehr auf die Plättchen 51 bis 100. Ich mache ihm den Vorschlag, die Tafel in mein Büro zu legen, so dass er weiter machen kann, wenn er Lust hat. Die Idee findet er gut.

Als wir in meinem Büro ankommen, meint Konstantin: „Hier können wir doch ein Zahlen-Zimmer machen.“ Das halte ich nun wiederum für eine gute Idee. Konstantin macht sich auf den Weg, alle Zahlen-Spiele, die wir bisher gespielt haben und an denen er noch Interesse hat, in mein Büro zu holen. Wir suchen ein Regal, in dem alles Platz findet.

Von diesem Tag an ist mein Büro das Zahlen-Zimmer und Konstantin hat die Erlaubnis, sich dorthin zurück zu ziehen, wenn er sich mit dem Material beschäftigen will.

An dieser Stelle muss ich das Projekt leider unterbrechen, da Konstantin in Urlaub fährt. Später stellt sich heraus, dass er anschließend die Windpocken hat.
Aber ich werde, sobald er wieder da ist, sein Interesse überprüfen und mit ihm weiterarbeiten.

Reflexion

An Konstantins Reaktionen und seinem aktiven Mittun konnte ich ablesen, dass das ausgesuchte Material für ihn interessant war. Die immer weiter führenden Schwierigkeitsgrade, die sich im Material verbergen, halfen mir, Konstantins Interesse immer wieder neu anzufachen.
Ich wollte ihn aber auch nicht überfordern; er wusste, dass er ein Spiel jederzeit abbrechen konnte, er tat es aber nicht.

Anfangs gab der vertraute Gruppenraum Konstantin den Halt, den er brauchte, um sich auf Neues einzulassen. Aber dann wollte er manchmal mehr Ruhe haben und ging mit mir in die Leseecke oder ins Büro, aber manchmal setzte er sich auch auf den Teppich mitten im Gruppenraum, um seine Zählstrategie zu zeigen.

Seine Fähigkeit, Dinge selbst zu entwickeln und auf experimentelle Weise herauszufinden, war für mich eine neue Erfahrung und es hat mir Freude gemacht, ihn intensiv zu unterstützen.

Es war für uns beide ein produktives Projekt.

Bisher war es überwiegend eine Eins-zu eins-Förderung; Konstantin hat das offenbar nicht missfallen, aber ich denke, dass er über das Thema „Zahlen“ noch besseren Kontakt zu anderen Kindern finden könnte.

Als nächste Ziele sehe ich für meine Arbeit mit Konstantin,
– ihn in seiner Lust an Zahlen weiter zu unterstützen,
– ihn mit anderen, ähnlich interessierten Kindern zusammen zu bringen.

Dazu möchte ich das Zahlen-Zimmer mit Konstantin zusammen weiter ausbauen und auch für andere Kinder öffnen, zum Beispiel für die Vorschulkinder.
Vielleicht können wir auch eine Zahlen-Rallye durch den Kindergarten entwickeln.
Wir könnten auch einen Club der Zahlen-Kids gründen, die das Zahlen-Zimmer beleben und bespielen.
Ich denke, Konstantin wird auch eigene Ideen beisteuern, die für ihn schlüssig sind.

Bewegungsbaustelle und Kontakt-Anbahnung

Konstantin hat sich in den letzten Monaten verändert. Er wirkt oft lustlos und nicht so recht glücklich. Er wurde zu Hause offenbar schmerzlich aus seiner Rolle des „Prinzen“ gestoßen, als ein kleines Geschwister geboren wurde.
Das Baby wird von den Eltern sehr in den Vordergrund gestellt und es wird mit Worten auch ausgedrückt, wie toll doch das Baby ist – so toll, wie es zuvor Konstantin war, der nun deutlich nur noch die zweite Rolle spielt. Beim Abholen sind die Eltern jetzt immer in Eile und Konstantin muss funktionieren.

Von Kolleginnen darauf angesprochen, meinte der Vater, da müsse Konstantin jetzt durch, er sei ja nun der Große.

Wir erleben ihn in letzter Zeit oft als lustlos; er mag kaum spielen und weicht dem Kontakt mit anderen Kindern wieder vermehrt aus. Er war öfters krank und dann noch einige Wochen in Urlaub, so dass eine kontinuierliche und aufbauende Arbeit mit ihm schwierig war.

