von Uta Herforth-Schödder

 

Bisher (der Text wurde im Jahr 2004 verfasst) waren Zahlen zwar kein Tabu in unserem Kindergarten, der Umgang mit Zahlen wurde aber auch nicht besonders hervorgehoben oder mit Kindern in einem Projekt bearbeitet.
Nachdem ich (als freigestellte Leiterin) im Team über die Bedeutung der frühkindlichen Beschäftigung mit Zahlen und Mengen gesprochen hatte, zeigten sich die Kolleginnen offen, diesen Bereich mit in den Alltag zu integrieren.

Unser Ziel war:

1. Für alle Kinder einen neuen Spielbereich als ständiges Angebot zu schaffen, in dem sie angeregt werden, sich mit Zahlen und Buchstaben zu befassen.

2. Herauszufinden, welche Kinder dabei besondere mathematische Interessen und Fähigkeiten zeigen.

… kurz gefasst …

Eine Leiterin gewinnt ihr Team dafür, die Kinder verstärkt mathematisch zu fördern. Sie verschafft sich durch gelegentliche Beobachtungen einen ersten Überblick über die mathematischen Talente in der Gruppe.

Hier geht es noch nicht um mathematische Hochbegabtenförderung, sondern zunächst um das Ausloten von Interessen und um das Entdecken von Kindern mit besonders weit entwickeltem mathematischem Verständnis. Dieses sind wesentliche Voraussetzungen für eine gute Förderung mathematisch besonders begabter Kinder.

Eine neue Spielecke entsteht

Im Eingangsbereich unserer Kita wurde eine neue Spielecke gestaltet. Eine Tafel und eine Magnetwand wurden zu Trennwänden, ein kleiner Teppich und ein Zeltdach gaben der Ecke einen einladenden Charakter.

Die Grundausstattung bildeten für den Anfang Tafelkreide und magnetische Zahlen und Buchstaben.

Zunächst schrieben die Kinder ihre Namen sowohl mit den Buchstaben als auch mit Kreide.

Dann fingen wir an, die Buchstaben auf die eine Hälfte der Magnettafel, die Zahlen auf die andere Hälfte zu sortieren. Die Kinder suchten sich Buchstaben und nannten dazu Begriffe, die mit diesem Buchstaben anfingen. Danach sortierten sie die Zahlen von klein nach groß.

Zwei Dreijährige fielen mir auf, sie waren besonders aufmerksam und ausdauernd: Bis zu der Menge 6 holten sie Perlen und unterschiedliche Bauklötze heran. Wir legten die entsprechende Menge zu der jeweiligen Zahl.

Es ist gut, dass die beiden Dreijährigen mitmachen konnten. Nur so konnten sie als sehr interessiert auffallen. Meine Aufgabe wird sein, weiter darauf zu achten, dass diese beiden Kinder in Zukunft genug „Futter“ erhalten.

Rechen-Puzzles

Als nächstes schafften wir zwei Rechenpuzzles an, das eine mit Plus-, das andere mit Minusaufgaben im Zahlenraum 1 – 20. (Bezugsquelle: www.schubi.de ; die Teile heißen MATHpuzzles)

Auf den Rückseiten der Puzzles ergeben sich Tierbilder, wenn die Aufgaben richtig gelöst werden. Die Rechenaufgaben enthalten jeweils drei Schwierigkeitsgrade:

1. Schwierigkeitsgrad: Aufgaben im Zahlenraum bis 10,
2. Schwierigkeitsgrad: Aufgaben im Zahlenraum bis 20 ohne Zehnerüberschreitung,
3. Schwierigkeitsgrad: Aufgaben im Zahlenraum bis 20 mit Zehnerüberschreitung.

Eine Situation, die ich beobachtete:

Meine Kollegin spielte mit sechs kurz vor der Einschulung stehenden Kindern. Manuel (6;3) und Jonas (6;1), die nach meiner Einschätzung und Beobachtung hoch begabt sein könnten, und vier weitere Kinder nahmen an dem Spiel teil. Die Erzieherin erklärte das Spiel und begann mit dem leichtesten Schwierigkeitsgrad.

