von Heike Breuer

 

Vorüberlegungen / Ziele

In dieser letzten Praxisaufgabe geht es darum, die im IHVO-Kurs erfahrenen praktischen und theoretischen Inhalte einzubringen. Wichtig dabei ist die sinnhafte Umsetzung in die Praxis. Dies kann (nochmals) in Form eines Projektes sein, das ich in einer Kleingruppe durchführe. Dieses soll an den Interessen und Spiel- und Lernbedürfnissen des Beobachtungskindes anknüpfen und ihm echte Herausforderungen bieten. Dabei ist anzustreben, dass das hoch begabte Kind im Projekt positive Erfahrungen der Zusammenarbeit mit mindestens einem anderen Kind macht.

… kurz gefasst …

Die Autorin hilft sieben Vorschulkindern, sich gedanklich dem Begriff „Seele“ zu nähern. Sie stellt den Kindern einige Fragen – und die Antworten der Kinder sind ideenreich und fantasievoll. Alle hören sich gegenseitig aufmerksam zu.
Im zweiten Teil des Projektes bringen die Kinder ihre Ideen von der Seele mit Pinsel und Farbe auf Leinwände; auch hier zeigt sich, dass die Bilder durchaus individuell verschieden ausfallen.

Auch bei meiner letzten Praxisaufgabe ist es mir möglich, bei meinem Beobachtungskind zu bleiben, das ich von Anfang an ausgewählt habe. Nennen wir es eine gelungene Fügung, dass ich das Kind die gesamten zwei Jahre unter diesem Thema begleiten darf. Es freut mich wirklich sehr. Leona ist mittlerweile 6 Jahre alt.

Ich habe bestimmt zwei oder sogar drei Wochen überlegt, was ich zum Abschluss der Fortbildung machen möchte. Da ich die Projektarbeit in der Kita sehr mag, war schnell klar, dass es noch ein Projekt werden sollte. Aber welches Thema und mit wie vielen und mit welchen Kindern?
Da in der Gesamtgruppe noch das Projekt „Unter dem Meer“ läuft, war relativ schnell klar, dass es ein Kleingruppenprojekt wird. Da Leona ein Vorschulkind ist, habe ich mich dazu entschieden, ein Projekt für die Vorschulkinder daraus zu machen.
Stellte sich mir immer noch die Frage, zu welchem Thema. Also musste ich erst einmal den Kindern genau zuhören und sie beobachten, um zu spüren, wo ihre momentanen Interessen lagen.

Ein Junge aus der Vorschulgruppe hat immer wieder Probleme mit seinem Sozialverhalten und ist oft sehr unfreundlich, auch schon mal handgreiflich gegenüber den anderen Kindern. Das ist auch immer wieder Gesprächsthema im Morgen/Abschlusskreis, da sich die anderen Kinder über ihn beschweren. Daraufhin dachte ich mir, das Projekt könnte etwas mit Gefühlen zu tun haben. Während meiner Überlegungen verstarb die Uroma eines Vorschulkindes und die Kinder stellten Fragen und unterhielten sich darüber, wo man ist, wenn man gestorben ist. Die Kinder hatten sehr unterschiedliche Vorstellungen und Kenntnisse darüber.

In diesem Zusammenhang tauchte auch das Wort Seele auf. Das war für mich ausschlaggebend.
Ich wollte mit den Kindern philosophieren zum Thema „Seele“ und dabei das Buch „Der Seelenvogel“ von Michael Snunit und Na´ama Golomb vom Carlsen Verlag zu Hilfe nehmen. (Siehe: Bilderbücher, Sachbücher…)

Mir war klar, dass das nicht unbedingt einfach werden würde, aber ich gehe auch gerne etwas anspruchsvollere Themen an. Außerdem war ich auf die Aussagen der Kinder gespannt. Ich erhoffte mir natürlich auch eine besondere Herausforderung für Leona.

Meine Ziele dabei waren:
Über den Begriff Seele nachdenken
Gedanken und Gefühle sprachlich und kreativ ausdrücken
Fantasie fördern
Empathiefähigkeit entwickeln
Selbstbewusstsein stärken
Neue Inhalte lernen
Synapsen neu bilden und vernetzen

Tag 1

Die erste Einheit sollte eine Gesprächsrunde zum Einstieg in das Thema sein. Dazu habe ich mir folgende Fragen überlegt:

    • Was ist eigentlich die Seele?
    • Wo ist die Seele?
    • Woher kommt die Seele?
    • Können wir ohne die Seele leben?
    • Hat die Seele Augen, Ohren oder einen Mund?
    • Was macht die Seele?
    • Ist die Seele mit dem Herzen verbunden?
    • Kann die Seele Risse bekommen?
    • Kann die Seele auch wieder heilen?