Bevor ich mit Konstantin (inzwischen 5;2) weiter an den Zahlen arbeite, möchte ich zunächst versuchen, ihn mit anderen Kindern in engeren Kontakt zu bringen. Dazu erscheint mir eine Bewegungsbaustelle in der Turnhalle als geeignet.

Ich baue also aus Matten, Kästen, Bänken und anderen Materialien einen Parcours auf, der Klettern, Balancieren und Drunterdurchkriechen ermöglicht. Ich spreche drei Jungen an, mit denen Konstantin leichte Kontakte hat, die aber immer nur kurzzeitig und recht unverbindlich sind. Es sind Mario (5;5), Finn (6;1) und Cedric (4;9). Die drei sind sofort dabei.

Als ich Konstantin anspreche, ob er mit mir in die Turnhalle gehen möchte, bejaht er zögerlich. Ich nehme das als Zeichen für das gewachsene Vertrauen zu mir.

Es funktioniert

In der Turnhalle rennen und klettern Mario, Finn und Cedric sofort los. Konstantin hält sich, wie erwartet, zurück. Er schaut sich das Ganze erst mal von außen an. Skeptisch fragt er: „Hält die Brücke mich aus?“

Ich zeige ihm den Unterbau der Brücke: zwei Holzkästen, auf denen die Holzbank sicher ruht. Nach eingehender Begutachtung traut Konstantin sich auf die Brücke. Cedric sagt zu ihm: „Los, Konstantin, das macht Spaß, wir rutschen die Matte runter!“ Konstantin hat kaum eine Wahl, er macht mit. Unten angekommen, läuft er sofort um die Brücke herum und probiert es noch einmal.

Das ist für Konstantin ein gutes Erlebnis, er konnte vorsichtig experimentieren und doch mit Anderen gemeinsam in Aktion sein. Beim Abbauen der Bewegungsbaustelle treffen die Jungen die Verabredung, wieder zusammen in die Turnhalle zu gehen. Nachdem sie das ausgehandelt haben, fragt mich Mario – als Sprecher der Gruppe: „Können wir morgen nochmal in die Turnhalle?“ Ich verspreche ihnen ein weiteres Treffen.

Nach dieser Aktion beobachte ich, dass Konstantin und Cedric sich auf unserem Außengelände zusammentun und gemeinsam auf dem Kletterberg spielen. Das ist neu und eine Herausforderung für Konstantin, er war bisher noch nicht auf dem Kletterberg zu sehen, sondern fährt immer nur mit dem Dreirad-Taxi.

Konstantin ist behutsam

Drei Tage später fragt mich Finn, ob wir denn nochmal in die Turnhalle gehen wollen. Da sie leider gerade besetzt ist, können wir nur in den Nebenraum, der auch als Therapieraum für die integrativen Kinder genutzt wird.

Ich bitte Finn, Konstantin zu fragen, ob er mitgehen will. Konstantin willigt ein. In der „Bärenhöhle“, dem besagten Nebenraum, fragt Konstantin: „Was machen wir denn hier?“ Tatsächlich ist der Raum sehr reizarm eingerichtet, die Materialien sind hinter Schranktüren verborgen.

Ich hänge eine Hängematte auf, was beide Kinder staunend verfolgen. Konstantin fragt: „Kann man sich da rein legen?“ Ich fordere ihn dazu auf.

Er legt sich vorsichtig in die Hängematte, und Finn legt mit meiner Hilfe ein paar Sandsäckchen neben Konstantin in die Hängematte. Während Finn weitere Säckchen neben Konstantin legt, dunkele ich den Raum etwas ab und mache leise klassische Musik an.

In der ruhigen, ausgeglichenen Atmosphäre frage ich Konstantin, ob ich die Sandsäckchen auf seinen Bauch legen darf. „Wir probieren das mal“, meint er dazu. Dann erlaubt er auch Finn, Säckchen auf ihn zu legen.

Als Finn anmerkt, dass er auch mal in die Hängematte möchte, sträubt sich Konstantin fast, auszusteigen. Aber er macht Platz und legt Finn Säckchen auf.

