von Anja Kintscher

 

Lea (Name geändert) fiel mir zunächst auf Grund ihrer Sprachentwicklung auf.

Sie kam vor etwa vier Monaten in unsere Kita. Damals war sie 3;6 Jahre, jetzt ist sie 3;10 Jahre alt.

Als teil-freigestellte Leiterin war ich auf die Mithilfe meines Teams angewiesen. Zusätzlich zu dem Beobachtungsbogen, den wir in unserer Einrichtung benutzen, gab ich den Kolleginnen die Hinweise auf mögliche Hochbegabung, die ich aus der 1. Phase des Zertifikatskurses mitgebracht hatte.

Hier Auszüge aus unseren Beobachtungen:

Gerade während der Eingewöhnungszeit hinterfragte Lea oft und zeigte ungewöhnliche Gedankengänge. So wollte sie zum Beispiel genau wissen, warum sie unbedingt ohne Mama in den Kindergarten müsse. Auf die Erklärung „Damit du mit anderen Kindern spielen kannst“, antwortete Lea: „Das können wir auch mit dir, Mama.“

Im Verlaufe des Kindergartentages fragte sich Lea mehrmals, was ihre Mutter wohl grade tut. Zudem wollte sie wissen, wann genau ihre Mama sie abholt, und wir mussten ihr dies auf der Uhr verdeutlichen.

Lea spielt am liebsten mit ihrer Freundin Clara (Name geändert) im Rollenspielbereich, wo sie zum Beispiel Geschwister, Mutter-Tochter, Geburtstagskinder, feine Damen etc. sind. Hier bringt Lea oft die Ideen ein und gestaltet den Spielverlauf. Der imaginäre Pepe (ein Wellensittich) und die ebenso imaginäre Mimi (eine hellblau-pinkfarbene Katze) dürfen oft mitspielen, wohingegen Lea andere Kinder ungern dabei hat und lieber mit ihrer Freundin Clara, die sie zu Beginn ihrer Kindergartenzeit kennen lernte, allein ist.

In diesen Situationen kann sich Lea abgrenzen und macht deutlich: „Du machst nicht mit, Anna.“ Weist man auf das emotionale Empfinden des anderen Kindes hin, kann sich Lea einfühlen und ändert unter Umständen ihre Meinung.

Ist ihre Freundin Clara nicht im Kindergarten, wendet sich Lea einer Erzieherin zu, mit der sie am liebsten den gesamten Tagesablauf gestaltet. Sie fordert Aufmerksamkeit ein. Kann die Erzieherin sich ihr nicht ausreichend widmen, spielt sie allein oder beobachtet das Geschehen um sich herum.

Lea unterhält sich gern mit den Erwachsenen. Dabei bringt sie eigene Gedanken ein.

Beispiel 1:

Eine Erzieherin hat grade ein Regal aufgeräumt.

Lea: „Ich kann auch gut aufräumen.“

Erzieherin: „Echt? Dann komm doch mal bei mir zu Hause vorbei und hilf mir.“

Lea: „Wo wohnst du denn?“

Erzieherin: „In Schwerte.“

Lea: „Nein, das ist mir zu weit, da kann meine Mama mich nicht hinbringen.“

Beispiel 2:

Eine Erzieherin erzählt von ihrem Kater. Lea berichtet von ihrer imaginären Katze Mimi. In dem Dialog äußert Lea folgendes:

„Mimi ist noch ganz klein, so groß, ein Baby (zeigt dies mit den Händen). Mimi läuft manchmal hinter mir her und zwischen meinen Beinen durch. (Lea läuft vor und stellt dar, wie dies aussieht.) Wenn ich mit S. spiele, will Mimi dabei sein. Einmal, als wir gespielt haben, ist sie plötzlich auf den Tisch gesprungen. Mimi ist keine Tigerkatze, sie ist doch hellblau und pink …“

Neben den Rollenspielen macht Lea sehr gerne Bewegungsspiele, tanzt und hüpft, auch außerhalb des Bewegungsraumes. So hüpft sie während des Malens zum Regal, um dort etwas zu holen, oder aber sie hüpft in eine andere Gruppe (andere Kinder rennen!).

Lea lässt sich sehr gerne vorlesen, nimmt an Bastelangeboten teil, macht bei Kreisspielen mit und ist bei Aktionen im Bewegungsraum dabei. Sie ist offen für Vieles. Wenn etwas „Neues“ angeboten wird, macht sie sofort mit, dabei zeigen sich ihr hohes Lerntempo und ihre schnelle Auffassungsgabe .

Sie setzt sich zum Beispiel an den Tisch, an dem „Himmel & Hölle“-Tiere gefaltet werden. Dort wartet sie geduldig und beobachtet . Als sie an der Reihe ist, braucht Lea kaum Unterstützung, sie kann den Faltvorgang sofort nachmachen.

Sprachentwicklung

Lea ist ausgesprochen kommunikativ . Sie erzählt von zu Hause, von anderen Erlebnissen, von Geschichten (Büchern) und äußert ihre Gedanken. Ihr gutes Gedächtnis hilft ihr. So erzählt sie beispielsweise von Urlauben, die sie zeitlich oder lokal benennt („in den Winterferien“, „im Skiurlaub“, „in Österreich“, „im Sommer“, „im letzten Jahr“). Sie erzählt detailliert und bildnerisch, so dass der Zuhörer, ohne nachfragen zu müssen, weiß, um was es geht und in welcher Form sich etwas zugetragen hat.

