von Dorit Nörmann

 

Unsere Konzeption sieht vor, dass von unseren zwei Kindergartengruppen immer eine buten (draußen) und eine binnen (drinnen) ist. Das bedeutet zum einen, dass die eine Gruppe für einen Monat im Haus doppelt so viel Platz hat; zum andern bedeutet es, dass die andere Gruppe derweil bis mittags draußen im Wald ist. In jedem Monat gibt es zwei Begegnungstage, dann treffen sich beide Gruppen drinnen im Haus, danach kommt der Wechsel. Für uns hat sich dieses Konzept gut bewährt, es verbindet die Vorteile eines „normalen“ Kindergartens mit den Vorteilen eines Waldkindergartens.

… kurz gefasst …

Der vierjährige Sven mag Pläne. Als in seiner Gruppe sein Wohnort als Plan nachgebaut wird, zeigt er, was in ihm steckt, und bringt sich immer stärker ins Gruppengeschehen ein. Alle Kinder der Gruppe lernen viel über Grundrisse und Pläne – und das zum Teil im Wald.

Seit 2011 sind wir auch „Integrativer Schwerpunktkindergarten für Hochbegabtenförderung“ und „Konsultationskindertagesstätte in Niedersachsen“. Unsere Kinder erleben viel Natur,  allseitige Unterstützung und viel kognitive Förderung.

Das Projekt, das ich jetzt beschreibe, war unser bisher längstes Projekt. Zuerst beschäftigten wir uns fast ein halbes Jahr lang mit der weiten Welt. Denn es war Fußballweltmeisterschaft in Südafrika. Meine Gruppe fing also mit Südafrika an, dann ging es über Japan, Indien – wir entdeckten immer neue Länder, mit denen wir uns beschäftigen wollten – und über Dänemark (von hier hatte ein Kind eine Flagge aus dem Ferienhaus mitgebracht) nach Deutschland.

Aus unserer Kindergarten-Zeitung:

Wir haben uns mit den Sprachen, dem Essen, den Gewohnheiten der Länder befasst. Globus und Landkarten wurden zu Hilfe genommen, um die Länder zu verorten und zu sehen, wie weit sie von uns entfernt sind.

 

 

 

 

Für die Schriftzeichen haben wir das Bilderbuch „Marcel und die Schriftzeichen“ genutzt, das ich sehr empfehlen kann. (Siehe: Bilderbücher, Sachbücher und Geschichten.)

Es hatte sich so ergeben, dass zu der Zeit fast die Hälfte unserer drei- bis sechsjährigen Kinder im letzten Jahr vor der Einschulung war. Sie hatten viele eigene Ideen: Sie wollten Schriftzeichen malen, Essstäbchen schnitzen. An der Wand hingen Porträts von internationalen Künstlern.

Morgens bringe ich immer meine Zeitung mit, die dann ausgewertet wird, alles wird ausgeschnitten, auch das war sehr ergiebig, denn in der Zeitung waren jeweils die Flaggen der Nationen abgedruckt, die am Vortage ein Spiel hatten.

Dies war das Hauptinteresse von Sven (4;6). Er sorgte über die gesamte Zeitspanne der Weltmeisterschaft dafür, dass immer alle Flaggen da waren, dass damit alles seine Richtigkeit hatte.

Seit Sven 3 war, ist er bei uns. Über ein Jahr lang hat er kaum gesprochen – und wenn, dann nur mit den Erzieherinnen, auch nur wenn er wollte, oft hat er auf Fragen nicht reagiert, hat beim Stuhlkreis stumm dabei gesessen und nicht mitgemacht. Wenn es ihm doch mal passiert ist, dass er was gesagt hat, hat er es sofort gemerkt und ist sofort wieder verstummt. Er fühlte sich offensichtlich nicht unwohl, aber er war wenig aktiv.

In diesem Projekt ist er „aufgetaut“, hat die Flaggenfrage von sich aus zu seiner „Chefsache“ erklärt. Zuerst fanden die ältesten Kinder das seltsam und wunderten sich, dass er etwas beitrug. Als die ältesten Kinder dann in der Schule waren, kam ein neuer Junge in die Gruppe, der ein halbes Jahr jünger ist und mit dem Sven auf einer Wellenlänge ist. Und so „taute er weiter auf“.

Irgendwann sagte eins von den Kindern: „In Wietzen haben wir auch eine Flagge“, die natürlich schnellstmöglich beschafft wurde. Wietzen heißt unsere Gemeinde.