Ich habe eine Materialkiste bereit gestellt. Konstantin schaut, was darin ist, und bringt zwei Massagebälle mit. Er legt sie auf Finns Arm und tupft ihn damit ab. Ich rege ihn an, die Bälle über den Arm zu rollen. Bevor Konstantin dies tut, fragt er Finn, ob er es auch möchte. Finn sagt: „Ja, das tut gut.“

Mir zeigt diese Situation, dass Konstantin sich sehr wohl auf Andere einlassen kann, ja sogar rücksichtsvoll und behutsam ist. Ich denke, dass er sein eigenes Empfinden gut auf den Anderen projizieren kann und dass er so Kontakt knüpfen wird, was jedoch nur bei Kindern funktioniert, die auch rücksichtsvoll sind.

Konstantin hilft diese Erfahrung, Vertrauen zu sich und anderen Kindern zu finden. Das ist nötig, denn in letzter Zeit fiel er durch ablehnendes und besserwisserisches Verhalten auf, so dass er als Spielpartner für die anderen Kinder eher nicht in Betracht kam.

Zurück im Gruppenraum, erzählt Finn sehr angeregt von der gemeinsamen Aktion mit Konstantin. Ein Kind fragt bei Konstantin genauer nach: „Wie habt ihr das denn mit den Säckchen gemacht?“ Konstantin: „Na, halt nur drauf gelegt.“ Dem Kind ist diese Antwort nicht genug, es bohrt weiter, bis Konstantin zur Tat schreitet.

Er nimmt Bierdeckel, die als Spielmaterial in der Gruppe vorhanden sind, und fordert das Kind auf, sich auf den Teppich zu legen. Dann legt er ihm Bierdeckel auf den Bauch, bis der ganz bedeckt ist.

Diese Aktion erregt natürlich das Interesse einiger Kinder. Sie setzen sich an den Teppichrand und schauen zu. Nach einer Weile legen auch andere Kinder Bierdeckel auf das liegende Kind. Kurz darauf legt sich Konstantin auch auf den Teppich und lässt sich mit Bierdeckeln belegen. Diese Aktion dauert 20 Minuten, in denen sich die Kinder in der aktiven und der passiven Rolle abwechseln. Konstantin schaut dabei immer, ob es einem Kind unangenehm oder zu viel sein könnte.

Konstantin erlebte in der Vierergruppe noch mehr Beschäftigungen in der Turnhalle, die den Kontakt zu den anderen drei Kindern festigten. Von dieser Zeit an hatte Konstantin Ansprechpartner in der Gruppe und er wurde von ihnen auch wieder zum gemeinsamen Spiel eingeladen, was er nun annehmen konnte.
Besonders mit Finn hat er sich angefreundet und ist mit ihm in regem Kontakt. Leider sind Konstantins Eltern nicht einverstanden mit der Freundschaft zwischen Konstantin und Finn und unterstützen sie außerhalb des Kindergartens nicht.

Start in ein neues Arbeitsfeld

Konstantin ist mal wieder lustlos und spielt auf dem Bauteppich gelangweilt vor sich hin. Finn, sein Freund, spricht ihn an, doch Konstantin macht nur eine ablehnende Handbewegung. Ich mische mich ein: „Hast du keine Lust, mit Finn zu spielen?“ Konstantin: „Nein!“ Ich: „Wollen wir beide denn was zusammen machen?“ Konstantin: „Was denn?“ Ich: „Wozu hättest du denn Lust?“ – „Ich weiß nicht.“

So geht der Dialog eine Weile weiter, bis ich Konstantin den Vorschlag mache, an meinem Laptop etwas auszuprobieren.

Jetzt wird er hellhörig, schaut mich an und fragt: „Was ist denn das?“ Ich erkläre ihm den Namen und wir beide machen uns auf den Weg ins Büro. Konstantin schaut sich den Laptop an, sein Interesse steigt, seine Augen schauen neugierig und aufmerksam auf mein Handeln, als ich den Laptop aufbaue und anschließe.

„Kann der auch Spiele spielen wie der große Computer?“, fragt er, was ich natürlich bejahe. Ich zeige ihm verschiedene Funktionen und warte dabei auf seine Fragen. Er fragt nach der Maus, worauf ich Konstantin die „eingebaute Maus“ (Touchpad) zeige und erkläre. Er probiert sie gleich aus und entwickelt schnell ein Gefühl dafür.

