von Hanna Vock

 

Viele Eltern wünschen sich, dass ihr Kind schon im Kindergarten Englisch lernt. Dafür bestehen zwei Möglichkeiten:
1. das Kind besucht einen bilingualen Kindergarten – von denen gibt es nicht besonders viele – oder 2. im „normalen“ Kindergarten wird Englisch „angeboten“. (Alles, was hier ausgeführt wird, gilt sinngemäß auch für andere Fremdsprachen.)

1. Bilingualer Kindergarten

Für Kinder, die zuhause zweisprachig aufwachsen, kann ein bilingualer Kindergarten eine gute Ergänzung zur häuslichen bilingualen Welt sein. Es ist dabei unerheblich, ob die Zweisprachigkeit sich ergeben hat, weil eine Familie eingewandert ist und nun zur neuen deutschen Umgangssprache des Kindes auch die Herkunftssprache pflegen will, oder ob das Kind in einer Familie aufwächst, in der Vater und Mutter unterschiedliche Muttersprachen sprechen. In jedem Fall erhält das Kind dann sowohl zuhause als auch im Kindergarten viel Input in beiden Sprachen und kann beide Sprachen täglich üben.

Außerdem spricht es in beiden Sprachen mit Menschen, die ihm nahe stehen
und die für das Kind emotional bedeutsam sind.

Besucht ein Kind, etwa ab drei Jahren, einen bilingualen Kindergarten, ohne die zweite Sprache bisher erlernt zu haben, ist es in einer schwierigeren Situation, da es immer wieder in die Lage kommen wird, emotional Bedeutsames (im Unterschied zu anderen Kindern der Gruppe) nicht spontan äußern oder auch nur verstehen zu können.

Hier ist aufmerksame und sorgfältige pädagogische Arbeit, die das berücksichtigt, umso wichtiger. Es eröffnet sich aber auch ein weites Feld für soziales Lernen der Kinder untereinander, die für die Nöte der Kinder, die noch im Sprachrückstand sind, sensibilisiert werden und in akuten Situationen Hilfestellung leisten können.

Entschärft wird dieses Problem, wenn weitgehend sicher gestellt ist, dass stets eine Erzieherin jeder Sprache für die Kinder ansprechbar ist.

Für hoch begabte Kinder und ganz besonders für sprachlich hoch begabte Kinder kann der Besuch eines bilingualen Kindergartens eine passende kognitive und sprachliche Herausforderung sein.

Dabei ist immer zu prüfen, ob der Kindergarten nur mit Bilingualität punktet, oder ob auch andere Spiel- und Lern-Bereiche auf hohem Niveau vertreten sind. Vor allem: Ist es ein Ort für Kinder, an dem sie alle wichtigen kindlichen Bedürfnisse ausleben können?

Siehe auch: Gütekriterien für Hochbegabtenförderung

2. Angebote im Regelkindergarten

Erzieherinnen sehen sich auch in ganz normalen Regelkindergärten mit dem Anspruch von Eltern konfrontiert, zum Beispiel Englisch anzubieten.

Ist eine englische Muttersprachlerin unter den Erzieherinnen oder eine Erzieherin, die die Sprache aus anderen Gründen sehr gut beherrscht, dann kann sie im Rahmen ihrer normalen Arbeit immer wieder spielerisch Englisch einfließen lassen.

Manche Eltern stellen sich aber etwas anderes vor. Sie wünschen einen regelmäßigen Kurs innerhalb des Kindergartentages, der systematisch Sprachkenntnisse vermittelt.

Als ich Leiterin eines Elterninitiativkindergartens war, wurde ich mit genau diesem Wunsch immer mal wieder bestürmt, mit Hinweis auf die unwiderbringlichen Sprachlernmöglichkeiten im Kindergartenalter.

Und das waren die Überlegungen, die ich dann auf Elternabenden in die Debatte geworfen habe:

1.
Als unsere Aufgabe im Kindergarten sehen wir an,
– erstens die Kinder erleben zu lassen, dass es unterschiedliche Sprachen gibt,
– zweitens den Klang anderer Sprachen anzuhören und auszuprobieren,
– drittens zu sehen, dass manche Sprachen ganz andere Schriftzeichen verwenden, und
– viertens es für sie deutlich zu machen, dass Kinder, die sich mit der deutschen Sprache (noch) schwer tun, oft eine andere Sprache schon prima beherrschen (was diesen Kindern in der Gruppe einen besseren Stand einbringt).

2.
Man muss sich darüber im Klaren sein – und sollte es den Eltern sagen, dass gelegentlicher spielerischer Kontakt zur englischen (oder einer anderen) Sprache nicht zu deutlichem Spracherwerb führt. Brocken, die so gelernt wurden, werden fast immer wieder vergessen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn
– nach dem Kindergartenbesuch eine zeitliche Lücke von zwei oder mehr Jahren entsteht, also erst in der 3. Klasse oder noch später wieder Englischunterricht stattfindet, oder wenn
– im häuslichen Umfeld nicht Englisch gesprochen wird.

3.
Kinder, die nicht ausgesprochen sprachbegabt sind, wären von einem intensiven Lernprogramm überfordert, vor allem dann, wenn weder Deutsch noch Englisch ihre Muttersprache ist. (Besonders sprachbegabte Kinder könnten ein solches Programm allerdings gut bewältigen.)

