von Barbara Teeke

 

In der Literatur sind verschiedene Stellungnahmen und Hinweise zur Annäherung an eine Erklärung des Begriffes Hochbegabung zu finden, wobei Einigkeit darüber herrscht, dass eine allgemeingültige, abschließende Definition nicht vorliegt. (s. Stapf 2003, Fleiß 2003, Heller 2001).

…kurz gefasst…

Unterschieden werden in diesem Modell zwei Varianten hoher Begabung:

Zum einen die intellektuelle und vernetzte Hochbegabung und zum anderen die hohen Begabungen in einzelnen Bereichen.

Hochbegabung wird hier als Gabe, als Geschenk sowie als Disposition gesehen.

Diese Gabe steht in Wechselwirkung mit verschiedensten Einflüssen, die das Kind begleiten, die es prägen und die ihm bei positivem Verlauf zu einem Selbstbild und Selbstverständnis verhelfen, das es ihm ermöglicht, seiner Umwelt positiv bejahend und gefestigt entgegenzutreten.

Bewusst wurde in diesem Modell die Rolle des Kindergartens einbezogen, da die dort arbeitenden Fachkräfte nach und neben der Familie eine wichtige begleitende und unterstützende Funktion einnehmen.

Ein weiterer Unterschied zu den meisten Modellen besteht darin, dass als Resultat einer hohen Begabung nicht eine exzellente (messbare) Leistung vorausgesetzt wird. Ausgegangen wird vielmehr davon, dass bei einem Menschen, der eine bedürfnisgerechte Förderung erhalten hat und gefestigt im Leben steht, Leistung aus dem inneren Bedürfnis resultiert und inhärentes Merkmal der Person ist.

Verschiedene Modelle wie u.a. das Münchner Hochbegabungsmodell von Heller, Perleth und Hany oder das Mehrdimensionale Begabungskonzept nach Urban stellen die Interaktion von Anlage- und Umweltfaktoren und deren Sichtbarwerden dar. Weitere Modelle sind anschaulich in Hollling/Kanning (1999) dargestellt, auf die ich an dieser Stelle gerne verweise.

Überein stimme ich mit der Darstellung von Holling/Kanning, dass die Diagnostik der Hochbegabung untrennbar mit ihrer Definition verbunden ist (vgl.: Holling/Kanning, S. 21).

Zu einer fundierten Diagnostik ist auch ein entsprechendes Menschenbild unabdingbar. Daher wird an dieser Stelle meine Haltung zu dem Thema Hochbegabung dargestellt:

Ich bin überzeugt, dass eine hohe Begabung einem Menschen als Gabe – als Geschenk von Geburt an – mitgegeben ist. Diese Gabe ist positiv besetzt und es gilt, sie anzunehmen und zu pflegen.

 

Bedingungsmodell zur Entfaltung von Hochbegabung

 

 

 

 

 

 

Zwei Varianten von Hochbegabung können unterschieden werden.

Variante 1: Intellektuelle und vernetzte Hochbegabung

 

Hierbei werden die hohen intellektuellen Fähigkeiten als Ausgangsbasis dafür gesehen, komplexe, anspruchsvolle, exzellente Gedankengänge zu tätigen.

Diese Grundlage vernetzt sich mit weiteren Fähigkeiten aus unterschiedlichen Bereichen, wobei diese Bereiche nicht gleichrangig sind und nicht als Punkte einer Checkliste verstanden werden sollen:

  • geistige Kreativität,
  • Neugierde und Wissensdurst,
  • Begeisterung für und Hingabe an individuell interessierende Themengebiete,
  • Vernetzung mit Fähigkeiten zum Beispiel aus den Bereichen Mathematik, Musik, Sprache…

Variante 2: Hohe Begabungen in einzelnen Bereichen

wie zum Beispiel:

  • mathematische,
  • musikalische,
  • soziale,
  • motorische hohe Begabung.

Zur Verdeutlichung: Bei einem Menschen, der über exzellente Fähigkeiten im sportlichen Bereich verfügt, kann dies auf diesen Bereich beschränkt sein, ohne dass er intellektuell und vernetzt hoch begabt ist.

Würde allein die intellektuelle Hochbegabung für sich genommen werden, wäre sie nur ein einzelner Bereich und damit der Variante 2 zuzuordnen. Allerdings kann ich aus meiner Erfahrung heraus sagen, dass die Begabungen hoch begabter Menschen vielschichtiger und bereichsübergreifender sind, als dies bei hoher Begabung in einzelnen Bereichen anzutreffen ist.

Dieses Geschenk Hochbegabung unterliegt der Wechselwirkung verschiedener Einflüsse:

Als Grundlage ist die psychisch-physische Disposition zu berücksichtigen, die das Kind mitbringt.