Als erstes Spiel spielen wir ein „Löwenzahn“-Spiel, das Konstantin kennt. Nach 45 Minuten beenden wir die Aktion; denn wir haben in unserer Kita ein Zeitlimit für das Spiel am Computer haben, das bei 20 Minuten liegt. 20 Minuten sind für Konstantin nicht viel, aber die 45 Minuten waren jetzt doch ausreichend.

Siehe auch: Computernutzung und Internet und Computerspiele.

Am nächsten Tag fragt Konstantin sofort nach dem „Taschen-PC“. Ich schaue ihn fragend an, worauf er mir erklärt, dass sein Vater diesen Ausdruck verwendet hat. Konstantin hat ihm von unserem Spiel am Laptop erzählt und dabei wohl das Interesse des Vaters geweckt. Beim Abholen fragt er mich nach meiner Aktion mit Konstantin.

Konstantins Vater hat sich vor geraumer Zeit im Internet über das Thema Hochbegabung informiert. Dabei hat er die IHVO-Seite gefunden, ist auf meinen Namen gestoßen und hat dadurch erfahren, dass ich die Weiterbildung mache. Nun möchte er wissen, ob ich Konstantin für hoch begabt halte.

Ich antworte ihm, dass ich Konstantin als besonders begabt einschätze (sonst hätte ich ihn nicht als Beobachtungskind ausgewählt), also als weiter entwickelt als der Durchschnitt und hochsensibel für Zahlen und Mathematik.

Ich denke, mit dem Begriff „hoch begabt“ sollte man gegenüber Eltern vorsichtig sein, da sonst die Erwartungen an das Kind vielleicht zu hoch werden.

Siehe auch: Den Begriff Hochbegabung vorsichtig verwenden.

Bei diesem spontanen Elterngespräch kann ich auch von den Veränderungen berichten, die ich bei Konstantin beobachtet habe. Ich schildere Verhaltensbeispiele, die den Vater erstaunen lassen; er erscheint besorgt.
Bisher war es für ihn nicht so schwerwiegend, dass er nun nicht mehr so viel Zeit für Konstantin hat wie vorher.
Ich mache ihm den Vorschlag, mit Konstantin einen festen Nachmittag zu vereinbaren, an dem beide Zeit füreinander haben. Diesen Vorschlag kann ich machen, weil ich weiß, dass der Vater früher immer ein bis zwei Konstantin-Nachmittage hatte. In seinem Beruf könnte es vielleicht auch heute einplanbar sein.
Der Vater reagiert sofort: „Ja, das haben wir ja früher auch gemacht.“ So gehen wir recht zufrieden und zuversichtlich auseinander.

Konstantin ist in den nächsten Tagen nicht im Kindergarten, deshalb kann ich seine Reaktion erst mit einiger Verzögerung erkennen: Er kommt lächelnd auf mich zu und fragt wieder nach dem Taschen-PC.

Wir nehmen uns vor, noch am selben Nachmittag ein Spiel zu spielen. Konstantin hat ein Spiel von zu Hause mitgebracht und kann es mir erklären. Ich frage ihn, ob wir nicht Finn zum Mitspielen einladen sollen, und Konstantin bejaht und holt ihn sofort.

Beide haben sichtlich großen Spaß und sprechen das gemeinsame Tun ab, es entwickelt sich ein sinnvolles, freudiges und entspanntes Miteinander.

Nach all der ganzen Lustlosigkeit und Ablehnung anderen Kindern gegenüber hat Konstantin endlich wieder mal ein positives Erlebnis.

Auch die Kolleginnen erzählen mir, dass Konstantin wieder etwas offener und auch für sie zugänglicher geworden ist. Auch der Vater erscheint gelassener, er hält sich wirklich an die Vereinbarung mit dem Konstantin-Nachmittag. Konstantin erzählt, dass der Papa nun auch einen Nachmittag mit seiner Schwester hat, an dem Konstantin dann mit seiner Mama was unternehmen kann. Es ist Konstantin wichtig, dass auch seine Schwester nicht ins Hintertreffen gerät: „Sie soll ja auch Zeit mit Papa haben.“

Die festen Termine mit mir geben Konstantin weitere Sicherheit. Er achtet akribisch auf unsere Treffen und lädt nach und nach auch andere Kinder zum Spielen am Laptop ein.