Auf dem Ortsplan war die Kirche nur als kleines Kreuz eingezeichnet.

„Komisch, dass man die Kirche (aus dem Wappen) auf dem Plan nicht sehen kann“, sagte ein Kind.

Die Kinder wollten einen Plan, auf dem man die Kirche richtig sehen kann. Wir brauchten also einen viel größeren Plan und darauf kleine richtige Häuser. Das kleinste, was zur Verfügung stand, waren unsere Holzbausteine.


Also klebten wir auf dem Boden des Gruppenraums (wir waren gerade binnen) aus Papierblättern einen riesigen Papierbogen zusammen. Darauf setzen wir eine aus Holzbausteinen gebaute Kirche.

„Wer wohnt in der Nähe der Kirche?“ Zwei Kinder konnten ihr Haus kirchnah auf den Plan setzen. Dann wurden die Bäckerei und die Schule aufgebaut und an die richtige Stelle gesetzt.

Nun fingen wir an, die Straßen einzuzeichnen. „In welche Richtung fährst du denn, wenn du nach Hause fährst.“ So mussten auch die Nachbardörfer angebaut werden. Schließlich war das Zuhause jedes Kindes auf dem Plan – und der Plan nahm den ganzen Gruppenraum ein!

Fragen, die sich anschlossen und mit Hilfe des Plans beantwortet werden konnten: „Wer hat es denn am weitesten von wem zu wem?“ – „Wo muss ich lang fahren, wenn ich zu … will?“

Solche Fragen beschäftigten uns einen ganzen Stuhlkreis lang. Die Kinder übten auch den „Draufblick“ von oben auf die Kirche und erkannten, dass man von oben nicht erkennen kann, wie die Kirche aussieht, wenn man sie von der Straße aus betrachtet.

Anschließend malten wir die Umrisse der Häuser auf den Plan (um jedes Haus herum), dann konnten die Häuser abgeräumt werden.

Als wir dann buten waren, fanden wir einen Ytong-Stein, der fast aussah wie eine Kirche. (Ytong-Steine zur Bearbeitung haben wir im Wald immer vorrätig.) Zuerst begannen einzelne Kinder, ihr Haus zu raspeln – die Größen der Häuser waren natürlich nicht aufeinander abgestimmt: Wir haben noch eine Garage – nächster Stein.

Die nächste Frage, die sich stellte: Wie stellen wir auf dem Waldboden die Straßen dar? Zunächst versuchten wir, die Straßenverläufe mit Stöcken in den Boden einzuritzen, aber das Ergebnis befriedigte uns nicht. Schließlich kamen wir darauf, Sägespäne zu benutzen. Wir fanden sie im Wald, wo nach einem Sturm mehrere Bäume gefällt worden waren.

Der Plan wurde ständig erweitert. Wenn ein neues Kind kam, wurde es auch aufgefordert und es wurde ihm geholfen, sein Haus herzustellen und ins Dorf einzufügen.

Sven hat sich sehr intensiv mit dem Plan befasst; er war es, der daran gedacht hat, dass auch neue Kinder ihr Haus dazu taten. Ihm fiel auch auf, dass wir keine Ortsschilder hatten.

Ein Mädchen, das schon schreiben konnte, hat die Ortsnamen auf gelbes Papier geschrieben und darauf geachtet, dass die Schilder auch richtig mit Stöcken aufgestellt wurden.

Sven bewegte sich auch gern in dem Plan und ging Strecken ab, um festzustellen, wie er gehen muss, um bestimmte Kinder zu besuchen. Er gab den anderen Kindern auch Anweisungen, wo ihr Haus hingehört.


Bei den kleinen Kindern half Sven – selber erst 4 Jahre alt – und organisierte den richtigen Platz. Er ist immer noch ein sehr ruhiges Kind – aber wenn er etwas sagt, hat das Sinn und Verstand.

Irgendwann im Herbst, als alles fertig war und das Buchenlaub auf den Boden fiel, kam irgendein Kind auf die Idee, den Platz sauber zu harken. Dabei gerieten alle Häuser auf einen Haufen. Aber sehr bald fingen Sven und einige andere Kinder an, das Dorf wieder aufzubauen. Jetzt steht es seit zwei Jahren, wird immer wieder ausgebessert und, wenn neue Kinder kommen, erweitert.

Datum der Veröffentlichung: März 2012
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