von Isabel Bonifert-Manig

 

In der Theatergruppe unserer Kita war Winnie (3;9) mit älteren, begabten Kindern zusammen. Es war für sie eine Akzelerationsmaßnahme.
(Siehe: Akzeleration und Enrichment.)

Mehr zu Winnie: Winnie ist sehr weit.

Winnie hielt sich in dieser Gruppe sehr zurück und hörte ganz genau den anderen Kindern zu. Das Bilderbuch „Es klopft bei Wanja in der Nacht“, das als Grundlage für das Theaterspiel diente, ist in Reimform geschrieben. Winnie konnte schon beim zweiten Vorlesen der Geschichte viele Reime wiedergeben und war in der Lage, sogar neue Reimwörter zu finden. Hier machte ihr diese Herausforderung richtig Spaß.
Weiterhin fand ich bemerkenswert, dass sie zum Schluss unserer ersten Bilderbuchbetrachtung – kein Kind kannte das Buch – im Buchdeckel sofort einen Namen in Schreibschrift erkannte und vorlas. Ein sechsjähriger Junge rief gleich empört:

„Du kannst doch noch nicht lesen!“ Winnie antwortete sofort kleinlaut: „Nein, ich kann es nicht.“

Ich sagte im Beisein aller Kinder, dass es durchaus möglich und auch völlig in Ordnung sei, wenn man auch schon vor der Schule lesen kann. Als ich Winnie unter vier Augen noch mal auf dieses Leseerlebnis ansprach, sagte sie, sie könne manchmal etwas lesen.

Diese Begebenheit zeigte mir wieder einmal, dass die Kinder manchmal lieber dem Gruppendruck unterliegen als zu ihren besonderen Fähigkeiten zu stehen – geschweige denn sie als positives Potential zu verbuchen.

Gerade in dieser Theatergruppe, die die besonders begabten Kinder aus unserer Kita vereint, soll jedes seine Fähigkeiten auch zeigen dürfen. Nach meiner bewussten Bestätigung vor allen Kindern traut sich vielleicht das eine oder andere Kind, auch mehr von seinen Begabungen zu zeigen, als man im Kindergarten eigentlich „darf“. Hier habe ich als Erzieherin die Möglichkeit, zu intervenieren, zu vermitteln und somit die Kommunikation in der Gruppe zu verbessern.

Das Theaterprojekt kam nach der Winterpause in der Gruppenkonstellation nicht mehr zustande. Ich hatte das Gefühl, dass die älteren Kinder nach der Ferienpause das Projekt als schon bekannt und dadurch uninteressant empfanden. Winnie dagegen hätte gerne weitergemacht.

Auch bei gut überlegten und ausgewählten Angeboten ist noch lange nicht sichergestellt, dass die Kinder auch motiviert mitmachen. Das Theaterprojekt kam im neuen Jahr wie erwähnt nicht mehr zustande. Die Kinder hatten keine Lust weiterzumachen und so musste ich mir für Winnie, die eigentlich gerne weitermachen wollte, wieder etwas anderes überlegen. Für Winnie als Jüngste wäre diese Gruppe weiterhin eine Herausforderung gewesen, für die anderen begabten Kinder war dies nicht der Fall.

Die besonders Begabten einfach in einer Gruppe zusammenzuführen, erscheint nicht immer als völlig sichere und  erfolgversprechende Lösung, um sie gleichermaßen zu fördern. Hierbei habe ich die Erfahrung gemacht, dass man auch bei hoch begabten Kinder, selbst wenn sie eine Zeit lang durch eine Aufgabe herausgefordert wurden, immer wieder darauf gefasst sein muss, dass es sie plötzlich gar nicht mehr interessiert.

Gründe dafür könnten sein, dass sie ihre Beschäftigung schon gründlich ausgekostet haben und man es als Erzieherin gar nicht so schnell verfolgen konnte. Vielleicht wird auch die Gruppe als unattraktiv empfunden und das ist die Ursache dafür, dass ein ursprünglich gutes Angebot nicht mehr weitergenutzt wird.

Einen so rigorosen Ausstieg habe ich deutlich öfter bei Jungen erlebt, die ganz klar ihre Meinung kundtaten, während Mädchen oft dazu neigten, der Gruppe oder der Erzieherin wegen nicht auszusteigen, sondern auszuharren. Hier darf man geschlechtsspezifische Aspekte bei hoch begabten Kindern nicht außer Acht lassen. Gerade im Vorschulalter hat man noch die größten Möglichkeiten, Mädchen stark zu machen und den typischen Verhaltensmustern, die Mädchen sehr schnell verinnerlichen, entgegenzuwirken. Nur so können ihre Begabungen überhaupt erkannt und gezielt gefördert werden. Hoch begabte Mädchen ähneln in ihren kognitiven Interessen (und Nicht-Interessen) den hochbegabten Jungen sehr, vertreten diese Interessen aber oft nicht genauso vehement. Dazu brauchen sie verstärkte Hilfe.