Vortrag bei der 4. IHVO-Fachtagung am 5.5.07

von Beate Kroeger-Müller

 

Was sind Experten? Sind es nicht die Kenner und Könner, Fachleute, Spezialisten und auch Wissenschaftler, die sich in Vielzahl in unseren Kindergärten „getarnt als Eltern“ tummeln?

Genau so ist es. Unsere Aufgabe als ErzieherInnen sollte es sein, diese Sachkenner aufzuspüren und anzusprechen. Aber wie fang ich es gut an, diese Eltern, die für den Kindergarten so wichtig sein können, für meine Idee, sie als Experten für die Einrichtung zu nutzen, zu begeistern?

Bei uns sind Eltern höchst erwünscht.

 

Der erste Schritt wird sein, dass wir ErzieherInnen lernen müssen, neu auf die Eltern zu zugehen, indem wir sie vom ersten Augenblick an wertschätzen und respektieren. Uns sollte klar sein, dass die Eltern die absolute Schlüsselrolle bei der Erziehung ihrer Kinder haben. Dazu brauchen einige Eltern ein Mehr an Beistand und Ermutigung durch uns, die Erzieherinnen. Jedoch die Mehrheit aller Eltern erzieht intuitiv richtig, und wir müssen bereit sein, Eltern als Personen anzuerkennen, die wissen, wo sie stehen, wer sie sind und welche Grundregeln im Miteinander gelten. Sie sind bemüht, diese Regeln, an ihre Kinder weiterzugeben.

… kurz gefasst…

Wie wäre es, wenn alle Beteiligten am Kindergartenleben ein Team wären? Kinder, Eltern, ErzieherInnen, vielleicht auch Großeltern.

Wie der Einbau solcher Experten gelingt und wie groß die Erfahrungsvervielfachung sein kann, davon berichtet dieser Beitrag.

Uns Erzieherinnen verbindet nicht nur die nahe pädagogische Arbeit mit den Kindern an unserer Arbeitsstelle, sondern auch der Kontakt und Austausch mit den Vätern und Müttern unserer Einrichtung.

Damit dies von Beginn an positiv gelingen kann, muss schon im Erstkontakt den neuen Eltern vom Team signalisiert werden, dass wir sie als Elternteil willkommen heißen: „Wir freuen uns sehr, dass Sie sich für unsere Einrichtung interessieren“, ist ein Satz, den ich immer sage, um neue Eltern als willkommene und gerngesehene Gäste zu begrüßen und um ihnen ein zweites, neues Zuhause nahe zu bringen, in dem sich nicht nur ihr Kind, sondern sie selbst sich auch wohl fühlen sollen. Denn schon während des ersten Gespräches können Sympathie, Vertrauen und vor allem Verbindlichkeit am einfachsten angebahnt werden. Hierbei beginne ich schon gezielt durch Fragen, zum Beispiel „Was spielen Sie besonders gerne mit Ihrem Kind?“ oder „Was macht Ihnen am meisten Freude im Miteinander mit Ihrem Kind“ herauszufinden, wo Interessen und Freuden der Eltern im Zusammensein mit ihrem Kind liegen. Vielleicht erfahre ich auch im Erstgespräch schon etwas über ihre berufliche Situation, ihre Hobbys oder ihre Freizeitgestaltung. Dieses neue Wissen mache ich mir zu Nutze, im Hinblick auf eine eventuelle Einsatzmöglichkeit der neuen Eltern für die Einrichtung.

Die eigene Einstellung zählt.

 

Damit von Beginn an im Kindergarten ein „Wohlfühlklima“ für die Eltern mit ihren Kindern entstehen kann, ist es wesentlich, mit welcher Haltung und Einstellung ich meiner Arbeit und der Einrichtung gegenüberstehe.

So frage ich mich beispielsweise: „Besteht ein gutes Klima innerhalb des Teams, gibt es einen respektvollen Umgang miteinander, ist genügend Wertschätzung den Kindern und der Elternschaft gegenüber vorhanden?“

Denn das eigene Wohlbefinden ist eine wesentliche Voraussetzung für einen gelungenen Umgang mit Eltern.

