„Eigenwillig“ ist in diesem Zusammenhang überhaupt nicht negativ gemeint. Kinder, die eigenwillige Lernstrategien verfolgen, entwickeln eigene Vorstellungen, wie sie sich einem Lerngegenstand nähern und ihn sich aneignen. Dies ist in aller Regel ein kreativer Prozess, der darin besteht, das eigene Lernen zu steuern – und dabei genau auf dem Wissen und den Erfahrungen aufzubauen, die in der eigenen Person bereits zur Verfügung stehen.

Auch der Zeitpunkt, etwas Bestimmtes zu erforschen und zu lernen, das Lerntempo und der Umfang der >Lerneinheiten< werden gern selbst bestimmt. Hoch begabte Kinder erkennen häufig sehr genau selbst, wann für sie der Zeitpunkt gekommen ist, sich einer neuen Sache zuzuwenden, weil das Alte zu einem gewissen (vorläufigen) Abschluss gekommen ist.

Alles in allem kommt dies dem idealen Lernen nahe – vorausgesetzt es ist mindestens ein Mentor zur Verfügung, der einfühlsam und verständig die Lernprozesse begleitet.

Von klein auf existiert für die Kinder allerdings ein spürbarer Anpassungsdruck (an die Erwartungen der Erwachsenen, was, wie und wann gelernt werden soll). Beim Eintritt in den Kindergarten kommt der Gruppendruck hinzu: Sie wollen so sein wie die anderen Kinder, denn sie wollen nicht ausgegrenzt werden.

Manche Kinder haben dem Anpassungsdruck mehr, andere weniger Kraft entgegen zu setzen. Immer wieder erleben wir Kinder, die ihre eigenwilligen Lernstrategien entwickeln und auf ihnen beharren möchten. Gut, wenn sie dabei auf Verständnis und Unterstützung treffen.

Datum der Veröffentlichung: 11.9.09

Familienbeispiel, anonym: Kilian, viereinhalb Jahre alt.

Er schrieb in Spiegelschrift und von rechts nach links (er ist Linkshänder) und natürlich mit Fehlern, so wie er sich sprechen hörte: „AIN MAN FIL AUS DEM HUPSCHRAUBER IN AINEN TIFEN TIFEN BRON DA WAF DER HUPSCHRAUBER EINE LEITER AUS UND DR MAN LART WIDEM“ (Ein Mann fiel aus dem Hubschrauber in einen tiefen, tiefen Brunnen. Da warf der Hubschrauber eine Leiter aus und der Mann lachte wieder.):

Zum Lesen und Schreiben kam er so: Er sprach nicht richtig, völlig ohne Konsonanten, zum Beispiel „A-a-aaan“ = Wasserhahn oder „E-o-op“ = Stethoskop. Ich sagte ihm, dass ihn kein Mensch versteht, und zeigte ihm die Buchstaben, die er nicht spricht, die aber als „Ton“ existieren. Daraufhin sprach er sie immer noch nicht, fing aber an zu schreiben.

Datum der Veröffentlichung: 1.6.10

Familienbeispiel, anonym:

Die Mutter einer eines Jungen (2;4) berichtete:

Seit langem erzählt er sich vor jedem Schlafen in seinem Bett, was er alles erlebt hat. Ich nenne das sein <Projekt Tagebuch>. Manchmal lausche ich, es hört sich sehr niedlich an; er spricht zwar noch sehr unvollkommen, aber mit starker Betonung. Oft geht das über eine halbe Stunde lang, ehe er einschläft. Es ist wirklich, als ob er ein mündliches Tagebuch führt. Neulich hörte ich dabei zum ersten Mal den Satz: <Das ich alles erlebt. Alles! Alles!>

Vorgestern erlauschte ich etwas Neues: Er ging zügig seinen inzwischen sehr großen Wortschatz durch: ein Buch, eine Decke, ein Betonmischer, ein Bagger, ein Ball, eine Jacke, eine Schaufel, usw., über eine halbe Stunde lang. Es hörte sich wie eine systematische Übungsstunde für die Wortart unbestimmter Artikel (ein – eine) an.