Als Personenkreis, der auf das Kind einwirkt, sei hier zunächst die Familie genannt, in der das Kind nach seiner Geburt aufwächst, die es prägt und die ihm erste Eindrücke und Erfahrungen vermittelt.

Im Weiteren folgen die Kindertageseinrichtung, die Schule, die Freunde sowie das weitere soziale Umfeld. All diese Gruppen nehmen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes und auf sein Selbstkonzept. Von ihnen hängt ab, welche unterschiedlichen Erfahrungen das Kind machen kann, welche Herausforderungen es zu bewältigen lernt, welche Förderung es erhält.

Weitere Umwelteinflüsse sind die soziokulturellen Bedingungen, in denen das Kind aufwächst, prägende Einflüsse, Anreize, Förderungen und vermittelte Erfolgserlebnisse.

Weil die soziokulturellen Bedingungen, in denen ein Kind aufwächst, zunächst einmal nicht beeinflussbar sind, ist es auch für die Gruppe der hoch begabten Kinder sehr wichtig, dass sie auf Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen treffen, die ihre hohen Fähigkeiten und Fertigkeiten erkennen, wahrnehmen und anregend begleiten. Eine gezielte Förderung auch der hoch begabten Kinder ist notwendig, um ihnen dabei zu helfen, ein positives Selbstkonzept zu erlangen. Dabei sind Herausforderungen, die sich nicht an dem Alter der Kinder, sondern an ihren individuellen Bedürfnissen, an ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten orientieren und ihnen die Möglichkeit geben, darüber hinauszuwachsen, unabdingbar. Dieses Ausprobieren und Grenzen überschreiten sollte einhergehen mit dem Erlebnis, Erfolg davon tragen zu können. Hiermit ist die freudige Befriedigung gemeint, etwas geschafft zu haben, die Freude daran, dass es von anderen Personen wahrgenommen wird. Was vielleicht so selbstverständlich klingt, ist für hoch begabte Kinder nicht immer die Regel, da sie mitunter selten in die Position kommen, über sich hinaus zu wachsen und etwas Neues lernen zu können – und zwar dann, wenn es ihrem Lernbedürfnis entspricht (und nicht ihrem Alter).

Diese Voraussetzungen und Einflüsse werden ergänzt durch das Erlernen, das Auf- und Ausbauen

  • vorhandener Fähigkeiten und Fertigkeiten,
  • sozialer Kompetenzen,
  • Lernstrategien,
  • Ressourcennutzung,
  • methodischer und praktischer Fertigkeiten,
  • Leistungsbereitschaft und
  • Ausdauer

Gerade die sozialen Kompetenzen werden häufig bei hoch begabten Kindern sehr kritisch eingeschätzt. Nicht selten werden die sozialen Kompetenzen eines hoch begabten Kindes im krassen Gegensatz zu seinen übrigen Fähigkeiten gesehen. So wird mitunter Eltern von Seiten der pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen vermittelt, dass ihr Kind im Hinblick auf seine kognitiven Fähigkeiten unbedingt schulreif sei, jedoch seine unzureichenden sozialen Kompetenzen gegen eine Einschulung zu diesem Zeitpunkt sprechen.

Dies mag auf einen Teil der hoch begabten Kinder zutreffen, für die der reguläre Zeitpunkt der Einschulung sinnvoll ist, um noch weitere Kompetenzen zu erlernen und zu festigen oder positive Erfahrungen zu sammeln, die ihm bislang nicht möglich waren (beispielsweise tatsächlich im letzten Kindergartenjahr zu erleben, was es heißt, einen Freund zu haben).

Für den anderen Teil der hoch begabten Kinder ist soziale Kompetenz jedoch gar kein Thema mehr,

  • wenn sie in eine Gruppe mit ähnlich befähigten Kindern kommen,
  • wenn sie in die Schule kommen und dort endlich herausgefordert werden und lernen dürfen,
  • wenn es ihnen ihre frühe Einschulung ermöglicht, auf Kinder zu treffen, die älter sind und dadurch über Kompetenzen verfügen, die das hoch begabte Kind in seiner Kindergartengruppe mit jüngeren und gleichaltrigen Kindern nicht vorfindet.

Der Erwerb von Lernstrategien, das Lernen zu lernen ist ebenfalls sehr wichtig für hoch begabte Kinder. Sie lernen Vieles quasi “im Vorbeigehen“, ohne dass sie sich wirklich anstrengen müssen, und sind dadurch häufig ihren Klassenkameraden weit voraus. Leistungsbereitschaft und Ausdauer, sich auch mit subjektiv nicht interessierenden Themen zu beschäftigen, gehört ebenfalls zu den Anforderungen, die für hoch begabte Kinder häufig schwer zu akzeptieren und zu erfüllen sind.

