Vortrag bei der 4. IHVO-Fachtagung am 7. 5. 07

von Kerstin Biedebach

 

Wie alles begann

Im Januar 2002 fand in unserer Einrichtung, die ich damals leitete, eine Begehung der Heimaufsicht des Landesjugendamtes statt. Dabei sprachen wir auch über unsere pädagogische Konzeption, in der sich unsere Haltung zum Kind spiegelt. Unsere Konzeption beschreibt auch unseren pädagogischen Alltag, der sich an den Situationen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientiert. Die Konzeption stellt auch unsere methodische Umsetzung dar. Im fachlichen Austausch darüber wurde ich mit der Frage konfrontiert, ob ich mir vorstellen könnte, ein hoch begabtes Kind in die Einrichtung aufzunehmen.

In meiner eigenen Einstellung respektiere und achte ich jedes Kind mit seinem Recht auf Bildung und Betreuung. Der pädagogische Rahmen der Kita soll eine Entwicklung und Förderung seiner Kräfte ermöglichen.
Sicherlich konnte ich mir die Aufnahme eines hoch begabten Kindes vorstellen und war sehr neugierig und gespannt, was das nun für uns heißen würde.

Hungrig nach Informationen, begann ich die Recherche und sammelte möglichst viel zu dem Thema „Hochbegabung“.

Im März 2002, wunderbar zeitnah, fand in Bensberg eine Tagung zum Thema „Förderung hochbegabter Kinder“ statt. So machte sich das Leitungsteam der „Sedanstraße“ auf den Weg nach Bensberg. Wir lernten Kapazitäten auf diesem Gebiet kennen und staunten über ihre Darstellungen darüber, was für Besonderheiten diese Kinder mitbringen. Der Kopf rauchte wirklich, und so viel haben wir, glaube ich, in unserer Schulzeit nicht ein einziges Mal am Stück mitgeschrieben.

Wir lernten dort auch Hanna Vock kennen, die das Konzept eines Pilotprojekts „Schwerpunktkindergarten für hoch begabte Vorschulkinder“ vorstellte, was erstmalig starten sollte.

Mit meiner stellvertretenden Leiterin diskutierte ich diese einmalige Möglichkeit.
Zum einen waren wir von den vielen Vorträgen ein ganzes Stück betroffen, dass diese Kinder mit besonderen Begabungen kaum Angebote vorfinden und welche Entwicklung sie durchlaufen können, wenn sie nicht richtig unterstützt werden. Zum anderen zeigte sich auch die Chance und Herausforderung für die Einrichtung, ein eigenes besonderes Profil zu erlangen.

Team und Träger gewinnen

Unsere nächsten Überlegungen gingen in die Richtung „Wie sag ich´s meinem Kinde?“ Wie überzeugen wir das Team und anschließend den Träger?

Gemeinsam entschieden wir erst einmal, die ganzen Informationen zu sortieren, uns weiterhin zu belesen und kundig zu machen und dieses Thema behutsam in das Team zu tragen.

Im April 2002 nahmen wir das an uns vermittelte erste (von dem wir es ja nun wussten) hoch begabte Kind (Lena 3;2 Jahre – Name geändert) auf und begaben uns behutsam mit Kind und Familie auf den Weg. Mit der Familie haben wir uns viel ausgetauscht und lernten miteinander.

Ende 2002 luden wir Hanna Vock zu einer Fortbildung für alle interessierten Mitarbeiterinnen der städtischen Kindertageseinrichtungen nach Remscheid ein. Sicherlich war hier auch unser Ziel, Mitarbeiterinnen aus unserer Einrichtung für dieses Thema zu begeistern und dies durch eine fachkompetente Dozentin.

Im Januar 2003 luden wir Hanna Vock dann zu einer Teambesprechung in unseren Kindergarten ein. Wir setzten uns ganz intensiv mit der Weiterbildungsmöglichkeit zum Schwerpunktkindergarten auseinander. Bedenken und Ängste wurden geäußert. Was kommt an Mehrbelastung auf uns zu, was würde diese Weiterbildung kosten, und wie könnten wir das zeitlich und personell leisten?