Allmählich kehrt Konstantin zu seinem „alten“ guten Verhalten zurück, und schließlich fragt er mich eines Tages, ob ich mich an das Zählen erinnere.

Kommentar der Kursleitung:
Es war wichtig, etwas zu finden, das Konstantin in seiner weiter oben beschriebenen depressiven Verstimmung erreichen konnte. Mit dem erfolgreichen Elterngespräch und mit dem Laptop und der sich daraus entwickelnden Spiele-Runde ist das gelungen.

Siehe auch: Dauerfrustration wegen Unterforderung …

Seine Frage nehme ich zum Anlass, auf dem Laptop ein Zahlenprogramm zu installieren, das für das erste Schuljahr geeignet und spielerisch aufgebaut ist. Konstantin wird sie zum Einstieg mühelos lösen können.

Auch in der Gruppe entdeckt Konstantin seine Zahlenwelt wieder, er spielt wieder mit dem Montessori-Zahlenmaterial und stellt sich selbst kleine Rechenaufgaben.

Jetzt ist Konstantin wieder so gut gestimmt, dass es mit dem Zahlenprojekt zügig voran geht. Ich frage ihn, ob er mit mir zusammen am Laptop rechnen will. Er geht freudig darauf ein. Auf dem Weg ins Büro fragt er aufgeregt, was man da alles machen kann.
Ich muss ihm nur das Symbol für das Programm zeigen und schon legt er los.

Er rechnet Additionsaufgaben im Zahlenraum bis 20 ohne Mühe. Die kleinen Hilfen und Tipps aus dem Programm nimmt er sofort auf und setzt sie um. Nach einigen Aufgaben sagt er: „Es gibt doch auch noch was Anderes, wo man die Zahlen wegnimmt.“ Ich erkläre ihm, dass man das Minus-Aufgaben oder Subtrahieren nennt. Wir suchen Minus-Aufgaben im Zahlenraum bis 10 heraus. Auch die schafft er leicht und meint: „Das mach ich doch toll. Ich kann das.“ Da kann ich nur zustimmen.

Nach etwa 35 Minuten ist diese Arbeitseinheit beendet.

Konstantin verabschiedet sich mit den Worten:

„Und morgen rechnen wir bis 100!“ und läuft nach draußen.

Beim nächsten Treffen setzt er sich an den Computer und verkündet: „Heute machen wir die Aufgaben der zweiten Klasse. Die anderen kann ich schon, die hab ich zu Hause gerechnet.“
Also rufe ich das Programm für die zweite Klasse auf und er fängt mit den Plus-Aufgaben an. Sie beginnen mit der Zehnerreihe, zum Beispiel: 20+20= oder 30+40=; Konstantin begreift schnell und löst die Aufgaben ohne Mühe.

Nun will er Minus-Aufgaben rechnen, was ihm dann nicht so gut gelingt. Er meint: „Na, für das zweite Schuljahr bin ich noch nicht so fit. Aber ich kann ja üben, aber jetzt habe ich keine Lust dazu.“ Er schließt diesen Teil des Programms und rechnet noch einige Aufgaben für die erste Klasse.

Während er so rechnet, erzählt er mir, dass er Italien-Fan ist. Auf meine Frage „Wie kommt das denn?“ antwortet er: „Ich war schon in Italien und außerdem kann ich schon viel Italienisch sprechen.“ Er gibt mir auch eine Kostprobe seines Könnens, was mich sehr beeindruckt. Ich hatte bis jetzt keine Ahnung davon, er hat noch nie davon erzählt. Vielleicht ist es so, dass besonders begabte Kinder mit ihren Fähigkeiten oft auch zurückhaltend sind und sie nicht in den Vordergrund stellen – weil es einerseits für sie ganz normal ist und sie andererseits nicht auffallen und anders sein wollen als die anderen Kinder?

Im Gespräch stellt sich heraus, dass Konstantins Mutter etwas Italienisch kann und sie es mit ihm auch spricht. Ich schlage ihm vor, doch mal mit Sergio italienisch zu sprechen, dessen Vater Italiener ist.
„Nein,“ sagt Konstantin, „der kann das zu gut für mich. Vielleicht wenn ich mit fünfeinhalb in die Schule komme, geht das besser.“ Damit ist das Thema beendet und Konstantin rechnet weiter.