Ich freute mich sehr auf unser erstes Treffen und war total gespannt, was dabei herauskommen würde. Ließ sich wirklich mit 5- bis 6-jährigen Kinder über die Seele philosophieren? Ehrlich gesagt war ich ein bisschen aufgeregt.

Wir gingen in den Nebenraum und die Kinder setzten sich auf die im Halbkreis angeordneten Matratzen auf den Boden. (Das kennen die Kinder bereits aus unserer mittäglichen Vorleserunde.) An diesem Tag waren 7 von 8 Vorschulkindern anwesend.

Ein Junge fragte: „Was machen wir denn hier, Heike?“
Ich sagte: „Ich möchte mich mit euch unterhalten, erzählen und nachdenken.“
Ein Mädchen fragte: „Worüber denn?“
Ich sagte: „Über die Seele.“
Wie aus der Pistole geschossen sagte Leona: „Das kenne ich, das hat mit Gott zu tun und das ist im Himmel und dafür zündet man Kerzen an. Das habe ich schon mit meiner Mama gemacht, als meine Oma gestorben ist.“
Schon hatten wir den Einstieg.

Das was danach folgte, das Gespräch, die Diskussion war einfach grandios. Ich hatte verschiedene Fragestellungen formuliert, begonnen habe ich mit der Frage
„Was ist die Seele?“
Cedric, der Junge der immer wieder sozial emotional auffällt, sagte: „Das ist in einem Menschen drin, ohne die Seele kann man nicht leben.“
Leona: „Wenn man tot ist, geht die Seele weg, ich glaube in den Himmel – hat meine Mama gesagt“.
Eren: „Ohne Seele können wir nicht wachsen, dann bleiben wir immer klein“.
Caren: „Der Tod hat was mit der Seele zu tun“.
Zwei Kinder, Melvin ein aufgeweckter Junge, und Rena, ein sehr schüchternes, ruhiges Mädchen, hörten genau zu, äußerten sich auch auf meine direkte Nachfrage nicht dazu. Das war aber auch völlig o.k. für mich.

Auf meine Frage, wo denn die Seele zu finden sei, waren sich die Kinder einig, dass sie irgendwo in uns drin ist. Aber wo genau, da waren die Kinder sich nicht einig.
Leona: „Ich glaube die ist in unserem Herz, ich merke das, weil manchmal tut mein Herz weh“.
Cedric: „Das ist bestimmt dann, wenn es dir nicht gut geht“.
Leona: „ Ja, wenn ich traurig bin“.
Eren: „Vielleicht wohnt die Seele auch in unserem Kopf und wird von Knochen geschützt“.
Leona: „Ja, die muss ja von den Knochen geschützt werden, weil das ist so ein weiches Ding“.

Ich fragte daraufhin genauer nach: „Wie stellt ihr euch vor, dass eure Seele aussieht?“
Leona: „Vielleicht sieht meine Seele wie ein Zebra aus. Die ist ganz weich und wird von den Knochen geschützt und Zebras finde ich einfach schön“.
Cedric: „Meine Seele sieht wie eine Blume aus und die wächst immer“.
Eren: „Meine Seele sieht wie ein Schwamm aus, der alles aufsaugt“.
Caren: „Meine Seele sieht wie ein Kreis aus….vielleicht“.
Melvin: „Ich habe keine Idee, wie meine Seele aussieht“.
Rena: „Ich weiß es nicht“.
Emmily: „Meine Seele sieht wie ein Meer aus“.

Was waren das für tolle Antworten von 5- bis 6-jährigen Kindern! Ich war tief beeindruckt. Auf meine Frage, ob wir denn ohne Seele leben können meinten die Kinder:
Cedric: „Nein, ohne Seele können wir nicht leben, dann sind wir direkt gestorben“.
Leona: „Ohne Seele können wir nicht wachsen, dann bleiben wir immer klein“.
Caren: „Die Seele ist im Herz oder im Gehirn oder überall“.

Dann fragte ich die Kinder ob die Seele denn Augen, Ohren oder einen Mund hätte.
Leona: „Ja klar, die Seele hat Augen, Ohren und einen Mund…glaube ich“.
Caren: „Nein, die Seele ist wie eine Haut, die kann nicht sprechen…nur hören oder schauen“.

Man sah, dass alle Kinder überlegten. Die anderen äußerten sich aber nicht dazu. Melvin zuckte mit den Schultern und sagte: „Keine Ahnung“.
Mittlerweile waren schon 30 Minuten vergangen und die Kinder waren immer noch begeistert bei der Sache.

Als ich die Kinder fragte, was denn die Seele macht, waren sich alle recht schnell einig, dass die Seele dafür da ist, das es uns gut geht.
Cedric: „Das ist in einem Menschen drin“.
Leona: „Aber wenn es mir nicht gut geht, geht es meiner Seele auch nicht gut“.