Unsere Grundhaltung den Eltern gegenüber sollte davon ausgehen, dass die Eltern für ihre Kinder normalerweise das Beste wollen. Einige wissen vielleicht nicht, wie sie das erreichen können. Meine Aufgabe sehe ich jedoch darin, den verunsicherten Eltern Handwerkszeug anzubieten und ihnen zu zeigen, wie man damit arbeiten kann. Denn wenn wir Eltern für die Arbeit in unseren Kindergärten gewinnen möchten, müssen sie von uns stärker unterstützt und ermutigt werden – und auch die Freiheit von uns bekommen, Fehler machen zu dürfen. Statt den Eltern ein schlechtes Gewissen einzureden, versuchen wir eher den Eltern Anreize zu geben und sie als adäquate Gesprächspartner anzusehen, mit denen wir uns interessiert und vertrauensvoll austauschen wollen.

Reger Kontakt zu den Eltern, Einzelgespräche, Hausbesuche sind Möglichkeiten, um auch orientierungslosen Eltern Unterstützung anzubieten und interessierte Eltern weiterhin zu stärken.

Denn oftmals fühlen sich junge Eltern einfach nur alleingelassen und wünschen die Möglichkeit nach Austausch und Orientierung. Am Besten trifft es ein afrikanisches Sprichwort: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.“

Bieten wir doch den Eltern, wenn schon nicht ein ganzes Dorf, so doch vielleicht unseren Markt der Möglichkeiten an, öffnen wir ihnen die Türen, wo Austausch, Information, Unterstützung und sich Einbringen möglich sind.

Sobald jedoch Eltern signalisiert bekommen, dass sie nur Hinbringer/in und Abholer/in ihrer Kinder sind, die sich wenn möglich unsichtbar verhalten sollen, oder die nur als Störungen im morgendlichen Kindergartenablauf gesehen werden, ist es nicht verwunderlich, wenn sie sich bald als unzufriedene Nörgler hervortun und wir von ihnen nicht die Unterstützung bekommen, die uns und der Einrichtung so gut tun würde.

Wie mache ich mir Eltern zu Experten?

 

In unserer Einrichtung, einer Elterninitiative, nehmen Eltern eine wichtige Rolle in der täglichen Arbeit mit den Kindern ein. Denn wir sehen die Eltern in einem größeren Kontext: Sie sind ExpertInnen in ihrem Beruf, haben Familienangehörige mit unterschiedlichem, kulturellem Hintergrund. Sie haben in ihrem Leben schon Erfahrungen gesammelt, die sie zu der Person werden ließen, die uns jetzt gegenübersteht.

Diese Eltern signalisieren mir, dass sie die nächsten Jahre nahe an der Entwicklung ihres Kindes teilhaben wollen, und dass sie bereit sind, unsere Arbeit unterstützend zu begleiten. Diesen Reichtum an Kompetenzen und Lebenserfahrungen der Eltern versuchen wir in der Zusammenarbeit mit ihnen in unsere Einrichtung zu integrieren.

Die Eltern nutzen nicht nur unsere Angebote und Möglichkeiten zur Elternmitwirkung, sondern sie werden aufgefordert, Vorschläge von den Kindern oder Projekte verantwortlich mitzugestalten und auch als aktiv Mitwirkende umzusetzen. So erst kürzlich geschehen, als eine Gruppe der Vorschulkinder nach einem Museumsbesuch voller Begeisterung beschloss, auch so leben zu wollen wie die Mongolen, was das Thema der Ausstellung war. In den nächsten acht Wochen erfuhren wir durch die tatkräftige Unterstützung der Eltern, wie es gelingen kann, eine Jurte (Rundzelt der Mongolen), zu bauen. Kindermöbel wurden von einer Mutter und den Kita-Kindern mit bunten Mustern bemalt. Wir lernten, wie man Buttertee kocht und wie Grießfladen und -brei zu bereitet wird. Eine Mutter, die als Hobby große Filzflächen herstellt, wurde von den Kindern tagelang bei der Herstellung eines Filzteppichs unterstützt, der den Boden der Jurte schmücken sollte. Väter lehrten die Kinder die Handhabung von Pfeil und Bogen, Reiterspiele und Wettkämpfe wurden geübt, um das Projekt in ein Mongolenfest mit Geschichten, Liedern und Tänzen münden zu lassen.