Lea besitzt ein großes Vokabular und setzt dieses differenziert ein. Sie spricht in unterschiedlichen Tonlagen und mit Betonungen, und sie untermalt ihre Worte mit Gestik und Mimik. Dadurch wirken ihre Geschichten spannend. Sie benutzt Worte wie „auf einmal“, „plötzlich“, und sie spricht grammatikalisch korrekt .

In vielen Situationen zeigen sich Leas originelle Ideen und ungewöhnliche Gedanken :

1.

Wir sitzen im Adventskreis. Lea geht zu unserem Adventskalender und findet aus 15 Sternenanhängern denjenigen mit ihrem Namen heraus. „Das ist meiner. Hier steht Lea drauf!“ Als sie sich ihren Wichtel aus dem zugedeckten Korb nehmen darf, zieht sie einen grünen. „Der hat sich einfach vorgedrängelt!“ (Sie wollte den Wichtel in einer anderen Farbe.)

2.

Eine Äußerung im Adventskreis: „Mein Wichtel hat das Zimmer aufgeräumt und ich nehme ihn auch mit in den Ski-Urlaub, damit er auf mich aufpasst .“

3.

Als von einem Kind ein grüner Wichtel gezogen wird, piepst Lea mit verstellter Stimme: „Nein, nein. Ich bin Bärbels Wichtel, ich will zu Bärbel.“ (Bärbel hatte zwei Tage zuvor erklärt, dass sie sich einen grünen Wichtel wünscht.)

4.

Im Februar, also zwei Monate nach unseren Adventsfeierlichkeiten, stellt ein Kind die Frage: „Woher kommt der Schnee?“ Lea antwortet: „Also, mein Wichtel hat im Keller am Freitag die Schneemaschine angestellt, und dann war irgendwie alles voll Schnee.“

Bei Lea zeigt sich ebenfalls, dass sie für sich Interessantes gut behält, speichert und die Informationen verarbeitet :

1. In einer unserer Kinderbesprechungen spielten wir die Mitmachgeschichte „Der grimmige König“. Lea beobachtete interessiert. Eine Woche später sprach sie nicht nur den Text mit, sie veränderte sinnvoll einen Bewegungsablauf.

2. Wenn Lea etwas von einem Theaterstück, das sie besucht hat, wiedergibt, erzählt sie den Inhalt nicht nur verständlich, sie übernimmt oft eine Rolle aus dem Stück und stellt sie dar.

Persönlichkeitsentwicklung

Lea ist ein intelligentes, aufgewecktes , fröhliches Kind mit vielen fantastischen Ideen. Sie weiß, was sie will, ist selbstbewusst und setzt ihre Vorstellungen und Bedürfnisse in vielen Bereichen durch. Sie ist Erwachsenen gegenüber kritisch . Fühlt sie sich von ihnen nicht ausreichend beachtet, so werden sie unter Umständen „abgestraft“:

Lea wünscht sich zu ihrem 4. Geburtstag vom Kindergarten eine Disco-Veranstaltung. Sie hat genaue Vorstellungen über den Ablauf. Auf die Frage, welche Erzieherin die Disco mit ihr vorbereiten soll, antwortet sie wider Erwarten: „Beatrice soll das mit mir machen!“ . Dabei sieht sie ihre „Hauptbezugsperson“ Bärbel starr und „süffisant“ lächelnd an. Als ich wiederum bei Bärbel nachfrage, erklärt diese: „Ich hatte die letzten drei Tage nicht so viel Zeit für Lea. Wahrscheinlich ist das jetzt meine Strafe!“

Lea liebt Bücher, Geschichten und Theaterstücke. Hierbei kann sie sich gerade über kleine, für andere vielleicht unwesentliche Dinge freuen. So beschreibt sie nach dem Theaterstück „Petterson & Findus“, wie die Katze geschlichen ist und führt dies mit Spaß vor. Über ihre eigenen Geschichten kann Lea sich ebenfalls zutiefst amüsieren. Sie behauptet kichernd: „Pepe ist mein Wellensittich und der darf in meinem Bett unter der Decke schlafen.“

Lea ist in allen Bereichen sehr gut entwickelt. Sie ist selbstständig , hat ein angemessenes Sozialverhalten und weist grob- wie feinmotorisch eine gute Körperkoordination auf.

Leas außergewöhnliche Begabungen liegen im sprachlich- darstellerischen Bereich. Darüber hinaus ist sie kreativ und hat ungewohnte Ideen. Sie malt zum Beispiel sprechende Türen, was sie durch Buchstaben und Hieroglyphen verdeutlicht.

Fazit

Meiner Meinung nach ist Lea ein außergewöhnliches Kind mit besonderen Begabungen. Lege ich die „neun Intelligenzen“ Gardners zugrunde, so wird deutlich, dass bei Lea insbesondere sprachliche, als auch intra- und interpersonale Intelligenz vorhanden ist. Ebenso verfügt sie tendenziell über die körperlich-kinästhetische und naturalistische Intelligenz, denn sie hat zum einen ein ausgeprägtes Körpergefühl mit großen motorischen Fähigkeiten, zum anderen besitzt sie ein hohes Maß an Beobachtungsgabe.

 

Datum der Veröffentlichung: 2.9.09
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