Ein Mädchen orientierte sich ausschließlich an den Puzzleteilen und dem Tierbild und interessierte sich überhaupt nicht für die Rechenaufgaben. Zwei andere Kinder nahmen ihre Finger zu Hilfe und zählten sie ab. Dagegen lösten die beiden vermutlich hoch begabten Kinder die Aufgaben, ohne zum Rechnen die Finger zu benutzen.

Paula, ein weiteres Mädchen, fiel mir auf, weil sie die Aufgaben ebenfalls löste, ohne zu zählen. Beim 2. Schwierigkeitsgrad waren die Aufgaben nicht mehr mit zwei Händen zu lösen. Paula hatte die Idee, sich von einem anderen Kind die Hände von einem anderen Kind zu „leihen“. Sie hielt mit ihren Fingern die eine Zahl der Aufgabe und fragte in die Runde:

„Wer leiht mir seine Hände?“.

Ein anderes Kind zeigte dann die andere Zahl mit den Fingern, und Paula war sehr schnell in der Lage, das richtige Ergebnis zu nennen. Das heißt für mich, dass ich Paula weiter genauer beobachten werde. Sie schlug auch vor, für die Zahl 0 eine Faust zu machen.

Tomas, 5 Jahre alt, stand während der ganzen Zeit dabei und beobachtete die Situation. Ich vermute, dass bei ihm auch eine besondere Begabung vorliegt.

Gegen Ende kam Stephan dazu, der uns in der letzten Zeit durch Konzentrationsschwäche und Interesselosigkeit aufgefallen war. Er wollte das Spiel alleine machen, und zwar erst, als die anderen fertig waren. Er setzte sich an einen Einzeltisch, rechnete konzentriert und hatte innerhalb ganz kurzer Zeit die Aufgaben gelöst und machte einen zufriedenen Eindruck.

Spiel: Hol’s der Geier

Ziel des Spiels aus dem Verlag Ravensburger ist, durch listiges Ausspielen der Zahlenkarten möglichst viele Mäusekarten (die Pluspunkte enthalten) zu ergattern und die Geierkarten (die Minuspunkte enthalten) den Mitspielern zu überlassen. Am Ende werden die Pluspunkte und die Minuspunkte gegeneinander verrechnet. Wer am meisten Pluspunkte übrig hat, gewinnt.

Mehr zu dem Spiel, seinem Verlauf und den Regeln finden Sie hier. (Veröffentlichung vom Juni 2011)

Fünf Kinder spielen mit der Erzieherin, Manuel und Jonas sind ebenfalls dabei. Es muss der Zahlenraum bis 15 beherrscht werden. In jeder Spielrunde gewinnt die Zahlenkarte mit dem höchsten Wert das Rennen um die Mäusekarte. Dazwischen sind Geier-Karten eingestreut, die haben Minuswerte von -1 bis -5. Für die Geierkarten gilt die Regel: Wer in einer Runde die niedrigste Zahlenkarte ausspielt, muss die Geierkarte nehmen.

Ich beobachte, dass Jonas seine Nachbarin Janna beeinflusst, nicht die gleiche Karte wie er zu nehmen, da zwei Karten mit demselben Wert nicht berücksichtigt werden, auch nicht wenn sie den Höchstwert zeigen. Jonas bereitet es keine Probleme, Minuspunkte und Pluspunkte gegeneinander auf zu rechnen, zum Beispiel:
-4 Punkte + 2 Punkte = – 2 Punkte.

Alle Kinder erfassen mühelos die Zahlenwerte von -5 bis +15. Jonas errechnet sein Endergebnis: 9+8+4-3=18

Spiel: Lupo

Ziel des Spiels ist es, die Figuren auf die gegenüber liegende Seite zu bringen. Die quadratischen Figuren dürfen nur senkrechte und waagerechte Wege gehen (Manuel´ Kommentar: „Wie der Turm beim Schachspiel“), die runden Formen dürfen außerdem diagonal springen (Manuel: „Wie die Dame“).

Hier wird deutlich, dass Manuel bereits Schach spielt oder zumindest etwas über die beim Schachspiel erlaubten Züge weiß. Daran ist anzuknüpfen.

Anmerkung: Am Ende seiner Kindergartenzeit schlug er mich im Schach regelmäßig.

Runde und quadratische Formen werden schnell in ihren Bewegungsmöglichkeiten erfasst, Wege zum Überspringen für den anderen Spieler verbaut, bzw. eigene Vorteile gesucht,

um zum Ziel zu gelangen.

