Vortrag bei der 4. IHVO-Fachtagung am 5.5.07

von Gudrun Hüppeler

 

Im Oktober 2005 habe ich mit dem IHVO-Zertifikatskurs begonnen. Schnell war ich vom Thema „Hochbegabung“ gefesselt. Mir wurde immer klarer, dass diese Thematik in der praktischen Arbeit in meiner Einrichtung bisher kaum Bedeutung hatte. Deshalb war es für mich einfach naheliegend, dass ich meine Teamkolleginnen gerade als freigestellte Leiterin ebenfalls für dieses Thema gewinnen musste, um die pädagogische Arbeit in meiner Kita auf Dauer umzugestalten.

Mit meiner Arbeit habe ich folgende Ziele verfolgt:

  • Mein Team hat mehr Sicherheit und Offenheit im Umgang mit hoch begabten Kindern und deren Eltern.
  • Eine begabungsförderliche Einstellung herrscht im Team.
  • Als Team sind wir sicherer in der Methodenwahl zur Förderung hoch begabter Kinder.

Der Auslöser für meine Arbeit war ein Kind unserer Einrichtung, das mir ca. ein halbes Jahr vor seiner Einschulung zeigte, dass es schon lesen kann. In Gesprächen mit der Mutter stellte sich heraus, dass dieses Kind sich bereits vor seinem dritten Geburtstag für Zahlen und Buchstaben interessierte.

Die Kolleginnen hatten seine Entwicklung als durchschnittlich eingestuft. In der Gruppe fiel der Junge vor allem durch störendes Verhalten auf. Er gab anderen Kindern ständig Anweisungen, achtete genauestens auf die Einhaltung von Regeln durch andere, für sich beanspruchte er ständig Ausnahmeregelungen. Überhaupt stellte er alles in Frage.

Die Kolleginnen fühlten sich in der Situation sehr unsicher. Denn kann man wirklich einem Gruppenmitglied immer wieder „Extrawürste“ braten?

Bei meinen Überlegungen fiel mir dann auf, dass besonderer Förderbedarf eher defizit-orientiert ermittelt wird und dass im Team viel Energie in die Entdeckung der Ursachen von Auffälligkeiten gesteckt wurde. In der Regel wurde aber Unterforderung als Ursache eher nicht berücksichtigt.

Ab Februar 2006 habe ich dann kontinuierlich fortschreitend neun Dienstbesprechungen und viele individuelle Einzelgespräche genutzt, um meinen Kolleginnen das Thema Hochbegabung näher zu bringen.

Eine große Hilfe waren mir dabei die gut ausgearbeiteten Materialien, die uns im IHVO-Zertifikatskurs zur Verfügung gestellt wurden. Durch ihren Einsatz konnte ich mich als Teil der Gruppe in die Erarbeitung des Themas einbringen und brauchte keine trockenen Vorträge zu halten.

Auch die Methode des Brainstormings und der Erstellung von Mindmaps boten diesen Vorteil und gestalteten die Dienstbesprechungen abwechslungsreich. Ebenso begünstigten diese Methoden neue Denkansätze.

Einstieg ins Thema

In der ersten Dienstbesprechung, bei der wir uns mit dem Thema Hochbegabung befassten, stellte ich meine Beobachtung des eingangs erwähnten Kindes vor.

Anschließend arbeiteten wir die drei Ebenen der Hochbegabtenförderung heraus, dazu nutzten wir Arbeitsmaterialien aus meiner Fortbildung.

Wir machten uns Gedanken über begabungsförderliche Verhaltensweisen und über begabungsförderliche Spiel- und Lernräume. Dabei legten wir schnell den Schwerpunkt auf die begabungsförderlichen Verhaltensweisen, denn wir stellten fest, dass wir mit unserer Arbeitsweise in Projekten und mit der räumlichen Gestaltung und Materialausstattung schon auf einem guten Weg waren.

Ergebnisse:

  • Konkrete Anregungen im Text wurden sehr positiv bemerkt und als neue Ideen verwertet, zum Beispiel Diskussionsrunden, Zirkel im Kreativbereich, etc.
  • Wir konnten feststellen dass viele der Anregungen aus dem Text bei uns bereits umgesetzt werden. Das steigerte eindeutig das Selbstwertgefühl des Teams und erhöhte die Motivation, sich mit den anderen Ideen auseinander zu setzen.

Steter Tropfen höhlt den Stein oder: Das Team hat einen Zugang zum Thema gefunden.

In der nächsten Dienstbesprechung zeigte sich, dass das Team einen Zugang zum Thema gefunden hatte. Wir versetzten uns in Gedanken in die Lage und Situation eines hoch begabten Kindes.

Außerdem machten wir ein Brainstorming zu dem Thema:
„Welche spezifischen Probleme können sich aus einer hohen Begabung ergeben?“

Beim Abgleich mit dem Arbeitsblatt aus dem Zertifikatskurs zeigte sich, dass sehr viele Punkte bereits gefunden wurden. Das steigerte die Motivation, sich weiter mit dem Thema zu befassen.

Es kam die Frage auf, ob der Beobachtungsbogen, an dem ich mich für meine Beobachtung orientiert hatte, von den Kolleginnen eingesetzt werden könnte.

Wie und womit arbeiten wir?

Wir beschäftigten uns damit, welche Unterschiede es gibt – oder auch nicht gibt –zwischen Kindern mit besonderen Begabungen und weniger begabten Kindern. Dazu reflektierten wir unsere Vorgehensweise bei der Feststellung von besonderem Förderbedarf.