Bei einigen Kolleginnen gab es noch kleinere Bedenken, dennoch war unser Vorhaben nicht unvorstellbar. Unserer Einrichtung ein besonderes Profil zu geben, war das Anliegen aller Mitarbeiterinnen, wobei es immer noch „Berührungsängste“ mit dem Thema Hochbegabung gab.

Wir nahmen nun Kontakt zu unserem Sozialdezernenten und zu unserem Abteilungsleiter auf, um unser Vorhaben transparent zu machen und Umsetzungsmöglichkeiten zu diskutieren.

Das war einfacher als gedacht.

Beide Vorgesetzte würden unsere Absicht begrüßen und nach ihren Möglichkeiten unterstützen. Ich formulierte einen entsprechenden Antrag auf Kostenübernahme.

Im März 2003 fand abermals in Bergisch Gladbach ein Seminar zum Thema „Hochbegabte Problemkinder“ statt, das das Leitungsteam besuchte. Nach diesem Seminar waren wir noch entschlossener, uns auf die Förderung von hoch begabten Vorschulkindern zu spezialisieren.

Zwischenzeitig hat unsere Fachabteilung geniale mathematische Rätsel lösen können, ist mit Hanna in Absprachen gegangen, und wir konnten uns für die Weiterbildung anmelden.

Wir starten ins Pilotprojekt

Im Oktober 2003 starteten wir unsere Teamweiterbildung. Es nahmen alle 4 Gruppenleiterinnen und ich als Einrichtungsleiterin teil.

Im Dezember 2003 mussten wir unsere erste schriftliche „Hausaufgabe“ abgeben. Ich kann nur sagen, dass wir doch ein wenig aufgeregt und mehr in einem gegenseitigen Austausch über ein Thema waren, als je zuvor. Wir diskutierten über unsere einzelnen Kinderbeobachtungen, unterstützten uns in Formulierungen und lasen alle Arbeiten gegen.

Im März und April 2004 traten überaus viele Medien an uns heran. Hörfunk, Zeitungen und Fernsehen wollten über unseren Kindergarten mit dem besonderen Schwerpunkt der Hochbegabtenförderung informieren.

Schreck, lass nach!

Wir entschieden uns für die örtlichen regionalen Medien. So besuchten uns die Journalisten aus Remscheid sowie der WDR (Hörfunk und Fernsehen). Auch Hanna war überrascht, gab uns Sicherheit und unterstützte uns nach Leibeskräften, denn darauf waren wir überhaupt nicht eingestellt, haben aber auch das bewältigt.

Im Mai 2004 sind wir gemeinsam nach Hannover gefahren, um dort in einem Kindergarten, der sich auf die Diagnostik und Förderung von hoch begabten Kindern spezialisiert hat, zu hospitieren. Wir nahmen viele Eindrücke und Erfahrungen mit nach Hause und konnten uns mit der dortigen pädagogischen Arbeit nicht identifizieren. Selbstsicher verfolgten wir weiter unseren Weg und erstellten einen Kindergartenflyer sowie ein Konzept zur Integration von hoch begabten Kindern.

Im September 2004 veranstaltete das Institut (IHVO) die erste Fachtagung in Köln. Hier beteiligten wir uns als Aussteller mit den Projekten, die wir bisher durchgeführt hatten.

Im Oktober 2004 bestand meine Hausaufgabe darin, einen Fachartikel für eine Zeitung zu formulieren. Zeitgleich trat die Redaktion der Zeitschrift „Kita aktuell“ an mich heran und fragte nach einem Beitrag von mir.

Wunderbar, da wäre diese Aufgabe dann auch gelöst.
Hier können Sie den veröffentlichten Zeitschriftenartikel lesen
Ebenfalls erstellten wir einen Flyer mit dem Schwerpunkt Hochbegabung für die breite Öffentlichkeit.

Im Januar 2005 folgte in Zusammenarbeit mit Hanna eine Pressekonferenz. Wir luden den WDR, den örtlichen Radiosender RSG und die örtlichen Vertreter der Zeitungen ein.

Zeitgleich veranstalteten wir gemeinsam mit Hanna eine Abendveranstaltung für Eltern und Interessierte, um unsere Arbeit vorzustellen. Es kamen über 100 Interessierte.

Im April 2005 wurden wir vom Landschaftsverband Rheinland als Aussteller zu einer Fachtagung eingeladen und konnten dort aus unserer Arbeit berichten und mit einer Fotodokumentation Projekte vorstellen.