Hierbei erleben Mütter und Väter, dass ihr Mittun im Kindergarten, im partnerschaftlichen Miteinander sich zu Gunsten der Arbeits- und Angebotsqualität für ihre Kinder auswirkt. Denn ohne die Exzellenzen der Elternschaft mit einzubinden, wäre Vieles innerhalb unserer pädagogischen Arbeit mit den Kindern unmöglich umzusetzen.

Mit den Talenten der Eltern halten wir einen Schatz in den Händen.

 

Es wäre schade, diese Ressourcen, den wichtigen Rohstoff vieler Einrichtungen, ungenutzt zu lassen oder ihn gar zu ignorieren – und damit zwangsläufig den hohen Gewinn für unsere Kindergartenkinder zu verschenken.

 

Darum fragen wir bei den Eltern nach, welche Fähigkeiten, Talente oder Kompetenzen sie besitzen und welche sie uns und den Kindern zur Verfügung stellen möchten und können. Wir beobachten, unterstützen und begleiten die Eltern bei ihren Elterndiensten, soweit sie es möchten oder einfordern.

Väter und Mütter als Entwicklungsbegleiter aller Kinder

 

Eltern sind für die soziale, intellektuelle und emotionale Entwicklung ihres Kindes hoch bedeutsam. Damit spreche ich selbstverständlich Väter wie Mütter in gleicher Weise an. Wenn die Elternmitarbeit sich im Wechsel gleichermaßen auf Männer und Frauen verteilt, brauchen wir uns nicht über extreme „Übermütterung“, bei gleichzeitiger „Unterväterung“ zu beklagen. Denn es ist schön zu sehen, wie sowohl Mütter als auch Väter schnell lernen „auf Augenhöhe“ mit Kindern zu spielen und sich in die provisorischen Spielregeln der Kinder einzufühlen.

Von der Elternmitarbeit, vor allem dann, wenn die Eltern als Experten zu uns kommen, um uns zum Beispiel den Motor ihres Motorrades zu erklären, die Funktion einer Dampfmaschine zu erläutern, oder zu zeigen, wie ein Fahrradreifen repariert wird, profitieren wir alle, Groß und Klein.

 

Insbesondere bietet sich für das außergewöhnlich begabte Kind die Möglichkeit und Gelegenheit, sein Wissen oder seine Begabung zu zeigen und durch die neuen Inputs, die von Eltern herein getragen werden, seinen Interessenhunger zu stillen. Vor allem sind Fragen an die Elternexperten die Quellen, aus denen die hoch begabten Kinder neue Anregungen und Unterstützung ihrer Interessen schöpfen können. Seien es Themen aus der Naturwissenschaft, der Geschichte oder Tätigkeiten aus dem Alltag – Vieles kann für das hoch begabte Kind von Interesse sein und wichtige Informationen bereitstellen.

Erst im Austausch mit Eltern als Experten haben auch meine Kollegin und ich zusammen mit den Kindern lernen dürfen, wie beispielsweise ein Vulkan zu seinem Ausbruch kommt, wie es ist, in eine dunkle Erdhöhle zu klettern, um die Fledermäuse zu hören, wie es ist, einen großen Filzteppich herzustellen, wie viel Zeit und Arbeit es braucht, eine Geige anzufertigen, einem Ring seine Fassung zu geben, einen Salto auf dem Trampolin zu schaffen.

Wie schön ist es, die Großmutter als Märchenerzählerin mit einzubeziehen, die pensionierte Grundschul-Lehrerin, die regelmäßig Tanztheater einstudiert und die leckersten Bratäpfel der Welt herstellt, einzubinden und und und.

Ein gut überlegtes Elternmitmachmodell ermöglicht es allen Kindern und ErzieherInnen der Einrichtung, neue Anregungen zu erleben und Abwechslung in den Kindergartenalltag zu bringen.

Ein Reichtum von unermesslichem Wert

 

wird uns tagtäglich vom Einsatz unserer Eltern als Experten offeriert. Ich hoffe, dass dieser Vortrag Ihnen Mut macht zu überlegen, wie es sein könnte, aus einer Einrichtung keine Festung zu machen, hinter der Sie sich vor den Eltern verschanzen können, sondern eine freundliche Begegnungsstätte für Kinder und Eltern, in der ich signalisiere: „Schön, dass Sie heute bei uns sind.“

 

Copyright © Beate Kroeger-Müller 2007, siehe Impressum.
Datum der Veröffentlichung 5.5.07