Im Anschluss daran stellte ich verschiedene Hilfsmittel zur Beobachtung vor. Das führte zu dem Teambeschluss, einen der vorgestellten Beobachtungsbögen bei der nächsten Beobachtungsrunde im Anschluss an unsere Beobachtungen einzusetzen.

Zur Einstimmung und Vorbereitung hängte ich eine Woche vor der Dienstbesprechung ein Mindmap zum „Interesse am Denken der Kinder als pädagogische Grundhaltung“, in den die Kollegin Ergänzungen eintragen konnten.

In der Sitzung selber arbeiteten wir dann in zwei Kleingruppen. Eine Gruppe diskutierte zum Thema: „Das Äußern von Gedanken braucht eine vertrauensvolle Atmosphäre“, und die andere erstellte ein Mindmap über angemessene Ausdrucksmöglichkeiten von Kindern.

Aufstellung konkreter Ziele

Das Fortbildungsmaterial „Lernen durch Fragen“ gab ich zur Vorbereitung eine Woche vor der Teamsitzung aus. Im Team wurde dieser Text diskutiert und eine Ziele-Liste für unsere Arbeit erstellt.

Ziele-Liste:

  • Expertenkartei anlegen
  • Experten stärker in Projekte einbinden
  • Mindestens ein Ausflug oder Spaziergang pro Monat in die nähere Umgebung
  • Mindestens zwei Waldtage im Jahr für jede Gruppe
  • Fotoapparat für die Kinder zum Dokumentieren ihrer Erlebnisse und Interessen
  • Diskussionsrunden für Kinder einrichten
  • Experimentier- und Technikecken einrichten
  • Den Kindern die Methode „Brainstorming“ vermitteln
  • Ab sofort können Kinder und Eltern Spiele und Bücher ausleihen
  • Auseinandersetzung im Team mit dem Thema „Wie frage ich richtig?“

Weiterer Verlauf

In einer sehr heiteren Dienstbesprechung beschäftigten wir uns mit den „Arten des Fragens“, und als Übung erstellten wir im Anschluss einen Quizfragebogen zu unserer Einrichtung. Dabei stellten wir fest, dass wir nicht nur selber gute Fragen stellen, sondern vor allem auch die Fragen der Kinder wahrnehmen und aufgreifen müssen. Die Arten der Fragen waren schon aus Reflexionsgesprächen bekannt.

An unserem Konzeptionstag war das gesamte Team gemeinsam mit dem Thema Hochbegabtenförderung beschäftigt:

  • Austausch über den Einsatz des Beobachtungsbogens von Joelle Huser
    (
    Hier können Sie zu dem Bogen Näheres lesen.)
  • Vorstellung der beobachteten Kinder im Team
  • Überlegungen zur weiteren Vorgehensweise, zum Beispiel Elternfragebogen, etc.
  • Konkretisierung, welche Ideen unserer Ideenliste noch umgesetzt werden sollten und wer sie verwirklichen sollte

Die Team-Fortbildung wird immer individueller

Der weitere Verlauf unserer Teamfortbildung gestaltete sich ab diesem Zeitpunkt anders. Ich konnte feststellen, dass meine Kolleginnen sich alle mit unterschiedlichen Aspekten des Themas Hochbegabung beschäftigten, was ich dann auch aufgegriffen habe. Ab diesem Zeitpunkt bin ich dazu übergegangen, verstärkt individuell auf die Fragen meiner Kolleginnen einzugehen.

Und das waren in dieser Phase die Schwerpunkte meiner Leitungsarbeit zur Hochbegabtenförderung:

  • Die Mutter des eingangs beobachteten Kindes in der Zusammenarbeit mit der Schule stärken.
  • Der Anerkennungspraktikantin und der Logopädin beim Aufbau des „Clubs der schlauen Denker“ Unterstützung geben.
  • Den Tag der offenen Tür zum Thema „Licht und Schatten“ vorbereiten.
  • Was versteht man unter Literacy? Informationen dazu wurden von mir ins Team gegeben.
  • Eine Kollegin bei der Einrichtung einer Literacy Ecke im Personalraum unterstützen, durch Materialbeschaffung, Ideen und Gabe von Fachliteratur.
  • Einer Kollegin Unterstützung geben bei der Einrichtung einer Forschungsstation:
    in ihrem Gruppenraum, mit Landkarten, Mikroskop, Wassertisch, Magneten, Sachbüchern etc.
  • Eine Kollegin in der Vorgehensweise bei einem Kind unterstützen und beraten, das uns als besonders wissbegierig auffällt, bei dem aber auch ADHS diagnostiziert wurde und das einen integrativen Platz belegt.
Fazit:
Meine Arbeit hat viele kleine Wurzeln geschlagen.

Meine Kolleginnen beschäftigen sich inzwischen mit ganz unterschiedlichen Aspekten des Themas Hochbegabtenförderung. Um das Thema weiter zu vertiefen, muss ich jede da abholen, wo sie steht, sie begleiten und die Bereitschaft, auch die hoch und besonders begabten Kinder sehr positiv zu unterstützen, lebendig halten.

Gudrun Hüppeler ist Erzieherin und leitet ein Integratives AWO-Kinderhaus in Elsdorf bei Bergheim.
IHVO-Zertifikat 2007

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Datum der Veröffentlichung 5.5.07