Am Ende dieses Weges des Erkennens, Förderns und Begleitens steht nach meiner Auffassung eine gefestigte, in sich ruhende Persönlichkeit, die ihre Begabung mit ihren erworbenen Fähigkeiten kombiniert, einsetzt und erweitert.

Ergänzende Anmerkungen zu diesem Modell:

  • Bewusst wurde hier die wichtige Rolle der Kindertageseinrichtungen mit einbezogen, da diese häufig bei der Betrachtung keine Beachtung findet. So kann in anderen Modellen der Eindruck gewonnen werden, dass Hochbegabung erst in der Schule auftritt, was jedoch falsch ist. Allerdings rücken hoch begabte Kinder häufig erst während ihrer Schulzeit in den Blickpunkt, da sie hier im Zusammenhang mit ihrem positiven oder negativen Umsetzen der geforderten Leistungen auffallen. Dabei kann gerade dieses Auffallen wünschenswert sein – wenn es nämlich am Ende durch ein genaueres Erkennen der Lernbedürfnisse und ein angemesseneres Fördern zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation des Kindes führt. Es werden jedoch auch immer häufiger schon Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen auf hoch begabte Kinder aufmerksam, vor allem nachdem sie Weiterbildungsmöglichkeiten genutzt haben.
  • Betrachtet man verschiedene Modelle zur Hochbegabung, findet man häufig am Zielpunkt der Überlegungen die Leistung, die aus einer Hochbegabung resultieren soll. Viele Modelle gehen davon aus, dass hoch begabte Menschen sich durch hervorragende Leistung zeigen und sich über diese Leistung definieren lassen.
    Bei dieser Sichtweise finden „underachiever“ (Personen mit hohem IQ, aber geringen sichtbaren Leistungen) keine ihnen gebührende Beachtung. Diese fehlerhafte Sichtweise setzt sich für die Kinder / Jugendlichen häufig durch ihre gesamte Kindergarten- und Schulzeit fort und führt zu einer fatalen Einschätzung, Förderung und Begleitung dieser Kinder.
    Bewusst wird hier eine andere Sichtweise verfolgt, die den Menschen in den Vordergrund stellt und ihn nicht über seine Leistung definiert. Ich bin von Folgendem überzeugt: Wenn ein Mensch wahr-, an- und aufgenommen wird, wenn er gefordert und seinem individuellen Bedürfnis entsprechend gefördert wird, dann resultiert Leistung aus seinem inneren Bedürfnis und ist inhärentes Merkmal der begabten Persönlichkeit.

Literatur zum Beitrag:

Fleiß, Ida (2003):
Hochbegabung und Hochbegabte
Mit Berichten Betroffener. Tectum Verlag, Marburg
ISBN 3-8288-8452-0 (Preis ca. 25,90 €)

Heller, Kurt A. (Hrsg.) (1992 u. 2001):
Hochbegabung im Kindes- und Jugendalter
2. überarbeitete und erweiterte Auflage.
Hogrefe-Verlag, Göttingen, Bern, Toronto, Seattle
ISBN 3-8017-1376-8

Holling, Heinz; Franzis Preckel, Miriam Vock (2004):
Intelligenzdiagnostik
Hogrefe-Verlag, Göttingen, Bern, Toronto, Seattle, Oxford, Prag
ISBN 3-8017-1626-0 (Preis ca. 24,95 €)

Holling, Heinz; Kanning, Uwe Peter (1999):
Hochbegabung
Forschungsergebnisse und Fördermöglichkeiten.
Hogrefe-Verlag, Göttingen, Bern, Toronto, Seattle
ISBN 3-8017-1294-X (Preis ca. 49,80 €)

Stapf, Aiga (2003):
Hochbegabte Kinder. Persönlichkeit, Entwicklung, Förderung
Verlag C.H.Beck, München
ISBN 3 406 502520 (Preis ca. 16,90 €)

Urban, Klaus K. (2004):
Hochbegabung
Aufgaben und Chancen für Erziehung, Schule und Gesellschaft
LIT Verlag, Münster. ISBN 3-8258-8246-2 .

Barbara Teeke ist Erzieherin und Diplom-Sozialpädagogin mit Ausbildung in pädagogisch-psychologischen Testverfahren.
Sie führt Förderdiagnostik durch (in einer Praxis in Witten) und arbeitet als freie Mitarbeiterin, Kursleiterin und Referentin am IHVO Bonn.
E-Mail: barbara.teeke@gmx.de

Datum der Veröffentlichung 5.5.07 / Version 5.5.07