von Barbara Teeke

 

Begabungsdiagnostik wird häufig durchgeführt, um Teilleistungsschwächen, Behinderungen und anderes zu erkennen.

Dieser Artikel bezieht sich auf das Erkennen von Stärken/Schwächen und Begabungen.

Aus meiner Arbeit in der Begabungsdiagnostik und der Elternberatung ergeben sich folgende Erfahrungen:

Bevor Eltern sich dazu entschließen, ihr Kind testen zu lassen,

  • machen sie sich sehr viele Gedanken,
  • wägen sie Für und Wider ab,
  • sind sie sich sehr unsicher darüber, was eine Testung beinhaltet, was damit zu erreichen ist, welchen Nutzen sie daraus ziehen können,
  • fragen sie sich , ob eine Testung ihrem Kind schaden oder eine Belastung für es darstellen kann,
  • führen sie Gespräche mit Freunden, Bekannten, möglicherweise auch mit Fachkräften aus Kita oder Schule,

kurzum – sie machen sich die Entscheidung, ob sie ihr Kind testen lassen sollen, nicht leicht.

 

…kurz gefasst…

Eltern machen sich die Entscheidung, ihr Kind testen zu lassen, in der Regel nicht leicht.

Sie sind unsicher, wie eine Testung abläuft, welchen Nutzen sie daraus ziehen können und welche möglichen Konsequenzen daraus entstehen.

Sehr selten kommen Eltern lediglich mit der Fragestellung nach dem Bestehen einer Hochbegabung zu der Diagnostik. Ihre Beweggründe sind oftmals vielschichtiger und beziehen sich auf die Frage nach einer objektiven Einschätzung der Stärken und Schwächen ihres Kindes, auf die Frage nach einer Erklärung für auffälliges Verhalten, nach verständnisvoller Begleitung und nach individueller und bedürfnisgerechter Förderung ihres Kindes.

Folgende Gründe werden immer wieder genannt, die Eltern dazu bewegen, über eine mögliche Diagnostik nachzudenken und diese einzuleiten:

    • Die beiden Elternteile sind sich nicht einig darüber, ob ihr Kind über ungewöhnliche oder altersuntypische Fähigkeiten verfügt. In diesem Fall gibt es mitunter anstrengende und belastende Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Elternteilen, die zu einer wachsenden Verunsicherung und zu Reibungspunkten in der Familie führen.
  • Die beiden Elternteile sind unsicher darüber, wie sie ihr Kind einschätzen sollen. Hier klingt in den Gesprächen mit den Eltern immer wieder die Sorge an, ihr Kind möglicherweise zu unter- oder auch zu überfordern. Die Eltern sorgen sich, die Bedürfnisse ihres Kindes nicht zu kennen, die Bedürfnisse nicht richtig einzuschätzen oder auch den Bedürfnissen ihres Kindes nicht gerecht zu werden.

          Siehe: Spiel- und Lernbedürfnisse

  • Die Eltern möchten einen genaueren Einblick in die Stärken und „Noch-Nicht-Stärken“ ihres Kindes durch eine dritte Person – unabhängig von ihrer eigenen, durch tiefe Liebe geprägten Einschätzung ihres Kindes.
  • Es gibt keine aktuellen Schwierigkeiten, und die Eltern wünschen sich, dass sich ihr Kind auch in Zukunft so unproblematisch weiterentwickelt. Um dies zu ermöglichen, sehen sie eine aussagekräftige Diagnostik als Hilfe, ihr Kind in seinen Stärken und Schwächen auch weiterhin bedürfnisorientiert zu begleiten.
  • Das Kind zeigt Verhaltensweisen, die auf die Eltern und/oder auf das weitere familiäre Umfeld befremdlich wirken. Aussagen hierzu sind beispielsweise:
    „Unser Kind ist so anstrengend.“
    „Es fordert immerzu und will immer neue Anregungen.“
    „Es stellt so komische Fragen, auf die wir auch nicht immer gleich eine Antwort haben.“
    „Es will so viel wissen, was aber noch gar nicht für sein Alter geeignet ist.“
    „Es hat keine richtigen festen Freunde“
    „Es ist so wählerisch in der Auswahl seiner Freunde.“Hier möchten Eltern Anhaltspunkte erhalten, worin dieses Verhalten ihres Kindes möglicherweise begründet ist. Mitunter sind diese Eltern durch den Kindergarten oder durch andere Eltern auf die Möglichkeit einer Testung aufmerksam gemacht worden.
  • Das Kind zeigt zu Hause, im Kindergarten, in der Schule Verhaltensweisen, die ungewöhnlich – weil altersuntypisch und herausragend – sind. So mag das Kind beispielsweise dadurch auffallen, dass es sehr schnell Geschichten, Gedichte oder Lieder lernt, sich diese hervorragend einprägen und auch wiedergeben kann. Oder es fällt durch seinen umfangreichen Wortschatz und seine sehr gute Ausdrucksweise auf.In der Schule können Lehrkräfte auf es aufmerksam werden, weil es z.B. sehr schnell lesen lernt, über herausragende Kompetenzen in den Bereichen Mathematik, Lesen oder Schreiben und/oder über ein breites Wissen verfügt.
  • Das Kind zeigt zu Hause, im Kindergarten, in der Schule Verhaltensweisen, mit denen es negativ auffällt.
    Als negativ empfundene Verhaltensweisen werden beispielsweise genannt:

– Häufiges Stören im Stuhlkreis (Kita), bei der Freiarbeit oder bei Gesprächskreisen
(Schule)
– Unkonzentriertheit
– Unaufmerksamkeit
– Häufige Auseinandersetzungen mit anderen Kindern
– Unangepasstes Verhalten
– Unangemessene Reaktionen
– Immerwährende Diskussionen
– Unausgeglichenheit / ständige Unzufriedenheit
– Fehlende Integration in die Gruppe/Klasse

Siehe auch: Dauerfrustration.

  • Die Eltern werden durch Fachkräfte in Kindergarten oder Schule darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Kind über Kompetenzen verfügt, die weit über denen gleichaltriger Kinder liegen. In Gesprächen mit den Eltern empfehlen Erzieherinnen oder Lehrkräfte eine Testung,- weil sie den Eindruck haben, dass die Eltern unsicher über die Fähigkeiten und Begabungen ihres Kindes sind,
    – weil die Einschätzung der pädagogischen Fachkräfte und der Eltern bezüglich des Kindes weit auseinanderdriften,
    – weil die Fachkräfte unsicher sind, wie sie das Kind einschätzen sollen, wo seine Stärken liegen und wie sie es bedürfnisgerecht fördern sollen,
    – weil sich die Fachkräfte durch eine Testung Anregungen erhoffen, wie sie das Kind seinen Bedürfnissen entsprechend fördern können,
    – weil die Fachkräfte in der Kita zu der Einschätzung gelangten, dass sie dem Kind in ihrer Einrichtung nicht mehr gerecht werden können und eine “vorzeitige“ Einschulung in Erwägung gezogen werden sollte.

(Siehe auch: Fragen vor einer frühen Einschulung.)

       – weil die Fachkräfte das Kind dahingehend einschätzen, dass es über
wesentlich mehr Fähigkeiten verfügt, als es momentan in der Lage ist zu
zeigen.

  • Die Eltern ziehen eine Einschulung vor dem regulären Einschulungstermin in Erwägung.
    Sie denken über eine Testung nach, wenn sie unsicher darüber sind, ob die Einschulung zu dem angedachten Termin tatsächlich sinnvoll ist, ob die Einschulung dem Kind gerecht wird oder ob sie womöglich eine Überforderung für das Kind darstellt.Mitunter raten Schulleiter/Schulleiterinnen den Eltern bei dieser Fragestellung zu einer Testung, um für sich selber ein Stück weit Sicherheit bei dieser Frage zu erhalten und um dem Kind dann in der Schule seinem Entwicklungsstand entsprechend begegnen zu können.
  • Die Eltern haben für ihr Kind eine Schule mit speziellen Angeboten für besonders begabte Kinder in Betracht gezogen, die außerhalb ihres Einzugsgebietes liegt.Hier kann den Eltern ein aussagekräftiges Leistungsprofil oder ein Gutachten, das den Besuch einer Schule mit einem speziellen Angebot empfiehlt, dabei helfen, sicherer aufzutreten und ihr Anliegen fundierter zu begründen. Ein solches Leistungsprofil und ein entsprechendes Gutachten können darüber hinaus für Eltern und Lehrkräfte zur Entscheidungsfindung hilfreich sein.
  • Die Eltern und/oder die begleitenden Lehrkräfte denken über ein Überspringen einer Klasse nach und sind unsicher darüber, ob dies für ihr Kind die geeignete Förderung ist.
  • Das Kind ist sehr unsicher darüber, wie es sich selbst einschätzen soll, wo es mit seinen Leistungen und wo es in seinem Leben steht. Es möchte eine Einschätzung darüber haben, die unabhängig von der Einschätzung seiner Eltern ist (die das Kind als wenig objektiv empfindet) um sich gegebenenfalls neu positionieren zu können.Dieser Aspekt ist eher die Ausnahme und auch eher bei älteren Kindern und Jugendlichen anzutreffen. Begegnet ist mir dieser Wunsch bei einem 15-jährigen Mädchen, bei einem 13-jährigen Jungen, bei einem 8-jährigen Jungen und einem 7-jährigen Mädchen.

In all diesen Fällen wird erhofft, dass durch eine fundiert geführte Diagnostik ein tieferer Einblick in die Fähigkeiten und das Leistungspotenzial des Kindes erreicht werden kann – mit der Intention, das Kind bedürfnisgerecht zu begleiten, zu unterstützen und zu fördern.

Siehe auch:

Standards für die Durchführung diagnostischer Testverfahren

Gedanken, Sorgen, Ängste von Eltern und pädagogischen Fachkräften

Sie erreichen Barbara Teeke unter: teeke@ppos.de

 

Datum der Veröffentlichung: 5.5.07
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