Als ich merke, dass seine Konzentration nachlässt, mache ich ihm den Vorschlag, sich doch mal selbst ein paar Aufgaben auszudenken und diese dann zu lösen. Er scheint nicht abgeneigt, hat jetzt aber keine Lust mehr und sagt: „Du kannst dir ja mal was überlegen. Ich tu das auch.“ Damit ist das Treffen beendet.

Ich denke, dass Konstantin sich nun Gedanken über Aufgaben machen wird.

Rechen-Rallye

Das Lernprogramm gibt ihm Einiges an Stoff und bringt ihn in seinem Zahlenverständnis weiter. Ich möchte, dass er sein Wissen auch in anderen Situationen nutzen kann, und möchte auch nicht, dass er nur am Computer sitzt.
Also habe ich mir überlegt, mit ihm eine Rechen-Rallye zu entwickeln und durchzuführen.
Jetzt beginnen bald die Ferien, dann werden weniger Kinder im Haus sein und wir können uns ungestörter bewegen. Wenn Konstantin dazu bereit ist, beziehen wir auch andere Kinder ein, die schon kleinere Rechenaufgaben lösen können.
Natürlich darf er auch an dem Rechenprogramm im Computer weiterarbeiten.

Ich erzähle Konstantin von der Idee der Rechen-Rallye und er ist begeistert.

Jetzt tritt aber wieder eine längere Unterbrechung unserer Arbeit ein. Zuerst ist Konstantin ein paar Tage im Urlaub, dann bin ich krank und zum guten Schluss wird unsere Kita für längere Zeit zur Großbaustelle. Es wird nicht nur eine neue Gruppe angebaut, überall werden auch die Fenster ausgetauscht und es wird renoviert, so dass wir die Gruppen räumen und umziehen müssen. So kann die Rechen-Rallye nicht wie geplant durch die ganze Einrichtung laufen.

Bei unserem folgenden Treffen nach 4 Wochen ist Konstantin durch die Umstände irritiert, bringt aber Ideen für die Rallye mit. Er erzählt mir stolz, was er sich ausgedacht hat:

Vom Meer hat er verschiedene Muscheln mitgebracht. Dazu hat er sich die Aufgabe überlegt, die Muscheln zu Zehner-Päckchen zu legen und dann zu zählen. Mitgebrachte Steine will er als Legesteine benutzen, um Aufgaben zu schreiben, das Plus-, das Minus- und das Gleichheitszeichen sollen durch Stöckchen gelegt werden.

So haben wir schon eine Grundlage für die weitere Planung. Konstantin ist voll bei der Sache und erstellt mit meiner Hilfe einen Laufzettel, damit die Kinder den Weg zu den einzelnen Aufgaben finden können.

Konstantin legt auch alle nötigen Materialien bereit: Muscheln, Steine, Stöckchen und rote Punkte.
Er schreibt / malt mit meiner Hilfe Kärtchen zur Fehlerkontrolle und bastelt Orden für alle Teilnehmer. Es ist wirklich sein Projekt geworden.

Und das sind die Aufgaben, die Konstantin vorbereitet:

1.
4 + 4 =
Die Steine ordnet Konstantin wie die Punkte auf einem Würfel an, die Rechenzeichen bestehen aus Stäbchen. Für die Fehlerkontrolle gibt es zwei Kärtchen. Bei einem ist auf der Oberseite eine 10 geschrieben, auf der Rückseite ist ein trauriger Smiley zu sehen. Bei dem anderen findet man eine 8 und auf der Rückseite einen lachenden Smiley.
Neben dem lachenden Smiley ist die nächste Station aufgemalt: die Wasserpumpe im Außengelände.

2.
3 x 10 =
Muscheln sind in 3 Zehnerpäckchen gelegt. Die Fehlerkontrolle funktioniert ähnlich wie bei Aufgabe 1.
Der Wegweiser führt zur Rutsche.

3.
Abzählen von roten Punkten.
Dazu muss man an der Rampe hochgehen und hinunter rutschen. Die richtige Lösung ist 15. Wiederum Kärtchen zur Fehlerkontrolle und ein Wegweiser zur „Bärengruppe“.

4.
12 Stühle minus 6 Stühle =
Dazu malt Konstantin einen Stuhl und daneben eine 12, dann das Minuszeichen und dann noch einen Stuhl mit einer 6 daneben.
Wegweiser zum Waschraum.