Ich wollte wissen, ob er am nächsten Abend damit weiter macht. Aber da hatte er schon wieder ein neues <Projekt>: die Lampe, das Bett, der Hase, das Auto, der Schreibtischstuhl, die Mohrrübe, das Brötchen, usw. Also, er übte jetzt den bestimmten Artikel (der – die – das).

Datum der Veröffentlichung: 1.6.10

Beispiel von Sabine Handke, Frankfurt/M.

Johannes´ (4;5) Lernmotivation ist sehr hoch, und inzwischen fordert er Informationen auch ein. Beispiel: „Sabine, ich möchte etwas lernen.“ – „Was möchtest Du denn lernen?“ – „Ich möchte alles über die Dinosaurier lernen.“

Er stellt sich selbst Fragen, wie zum Beispiel: „Was passiert, wenn ich…?“ Johannes beantwortet sich diese Fragen auch, indem er verschiedene Möglichkeiten ausprobiert und sich für eine Lösung entscheidet. Dies beobachte ich beispielsweise oft im Baubereich bei statischen Problemen.

Datum der Veröffentlichung: 2.2.10

Beispiel von Hanna Vock, Bonn

Eine Erzieherin erzählte mir Folgendes:

Fabian (5;8) nahm in seiner Kita an einem gruppenübergreifenden Projekt für Vorschulkinder teil: >Geschichten erzählen<.

Er zeigte sich sehr motiviert und sprach den Kollegen, der das Projekt leitete, häufig auch zwischen den Projekttagen an.

Die Kinder sollten die Hauptfigur ihrer Geschichte, die sie sich ausgedacht hatten, bildnerisch darstellen. Fabian saß die ganze Zeit vor einem leeren Blatt und wirkte angestrengt und verkrampft. Als der Erzieher ihn ansprach (die anderen Kinder waren schon fertig), zeichnete Fabian drei Striche und äußerte, er wollte „nix malen“. In der nächsten Projektstunde konnten 2 von 10 Kindern schon ihr Bild an die Wand hängen und dazu ihre Geschichte erzählen.

Beim darauf folgenden Treffen malte Fabian seine Hauptperson, einen Leoparden, nach mehreren Anläufen, was für ihn eine schwierige Prozedur war. Aber er wollte seine Geschichte erzählen, also brauchte er ein Bild.

Wie gut, dass man erwachsenen Autoren nicht abverlangt, erst die Hauptperson ihres Romans zu malen, ehe sie ihre Geschichte erzählen dürfen… Die Literaturgeschichte wäre sicher um Vieles ärmer.

Warum wird ein Kind dazu genötigt, wenn es doch anders lernen möchte?

Sehr begabte Kinder wollen oft nicht malen, wenn es doch ums Geschichten erzählen geht. Sie müssen oft nicht erst „herangeführt“ werden; denn sie haben häufig schon ihren eigenen Plan, dem sie folgen möchten.

Datum der Veröffentlichung: 11.9.09

Beispiel von Hanna Vock, Bonn

Ich kannte einen Jungen, der seine gesamte Schulzeit ohne Hefte oder Mappen ausgekommen ist. Er verfügte über eine sehr gute und schnelle Auffassungsgabe und ein exquisites Gedächtnis. Von all seinen Lehrerinnen und Lehrern wurde Druck auf ihn ausgeübt: Ermahnungen, Androhung schlechter Zensuren, Rücksprache mit den Eltern, Vergabe schlechter Zensuren.

Der Junge, der Tests und Aufsätze mitschrieb (weil er deren Bedeutung einsah) und dabei gut abschnitt, hielt dem Druck stand, was die sonstigen schriftlichen Hausaufgaben anging. Seine Sicht der Dinge war: „Ich brauche mir nichts aufzuschreiben, ich vergesse es nicht. Wenn der Lehrer mir nicht glaubt, dass ich es weiß, kann er mich fragen.“

Er lernte durch Zuhören, wenn ihn etwas interessierte, vor allem aber ab fünf Jahren durch das Lesen sehr vieler Bücher.

Datum der Veröffentlichung: 11.9.09