Ich fragte: „Kann man die Seele denn sehen“?
Emmily: „Ja, der Doktor kann die Seele sehen…auf dem Bildschirm“.
Eren: „Ich glaube der Doktor kann nur die Knochen sehen….oder nicht“?
Caren: „Da gibt es aber noch so einen Apparat, da kann der Doktor in den Körper gucken“.
Cedric: „Ja, und dann sieht der auch die Seele, das weiß ich“.
Melvin: „Das weiß ich nicht“.

Ich frage: „Kinder, ist denn die Seele mit dem Herzen verbunden?
Emmily: „Natürlich ist die Seele mit dem Herz verbunden und die macht, dass man einen liebt“.
Cedric: „Ja, das weiß ich, und die Seele macht uns auch Gedanken oder Sorgen…dann sind wir froh oder traurig oder wütend“.

Wahnsinn! Selbst jetzt, als ich es aufschreibe, merke ich, wie unglaublich faszinierend man mit Kindern zu so einem abstrakten Thema philosophieren kann. Was für tolle Kinder! Ich war währenddessen – und bin es immer noch – begeistert und hatte auch selbst viel Freude daran. Auf meine letzte Frage gab es auch noch mal sehr interessante Antworten von den Kindern.

Kann die Seele Risse bekommen?…wenn ja, kann die Seele auch wieder heilen?
Caren: „Das spürt man dann im Bauch, dann hat man ein komisches Gefühl…glaube ich“.
Cedric: „Die Seele kann man auch brechen, und wenn die dann gebrochen ist, dann wird die böse wie Diebe und Einbrecher“.
Emmily: „Böse Menschen sind böse, weil sie eine böse Seele haben“.
Leona: „Die Kinder werden mit lieben Seelen geboren und werden böse Seelen, wenn sie von den Eltern schlecht behandelt werden“.
Emmily: „Die Seele kann wieder heilen, mit einem Kühlakku oder vielleicht Medizin“.

Das sollte der Schlusssatz unserer Philosophenrunde sein. Mittlerweile waren 45 Minuten vergangen, und die Kinder forderten ihrerseits den Abschluss und wollten an die frische Luft zum Spielen. Ich sagte den Kindern, dass ich es toll fand, wie sie mitgemacht haben. „Morgen würde ich gerne mit euch das Buch vom Seelenvogel anschauen.“ Die Kinder waren erstaunt, dass es ein Buch dazu gab, und wollten am liebsten direkt wissen, wie das Buch aussieht. Ich erklärte, dass wir uns morgen hier wieder zusammenfinden würden, um das Buch anzuschauen. Manche Kinder waren schon voller Vorfreude.

Tag 2

Einige der Vorschulkinder waren an diesem Morgen schon da, als ich um 08:30 Uhr in der Kita meinen Dienst begann. Leona und Emmily stürmten direkt auf mich zu und fragten, ob wir uns denn jetzt das Buch vom Seelenvogel anschauen würden. Ich sagte ihnen, dass wir nach dem Morgenkreis damit anfangen könnten. Gesagt, getan. Nach dem Morgenkreis rief ich die Vorschulkinder zusammen und ging mit ihnen in den Nebenraum. Die Kinder setzten sich auf die Matratzen und warteten gespannt.

Ich zeigte ihnen das Buch vom Seelenvogel, und Leona reagierte als erste darauf. Sie fragte: „Wieso ist da so ein Vogel, sieht die Seele etwa wie ein Vogel aus?“
Und schon waren wir wieder mittendrin.

Eren: „Vielleicht glaubt das der, der das Buch geschrieben hat. Kann doch sein, oder, Heike?“
Ich antwortete: „Ja, das ist möglich“.
Melvin: „Dann lass uns doch jetzt mal lesen, was da drin steht“.
Ich antwortete: „Das ist eine gute Idee. Wir schauen es uns an“.

Und was soll ich sagen. Wieder einmal war ich so restlos begeistert von Kindern, dass ich es kaum in Worte fassen kann. Am liebsten hätte ich eine versteckte Kamera dabei gehabt. Die Kinder konnten sich sehr gut in die Geschichte hinein versetzen und mit dem Seelenvogel mitfühlen. Gerade auch der Junge, der durch sein Sozialverhalten immer wieder Probleme mit den anderen Kindern hat, fand sich gefühlsmäßig bei so einigen Stellen wieder. Er konnte es auch benennen und sagte: „Ja, so fühlt sich meine Seele auch manchmal und dann geht es mir nicht so gut“. Das ist doch wirklich große Klasse, dass gerade dieser Junge seine Gefühle so gut benennen kann, aber leider nicht immer umzusetzen weiß.