Im September 2005 erhielten wir die persönlichen Zertifikate und durften uns fortan „Fachkraft für Hochbegabtenförderung in der Tageseinrichtung für Kinder“ nennen.

Im Oktober 2005 wurde ich in den Jugendhilfeausschuss eingeladen, um die pädagogische Arbeit mit hoch begabten Vorschulkindern vorzustellen. Die Einrichtung erhielt eine sehr positive Rückmeldung.

Im November 2005 erfolgte an mich eine Einladung der VHS in Wiehl, dort als Referentin zum Thema „Ist vorzeitiges Einschulen die einzige Lösung?“ Die Veranstaltung war mit 120 Teilnehmern überaus gut besucht, vorrangig waren pädagogische Mitarbeiterinnen anwesend, aber auch Lehrer und Eltern.

Wir schreiben das Jahr 2006, das Jahr der Zertifizierung!

Januar 2006 , die Leitung geht, die Hochbegabtenförderung bleibt.
Als langjährige Leiterin wechselte ich als Fachberaterin in die Fachabteilung des Jugendamtes, und meine sehr geschätzte stellvertretende Leiterin übernahm die Kindergartenleitung.

Zertifizierung der Kita

Im März 2006 fand in einer öffentlichen Feier im Beisein der Bürgermeisterin die Zertifizierung der Kindertageseinrichtung „Sedanstraße“ statt.

Zu diesem Zeitpunkt stellten wir für uns fest, dass wir nicht nur den hoch und besonders begabten Kindern in der Kita besser gerecht wurden, sondern dass unsere gesamte pädagogische Arbeit noch einmal eine Weiterentwicklung erfahren hat.

Rückblickend möchte ich sagen, dass wir sehr erfolgreich unser Ziel verfolgt haben, und dies konnte nur mit tatkräftiger Unterstützung unserer Ergänzungskräfte, aller sehr engagierten Kolleginnen der Einrichtung, unserer Fachabteilung und natürlich mit Hanna Vock und Barbara Teeke gelingen.

Was seitdem passierte

Vor allem sind wir in und nach dem Projekt immer sicherer und erfahrener im Umgang mit hoch begabten Kindern und ihren Eltern geworden, viele Förderideen wurden erfolgreich umgesetzt.

Aber die Kita Sedanstraße hatte auch weiterhin eine positive Ausstrahlung über den eigenen Kindergarten hinaus. Viele Dinge sind in dieser Hinsicht auch im Jahre 2006 passiert, die das Thema weiter in die Öffentlichkeit gebracht haben, wodurch sicherlich hoch begabten Kindern und ihren Familien mehr Verständnis – und hoffentlich auch mehr Unterstützung – entgegengebracht wird.

Ich möchte Einiges aus dem Jahr 2006 kurz aufzeigen:

  • Vermehrte Aufnahme von hoch begabten Kindern (Mundpropaganda).
  • Diverse Beratungsgespräche und Hospitationen anderer Kitas bei uns.
  • Besichtigungsbesuche und Beratungen interessierter Eltern.
  • Wiederholte Kontakte zur anliegenden Grundschule.
  • Bericht über unsere Hochbegabtenförderung bei der ersten Stadtteilkonferenz des neu gebildeten Stadtteils 06, bei der alle Jugendhilfeeinrichtungen zusammen saßen, um die weitere Entwicklung zu planen.
  • Besuch eines Bundestagsabgeordneten in unserer Kita.
  • Besuch eines Landtagsabgeordneten in unserer Kita.
  • Vortrag der Leitung bei der Volkshochschule Wiehl.
  • Weitere Qualifikation einer Mitarbeiterin mit dem Ziel: IHVO-Zertifikat.

Warum haben wir uns für den Schwerpunktkindergarten entschieden?

Die Darstellung zeigt die Ausgangssituation 2002, als wir mit diesem Thema konfrontiert wurden, und wir erkannten schnell, dass wir betroffenen Familien helfen und Angebote vorhalten wollten.

(Zum Vergrößern bitte in das Bild klicken.)

Ebenso war es unsere Absicht, der Tageseinrichtung mit einem gezielten Schwerpunkt ein besonderes Profil zu verleihen und uns zu spezialisieren.