Spiel mit Quadern

Ich bin wieder in der Beobachterposition. Die Erzieherin hat viele Quader (Duplosteine) in drei Farben geholt. Damit sollen Mengen gelegt werden, um zu rechnen.

Die Gruppe unterhält sich über die Steine. Stephan meint:

„Die Zahlen gehören in die Schule“.

Jonas antwortet ihr:

„Zahlen gehören nicht in die Schule, sondern man kann rechnen, wann und wo man will!“

Diese beiden Äußerungen hätten auch von Eltern stammen können. Vielleicht ein guter Einstieg für einen Elternabend?

Zunächst legen die Kinder mit den Steinen Zahlen und Buchstaben. Dann werden mit den Steinen Mengen gebildet und zusammengerechnet.

Drei Kinder nehmen sich 10 Steine von einer Farbe, Jonas nimmt sich von jeder Farbe drei Stück und sagt:

„10:3 =3 Rest 1“

Hier wird (wie auch später noch) deutlich, dass er gedanklich bereits beim Dividieren (Teilen) ist.

Die Kinder legen 5 Steine hin, die erste Frage lautet: Wie viele sind es, wenn einer dazu kommt, wenn noch einer dazu kommt etc.?

Die nächste Aufgabe ist schwieriger: Das erste Kind bekommt einen Stein, das zweite bekommt doppelt so viele wie das erste Kind, also wie viele? Das dritte bekommt wieder doppelt so viele wie das zweite, das vierte bekommt doppelt so viele wie das dritte. Wie viele Steine bekommen das zweite, das dritte, das vierte Kind?

Und weiter:

Wir gehen einkaufen. Wir bekommen zwei Steine im ersten Geschäft, zwei Steine im zweiten Geschäft, zwei Steine im dritten Geschäft, zwei Steine im vierten Geschäft, zwei Steine im fünften Geschäft. Wie viel haben wir, wenn wir in das erste, das zweite, das dritte, das vierte, das fünfte Geschäft hinein gehen?

Anschließend bekamen die Kinder ein Arbeitsblatt, siehe Anlage am Ende des Beitrags.

In jedes Plätzchen waren Liebesperlen eingezeichnet.

Aufgabe bei den Herzplätzchen: Male die gleiche Anzahl in die anderen Herzen!

Aufgabe bei den Glockenplätzchen: Male bei jedem Plätzchen eine Liebesperle mehr hinein!

Aufgabe bei den Sternenplätzchen: Verdoppele bei jedem Plätzchen die Menge der Liebesperlen!

Aufgabe bei den Lebkuchen: Male bei jedem Plätzchen eine Liebesperle weniger!

Aufgabe bei den Halbkreisen: Male bei jedem Plätzchen zwei Liebesperlen dazu!

Manuel verstand die Aufgaben sehr schnell und löste sie zügig und richtig.

Jonas konnte sie lösen, hörte aber der Aufgabenstellung nicht immer zu, so dass Manuel ihm einige Aufgaben noch mal erklärte. Als Manuel fertig war und den Raum verließ, verlor Jonas die Motivation weiter zu machen.

Möglicherweise waren diese Aufgaben einfach zu leicht und deshalb wenig interessant für ihn.

Svenja zählte mit den Fingern ab und sie zählte die Punkte immer noch einmal nach Sie hat noch kaum eine Vorstellung von Verdoppelung. Janna benötigte Hilfe bei der Verdoppelungsaufgabe, hat den Sinn aber verstanden.

Spiel: Nikolaus – Würfelspiel

Die Erzieherin hat fünf Nikoläuse aus Plakatkarton in jeweils mehrere Puzzleteile zerschnitten. Auf der Rückseite ist eine Würfelbildmenge dargestellt. Die Kinder sollen würfeln und das entsprechende Puzzleteil hinlegen und zum Nikolaus zusammenfügen. Es sind an diesem Morgen 20 Kinder in der Gruppe. Nachdem die Erzieherin das Spiel erklärt hat, meint Jonas:

„Dann sind in jeder Gruppe 4 Kinder, denn 20 geteilt durch 5 ist 4 .

Nach diesem Spiel wird ein Kanon in zwei Gruppen gesungen. Jonas bemerkt sofort: „Dann singen immer 10 Kinder zusammen!“

Er gibt überdeutliche Hinweise, dass er schon weiter gehende Rechenkompetenzen hat. Das soll künftig berücksichtigt werden.