Die Kinder waren fasziniert davon, wie der Seelenvogel auf einem Bein stehend mit dem anderen Bein den Schlüssel umdreht, um seine einzelnen Schubladen aufzuschließen.
Leona sagte: „Das finde ich toll, so möchte ich auch gerne meine Schubladen aufschließen können“.
Ich fragte sie: „Was ist denn in deinen Schubladen drin, Leona? Möchtest du uns das erzählen?“
Leona: „Ja, das möchte ich. Bei mir gibt es auch die Schubladen, die der Seelenvogel hat und auch eine für mein geheimstes Geheimnis. Das verrate ich keinem. Aber ich habe auch noch eine Schublade, um anderen zu helfen“.
Daraufhin erzählten auch die anderen Kinder, was sich in ihren Schubladen befindet. Die Kinder hatten tolle Ideen, was alles in den Schubladen zu finden ist. Es war ein lebendiger Austausch untereinander. Die Kinder haben viel erzählt, bis auf mein ganz ruhiges Mädchen. Sie hat nur etwas gesagt, wenn ich sie direkt angesprochen habe.

Tag 3 bis 6

In den nächsten Tagen habe ich mit den Kindern den Seelenvogel gemalt. Dazu habe ich den Kindern Leinwände zur Verfügung gestellt, außerdem Farben, Pinsel, Glitzer und Federn. Jedes Kind durfte seinen eigenen Seelenvogel kreativ darstellen. Die Kinder freuten sich sehr. Immer zwei Kinder konnten gleichzeitig im Nebenraum malen. Auch hierbei sind ganz beeindruckende Ergebnisse heraus gekommen.

Die Kinder haben allesamt zuerst einen Vogel auf ihre Leinwand gemalt. Alle Kinder, bis auf Melvin, haben dann in irgendeiner Art und Weise ihre eigene Seele dazu gemalt.

Melvins Bild:

Cedric hat zum Beispiel eine Blume gemalt, weil seine Seele aussieht wie eine Blume, die immer weiter wächst.

Cedrics Bild:

Emmilys Bild:

Leona hat ein Herz gemalt, das der Seelenvogel festhält. Darin ist ihre Seele, die aussieht wie ein Zebra. Beide essen zusammen ein Eis, welches oberhalb gemalt worden ist. Rechts im Bild sieht man das Haus vom Seelenvogel, das auch in uns drin ist und wo der Vogel wohnt.
Leonas Bild:

Caren hat ihre Seele als roten Kreis mit Glitzer dargestellt.
Carens Bild:


Als Rena, das ruhige schüchterne Mädchen, ihr Bild gemalt hat, haben alle anderen Kinder zugeschaut, weil sie laut Aussage der anderen Kinder besonders gut malen kann. Sie wollten alle mit anschauen, was die „Malkünstlerin“ für ein tolles Bild malt. Das hat Rena sehr stolz gemacht.

Renas Bild:

Eren hat besonders lange an seinem Bild gemalt, fast eine Stunde. Er hat sich sehr viele Gedanken gemacht und viel dabei erzählt. Es hat große Freude gemacht, ihm dabei zuzusehen.

Erens Bild:

Reflexion:

Ich würde sagen, dass ich mein Ziel erreicht habe. Alle Kinder hatten durchweg großes Interesse an dem Thema und waren sehr motiviert bei der Sache. Da die Kinder das Thema vorgegeben haben, waren sie auch sehr aktiv dabei.
Sie konnten grundlegende Fähigkeiten ausbauen, zum Beispiel sprachliche und kognitive, indem sie selbst viel miteinander diskutiert und erzählt haben.

Leona, mein Beobachtungskind, hat ich besonders rege beteiligt, da sie zum einen eine schnelle Auffassungsgabe hat und Dinge schnell umsetzen und auch sprachlich sehr gut wiedergeben kann, zum anderen da sie auch kreativ und gestalterisch immer sehr gut ist.
Rena, das schüchterne Mädchen, wirkte als einzige nicht ganz bei der Sache, als wir philosophiert haben. In einer größeren Gruppe ist es immer so, dass sie von sich aus nichts sagt. Erst auf direkte persönliche Ansprache antwortet sie, aber auch zurückhaltend. In Einzelsituationen, wie beim Malen, erzählt sie manchmal von sich aus, aber auch eher wenig. Trotzdem denke ich, dass auch die ruhigen Kinder daraus etwas mitnehmen können.

Auf Wunsch der Kinder werden wir an diesem Projekt noch ein bisschen weiter arbeiten. Geplant ist noch, dass jedes Kind einen Karton, eine Kiste oder eine Dose mitbringt. Diese werden wir bemalen und verzieren. Dort hinein kommen kleine gefaltete Schachteln, die Schubladen. In diese können die Kinder Dinge legen, die ihnen wichtig sind, oder auch ihre geheimsten Geheimnisse.

 

 

Datum der Veröffentlichung: März 2021
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