Das GTK-NW, wie auch das zukünftige Kinderbildungsgesetz, geben den grundsätzlichen Auftrag zur individuellen Bildung und Förderung aller Kinder, angeknüpft an der Lebenssituation jedes einzelnen Kindes, und hierzu zählt unter anderem auch das hoch begabte Kind. Eine weitere Aufforderung besteht auch in der Integration von Kindern mit besonderer Lebensgeschichte.

Familiäre Situationen hoch begabter Kinder sind nicht annähernd weniger schwierig, als die der Familien mit behinderten oder schwerst mehrfach behinderten Kindern.

Pädagogische Kräfte müssen motiviert sein, sich stetig mit „neuen“ Lebenssituationen von Kindern auseinander zu setzen. Dies beinhaltet, sich fort und weiter zu bilden, weil jedes Kind und jede Familie ihre individuelle Geschichte mitbringen.

Wie haben wir die Teamweiterbildung bewältigt?

Voraussetzung ist, dass alle Teammitglieder der Weiterbildung zustimmen und die Finanzierung geklärt ist. Das war bei uns gegeben.

Eine große und nicht zu unterschätzende Unterstützung sind die Ergänzungskräfte, da sie an den Fortbildungstagen zuverlässig die Gruppenarbeit übernehmen. Ergänzt wurden sie durch den Einsatz von Springkräften (pädagogische Fachkräfte, die in der Regel als Krankheitsvertretungen eingestellt sind und in mehreren Kindertageseinrichtungen aushelfen oder unterstützen).

Die Fortbildungstage fanden vor Ort in Remscheid statt, und zwar über den Zeitraum von 2 ½ Jahren 7x freitags und samstags, wobei an zwei halben Tagen die Ergänzungskräfte teil genommen haben, um ebenfalls fachlich begleitet zu werden. Zudem gehörten 2 Hospitationstage zur Weiterbildung.

Die Auseinandersetzung mit Literatur und die theoretischen so wie praktischen Hausaufgaben wurden überwiegend in der Freizeit erledigt. In wenigen Ausnahmen konnten wir für nicht so umfangreiche Aufgaben auch Zeiten in der Einrichtung zur Verfügung stellen.

Die praktischen Aufgaben wurden in den einzelnen Seminarphasen für jede Teilnehmerin individuell abgestimmt, damit aktuelle Situationen berücksichtigt werden konnten. Für mich als freigestellte Leitung strukturierten sich die Aufgaben anders, da ich eher öffentlichkeitswirksam tätig werden konnte.

Gemeinsam planten wir Veranstaltungen und präsentierten unsere Einrichtung.

Nicht alles verlief absolut reibungslos, denn der Alltag einer Kindertageseinrichtung hat vielfältige Aufgaben und Herausforderungen, die fortgeführt werden müssen. Das ein oder andere Mal standen wir auch unter extremem Zeitdruck – oder das einzelne Kind, dem wir während der ersten Ausbildungsphase unsere besondere Aufmerksamkeit schenkten, kam auf einmal nicht mehr in die Einrichtung, oder unser Hausaufgabenthema passte nicht mehr zur Situation. Feste und Aktivitäten, die in der Jahresplanung festgelegt wurden, mussten ebenfalls geplant und durchgeführt werden.

Bei der Fortbildungsleiterin, die selbst Arbeitserfahrungen im Kindergarten hatte, stießen wir dabei auf Verständnis und kamen gemeinsam auf flexible Lösungen.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass mir diese Weiterbildung sehr viel Spaß gemacht hat und das (vorher schon gute) Teamgefühl weiter gestärkt hat.

Ich danke allen Beteiligten für ihr Engagement, für die Unterstützung und Begleitung und möchte Andere ermutigen, sich ebenfalls auf diesen spannenden Weg zu begeben.

 

Hier können Sie den Vortrag der jetzigen Leiterin der Kita Sedanstraße, Silvia Hempler, lesen: Lesen und Schreiben in der Kita.

Kerstin Biedebach ist Erzieherin und leitete 14 Jahre lang die Kita Sedanstr.
in Remscheid. Seit Januar 06 ist sie Fachberaterin im Jugendamt Remscheid.

 

Copyright © Kerstin Biedebach 2006, siehe Impressum.
Datum der Veröffentlichung 5.5.07