Spiel: Flocards

Bei Janna stellten wir fest, dass sie eine gute Orientierung und eine gute räumliche Vorstellung hat. Innerhalb ganz kurzer Zeit konnte sie bei diesem Spiel die richtige Zuordnung finden. Ein Beispiel für solche Aufgaben finden Sie am Ende des Beitrags. Dieses Spiel haben wir jetzt in jeder Gruppe doppelt angeschafft und stellen fest, dass Kinder, die eine mathematische Begabung haben und sich Räume gut vorstellen können, selbst zu diesen Spielen greifen, andere werden von den Erzieherinnen angeregt, sich damit zu beschäftigen.

Spiel: Logeo

Die Großversion des Spiels Logeo hat sich die Kindertagesstätte von den Eltern der Einrichtung zu Weihnachten schenken lassen. Es besteht aus neun hölzernen Formen (jeweils 3 Kreise, Quadrate, Dreiecke in verschiedenen Größen). Jede Form ist in den drei Grundfarben (Rot, Grün, Blau) vorhanden. Alle Teile sind mit Magneten versehen. Die Teile müssen in drei mal drei Reihen nach einer Vorlage richtig angeordnet werden. Im zugehörigen Aufgabenheft sind im Schwierigkeitsgrad ansteigende Zeichnungen zu sehen, nach denen die neun Bauteile in richtiger Weise auf einer großen Holzplatte angeordnet werden sollen.

Weiteres zu diesem Spiel siehe: Interessante Spiele.

Bereits in den ersten beiden Tagen, in denen das Spiel zur Verfügung stand, zeigten sehr viele Kinder großes Interesse am richtigen Positionieren der einzelnen Teile. Es standen immer mehrere Kinder an dieser Platte und korrigierten sich auch gegenseitig, wenn eine Aufgabe falsch gelöst war. Auch einige türkische Mädchen fanden großen Gefallen an diesem Spiel, bisher hatten sie noch wenig Interesse an abstrakten Aufgaben und Spielen gezeigt.

Fazit aus meinen Beobachtungen:

Einige Kinder sind sehr offen und interessiert am Umgang mit Zahlen und Mengen. Es gibt viele Spiele, die sich mit mathematischem Denken und räumlicher Vorstellung beschäftigen.

Mit der neu geschaffenen Spielecke und den neu angeschafften Spielen haben wir die mathematische Förderung in der Kita intensiviert.

Kinder, die sich mit diesem Bereich bisher kaum beschäftigt haben, weil sie zu wenig Anregungen bekommen haben, sind durchaus in der Lage, viele Aufgaben zu lösen, zeigen stolz ihr erworbenes Wissen, haben Erfolgserlebnisse und möchten weitere Aufgaben bekommen.

Kinder, die sich mit Zahlen, Mengen, räumlicher Vorstellung schwer tun, brauchen dringend in der Kindergartenzeit Anregungen und Hilfen, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, auch wenn sie es von sich aus nicht tun.

So decken die Kinder jetzt beim Mittagessen den Tisch und erfassen somit die Menge der am Tisch sitzenden Personen, für die sie das entsprechende Geschirr und Besteck zu decken haben.

Ich hoffe, dass – durch die gewonnene Offenheit im Team – Kolleginnen immer wieder Alltagssituationen finden, in denen sie die Kinder mit Zahlen und Mengen in Berührung bringen können.

Einige Kinder haben besondere Fähigkeiten gezeigt.

Sie brauchen weitergehende, sie stärker herausfordernde Anregungen, um ihre Begabung zu entwickeln und ihr schon vorhandenes Wissen weiter auszubauen.

Dies trifft ganz sicher auf Jonas und Manuel zu, aber auch auf Janna und auf den fünfjährigen Stephan, der die Aufgaben allein löste, und auf die beiden Dreijährigen, die mir zu Anfang meiner Beobachtungen aufgefallen waren.

Siehe auch:

Arten der Beobachtung

und die Beiträge zur mathematischen Förderung in Kap. 4.4
sowie die Beiträge
Schachspiel und Schachclub.

Datum der Veröffentlichung: Juni 2011
Copyright © Hanna Vock 2011, siehe Impressum.