4.
Das oft von den Eltern angestrebte akzentfreie Erlernen einer anderen Sprache gelingt nur dann, wenn das Kind dafür begabt ist und / oder früh von der Sprache umgeben ist.
Es wird dann noch von Bedeutung sein, mit welchem Englisch das Kind in Kontakt kommt (britisches, amerikanisches, australisches, kanadisches … Englisch). Dieses „akzentfreie“ Englisch wird es erlernen.
Hier stellt sich mir auch die Frage: Wie wichtig ist es, eine Fremdsprache akzentfrei zu beherrschen?

5.
Wenn wir eine Muttersprachlerin auf Dauer beschäftigen wollen, ist das ein Kostenfaktor. Auf keinen Fall darf es unsozialerweise darauf hinauslaufen, dass nur die Kinder teilnehmen können, deren Eltern in der Lage sind, es zu bezahlen.

6.
Wenn wir Jemanden von außerhalb mit dem Englischkurs betrauen, müssen wir zeitliche Einschränkungen für unsere ureigene pädagogische Arbeit in Kauf nehmen: Projekte müssen dafür unterbrochen werden und wir müssen die Kinder dafür aus dem Spiel herausholen. Das ist nicht im Sinne unserer pädagogischen Konzeption. (Siehe: Eine „alte“ Konzeption in vollständiger Länge.)

Die Wissenschaft hat in Auswertung zahlreicher Studien festgestellt

– wer hätte das gedacht –

dass in bilingualen Kindergärten „…intensives spielerisches inhaltliches Lernen in der Fremdsprache, beträchtlicher Fremdsprachenerwerb als auch der altersgemäße Erwerb der Muttersprache stattfindet, …, wenn das Programm ein geeignetes Umfeld dafür bietet und ganz bestimmte pädagogische Prinzipien umsetzt.“
(aus: Kristin Kersten, Frühes Fremdsprachenlernen in bilingualen Kindertagesstätten (Forschungsprojekt ELIAS), in: news & science. Begabtenförderung und Begabungsforschung, herausgegeben von: Österreichisches Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF), Ausgabe 1, 2012, S. 15.)

Im Weiteren werden dort als für den Erfolg bedeutsame Faktoren genannt:
„ein möglichst früher Beginn, eine lange Dauer des Programms, eine hohe Intensität im Kontakt zur Fremdsprache und ein qualitativ hochwertiger Input“.

Dies alles ist unter den normalen Arbeitsbedingungen eines Regelkindergartens kaum sicher zu stellen, es sei denn unter Vernachlässigung anderer wichtiger Bereiche.

Siehe auch: Rahmenbedingungen verbessern!

Für Englischkurse außerhalb des Kindergartens, also kommerzielle Angebote, gelten meines Erachtens ähnliche Vorbehalte, wie unter 2. bis 4. aufgeführt.

Sprachbegabte und hoch begabte Kinder kommen hier erfahrungsgemäß selten auf ihre Kosten, weil das Lerntempo für sie (unter Umständen viel) zu gering ist.

3. Was dagegen möglich und sinnvoll ist – und in vielen Kitas auch gemacht wird

Durch die Internationalität vieler Kitas und interkulturelle Projekte erfahren die Kinder in ihrem Kindergartenalltag, dass es verschiedene Sprachen gibt, zum Beispiel wenn sie Mutter und Kind beim Abholen Spanisch sprechen hören.
Sprachbegabte – und damit an Sprachen besonders interessierte – Kinder hören hier genauer hin.

In vielen Morgenkreisen begrüßen sich die Kinder gegenseitig mehrsprachig. Wichtige Wörter wie zum Beispiel „raus gehen“ oder „Mittagessen“ können in mehreren Sprachen benutzt werden. Kreativen Erzieherinnen, die selber Spaß an Fremdsprachen haben, fallen da noch viele andere Schlüsselwörter für den Kindergartenalltag ein…

Eine AG, wie zum Beispiel „Wir singen Lieder in drei Sprachen“, kann den Kindergartenalltag bereichern und sprachinteressierte Kinder begeistern.

Eine Erzieherin machte ihre Begeisterung für das britische Königshaus zu einer AG, wobei naturgemäß etliche englische Ausdrücke vorkamen.

Solche Aktivitäten liegen im Rahmen der oben genannten Aufgaben des Kindergartens in Bezug auf Fremdsprachen.

Drei ganz verschiedene Projekte mit besonders und hoch begabten Kindern finden Sie hier:

Murat will lernen: Minus-Aufgaben und Englisch

Kölsche Tön im Kindergarten

Hast du heute schon einen Eimer gefüllt?

 

Literaturempfehlung:

Elke Burkhardt Montanari, Wie Kinder zweisprachig aufwachsen. Ein Ratgeber. Hrsg. vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften.

Colin Baker, Zweisprachigkeit zu Hause und in der Schule. Ein Handbuch für Erziehende. (Auch in türkischer Sprache erhältlich.)

 

Datum der Veröffentlichung: Juni 2017
Copyright © Hanna Vock, siehe Impressum.

 

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