5.
Zahlenreihe vervollständigen.
Es gibt Karten mit den Zahlen 10 bis 20, die 16 ist dabei ausgelassen. Das muss herausgefunden werden.
Wegweiser zur „Bärengruppe“. Hier ist das Ziel, hier bekommen die Teilnehmer die Orden verliehen.

Die ganze Vorbereitung hat mehrere Treffen in 14 Tagen gebraucht; eins der Treffen möchte ich beschreiben:

Konstantin will die Karten für die Zahlenreihe herstellen. Ich habe passendes Papier und Stifte mitgebracht. Konstantin sagt: „Ich will die Zahlen aber nicht schreiben.“ Ich: „Soll ich sie schreiben?“ Konstantin: „Nein, der Computer.“ Auf die Idee, den Computer in die Vorbereitung einzubinden, bin ich gar nicht gekommen. Konstantin hat aber schon eine Vorstellung: „Da gibt es Zahlen, die sehen so dick aus.“ Ich: „Wir schauen mal, was es alles gibt, und dann suchst du sie aus.“

Da ich in der grafischen Gestaltung mit dem Computer nicht geübt bin, hat die Suche eine ganze Weile in Anspruch genommen. Aber Konstantin ist am Ende mit dem Ergebnis zufrieden.

Konstantin wirbt fürs Rechnen

Bei einem Treffen gehen Konstantin und ich den Weg der Rallye ab und Konstantin stellt fest, dass die Neugier der anderen Kinder geweckt wird.
Finn fragt: „Was macht ihr da?“
Konstantin: „Wir machen einen Rechen-Weg. Den kannst du auch machen, wenn er fertig ist.“
Finn: „Das kann ich nicht.“
Konstantin: „Na klar, so schwer mache ich den nicht oder ich helfe dir.“
Finn: „OK.“ Er geht wortlos weg.

Konstantin wundert sich wohl etwas über Finns Reaktion, er sagt zu mir: „Komisch, sonst spielt Finn mit mir alles.“ Ich: „Vielleicht denkt er, dass das Rechnen zu schwer für ihn ist, weil er ja noch nicht in der Schule ist. Du kannst, wenn wir fertig sind, nochmal mit ihm reden und ihm erklären, dass es Aufgaben sind, die er auch schon kann. Vielleicht zeigst du ihm eine Aufgabe, die ihn überzeugt.“ Konstantin: „Ja, das mache ich.“ Er tut es und es hilft.

Ein Mädchen aus einer anderen Gruppe zeigt sich interessiert und fragt, ob sie auch mitrechnen darf. Dieses Kind ist ein Maxi- (Vorschul-) Kind und meiner Ansicht nach auch überdurchschnittlich begabt. Konstantin freut sich sichtlich über die Frage und sagt: „Ja klar, wenn wir fertig sind, sag ich dir Bescheid.“

Die Frage des Mädchens ist für Konstantin aufbauend; ich habe das Gefühl, dass er von Finns Reaktion recht getroffen war. Aber hier kann man erkennen, dass sich an dieser Stelle die Interessen der Beiden trennen und Finn sich ausklammert.
Konstantin erlebt eine Zurückweisung, weil ein anderes Kind glaubt, nicht mithalten zu können. Diese Situation wird er wohl noch öfter erleben – wie jedes besonders begabte Kind – und muss lernen, damit umzugehen.

Konstantin hat Erfolg

Die Rallye ist für Konstantin ein voller Erfolg. Er zeigt große Klarheit und Übersicht, als wir den Parcours aufbauen.
Etliche Kinder nehmen daran teil und finden es toll. Für einige von ihnen ist es schwierig, aber Konstantin ist als Ratgeber unterwegs, ohne aufdringlich zu sein. Die anderen Kinder spüren seine Expertise, was ihm gut tut. Er ist am Ende stolz und zufrieden.

Als momentanes Fazit kann ich sagen, dass Konstantin wieder zu seinem früheren Interessen-Eifer zurück gefunden hat. Seine Mutter gab mir die Rückmeldung, dass Konstantin sich wieder jeden Tag freut, in den Kindergarten zu kommen, weil er ja eine wichtige Aufgabe hat, und dass die Arbeit am Computer ihm Spaß macht.

 

Datum der Veröffentlichung: März 2014
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