von Claudia Flaig

 

Ständig bin ich auf der Suche nach Themen und Projekten, die besonders die hoch und besonders begabten Kinder in unserer Kita ansprechen.

Zwei solcher Aktionen will ich hier schildern.

Die tote Mutter von Pompeji

Charlotte, 4 Jahre alt, kam morgens aufgeregt in den Kindergarten und erzählte von dem verheerenden Erdbeben in Asien. Sie erklärte mir, dass die Erde wie aus Puzzleteilen bestehe und dass diese sich bewegen können.
Hannes (4;2 Jahre), am Frühstückstisch sitzend, erklärt uns, dass so auch Vulkane entstanden sind. Jeremy (3;6 Jahre) erzählt von Feuer spuckenden Bergen.

Charlottes Mutter sagte, dass Charlotte nachts habe nicht schlafen können und dass sie sicher noch einiges zu fragen hätte. Ich schlug vor, dass wir uns nach dem Frühstück schlau machen könnten, indem wir uns das Lexikon und den Globus ansehen.

So begann ein großes Informationssammeln in der Kita und bei den Kindern zuhause. Viele Kinder, auch aus der anderen Gruppe, schmökerten in unserer Literatur.

Das Buch von Tilman Röhrig über den Ausbruch des Vesuvs faszinierte Hannes, Charlotte und auch Alena ungeheuer.

Zum Buch „Tilman Röhrig erzählt von dem Ausbruch des Vesuvs“:

Die Stadt Pompeji wird im Jahre 79 n. Chr. durch den Ausbruch des Vesuvs zerstört. Flavia, die Frau eines richen Kaufmanns, nimmt das erste Erdbeben nicht Ernst, schickt aber ihre Tochter Pia, deren Kinderfrau Thekla und deren Sohn Stephanos mit dem Schiff nach Rom. Dadurch überleben sie, aber Pia muss mit dem Tod ihrer Mutter leben.

Eigentlich hatten wir vorgehabt, Feuer speiende Vulkane zu malen. Zugegebenermaßen stellte ich mir unsere Wand damit sehr schön gestaltet vor – aber der Tod von Flavia, Pias Mutter, beschäftigte die Kinder und nun auch die sechsjährige Jenni so sehr, dass wir dazu eine große Gemeinschaftsarbeit begannen.

Im Buch ist ein Bild, das die Kinder nachmalen wollten. Das Malen der liegenden Mutter machte Probleme; Hannes schlug vor, dass er sich auf die Pappe legen würde und die Kinder seinen Umriss nachzeichnen könnten.

Mit Spritztechnik wurde die Lava-Asche hinzugefügt. Mein „Beobachtungskind“ Alena (5;2) war an diesem Tage nicht da, daher nahm sie am Malen nicht teil, war aber sehr begeistert von dem Bild.

Das Thema Erdbeben und Vulkanausbruch sowie auch das Thema Tod erbrachten uns viele kluge Gespräche, an denen Alena, wann immer sie da war, teilnahm. Aber auch die anderen Kinder der Gruppe nahmen sich von dem „Futter“, was sie brauchten. Selbst Lisette, 1;10 Jahre alt und ein weiteres helles Köpfchen, weiß, dass das Bild „Die tote Mutter“ heißt.

Charlotte und Hannes sind beide sicherlich besonders bis hoch begabte Kinder. Ich stehe in regem Austausch mit ihren Eltern. Ab September kommen sie auch schon als „Schlaufüchse“, also als Vorschulkinder, in meine Gruppe – auch wenn die Eltern beider Kinder eine vorzeitige Einschulung ablehnen; aber das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun. Charlotte und Hannes haben sich als Freunde schon gefunden und treffen sich nun auch privat.

Buntstifte für Südafrika

Nach meinem Urlaub in Südafrika zeigte ich den Kindern Fotos aus einem Township, in dem viele schwarze Familien in großer Armut leben.

(Anmerk. der Red.: Als Township bezeichnet man die Wohnsiedlungen für die schwarze, die farbige oder die indische Bevölkerung, die nach rassistischen Politikmustern angelegt sind. Viele Townships besitzen die Ausmaße von mittleren und großen Städten – sehr oft ohne eine entsprechende Infrastruktur. In der Zeit von 1948 bis 1994 wurde die Apartheids- (Rassentrennungs-) Politik in Südafrika offzielle Regierungspolitik. Dadurch verschärften sich die Ausgrenzung der schwarzen, farbigen und indischen Bevölkerung und ihre massenhafte Verarmung noch weiter. Das Problem ist in dieseer Zeit so riesig angewachsen, dass auch nach dem Ende der Apartheidspolitik 1994 die Menschen noch in vielen Townships in hoffnungsloser Armut leben müssen.)

Ich hatte im Township das kleine Projekt von Gloria Mbalis. Sie betreut und fördert eine kleine Kindergruppe, ähnlich unseren Kindergärten. Dies geschieht allerdings in starkem Maße, um die kleinen Mädchen vor einer HIV-Infektion zu schützen. Dort herrscht nämlich in vielen Köpfen noch der Aberglaube, durch die Entjungerung eines Mädchens könnte sich ein Aids-Kranker heilen. Diese Details habe ich meinen Kindergartenkindern selbstverständlich vorenthalten.

Jedenfalls konnte ich den Kindern vieles vom dortigen Kindergartenalltag berichten. Ein Lied („Das Buslied“), das wir auf Deutsch singen, singen die Kinder dort auf Englisch. Ich beschrieb den Kindern auch, mit wie wenig Spielsachen die Kinder auskommen müssen.

Wir beschlossen, den Kindern ein Paket mit Stiften, Süßigkeiten, Fotos von uns und selbstgemalten Bildern zu schicken. Die Idee war, von den eigenen Stiften welche abzugeben.

Die Kinder waren sehr engagiert. Jeremy (3;6), zum Beispiel, wurde nachts wach, weckte seine Eltern und sagte aufgeregt: „Ich brauche Stifte für Claudis Kinder in Afrika!“
Hannes (4;2) wurde beim Kinderarzt nochmal für einige Zeit weg geschickt; er zerrte seine Mutter in den unter der Praxis liegenden Laden und bestand darauf, ein Paket Buntstifte „für unseren Kindergarten in Afrika“ zu kaufen.

Im Kindergarten entwarfen wir ein Poster mit den Fotos aus Afrika und hängten es in unsere Gruppe.
Wir schrieben einen Brief mit folgenden Fragen an Gloria:
– Bekommt ihr auch Sonnenbrand?
– Müsst ihr auch immer einen Sonnenhut tragen?
– Wie feiert ihr die Einschulung?
– Habt ihr Geschwisterpaare in der Gruppe?
– Wie feiert ihr Geburtstag?

Leider haben wir noch keine Antwort bekommen. Auch antwortet Gloria nicht mehr auf meine E-Mails. Ich hoffe, dass sie von den Unruhen, die zur Zeit in vielen Townships herrschen, verschont werden und „nur“ keinen Strom haben.

Die Weltkarte und der Globus sind jedenfalls in unserer Gruppe nicht mehr weg zu denken.

Später haben wir erfahren, dass das ganze Viertel abgebrannt ist; das Paket kam nach drei Monaten zurück, und wir bekamen keinen Kontakt mehr.

 

Datum der Veröffentlichung: April 2018
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